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Die Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel Embrace The Darkness (Guardians of Eternity, Book II)
bei ZEBRA Books, New York
Copyright © 2007 by Debbie Raleigh
Published by Arrangement with KENSINGTON PUBLISHING
CORP., New York, NY, USA
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010 by
Diana Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Redaktion | Uta Dahnke
Umschlagmotiv | ©Adam Jones / Photographer’s Choice / Getty Images
München – Zürich, Teresa Mutzenbach
Inhaltsverzeichnis
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
Alexandra Ivy im Gespräch
Bitte erzählen Sie etwas über Ihre Guardians-of-Eternity-Reihe. Im Mittelpunkt der Reihe steht ein Vampirclan in Chicago. Es treten allerdings auch andere Dämonen, Feen und Kobolde auf. Außerdem werde ich im dritten Buch ein Werwolfrudel einführen, um noch mehr Spannung hineinzubringen. Jeder Roman ist in sich abgeschlossen, allerdings treten einige Figuren immer wieder auf.
Wie recherchieren Sie für ein Buch dieses Genres?
Als Allererstes machte ich eine Reise nach Chicago. An den Ort zu reisen, wo mein nächstes Buch spielen wird, ist mir immer der liebste Teil der Recherche.
Da ich festgestellt habe, dass man beim Schreiben einer Reihe, die in einer ganz eigenen Welt spielt und deren Charaktere immer wieder auftauchen sollen, unbedingt den Überblick behalten muss, habe ich zudem einen großen Ordner angelegt, in dem selbst die kleinsten Details zu den Figuren notiert sind.
Wenn Sie wählen könnten, als Vampir, Werwolf oder Fee in einem Buch aufzutauchen, wofür würden Sie sich entscheiden? Wahrscheinlich würde ich mich für die Fee entscheiden, denn ich bin eine echte Sonnenanbeterin. Ich kann es mir gar nicht vorstellen, nicht wenigstens einen Teil meines Tages draußen verbringen zu können, um einige Sonnenstrahlen zu tanken und durch eine Wiese zu laufen.
Über die Autorin
Unter dem Pseudonym Alexandra Ivy veröffentlicht die bekannte Regency-Liebesroman-Autorin Deborah Raleigh ihre Vampirromane. Deborah Raleigh begann ihre Schreibkarriere als Autorin von Drehbüchern. Heute hat sie über dreißig erfolgreiche Romane publiziert. Mit »Der Nacht ergeben«, dem ersten Band der Guardians-of-Eternity-Reihe, wurde sie auch in Deutschland einem großen Publikum bekannt. Sie ist Mutter von zwei Kindern und lebt mit ihrer Familie in Missouri.
KAPITEL 1
Das Auktionshaus am Stadtrand von Chicago sah nicht aus wie ein finsteres Loch.
Hinter dem eisernen Zaun breitete sich das elegante Backsteingebäude mit sichtlicher Arroganz in der Landschaft aus. Die Räume waren groß, konnten sich wunderschöner Deckenmalereien und eleganter Kronleuchter rühmen, und auf Anraten eines Profis waren sie mit dicken elfenbeinfarbenen Teppichen, einer glänzenden dunklen Holztäfelung und handgeschnitzten Möbeln ausgestattet worden.
Die allgemeine Atmosphäre war von der Stille geprägt, die man nur mit Geld kaufen konnte. Einer ganzen Menge Geld.
Es war die Art von protzigem Ambiente, in dem eigentlich mit seltenen Gemälden, unbezahlbaren Edelsteinen und Museumsartefakten gehandelt werden sollte.
Stattdessen war dies nichts anderes als ein Fleischmarkt. Eine Kloake, wo Dämonen verkauft wurden wie Fleisch.
Am Sklavenhandel gab es nichts Angenehmes, auch nicht, wenn hier mit Dämonen statt mit Menschen gehandelt wurde. Es war ein schmutziges Geschäft, das sämtliche dekadenten, verrückten Widerlinge aus dem ganzen Land anzog.
Sie kamen aus allen möglichen erbärmlichen Gründen hierher.
Da waren diejenigen, die Dämonen als Paramilitärs oder Leibwächter kauften. Die, die nach exotischeren Sexsklavinnen und Sexsklaven gierten. Jene, die glaubten, dass das Blut von Dämonen ihnen Zugang zu Magie oder ewigem Leben verschaffte. Und dann noch diejenigen, die Dämonen erwarben, um sie auf ihrem Privatgelände freizulassen und wie wilde Tiere zu jagen.
Die Gebote kamen von Männern und Frauen ohne Gewissen oder Moral. Das Einzige, worüber sie verfügten, war genügend Geld, um ihre perversen Gelüste zu befriedigen.
Und an der Spitze des Ganzen stand der Besitzer des Auktionshauses, Evor. Er war einer der niederen Trolle, der seinen Lebensunterhalt völlig ungerührt mit dem Elend der anderen verdiente.
Shay würde Evor eines Tages töten.
Doch leider nicht heute.
Genauer gesagt, nicht heute Abend.
Mit einer lächerlichen Pluderhose und einem winzigen, paillettenbesetzten Top bekleidet, das deutlich mehr ent- als verhüllte, lief sie in der beengten Zelle hinter den Auktionsräumen hin und her. Ihr langes, rabenschwarzes Haar war zu einem Zopf zusammengebunden, der fast bis zu ihrer Hüfte herunterreichte. Auf diese Weise konnte man besser ihre schräg stehenden goldenen Augen, ihre fein geschnittenen Gesichtszüge und die bronzefarbene Haut erkennen, die zeigten, dass sie etwas anderes als ein Mensch war.
Es war weniger als zwei Monate her, dass sie Sklavin eines Hexenzirkels gewesen war, der eine Katastrophe über alle Dämonen hatte hereinbrechen lassen wollen. Damals hatte sie gedacht, alles andere sei ihrer elenden Existenz vorzuziehen, da sie hilflos hatte zusehen müssen, wie die Hexen ihr böses Werk vorbereiteten.
Schließlich war es schwierig, die Auslöschung einer ganzen Art an Grausamkeit noch zu überbieten.
Erst als sie sich wieder in Evors Gewalt befand, begriff sie, dass der Tod nicht immer das Schlimmste war, was einem zustoßen konnte.
Das Grab war wirklich unbedeutend, verglichen mit dem, was hinter der Tür auf sie wartete.
Ohne nachzudenken, trat Shay mit dem Fuß aus und ließ den Tisch durch die Luft segeln, sodass er mit erstaunlicher Wucht gegen die Eisenstäbe krachte.
Hinter ihr ertönte ein schwerer Seufzer, der sie herumwirbeln ließ, um den kleinen Gargylen anzusehen, der sich in der gegenüberliegenden Ecke hinter einem Stuhl versteckte.
Levet war nicht gerade ein Vorzeigegargyle.
Er besaß zwar die traditionell grotesken Gesichtszüge, eine dicke graue Haut, Reptilienaugen, Hörner und Pferdefüße. Und er verfügte sogar über einen langen Schwanz, den er mit großem Stolz hegte und pflegte. Doch unglücklicherweise war er trotz seines erschreckenden Aussehens kaum neunzig Zentimeter groß. Noch schlimmer war seiner Ansicht nach, dass er ein Paar hauchzarter Flügel hatte, die besser zu einem Naturgeist oder einer Fee gepasst hätten als zu einer tödlichen Kreatur der Finsternis.
Und um die Demütigung noch schlimmer zu machen, waren seine Kräfte bestenfalls unberechenbar, und es mangelte ihm in den meisten Fällen an Mut.
Es war daher nicht weiter verwunderlich, dass er aus der Gargylen-Gilde ausgeschlossen und damit gezwungen worden war, sich allein durchzuboxen. Es hatte geheißen, er blamiere die gesamte Gemeinschaft, und niemand war eingeschritten und hatte ihn verteidigt, als er von Evor gefangen genommen und versklavt worden war.
Shay hatte das erbärmliche Wesen unter ihren Schutz gestellt, sobald sie wieder ins Auktionshaus hatte zurückkehren müssen. Nicht nur, weil sie die bedauerliche Neigung hatte, zur Verteidigung aller zu eilen, die schwächer waren als sie selbst, sondern auch, da sie wusste, dass es Evor auf die Nerven ging, wenn man ihm seinen Lieblingsprügelknaben wegnahm.
Der Troll mochte vielleicht die Macht über den Fluch besitzen, der sie band, aber wenn er sie nur weit genug trieb, wäre sie willens, ihn zu töten, auch wenn das für ihr eigenes Leben das Ende bedeutete.
»Chérie, hat dir der Tisch etwas getan, was ich nicht gesehen habe, oder hast du bloß versucht, ihm eine Lektion zu erteilen?«, fragte Levet. Seine Stimme war leise, und er sprach mit französischem Akzent und in singendem Tonfall.
Das gehörte durchaus nicht zu den Dingen, die seinen Status unter den Gargylen verbessert hätten.
Shay lächelte schief. »Ich habe mir vorgestellt, es sei Evor.«
»Seltsam, sie ähneln sich nicht besonders.«
»Ich habe viel Fantasie.«
»Ah.« Er zuckte albern mit seiner dichten Augenbraue. »Wenn das so ist – ich nehme nicht an, dass du dir vorstellst, ich sei Brad Pitt?«
Shay warf ihm ein trockenes Lächeln zu. »Ich bin zwar gut, aber nicht so gut, Gargyle.«
»Wie schade.«
Ihre kurze Belustigung verblasste. »Nein, schade ist, dass es ein Tisch und nicht Evor war, der hier in Stücke zerbrochen ist.«
»Eine wunderbare Vorstellung, aber nur ein Traum.« Die grauen Augen verengten sich langsam. »Es sei denn, du hast etwas Dummes vor?«
Shay riss mit gespielter Überraschung die Augen auf. »Wer, ich?«
»Mon dieu«, knurrte der Dämon. »Du willst gegen ihn kämpfen.«
»Ich kann nicht gegen ihn kämpfen. Nicht, solange mich der Fluch in den Klauen hält.«
»Als ob dich das je abgehalten hätte.« Levet warf das Kissen beiseite, wodurch sein Schwanz zum Vorschein kam, der heftig um seine Hufe zuckte. Es war ein deutliches Zeichen der Sorge. »Du kannst ihn nicht töten, aber das hält dich nie von dem Versuch ab, ihm in seinen fetten Trollhintern zu treten.«
»Ein kleiner Zeitvertreib.«
»Der dazu führt, dass du stundenlang vor Schmerzen schreist.« Er erschauderte plötzlich. »Chérie, ich kann es nicht ertragen, dich so zu sehen. Nicht noch einmal. Es ist verrückt, gegen das Schicksal anzukämpfen.«
Shay verzog das Gesicht. Es gehörte zu dem Fluch, dass sie für jeden Versuch, ihrem Herrn zu schaden, bestraft wurde. Der durchdringende Schmerz, der ihren Körper packte, konnte dazu führen, dass sie keuchend auf dem Boden liegen blieb, oder sie sogar stundenlang bewusstlos machen, und in letzter Zeit war die Strafe so brutal geworden, dass sie jedes Mal, wenn sie ihr Glück herausforderte, befürchtete, es könne das letzte Mal sein.
Sie zog an ihrem Zopf. Es war eine Geste, in der die Frustration deutlich wurde, die direkt unter ihrer Oberfläche brodelte.
»Du meinst, ich sollte aufgeben? Die Niederlage akzeptieren?«
»Welche Wahl hast du schon? Welche Wahl hat jeder von uns schon? Egal, wie viel wir auch kämpfen, es ändert nichts daran, dass wir Evor gehören, mit …« Levet rieb sich eins seiner unterentwickelten Hörner. »Wie sagt man? Haut und Fell?«
»Haar.«
»Ah, ja, Evor mit Haut und Haar gehören. Und dass er mit uns tun kann, was auch immer er will.«
Shay biss die Zähne zusammen, als sie sich umdrehte, um wütend die Eisenstäbe anzufunkeln, die sie gefangen hielten. »Verdammt. Ich hasse das hier. Ich hasse Evor. Ich hasse diese Zelle. Ich hasse diese elenden Dämonen, die darauf warten, auf mich zu bieten. Ich wünschte fast, ich hätte es zugelassen, dass diese Hexen uns allen ein Ende bereiten.«
»Du wirst von mir keinen Widerspruch hören, meine süße Shay«, stimmte Levet mit einem Seufzen zu.
Shay schloss die Augen. Verdammt. Sie hatte ihre Worte nicht so gemeint. Sie war müde und frustriert, aber sie war kein Feigling. Allein die Tatsache, dass sie das letzte Jahrhundert überlebt hatte, bewies das.
»Nein«, murmelte sie. »Nein.«
Levet flatterte mit den Flügeln. »Und warum nicht? Wir sind hier gefangen wie Ratten in einem Labyrinth, bis wir an den höchsten Bieter verkauft werden. Was könnte denn noch schlimmer sein?«
Shay lächelte freudlos. »Wenn wir das Schicksal gewinnen ließen.«
»Wie bitte?«
»Bisher hat das Schicksal oder das Los oder die Vorsehung, oder wie zum Teufel du es auch nennen möchtest, uns nichts als Dreck gebracht«, knurrte Shay. »Ich werde nicht einfach nachgeben und zulassen, dass es mir die kalte Schulter zeigt, während ich auf dem Weg in mein Grab bin. Eines Tages werde ich die Gelegenheit bekommen, dem Schicksal ins Gesicht zu spucken. Das ist das, was mich dazu bringt weiterzukämpfen.«
Es folgte ein langes Schweigen, bevor sich der Gargyle neben Shay stellte, um seinen Kopf an ihrem Bein zu reiben. Es war eine unbewusste Geste. Ein Wunsch nach Beruhigung, den er niemals zugegeben hätte. Lieber wäre er gestorben.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich je zuvor eine dermaßen unelegante Ansprache gehört habe, aber ich glaube dir. Wenn jemand Evor entfliehen kann, dann du.«
Geistesabwesend schob Shay das Horn weg, das sich in ihren Oberschenkel bohrte. »Ich komme zurück und hole dich, Levet, das verspreche ich dir.«
»Na, ist das nicht einfach rührend?« Evor tauchte unvermittelt vor den Eisenstäben auf und lächelte, wobei er seine spitzen Zähne entblößte. »Die Schöne und das Biest.«
Mit einer eleganten Bewegung schob Shay Levet hinter sich und drehte sich um, um den Kerl anzusehen, der sie gefangen hielt.
Sie setzte ein spöttisches Lächeln auf, als der Troll die Zelle betrat und die Tür hinter sich schloss. Evor ging leicht als Mensch durch. Als unglaublich hässlicher Mensch.
Er war ein kleiner, rundlicher Mann mit einem runden, schwammigen Gesicht und Hängebacken. Sein Haar bestand aus kaum mehr als einigen Inseln vereinzelter Strähnen, die er sich sorgfältig über den Schädel kämmte. Und seine kleinen schwarzen Augen hatten die Tendenz, rot aufzublitzen, wenn er wütend war.
Die Augen verbarg er hinter einer Brille mit einem schwarzen Gestell.
Den beleibten Körper versteckte er unter einem unverschämt teuren Maßanzug.
Nur die Zähne ließen das Monster erkennen, das er war.
Das und das völlige Fehlen jeglicher Moral.
»Du kannst mich mal, Evor«, murmelte Shay.
Das hässliche Lächeln wurde breiter. »Das hättest du wohl gern.«
Shay kniff die Augen zusammen. Der Troll hatte versucht, sie ins Bett zu bekommen, seit er die Kontrolle über ihren Fluch erlangt hatte. Das Einzige, was ihn davon abgehalten hatte, sie zum Sex zu zwingen, war das Wissen gewesen, dass Shay durchaus bereit war, sie beide zu töten, um einen solchen Horror zu verhindern.
»Ich würde lieber durch die Höllenfeuer gehen, als zuzulassen, dass du mich anfasst.«
Ein Ausdruck von Wut blitzte auf dem schwammigen Gesicht auf, bevor das schmierige Lächeln zurückkehrte. »Eines Tages, meine Schöne, wirst du dich mir gern hingeben. Wir haben alle unseren Tiefpunkt. Irgendwann wirst du deinen erreichen.«
»Nicht in diesem Leben.«
Seine Zunge schnellte obszön hervor. »So stolz. So mächtig. Es wird mir gefallen, meinen Samen in dich zu ergießen. Aber jetzt noch nicht. Zuerst muss ich mit dir noch Geld verdienen. Und das Geld kommt immer an erster Stelle.« Er hob die Hand und zeigte die schweren Eisenhandschellen, die er hinter seinem Körper versteckt gehalten hatte. »Lässt du sie dir anlegen, oder muss ich nach den Jungs rufen?«
Shay verschränkte die Arme vor der Brust. Sie mochte nur zur Hälfte Shalott sein, aber sie verfügte über die gleiche Stärke und Beweglichkeit wie ihre Vorfahren. Sie waren nicht ohne Grund die bevorzugten Mörderinnen und Mörder der Dämonenwelt.
»Nach all diesen Jahren denkst du immer noch, dass diese Schlägertypen mich verletzen könnten?«
»Oh, ich habe nicht die Absicht zuzulassen, dass sie dich verletzen. Ich würde es hassen, wenn du vor dem Bieten noch beschädigt würdest.« Ganz bewusst ließ Evor seinen Blick zu Levet schweifen, der sich hinter Shays Beinen duckte. »Ich will nur, dass sie dein gutes Benehmen unterstützen.«
Der Gargyle stöhnte leise auf. »Shay?«
Verdammt.
Shay kämpfte gegen den instinktiven Drang an, Evor die spitzen Zähne einzuschlagen und sie ihn schlucken zu lassen. Denn das würde nur dazu führen, dass sie sich in Todesqualen auf dem Boden wiederfände. Und was noch schlimmer war: Es würde Levet den massigen Bergtrollen ausliefern, die Evor zu seinem Schutz beschäftigte.
Es würde ihnen sehr gut gefallen, den armen Gargylen zu quälen.
Soweit sie wusste, war es ihr einziges Vergnügen, anderen Schmerzen zuzufügen.
Verdammte Trolle.
»Schön.« Sie streckte mit finsterem Blick die Arme aus.
»Eine weise Entscheidung.« Evor behielt sie argwöhnisch im Auge, als er die Handschellen um ihre Handgelenke legte und schloss. »Ich wusste, du würdest die Situation verstehen, wenn man sie dir erst vernünftig erklärt hat.«
Shay fauchte heftig, als ihr das Eisen ins Fleisch schnitt. Sie konnte spüren, wie es sie ihrer Kräfte beraubte und ihre Haut wund werden ließ. Das war eindeutig ihr Schwachpunkt.
»Alles, was ich verstehe, ist, dass ich dich eines Tages töten werde.«
Evor zog mit einem Ruck an der Kette, die zwischen den Handschellen hing. »Benimm dich, Miststück, sonst bezahlt dein kleiner Freund für die Folgen. Kapiert?«
Shay kämpfte gegen die Übelkeit an, die ihr beinahe den Magen umdrehte.
Wieder einmal würde sie auf die Bühne gestellt und an den höchsten Bieter verkauft werden. Sie würde der Gnade irgendeines Fremden ausgeliefert sein, der mit ihr machte, was auch immer ihm gefiel.
Und es gab verdammt noch mal nichts, was sie tun konnte, um das zu verhindern.
»Ja, kapiert. Bringen wir es hinter uns.«
Evor öffnete den Mund, wie um einen witzigen Kommentar abzugeben, klappte aber sein Fischmaul wieder zu, als er Shays Gesichtsausdruck bemerkte. Offenbar konnte er fühlen, dass sie kurz davor stand zu explodieren.
Das bewies, dass er nicht annähernd so dumm war, wie er aussah.
Stumm verließen sie die Zelle und erklommen die schmale Treppe zum hinteren Teil der Bühne. Evor hielt lange genug an, um Shays Handschellen an einen Pfahl zu ketten, der im Boden verankert war, bevor er auf den geschlossenen Vorhang zuging und hindurchschlüpfte, um der Menge entgegenzutreten.
Shay, die nun allein in der Dunkelheit war, holte tief Luft und versuchte die donnernden Geräusche der Menge zu ignorieren, die sich direkt auf der anderen Seite des Vorhangs befand.
Sogar ohne die potenziellen Bieterinnen und Bieter sehen zu können, spürte sie die Anwesenheit der sich versammelnden Dämonen und Menschen. Sie konnte den Gestank ihres Schweißes riechen. Die brodelnde Ungeduld fühlen. Die verdorbene Lust schmecken, die in der Luft lag.
Unvermittelt runzelte sie die Stirn. Da war noch etwas anderes. Etwas, was auf subtile Weise all das durchsetzte.
Ein Gefühl von bösartiger Fäulnis, das ihr Blut gefrieren ließ.
Es war undeutlich. Als ob das Wesen sich nicht vollkommen im Raum befände. Eher wie eine drohende, nicht greifbare Präsenz. Ein Echo von Verdorbenheit, das ihr den Magen angstvoll zusammenkrampfte.
Sie unterdrückte ihren instinktiven Schrei, schloss die Augen und zwang sich, tief und regelmäßig zu atmen. Wie von Ferne hörte sie, wie sich Evor laut räusperte, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
»Und nun, meine Damen und Herren, Dämonen und Feen, Tote und Untote … ist es an der Zeit für unsere Hauptattraktion. Unser Schmuckstück. Es ist ein Artikel, der so selten, so außergewöhnlich ist, dass nur diejenigen, die eine goldene Kundenkarte besitzen, bleiben dürfen«, kündigte er dramatisch an. »Der Rest darf sich in unsere Aufenthaltsräume zurückziehen. Dort wird man Ihnen Ihre bevorzugte Erfrischung anbieten.«
Trotz der anhaltenden Gewissheit, dass sie soeben von irgendeiner Art bösem Blick gestreift worden war, gelang es Shay, eine angewiderte Grimasse zu ziehen. Evor war stets ein aufgeblasener Wichtigtuer. Aber heute Abend stellte er selbst die Jahrmarktsschreier mit den abgedroschensten Sprüchen in den Schatten.
»Kommen Sie näher, geschätzte Freunde«, kommandierte Evor, während das gemeine Volk gezwungen war, den Raum zu verlassen. Um eine goldene Karte bewilligt zu bekommen, musste ein Mensch oder Dämon wenigstens 50 000 Dollar Bargeld bei sich tragen. Der Sklavenhandel akzeptierte selten Schecks oder Kreditkarten. Man höre und staune. »Sie werden Ihren ersten Blick auf meinen kostbaren Schatz nicht versäumen wollen. Keine Angst, ich habe dafür gesorgt, dass sie gut angekettet ist. Sie wird Ihnen nicht gefährlich werden. Es besteht keine Gefahr, mit Ausnahme ihres gefährlichen Charmes. Sie wird Ihnen nicht das Herz aus der Brust reißen, aber ich kann nicht versprechen, dass sie es Ihnen nicht mit ihrer Schönheit stehlen wird.«
»Klappe halten und den Vorhang öffnen«, knurrte eine Stimme.
»Sie sind ungeduldig?«, fragte Evor, und in seinem Tonfall lag Ärger. Es gefiel ihm nicht, wenn seine gekonnt dargebotene Nummer unterbrochen wurde.
»Ich habe nicht die ganze Nacht Zeit. Weitermachen.«
»Ah, ein verfrühter … Bieter, wie schade. Lassen Sie uns Ihnen zuliebe hoffen, dass es sich dabei nicht um ein Leiden handelt, das Ihre Leistung auf anderen Gebieten in Mitleidenschaft zieht«, spottete Evor und machte eine Pause, um das schallende, vulgäre Gelächter verklingen zu lassen. »Also, wo war ich? O ja. Meine Kostbarkeit. Meine liebste Sklavin. Dämonen und Ghule, erlauben Sie mir, Ihnen Lady Shay vorzustellen … die letzte Shalott, die auf dieser Erde wandelt.«
Mit einer dramatischen Bewegung verschwand der Vorhang in einer Rauchwolke und setzte Shay dem Blick der beinahe zwei Dutzend Menschen und Dämonen aus.
