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Agata Malcher beschreibt im zweiten Teil ihrer Autobiografie, wie sie und ihre Kindern aus den Fängen ihres Ehemannes und dessen damönischer Familie entkommen sind. Zusammen mit ihren Kindern fing sie ein neues Leben an. Doch die Geschichte, die bereits im ersten Band beschrieben wurde, holte den Ex-Mann der Autorin viele Jahre später wieder ein. Auf gewisse Art und Weise auch die Autorin selbst.
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Seitenzahl: 412
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Für meine Kinder
KAPITEL 1: MARTINS AUFENTHALT IN DER REHABILITATIONSKLINIK
KAPITEL 2: FORTSETZUNG ERSTER URLAUB
KAPITEL 3: DIE ZEIT NACH FATIMA
KAPITEL 4: HAUSBAU
KAPITEL 5: ALEXANDERS UNFALL
KAPITEL 6: DIE ZEIT VOR ANDREAS ERSTKOMMUNION
KAPITEL 7: ANREISE UNSERER GÄSTE
KAPITEL 8: OSTERN 1995
KAPITEL 9: URLAUB IN ITALIEN
KAPITEL 10: OSTERN 1996
KAPITEL 11: URLAUB IN THAILAND 1996/1997 UND DER JUNGE MANN
KAPITEL 12: DIE ANGST
KAPITEL 13: ABWESENHEIT VON ANDREA UND ALEXANDER
KAPITEL 14: ANDREA UND ALEXANDER WIEDER DAHEIM
KAPITEL 15: MARTIN HAT UNS VERLASSEN
KAPITEL 16: URLAUB IN SPANIEN
KAPITEL 17: IN LÖRRACH
KAPITEL 18: ALEXANDERS ABITUR
KAPITEL 19: ROLFS HUND IN MEINEM TRAUM
KAPITEL 20: DAS JAHR 2006
KAPITEL 21: DAS JAHR 2008
AUTORENVITA
Die Klinik bestand zur Hälfte aus einem Hotel. Nur das Untergeschoss und das oberste Stockwerk des Hauses dienten der Rehabilitation. Das Gebäude war von einem wunderschönen Garten mit sehr vielen Blumen und Bäumen umgeben. Überall waren Sitzbänke, sodass sowohl die Gäste als auch die Patienten ihre Zeit hier verbringen konnten. Martins Zimmer war ein großer, stilvoll eingerichteter Raum in der obersten Etage mit einem Balkon mit Sicht auf die Berge. Ich half Martin beim Auspacken. Anschließend gingen wir ins Hotelcafé. Martins Begeisterung hielt sich in Grenzen, und ich spürte, dass er am liebsten wieder mit mir zurückgefahren wäre. In den nächsten Wochen musste ich ihm immer wieder gut zureden und ihm den Sinn seiner Rehabilitation vor Augen führen.
Es war mittlerweile September geworden und Alexander stand kurz vor seiner Einschulung. An diesem Tag durfte Martin für einige Stunden die Klinik verlassen, um dabei sein zu können. Unser Sohn freute sich sehr, dass ihn sein Vater an diesem wichtigen Tag begleiten durfte.
Martin rief täglich mehrere Male bei uns an. Währenddessen bereitete ich alles für Alexanders Einschulung vor. Einige Tage vorher kauften wir einen Schulranzen und eine Schultüte. Alexander war sehr stolz darauf, nun ein Schulkind zu sein. Wir fuhren alle gemeinsam in die Schule. Unser Sohn trug stolz seinen Schulranzen.
Martins Haare waren wieder ein Stück nachgewachsen, sodass man die Narben am Kopf nicht mehr sehen konnte. Nach der Begrüßung durch den Schulleiter wurden alle Kinder von ihren Klassenleitern in ihre Klassen geführt. Nachdem sie ihre Sitzplätze eingenommen hatten, wurden sie von der Klassenlehrerin begrüßt. Damit Andrea nicht zu kurz kam, bekam sie eine Minischultüte, die mit Süßigkeiten gefüllt war. Es wurde mir weich ums Herz, und ich vergoss einige Tränen, als mir klar wurde, dass unser Sohn mittlerweile ein Schulkind war.
Nach diesem Tag machte es sich Martin zur Gewohnheit, immer wieder mit dem Taxi nach Hause zu kommen. Abends brachte ich ihn in die Klinik zurück. Jedes Mal musste ich ihn zwingen, zurückzufahren. Es durfte niemand merken, dass er das Gelände verlassen hatte, sonst hätte man ihn entlassen, was in seinem Zustand keine gute Lösung gewesen wäre.
Ich nahm mein Studium wieder auf, musste jedoch aufgrund unserer Situation einige Wochen unterbrechen. Meine Eltern kamen für zwei Tage zu Besuch. Sie verbrachten auch einige Stunden bei meinem Mann. Sie freuten sich, dass es Martin mittlerweile gesundheitlich gut ging.
Während meine Mutter immer wieder über ihn sprach, zeichnete sich im Gesicht meines Vaters eine nie dagewesene Traurigkeit ab. Als wir allein waren, fragte ich ihn, was er auf dem Herzen habe. Er schaute mich mit seinen traurigen Augen an und sagte, dass ihm alles, was passiert sei, Sorgen bereiten würde, denn alles, was Johanna vorausgesagt hatte, war eingetreten. Daraufhin versuchte ich, ihn zu beruhigen.
Meine Eltern brachten uns eine aus Holz geschnitzte Madonna, eine Mutter Gottes, mit. Meine Mutter hatte sie während einer Pilgerreise in Fatima gekauft. Sie war etwa 40 Zentimeter groß. Ich freute mich sehr über dieses Geschenk, denn mir war in den letzten Monaten immer mehr bewusst geworden, dass alles, was bei uns passiert war, meinen Glauben an Gott stärker machte. Das half mir, meinen Alltag zu bewältigen.
Ich war christlich erzogen und gab meine Überzeugung an unsere Kinder weiter. Wir gingen häufig sonntags in die Kirche. Martin zeigte einen starken Willen, den Gottesdienst zu besuchen; auch er war christlich erzogen. Am Anfang war alles in Ordnung. Aber vor etwa einem Jahr fing ich an, mich während der heiligen Messe unwohl zu fühlen. Es geschah nur während des Gottesdienstes. Aus diesem Unwohlsein wuchs immer mehr das Gefühl der Abneigung gegen den Kirchenbesuch. Obwohl ich Martins Mutter und Martin dafür verantwortlich machte, konnte ich mich nicht dagegen wehren. Ich wurde von Schmerzen am ganzen Körper und von Übelkeit geplagt. Während die anderen aufgestanden waren, wie es das Ritual verlangte, blieb ich völlig erschöpft sitzen. In solchen Momenten schaute mich Martin an und fragte: »Geht es dir nicht gut, bis du sehr schwach?« Sein zufriedener Gesichtsausdruck, als er mir die Frage stellte, war nicht zu übersehen.
Einige Monate, bevor ich und mein Bruder die Pilgerreise nach Medjugorje unternahmen, fing ich an, an meinem Glauben zu zweifeln. Es war mir nicht mehr wichtig, den Gottesdienst zu besuchen, und ich fragte mich immer wieder, wo Gott in meiner aussichtslosen Situation sei. Mit letzter Kraft beschloss ich, nach Medjugorje zu pilgern. Wie sich bald herausstellen sollte, war es die richtige Entscheidung.
Heute bin ich sicher, dass die Pilgerfahrt und das Zusammentreffen mit Johanna Gottes Wille waren.
Weil die gesamte Familie Nidek jeden Sonntag den Gottesdienst besuchte, fragte ich Johanna nach dem Grund dafür. Nach allem, was ich über diese Familie wusste, ergab es für mich keinen Sinn. Einerseits waren sie mit dem Teufel im Bunde, andererseits traten sie in der Öffentlichkeit als gläubige Christen auf. Johanna meinte, dass sich gerade solche Menschen in der Öffentlichkeit dadurch maskieren, indem sie vorgeben, zur Gemeinschaft der Christen zu gehören.
Durch bestimmte Rituale und Wörter sind sie auch in der Kirche im Stande, aus den Besuchern Kraft für sich zu ziehen. Sie fühlen sich gestärkt und gesünder, die Betroffenen jedoch geschwächt. Oft werden diese von heftigen Kopf- und Gliederschmerzen geplagt, die tagelang dauern können. Den Betroffenen kann weder ein Arzt noch die Einnahme von Medizin helfen. Durch den Verursacher wird ein Termin für die Dauer des Leidens bestimmt. Ist die Zeit gekommen, sind auch die Schmerzen plötzlich vorbei, als ob sie nie da gewesen wären.
Nun verstand ich, warum es mir während des Gottesdienstes dermaßen schlecht ging. Die Ursache war mein Mann. Ich sollte der Kirche fernbleiben. Ihr erster Gedanke, warum es mir gesundheitlich wieder besser ging, war, dass ich durch den Gottesdienst Kraft geschöpft hatte.
Am nächsten Tag unternahmen meine Eltern einen Ausflug nach Regensburg. Es war ein guter Zeitpunkt, um die Figur der Mutter Gottes im Schlafzimmer aufzustellen. Die Kommode schien mir der richtige Platz zu sein. Während ich sie zufrieden betrachtete, erfüllte plötzlich ein eigenartiger Geruch den Raum. Es war ein wunderbarer Duft von Rosen. Er war sehr intensiv. Ich wunderte mich darüber, denn nirgendwo im Schlafzimmer waren Rosen oder Rosenöl zu sehen. Wie in Trance fing ich an, nach ihnen zu suchen. Ich suchte unter dem Bett, in den Schränken und in der Kommode. Aber es war nichts Besonderes zu sehen. Ich setzte mich vor die Figur aufs Bett und betrachtete sie lange und aufmerksam, es gelang mir nicht, einen klaren Gedanken zu fassen, mein Kopf war leer. Als ich wieder zu mir kam, war der wundersame Rosenduft verschwunden.
Es dauerte noch eine Weile, bis ich merkte, dass ich von einer unbekannten Kraft gezwungen wurde, mich aufs Bett zu legen. In diesem Moment hatte ich keinen eigenen Willen. Während ich dalag, versuchte ich, mit voller Kraft aufzustehen. Es gelang mir weder aufzustehen noch zu schreien. Ich war wie gelähmt. Mich überkam eine ungeheure Angst. Plötzlich spürte ich, wie etwas Schweres auf meinem Körper lag. Meine Versuche, nach Hilfe zu rufen, waren sinnlos, weil ich kein Wort herausbrachte. Allmählich merkte ich, dass ich vergewaltigt wurde. So unglaublich es sich anhört, so seltsam war auch die Situation.
Ich erinnerte mich an Johannas Worte: »Das Böse muss mit energischen Worten vertrieben werden. Ein Bitten ist sinnlos.« Mit letzter Kraft fing ich wie noch nie in meinem Leben zu schimpfen an. Ich beschimpfte meinen Peiniger und stieß Flüche gegen ihn aus. Danach befahl ich ihm, von mir abzulassen. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, aber mein Peiniger ließ tatsächlich langsam von mir ab. Sein Vorhaben brachte er nicht zu Ende.
Es dauerte eine Weile, bis ich fähig war, aufzustehen. Der Dämon gab mir zu verstehen, dass er stets in meiner Nähe war, unabhängig davon, wie sehr ich mich gegen ihn wehrte oder Zuflucht bei Gott suchte. Mir wurde bewusst, dass dieser noch mächtiger und gewaltiger war als der Geist von Martins kopflosem Großvater . Wie mächtig dieser Dämon war, sollte ich später erfahren. Mit diesem Ereignis wurde meine Seele sehr verletzt. Ich saß nur da und ließ meinen Tränen freien Lauf. Mein Weinen und verstecktes Schreien nach Hilfe konnte niemand hören. Entmutigt und voller Trauer sah ich zur Muttergottesfigur und sagte: »Muttergottes, hilf mir!« Ich war froh, dass sie bei mir war.
In den nächsten Jahren stand sie mir immer zur Seite. Wenn ich nicht weiterwusste oder mit meinen Problemen nicht fertig wurde, wandte ich mich an sie. Sie gab mir Kraft und Zuversicht. Den Rosenduft jedoch roch ich nie wieder. Heute bin ich sicher, dass es ein Zeichen ihrer Gegenwart war. Ich durfte es erleben.
Bevor meine Eltern nach Hause fuhren, kam Martin uns besuchen. Unsere Kinder freuten sich über seinen Besuch. Ich bemerkte eine Veränderung an ihm, konnte mir jedoch nicht erklären, was es war. Beim Kaffeetrinken sprach er über seinen Komazustand. Er hatte geträumt, dass ich alle Möbel in unserem Haus verkauft hätte und im Begriff war, ihn mit unseren Kindern zu verlassen. Er empfand den Traum derart real, dass er ständig daran denken musste. Erst als er das erste Mal seit dem Unfall wieder zu Hause war, ließen diese Gedanken von ihm ab. Danach erzählte er von einem weiteren Traum. Es war fast eine Vision, die er im Koma durchlebte.
Er stand auf einem Berg an einen Pfosten gekettet. Seine Hände und Füße waren mit dicken Ketten gefesselt. Seine Bemühungen, sich zu befreien, waren sinnlos. Entmutigt gab er es auf. Irgendetwas zwang ihn, sich seinen eigenen Körper anzuschauen. Seine Hände und Füße waren mit dunklen, langen Haaren bedeckt. Anstatt Fingernägeln hatte er lange Krallen. Vom Berg aus konnte er Häuser und Straßen sehen.
Ich hörte mir seine Geschichte in Ruhe an. Danach fragte ich, was er darüber denken würde. Er antwortete, dass er sich dessen bewusst sei, wie schlecht er uns vor dem Unfall behandelt hatte, und es nun an der Zeit sei, sein bisheriges Leben zu ändern. Ich stimmte dem wortlos zu. In meinem Innern hoffte ich, dass er es ernst meinte.
Sein Traum berührte mich kaum. Was mir jedoch seit dieser Zeit zu denken gab, war, ob Martin immer noch derselbe war wie vor dem Unfall.
Einige Tage danach kamen seine Eltern und sein Bruder Piotr. Alle bemühten sich, gut miteinander auszukommen, was zu meinem Erstaunen auch meiner Schwiegermutter gelang. Der Arbeitsablauf in unserer Praxis lief ohne Zwischenfälle. Lena machte weiterhin unseren Haushalt, während ich die Universität besuchte. Alexander war ein fleißiger Schüler, und die Schule machte ihm sehr viel Spaß.
Die Wochen vergingen, und Martin kam von seiner Rehabilitationsklinik nach Hause. Außer an den Unfallhergang konnte er sich wieder an alles erinnern. Er ging ins Schlafzimmer, um seine Sachen auszupacken. Als ich später unser Schlafzimmer betrat, sah ich ihn auf seinem Bett vor der Muttergottesfigur sitzen. Es schien, als ob er beten würde. Als er mich bemerkte, sagte er, dass es schön sei, wieder daheim zu sein. Er hatte sich in seinem Wesen verändert. Das konnte ich zum damaligen Zeitpunkt noch nicht verstehen. Am Montag der darauffolgenden Woche wollte er seine Tätigkeit als Arzt wieder aufnehmen. An diesem Abend gingen wir früh zu Bett. Mich überkam eine innere Unruhe, die ich während Martins Abwesenheit nicht verspürt hatte. Nun war sie wieder da. Martin schlief sehr schnell ein. Er atmete schwer und langsam. Er schien noch sehr schwach zu sein, hinzu kam, dass er von Kopfschmerzen geplagt wurde.
Plötzlich wurden wir durch einen sehr lauten Knall, der aus dem Bad kam, wach. Ich schaute auf die Uhr, es war Punkt Mitternacht. Martin sprang wie auf Kommando aus seinem Bett. Halb benommen, stand er davor und murmelte etwas Unverständliches. Wir schauten uns an, und er sagte: »Hast du das gehört? Geh bitte nachschauen, was passiert ist.« Ich antwortete: »Ich habe nichts gehört, ich weiß nicht, was du meinst. Wenn du etwas gehört hast, geh doch selbst nachschauen.« Er stand noch eine Weile vor seinem Bett, danach sagte er: »Nein, ich gehe nicht!« Er legte sich wieder ins Bett. Martin wusste also, dass man in solchen Fällen den Raum, in dem man sich befand, nicht verlassen sollte. Mit Martin war auch der kopflose Dämon zurückgekehrt. Am nächsten Morgen fragte ich unsere Kinder, ob sie in der Nacht etwas Verdächtiges gehört hätten, denn das Bad befand sich neben ihren Kinderzimmern. Ihre Antwort war ein klares Nein.
Am Freitagvormittag fuhr ich einkaufen. Als ich zurückkam, hörte ich Stimmen, die aus dem Wohnzimmer drangen. Als ich den Raum betrat, war mein Mann gerade dabei, einen Kaufvertrag für ein neues Auto zu unterschreiben. Im ersten Moment war ich darüber sehr verärgert und enttäuscht, dass er es vorher nicht mit mir abgesprochen hatte. Ich zog es vor, mich in Gegenwart des Autohändlers nicht zu äußern. Außerdem hätte es an der Situation nichts geändert. Nachdem der Verkäufer gegangen war, ließ ich meiner Enttäuschung freien Lauf. Ich fragte ihn, warum er kein Vertrauen zu mir habe und nicht vorher mit mir geredet habe. Er antwortete, dass er es nicht als Vertrauensbruch ansehe und er aufgrund seines Berufs unbedingt ein Fahrzeug brauche. Ich hatte kein gutes Gefühl, vermied es aber, mich auf weitere Diskussionen einzulassen. In den letzten Monaten hatte er des Öfteren mit seinem Auto kleine Unfälle gehabt, so wie Johanna es vorausgesagt hatte.
Anfangs war er nur stundenweise in seiner Praxis tätig, bereits nach drei Wochen aber ganztägig. Dr. Monescu half nur noch stundenweise aus. Martin erholte sich erstaunlich gut. Es kam mir oft vor, als ob er noch mehr Energie und Kraft besäße als vor dem Unfall. Es dauerte nicht lange, und Luisa, die Hotelbesitzerin, meldete nachts einen Hausbesuch für ihren Sohn an. In den letzten Monaten vor dem Unfall hatte sie öfter nachts angerufen. Martin war jedes Mal hingefahren. Wie sich später herausstellte, rief sie immer dann an, wenn ihr Ehemann beruflich unterwegs war. Beide machten kein Geheimnis aus ihrer Affäre. Als sie von seinem Autounfall hörte, weinte sie ununterbrochen. Diese Trauer war auch ihrem Ehemann nicht entgangen.
Auch in dieser Nacht fuhr er zu ihr und kam erst nach drei Stunden zurück. Es schmerzte, sehen zu müssen, wie auch diese »beruflichen Angelegenheiten« wieder aufgenommen wurden.
Ende Oktober gab es in unserer Nähe ein großes Volksfest. Der erste Tag war immer für Arbeitgeber und Arbeitnehmer reserviert. Wir waren insgesamt zehn Personen. Traditionsgemäß kamen die Angestellten mit ihren Ehemännern oder Freunden. Anfangs war die Situation sehr entspannt, und alle amüsierten sich. Nach allem, was Martin zugestoßen war, vertrat ich die Meinung, dass er keinen Alkohol trinken solle. Außerdem hatte er mir, nachdem er aus dem Koma erwacht war, versprochen, keinen Tropfen Alkohol mehr zu trinken. Gegen 21 Uhr bestellte er sein erstes Bier. Es war das erste seit dem Unfall. Danach bestellte er sich immer wieder ein Bier. Unsere Mitarbeiter sahen mich fragend an. Einer von ihnen sagte: »Aber Herr Doktor, eigentlich sollten Sie keinen Alkohol trinken!« Er schaute sie von der Seite an und antwortete: »Ja, aber heute mache ich eine Ausnahme.«
Nach drei Stunden war er sichtlich angetrunken. Irgendwann standen alle auf ihren Sitzbänken und sangen schaukelnd zum Rhythmus der Musik. Wir hielten Martin fest, damit er nicht ausrutschte. Die Sitzbank reichte ihm nicht aus, und er stieg auf den Tisch. Betrunken und taumelnd tanzte er darauf. Ich versuchte, ihn herunterzuholen, aber er weigerte sich. Es war wie vor dem Unfall, ich hatte Angst um ihn, und er amüsierte sich. Nach 15 Minuten wurde eine Musikpause eingelegt, und er setzte sich wieder hin. Die älteste Mitarbeiterin sagte, dass er aus seinem Unfall nichts gelernt habe. Weil sich Martin weigerte, in seinem betrunkenen Zustand nach Hause zu fahren, blieben wir bis zum Schluss. Es war gegen 0:30 Uhr, als wir ein Taxi bestellten. Zu Hause legte er sich sofort ins Bett. Früher hatte er mich in einem solchen Zustand beleidigt und geschlagen.
Am nächsten Tag wachte er mit sehr starken Kopfschmerzen auf. Er entschuldigte sich immer wieder bei mir, sein Versprechen nicht gehalten zu haben. Mit der letzten Nacht schwand auch meine Hoffnung, dass er sich ändern würde. Enttäuscht ging ich in die Küche, um das Frühstück vorzubereiten. Ich hörte unsere Kinder miteinander spielen. Nachdem sie mich gehört hatten, kamen beide in die Küche, um mir bei den Vorbereitungen zu helfen. Andrea, der selten etwas entging, fragte mit trauriger Stimme: »Papa hat wieder getrunken, nicht wahr?« Ich gab ihr keine Antwort, aber auch das war Antwort genug. Alexander hatte Tränen in seinen Augen. Es schmerzte mich, unsere Kinder so traurig zu sehen. Gleichzeitig empfand ich eine Wut über Martins Verhalten und seinen schwachen Charakter, denn wer so schnell sein Versprechen bricht, der nimmt sein eigenes Leben nicht ernst. Er hätte wenigstens an unsere Kinder denken können, aber es war sein Egoismus, der ihn dazu getrieben hatte. Heute weiß ich, dass er bereits zum damaligen Zeitpunkt glaubte, mit seiner Mutter alle Vorhaben verwirklichen zu können.
