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Ein eindringliches Schauspiel, das die dramatischen Ereignisse des Arbeiteraufstands in Österreich im Februar 1934 in den Mittelpunkt rückt. Vor der Kulisse Wiens in einer Zeit politischer Spannungen und gesellschaftlicher Umbrüche entfaltet sich die packende Geschichte von Mut, Solidarität und Verrat. Mit scharfer Beobachtungsgabe und lebendigen Dialogen schildert Wolf die Konfrontation zwischen Arbeiterklasse und faschistischer Staatsmacht, beleuchtet die Hoffnungen und Opfer einer Generation und stellt die universelle Frage nach Gerechtigkeit und Widerstand. Dieses zeitlose Werk ist nicht nur ein Mahnmal gegen das Vergessen, sondern auch eine eindringliche Aufforderung, über den Wert der Solidarität und den Mut zur Veränderung nachzudenken. Das Drama ist ein unverzichtbarer Beitrag zur Geschichte des politischen Widerstands und ein Zeugnis der Hoffnung auf eine gerechtere Welt.
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Seitenzahl: 128
Friedrich Wolf
Floridsdorf
Ein Schauspiel von den Februarkämpfen der Wiener Arbeiter
ISBN 978-3-68912-427-4(E–Book)
Geschrieben in Moskau 1935
Das Titelbild wurde mit der KI erstellt.
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Nach dem Aufstand der Wiener Arbeiter im Februar 1934
Ich muss träumen von dir und den Toten,
Von den dreihundert Toten von Wien,
Mit Kanonen schoss man in die roten
Proletenquartiere von Wien.
In einem einzigen Häuserblocke
Zwölf Kinder lagen zerfetzt,
Du Kindchen unter meinem Rocke,
In diese Welt willst du jetzt?
Selbst an den Krankenbetten
Tagt heute das Standgericht
Mit Henker und Totenmetten
Mein Kindchen fürchtest du dich nicht?
Man wird uns exmittieren
Von Grenze zu Grenze hin,
Wir werden hungern, betteln, frieren
Mit den flüchtigen Rebellen von Wien.
Und überall wird man uns fragen,
Weshalb man durchs Land uns treib‘ …
Was wirst du dann sagen, dann sagen,
Du Kindchen in meinem Leib?
Ich höre dein Herzchen schlagen
Wie ein eisernes Hämmerlein,
Ja du wirst es einst sagen, es sagen,
Du musst geboren sein.
Heinz, Regimentsführer Regiment „Karl Marx“
Karl, Bataillonsführer Regiment „Karl Marx“
Franz, Zugführer Regiment „Karl Marx“
Ferd, Schütze Regiment „Karl Marx“
Seppl, Schütze Regiment „Karl Marx“
Rudi, Schütze Regiment „Karl Marx“
Max, Schütze Regiment „Karl Marx“
Schani, Betriebsrat im Gaswerk
Walter, Betriebsrat im Gaswerk
Weissel, Feuerwehrkommandant in Floridsdorf
Kienzel, Feuerwehrmann
Gramling, Eisenbahner, dann Heimwehrler
Peppi, genannt „Katastrophenpeppi“
Mali, Schanis Frau
Lene, Gramlings Tochter
Gretl, Lehrerin
Otto Bauer, Abgeordneter, im SPÖ-Parteivorstand
Reißner, Redakteur der „Arbeiterzeitung“
Katzl, Redakteur der „Arbeiterzeitung“
Pichl, Faktotum der „Arbeiterzeitung“
Ein blonder Mensch
Straßenwärter
Vorsitzender, beim Standgericht Wien II
Staatsanwalt, beim Standgericht Wien II
Verteidiger, beim Standgericht Wien II
Frau Exzellenz, „Kardinal-Innitzer-Kommission“
Frau Staatsrat, „Kardinal-Innitzer-Kommission“
Der geistliche Herr, „Kardinal Innitzer-Kommission“
Zwei Kriminalbeamte
Das Stück spielt in Floridsdorf, in Wien und an der tschechischen Grenze.
