Die schwarze Sonne - wenn Götzen stürzen - Friedrich Wolf - E-Book

Die schwarze Sonne - wenn Götzen stürzen E-Book

Wolf Friedrich

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Beschreibung

In der Urwildnis eines fernen Zeitalters entzündet sich ein machtvolles Schauspiel zwischen Götzenkult, blinder Gläubigkeit und dem Streben nach Erneuerung. Friedrich Wolfs „Die schwarze Sonne“ aus dem Jahr 1920 entfaltet eine eindringliche Parabel auf menschliche Schwächen und die Suche nach Wahrheit. Der alte Götze des „weißen Mondes“ wird gestürzt, doch auch der neue Gott – die „schwarze Sonne“ – offenbart sich als trügerisch. Als Satire auf Macht und Dogma sowie ein Plädoyer für individuelle Freiheit und Menschlichkeit ist dieses Werk heute aktueller denn je. Tauchen Sie ein in eine Welt zwischen Mythos und Moderne und entdecken Sie, was es wirklich heißt, Mensch zu sein.

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Impressum

Friedrich Wolf

Die schwarze Sonne - wenn Götzen stürzen

Fantastische Komödie mit Tanz und Gesang

ISBN 978-3-68912-421-2 (E–Book)

Geschrieben 1920 in Remscheid.

Das Titelbild wurde mit der KI erstellt.

© 2024 EDITION digital®

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E-Mail: [email protected]

Internet: http://www.edition-digital.de

PERSONEN

Die schwarze Sonne

Wumm

Burru

Sit

Kirri

Lolol

Li

Das Urmenschenrudel

Das Stück spielt wenigstens 10 000 Jahre nach der Gegenwart

ERSTER AKT

Felswand in der Urwildnis, mit manneshohen Lettern bemalt. Vor der Wand auf einem hohen Sockel ein riesiger, grellfarbiger Holzgötze – „der weiße Mond“. Links ein mächtiger Felsspalt. Zu Füßen des Götzen ruht fellbekleidet eine vierschrötige kurzbeinige Gestalt: Wumm, der Priester. Helle Nacht.

WUMM im Halbschlaf: Hunger! Hunger! Wälzt sich auf die andere Seite. Unsinn … ich bin der Mond … der allmächtige, ungemein volle, gebieterische Mond … wundervoll, a–h, ich strotzendes Euter, ich schwappender Quarkpott, ich sahniger Gelbkäse –. Groß. Ich, der Vollmond, gebiete … voll zu sein! Erwachend, grimmig. Verdammt, nichts als Erleuchtungen! Doch was erfüllt mich? Klopft gegen des Götzen Bauch. Hohl! Hohl! Wie eine Tonne! – Gib acht, ich hab dich nicht dahingebaut, dass du in die Gegend grinst und vor deinem Zähnefletschen die Mütter im Galopp niederkommen, die Lahmen die Beine unter die Arme nehmen und die Kranken aus bloßer Angst vor ihrem Helfer gesunden. Haut ihm auf den Bauch. Wo bleibt die Kundschaft? Es geht dem Gesindel zu gut. Ein Unheil, hörst du, ein gebührendes Unheil, einen Tod, eine Missgeburt! Greift eine Axt und hält sie ihm unter die Nase. Hörst du, kennst du diese? Wenn du alt und faul wirst, muss man dich zu deinen Vätern versammeln! Ein Unheil, oder … Ein Schrei. Lässt die Axt sinken. Allgütiger … Schreie sich nähernd. Neigt sich vor dem Götzen. Allweiser Ernährer!

Kirri, ein junger Mensch, Lolol, ein großes, starkes Weib, und ein Urmenschenrudel schleppen von rechts die mondsüchtige Li heran.

KIRRIhebt Lis Arm zum Götzen hin: Die Hand auf seinen Scheitel!

WUMM grimmig dazwischen: Zurück! Seht ihr nicht den Priester?

LOLOL: Sie vergeht unter meinen Armen!