In Bad Abbach fanden häufig Versammlungen und Zusammenkünfte für Ärzte statt. Manchmal wurden sie von den Ärzten selbst organisiert, oft jedoch von Pharmafirmen. Neben dem gemeinsamen Treffen wurden auch die neuesten Ereignisse und Änderungen bezüglich der Praxistätigkeit besprochen. Mitte November wurden wir das erste Mal zu einer solchen Zusammenkunft eingeladen. Ich lernte dabei mehrere Ärzte kennen. Es war eine sehr nette Atmosphäre, und ich hatte das Gefühl, in die Gemeinschaft aufgenommen worden zu sein. Martins Unfall wurde von einigen Kollegen kurz angesprochen und man bekundete, wie schön es sei, ihn wieder dabeizuhaben. In diesem Jahr folgten noch zwei Einladungen. Bei einer davon wurde ich auf meinen Beruf angesprochen. Sie fanden ein Musikstudium außergewöhnlich und sehr anspruchsvoll. Wir unterhielten uns darüber. Ich merkte sehr schnell, dass meinem Mann dieses Thema nicht passte. An diesem Abend entschloss ich mich, Klavierunterricht zu erteilen.
Innerhalb der nächsten zwei Wochen gab ich bereits drei Kindern Klavierunterricht. Es machte mir sehr viel Freude; mit der Zeit hatte ich insgesamt zehn Schüler. Sie kamen sehr gern zum Unterricht. Mein Mann war darüber nicht sehr erfreut, denn dadurch gewann ich einen Freiraum, außerdem wurde ich als Person anerkannt, nicht nur als die Ehefrau des Arztes.
Nach diesem anstrengenden Jahr beschlossen wir, in den Urlaub zu fahren. Wir wählten die Dominikanische Republik. Am 22. Dezember wurde die Arztpraxis für drei Wochen geschlossen. An diesem Abend bereitete ich unseren Heiligabend vor. Am nächsten Tag flogen wir in den Urlaub. An unserem vorzeitigen Weihnachtsabend schmückten unsere Kinder und Martin den Christbaum. Alle hatten sehr viel Freude daran. Ich bereitete das Weihnachtsessen zu. Unsere Kinder freuten sich über die vielen Geschenke, auch Martin und ich genossen den Abend. Nach der Bescherung gingen wir gemeinsam in die Kirche.
Weil die Weihnachtszeit unsere Haupturlaubszeit war, flogen wir fortan jedes Jahr in den Urlaub. Unser vorgezogener Weihnachtsabend fand also jedes Jahr statt. Für mich war es die beste Lösung, um friedliche Weihnachten zu verbringen, weil Martin es die letzten drei Jahre fertiggebracht hatte, wegen Kleinigkeiten die Feiertage in Streitereien enden zu lassen.
Die Erklärung dafür erhielt ich später von Johanna. Heiligabend feiern die Christen die Geburt von Jesus Christus. Gottes Sohn kam auf die Welt, um uns vom Bösen zu erlösen. Dieses Gefühl vermitteln die Menschen, die mit ihm im Bunde sind, an Weihnachten. In solchen Familien herrschen Streitsucht und Unzufriedenheit. Später erfuhr ich, dass auch Martins Mutter an den Feiertagen streitsüchtig war.
Am Flughafen waren alle sehr aufgeregt. Denn es war unser erster richtiger Urlaub. Vor unserer Buchung rief ich Professor Köpke an und fragte, ob mein Mann fliegen dürfe. Er meinte, dass er keine Bedenken hätte und wir den Urlaub antreten könnten. Er wünschte uns alles Gute und einen gelungenen Urlaub. Der Flug sollte 18 Stunden dauern. Die Flugbegleitung war sehr nett. Kurz nachdem Andrea und Alexander ihre Sitzplätze eingenommen hatten, bekam jeder von ihnen Stifte, einen Malblock und mehrere Weihnachtsgeschenke. Es waren viele Kinder an Bord. Ihre Augen glänzten vor Freude, und sie waren neugierig, was noch alles auf sie wartete. Es war ein ruhiger Flug, und nach einem kurzen Zwischenstopp, bei dem das Flugzeug aufgetankt wurde, flogen wir weiter.
Nach 20 Stunden kamen wir in der Dominikanischen Republik an. Es war sehr heiß. Wir bewohnten zwei geräumige Zimmer mit einer Verbindungstür. Unsere Kinder konnten es kaum erwarten, schwimmen zu gehen. Nachdem wir ausgepackt hatten und ich ihnen die Schwimmflügel angelegt hatte, machten wir uns auf den Weg zum Swimmingpool. Die ersten Tage vergingen wie im Fluge. Am Abend gab es oft Animationen und Vorstellungen für die Gäste.
Es war am Ende der ersten Urlaubswoche. Nachdem wir Platz genommen hatten, um bei einer abendlichen Vorstellung dabei zu sein, sagte Martin plötzlich, dass er den Fotoapparat vergessen habe. Er ging hinaus. Es waren 15 Minuten vergangen, und er war noch immer nicht da. Ich fing an, mir Sorgen zu machen, und wollte gerade aufstehen, um nach ihm zu suchen, als er hereinkam. Er sah mich eigenartig an. Seine Augen waren glasig und sein Gesicht dunkelrot gefärbt. Ich konnte es kaum fassen, aber er war betrunken. Es dauerte nicht lange, bis er anfing, mich zu beleidigen.
Es war wie in früheren Zeiten. Zum Schluss sagte er: »Ich werde es dir noch zeigen!« Enttäuscht stand ich auf und wollte den Raum verlassen. Er forderte mich auf, wieder Platz zu nehmen. Um mir weitere Beleidigungen zu ersparen, nahm ich unsere Kinder und ging. Martin folgte uns wortlos. Erst als wir im Zimmer waren, stieß er leise einige Schimpfwörter aus. Ich brachte Andrea und Alexander zu Bett. Beide waren aufgrund der unguten Situation sehr unruhig. Andrea sagte in einem sehr traurigen Ton: »Papa hat wieder getrunken!« Ich ging ins Bad, anschließend wollte ich zu Bett gehen. Martin forderte mich vom Balkon aus auf, ich solle mich zu ihm setzen. Um keinen Ärger zu bekommen, fügte ich mich. Ich hatte mich kaum hingesetzt, als er anfing, mich auf das Übelste zu beschimpfen. Er warf mir vor, Dr. Monescu zu viel Geld gezahlt zu haben. Zum Schluss warf er mir vor, ich würde ihn mit mehreren Männern betrügen. Bei diesem Satz sah er mich zufrieden an. Nach diesem unsinnigen Vorwurf konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen und dachte: »Was du selbst tust, willst du mir in die Schuhe schieben!« Es war mir zuwider, eine Antwort darauf zu geben, zumal ich vermutete, dass er einen heftigen Streit anfangen wollte.
An diesem Abend offenbarte er mir, wie sehr er mich hassen würde. Ich saß da und musste mir, nach allem, was die letzten Monate passiert war, anhören, ich sei zu nichts fähig. Plötzlich stand er auf, baute sich vor mir auf und wollte mir eine Ohrfeige versetzen. Ich wich aus, er stolperte und schlug mit dem Kopf an die Wand. In diesem Moment kam unser Zimmernachbar auf seinen Balkon, um nachzuschauen, was passiert war. Ich entschuldigte mich für die Störung. Martin hielt mit beiden Händen seinen Kopf fest. Unser Nachbar schüttelte seinen Kopf und ging in sein Zimmer. Die Situation war sehr peinlich, und ich schämte mich.
Martins Zusammenstoß mit der Wand bewog ihn, sofort ins Bett zu gehen. Bevor er einschlief, nahm er zwei Kopfschmerztabletten. Außer einer Schürfwunde hatte er keine andere Verletzung davongetragen. Auch ich legte mich ins Bett, doch konnte lange nicht einschlafen. Ständig musste ich über den Sinn unseres gemeinsamen Daseins nachdenken.
In der letzten Zeit rief seine Mutter täglich an, jedoch nicht bei uns daheim, sondern in der Praxis. Ich wusste, dass sie uns nicht mehr in Ruhe lassen würde. Meine Schwiegermutter und Martin wollten meinen Tod, und anscheinend hatten sie ihren Kreuzzug gegen mich fortgesetzt.
Am nächsten Morgen stand ich früh auf, um nach unseren Kindern zu sehen. Martin schlief noch immer sehr tief. Andrea und Alexander unterhielten sich laut in ihren Betten. Ich gesellte mich zu ihnen, und so blieben wir noch eine Weile liegen. Ich spürte ihre Traurigkeit und war sicher, dass sie uns am Abend belauscht hatten. Sie sprachen über den Weihnachtsmann, der seit dem 24. Dezember täglich den Speisesaal betrat und mit einer Glocke sein Kommen ankündigte. Er ließ sich zusammen mit den kleinen Gästen fotografieren. Das Foto wurde später an die Familienangehörigen verkauft. Ich bat sie, sich anzuziehen, damit wir frühstücken gehen konnten. Als ich unser Zimmer betrat, saß Martin auf seinem Bett, stützte seinen Kopf mit beiden Händen und sagte, dass es ihm leidtäte, was gestern Abend passiert sei.
Er wusste, dass ich nach solchen Abenden sehr verletzt war und mich über nichts mehr freuen konnte. So auch dieses Mal. Die nächsten Tage verliefen ohne Zwischenfälle. Über unsere Kinder lernten wir andere Gäste aus Deutschland kennen. Ein Ehepaar, das auch zwei Kinder im gleichen Alter hatte, genoss täglich reichlich Alkohol. Hier war es die Mutter, die sehr oft betrunken war. An einem Abend, als sie wieder völlig betrunken an der Bar saß, kamen ihr Ehemann und ihre zwei Kinder, um sie abzuholen. Sie weigerte sich, mit ihnen aufs Zimmer zu gehen. Dieses unschöne Schauspiel sahen mehrere Gäste und schüttelten darüber den Kopf. Es war Martin, der laut sagte: »Wie kann sich eine Mutter, die zwei Kinder hat, so betrinken?« Andrea und Alexander schauten mich an, als ob sie sagen wollten: »Das sagt der Richtige.« Nach seinen tadelnden Worten fingen auch die anderen Gäste an, das unmögliche Verhalten der Mutter zu verurteilen. Es dauerte noch eine Weile, bis diese Familie uns verließ.
In der zweiten Woche machten wir einen Ausflug ins Landesinnere. Wir sahen wunderschöne Landschaften und verschiedene Tierarten. Am Nachmittag kamen wir an einen Ort, der von Wasserfällen und von einer Gebirgslandschaft mit mehreren Schluchten umgeben war. Es war ein faszinierender Anblick. Wir verließen unseren Jeep, um auf einem vorgeschriebenen Pfad zum obersten Punkt des Gebirges zu gelangen. Es war sehr anstrengend, aber sehenswert. Von oben bot sich uns eine atemberaubende Landschaft. Die bunte Tierwelt zeigte sich in ihrer vollen Pracht. Nach einiger Zeit machten wir uns auf den Rückweg.
Martin hielt Andrea an der Hand, während ich für Alexander verantwortlich war. Plötzlich ließ er meine Hand los. Ich drehte mich um, damit ich sehen konnte, wo die anderen waren. Es dauerte nur Sekunden. Danach wendete ich mich Alexander zu. Mit Entsetzen musste ich feststellen, dass er nicht da war. Ich rief nach ihm, mein Mann und Andrea kamen sofort zu mir. Nachdem sie erfahren hatten, was passiert war, riefen auch sie nach ihm. Plötzlich hörte ich seine leise Stimme. Er rief nach mir. Ich musste genauer hinhören, woher sie kam. Unser Sohn hing an einem Felsen unterhalb des Pfades. Mit letzter Kraft hielt er sich an einem Stein fest. Ich schrie auf. Mein Mann erkannte sofort, was passiert war, und ohne lange zu überlegen, zog er Alexander zu sich hinauf. Mein Herz pochte wild, und ich dankte Alexanders Schutzengeln, dass er nicht abgestürzt war. Es dauerte eine Weile, bis wir uns beruhigt hatten. Martin beschimpfte ihn und meinte, er wäre nicht einmal fähig, einen geraden Weg zu gehen. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob mein Mann den Ernst der Lage wirklich erkannt hatte.
Ab dem 8. Januar nahm alles wieder seinen gewohnten Gang. Die Wochen vergingen. In unserem Haus hörte ich gelegentlich eine Tür zuschlagen. Manchmal rief eine Stimme meinen Namen. Ich nahm die Geschehnisse zwar wahr, ignorierte sie jedoch und dachte nicht weiter darüber nach. Am 15. Februar sollte ein Treffen im Hotel von Luisa Wagner mit unserem Steuerberater Herrn Hermann stattfinden. Die Nacht davor rief sie an und verlangte, wie so oft, einen Hausbesuch für ihren Sohn. Martin fuhr hin und kehrte erst nach vier Stunden im Morgengrauen zurück.
Am späten Nachmittag trafen wir uns alle im Wohnbereich von Luisa Wagner. Es wurden die Berechnungen für die Steuer besprochen. Nach 30 Minuten hörten wir Geräusche im Flur. Es war der angeblich kranke Sohn, der aus seinem Mittagsschlaf aufgewacht war. Er steuerte auf seine Mama zu, und ich fragte ihn, wie es ihm gehe, denn ich hatte gehört, dass er gestern krank war. Er sah mich etwas verwundert an, als er sagte: »Ich war gar nicht krank.« In diesem Moment schaute Luisa auf den Boden, während Martin verlegen lächelte. Im Laufe des Gesprächs erfuhr ich, dass Luisas Ehemann bereits seit zwei Tagen beruflich unterwegs war. Am späten Nachmittag war unser Gespräch beendet.
Nachdem sich alle verabschiedet hatten, gingen mein Mann und ich in die Praxis. Es warteten mehrere Patienten auf ihn. Er ging sofort ins Sprechzimmer. Ich folgte ihm, denn ich hatte das Bedürfnis, die nächtlichen Hausbesuche bei Luisa aufzuklären. Außerdem bemerkte ich, dass sich die beiden nicht wie zwei Bekannte angeschaut hatten. Es knisterte gewaltig zwischen ihnen. Ich war sicher, dass auch Herr Hermann die Situation durchschaut hatte.
Im Sprechzimmer offenbarte ich ihm, dass ich vom Liebesverhältnis der beiden wüsste und er in der Unfallnacht auf dem Weg zu ihr gewesen sei. Martin schaute mich mit großen Augen an. Er wurde rot und fragte unsicher mit zittriger Stimme: »Hast du darüber schon mit Luisa gesprochen?« Ich antwortete, dass ich es als Nächstes tun würde. Er bat mich, es nicht zu tun. Nun war ich sicher, dass er die Räume für unsere Arztpraxis durch Liebesdienste ergattert hatte. Meine Vermutung, die ich von Anfang an hatte, wurde bestätigt. Er versprach, die Affäre zu beenden.
Später behauptete er, nie etwas mit Luisa gehabt zu haben, und ich hätte irgendetwas missverstanden. Jedes Mal, wenn ich ihm auf die Schliche gekommen war und ihn zur Rede stellte, meinte er, ich würde alles überbewerten. Um unsere Ehe nicht zu gefährden, nahm ich alle seine Lügen hin. Außerdem wollte ich, dass unsere Kinder in einer Familie mit beiden Elternteilen aufwachsen. Erst viel später merkte ich, dass ich mich damit in einen Selbstbetrug flüchtete.