Die Zeit: vom 15. März 1933 bis 16. Februar 1934
Wohnraum im Schlingerhof Wien-Floridsdorf. Nacht vom 14. zum 15 März 1933. Das Zimmer ist leer, halbdunkel, durch den Reflex der Straßenlichter schwach beleuchtet. – Von rechts kommt eine Gestalt, schleicht nach links zur Tür, findet die Tür verschlossen, geht dann leise zum Fenster im Hintergrund, öffnet vorsichtig einen Fensterflügel, will hinaussteigen, muss den Fensterflügel weiter aufdrücken … ein Krach: eine Blechkanne mit Wasser, durch eine Schnur am Fenster befestigt, fällt herab. Ehe die Gestalt von dem Guss sich erholt und davongemacht hat, ist das Licht angeknipst. Rechts aus dem Nebenraum stürzt eine fünfzigjährige Frau von gewaltigem Körperumfang: Mali; sie packt zu und ergreift Seppl, ihren achtzehnjährigen Jungen. Der steht da in kurzen Turnhosen und im Sporttrikot, die eigentlichen Hosen um den Leib gebunden, die Schuhe in der Hand, die Haare noch triefend vom Wasser. Auch der Betriebsrat Schani, ein fünfundfünfzigjähriger Graukopf, in Hemd und Hose, ist hinzugekommen.
MALI den Seppl nach vorn ziehend, wütend: Hab ich dich, Bürschl! Wie ’ne Ratte im Wasserkübel muss man ihn fangen! Mit achtzehn Jahren nachts zum Mädel schleichen, wie ’n Dieb, wie ’n Don Juan! Zieht ihn nach vorn. Du Schandfleck!
SCHANIpackt ihn, doch mehr dozierend: Hast denn gar keinen Verstand, Seppl? Nachts wie ’n Dieb aus dem Fenster zu steigen, wie ’n Dieb, hier, aus dem Schlingerhof … –feierlich – den wir uns erbaut haben als ein sozialistisches Gemeindehaus, als ein Symbol …
MALI ihn zu sich drehend: Was er bloß hat an dem Weibsbild, der Hosenmatz. Entrüstet. Fünfundzwanzig Jahr alt ist das Mädel, du bist achtzehn; ’ne Lehrerin ist das Mensch, du bist Eisendreher; das passt grad zueinander wie Zwetschgenkuchen zum Hering und wie ein Igel zum Handtuch!
SEPPL: Aber Mutter, die Gretl …
SCHANIdreht ihn zu sich: Die Gretl, die Gretl! Bürschl, in deinem Alter braucht das Gehirn nachts keine Gretl, sondern Schlaf! Als ich so alt war wie du …
MALI wütend: Skifahren wollen sie, die beiden; die Brettl haben sie schon hergerichtet für nächste Woch! – Aus ist’s! Marsch ins Bett! Und die Hose brauchst nit, wenn du schläfst! Nimmt ihm die Hose weg.
SCHANI zu Seppl, der mürrisch dasteht: Seppl! Die Mädel laufen einem nicht weg, aber der Schlaf, der Schlaf … Remitierend.
Was wir dem Schlaf an Stunden stahlen,
Das holt für ihn sein Bruder ein,
Das müssen wir dem Tod bezahlen,
So bleibt es bei der Sippschaft fein!
MALI hat aus Seppls Hose eine große Steyrpistole hervorgezogen: Das ist’s?
SEPPL greift nach der Waffe: Lass, Mutter!
MALI zieht die Hand zurück: Zum Schießen gehst nachts, nit zum Mädel?
SCHANI: Drum kommt auch der Ferd nit heim?
Seppl schweigt.