WUMM: Und wenn sie vergeht, ihr faulen Schläuche, ihr Lasterbälge, die ihr daliegt satt und platt, während der Gott mit silbernem Horne ruft! Drum rast er in eurem Blut, drum frisst er euer Mark, drum holt er selbst sich sein Opfer! Denn groß ist der „weiße Mond“!

ALLE sich neigend: Groß ist der „weiße Mond“!

KIRRIsich niederwerfend: Heiliger, versöhne den Gott! Sprich mit ihm! Er soll drei warme Häute haben, den Nagel meiner großen Zehe und die Fänge eines tollwütigen Hundes.

WUMM: Dass ich dir selbst die Zähne breche!

KIRRI: Zwei Lenden vom feisten Eber, Früchte, zehn Schläuche Wein.

WUMM: Ha!

LOLOL vorspringend: Eine … Nacht, die ich ihm opfere.

WUMM: Der Fall ist schwierig.

KIRRI: Was noch verlangt der Gott?

WUMM: Was noch? Was noch, ihr Missgeburten? Tritt auf den Sockel neben den Götzen. Wir haben Li, die lichthaarige Schwester, geblendet, dass eure Augen geöffnet werden, wir haben uns herniedergelassen, das Opfer selbst zu holen, da ihr die Opfer nicht brachtet, wir werden unsere Arme so lang um Li geschlossen halten, bis eure Spenden und eures Eifers Last sie wieder öffnen. Groß. Denn der „weiße Mond“ – groß ist sein Glanz –, er fordert Li!

LI wirft die Hände empor, somnambul: Hei!

KIRRI gegen Wumm, bebend: Unmöglich!

WUMMpackt Li an ihren Haaren: In seinem Namen …

Li reißt sich jäh los und stürmt nach links zum Felsspalt.

LOLOL will ihr nach: Ins Felsmaul?

WUMMihr entgegen: Der Gott …

KIRRI außer sich: Zerplatze! Stürmt Li in den Felsspalt nach.

Kurze Stille.

EIN URMENSCHzu Wumm: Heiliger, sprich mit dem Gott! Kann er sie retten, er rufe sie zurück!

WUMMerhaben: Schweig! – So wirft der Gott alle Verworfenen dem Geist des Abgrunds in den Rachen.

Getöse und brüllende Rufe von draußen.

LOLOLzu Wumm: Fort! Es ist Burru, der große Schlaf, dessen Matte Li geteilt.

EIN URMENSCH: Die gelbe Zecke hetzt ihn.

Von rechts stürmt Burru, ein baumstarker, klobiger, schwarzbärtiger Mann, her. Hinter ihm ein schwefelblonder, dürrer Kerl, Sit, die gelbe Zecke.

BURRU brüllend in tiefstem Bass: Uh! Wo? Ich zerquetsche ihn! Schaut sich um. Wo sie ist? Wo? Mein Zuckerschnäuzchen, mein Lämmerschwänzchen, mein weißes Ferkelchen? Gähnend. U–ah! Das war ein Zorn! Uh! Will sich hinlegen.

SIT mit Fistelstimme, ihn stachelnd: Stibitzt hat er sie! Verschlafen hast du alles, du Riesenmurmeltier! Doch Li und der Gott schliefen nicht! Stibitzt hat er sie! Stibitzt! Sit! Sit!

BURRU furchtbar: Uh! Wo? Gegen den Götzen. Was grinst du, Schmerbauch? Hast du sie verhext, du Giftmolch, Altes Fass? Schlägt mit der Axt gegen den Götzenbauch, dass Wumm von der anderen Seite hervorfliegt. Ho! Ist das der Ausbruch? Packt Wumm am Genick.

WUMMwimmernd: Des Gottes Segen über dich.

BURRU brüllend: Segen? Uh! Wo? Wo ist das Silberwürmchen, die weiße Schnecke? Wo, du faule Schwarte, Speckaal, du Geschwulst. Ich zerquetsche dich wie einen Käse.

WUMMjämmerlich: Er … Er, der „weiße Mond“ … Er … suchte sie zu retten, als von dort … vom Felsmaul ein schwarzer Geist des Abgrunds winkte … ein schwarzer, grässlich riesiger Nachtmahr.

SIT Burru in die Rippen stoßend: Stibitzt hat er! Kitzle ihm das Gedärm!

BURRU gähnend: U–ah, das war ein Zorn. Sinkt wie ein Sack hin.

Ein Schrei vom Felsspalt her.

LOLOL zurückfahrend: Der Geist?

KIRRI aus dem Felsspalt springend: Dort!

LOLOL: Wer?

KIRRI atemlos: Ein Geist … Gott … eine Sonne …

WUMM: Erlogen!

KIRRI: Licht! Reinstes! – Ich folgte ihr ins Felsmaul … schwarz wie ein Bärenschlund … wir stürzten, fielen, tasteten … plötzlich die Sonne …

LOLOL: Eine Sonne?

KIRRI: Aus einer … Hand!

WUMM: Da seht die Lüge!

KIRRIheftig: Du wirst sie sehen, die Sonnenhand des lichten schwarzen Geistes!

SIT tritt Burru in die Seite: Sit! Sit! Spürst du’s nicht, Altes Schnarchvieh? Li ist! Li ist wo! Stibitzt zwar, doch sie ist! Ihn rüttelnd. Grimm!

BURRU elektrisiert: Uh! Ho! Wo? Er wird von Kirri in den Felsspalt gezogen.

LOLOL: Ob er uns tötet?

WUMMzornig: Wer?

LOLOL: Der Geist, der eine Sonne in seiner Hand trägt.

WUMM giftig: Was für ein Geist, he? Es gibt nur einen Gott, den „weißen Mond“! Hat er seine Macht an Li nicht bekundet? Ist er nicht dick wie ein Eichbaum?

LOLOL: Aber eine Sonne, die kann der „weiße Mond“ nicht in den Händen tragen.

EIN URMENSCH: Dazu muss ein Gott gewaltig wie ein Turm sein.

EIN ANDERER: Gewiss, der schwarze Geist ist wie ein Berg, und sein Arm allein ein Eichbaum.

EIN DRITTER jäh zum Felsspalt: Seht!

DER ZWEITE: Grauenhaft!

WUMM an den Götzen geklammert: Hinweg!

Aus dem Fels tritt Burru, er trägt auf seinen nackten, behaarten Armen wie ein Palladium ein sitzendes Männlein, das im vollendeten Gesellschaftsanzug mit Cutaway und Zylinder bekleidet ist. Das Wesen erscheint erstarrt. In seiner Rechten glüht eine große elektrische Taschenlampe. Hinter ihnen Li, von Kirri geführt. – Tiefe Stille.

EIN URMENSCHden Kopf hebend: Hu! Wirft sich schnell wieder aufs Antlitz.

EIN ZWEITER ebenso: Ooh!

EIN DRITTERebenso: Blitz!

LOLOL halb empor: Sonne!

ERSTER URMENSCHebenso: Ein Gott! Ein Deva!

LOLOL aufspringend, wie unter einer Eingebung: Sonne … schwarze Sonne … rette Li!

SIT Burru in die Rippen stoßend: Sprich!

BURRU tritt elektrisiert, den starren schwarzen Gott auf den Armen, vor den „weißen Mond“: Uh! Der wird dir’s zeigen, Dickwanst! Der! Uh!

LOLOL: Seht, es atmet …

KIRRI: Nieswurz!

Man hält dem schwarzen Wesen Nieswurz unter die Nase, es zieht, niest wolkenbruchartig, dass einige Urmenschen vor Schrecken umfallen, öffnet erstaunt, aber sehr ruhig, die Augen, scheint nachdenklich, zieht aus der Weste ein Einglas, klemmt es ins Auge, beschaut und betastet Burru, zumal dessen Arme, schließt die Augen wieder.

ERSTER URMENSCH begeistert: Saht ihr’s? Er kann die Augen drehen, das kann der „weiße Mond“ nicht!

ZWEITER URMENSCH: Die Hand bewegen …

DRITTERURMENSCH: Ein Wunder …

BURRUimpulsiv zärtlich: Puh! Ho! Liebling!

