Das Schiff auf der Donau - Friedrich Wolf - E-Book

Das Schiff auf der Donau E-Book

Wolf Friedrich

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Beschreibung

Im Nebel der Donau liegt das Schiff „Hephaestos“ vor Anker – ein schwimmendes Gefängnis, in dem die Opfer der NS-Herrschaft gefangen sind: Männer, Frauen, Kinder und Alte. Isoliert von der Welt, bedroht von Hunger und Hoffnungslosigkeit, kämpfen sie nicht nur ums Überleben, sondern auch um ihre Menschlichkeit. Während die Nazis jede Verbindung zur Außenwelt gewaltsam kappen, formt sich an Bord ein mutiger Widerstand. Stimmen erheben sich gegen das Unrecht, Solidarität wächst, wo Verzweiflung regieren sollte. Doch der Kampf ist gefährlich, und nicht alle halten dem Druck stand. Friedrich Wolf erzählt in diesem dramatischen Meisterwerk von 1938 mit eindringlicher Klarheit und emotionaler Wucht die Geschichte eines kleinen Ortes des Widerstands inmitten der Barbarei. Mit Figuren wie der couragierten Hanna und dem standhaften Sepp wirft er einen tiefen Blick auf die Kraft der Solidarität und die moralischen Dilemmata der Unterdrückten. Fesselnde Dialoge und dramatische Wendungen machen „Das Schiff auf der Donau“ zu einem zeitlosen Plädoyer für Mut, Menschlichkeit und Zivilcourage. Ein Werk, das damals wie heute berührt, aufrüttelt und zum Nachdenken anregt – über die Bedeutung von Widerstand, die Stärke der Gemeinschaft und den unermüdlichen Willen, selbst in der dunkelsten Nacht nicht aufzugeben.

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Seitenzahl: 168

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Impressum

Friedrich Wolf

Das Schiff auf der Donau

Ein Drama aus der Zeit der Okkupation Österreichs durch die Nazis

Nach einer gemeinsamen Idee von Friedrich Wolf und Leo Mittler

ISBN 978-3-68912-435-9 (E–Book)

Geschrieben in Frankreich 1938.

Das Titelbild wurde mit der KI erstellt.

© 2025 EDITION digital®

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E-Mail: [email protected]

Internet: http://www.edition-digital.de

PERSONEN

Der Flüchtling

Der alte Rebstock, Apotheker aus Wien

Hanna, seine Enkelin

Markus, sein Enkel

Lydia, Hannas Freundin

Karl, ihr jüngerer Bruder

Kulik, Kassenrendant

Emma, seine Frau

Frau Pöschl, Wiener Hausbesitzerin

Gretl, ihr Töchterchen

Eugen, ein Vierzehnjähriger

Alfred, der Student

Lisl, seine Freundin

Andreas Grundhuber, österreichischer Bauer

Theres, seine Frau

Der Pfarrer

Der Professor

Der Rechtsanwalt

Der Komödiant

Der Koch

Der Nazileutnant

Alois, SS-Mann, Grundhubers Sohn

Sepp, Soldat

Soldaten, SS-Leute, Bauern

Das Stück spielt auf der Donau und an der Donau bei Wien

ERSTER AKT

Erste Szene

Nacht an der Donau. Nebel über dem mächtigen Strom, man sieht die verschwommenen Umrisse eines ankernden Schiffes, man hört dort fern den Gesang eines Alten. Plötzlich rennt vorn im Halbdunkel ein Mensch über die Bühne und verschwindet. Halt-Rufe ertönen von der anderen Seite, Schüsse, Scheinwerfer blitzen auf, einen Moment liegt das Schiff im grellen Licht, dann ist wieder Dunkel, Stille, Nacht. – Im Rumpf des Schiffes wird eine Kabine hell: Auf einem Lager sieht man eine schwangere junge Frau, Lydia. Ein junges, kräftiges Mädchen, Hanna, hält die erregte Frau auf dem Lager nieder. In der Ecke steht eine umgestülpte Wanne, darüber hängt eben gewaschene Wäsche. Hanna horcht. Droben auf Deck des Schiffes jetzt Schritte, Kommandos.