MALI geht schnell an die Wasserleitung, presst ihr Ohr an das Leitungsrohr, horcht: Sie hauen wieder in die Wand, mit Eisen, drunten im Keller … aus den Zementwänden hauen sie’s raus, die Gewehre, die Maschinengewehre! Springt zu Seppl, packt ihn in tierhafter Angst. Aber dafür hab ich meine Buben nit geboren, dass sie sich herumschießen sollen mit den Heimwehren und dem Dollfuß, dass man sie mir in Fetzen zurückbringt, wie im 27er Jahr vom Justizpalast! Seppl, Drecksbub, Sakramenter, mein Bub, machst deiner Mutter nit den Jammer, versprich mir’s! Plötzlich. Geh in die Berg mit deiner Gretl, nur los, mit euren Schiern, nix als dos, nur weg jetzt aus dem brandigen Wien! Klopft links an die Wand. Gretl! Hörst denn nit, Gretl?! Will die Pistole in Papier wickeln. Die bring ich morgen weg!
SEPPL packt ihren Arm: Die gibst wieder, Mutter! Unser Zugführer vom „Alarm“ hat befohlen … Will der Mutter die Waffe aus der Hand ziehen; ein Schuss geht los.
SCHANIhoch: Seppl!!
SEPPL: Das ist nix für Frauen. Sichert die Waffe.
Gretl, ein fünfundzwanzigjähriges Mädchen, Lehrerin, mit einfachem, kräftigem Gesicht, schnell herein; sie trägt Rock und Hemd, hat einen Schal eilig umgeworfen.
GRETL: Was ist?
MALIwieder zornig: Nimm ihn dir, deinen Lausekerl, deinen Lumpazius, dein Hähnchen, nimm ihn dir nur, Gretl, nehmt eure Brettl und los, ins Gebirg, auf die Eisfelder und Gletscher, nur los mit euch, weit weg, ich will ihn nit mehr sehn … Setzt sich hin, die Hände vor den Augen.
GRETL zu ihr: Aber Mutter Mali …
MALI: Ach was, „Mutter“; bin ich ja gar nit! Hört ihr denn auf mich? Springt auf, nimmt Seppls Waffe weg. Aber das bleibt hier! Gegen Gretl. Auch du lässt’s ja laufen, wie’s lauft!
GRETL: Was kannst du machen? Ich hab auf den SEPPL eingeredet mit aller Macht, hab mir Vorurlaub genommen, von der Schule, wir wollen zum Frühling im Gebirg sein mit unsern Brettln, und morgen ist schon der 15. März; aber die Buben hören ja nit mehr auf unsereins, bloß was ihnen ihre Kommandanten ins Ohr setzen, der Heinz, der Karl, der Franz und der Weissel …
SEPPL schnell: Die Namen lässt aus, Gretl!
GRETL: Ich mein’s ja nit so. Aber was der Weissel euch sagt, das steht für euch fest wie ’n Stern am Himmel.
SCHANI über seiner Kartothek: Der Weissel, der sollt sich um andre Dinge kümmern, der Herr Feuerwehrkommandant.
SEPPL vor ihm: Der Genosse Weissel, meinst du!
SCHANI mit Kartothekkarte: Dein „Genosse“ Weissel, der 1927 nach der Schießerei am Justizpalast ausgetreten ist aus der Partei, und der’s heut mit den Kommunisten hat … Von der Kartothekkarte lesend. Dein „Georg Weissel, Feuerwehrkommandant, fünfunddreißig Jahre alt, verheiratet, ein Kind, dreijährig“.
Herein kommen schnell der Eisenbahner Grämling, ein fünfundvierzigjähriger, in Schutzbundjacke mit Karabiner, hinter ihm seine zwanzigjährige Tochter Lene.
GRAMLING erregt: Alarm?!
SCHANI: Die Burschen blödeln.
GRAMLING: Hat’s geschossen?
MALI auffahrend gegen Grämling und seinen Karabiner: Und wenn s noch mal schießt, dann geht die Mutter Mali zur Polizei und macht der Sach ein End! Oder meint ihr, ich hab nit genug an Krieg, Mord und Totschlag die letzten zwanzig Jahr? Meint ihr, ich wollt noch den Bürgerkrieg?
GRAMLING: Der ist ja schon da.
MALI: Was ist da??
