Der Sprung über den Pol - Friedrich Wolf - E-Book

Der Sprung über den Pol E-Book

Wolf Friedrich

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Beschreibung

Im Jahr 1934 schuf Friedrich Wolf mit „Der Sprung über den Pol“ eine packende Filmerzählung, die technische Meisterleistungen und den Mut der Pioniere in den eisigen Weiten der Arktis einfängt. Die Geschichte folgt Professor Chelesnow und seinem Team, die den ersten Stratoflug von der Sowjetunion nach Amerika wagen, und dem kanadischen Piloten Tom Kelley, der um das Prestige des Ersten kämpft. Inmitten von Intrigen, dramatischen Rettungsaktionen und internationalen Spannungen werden wissenschaftliche Ambitionen, menschlicher Ehrgeiz und die Risiken des Fortschritts eindrucksvoll beleuchtet. Fesselnd und visionär, ist diese Erzählung eine Hommage an Pioniere, deren Träume über die Grenzen der bekannten Welt hinausreichen.

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Impressum

Friedrich Wolf

Der Sprung über den Pol

Filmerzählung

In memoriam Fedossejenko, Wassenko, Ussyskin – Stratostat “Ossaviachim”, 1934

ISBN 978-3-68912-377-2 (E–Book)

Geschrieben im Jahre 1934.

Das Titelbild wurde mit der KI erstellt.

© 2024 EDITION digital®

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E-Mail: [email protected]

Internet: http://www.edition-digital.de

PERSONEN

Hauptpersonen

Professor Chelesnow, Leiter einer Arktisstation

Nina Petrowna, Chefpilotin

Sawin, Konstrukteur und Pilot

Schura, Ärztin, Sawins Schwester

Wang, Leiter der Radiostation

Tom Kelley, Kanadischer Pilot

Ito, Japanischer Pilot

Hope Lister, Freundin Toms

Episodenfiguren

Professor Kedrow, Spezialist für Nierenchirurgie

Mr. Ramsbotton, Kanadischer Industrieller

Mr. Wood, Kanadischer Zeitungsmagnat

Mr. Lister, Woods Konkurrent, Hopes Vater

Der breite Mann

Der alte Japaner

ERSTER AKT

Eisfeld in der Arktis: Schneewind fegt, Schneestaub, riesige Fläche …

Ein Polarhase sitzt in seinem Schneeloch, schreckt auf, fegt über die endlose Fläche, verschwindet …

Und wieder Eisfelder. Eismeer. Langsam schwimmende Eisschollen, die sich übereinanderschieben, sich stauen zu einer mächtigen Eisbarriere, hoch, berghoch, grauweiß, mit gewaltigen dunklen Schatten …

Und jetzt, mit dem Wind, dessen hoher, ferner, geheimnisvoll drohender Ton die erste Grundmelodie bildet, sehr ähnlich dem Ton eines Flugzeugmotors mit hoher Tourenzahl – jetzt mit diesem fern pfeifenden Wind ein großer Polarvogel („Sturmvogel“), unter den Schneewolken, mit mächtigem Schwingenschlag durch das Schneegestöber sich den Weg bahnend zum immer klareren Polarhimmel, höher und höher, bis zur wolkenlosen Klarheit …

Und jetzt

Kader: Ein Mann, in einer Zelle der Schlüsselburg sitzend, zeichnet mit einem spitzen Nagel die Konstruktion eines merkwürdigen Gebildes auf die Wand der Gefängniszelle, eines Gebildes, das einer Rakete gleicht, und zugleich die Flugparabel zwischen den Koordinaten.