HANNAleise zu Lydia: Liegenbleiben! Beherrschen Sie sich doch!

LYDIAerregt, doch leise: So sah er aus, als sie ihn wegschleppten, grade so! Sie blickt nach der Wanne.

HANNA hält ihr den Mund zu: Um Himmels willen, seien Sie doch ruhig!

Erneute Kommandos von oben. Nagelschuhe von Soldaten kommen die Treppe herab, eine Gruppe geht draußen vorbei. Die beiden Frauen drinnen lauschen atemlos. Hanna wirft schnell noch eine Decke über die Wanne. Stimme draußen: „Türen auf! Alles raustreten!“ – Die Tür wird aufgerissen, ein junger Soldat tritt ein. Er ist vielleicht etwas über zwanzig Jahre, ein frischer, sehniger Bursche. Er lässt die Tür offen. Draußen hört man, wie auch die Türen der Nachbarkabinen aufgerissen werden.

SOLDATscharf, militärisch: Haben Sie nicht gehört?!

HANNA: Was?

SOLDAT: Die Türen sollen geöffnet sein!

HANNA auf Lydia: Aber sehen Sie doch die Frau!

SOLDATunbeirrt: Er ist hierher zum Schiff geschwommen, er muss hier sein, ein ganz Scharfer, aus dem KZ … – da die Frauen schweigen – ausgebrochen aus dem Konzentrationslager, hört ihr?!

HANNA um etwas zu sagen: Da gehört wohl Mut dazu?

SOLDAT: Mut dazu? Ihr habt ja komische Begriffe, kommt wohl vom Mond? Aber der geht uns nicht durch die Lappen, der hat nicht mehr viel Kräfte, da hilft aller Mut einen Dreck!

HANNA da der Soldat mit dem Gewehr in der Kabine herumzustochern beginnt: Wollen Sie mir bitte nicht helfen, die Frau hier etwas zu stützen? Sie ist … Sie sehen doch.

SOLDAT stellt verlegen das Gewehr beiseite und stützt linkisch Lydia, die jetzt in den Armen von Hanna und dem Soldaten ruht; der schaut von der Seite auf Hanna, die zärtlich der Frau das Getränk einflößt; dabei vergisst er, die Frau zu stützen, so dass sie nach seiner Seite umsinkt.

HANNA gutmütig: Auch das will gelernt sein, Herr Soldat.

SOLDAT: Sie sind wohl Krankenschwester?

HANNA: Beinahe. Ich war Laborantin in der Apotheke von Großvater.

SOLDATmisstrauisch: Laborantin … wo man mit Chemikalien und Pulver umgeht?

Ein Offizier mit Mannschaft kommt durch den Korridor.

OFFIZIERschaut in die Kabine: Und hier?

SOLDAT ist aufgesprungen, hat sein Gewehr ergriffen, stramm: Nichts, Herr Leutnant!

Offizier und Mannschaft ab.

SOLDAT dicht vor Hanna: Also, hier ist alles in Ordnung?

HANNAlächelnd: Das sehen Sie wohl selbst.

Soldat schaut Hanna noch immer an, dann reißt er sich los, geht schnell hinaus, wirft die Tür hinter sich ins Schloss.

Stille. – Hanna horcht. Die Stimmen sind jetzt wieder oben auf Deck. Hanna schleicht zur Wanne.

HANNAleise: Sie? Sie da. Sie leben doch noch? Nein, Sie müssen noch drinnen bleiben … halten Sie noch ein bisschen aus, noch zehn Minuten … das Blut fließt durch? Ja, das darf man nicht sehen, wenn man noch einmal kommt! Sie greift unter die Decke und Wäsche und zieht einen stark blutenden Arm hervor. Was? Auch im Bein sind Sie getroffen? Warten Sie, bitte, erst den Arm! Sie zerreißt schnell ein Handtuch und beginnt, den Arm zu verbinden.