GRAMLING: Nun, Mutter Mali, wie nennst du denn das Ding, wenn der Dollfuß für morgen Nachmittag, den 15. März, den gesetzlichen Zusammentritt des Parlaments verbietet, wenn die Partei immer sagt: Das Parlament, das sind die Lungen, ohne die das Volk nicht atmen noch leben kann; will man die ihm rauben, dann, dann hätten die Arbeiter „ein heiliges Recht auf Waffen“!
SCHANI feierlich: Auf geistige Waffen, das hat der Otto Bauer und der Deutsch immer betont.
GRAMLING: Und wozu gaben der Deutsch und der Schutzbund uns dann Gewehre und Maschinengewehre?
SCHANI: Wozu, Genosse Gramling? Wozu? Zur Verteidigung unserer sozialistischen Errungenschaften, unsrer Gemeindebauten, unsres Schlingerhofs hier, unsrer Kinderheime, Arbeiterbäder, unsrer großartigen sozialen Kulturanlagen, wie keine Stadt der Welt sie besitzt!
GRAMLING: Und wenn sie morgen das Parlament auflösen …
SCHANI: Ein einziger Generalstreik …
GRAMLING: Wie 1927, als der Justizpalast brannte, als die Polizei die Arbeiter abschoss wie die Hasen, als wir Eisenbahner geschlossen in den Verkehrsstreik traten, als zwei Tage kein Rad rollte, keine Lokomotive rauchte … und der dann abgewürgt wurde, weil die Partei die Aktion von der Straße auf „parlamentarischen Boden“ verlegen wollte. Heftig. Genossen! Wenn sie uns morgen wieder zum Narren halten, dann werden wir unsern Bonzen in der Wienzeil mal einheizen!
MALI zu Gramling: Ruhe, Otto! Hast dich schon immer reingerennt mit deinem Hitzkopf! Wenn sie dich als Eisenbahner entlassen und aus der Wohnung werfen …
LENE: Soll er wegen der Pension und der Wohnung kneifen?
MALI: Halt ’s Maul, du Grasaff!
LENEtritt zu Gramling: Bloß wegen der Wohnung, darum noch lang nit, was Vater!
MALI ruhiger: „Bloß wegen der Wohnung?“ Mädel, ohne Wohnung, da bist du ein Fisch ohne Wasser, bist bloß ein halber Mensch. Weißt halt nit mehr, wie wir vor fünfzehn Jahren hausten hier in finstren Löchern, wie der Schimmel in die Betten zog und die Ratten uns nachts über die Nasen sprangen, und jetzt … – macht rechts und links die Türen auf – da noch ein Zimmer, und hier Küche und Bad und die Zimmer für die Buben; wie im Himmel leben wir heut …
Es kommen Heinz, ein vierzigjähriger kräftiger Mann, Bataillonsführer vom Alarmregiment „Karl Marx“, und Franz, sein fünfundzwanzigjähriger Zugführer.
HEINZ: War das hier?
GRAMLING auf Seppl: „Gewehrreinigen!“
MALIgegen Heinz: Den Seppl lässt mir draus aus der Sach, verstehst?
HEINZzu Seppl: Bei wem?
SEPPL stramm: Zweiter Zug.
FRANZ meldend: Ist erst ’ne Woche bei uns.
HEINZ zu Gramling, leiser: Bereitschaft.
MALI hellhörig: Was ist?
HEINZ: Schon gut. Will mit Gramling und Franz hinaus.
MALI vertritt ihm den Weg: Nix gut, Heinz! Gar nix gut! Hast mir hier Red zu stehn, du als Kommandant! Meine beiden Buben hast schon narrisch gemacht, streichen nachts herum wie die Strauchdieb, die beiden Hosennässer; sollen wohl auch schon schießen und bluten und sterben für euren Sparren? Verzweifelt. Werdet’s bald sehen, alles wird uns wieder genommen, alles, was wir die Jahr uns geschafft: die Kinder, die Männer, die Arbeit, die Wohnung …
HEINZ: Ruhig, Mali, der Schutzbund sorgt grad dafür, dass der Arbeiterschaft nix genommen wird.