Darüber jetzt

Schrift: „Kibaltschitsch, der bekannte Revolutionär und Zarenmörder, erfindet im Februar 1881, kurz vor seiner Hinrichtung, den ersten Flugraketenmotor; er konstruierte diesen Motor im Gefängnis …"

Kader: Man sieht Kibaltschitsch auf seine Pritsche steigen und durch die Gitter des Fensters zum Himmel schauen und wieder, jetzt klarer, an der Gefängniswand neben dem Motormodell die Flugbahn der ersten Rakete aufzeichnen …

Kader: Und jetzt wieder der Sturmvogel im klaren Polarhimmel. Und höher noch am klaren Himmel eine Stratoluftsonde: ein kleiner Stratoversuchsballon mit seitlichen periskopartigen Augen; wir sehen aus 15 000 Meter Höhe wie auf einer riesigen Landkarte – etwa im Maßstab 1:500 000 – ein Televisorbild des ganzen Polarkreises, kraft dieser kosmischen Augen; mächtige Horizonte enthüllen sich, wie ein Kartenbild und doch anders, wirklicher … In die erdferne Stille summt ganz leise das Geräusch eines Motors … Und hinter diesem seltsamen, erdfernen Bild hört man über das leise Motorgeräusch hinweg eine Stimme: „Der Sowjetaviatiker Fedossejenko – der im Februar 1934 nach einem Stratosphärenaufstieg in 22 000 Meter Höhe beim Niedergehen des Ballons den Tod fand – behauptete schon 1930 in einem Gespräch mit dem französischen Forscher Edmond Tranin: ,Die zukünftige reguläre Flugroute zwischen der Sowjetunion und Amerika führt im Stratosphärenflug über den Nordpol. Die bisherige transatlantische Entfernung beträgt 10 000 bis 12 000 Kilometer, der Sprung über den Pol – die Entfernung von Igara an der Mündung des Jenissei bis zur amerikanischen Hudsonbay – dagegen bloß 3 000 Kilometer. Ein Stratosphärenflugzeug fliegt mit einer Mindestgeschwindigkeit von 1000 Kilometern die Stunde. Der Sprung über den Pol von der Sowjetunion nach Amerika beträgt demnach drei Stunden Stratoflug.‘“

Kader: Schon während der Worte: „Die bisherige atlantische Entfernung beträgt 10 000 bis 12 000 Kilometer“ eine Anzahl von arktischen Riesenaeroplanen, die wie Vögel mit weit ausgebreiteten Schwingen auf einem vereisten Hangar stehn. Eine weitere Drehung des Apparats: Noch zahlreiche Aeroplane, und weiter: Motorschlitten, und weiter: Kamtschatkaschlitten, Rentierschlitten, Hundeschlitten … Überall reges Leben. Die Leute arbeiten an den Fahrzeugen und Flugzeugen, Rufe, Signale, Lachen, Kommandos: „Hallo, Serjoscha … das Kühlwasser ablassen … willst wohl Eismarmelade in deiner Maschine verarbeiten?“ – „Keine Angst, mein Junge, unsre Motoren haben elektrische Heizung.“ – Hundegebell … „Grom! Molnie! Raus aus den Riemen, werdet morgen schon Arbeit bekommen, Freundchen!“

Ein Lappe prüft die Hufe seines Rentiers, reinigt sie mit einem Eisenhaken. „Zeig her, Natascha, saubere Hufe, das gehört zum Meeting, bist doch auch eine Delegierte, selbstredend!“

Etwas seitwärts stehen schnell aufmontierte Notbaracken, wie zu einem Fest, lang, geräumig: Massenbaracken. Eine ist breiter und höher: Auf ihr flattert in der hellen arktischen Luft eine Sowjetflagge …

Schrift: „Von allen Gegenden der Sowjetunion …“

Bild (unter der Schrift aufblendend): Aeroplane, Motorschlitten, Rentierschlitten, Hundeschlitten, Schneeschuhe in Massen an den Außenwänden der Baracken …

Schrift: „… sind Delegierte zusammengekommen, hergeflogen …“

Bild: Bei der Baracke steht ein alter Mongole mit runzligem, aber kräftigem Gesicht. Er beobachtet, lacht erfreut über das brodelnde Leben auf dem Eishangar, klopft am Türpfosten seinen Pfeifenkopf aus.

Kader: Zwei Mädchen in Sportsweater sitzen auf dem Bett der Baracke. Die eine: „Das sind ja 1000 bis 1500 Kilometer Geschwindigkeit in der Stunde!“ Die andre: „Klar! Wenn sie in drei Stunden von Igara nach Amerika fliegen soll.“ Die eine: „Soll!“ Die andre: „Wenn Professor Chelesnow es sagt!“ Die eine: „Hast du sie schon gesehen?“

Kader: Ein kräftiger 50-jähriger Mann, im Typ halb Gelehrter, halb Brigadier, ist soeben auf Schneeschuhen gekommen, schnallt sie ab, blinzelt in die Sonne.

Schrift: „Alle sind gekommen, um den ersten Start der Flugrakete von der Sowjetunion nach Amerika zu beobachten.“

Kader: Großer hölzerner Hangar. In ihm ein mächtiges glänzendes Stahlgehäuse: der Körper der Flugrakete. An der Rakete arbeitet ein Dutzend Monteure unter der Leitung des Pilot-Konstrukteurs Sawin. Sawin ist ein sehniger Bursche, schnell, etwas zu schnell in seinen Bewegungen. „Tempo vorlegen, Jungens, Tempo!“, feuert er seine Monteure an, er greift selbst überall mit an. „Tempo, Jungens!“, ist sein Lieblingswort. – Nina, eine Pilot-Konstrukteurin, steht an einem kleinen Zeichentisch; sie prüft nach der Konstruktionszeichnung die Form und „Stromlinien“ des eben aufmontierten Raketenkörpers.

Nina: „He, Sawin, die Spitze etwas flacher …“

Sawin, nach vorn zur Spitze springend, zu den Monteuren: „Wie die Maulwürfe arbeitet ihr!“ Mit seiner Handzeichnung: „Hier, seht ihr nicht! Diese Naht muss viel flacher anliegen … scharf auf Taille, versteht ihr?!“ Er hat einem der Monteure den Schweißapparat – das Sauerstoffgebläse – weggenommen und beginnt, eine vordere Aluminiumplatte neu zu schweißen … Zu Nina, ohne den Apparat abzusetzen: „Na, Nina, richtig jetzt?“

Nina kommt mit einer größeren Zeichnung zum Vergleichen.

Sawin, ungeduldig: „Hörst du nicht, Nina?!“

Er wendet sich ärgerlich nach ihr um. In diesem Augenblick gibt er zu viel Sauerstoff ins Gebläse … eine starke Stichflamme fährt heraus, direkt auf die Aluminiumkante des Raketenkopfes, Metall spritzt in die Flamme, gegen Sawin. Sawin fährt zurück, der Apparat fällt hin, Sawin greift nach seiner rechten Schulter, seinem rechten Oberarm, knickt kurz zusammen vor Schmerz, richtet sich schnell wieder auf: Monteure halten ihn, ziehen ihm die verbrannte Jacke aus, das Hemd ist schon durchblutet. Nina ist auch hinzugesprungen; sie reißt vorsichtig Sawins Hemd auf, legt die Wunde am Schultergelenk-Oberarm frei, eine große blutende Wunde, verbindet sie notdürftig mit dem Rest des Hemdes. „Ambulanz!“, ruft sie. „Unsinn!“, sagt Sawin und versucht, sich auf Ninas Arm zu stützen, aber der Arm sinkt schlaff herab.

Nina: „Immer dein: Tempo! Tempo!“

Sawin, der seinen einen Arm um des Monteurs, den andern um Ninas Hals gelegt hat, unter dem Schmerz doch lächelnd: „Ninuschka, gibt es einen Flieger ohne Tempo!“

Die ganze Szene bei der Rakete spielt unter dem Geräusch der anlaufenden, geprüften Flugzeugmotoren, das sich wieder entwickelte aus dem Sausen des Windes des ersten Kaders.