LYDIA sich aufrichtend: Hanna, fragen Sie ihn doch, in welchem Lager er war?

HANNA zu Lydia: Lassen Sie doch, das hat noch Zeit. Horcht auf die Stimme unter der Wäsche. Was sagen Sie? In Königsfeld waren Sie?

LYDIAgespannt: Mein Mann sei im Lager Hohenstein, sagt man.

HANNA horcht, draußen ist alles still; sie nimmt jetzt die Wäsche weg, kantet die Wanne; man siebt einen Mann mit verbundenem Arm, auch um das rechte Knie ein durchblutetes Taschentuch, mit völlig durchnässten Kleidern auf der Erde hocken: Auch am Knie sind Sie getroffen? Und ein ganz schmutziges Taschentuch darum?

FLÜCHTLINGlächelnd: Die Nazis haben leider vergessen, mir ein sauberes Verbandpäckchen mitzugeben.

HANNA reißt weitere Streifen von dem gewaschenen Handtuch und verbindet das Knie. Tut es sehr weh? Und ohne seine Antwort abzuwarten. O Gott, wie vielen mag es so ergangen sein! Hören Sie, vielleicht sahen Sie ihn dort, zufällig natürlich, ich habe keine Nachricht mehr von ihm, meinem Vater, verstehen Sie?

FLÜCHTLING: Wie heißt denn Ihr Vater?

HANNAleiser: Rebstock … Julius Rebstock, ein Jude.

FLÜCHTLING ruhig, fast sachlich, doch mit leisem Humor des Mannes, der zu viel durchgemacht bat: Bei uns war es sozusagen „judenrein“. Überlegt. Rebstock?

HANNAeifrig: Jawohl, ein kräftiger Mann, ich sehe ihm ähnlich, er wurde verhaftet in unsrer Apotheke, Kinder haben es gesehen … aber gleich kamen sie auch zu uns schlugen in der Wohnung alles kurz und klein, verhafteten Großvater, meinen kleinen Bruder und mich und schleppten uns hierher, nichts wissen wir seit fünf Tagen … Sie schaut ihn an. Ich heiße Hanna. Wie heißen Sie?

FLÜCHTLING überlegt eine Sekunde: Nun, sagen wir Paul.

Zweite Szene

Die Kabine wird dunkel. Gleichzeitig wird es oben auf Deck jetzt hell. Die Treppe nach unten zum Zwischendeck und zur Kabine bleibt beleuchtet. An Deck Herumrennen der Schiffsinsassen, dazwischen Kommandos der Soldaten und des Unteroffiziers: „Alles raufkommen! Sauwirtschaft! Angetreten!“ Vorn auf Deck, am Bug des Schiffes, zwischen der Ankerkette und dicken gerollten Schiffstauen sitzt ganz ruhig ein alter, etwa siebzigjähriger Mann, der alte Jude Rebstock, den Kopf halb eingehüllt in sein Gebettuch, er singt für sich den 22. Psalm: „Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Ich rufe des Tags und Du hörst nicht; und auch des Nachts finde ich keine Ruhe …“ Zwischen der alten Schiffsladung, zwischen Fässern, Koffern, Körben, Segeltuchplanen kommen halb bekleidete Männer und Frauen mit Kindern. Man sieht, dass alle genauso angezogen sind, wie man sie mitten aus ihrem Leben heraus verhaftete. Da ist die Frau Pöschl, eine füllige fünfzigjährige Frau, mit Schmuck behangen, im Abendkleid mit einer Federboa; da ist der Komödiant im Frack, wie man ihn aus seiner Garderobe heraus wegführte; da ist der zwölfjährige Markus, er rennt jetzt – seinen Foxterrier „Flock“ auf dem Arm – zum alten Rebstock.

MARKUS: Großvater, du sollst kommen, schnell! Hab keine Angst, ich beschütze dich!

