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Inmitten der zerstörerischen Nachwehen des Ersten Weltkriegs entfaltet Friedrich Wolf mit Der Unbedingte ein Schauspiel von atemberaubender Intensität. Der Protagonist, ein Dichter, durchlebt in seiner Dachkammer eine apokalyptische Auseinandersetzung mit Gesellschaft, Moral und Existenz. Sein Streben nach dem "Absoluten" bringt ihn in Konflikt mit den Menschen, den Institutionen und sogar mit sich selbst. In einer Welt aus Verkohlung und Wahn strebt er danach, die Menschheit zu erlösen – koste es, was es wolle. Dieses Meisterwerk der expressionistischen Dramatik ist ein tiefgehendes und provokatives Stück, das die Widersprüche der modernen Gesellschaft ungeschminkt offenlegt und heutige Leser mit seinen Fragen zur Verantwortung und Menschlichkeit herausfordert.
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Seitenzahl: 48
Friedrich Wolf
Der Unbedingte - zwischen Wahn und Vision
Ein Schauspiel
ISBN 978-3-68912-419-9 (E–Book)
Geschrieben 1919.
Das Titelbild wurde mit der KI erstellt.
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Dichter
Geripp
Kriminal
Alte
Mädchen
Proletarier
Weiber
Lahmer
Bodenspekulanten
Sanitätsräte
Wünschelrutenmann
Spiritisten
Exzellenz
Würmer
Einzelne Personen gehen ineinander über
Ausgebrannte – absolute – Dachkammer. Verkohlte Wände; in Hose und Hemd sitzt der Dichter auf dem Kanonenöfchen.
DICHTERein Manuskript schwingend: Die Verantwortung trägt Europa! Die Erschütterung eines Dichters durch einen subalternen Stubenbrand bedrohen? Ich lache! Empor. Endlich! – Frei von dem Kram … Bett, Tisch, Garderobe … die Flamme war euch gnädig! Umher. Ha, der Brand bei der Witwe oder die Geburt des Unbedingten … so und so! Presst das Manuskript. Du nur, du … mein „Urmensch“ … und diese Beinhülle … letztere noch zu viel. Denn weniger ist mehr, und das wenige, das man ganz hat – ist das meiste!
Lärm treppauf.
DICHTERmit dem Manuskript: Ins Gefach! Vor einem Aschhaufen. Hm! Setzt sich, das Manuskript im Hosenbund, auf den Ofen.
Die Alte mit Kriminalbeamten.
ALTEschreiend: Hilfe! Hilfe! Mein alles, mein alles … mein Bett, meine Kommode, mein Diwan, meine Palme …
DICHTERsitzend: Mein Bleistift …
ALTErasend: Aas, Aas, Aas! Bandit! Lustbrenner! Galgenhals! Mein Tisch, meine Fußbank, mein Apollo, mein Eisbär … Satansvieh, wo ist mein alles?
DICHTER: Vergast … durch die Flamme geläutert.
ALTEsinkt gegen die Wand: Herr Kriminal, ich werde verrückt.
DICHTERfeierlich: Du warst es längst … wie wir alle.
KRIMINAL: Zur Sache! Wann haben Sie – bluffend – das Zimmer – angesteckt?
DICHTERimmer sitzend: Hohe Kriminalität, mich trifft das Verdienst nicht, sondern meine Kerze, die aus spontaner Vernunft diesen Eingriff vollzog.
KRIMINAL brüllt: Maul halten oder …
DICHTER vorgebeugt: O–d–e–r?
KRIMINAL kleinlaut: Was haben Sie verloren?
DICHTER: Nichts.
KRIMINAL: Es sind Sachen verbrannt!
DICHTER: Sachen.
KRIMINAL: Ist das nichts?
DICHTER: Nichts.
ALTE: Herr Kriminal, er hatte ja nichts außer den Lumpen auf dem Leib und den säuischen Schwarten; keinen Hosenknopf, Herr Kriminal, keinen Hosenknopf!
KRIMINAL: Können Sie die Frau entschädigen?
DICHTERlangsam aufstehend: Die–se … wandelnde Schatulle, aus deren Flicklappen man eine Vorstadt bekleiden könnte? Entschädigen? Ich werde ihr die Bluse ausziehen, herunterzerren!
ALTE kreischend: Lusträuber!
KRIMINAL Dichter packend: Im Namen des Gesetzes!
DICHTER: … Und mir eine Jacke daraus machen, oder einen Sonnenschirm.
KRIMINAL fürchterlich: Sie … Indi–vi–duum!! Sie wollen diese Frau noch berauben?
DICHTER: Mehr!
ALTEhinter Kriminal: Maria Joseph!
DICHTERgroß: Ich werde meine Hose ausziehen und sie dieser Frau – schenken!
KRIMINAL fast ehrfürchtig: Sie … Indi–vi–duum!
DICHTER: Sehen Sie, hohe Kriminalität, diese Pyjamahose bedeutet für mich mehr als eine Provinz für einen Fürsten. Aber ich werde mich dieser Hose entledigen, da sie kein absolutes Integral meiner und somit zu viel an mir ist. Begeistert. Ich werde mich ihrer entledigen, um reicher, absoluter zu werden … Gerührt. Ich werde mich ihrer sofort entledigen! Will die Hose ausziehen.