Während Sawin mit dem Monteur und mit Nina den Körper der Riesenrakete entlanggeht, streichelt er noch einmal mit der gesunden linken Hand die Flanken dieses neugeborenen Tieres aus Stahl; sie gehen vorbei an der kleineren Modellrakete … und Sawin sagt jetzt: „Sei unbesorgt, Nina, in fünf Tagen werden wir in die Stratosphäre hinausdonnern!“

Und sofort

Kader: In die arktische Härte tönen fremde Stimmen, helltönendes urbanes Geräusch, und jetzt schreiende Kinderstimmen: „In the next days our celebrated rocket pilot, Tom Kelley, shall fly … what do you think, Kitty … in three days the famous rocket pilot Tom Kelley shall … Did you read the ,Evening Post’ to-day?“

Und sofort Amerika, Kanada: Die Stadt Montreal. Wolkenkratzergebäude der „Evening Post“, dort oben laufende Lichtreklame, zugleich Lautsprecher, und an der Ecke des Riesenbaus ein gewaltiger, sich langsam drehender Globus, auf dem mit elektrischen Lämpchen die Distanzen der transatlantischen und der polaren Flugroute angezeigt sind; und darüber im Lautsprecher Wortfetzen: „Ladies and gentlemen … Tom Kelley wird in wenigen Tagen seinen todesmutigen Flug antreten durch die Stratosphäre … von Montreal, Kanada, nach der Sowjetunion … in der von der ,Evening Post‘ hierzu konstruierten Flugrakete … auf dem von der ,Evening Post‘ über den Nordpol bestimmten Flugweg … Ladies and gentlemen, die Rakete ist startbereit …“

Kader: Viele Köpfe, die in dem tosenden Geräusch der amerikanischen Großstadt nach oben auf die Lichtreklame schauen, mit englischen Wortfetzen: „Damned, a gigantic project … if they would succeed … Tom Kelley, that’s a gun-boat of a man …“

Und während der Film die Köpfe entlangläuft, flammt schon das Nachbarbuilding der „Daily News“ auf, ebenfalls ein Zeitungspalast. Dort im stillen Privatbüro des Chefs des konkurrierenden Zeitungskonzerns Mr. Wood – der Direktor der „Daily News“ – und Ito, ein anglisierter Japaner, Sportsmanntyp. Sie beobachten mit einem Televisor die kolossale Lichtreklame der „Evening Post“: „Ladies and gentlemen … Tom Kelley hat soeben die Ladungen in der Rakete angebracht … zwei Tonnen eines speziellen hochbrisanten Pulvers … nur die temperierte Zündung wird eine Totalexplosion dieser riesigen Pulvermenge verhindern …“

Wood und Ito beobachten im Televisor den Eindruck dieser Sensationsreklame auf die Massen.

Wood, scharf zu Ito: „Und wir?“

Ito: „In vier bis sechs Wochen.“

Wood, erregt: „Also ausgeknockt! Also ,Evening Post' wird zwei Monate wunderbares Futter haben! Riesenauflagen! ,Tom Kelley, der Spitzenflieger der ‚Evening Post‘, als erster mit seiner Flugrakete über dem Nordpol nach der Sowjetunion …‘“

Ito: „Geduld!“

Wood, krebsrot: „Geduld?!“

Ito, steht auf, strafft sich militärisch: „Ja, Geduld, Mr. Wood.“

Kader: Aerodrom Tom Kelleys bei Montreal. Eine enorme zigarrenartige Maschine in grauem Aluminiumstahl. Tom probiert grade die Zündungen der Rakete aus, ob die temperierten Reihenzündungen geordnet nacheinander anspringen und Funken geben. Aber sowohl der Funkenprüfer – ähnlich wie der Zündkerzenprüfer eines Autos – als auch die direkte Probe funktionieren plötzlich nicht … zuerst ungleiche Schläge, dann völliges Versagen … Tom, im blauen Monteuranzug, ruft seinen Flugmonteuren, dem Elektromonteur zu. „Unfassbar, die Zündung arbeitet nicht!“ Tom nimmt sie selbst auseinander. Elektromonteur, ihn beobachtend: „Sie sind vom Fach, Mr. Kelley, das merkt ein Blinder.“