Es war mittlerweile April geworden.
Martin wollte unbedingt seine Eltern besuchen. In den letzten Wochen war in unserer Ehe wieder mehr Ruhe eingekehrt. Er betrank sich nicht mehr, und auch die nächtlichen Hausbesuche, vor allem bei Luisas krankem Sohn, hatten aufgehört. Er fürchtete, ich würde dieses Liebesverhältnis publik machen.
Mitte Mai fuhren wir für ein Wochenende nach Polen. Es waren sehr schöne sonnige Tage, und deshalb verbrachten wir viel Zeit im Garten. Sabina erzählte wieder über ihre Nachbarn, die vor einiger Zeit ihr Haus gekauft und umgebaut hatten. So wie sie es sagte, überkam mich ein ungutes Gefühl, ja, beinahe Angst um die Nachbarn. Überall, wo meine Schwiegermutter ihre Hände im Spiel hatte, passierte etwas Schlimmes.
Ich vermutete, dass sie aus irgendeinem Grund Martin sehen musste. In dieser Zeit ging es weniger um mich als um ihren eigenen Sohn. Es gab einen Zusammenhang zwischen den gemeinsamen Treffen und der Führung der Arztpraxis. Martin ging es immer besser, es kamen immer mehr Patienten in unsere Arztpraxis. Bald wurde es die zweitbeste Praxis, nach der von Dr. Birnbaum. Die Frauen bewunderten ihn, außer unseren Angestellten, die Angst vor ihm hatten. Wenn man mit Martin längere Zeit zusammengearbeitet hatte, merkte man, dass von ihm etwas Furchterregendes ausging. Die Betroffenen konnten es nicht erklären, versuchten jedoch, sich nichts anmerken zu lassen.
Später erfuhr ich von Johanna, dass sich Menschen wie Martin sicherer fühlen, wenn sie Angst und ein ungutes Gefühl bei ihren Mitmenschen auslösen. Dadurch würde man sie in Ruhe lassen. Es war die Macht des Bösen, die von meinem Mann ausging. Durch die er einerseits gehasst, andererseits geliebt wurde.
Zwei Wochen nach unserem Besuch bei Martins Eltern bekam ich sehr starke Magenschmerzen. Ich ging zu Dr. Birnbaum. Er diagnostizierte Magengeschwüre. Es war das zweite Mal, dass ich mit dieser Krankheit zu tun hatte. Er wollte mich ins Krankenhaus einweisen, um mich behandeln zu lassen. Ich entschied mich jedoch dagegen, und er verschrieb mir für die nächsten drei Wochen ein starkes Antibiotikum. Ich bat Dr. Birnbaum, Martin davon nichts zu erzählen. Nach drei Wochen ging es mir wieder besser.
Meine Mutter hatte die Idee, dass Martin und ich mit seinen Eltern nach Fatima fliegen sollten, um die Familie Nidek zu bekehren. Sie erzählte es meinem Mann. Er war sofort einverstanden. Ich hatte Bedenken, mit seiner Mutter nach Fatima zu pilgern. Aber er war von der Vorstellung, mit seinen Eltern einige Tage in Portugal zu verbringen, sehr angetan.
Am 13. Mai 1917 erschien drei Hirtenkindern die Mutter Gottes. Am 13. Mai 1930 wurde die Glaubwürdigkeit der Erscheinung verkündet. Seit diesem Tag ist Fatima offiziell als Pilgerort anerkannt. Jedes Jahr vom 13. Mai bis 13. Oktober findet eine Prozession zu Ehren der Mutter Gottes statt.
Am 11. Juli flogen wir mit Martins Eltern nach Fatima. In dieser Zeit kamen meine Eltern zu uns. Seine Eltern sollten nicht enttäuscht werden, und so wurde das beste Hotel in der Umgebung gebucht. Doch wie es sich herausstellte, war das Beste nicht gut genug für sie. Nach dem dreistündigen Flug trafen wir im Hotel ein. Wir begaben uns auf unsere Zimmer, um uns etwas auszuruhen. Das Zimmer seiner Eltern befand sich neben unserem. Nachdem wir im Hotel eine Kleinigkeit gegessen hatten, machten wir uns auf den Weg in die Kirche, die sich am Anbetungsplatz befindet. Noch bevor wir eingetroffen waren, zeigte seine Mutter ihre Unzufriedenheit. Ihr Gesicht nahm wieder die mir bereits bekannten dämonischen Züge an. Um sich vom fünf Minuten langen Fußmarsch zu erholen, schlug sie vor, sich mit meinem Schwiegervater auf eine Bank zu setzen. Währenddessen sollten wir zur Anbetung in die Kapelle gehen. Martin bestand jedoch darauf, sie dabeizuhaben. Nach anfänglichem Widerstand willigte sie ein. Nach einer Stunde verließen wir den Anbetungsplatz. Wir gingen zurück ins Hotel. Vor Erschöpfung schliefen wir bald ein.
Irgendwann in der Nacht wachte ich auf. Martin schlief fest. Ich hörte laute Stimmen – es war ein heftiger Streit zwischen zwei Menschen. Zu meinem Erstaunen waren es meine Schwiegereltern. Einen derart heftigen Streit hatte ich bei ihnen bis dahin noch nie erlebt. Ich war neugierig, worum es ging. Es dauerte nicht lange, und mein Name fiel. Es ging also mal wieder um mich. Sie beschimpfte mich. Mein Schwiegervater nahm mich in Schutz, indem er sagte, dass ich ihnen mit dieser Wallfahrt eine Freude machen wollte. Sie ließ sich jedoch nicht überzeugen, worauf er ihr mit einer sehr dunklen und aufgeregten Stimme sagte: »Du böse Frau, fängst du wieder mit dem Ärger an! Sie wollte uns doch nur eine Freude machen. Halt endlich deinen Mund!« Ich fand das Ganze widerlich und stopfte mir Watte in die Ohren, um wieder einschlafen zu können.
Am nächsten Morgen erzählte ich es Martin. Er sah mich verwundert an und fragte, ob es tatsächlich seine Eltern gewesen seien. Ich musste ihm keine Antwort darauf geben, denn ich spürte, dass er mir glaubte. Später wurde mir klar, dass sich beide nach außen hin bemühten, eine gute Ehe zu führen, während es nach innen sehr viel Ärger und Streitigkeiten gab. Nachdem Martins Vater jedes Mal nachgegeben hatte, wurde sie stärker und gewann die Oberhand.
Es war der 13. Juli. An diesem Tag, an dem die große Prozession stattfinden sollte, war meine Schwiegermutter bereits am Morgen ungenießbar. Sie hatte an allem etwas auszusetzen. Der Kaffee war ihr nicht gut genug und das Brot nicht richtig gebacken. Danach weigerte sie sich, mit uns auf den Gebetsplatz zu gehen, um an der Lichterprozession teilzunehmen. Martin ließ nicht locker. Sie gab ihren Widerstand auf und folgte uns.
Während wir am späten Nachmittag unsere Kerzen anzündeten und auf den Beginn warteten, bemerkte ich eine enorme Anspannung und Nervosität bei ihr. Ihr Gesicht verfinsterte sich, und sie entfernte sich immer weiter von uns. Auch Martin war es nicht entgangen, und er sagte leise: »Sie fängt schon wieder an!« Was so viel heißen sollte wie, dass es wieder Ärger geben wird. Auf dem Hauptplatz waren mittlerweile mehrere Tausend Pilger aus aller Welt zusammengekommen.