KRIMINAL wieder fürchterlich: Halt! Im Namen des Gesetzes!
DICHTER: Wie! Hindert mich das Gesetz, dem Gesetz zu genügen?
KRIMINAL greift jäh das Manuskript: Pfand!
DICHTERhoch: Dynamit!
KRIMINAL: Ah! Packt.
DICHTERfaszinierend: Brunco … süße Dreckseele!
KRIMINAL taumelt: Mensch … wie … wo … was weißt du?
DICHTER: Alles.
ALTE schreit: Der Gottseibeiuns!
DICHTER magisch: Still … du Eule! Auch wir kennen uns! Näher. Ich sehe Euch durch Glas, saubere Frau! Aber Michal, deinem Bettsklaven, hattest du eingeheizt, bis er sich im Schnaps die Seele verwand.
ALTEsich bekreuzigend: Gott im Himmel!
DICHTER wirbelnd: In der Hölle! Haha … heute haben jüngere Gräber sich den Magen verdorben und … speien! Ich und er … wenn ich jetzt er wäre … wenn sein klapperndes Gibacht … Die Wand spiegelt plötzlich ein Geripp. Hei, sich aus deinem Sündenfell ein Paar Stiefel zuschneiden!
ALTE: Hil–fe! Stürzt schreiend hinaus.
Stille.
KRIMINAL stammelnd: Mein … mein …
DICHTER ihn klopfend: Ruhig, Väterchen, ruhig! Es ist ja alles relativ! Wirft man in einen Automaten einen Groschen, so kommt heißer Kaffee; gießt man heißen Kaffee hinein, so kommt noch lang kein Groschen. – Also!
KRIMINAL auf das Geripp: Der … da …
DICHTER: Sofort! Darf ich die Herrschaften bekannt machen? Der Herr in Beinweiß – gut durchverwest! … Der Herr in Preußischblau – noch darin begriffen!
GERIPPaus der Wand tretend: Sehrr angenehm!
KRIMINAL: Sehr … Sehr …
DICHTERzu Kriminal: Haltung, Väterchen, Haltung! Auf der Röntgenplatte siehst du diesem Herrn zum Verwechseln ähnlich. Es ist alles Optik!
GERIPP: Sehrr wahrr … sehrr wahrr! Vierzig Jahre war ich Garderobenständer für Fleischbehang, Uhren zu tragen, Brieftaschen, ein Schicksal … zehn Minuten Motiv einer Grabrede … fünf Jahre Dessert auf Molluskenfestivitäten … jetzt bin ich der Geliebte des Grundwassers!
DICHTER: Fatal, wenn man nicht einmal als Leiche einsam sein kann!
GERIPP: Das ist’s; immer sind Beziehungen da.
DICHTER: Meine Hand! Gibt sie. Au! Du bist wenigstens im Format das Absolute!
GERIPP: Du … hihi … näherst dich mir beachtlich. Ihn musternd. Doch wozu das Papier?
DICHTERdas Manuskript monstrierend: Der „Urmensch“ … die Rückwärtsnabelung des Menschen zur Erde!
GERIPP: Du willst ihn … zurückgebären?
KRIMINAL fast fürchterlich: Mein Herr, ich nehme Anstoß!
GERIPP: Bemühen Sie sich nicht!
DICHTER: Natürlich! Alles stößt sich ja selbst, klebt, hängt … ein Klumpen … Dreck! Willst du leben, lebst du dich tot … Lehm … also? Brauchst nicht zu sterben, wenn du zwischen Mauern und Maschinen funk– ti–o–nierst! Wofür? Um Geld, also um …
KRIMINAL streng: Geld wär Dreck?
DICHTER: Schlimmeres! Kitsch … Schwindel! Grell. Könnte ich Gold machen, so wäre im Nu alles Geld, was es … ist!
KRIMINAL fast fürchterlich: Das sind Mani–pu–lationen!
DICHTER: Unsinn! – Ich will nicht fälschen, noch mich bereichern, sondern richtigstellen, sondern die verlogenen Beziehungen entblößen, sondern die Falschmünzer, die aus Dreck Sklavenhalterrechte münzen, entmannen! Finster. Doch das ist alles Unsinn.
GERIPP: Hihi!
DICHTER böse: Was grinst du?
GERIPP: Nimm die Asche!
DICHTERnimmt. Der Schrank … transsubstanziiert …
GERIPP bläst in Dichters Hand, schrillt: Gold!
Ein Goldklumpen stürzt. Totenstille.
DICHTERGeripp durchdringend: Ver–sucher?
GERIPP: Dein Ge–schöpf!
KRIMINAL: Im Namen des Gesetzes!
DICHTER: Ah, du bedingungsloser Apparat – in dir steht das Absolute vor seiner Niederkunft – doch mit welchem Recht willst du das Gold beschlagnahmen?
KRIMINAL: Weil die Schrankasche der Frau …
DICHTERenttäuscht: Also.
GERIPP: Ich werde das Gold wieder in Asche verwandeln. KRIMINAL prustend: Nein! Tun Sie das nicht! Angestrengt nachdenkend. Oder … tun Sie es! Wir können ja der Frau die Asche abkaufen und dann … Zum Geripp. Bitte … Sie verstehen doch?
GERIPP kichernd: