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Beschreibung

Der Krieg in der Ukraine evoziert binäre Deutungsstrategien, die in Schwarz/Weiß- bzw. Gut/Schlecht-Zuweisungen münden. Vor allem die ›westlich‹ orientierten Länder betrachten ihr Wertesystem als angegriffen. Auch wenn sie offiziell nicht Kriegspartei sein wollen, de facto sind sie es: Sie haben den Krieg zu ihrer Sache gemacht. Die Ziele der ehemals betriebenen Entspannungs- und Friedenspolitik lösen sich in einer weitreichenden ›Zeitenwende‹ auf. Doch kritische Analysen zu diesem Krieg und dem diesbezüglich herrschenden Diskurs sind bisher wenig präsent und vielfach unerwünscht. Mit dieser Problematik setzt sich der jüngste Band des "Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung" (DISS) kritisch auseinander: Die Beiträge unterschiedlicher Provenienz analysieren den Einmarsch Russlands in die Ukraine vor dem Hintergrund hegemonialer Weltordnungspositionen und untersuchen, inwieweit er tatsächlich als weltpolitische Zäsur gesehen werden muss. Neben der Rolle und Verantwortlichkeit der drei Kriegsparteien wird nicht zuletzt vor dem Hintergrund des eskalierenden Konkurrenzkampfes zwischen den USA und China darüber hinaus untersucht, welche Rolle China im Ukraine-Krieg einnimmt und wie sie von westlicher Politik und westlichen Medien gedeutet wird.

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Seitenzahl: 348

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Wolfgang Kastrup | Helmut Kellershohn (Hg.)

Der Krieg in der Ukraine

Weltordnungskrieg und »Zeitenwende«

Die Edition DISS wird im Auftrag des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung herausgegeben von Gabriele Cleve, Margarete Jäger, Wolfgang Kastrup, Helmut Kellershohn, Anna-Maria Meyer, Benno Nothardt, Jobst Paul und Regina Wamper.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

Wolfgang Kastrup | Helmut Kellershohn (Hg.):

Der Krieg in der Ukraine

Edition DISS Bd. 52

1. Auflage, November 2023

eBook UNRAST Verlag, Februar 2024

ISBN 978-3-95405-185-4

© UNRAST Verlag, Münster

www.unrast-verlag.de | [email protected]

Mitglied in der assoziation Linker Verlage (aLiVe)

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: Unrast Verlag, Münster

Satz: Unrast Verlag, Münster

Inhalt

Wolfgang Kastrup / Helmut KellershohnEinleitung der Herausgeber

Jürgen Link»ZeitenWende« heißt Große Denormalisierung: Wenn die aber nicht mehr flexibel-normalistisch gemanagt werden kann?

Wolfgang KastrupWeltordnungskrieg in der Ukraine und der Hegemoniekampf zwischen USA und China

Uwe HoeringDer Aufstieg des Globalen Südens in die erste Liga

Lene KempeJein zu China. Die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen angesichts des Ukrainekrieges und drohender Blockkonfrontation

Clemens KnoblochDer russische Krieg in der Ukraine in den deutschen Medien

Margarete Jäger / Iris TonksWer Streubomben sät, wird Streubomben ernten

Guido ArnoldWiderstand gegen den Krieg – nicht-militärische Resistenzen

Helmut KellershohnIm Widerstreit der Positionen. Die Haltung der AfD und neurechter »Vordenker« zum Ukrainekrieg

Autorinnen und Autoren

Anmerkungen

Wolfgang Kastrup / Helmut Kellershohn

Einleitung der Herausgeber

Seit dem 24. Februar 2022 führt Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf dem Territorium der Ukraine. Für die Politik und die massenmediale Öffentlichkeit steht damit fest: Der Täter ist Russland, das Opfer die Ukraine. Insbesondere die Bezeichnung Angriffskrieg weckt eindeutige Assoziationen, wer in diesem Krieg das Gute und wer das Böse verkörpert. Die entsprechenden Narrative bestimmen das Denken und Sprechen, und wer sie nicht teilt, macht sich verdächtig, Russlands Position einzunehmen und seine Kriegsverbrechen zu rechtfertigen.

Im vorliegenden Buch wollen wir uns diesem Muster entziehen und fragen stattdessen nach Erklärungen für diesen Krieg, nach Gründen für den Angriffskrieg, nach der Vorgeschichte des Krieges, aber auch nach geopolitischen Tendenzen, die über den Krieg hinausweisen. Wir wollen untersuchen, welche Rolle die drei beteiligten Kriegsparteien einnehmen: Russland als Angreifer mit dem Überfall auf die Ukraine, die Ukraine, die um ihre nationale Souveränität ringt und deren militärische Macht auf der des Westens beruht, und drittens die NATO mit der Führungsmacht USA, die an erster Stelle die Ukraine militärisch, politisch, ökonomisch und humanitär unterstützen und die Chance sehen, ihre weltpolitische Rolle im Sinne eines »Supermachtmonopols« (Jürgen Link in diesem Buch) auszubauen.

Offiziell wollen die westlichen Länder aus verständlichen Gründen keine Kriegsparteien sein, de facto sind sie es aber. Sie haben den Krieg zu ihrer Sache gemacht, weil sie den Anspruch Russlands, den Verlust des Sowjetimperiums ein Stück weit wieder rückgängig zu machen, nicht akzeptieren und die Gunst der Stunde nutzen wollen, um das Gebiet der EU und der NATO weiter auszudehnen. Insofern ist der Krieg nicht nur ein Kampf um die nationale Souveränität der Ukraine, sondern auch ein Weltordnungskrieg, in dem die Gewichte zwischen den indirekt oder direkt beteiligten Mächten (darunter auch Deutschland und die EU) neu verteilt werden (s. dazu den Beitrag von Wolfgang Kastrup).

Alle drei Kriegsparteien verfolgen eine Eskalation des Tötens oder nehmen sie in Kauf, die mit einem unendlichen Leid für die ukrainische Zivilbevölkerung und der Zerstörung und Verwüstung der Ukraine einhergeht. Mit dem Vorherrschen der Kriegslogik werden Forderungen nach diplomatischen Verhandlungen desavouiert und geraten in einen Rechtfertigungszwang. Dies zeigt sich vor allem auch in Deutschland, das in bedeutender Weise politisch, militärisch, ökonomisch und humanitär von diesem Krieg betroffen und intensiv involviert ist. Aufgrund der westlichen Sanktionen (»Wirtschaftskrieg«) gegen Russland musste besonders in Deutschland die gesamte Energieversorgung umgestellt werden, was zu einem massiven Anstieg der Energiepreise geführt hat, den im Besonderen die Bevölkerung und die energieintensiven Unternehmen zu spüren bekommen und der als Nebeneffekt die Akzeptanz der Klimapolitik in der Bevölkerung schmälert.