REBSTOCK hört auf zu singen: Der, welcher beschützen kann, wo ist er? Langsam erhebt er sich, hängt eine große Tasche um, auf der ein rotes Kreuz leuchtet, seine Handapotheke für „Erste Hilfe“.

Vorn kommen eiligst über Deck der Kassenrendant Kulik mit seiner Frau; beide führen einen jahrzehntelangen Ehestreit auch hier weiter.

KULIK seine Frau vorwärtsziehend: Aber begreife doch, Emma, der Herr Leutnant wird mich als früheren Feldwebel dafür verantwortlich machen, dass es hier aussieht wie in einem Zigeunerbums!

FRAU KULIKböse: Jawohl, ein richtiger Zigeunerbums ist das hier! Hätten wir, wie ich dir immer sagte, anstatt in Wien zu bleiben, auf dem Land uns ein Häuschen gekauft mit einer kleinen Wirtschaft…

KULIK zornig: Hör doch auf mit deiner Unlogik! Jetzt geht es hier nicht um Wirtschaft, sondern um die Disziplin an Bord!

FRAU KULIK: Verheirate dich doch mit deiner Disziplin, aber lass mich in Ruhe! Wie stehen wir jetzt da? Zwanzig Jahre hast du für diese blöde Lebensversicherung gespart und geknapst, und jetzt bist du hier mit „Volksfeinden“ auf einem alten Schiff! Aber wenn du auf mich gehört hättest, – weinerlich – wir könnten auf dem Land sitzen, in unserm eignen Häuschen, friedlich, ohne das Pack hier …

KULIK hält ihr den Mund zu: Um Gottes willen, Emma! Zu Vorübereilenden. Alles hier angetreten! Es ist Appell!

Rechtsanwalt Dr. Fränkel kommt mit dem Professor Angerer daher. Der Rechtsanwalt hat ein Schachbrett unter dem Arm, der Professor hält eine Angelrute in der Hand.

RECHTSANWALT: Herr Professor, Sie sollten Ihre Angelrute wirklich wegtun! So bei Nacht zu angeln, das ist unbedingt verdächtig.

PROFESSOR: Wer verdächtigt mich?! Ich warte darauf, dass man endlich eine Anklage gegen mich erhebt! Ruhiger. Diese Felchen und Weißfische, verstehen Sie doch, beißen im Frühling am liebsten des Nachts an; wissen Sie denn nicht, Herr Rechtsanwalt, dass die Italiener in dieser Zeit vorwiegend nachts fischen, nachts mit einer Lampe, die sie ins Wasser lassen, und die Fische schwimmen auf diese Lampe zu, „lampare“ nennt man das.

RECHTSANWALT: Mein lieber Herr Professor, das ist ja alles ungeheuer interessant, nur heißt es, man habe jemanden hier eben aus der Donau gefischt.

PROFESSOR: Einen Menschen?

RECHTSANWALTleise: Einen Flüchtling.

PROFESSOR ebenso: Auf den hat man geschossen?

Ein junger Mensch, der Student, der wie geistesabwesend auf und ab läuft, kommt, von Lisl, einem jungen, sehr schönen Mädchen gehalten, näher.

STUDENT sieht den Professor, erfreut auf ihn zu: Herr Professor, Sie müssen ihnen die Augen öffnen! Es ist viel zu tiefe Nacht, viel zu dunkel! Sie müssen reden, Herr Professor!

PROFESSOR auf ihn eingehend: Das werden wir, mein junger Freund, bestimmt! Kommen Sie, man hat uns gerufen!

STUDENT nimmt den Professor bei dem Arm und das Mädchen: Die Lisl muss mit, Herr Professor! Wenn sie spricht, wird es wie ein Flämmchen; sprich, Lisl!

LISL streicht ihm über die Schulter: Sei jetzt ruhig, Alfred!