Nach der Zeit des Wartens wurde der Beginn der Prozession angekündigt. Es war sehr schön, und wir waren von der Stimmung ergriffen. Mit der Zeit wurde es dunkler, doch der Gebetsplatz war von vielen Tausend Kerzen hell erleuchtet. Vor der Prozession hatte man uns ein Blatt mit den Liedern in die Hand gedrückt, die gesungen werden sollten. So konnte jeder das Ave Maria in seiner Sprache singen. Martin und ich hielten uns an den Händen und vergaßen alles um uns herum. Nach einiger Zeit bemerkten wir, dass seine Eltern nicht mehr zu sehen waren.
Angesichts dieser Menschenmenge dachten wir nicht weiter darüber nach. Als es vorbei war und die vielen Menschen allmählich auseinandergingen, warteten wir auf sie. Es dauerte nicht lange, und der Platz war fast leer, doch meine Schwiegereltern waren nirgends zu sehen. Martin wurde unruhig, und ich schlug vor, dass wir uns zum Ausgang begeben sollten. Denn von dort hatten wir alles besser im Blick. Wir mussten nicht lange warten, denn beide standen am Ausgangstor. Als ich ihre Gesichter sah, dachte ich: »Oh Gott, das wird noch interessant werden.« Mein Schwiegervater stand mit einem sehr finsteren Gesichtsausdruck da, während Sabina mit ihrem diabolischen Gesicht vor Wut zu platzen schien. Martin wurde nervös. Ich nahm mir vor, mich in diese Angelegenheit nicht einzumischen. Immerhin waren es seine Eltern und ich nur die ungeliebte Schwiegertochter. Mein Mann versuchte, seine Nervosität zu verbergen, als er fragte, warum sie sich von der Prozession entfernt hätten. Daraufhin sagte seine Mutter: »Ihr habt uns beide nicht mehr beachtet, außerdem weiß ich nicht, warum ich hier bin. Ich möchte wieder nach Hause.« Daraufhin sagte Martin: »Wie, du weißt nicht, warum du hier bist? Bist du nicht katholisch?« Sie beachtete ihn nicht. Dann sagte er sehr bestimmt: »Hat dich die Wut wieder gepackt? Wenn ich schon deine rote Nase sehe und deine Streitsucht! Extra für dich wird man bestimmt kein Flugzeug fliegen lassen.« Sie benahm sich wie ein kleines trotziges Kind. Es fehlte nur noch, dass sie anfing, mit ihren Füßen zu stampfen. Martin versuchte, sie zu beruhigen, um die Situation nicht zu verschlimmern.
Im Hotel angekommen, begaben wir uns auf unsere Zimmer. Am Tag vor dem Rückflug gingen Martin und ich nach dem Frühstück den sogenannten Rosenkranzweg. Mein Mann zog es vor, nach dem gestrigen abendlichen Streit seine Eltern nicht mitzunehmen. Er sprach nicht über den Grund, aber ich wusste, dass sie den Weg mit uns ohnehin nicht gegangen wären. Außerdem wollte Martin eine weitere Eskalation vermeiden. Ich spürte, dass ihm das Ganze unangenehm war, vor allem, weil ich das Theater mit seiner Mutter mitbekommen hatte. In Zukunft konnte er sie nicht mehr wie bisher in Schutz nehmen und mir vor Augen führen, dass ich mir alles nur einbilden würde.
Nach drei Stunden kamen wir im Hotel an. Martins Eltern waren auf ihren Zimmern. Sie hatten noch nichts gegessen. Deshalb luden wir sie zu einem Mittagessen ein. Ich wunderte mich über ihren schnellen Wandel, denn sie benahmen sich, als ob nichts gewesen sei, und auch Martin schien alles unter Kontrolle zu haben.
Diese Familie war fähig, von einer Sekunde auf die nächste einen schrecklichen Streit heraufzubeschwören, um im nächsten Moment alles zu vergessen. Ihren Streit brauchten sie wie das tägliche Brot. Am nächsten Tag flogen wir nach Hause.
Alle spielten heile Welt. Ich war angewidert und erschöpft von den Machenschaften meiner Schwiegermutter und um eine Erkenntnis reicher: Aus einem Teufel macht man keinen Engel.
Unsere Kinder und meine Eltern erwarteten uns bereits, als wir am frühen Nachmittag nach Hause kamen. Alle waren neugierig, was wir zu erzählen hatten. Zuerst verteilte ich unsere kleinen Andenken. Es waren kleine Medaillen und Ansichtsfotos. Ich blieb bei unseren Kindern und meinem Vater. Er fragte mich lächelnd, ob meine Schwiegermutter die Tage in Fatima ohne Schaden überstanden hätte. Ich lachte und antwortete, dass man es so nennen könne, aber es habe nicht viel gefehlt und wir hätten alle einen Schaden davongetragen.
Inzwischen hatten sich Andrea und Alexander ihre Medaillen um den Hals gehängt. Auch meine Mutter wollte wissen, ob es irgendwelche Zwischenfälle mit meinen Schwiegereltern gegeben habe. Während des Essens unterhielten wir uns über die vergangenen Tage, über den Gebetsplatz, die Kirchen und vor allem über die Lichterprozession. Während Martin sehr angetan war, murmelte seine Mutter ab und zu etwas Unverständliches. Ich bemerkte, dass meine Schwiegereltern sich immer wieder anschauten. Es war ein Zeichen dafür, dass beide dieses Themas überdrüssig waren. Weil meine Eltern sehr neugierig auf den Film waren, den wir mit unserer Kamera gedreht hatten, machte sich Martin daran, diese an unseren Fernseher anzuschließen. Seine Mutter war sichtlich genervt und fragte: »Muss das heute sein?« In ihrer Stimme lagen Langeweile und Verachtung. Martin schaute sie verärgert an und fragte, ob sie damit irgendwelche Probleme hätte. Sie überhörte seine Frage.
Wir schauten uns den Film an. An einigen Stellen war zu erkennen, in welcher Verfassung Sabina war, die immer wieder mit einem bösen Blick in die Kamera schaute.
Am Morgen des nächsten Tages fuhren meine Eltern zurück. Kurz davor kamen meine Schwiegereltern, um sich von ihnen zu verabschieden. Sie wünschten sich gegenseitig eine schöne Zeit und gute Fahrt. Meine Mutter sagte meiner Schwiegermutter, dass sie das Mittagessen bereits vorbereitet hätte und alles im Kühlschrank sei, man müsse es nur noch aufwärmen. Sabina nickte kurz mit dem Kopf, sagte aber nichts. Im Stillen dachte ich, dass sie bisher keinen Finger in der Küche gerührt hatte und es in Zukunft auch nicht tun würde.
Beide nahmen am Frühstückstisch Platz. Weil ich in die Praxis fahren musste, verabschiedete ich mich von ihnen. Ich vergaß jedoch eine Kleinigkeit und ging noch einmal zurück. Sie bemerkten es nicht und dachten, ich hätte das Haus verlassen. Plötzlich hörte ich von unten die Stimme meiner Schwiegermutter. Sie war sehr aufbrausend und laut und meinte, wie Katharina, meine Mutter, dazu käme, zu glauben, sie würde in diesem Haus kochen. Sie wurde immer lauter. Nachdem sie mit meiner Mutter fertig war, fing sie mit mir an. Sie warf mir vor, wie ich dazu käme, mit ihr nach Fatima zu fliegen und ihren Sohn anzustiften, mitzufahren. Danach sagte sie: »Anna ist ohnehin lungenkrank, sie wird sich nicht mehr lange freuen können. Wer wird sie dann noch wollen?« Ich erschrak über diese Worte.