Wenn wir wie viele andere von einem Weltordnungskrieg sprechen, muss sich der Blick weiten auf den vielschichtigen Konflikt zwischen China und den USA um eine unipolare oder multipolare Weltordnung. Deren Beziehungen mit Russland und Europa sind für die aktuellen geopolitischen Diskussionen und Frontstellungen von großer Relevanz. Eine neue Blockbildung der G7-Staaten gegenüber Russland und China zeichnet sich ab. Wobei China als politischer und ökonomischer Systemkonkurrent für die USA von besonderer Bedeutung und Herausforderung ist. Es muss geprüft werden, inwieweit der Krieg in der Ukraine als »Generalprobe« (Uwe Hoering) oder als »Katalysator« für eine drohende militärische Auseinandersetzung in der Asien-Pazifik-Region gesehen werden kann. Die immense Aufrüstung in diesem Raum steigert jedenfalls die Kriegsgefahr. Für die ökonomische Seite des Konflikts steht die Rede vom »Great Decoupling«, die eine wirtschaftliche Abkopplung der westlichen Länder von dem neuen Ostblock propagiert, in dem China die hegemoniale Rolle einnimmt. Moderater wird mittlerweile von einer De-Risking-Strategie gesprochen (z.B. von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen), mit der der Westen sich von China wirtschaftlich unabhängiger machen will, ohne den wirtschaftlichen Austausch insgesamt zu gefährden. Gleichwohl scheint auch dieses Konzept einen Wirtschaftskrieg gegen China unter Umständen in Kauf nehmen zu wollen. Angesichts der Bedeutung Chinas für die deutsche Wirtschaft versetzen die Ungewissheiten und Unwägbarkeiten der Lage die Unternehmen hierzulande in helle Aufregung (s. dazu den Beitrag von Lene Kempe).

Ein wichtiger Faktor in dieser drohenden Blockkonfrontation könnte der »Globale Süden« werden. Seine Rolle in der weltpolitischen Neuordnung war im transatlantischen Diskurs bislang eher unterbelichtet. Seine wachsende Bedeutung, politisch wie wirtschaftlich, und seine Positionierung könnten mit dazu beitragen, ob in Zukunft eine neue Blockkonfrontation sich herauskristallisiert oder eine gerechtere multipolare Weltordnung zumindest ansatzweise eine Chance hat (s. dazu den Beitrag von Uwe Hoering).

Ein weiterer Aspekt, der mit dem Krieg in der Ukraine im Zusammenhang gesehen werden muss, allerdings weitgehend medial bewusst nicht benannt wird, ist, dass dieser Krieg Anstrengungen zur Verhinderung einer Klimakatastrophe massiv in Frage stellt. Wie überhaupt Kriege und Militärmanöver, wobei letztere in zunehmender Anzahl nicht nur im Indopazifik stattfinden, in ihrer Klimabilanz extrem negativ sind. Weitere Beispiele sind der äußerst kostspielige Import von Fracking-Gas, in der Vergangenheit ein absolutes »no go« und klimapolitisch ebenso desaströs wie der Kohleimport aus Kolumbien. Ökologische und politische Werte werden einer Nützlichkeitsbetrachtung untergeordnet, um sie dann wieder hervorzuholen, wenn sie als politische Waffen gegen unliebsame Länder ihren Einsatz und Nutzen finden.

Da in den politischen Debatten und weitgehend auch in der Medienlandschaft ein binärer Reduktionismus vorherrscht, der ein Denken im Modus von Gut und Böse befördert, wird es wichtig sein, den Raum des Sag- und Sichtbaren von seinen Tabuisierungen und Restringierungen zu befreien (s. dazu die Beiträge von Jürgen Link, Margret Jäger, Iris Tonks und Clemens Knobloch). Dazu gehört auch die Forderung nach einem Waffenstillstand, die bisher mit Zuschreibungen wie »Lumpenpazifismus« diskreditiert wurde. Auf der Basis dieses binären Reduktionismus, der den Mediendiskurs bestimmt und begrenzt, werden Abweichungen von den vorherrschenden offiziellen Deutungsmustern auf die Feindseite platziert (»Putinversteher«, »Unterwerfungspazifismus« oder »fünfte Kolonne Putins«), um diese dann zu isolieren und politisch zu desavouieren. Beispiele dafür sind die geduldeten Provokationen des ehemaligen ukrainischen Botschafters in Deutschland Melnyk, aber auch die sich aufschaukelnden Forderungskataloge nach immer mehr und effizienteren Waffenlieferungen an die Ukraine. Auch die vielen Debatten in Talkshows können für einen solchen Bellizismus herangezogen werden, wo die moralische Rechtfertigung der westlichen bzw. der deutschen Unterstützung für die Ukraine gegen das »Böse« in Gestalt Russlands und des Präsidenten Putin vorherrscht. Mit der vorherrschenden moralischen Bewertung des Ukrainekrieges wird mit der Fokussierung auf die Schuldfrage diese zugleich entschieden. Differenzierte und abweichende Positionen zum Krieg und zu den Waffenlieferungen werden oftmals mit Begriffen wie ›Eskalationsphobie‹ und ›Friedensmeute‹ belegt. Die von Bundeskanzler Scholz ausgerufene ›Zeitenwende‹ verkörpert nicht nur eine militärische Aufrüstung, sondern auch eine diskursive.

Die fundamentale Ablehnung der Kriegslogik, pazifistisch motiviert und in der Tradition des Antimilitarismus stehend, wird der Naivität gescholten oder einfach belächelt. Es gibt die nicht-militärischen Widerstände auch in diesem Krieg, die darauf abzielen, den Krieg zu blockieren, zu sabotieren und zu desertieren. In Russland, in Belarus und auch in der Ukraine. Auch damit befasst sich ein Beitrag in diesem Buch; ein Thema, das so gar nicht in der Berichterstattung präsent ist. Die in Weißrussland präsente, breite Kriegsablehnung halten die Präsidenten Lukaschenko und Putin bisher davon ab, so die These Guido Arnolds, dass die belarussische Armee sich aktiv an der Seite von Russland an den Kampfhandlungen beteiligt.

Der abschließende Beitrag wendet sich einem speziellen Thema der deutschen Innenpolitik zu. Der neuerliche Aufschwung der AfD, ablesbar an den Umfrageergebnissen, hat zwar primär mit der aktuellen Migrationskrise zu tun, einen gewichtigen Anteil haben aber auch der Ukrainekrieg und die damit verbundene Wahrnehmung der Energie- und Klimapolitik. Der Ukrainekrieg ist auch für die AfD und ihre »Vordenker« in der Neuen Rechten ein Weltordnungskrieg, in dem die geostrategischen Interessen der USA und Russlands aufeinanderstoßen und der zugleich als Signal für einen Umbruch zu einer multipolaren Weltordnung interpretiert wird. Trotz interner Streitigkeiten um den einzuschlagenden Pfad gilt ihre Hauptsorge der Rekonstruktion der Großmachtrolle Deutschlands in einem neuen »Europa der Nationen« als relevantem Akteur im Ringen um die neue Weltordnung (s. dazu den Beitrag von Helmut Kellershohn).

Zusammenfassung der Beiträge

1. Jürgen Link untersucht den Krieg in der Ukraine vor dem Hintergrund von drei miteinander verkoppelten Tendenzen: Die erste sieht er im Great Decoupling, d.h. in der wirtschaftlichen Abkopplung des Westblocks von einem neuen Ost-Block, in dem China die Hegemonie einnimmt. Daraus resultiert die zweite, nämlich das Bemühen der USA, ihr »Supermachtmonopol« militärisch und politisch zu festigen und auszuweiten, was im Widerspruch zu einer »multipluralen Weltordnung« stünde. Schließlich trägt der Krieg in der Ukraine – dritte Tendenz – massiv dazu bei, die Anstrengungen zur Verhinderung einer Klimakatastrophe zunichte zu machen. Angesichts dieses Tableaus stellt sich den derzeitigen Entscheidungsträger:innen in Politik, Militär und Wirtschaft das Problem, wie die ihm immanenten Krisenprozesse reguliert werden können. Die von Bundeskanzler Scholz ausgerufene »Zeitenwende« lässt, so Link weiter, zweifeln, ob in Zukunft das bislang dominante flexibel-normalistische Modell noch weiterexistieren kann oder ob der Wechsel zu einem »upgedateten« Protonormalismus bevorsteht. Festzuhalten ist, dass die Debatten um den Krieg in der Ukraine durchgängig binaristisch strukturiert sind. Aus diskurstaktischer Sicht ist es deshalb notwendig, sich aus diesem vom binären Reduktionismus tabuisierten Raum des Sag- und Sichtbaren zwischen den Polen zu befreien. Die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand ist hier zentral. Je früher dieser erreicht wird, umso größere Chancen bestehen, ein Umkippen des flexiblen-normalistischen Regulationsregime in eine neue Spielart von Protonormalismus zu vermeiden.

2. Der Beitrag von Wolfgang Kastrup »Weltordnungskrieg in der Ukraine und der Hegemoniekampf zwischen USA und China« beschäftigt sich zunächst, bezüglich des Ukraine-Kriegs, mit der Zweischneidigkeit völkerrechtlicher Argumente, dann, im nächsten Schritt, mit der Rolle und den Interessen der drei beteiligten Kriegsparteien: Russland als Angreifer mit dem Überfall auf die Ukraine, der sogenannten »militärischen Spezialoperation«, der angegriffene Staat der Ukraine, dessen militärische Macht auf der des Westens beruht, hier besonders der der USA, aber auch anderer NATO-Staaten, und drittens die westlichen Länder, d.h. die USA, die weiteren NATO-Länder und die EU, die militärisch, finanziell und politisch die Ukraine unterstützen und ohne deren Hilfe diese Staatsmacht keinen Krieg führen könnte und nicht überleben würde. Weitere Untersuchungsgegenstände sind zum einen der »Wirtschaftskrieg« des Westens gegen Russland, der auf die Zerstörung der ökonomischen Grundlagen und damit der russischen Staatsmacht zielt, aber auch so nicht geplante eigene Kosten für Unternehmen wie private Haushalte beinhaltet; zum anderen die dominant kriegerische Rhetorik in der hiesigen öffentlichen Meinung, die einem Überbietungswettbewerb bezüglich der Notwendigkeit von Waffenlieferungen ähnelt. Abschließend setzt sich der Beitrag, vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges, mit dem zunehmenden Konflikt zwischen China und den USA um eine unipolare oder multipolare Weltordnung auseinander und untersucht die verschiedenen Aspekte einer sich anbahnenden »Systemkonkurrenz« und »Blockkonfrontation«.

3. Daran anschließend widmet sich der Beitrag von Uwe Hoering dem vielschichtigen Konflikt zwischen China und den USA im Beziehungsfeld zu Russland und Europa, der zunehmend die aktuellen geopolitischen Diskussionen und Frontstellungen bestimmt. Der Ukraine-Krieg fungiert dabei als eine ›Generalprobe‹ für eine drohende militärische Konfrontation in der Asien-Pazifik-Region. Insbesondere im transatlantischen Diskurs wird dabei häufig, darauf fokussiert sich im Weiteren der Beitrag von Hoering, die Schlüsselstellung des ›Globalen Südens‹ in dieser hegemonialen Neuordnung ausgeblendet. Doch von dessen Positionierung wird es abhängen, ob der Konflikt zu einer Wiederauflage einer bipolaren Blockkonfrontation wie im Kalten Krieg eskaliert oder ob die Kontrahenten ihre hegemonialen Ansprüche in eine neue, gleichberechtigtere oder gar gerechtere multipolare Weltordnung einordnen.

4. Der Beitrag Lene Kempes geht speziell auf die deutsch-chinesischen Beziehungen ein und hier primär auf die durch den Ukrainekrieg und die drohende Blockkonfrontation prekär gewordenen Wirtschaftsbeziehungen. Bekanntlich haben deutsche Unternehmen seit Jahrzehnten profitable Geschäfte in China gemacht. Spätestens seit dem Ausbruch des Krieges und der Annährung der Volksrepublik an den Aggressor Russland stehen Unternehmen wie VW, BASF oder Siemens jedoch im Brennpunkt einer Debatte, die danach fragt, wieviel Abhängigkeit von China in Zeiten zunehmender Systemkonkurrenz noch vertretbar ist. Die Bundesregierung hat mit ihrer »China-Strategie« jüngst versucht, eine Antwort darauf zu finden. Die Betonung zunehmender politischer Distanz einerseits, die Forderung nach weiteren Marktöffnungen für deutsche Unternehmen in China andererseits sowie die Reorganisation von Lieferketten mit Fokus auf andere Weltregionen sind Elemente eines Konzepts, mit dem intendiert wird, unterschiedliche Interessenlagen wirtschaftlicher und politischer Provenienz zu vereinbaren.

5. In einem pointiert geschriebenen Beitrag analysiert Clemens Knobloch den Umgang deutscher Medien mit dem russischen Krieg in der Ukraine und den dort vorherrschenden »binären Reduktionismus«. Er versteht die Prinzipien der Kriegspropaganda nach Anne Morelli als anschauliches Beispiel und vergleicht diese mit der Berichterstattung bzw. dem Diskurs in deutschen Medien. Der binäre Reduktionismus als Deutungsmuster bedient sich der Konstruktion eines »Tatsachen-Gerüsts«, welches den Diskurs bestimmt und begrenzt. Dazu gehört, dass Abweichungen von der offiziellen Deutungslinie den Abweichenden auf die Feindseite platzieren und zur mediopolitischen Isolation führen. Umgekehrt können die Hauptakteure der eigenen Seite den Diskurs bestimmen und die anvisierten Gegner dequalifizieren, als Beispiele nennt er die Provokationen Melnyks oder etwa den Debattenverlauf um die Zerstörung der Nord Stream-Pipelines. Deutungs- und Interessendifferenzen zwischen Deutschland, den USA und der Ukraine werden unterdrückt. Als einen weiteren Aspekt nennt Knobloch die nachträgliche Umschreibung der Geschichte, besonders in Bezug auf die NATO-Osterweiterung und die Zeit der Entspannung und Kooperation zwischen Deutschland und Russland. Die Eskalation von Waffenlieferungen an die Ukraine werde nach dem Prinzip des Standortwettbewerbs angetrieben, wenn etwa in der Debatte um Panzerlieferungen zu Beginn des Jahres 2023 auf das Vorbild anderer Staaten verwiesen wird und Deutschland im Rückstand oder isoliert sei. Knobloch vergleicht dann den heutigen Diskurs mit dem im Jahre 2014, in dem es deutlich differenziertere Positionen zu der Lage in der Ukraine gegeben habe. Abschließend analysiert Knobloch drei in den Medien neu geprägte Begriffe wie »Eskalationsphobie«, »Friedensmeute« und »Lumpenpazifismus«, die gegen »Abweichler« eingesetzt werden, und sog. Kontaminationsbegriffe, die im Diskurs genutzt werden, um diese »Abweichler« zu isolieren und zu stigmatisieren.

6. Auch der Beitrag von Margarete Jäger und Iris Tonks beschäftigt sich mit der Entwicklung des mediopolitischen Diskurses seit Beginn des Krieges in der Ukraine im Februar 2022 bis Juli 2023. Es wird herausgearbeitet, dass dieser durchgängig von einer binaristischen Struktur geprägt ist. Das Denken in Gut-Böse-Strukturen lässt keine Zwischentöne zu und führt im Resultat nicht nur zu einer militärischen, sondern darüber hinaus auch zu einer diskursiven Aufrüstung.

7. Auf einen weiteren wichtigen Aspekt des mediopolitischen Diskurses geht Guido Arnold in seinem Artikel ein. Seit der ›Zeitenwende‹ in Deutschland wird sie vielfach belächelt und als ›aus der Zeit gefallen‹ diskreditiert: eine fundamentale Ablehnung (der Logik) des Krieges, ob pazifistisch motiviert oder aus einem (militanten) Antimilitarismus heraus. Eine grundsätzliche Kriegsopposition, die sich nicht einzwängen lässt zwischen einem ›unbedingt siegen müssen‹ und ›keinesfalls verlieren dürfen‹, steht für die konsequente Zurückweisung einer nun entfesselten Militarisierung Europas.

Es gibt sie dennoch, die nicht-militärischen Widerstände, die darauf abzielen, Kriege zu blockieren, zu sabotieren und zu desertieren. Es gibt sie in Russland, in Belarus und auch in der Ukraine. In Belarus bestimmen sie sogar maßgeblich das Kriegsgeschehen – nicht, weil sie im Sinne eines Partisanenkampfes eine unüberwindbare, quasi-militärische Stärke entwickeln, sondern, weil sie manifeste Risse einer ohnehin angeschlagenen ›Gefolgschaft‹ gegenüber dem Lukaschenko-Regime darstellen und eine brüchige ›Heimatfront‹ glaubhaft zersetzen. Die in Weißrussland breit getragene Kriegsablehnung, so die These von Arnold, hält Putin und Lukaschenko (immer noch) von einer aktiven Beteiligung der belarussischen Armee an direkten Kampfhandlungen ab.

8. Einen Blick auf ein spezielles und brisantes innenpolitisches Thema wirft abschließend Helmut Kellershohn: Der Ukrainekrieg ist auch für die AfD ein Weltordnungskrieg, in dem die geostrategischen Interessen der USA und Russlands aufeinanderstoßen und der zugleich als Signal für einen Umbruch zu einer neuen multipolaren Ordnung interpretiert wird. Der Beitrag untersucht erstens das Spektrum der Positionierungen zum Ukrainekrieg innerhalb der AfD und der mit ihr eng verbundenen Neuen Rechten, die sich zunächst seit Beginn des Krieges um solche Fragen wie dessen Völkerrechtswidrigkeit, die Sanktionspolitik des Westens und die Waffenlieferungen drehten und dabei – unter dem Stichwort »Friedenspartei« und »Heißer Herbst« – die Massenwirksamkeit der hier mühsam errungenen und – im Zeitverlauf – immer wieder hinterfragten Kompromisse im Auge hatten. Verdichten lassen sich die Debatten zweitens zu zwei außenpolitischen Konzeptionen: Höckes Kriegsrede in Gera markiert mit ihrer »Ostorientierung« eine dezidiert prorussische Position und mit ihrem Rückgriff auf Carl Schmitts Großraum-Konzept eine klar gegen die USA und die NATO gerichtete Außen- und Sicherheitspolitik, während die Junge Freiheit (bzw. Dieter Stein) für eine konsequente Umsetzung der »Zeitenwende« im Rahmen des NATO-Bündnisses plädiert. Drittens zeigt das neue Europawahlprogramm der AfD eine fortschreitende »Höckerisierung« der Außen- und Sicherheitspolitik, aber auch den Versuch einer Kompromissbildung. Im Kampf zweier Linien ist man sich einig, dass das »wahre Europa« (Höcke) auf der Wiedergeburt des »deutschen Riesen« (Stein) aufbauen sollte.

Duisburg, im September 2023

Jürgen Link

»ZeitenWende« heißt Große Denormalisierung: Wenn die aber nicht mehr flexibel-normalistisch gemanagt werden kann?

Je länger der Ukrainekrieg dauert,[1] je mehr er eskaliert und je ungewisser die militärische Gesamtlage erscheint, umso weniger aussagekräftig sind die notorisch gegensätzlich gedeuteten täglichen Ereignisse an der Front und umso mehr ist die Analyse auf die strukturellen und mittel- bis langdauernden Tendenzen verwiesen. Ob die große Gegenoffensive der Ukraine im Sommer 2023 den geplanten Durchbruch der russischen Linien in Richtung Krim und damit einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zum Sieg der Ukraine und der NATO bringen wird, darüber gehen die offenen Ratespiele der »Experten« und sicher auch die geheimen Kalküle der Dienste und der Entscheider aufgrund ihrer Datenlagen in diesem Juli 2023 erheblich auseinander. Eine Beteiligung an solchen Spekulationen ist mangels belastbarer offen zugänglicher Daten (und sei es auch nur der Verluste beider Seiten und der Kill-Rate) sinnlos. Also bleibt für eine zivilgesellschaftlich-dissidente Betrachtungsweise die Analyse auf Basis der strukturellen und mittel- bis langdauernden Tendenzen. Von Anfang an zeichnete sich dabei ein strukturelles Dreieck aus drei gekoppelten basalen Tendenzen ab, die zunächst noch einmal in Erinnerung gerufen werden sollen: (1.) Great Decoupling, (2.) Behauptung und Stärkung des Supermachtmonopols der USA (›PNAC-NATO‹) und (3.) Normalisierung der drohenden globalen Klimakatastrophe.

Die wirtschaftlichen, politischen und militärischen Entscheidungseliten, also die kollektiven historischen Subjekte der ZeitenWende, denken und handeln zum einen spezialistisch (auf der Basis teilautonomer Reproduktionszyklen: Wirtschaft, Politik, Militär usw., bzw. – in Luhmanns Terminologie – autonomer Teilsysteme), zum anderen normalistisch (auf der Basis von Massendaten, die sowohl zur Analyse aller Zyklen und ihrer Kopplungen wie zu deren Regulierung als »Normalisierung« nach Maßgabe einer normalistischen ›Kurvenlandschaft‹ dienen). Diese normalistische Regulierung hat sich historisch gesehen in der (idealtypischen) Polarität zweier gegensätzlicher Regime entwickelt: zunächst eines ›disziplinarischen‹ und ›autoritären‹ Protonormalismus und, seit etwa 1945 (im Westen), eines ›permissiven‹ und ›pluralistischen‹ flexiblen Normalismus. Diesen Polen entsprechen gegensätzliche Kurvenlandschaften (Enge gegen Breite der Normalspektren und der Platzierung von Normalitätsgrenzen[2]). Das Pathos einer epochalen ZeitenWende durch den Ukrainekrieg wirft also die Frage auf, ob damit ein neuerlicher epochaler Wechsel des normalistischen Regimes weg vom flexiblen Normalismus und hin zu einem (sicherlich neuartigen, ›upgedateten‹) Protonormalismus impliziert sein wird. Auf was für ein normalistisches Regime müssen wir vorbereitet sein? Davon werden wesentliche Tendenzen in Wirtschaft, Politik, Militär und anderen Zyklen abhängen. Diese Frage soll im zweiten Teil der Überlegungen im Mittelpunkt stehen.

I. Der Grad der Eskalation ist also im Sommer 2023, nach eineinhalb Jahren, durch einen auf beiden Seiten fürchterlich verlustreichen Abnutzungskrieg vom Verdun-Typ als Vorbereitung einer ukrainischen Großoffensive in Richtung Saporischschja, Melitopol, Krim[3] auf dem Schlachtfeld und im westlichen ›Hinterland‹ durch wirtschaftliche Sorgen von epochalem Ausmaß gekennzeichnet. Schlimmer als die mediogenen Blackouts sind die anhaltenden täglichen Massaker am »Menschenmaterial«, aber gerade auch am Klima. Wie Wolfgang Ischinger, heute strammer Bellizist, vor gar nicht langer Zeit zutreffend feststellte: »Ein großer Krieg, und die gesamten Klimaziele, die wir haben, können Sie alle einstampfen.«[4] Er hat damit nicht nur über sich selbst, sondern insbesondere über alle Grünen Bellizistinnen das Urteil gesprochen. Denn jeder Tag dieses Krieges bringt auch die Klimakatastrophe rasch näher, so dass die schiere Länge des Krieges ein fundamentales Problem darstellt, das nicht mit Verweis darauf vom Tisch gewischt werden kann, dass Putin ihn zweifellos völkerrechtswidrig angefangen hat.[5] Was die humanen Verluste angeht, so fehlen natürlich verlässliche Zahlen. Sicher ist nur, dass sie auf beiden Seiten entsetzlich sind. Am 11. November 2022 bezifferte der Generalstabschef der USA Mark Milley die Gesamtverluste an Toten und Verwundeten beider Seiten auf etwa je 100.000, inzwischen dürften sich die Opfer mindestens etwa verdoppelt haben.

Auch die im weiten Sinne juristischen Aspekte des Krieges, die im westlichen mediopolitischen Diskurs dominieren, sind demnach aktualhistorisch eingebettet in eine militärische, wirtschaftliche und diskursive Eskalationslogik, die es daher vor allem zu analysieren gilt. Das wirft das schwierige Problem auf, wie Ereignisgeschichte und Strukturgeschichte integriert zusammenzudenken wären – und das auch noch mitten im aktuellen Prozess. Zum einen wird der Krieg (zunächst vom mediopolitischen Diskurs, dann auch bereits von einem aktualgeschichtlichen Essayismus) als eine Folge von Ereignissen vor und nach dem 24. Februar 2022 erzählt. Ich beschränke mich auf die wichtigsten mit struktureller Eskalationsrelevanz:

Die Verkündigung der »ZeitenWende« durch Kanzler Scholz am 27. Februar 2022 wertete unter dem Stichwort »Sicherheit« das militärische Teilsystem der Gesellschaft enorm auf und flankierte dominante Teilsysteme wie vor allem Wirtschaft (Sanktionen), Politik (Notstandsmaßnahmen), Soziales (Lebensstandard) und Diskurs (Medien) mit militärischen Anforderungen.

Pentagonchef Lloyd Austin bildete am 26. April in Ramstein offiziell die weitgehend geheim operierende (und von Geheimdiensten gemanagte) Ramstein-Koalition der Willigen aus zunächst 40 und dann mehr als 50 (teils unbekannten) Ländern unter Führung der USA und in Koordination mit der NATO.

Gleichzeitig schwenkte die Führung der Ukraine, offensichtlich gedrängt von einer Achse Washington-London, von einer Strategie der von Volksresistenz unterstützten Defensive mit dem Ziel von baldigen Verhandlungen um auf eine Strategie der offensiven hoch professionellen Gegen-Eskalation mit dem Ziel eines SiegFriedens nach Rückeroberung des gesamten Donbass und der Krim (erste Schritte dazu waren die ukrainische Sommer-Gegenoffensive 2022 bei Cherson und Charkow, die Teilsprengung der Krimbrücke am 8. Oktober 2022 und die Ausweitung des Kriegs auf russisches Territorium durch Drohnenschläge).

Am 26. September 2022 wurden in der Nähe von Bornholm, also einem von der NATO kontrollierten Seegebiet, die Pipelines Nordstream 1 und 2 gesprengt. Nachdem zuerst Russland beschuldigt wurde, wurde das »Thema« nach kurzer Zeit vollständig »aus den Schlagzeilen genommen«, was eher für eine von den USA patronierte ›westliche‹ Aktion sprach. Völkerrechtlich handelt es sich in jedem Fall um einen überfallartigen, angriffskriegerischen Akt (den bisher schwerstwiegenden überhaupt) gegen Deutschland. Als am 8. Februar 2023 Seymour Hersh die USA-These auf der Basis eines Whistle Blows detailliert bestätigte, begann seit dem 30. Mai eine Serie kurioser Gegenthesen, bei der ominöse private Ukrainer beschuldigt wurden.

Auf der Gegenseite griff Russland seit dem 17. Oktober 2022 massiv und kontinuierlich (außer der militärischen) die energetische Infrastruktur der Ukraine an, wobei zahlreiche zivile »Kollateralschäden« zu beklagen waren.

Bis zum NATO-Gipfel in Wilna (Juli 2023) lieferten vor allem die USA und Deutschland schwere Waffen mit gesteigertem Eskalationspotential in großen Mengen und die Dienste aller NATO-Länder, vor allem der USA, logistische Daten für die ukrainische Gegenoffensive.

Am 23./24. Juni 2023 versuchte der Führer der russischen Wagner-Miliz mit einem gescheiterten Putsch, Änderungen in der russischen Kriegführung durchzusetzen. Auch weitere Ereignisse scheinen Defizite auf der russischen Seite zu signalisieren (über die Moral auf ukrainischer Seite wird in westlichen Medien nur positiv, aber nicht belastbar berichtet).

Die ukrainische Großoffensive in Richtung Krim begann Anfang September; nach von der russischen Seite nicht bestätigten Informationen soll ein erster Durchbruch der Front erzielt worden sein. Bestätigt wurden dagegen ukrainische Drohnenschläge gegen das Marinehauptquartier in Sewastopol und gegen Kriegsschiffe, was vor allem einen symbolischen Impakt hat. Ein baldiger Sieg der Ukraine zeichnet sich weiter nicht ab, und es herrscht weiter die Tendenz zu einem langen Abnutzungskrieg analog zum Ersten Weltkrieg.

Diese Ereignisse – so war und ist die im Folgenden zu explizierende These – entwickeln sich im Rahmen eines ›Dreiecks‹ aus mittel- und langdauernden strukturellen Tendenzen, die bereits vor Putins Überfall auf die Ukraine virulent waren:

Erstens das sogenannte Great Decoupling, auch Deglobalisierung genannt, d.h. die wirtschaftliche Abkopplung der US-amerikanischen Hegemonialzone, also des Westens oder Westblocks, von einem neuen Ost-Block mit Hegemonie Chinas. Die militärisch begründeten Sanktionen gegen Russland eskalieren also strukturell das Decoupling. Wie schnell und wie radikal auch China sanktioniert werden soll, ist sowohl in den USA wie in Europa umstritten. Während das Decoupling von Russland von der deutschen Wirtschaft erstaunlich ›glatt‹ geschluckt wurde, erlaubte im Fall China die Bockigkeit der großen Techno-Oligopole der USA auch den deutschen Konzernen den offenen Widerstand, so dass der mit großem Pathos angekündigten »China-Strategie« der Zahn gezogen wurde.

Zweitens eine maximalistische Tendenz, das Supermachtmonopol der USA nach dem Kollaps des alten Ostblocks durch NATO und eine Art NATO+ (wie z.B. die Ramstein-Koalition und dann die NATO-Verstärkung in Südost- und Ostasien) militärisch und politisch zu festigen und auszuweiten. All das impliziert eine sehr viel stärkere Führungsrolle der USA als seit Ende des alten Kalten Krieges. Diese maximalistische Tendenz, die in den Entscheidungseliten der USA nicht unumstritten ist, ist am deutlichsten durch das »Project for a New American Century (PNAC)« und seine Nachfolgeinstanzen ausformuliert, sodass sich von einer Tendenz PNAC-NATO sprechen lässt. Das strukturelle Ziel des PNAC ist explizit, das Supermachtmonopol der USA seit dem Kollaps der Sowjetunion zu bewahren und zu stärken, also die Emergenz einer erneuten zweiten Supermacht zu verhindern. Dieses Projekt steht damit in klarem Widerspruch zum Modell einer »multipolaren Weltordnung«. Auf der Ebene der Ereignisse und der personalen Entscheider im Rahmen der Eskalation ist die jetzige US-Vizeaußenministerin Victoria Nuland, die die Verhandlungen zwischen den USA und der Regierung Selenskyj als graue Eminenz leitet, die Ehefrau des Gründers und Masterminds des PNAC, Robert Kagan. Die PNAC-Strategie im Ukrainekrieg erweist sich am deutlichsten im Kriegsziel »Die Ukraine muss siegen« sowie »Russland muss offensivunfähig werden«. Dieses seit Ramstein durchgesetzte Ziel kann also als ›SiegFrieden‹ bezeichnet werden. Im ›Hinterland‹, z. B. in Deutschland, entspricht ihm die Parole »schwere Waffen«.

Drittens schließlich das durch den Ukrainekrieg sehr gestärkte Projekt, die Anstrengungen zur Verhinderung einer Klimakatastrophe (symbolisch um das 1,5 Grad-Ziel der Pariser Klimakonferenz von 2015 herum konstelliert) mit den ersten beiden Tendenzen möglichst eng zu integrieren. Dass dieses Ziel jedoch bis auf weiteres durch die Folgen des Sanktionsregimes ins groteske Gegenteil verkehrt ist, muss nicht ausgeführt werden. »Die Wirtschaft«, also die auf Profitabilität angewiesene kapitalistische Wachstumswirtschaft, fordert nicht bloß Subventionen aus Steuergeldern zum (sehr viel teureren) Ersatz der alten Lieferketten, sondern auch, zur Kompensation ihrer verlorenen Rentabilitäten, also »Wummse« und »Doppelwummse«, denen in den USA konkurrierende (!) »Trippelwummse« entsprechen. All das aber ist ja »Protektionismus« und »Staatseingriff in die Märkte«, ja geradezu »Autarkie« und »Planwirtschaft«! Wir haben es, sollte diese Tendenz wirklich mittel- und langdauernd dominant werden, tatsächlich mit einer Art präventiver Kriegswirtschaft zu tun, die stets mit staatsmonopolistischen Dispositiven einhergeht.

Der Stand des Eskalationsprozesses im Ukrainekrieg lässt sich also im Sommer 2023 etwa so resümieren: Das militärische Teilsystem testet sozusagen die Stufen knapp unterhalb der Atomschwelle aus. Test ist wörtlich zu verstehen: Beide Seiten erproben nicht zuletzt die digitalen Drohnenwaffen der Zukunft. Die USA erstreben dabei nach Möglichkeit ein Monopol der modernsten Waffen. Die westliche SiegFriedens-Strategie testet dabei die russischen »Optionen« unterhalb der nuklearen. Das wirtschaftliche Teilsystem testet den »Wirtschaftskrieg« (Jasper von Altenbockum[6]). Damit wird aber auch das politische System getestet: Jeder Kriegszustand ist gleichzeitig der höchste Grad von Notstand. Äußerer Krieg und inneres Ermächtigungsregime sind reziprok gekoppelt. Alle bisherigen Kriege, auch die von parlamentarisch-repräsentativen Demokratien, wurden notständisch und ermächtigungspolitisch geführt, was die Bildung Großer Notstandskoalitionen der »Mitte« und die weitgehende Suspension demokratischer Verfahren und Rechte zur Folge hatte (zu beobachten derzeit in der Ukraine, falls man sie nicht wie Russland als »autokratisch«, sondern als »demokratisch« einordnen will). Man sollte sich in diesem Kontext an die mit Scholzens »ZeitenWende« parallele ominöse Proklamation Stoltenbergs eines kriegerischen »New Normal« erinnern.[7] Die Corona-Dispositive könnten bereits als Blaupause für notständische Ermächtigungen bei weiterer Eskalation dienen.

Wenn man das Modell des Dreiecks fundamentaler Tendenzen als eine heuristische Hypothese auffassen kann, so lässt sich inzwischen feststellen, dass es durch den bisherigen Verlauf des Ukrainekrieges nicht nur nicht falsifiziert, sondern vielfältig bestätigt wurde. Besonders deutlich ist die Tendenz, das Decoupling auf China auszudehnen. Mit Sicherheitsbedenken werden in den USA und Deutschland chinesische Investitionen gestoppt, vor allem im elektronischen und logistischen Bereich – man möchte am liebsten das Projekt »Neue Seidenstraße« gänzlich verhindern. Das Decoupling von Russland ist bereits so weit realisiert, dass nun schon die noch verbliebenen ›schwarzen Schafe‹ gezielt denunziert und zum Rückzug genötigt werden. Inzwischen kann kein Zweifel mehr bestehen, dass das Decoupling unabhängig von einem eventuellen Kriegsende in der Ukraine auf Dauer gestellt werden soll, was wiederum mit der PNAC-NATO-Tendenz zu einem langdauernden Krieg reziprok optimal zusammenpasst. Schließlich soll das Decoupling, vor allem bei der fossilen Energie, angeblich direkt dem Klimaschutz dienen. Die PNAC-NATO-Tendenz zielt also über den Ukrainekrieg hinaus auf die größtmögliche Expansion eines USA-Blocks gegen einen China-Block. Dabei ist ein militärischer Showdown (»Armageddon«) kaum direkt intendiert, wohl aber eine maximale Überlegenheit in einem umfassenden globalen Rüstungs-, Wirtschafts- und Kulturkrieg, der nach Möglichkeit durch einen Antiraketenzaun eng um den feindlichen Block die nukleare Erstschlagsoption zurückgewinnen soll. Zu diesem PNAC-Konzept gehört eine Rolle der USA als letztinstanzliches Entscheidungs-Subjekt des Westblocks. Diese strukturelle ›Logik‹ wird insbesondere in der deutschen hegemonialen Mediopolitik auf bizarreste Weise verschwiegen. Der »Elefant im Raum« genießt einen Tabuschutz: sowohl beim Frackinggas wie bei den Subventionen für deutsche Investitionen in den USA wie bei der gesamten LNG-Struktur und nicht zuletzt beim skandalösen Desinteresse, die Nordstream-Sprengung aufzuklären.

II. Es lässt sich demnach nun die Ausgangsfrage wieder aufnehmen, ob dieser Kopplungsverbund aus drei großen Tendenzen mit dem bisher dominanten Modell flexibel-normalistischer Regulierung überhaupt noch strukturell kompatibel ist. Diese Frage ist zunächst für jede der drei großen Tendenzen gesondert relevant.

Für den Versuch, das Decoupling nach Möglichkeit flexibel zu handhaben, gibt es inzwischen sogar einen schnell proliferierenden Begriff: De-Risking. Die deutsche »China-Strategie« vom 13. Juli 2023 formuliert explizit: Decoupling nein, De-Risking ja. Das ist erkennbar eine Deckformel für das Eingeständnis, dass es zwei antagonistische Strategien gibt: Die deutsche Filiale der PNAC-NATO-Strategie, am deutlichsten vertreten durch die Grüne Regierungsmannschaft, ist bis auf weiteres blockiert durch die Mehrheit der deutschen Wirtschaft. Auch in dieser blockierten Situation erweist sich aber bereits, dass das Projekt eines robusten Decoupling zur protonormalistischen Form der Regulierung tendiert: Verbote und disziplinäre Kontrolle.

Die Tendenz PNAC-NATO, bis auf weiteres vor allem verkörpert im nach klarem Sieg strebenden Ukrainekrieg, ist wie jeder Krieg von solchem Umfang nur mit gewaltförmigen, also protonormalistisch-disziplinären Regulierungsdispositiven vereinbar. In einem solchen Krieg ist keine Flexibilität zugelassen (etwas anderes sind die spontanen kulturellen Resistenzformen, die jedoch staatlich sanktioniert werden, wo entdeckt). – Auch die Klimarettungspolitik als dritter Faktor tendiert in Richtung disziplinäre protonormalistische Regulierung, wie es etwa die CDU an der Ampel und auch die FDP an ihren Grünen Koalitionspartnern kritisiert.

Wenn sich auch bei der je gesonderten Betrachtung bereits ein klares Übergewicht der protonormalistischen Tendenzen zeigt, so wird schließlich die Richtung der gekoppelten Dreiecksstruktur, die wiederum vor allem von der Länge und Eskalationsdynamik des Krieges abhängt, den Ausschlag geben. ZeitenWende im Sinne von Scholz konnte man so verstehen, dass der militärische Zyklus im Zyklenkombinat mindestens kodominant werden solle. Die PNAC-NATO-Richtung, wiederum am prominentesten vertreten durch das Grüne Führungsduo, buchstabiert das aus als »Wehrhaftigkeit«, d.h. als militärische Färbung aller anderen Zyklen. Populär ist das beileibe nicht, vor allem nicht in den alten und den jüngsten, flexibel-normalistisch sozialisierten Generationen.

Es gibt aber daneben und dagegen auch eine Richtung, die dritte Tendenz (Klimarettung) als ›Krieg‹ zu führen. Diese Tendenz existiert auch als kriegskommunistische Tendenz zur Ökodiktatur (klassisch bei Wolfgang Harich und neuerdings bei Slavoj Zizek). Da der Kommunismus längst zum bis auf Weiteres inexistenten Papiertiger depotenziert ist, wird eine realexistierende Ökodiktatur eine der ›grünen Mitte‹ (verkörpert durch Politiker vom Typ Habeck) sein. Allerdings sind auch von einem solchen Ökoregime Rationierungsmaßnahmen zu erwarten (vor allem auf dem Gebiet der Energie und des Verkehrs, bis hin zur Rationierung des Wassers). Man kann den Krieg als einen Prozess betrachten, in dem das Kopplungsbündel der drei großen Tendenzen gemeinsam in einen Eskalationssturm gerissen wird, wobei die normalistischen Regulierungsdispositive überfordert sind und teils kollabieren. Schon jetzt setzen die Folgen der großen Denormalisierung das Wirtschaftssystem unter präkollaptiven Druck (Zinswende, Inflation, drohende Rezession). Wenn die Digitalisierung Spielräume für Flexibilität zu versprechen schien, so bedroht die KI-Welle vermutlich viele Arbeitsplätze, sodass auch das soziale Teilsystem mit Verarmung bedroht wird. Insgesamt dürften sich dann Sektor für Sektor die disziplinär-militärischen Dispositive durchsetzen. Ohne die flexibel-normalistischen Regulationsweisen idealisieren zu wollen (sie haben auch ihre Ambivalenzen), so bieten sie doch die momentan besten Voraussetzungen auch für die Entwicklung transnormalistischer Alternativen, etwa durch basisdemokratische Dringlichkeit-Aktionen der Zivilgesellschaft statt Notstandsmaßnahmen. Aus all diesen sehr bedrohlichen Tendenzen folgt als nächster Schritt von höchster Dringlichkeit auf jeden Fall der Imperativ, zuerst den fatalen Eskalationssturm zu stoppen. Deshalb ist die wichtigste und dringendste Forderung, die sich aus der Analyse ergibt, die nach sofortiger Aufnahme von Waffenstillstandverhandlungen (alle Grenz-, Reparations- und Strafverfolgungsprobleme sind auf Friedensverhandlungen zu verschieben).

Unter normalismustheoretischem Aspekt leuchtet es ein, dass der binäre Reduktionismus sehr leicht mit protonormalistischen Disziplinarregimen gekoppelt werden kann. Während der flexible Normalismus auf diskursiven Pluralismus angewiesen ist, tendiert der binäre Reduktionismus schon im zivilgesellschaftlichen Vorfeld zu Zensur, Denunziation und Pogromstimmung, bevor der Staat mit Befehlen, Verboten und Sanktionen hinzukommt.

III. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass alle diskurstaktischen Mittel zu nutzen sind, um den vom binären Reduktionismus tabuierten Raum der Sag- und Sichtbarkeit ›zwischen‹ den beiden Polen zu befreien. Das betrifft vor allem die Sagbarkeit der Forderung nach sofortigen Verhandlungen für einen Waffenstillstand. Angeblich kann man mit einem Kriegsverbrecher wie Putin nicht verhandeln. Das ist ein leicht durchschaubarer Vorwand zwecks Verlängerung des Kriegs im Sinne des PNAC-Konzepts. Aber je schlimmere Kriegsverbrechen sich ereignen, umso schneller muss doch ein Waffenstillstand kommen, der sie beendet. Juristische Verfolgung, Grenzfragen und Reparationen wären dabei auf spätere Friedensverhandlungen zu verschieben. Aus der bisherigen Analyse ergibt sich nun auch, dass die Forderung nach Waffenstillstandsverhandlungen die größte Gefahr für das PNAC-NATO-Projekt darstellt. Dementsprechend liegt es in der Konsequenz der deutschen Filiale dieses Projekts, die Politik des SiegFriedens und des langen Krieges politisch auf eine Maximal-Große-Koalition (von der CSU bis zur Linken) zu stützen und die Forderung nach Waffenstillstand als »extremistisch« zu perhorreszieren. Das wäre optimal erreicht, wenn es gelänge, der AfD das Monopol auf diese Forderung zuzuschanzen (leider arbeiten manche Linken dabei eifrig mit). Gegen jede Illusion sollte festgestellt sein: Die kommende Kalte-Kriegs- und Ökodiktatur wird – wie es momentan aussieht – eine Diktatur der »Mitte« sein, die den »Lumpenpazifismus« in den Sack des AfD-Extremismus stecken wird. Wenn es nicht gelingt, sie zu verhindern.