STUDENT heftig: Wie kann man denn hier ruhig bleiben, wenn nirgends ein Feuer ist, wenn alle hier kalt sind wie Eis! Hier ist etwas zu sagen, etwas, das die Seelen zum glühenden Scheiterhaufen macht …

RECHTSANWALT: Wir müssen nach vorne, wir fallen auf! Zieht sie mit.

Noch weiter vorn, zwischen Bug und Mittelteil des Schiffes, hat Kulik nach alter Feldwebelmanier die Schiffsinsassen antreten lassen; er ist wieder ganz in seinem alten, längst vergessenen Element.

KULIK: Der Größe nach angetreten! Ist das der Größe nach, du windschiefe Missgeburt? Ich muss euch die Hammelbeine wohl mal lang ziehen! Dalli, dalli, ihr Schlafhauben! Während sich diese seltsame Front der Frauen, Männer und Kinder bildet – am linken Flügel Markus mit seinen Freunden und einem Hündchen –, meldet dem Leutnant jetzt Kulik zackig. Schiffsbesatzung mit Kindern und einem Hund angetreten!

LEUTNANT die Front abschreitend: Meine Herrschaften, wenn ihr glaubt, mir hier ein Theater vorspielen zu können … Ihr seid alle genau im Bilde, dass der Flüchtling sich hier versteckt haben muss! Wendet sich an einen SS-Mann. Grundhuber, Sie haben den Mann zum Fluss rennen sehn und auf ihn gefeuert?

Alois Grundhuber, ein bäuerlicher SS-Mann mit brutalem Gesicht, tritt von rückwärts vor.

ALOIS: Jawohl, Herr Leutnant, er sprang in den Fluss, man sah dann immer wieder seinen Kopf, dem Burschen ist alles zuzutrauen!

LEUTNANT gegen die Schiffsinsassen: Und was mit euch los ist, das werden wir auch bald haben! Wer einen Volksfeind und KZ-Bruder verbirgt oder seinen Aufenthalt verheimlicht, der ist selbst ein Volksschädling und wird danach behandelt! Er ist jetzt unten bei den Jungens angelangt. Habt ihr nichts bemerkt, ihr Brut?

MARKUS in seiner Indianersprechweise: Des „schwarzen Mustang“ Augen sind helle.

LEUTNANTböse: Hast du meine Frage nicht verstanden, Lümmel?

KARLneben Markus stehend: Herr Leutnant, er nennt sich „der schwarze Mustang“, wie ich in der Siouxsprache „der schnelle Elch“ bin, – auf den vierzehnjährigen Eugen – und dies ist Eugen, genannt „Affenarm“, unsre sechs Augen sind wie die Augen der Wildkatze, sie durchdringen das Geheimnis der Nacht, wir sahen ihn schwimmen …

LEUTNANT packt Karl: Den Flüchtling? Wo? Wohin??

KARLim Stil der Indianergeschichten: Immer wieder tauchte der Kopf des pfeilschnellen Schwimmers zwischen den weißen Wellenkämmen auf, da, ein Blitz, ein Knall, wie ein Stein sank er in die Tiefe und war weg!

LEUTNANT: Er sank unter, sagst du?

KOMÖDIANT: Er hat vielleicht den Befehl des Herrn Leutnant, am Leben zu bleiben und zurückzukehren, nicht verstanden?

Student lacht auf, während Lisl ihn zurückhält und der Leuntnant zornig sich gegen ihn wendet.

RECHTSANWALTschnell: Jawohl, Herr Leutnant, man konnte ganz deutlich seinen Kopf sehen, aber dann auf die Schüsse sackte er plötzlich ab.

In diesem Augenblick kommt der Soldat aus der Kabine die Treppe herauf.

SOLDATmeldend: Drunten niemand mehr zu finden!

LEUTNANT: Weil das alles hier unter einer Decke steckt! Weil dies ein einziges Schlangennest hier ist! Aber wir werden die Brut schon hochkitzeln! Zu den Leuten. Alle eure Sachen hierher! Koffer und Kleidersäcke öffnen!