SCHANI: Heinz! Ich weiß, du bist ein fester Mensch, du hast ein Gewissen, du machst keine wilden Sachen, Heinz, mach nichts ohne Befehl der Zentrale!
HEINZ: Wir sind eine bewaffnete Truppe, Schani; Disziplin ist bei uns das erste.
SCHANI: Richtig, Heinz, und die Disziplin verlangt, dass wir die Nerven nicht verlieren, nicht vor dem kleinen Dreck, dem Dollfuß, und nicht vor den „Hahnenschwänzen“ des Starhemberg, dass wir hören einzig und allein auf unsre Partei … – begeistert – eine Partei ist das … – zu seiner Kartothek – ein Felsblock von Partei, eine Mordsriesenpartei, über eine Million Wähler in Österreich, und die Sympathien, die sie sich geschaffen hat grad durch ihre kommunale Politik …
GRAMLING spottend: Durch die Gemeindebauten …
SCHANI feierlich: Jawohl, die Gemeindebauten, Genosse Gramling! Oder ist das vielleicht nichts: der Karl-Marx-Hof, der Goethehof, der Lassallehof und hier unser Schlingerhof mit ihren Zehntausenden lichten Arbeiterwohnungen, Schulen, Kindergärten, Bädern und Versammlungsräumen! Jawohl, Genossen, das sind die Symbole und sichtbaren Hochburgen eines Sozialismus ohne Blut und Tränen! Hebt seine Kartothek wie ein Palladium. Seit Januar sind allein in unserem Bezirk wieder zweiundachtzig Mitglieder neu in der Partei.
FRANZ: Aber ein lahmer Fettwanst ist die Partei, wenn sie sich nicht rührt!
HEINZ: Pause, Franz! Disziplin sollst im Leib haben als Zugführer! Der Schutzbund empfängt seine Parolen; in die Parteipolitik soll er sich nicht mischen.
FRANZerregt: Grad das soll er, sagt uns der Weissel!
SCHANI: Der Weissel! Genossen, da stimmt was nicht, der ist ein Anarchist …
SEPPL hervor: Der ist richtig, Vater!
MALI zieht ihn zurück: Der Satan ist der für euch Burschen!
Es klopft. – Mali nach rechts, schaut durch einen „Spion“ in der Tür; ins Zimmer: „Der Katastrophenpeppi!“; sie öffnet, herein schiebt sich ein langer hagerer Mensch in Windjacke mit einem Tirolerhut, der Katastrophenpeppi.
PEPPIzu Mali: Heißen Dank für die Anmeldung, schöne Frau! Keine Erregung, bitte, nicht der geringste Anlass zu Emotionen. Heute, Genossen, nur einige kleine Fakten: Die Italiener stehen schon am Brenner, der Horthy hat dem Starhemberg drei Züge mit Waffen gesandt.
HEINZ: Woher, Peppi?
PEPPI vornehm: Woher? Von der Wienzeil, vom Parteihaus. Wenn der Bäcker morgen früh die Semmeln austrägt, dann sitzt der junge Kaiser Otto mit seiner Frau Mutter, der Kaiserinwitwe, bereits in der Hofburg auf dem österreichisch-ungarischen Kaiserthron …
GRAMLING: Geht’s los?!
PEPPI: Morgen mittag Punkt vier.
HEINZ: Latrine!
PEPPI: Ottakring und Brigittenau holen die Waffen raus.
HEINZ: Wo ist der Befehl?
PEPPI schlägt an seine Brust: Den haben wir hier!
FRANZ: Richtig!
GRAMLING: Und wenn er wieder bremst, der Parteichef, diesmal hauen wir ihm die Bude ein, die Bonzen hängen wir auf, die Schutzbundführer werden Parteivorstand …
HEINZ drückt ihn an die Wand: Wenn du Panik machst, Otto …
PEPPI: Ein Extrablatt, bitte. Hält es Heinz unter die Nase.
Heinz nimmt, liest stumm, während alle herantreten.