Was kann die Diskurstheorie zur Befreiung der tabuierten ›Zwischenzone‹ beitragen? Besonders empfehlenswert sind die Mittel der Satire, wofür Karl Kraus im WK I das große Vorbild bleibt. Aber auch viele sogenannte spontane Witze zeigen, dass, wie Brecht formulierte, auch das Volk keineswegs »tümlich« ist: momentan vor allem durch das Verfahren der satirischen Hyperbel, etwa der satirischen Überbereitschaft, mittels allerhand grotesker Ideen Energie zu sparen. Der binäre Reduktionismus versucht, deeskalierende Sagbarkeit dadurch zu zerstören, dass sich Putin angeblich über entsprechende Diskurse »ins Fäustchen lacht«: Verhandlungen? Appeasement! – da lacht sich Putin ins Fäustchen! Das lässt sich umdrehen, wie ich es in einer Baerbock-Satire versucht habe.[9] Auf diese Weise können die ernsthaften Argumente für Verhandlungen durch Sabotage an der Durchhaltestimmung gestärkt werden. Das unterstützt durchaus auch den zivilgesellschaftlichen Widerstand in der Ukraine, soweit er auf das Entgegenkommen eines zivilgesellschaftlichen Widerstands in Russland mit dem Ziel des Sturzes der dortigen Kriegsregierung zielt (Information über die Massaker, Stimulation von Desertion usw.). Die SiegFrieden-Strategie steht all dem diametral entgegen und stärkt den nationalistischen Bellizismus und damit auch den »Durchhalte«-Diskurs aller Seiten genau wie 1914.

Resümee: Als der bestimmende Faktor, der über die kriegerische ›Verlötung‹ der drei fatalen epochalen Strukturtendenzen und deren Konsequenzen für Wirtschaft, Politik, Militär und Kultur, besonders Diskurs und Medien, entscheiden wird, hat sich nicht bloß der Ukrainekrieg als solcher, sondern seine Dauer erwiesen. Je früher ein Waffenstillstand erreicht werden kann, umso größere Chancen bestehen, ein neuerliches epochales Umkippen der normalistischen Regulationsregime (Umkippen des flexiblen Normalismus in eine neue Spielart von Protonormalismus) noch zu vermeiden. Wir sollten uns nichts vormachen: Diese fatale Tendenz würde die gesamte ›historische Atmosphäre‹ entdemokratisieren. Alle bisherigen Kriege, auch die mit repräsentativ-parlamentarischen Demokratien, sind wie erwähnt als protonormalistische Notstandsdiktaturen geführt worden – ob ein flexibel-normalistischer Rahmen für einen langdauernden Wirtschaftskrieg zwischen geopolitischen Blöcken und/oder einen permanenten Öko-Notstand überhaupt praktikabel wäre, ist wohl eher zu bezweifeln. Jedenfalls sollten wir es besser gar nicht darauf ankommen lassen.

Wolfgang Kastrup

Weltordnungskrieg in der Ukraine und der Hegemoniekampf zwischen USA und China

Die Ukraine als Schlachtfeld in einem Weltordnungskrieg

Der Krieg in der Ukraine dauert an und keiner kann vorhersagen, wann ein Ende abzusehen ist. So ist es auch nicht leicht über diesen Krieg zu schreiben, da sich fast jeden Tag veränderte militärische Lagen ergeben und der Propagandaapparat auf beiden Seiten auf Hochtouren läuft. Eins aber ist schon jetzt sicher, dieser Krieg wird nicht nur Europa, sondern auch die Welt entscheidend verändern. Der völkerrechtswidrige Überfall russischer Truppen am 24. Februar 2022 auf die Ukraine zeigt für Russland jedenfalls nicht den erwarteten schnellen Sieg. Die Gegenwehr der ukrainischen Truppen ist bedingt durch die Lieferung größerer Waffenmengen und geheimdienstlicher Unterstützung durch Mitgliedsländer der NATO, allen voran der USA, stärker als ursprünglich erwartet. Wird es ein langer Zermürbungskrieg, ein Abnutzungskrieg? Die weitere Entwicklung ist nicht vorhersehbar. Die Verluste an Soldaten*innen und Material sind auf Seiten beider Kriegsparteien hoch. In besonderem Maße leidet die ukrainische Zivilbevölkerung durch diesen Krieg: Tausende Tote, Verwundete, zerstörte Wohnungen, unbrauchbare staatliche und kommunale Infrastrukturen und Millionen Ukrainer*innen auf der Flucht in den westlichen Teil des Landes oder in angrenzende osteuropäische Länder bzw. nach Westeuropa. Große Teile der Ukraine sind verwüstet. Es ist davon auszugehen, dass der Krieg noch länger anhalten und wahrscheinlich für Russland verlustreicher wird, da die NATO der Ukraine versprochen hat, sie weiter militärisch aufzurüsten und die EU und die USA zusätzlich finanzielle Milliardenhilfen schon zur Verfügung gestellt haben bzw. stellen werden. Dies bekräftigte der G7-Gipfel (26.06.-28.06.2022) in Schloss Elmau ausdrücklich. Dort erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz: »Wir werden den Druck auf Putin weiter erhöhen.« Die G7-Gruppe stehe »geschlossen an der Seite der Ukraine« und werde sie »weiter unterstützen«. Diese Unterstützung sehe »so lange wie nötig« finanzielle, humanitäre, militärische und diplomatische Hilfen vor. (Zit. nach Westdeutsche Allgemeine Zeitung v. 28.06.2022) Auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Februar diesen Jahres wies Bundeskanzler Olaf Scholz Kritik an Waffenlieferungen an die Ukraine mit deutlichen Worten zurück: »Nicht unsere Waffenlieferungen sind es, die den Krieg verlängern. Das Gegenteil ist richtig.« Je früher Präsident Putin einsehe, »dass er sein imperialistisches Ziel nicht erreicht, desto größer ist die Chance auf ein baldiges Kriegsende, auf Rückzug russischer Eroberungstruppen.« (Zit. nach Brössler/Richter: Kalt erwischt, in: SüddeutscheZeitung v. 18.02.2023) Mit einem baldigen Kriegsende rechnet jedoch auch der Kanzler nicht. Diplomatische Lösungen scheinen außer Reichweite zu sein. Die finanzielle und vor allem militärische Unterstützung der Ukraine erneuerte der G7-Gipfel im Mai diesen Jahres in Hiroshima, da neben dem Beschluss, ukrainische Piloten auf F-16 Kampfflugzeugen auszubilden und später auch diese Flugzeuge an die Ukraine zu liefern, eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland vereinbart wurde. »Wir werden Russland aushungern von G-7-Technologie, -Industrieanlagen und -Dienstleistungen, die seine Kriegsmaschinerie unterstützen«, so die veröffentlichte Erklärung. Man werde in der Unterstützung für die Ukraine nicht nachlassen. Die neuen Sanktionen sollten »sicherstellen, dass die illegale Aggression Russlands gegen den souveränen Staat Ukraine scheitert«. (Zit. nach FrankfurterAllgemeine Zeitung v. 20.05.2023) Die weitreichenden Wirtschaftssanktionen des Westens gegenüber Russland mit dem Ziel, die russische Ökonomie vom Weltmarkt auszuschließen (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 28.06.2022), sind Teil des Weltordnungskrieges, der von beiden