Das Wesen entlädt eine zweite Niessalve mit gleicher Wirkung wie zuvor; öffnet erneut mit vollendeter Ruhe die Augen, beschaut und betippt den Götzen, dann wieder Burrus Bizeps, darauf es spricht zu Burru.

DIE SCHWARZE SONNE sehr sachlich: Sind Sie schon engagiert?

ERSTERURMENSCHekstatisch: Ein Segen!

ZWEITERURMENSCH: Eine Weissagung!

DIE SCHWARZE SONNE: Fabelhaft. Einfach fabelhaft. Sich umschauend. Ein blendender Zirkus.

LOLOL ergriffen: Ein Zauber … eine Beschwörung! Höret ihr’s? Er will Li besprechen!

KlRRl führt Li, die mit offenen Augen schreitet, nach vorn: Da ist sie! Li!

DIE SCHWARZE SONNE lüftet seinen Zylinder: Donnerwetter!

ERSTERURMENSCHentsetzt: Er reißt den schwarzen Turm von seinem Haupt!

ZWEITERURMENSCH: Ein Donnergott!

DRITTERURMENSCH: Er hält den Blitz in seiner Hand!

DIE SCHWARZE SONNE: Witzbold! Schaltet die Lampe aus.

ALLE auch Burru, der die schwarze Sonne zur Erde niedergelassen hat, werfen sich bestürzt zu Boden; wimmern: Gnade! Gnade!

DIE SCHWARZE SONNE sehr sachlich: Großartig, Kinder, einfach großartig. Der Fürst dankt. Wundervolle Huldigung. Förmliche Glanznummer. Aber, sich über die Augen fahrend, ihr müsst mir ein wenig Zeit lassen, Kinder. Ich bin noch nicht ganz im Bilde.

WUMMam Götzen hochgeklammert: So fahre wieder in deinen Abgrund, du Kotgedärm der Finsternis!

DIE SCHWARZE SONNE sich zu ihm wendend: Sehr bildhaft. Sehr eindrucksvoll. Wohl der Herr Direktor? Knipst die Glühlampe an.

Wumm stürzt wie vom Blitz getroffen nieder.

DIE SCHWARZE SONNE: Sonderbare Nummer. – Kinder, wollen wir uns nicht etwas gebildet benehmen?

KIRRI der sich mit der starren Li hochgerichtet: Rette! Rette!

DIE SCHWARZE SONNE leicht erzürnt: Zum Teufel, mein Herr, belästigen Sie mich nicht! Wenden Sie sich an eine Rettungsstation, Sie … Erblickt die beiden.

Li und die schwarze Sonne schauen sich einen Augenblick erstaunt an. – Stille.

LI grell beleuchtet, schließt die Augen, öffnet sie, schreit: Strahl ... Sonne … hei!

DIE SCHWARZE SONNE lüftet den Zylinder: Verzeihung, Gnädigste, ein Missgriff!

KIRRI niederfallend: Ein Gott! Li …

LOLOLschreit: Lebt!

ALLE: Gerettet!

BURRU aufspringend: Uh! Ho! Mein Lämmerschwänzchen! Meins! Nimmt sie auf die Arme und tappt, von Sit gestachelt, mit ihr nach rechts ab.

DIE SCHWARZE SONNE sich die Augen streichend: Schade.

Kurze Stille.

DIE SCHWARZE SONNE zu Kirri: Kamerad, wer war die Dame?

KIRRIam Boden: Großmächtiger, es war Li, die Burrus, des großen Schlafes, Matte teilt.

DIE SCHWARZE SONNE: Mat – te – teilt?

WUMMsich erhebend, zu dem Rudel: Log ich? He! Saht ihr’s, wie er Li anblitzte, und sie erhielt Stimme, Sinne, Verstand? Bekennet: Er ist ein Gott!

ALLE: Er – ist – ein – Gott!

WUMM feierlich: Und es geschah, wie ich’s verhieß, dass in dem Felsschlund heilsames Dunkel das Gift des trügerischen „weißen Mondes“ absaugen werde! Geschah’s nicht so?

ALLE: So geschah’s.