KULIK diensteifrig herumspritzend: Koffer und Kleidersäcke hierher! Den Inhalt vorweisen, dalli, dalli!

Die Schiffsinsassen beginnen jetzt in einer Front stehend ihre Habe, die sie bei ihrer Verhaftung in Eile mitnehmen konnten, vor ihren Füßen auf das Schiffsdeck zu legen. Da hat der alte Rebstock als wichtigstes Gut mitgenommen: sein großes Gebetbuch, seine Apotheke „Erste Hilfe“ und sein Totenhemd, der Rechtsanwalt sein Schachbrett, Frau Kulik eine Kaffeemühle und Nähzeug, Lisl ein Grammophon, der Koch eine kleine Eismaschine, seine hohe Kochmütze und sein weißes Jackett, der Komödiant acht Perücken, Frau Pöschl altes Tafelsilber und Schmuck, der Professor seine Angelrute und viele Bücher, der kleine Markus seinen Hund „Flock“. All dies liegt und steht jetzt bei der Razzia auf den Schiffsplanken, während die Soldaten und der SS-Mann Alois „untersuchen“.

FRAU PÖSCHL erregt gegen Alois: Lassen Sie die Hände von dem Silber, es ist altes Andenken von meiner guten Mutter, es ist mein persönliches Eigentum! Ich bin doch nicht unter die Räuber hier gefallen! Herr Leutnant, ist es erlaubt, dass man einem Menschen sein Eigentum wegnimmt?!

LEUTNANT hinzu, mustert die gut gekleidete Frau: Was wünschen Sie, gnädige Frau?

FRAU PÖSCHL wieder Mut fassend: Sehen Sie dies Barocksilber, es ist unersetzlich, es ist seit vielen hundert Jahren in unsrer Familie, ich heiße Pöschl, Elvira Pöschl, wir sind alteingesessene Österreicher, Herr Leutnant, nichts von Juden oder Kommunisten bei uns … – erregt – weshalb bin ich denn hier, Herr Leutnant? Sie fragen das mit Recht, Herr Leutnant! Ich weiß nicht, wahrhaftig, ich weiß es nicht … weil wir draußen vor dem Dom standen, als der Kardinal predigte, und sangen…

LEUTNANT misstrauisch: Es kommt darauf an, was Sie sangen.

FRAUPÖSCHL: Nur Geistliches, Herr Leutnant, ich schwör’s bei meiner Seligkeit! Geschwätzig, haltlos. Aber Ihnen, guter Herr Leutnant, kann ich’s ja sagen, – leise – vielleicht weil ich ein Einheitspreisgeschäft besitze, aber kein Jude oder Amerikaner ist darin. Sie hat ihr Kind an sich gepresst. Gretl, sag dem Herrn Leutnant, dass es so ist!

LEUTNANTsie abschüttelnd: Mitgegangen, mitgehangen, gnädige Frau! Steht jetzt vor den Jungens; er scheint etwas bemerkt zu haben, kommandiert. Drei Schritte vortreten! Marsch!

Während die Jungens vortreten, wird hinter ihnen ein Rucksack bemerkbar, in dem sich etwas bewegt.

LEUTNANTzu SS-Mann Alois: Was ist das?

ALOISspringt hinzu, stößt die Jungens zurück: Aha! Er greift in den Rucksack, zieht aber sofort seine Hand wieder heraus, während es aus dem Rucksack bellt. Das Biest beißt! Sie haben es versteckt!

MARKUSerregt: Es ist „Flock“, mein Hund, er bleibt bei mir! Der „schwarze Mustang“ wird seinen Zeitgenossen verteidigen!

LEUTNANT gibtihm eine Ohrfeige: Ins Wasser mit dem Hund!

RECHTSANWALTdazwischen: Aber, Herr Leutnant, lassen Sie doch die Kinder!

LEUTNANT: Sind Sie gefragt, Sie Intelligenzhyäne?! Wer sind Sie denn eigentlich, Sie??

PROFESSORschnell: Verzeihen Sie, Herr Leutnant, ich bin der Professor Angerer, Lehrstuhl für Geschichte und Heimatkunde, und dies ist der Herr Rechtsanwalt Fränkel, mein alter Frontkamerad; wir kennen uns seit über zwanzig Jahren, seit der ersten Karpatenschlacht, und damals, Herr Leutnant, – leise – damals hat man noch keinen Krieg gegen Kinder und Frauen geführt.

LEUTNANTschaut ihn an, ist einen Moment überrascht von dem Mut des Professors; dann: Sie scheinen mir ja ein merkwürdiger Heiliger zu sein! Ein wunderbarer Professor für Heimatkunde, der einen Rechtsanwalt Fränkel verteidigt!

Der vierzehnjährige Karl ist an die Reling gestürzt, den andern Jungens hinterher. Auch die andern Schiffsinsassen vergessen ihre Furcht und eilen dorthin.

KARL: Die Bauern! Die Bauern!

FRAU PÖSCHL erregt: Hierher, gute Leute, hierher das Brot, es wird alles bezahlt!

LEUTNANT: Wohl wahnsinnig?! Alles zurück!

Die Soldaten drängen die Schiffsinsassen wieder zurück. Aber schon sind einzelne Bauern mit ihren Körben, in denen Brote, Käse, Wein sich befindet, über die Reling gestiegen; andere schauen bloß mit ihren Köpfen herüber und wollen die Lebensmittel heraufreichen.

LEUTNANT: Schöne Sauerei! Da kann natürlich jeder sich an Bord schmuggeln und hier verstecken! Gegen die Bauern. Von heute ab hat niemand mehr Fremdes das Schiff zu betreten! Verstanden?!

Die Soldaten stellen sich mit ihren Gewehren zwischen die Bauern und die Schiffsinsassen. Einige der Bauern lächeln spöttisch und klettern wieder hinab in ihre Boote. Ein alter Bauer, Andreas, gibt schnell den Frauen ein paar Brote.

LEUTNANT es bemerkend: Habt ihr Dreck in den Ohren?! Verkaufen von Lebensmitteln ist von heut ab strikte verboten!

DER ALTE ANDREAS bauernschlau und breit: Aber, Herr Leutnant, wir verkaufen ja nichts; wir verschenken doch bloß.

LEUTNANT wütend gegen ihn: Hinunter von dem Schiff, oder ihr bleibt ganz hier!! Während auch die letzten Bauern sich entfernen, zu den Soldaten und dem SS-Mann. Niemand hat von nun an mehr das Schiff zu betreten! Zum Unteroffizier. Auch die Zugangswege am Ufer sind zu überwachen! Zu dem Soldaten, der anfangs in der Kabine untersuchte. Gefreiter Sepp Lechner!

SEPP: Herr Leutnant?

LEUTNANT: Sie bleiben, bis es hell wird, hier an Bord! Alle Leute haben sich nur noch unter Deck aufzuhalten! Auf jedes Verdächtige auf dem Wasser wird sofort, ohne Anruf, geschossen! Zu den Schiffsinsassen. Weggetreten! Alles nach unten gehn!

Während die Leute sich langsam mit ihrem Gepäck entfernen, werden ihnen etwas abseits über die Reling noch ein paar Brote von den wegfahrenden Bauern zugeworfen. Sie flüstern dankbar: „Die Bauern! – Still! – Brote! – Still!“ Sie raffen im Halbdunkel die Brote auf und verschwinden durch die Treppenluke nach unten.

LEUTNANT zu Alois: Also melden Sie Ihrem Lagerkommandanten: Der Flüchtling ist bei dem Versuch, den Strom zu durchschwimmen, von den Schüssen unsrer Posten getroffen worden und vermutlich untergegangen. Im übrigen bewachen Sie gefälligst künftig Ihre Gefangenen ein wenig besser! Meine Meinung!

Das Deck wird dunkel. – Die Treppe unten zum Zwischendeck wird ganz hell. Dort drängen sich erregt die von den Soldaten hinabgetriebenen Schiffsinsassen.

Dritte Szene

FRAU KULIK: Wenn die Bauern nicht mehr kommen dürfen, was wird dann? Gegen Kulik. Wenn wir jetzt auf dem Land säßen, Hühner, eine Kuh, aber du mit deiner Lebensversicherung …

KULIKmit Notizbuch: Es muss so eingeteilt werden!

EINE FRAU: „Eingeteilt“, wo nichts mehr ist!

FRAU PÖSCHL hysterisch: Wir müssen verhungern! Niemand mehr hilft uns! Herr Leutnant, liebster Herr Leutnant, was habe ich denn getan? Sie will nach oben, wird zurückgehalten. Was wollt ihr von mir, ihr dreckigen Kletten? Was hat dieses unschuldige Kind getan? GRETL, mein goldiger Engel, was haben wir denn bloß getan? Weint.

GRETLebenfalls weinend: Ich will was essen, Mutti!

STUDENT: Fortfahren müssen wir, die Anker lichten, die Ankerkette durchbrennen … Will hinauf.

LISL ihn haltend: Aber Alfred, hör doch auf mich, die Lisl … siehst du mich, hast du schon vergessen, dass sie uns als erstes die Ankerwinde wegnahmen?

KULIK zu Lisl: Sperren Sie den jungen Mann unten in eine Kabine! Es gibt sonst noch ein Unglück! Sollen uns wohl noch mit Halbverrückten herumschlagen!

PROFESSOR: Reden Sie bitte nicht so! Der junge Mann ist schon wieder ruhig, ich bürge für ihn, er war mein Assistent; als man mich im Hörsaal auspfiff, sprang er gegen die Nazis … und dann folgte er mir.

STUDENT tritt auf den Professor zu, drückt ihm linkisch die Hand: Verzeihen Sie uns, Herr Professor, man müsste den Schmutz wegglühen in einem riesigen Glutofen, hinwegglühen. Tritt wieder beiseite.

PROFESSORleise: Er sagt immer, er schäme sich so sehr; deshalb drückt er mir die Hand. Sie müssen das schon verstehen, Herr Kulik, grade die am aufrechtesten stehn, wirft es oft am ersten um. Ein Glück noch, dass sie ihn nicht ins KZ brachten!

FRAU PÖSCHL: Wären wir bloß dort! Da brauchten wir wenigstens nicht zu verhungern! Sie nimmt ihren Schmuck und schreit. Ich will doch bezahlen, das ist doch bares Geld, ich bezahle doch, was man verlangt, wo sind denn die Brote? Sie geht mit dem Schmuck die Treppe hinunter zu den Frauen.

KOMÖDIANT mit dem Koch oben stehend, rezitiert: „Schon dringt Gekrächz der Raben durch die Lüfte, bleichend Gebein erspähend …“

KOCH: Hören Sie gefälligst auf, Herr Morand, Sie sind hier nicht auf dem Theater; ich werde Ihre Unkerei Lügen strafen und Ihnen aus den Resten von Brot, Haschee und Kartoffeln einen „falschen Hasen“ servieren, dass Sie glauben, es sei ein echter Rehrücken.

KOMÖDIANT: Mit Soße aus Stearinkerzen umhüllt?

KOCH: Wenn Sie auch Hofschauspieler sind oder waren, Herr Morand! Spotten Sie gütigst nicht über meine Soßen! Mit meinen Soßen habe ich schon Fürsten und Erzherzöge zu beglücken vermocht.

Der Rechtsanwalt kommt mit Hanna von unten aus einer Kabine mit zwei Broten, alle stürzen sich darauf.

FRAU PÖSCHL mit ihrem Schmuck: Hier, ich zahle, nehmen Sie doch bitte, ein Brot für das Kind und mich, hier, hier!

RECHTSANWALT: Ruhe, Frau Pöschl, das Brot gehört allen. Zu den Frauen.