SCHANI liest: „Der Zusammentritt des Parlaments am 15. 3. 1933 ist laut Notverordnung vom 18. 2. 1933 bis auf weiteres verschoben. Die Regierung ist entschlossen, jede Zuwiderhandlung gegen diese ihre Verfügung mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu unterdrücken.“ Liest das Blatt immer wieder.
HEINZ zu Peppi: Was sagt die Bundesleitung?
PEPPI: Nichts.
HEINZ: Und die Partei?
PEPPI: Nichts.
Stille.
HEINZ: Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln! Wir sind wohl ’ne Hammelherde? Genossen, wir müssen wissen, was da gespielt wird, welche Parolen die Partei ausgibt, wenn man das Parlament morgen mit Waffen auseinanderschlägt! Kollegen, wir werden sofort eine Delegation wählen, die morgen zum Vorstand geht und zur Schutzbundleitung!
SCHANI: Eine Delegation, gut.
MALI: Eine Delegation, das haben auch wir Frauen schon gemacht. Erleichtert. Setzt euch, Männer, eine Delegation, da müsst ihr doch schreiben. – Los, Mädels, wollen ’nen Kaffee kochen! Mit Gretl und Leni ab.
HEINZ: Alles schon parat, Schani?
SCHANI: Die Mitgliedsbücher vom Bezirk müssen zu jeder Zeit revisionsfähig sein, das kann man vom Bezirksobmann verlangen. Hat sich mit Feder und Papier feierlich hingesetzt.
HEINZ: Richtig, Bezirksobmann! Also oben: Re–so–lution der Delegation des Schlingerhofs Floridsdorf, Wien, XXI. Bezirk.
SCHANI schreibt: „Des Schlingerhofs Floridsdorf, Wien, XXI. Bezirk …“
HEINZ diktiert: Im Hinblick auf die durch die Dollfußregierung geschaffene bedrohliche Lage erwarten die Vertreter des Gemeindehauses Schlingerhof …
FRANZ: Der Fiatwerke Floridsdorf …
GRAMLING: Und der Eisenbahnergewerkschaft …
HEINZ: Und der Eisenbahnergewerkschaft, dass die Partei sofort durchgreifende Parolen herausgibt, und zwar: erstens Generalstreik, zweitens Rücktritt der Regierung Dollfuß, drittens Bewaffnung der Arbeiterschaft …
FRANZ: Die drei Punkte unterstreichen, Schani!
GRAMLING: Vor allem den letzten!
PEPPIan der Wasserleitung horchend: Was ist?
FRANZ ebenso: Sie hauen im Keller die Wände auf, die MGs aus den Wänden.
PEPPI: Fesche Burschen.
HEINZ wütend hinzu: Idioten!
GRAMLING vor ihm: Morgen brauchen wir sie, Heinz.
HEINZ: Ohne Befehl wird nichts „gebraucht“!
FRANZ: Die Burschen sind nicht mehr zu halten, Heinz.
HEINZ: Die Burschen schmeiß ich dreikant aus dem Bataillon! Hinaus.
Alle – bis auf Schani – rennen ihm nach. Schani, in sein Schreiben und sein „Unterstreichen“ mit Lineal ganz vertieft, fährt auf, sieht das Zimmer leer, rennt jetzt zur Tür.
SCHANI halb in der Tür, halb im Flur: Heinz, Heinz! Was ist denn? Die Resolution? Er geht zurück in die Mitte des Zimmers, horcht, schaut nach der Uhr: ein Uhr nachts, geht weiter an den Tisch, legt die Resolution beiseite, beginnt wieder die Zahlmarken in die Mitgliedsbücher zu kleben, spricht mit sich selbst. Nummro 225467 … so ’ne Partei, so ’ne Herrgottsriesenpartei, sollen sie nur kommen! Er nimmt seinen Schemel, schwingt ihn hoch, als wolle er damit den Tisch und alles Lebende und Tote zerschmettern, setzt ihn dann aber ruhig hin, sitzt darauf, nimmt sich wieder die Mitgliedskarten vor und schreibt zornig und begeistert weiter.