Die Situation erinnerte mich an das, was mit Susannes Tochter vor einigen Jahren passiert war. Ich wurde unruhig, in diesem Moment ärgerte ich mich, sie ins Haus geholt zu haben. Aber ich hatte ja Johanna. Helmut, der bis dahin ruhig geblieben war, sagte: »Sie wollte uns beiden eine Freude machen.« Sie ging auf ihn los, beschimpfte ihn, er wäre gegen sie. Es folgten weitere Sätze, in denen alle anderen Eingeheirateten beschimpft wurden. Noch bevor sie mit ihren Anschuldigungen fertig war, ging ich die Treppe hinunter. Sie musste meine Schritte gehört haben, denn plötzlich wurde es still. Mit lauter Stimme sagte ich: »Bis später!«, und verließ das Haus. In der Praxis erzählte ich Martin, was vorgefallen war. Er meinte, dass es besser sei, sich dazu nicht zu äußern. Diese Frau durfte schimpfen, beschimpfen und verfluchen.
Natürlich hätte ich sie nicht mehr wegen ihrer bösen Worte angesprochen, um einen Streit zu vermeiden. Aber es war die gewohnte Situation. Während sie andere Menschen oft auf das Übelste beschimpfte und verfluchte, saß jeder da, ohne sich dazu zu äußern oder ihr die Grenzen aufzuweisen. Weil niemand mit ihr streiten wollte, ging ihr jeder aus dem Weg und musste ihre lächerlichen Äußerungen über sich ergehen lassen.
Martin und ich hatten auf eine schöne Zeit mit seinen Eltern in Fatima gehofft. Im Stillen dachte ich, dass seiner Mutter diese Wallfahrt guttun würde und sie für sich etwas Positives mitnehmen könnte. Ich hätte jedoch nie gedacht, dass dieser Ort in ihr noch mehr Wut und Hass aufkeimen lassen würde. Bereits in Fatima bedauerte ich es, sie mitgenommen zu haben.
Beide blieben noch zwei Tage bei uns, dann fuhr Martin sie nach Hause. In dieser Zeit sprach Sabina kaum ein Wort mit uns. Sie spielte die Beleidigte. In solchen Situationen forderten mein Mann oder sein Vater mich auf, mich bei ihr zu entschuldigen. Unklug, wie ich war, tat ich es, obwohl es mir kein einziges Mal leidtat. Erst später erfuhr ich, dass meine gespielte Unterwürfigkeit meine Schwiegermutter in ihrem diabolischen Vorhaben stärkte, mich jedoch krank machte. Damals erkannte ich, dass es anmaßend und ein völliger Fehlgriff war, einen Menschen, der mit dem Teufel im Bunde war, wieder auf den richtigen Weg bringen zu wollen. Ein Mensch, der nicht die Fähigkeit dazu besaß wie Johanna, sollte die Finger davon lassen, den Teufel zu besiegen. Dieses Wagnis kann jedem, der sich dem Teufel in den Weg stellt, das Leben kosten. Heute weiß ich, dass unser Vorhaben auch für mich sehr gefährlich war.
An diesem Tag blieb ich bis zum späten Nachmittag in der Arztpraxis. Unsere Kinder hatten Ferien, auch Andrea, die mittlerweile ein Vorschulkind war. Danach fuhr ich nach Hause. Mein Schwiegervater spielte mit Andrea und Alexander im Garten. Weil alle hungrig waren, machte ich mich daran, das Mittagessen aufzuwärmen. Die ganze Zeit war meine Schwiegermutter im Gästezimmer. Als sie mich hörte, kam sie aus ihrem Versteck. Auch die anderen kamen. Alle standen um mich herum. Sie beklagten sich, nichts zu essen zu bekommen. Es lief wie so oft auf einen Streit hinaus. Daraufhin sagte ich, ich wäre nicht ihre Bedienstete. Wir lieferten uns ein Wortgefecht, und dieses Mal hatte ich nicht vor, nachzugeben. Ich war froh, dass wenigstens Helmut sich um seine Enkelkinder gesorgt hatte. Sabina setzte sich mit ihrem diabolischen Gesicht auf die Terrasse. Andrea fragte mich, warum Oma so böse sei und sie sich mit ihnen nicht so nett unterhalten würde wie Opa. Ich antwortete, dass sie nach der langen Reise wahrscheinlich sehr erschöpft und deshalb nicht besonders unterhaltsam sei.
Ich war sehr erleichtert, als Martin seine Eltern an diesem Wochenende nach Hause fuhr. Am Abend vor ihrer Abreise fuhr Sabina mit ihm in die Praxis. Sein Vater blieb mit uns zu Hause. Martin meinte, dass seine Mutter den Wunsch geäußert hätte, noch vor ihrer Abreise unsere Arztpraxis zu sehen. Die Besichtigung dauerte drei Stunden. Als sie zurückkamen, war Martins Mutter völlig verändert, nicht nur ihr Gesicht, sondern auch sie selbst. Ich spürte, dass ihre Gedanken sehr weit entfernt waren. Es schien, als ob sie sehr erschöpft sei. Sie ging sofort auf ihr Zimmer. Als ich Martin fragte, ob irgendetwas vorgefallen sei, lachte er und sagte: »Was soll das? Sie ist doch bloß müde!« Später wurde mir klar, dass auch er in die Rituale seiner Mutter eingeweiht war.
An diesem Abend vollzog meine Schwiegermutter zusammen mit Martin ein Ritual in der Arztpraxis. Es bestand aus einer ihrer Anbetungen. Sie rief ihn mit der Bitte herbei, die Praxis mit Patienten zu füllen. Martin sollte den Menschen das Gefühl geben, ein guter Arzt und Mensch zu sein. Obwohl unsere Arztpraxis bereits viele Patienten hatte, wurde sie in den nächsten Wochen förmlich von ihnen überschwemmt. Es meldeten sich immer wieder neue Patienten an. Sie kamen von überall her. Irgendwann konnte Martin die Arbeit nicht mehr bewältigen, und so stellten wir einen Assistenzarzt ein. Das Ritual wurde von Martin und seiner Mutter in den nächsten Jahren mehrmals durchgeführt.
Als ich Johanna später fragte, woraus es bestand und wie es vollzogen wurde, antwortete sie, dass sogar der Gedanke daran für mich eine Gefahr darstellen würde und ich nie versuchen sollte, es in Erfahrung zu bringen.
Zwei Wochen nach ihrer Abfahrt kam Martins Bruder Piotr mit Familie zu uns. Kamila spielte wie gewöhnlich die große Dame. Mir fiel auf, dass Martin sich sehr gut mit ihr verstand. Damals fragte ich mich, ob nicht mehr dahintersteckte als nur ein gegenseitiges gutes Verstehen. Es war bemerkenswert, wie zuvorkommend er gegenüber Kamila war. Es verletzte mich, wie sehr er darauf bedacht war, ihr zu zeigen, dass er sich nichts aus mir machte. Andauernd versuchte er, mich herumzukommandieren. Einmal wollte Kamila aufstehen und mir beim Abräumen helfen. Da bat er sie, sich wieder zu setzen, indem er sagte: »Anna wird es schon selbst schaffen, schließlich seid ihr unsere Gäste.« Als mir kurze Zeit später Martin in einem Befehlston sagte, ich solle einige Flaschen Bier bringen, antwortete ich ihm: »Ich trinke kein Bier, hol sie dir selbst.« Er warf mir einen Blick zu, der mich erschaudern ließ. Seine Augen wurden dunkel, fast diabolisch wie die seiner Mutter.
Oft war er sehr verändert, sowohl im Wesen als auch im Aussehen. Früher hatte ich Angst vor seinem Zorn und seinen Gemeinheiten gehabt. Jetzt stellte ich mir des Öfteren die Frage, mit wem ich zusammenleben würde. War es wirklich mein Mann?