Absichtlich senkte sie den Blick, als sie hörte, wie überall im Raum ein Aufkeuchen ertönte. Es war demütigend genug, die fanatische Gier der Meute zu riechen. Sie musste diese nicht noch in ihren Gesichtern lesen.
»Ist das ein Trick?«, verlangte eine dunkle Stimme ungläubig zu wissen. Das war kaum überraschend. Soweit Shay wusste, war sie die letzte Shalott auf der Welt.
»Kein Trick, keine Illusion.«
»Als ob ich dir einfach so glauben würde, Troll. Ich will Beweise.«
»Beweise? Na gut.« Es folgte eine Pause, als Evor in der Menge forschte. »Sie da, kommen Sie nach vorn«, befahl er.
Shay spannte sich an, als sie das Kältegefühl spürte, das sie warnte, dass es ein Vampir war, der sich ihr näherte. Ihr Blut war für die Untoten kostbarer als Gold. Ein Aphrodisiakum, für dessen Erlangung sie töten würden.
Shay, die ihre Aufmerksamkeit auf den großen, hageren Vampir gerichtet hielt, bemerkte kaum, wie Evor sie am Arm packte und ein Messer benutzte, um die Haut ihres Unterarms einzuritzen. Der Vampir fauchte leise und beugte sich herab, um an dem hervorquellenden Blut zu lecken. Sein ganzer Körper zitterte, als er den Kopf hob, um Shay mit unverhohlener Gier anzusehen.
»Das Blut ist teilweise menschlich, aber sie ist eine echte Shalott«, krächzte er.
Geschmeidig hatte Evor seine rundliche Gestalt zwischen den Vampir und Shay geschoben und verscheuchte diesen mit einer Handbewegung. Widerstrebend verließ das untote Wesen die Bühne. Ohne Zweifel spürte der Vampir den drohenden Aufstand, der ihn erwartete, wenn er seinem Impuls nachgab, seine Zähne in Shay zu graben und sie leer zu trinken.
Evor wartete, bis die Bühne geräumt war, bevor er sich hinter sein Pult stellte. Er ergriff seinen Hammer und hob ihn über den Kopf. Lächerlicher Trottel.
»Zufrieden? Gut.« Evor schlug mit dem Hammer auf das Pult. »Das Mindestgebot beträgt fünfzigtausend Dollar. Zur Erinnerung, meine Herren, nur Bargeld lacht.«
»Fünfzigtausend.«
»Sechzigtausend.«
»Einundsechzigtausend.«
Shays Blick glitt erneut zu ihren Füßen, während die Stimmen ihre Gebote abgaben. Sehr bald würde sie gezwungen sein, sich ihrem neuen Gebieter zu stellen. Sie wollte nicht zusehen, wie sie sich um sie stritten wie eine Meute von Hunden, die nach einem saftigen Knochen gierten.
»Einhunderttausend Dollar«, brüllte eine schrille Stimme im hinteren Teil des Raumes.
Ein verschmitztes Grinsen bildete sich auf Evors dünnen Lippen. »Ein sehr großzügiges Gebot, sehr geehrter Herr. Noch jemand? Nein? Zum Ersten … zum Zweiten …«
»Fünfhunderttausend Dollar.«
Eine schneidende Stille erfüllte den Raum. Ohne sich dessen bewusst zu werden, was sie tat, hob Shay den Kopf, um in die Menge zu starren, die sich im Auktionsraum drängelte.
Da lag etwas in dieser seidenweichen dunklen Stimme. Etwas … Vertrautes.
»Treten Sie vor«, verlangte Evor, und seine Augen schimmerten rot. »Treten Sie vor, und nennen Sie Ihren Namen.«
Die Menge kam in Bewegung und teilte sich. Aus den Schatten im hinteren Bereich glitt eine große, elegante Gestalt nach vorn.
Ein Flüstern breitete sich im Raum aus, als das gedämpfte Licht das unwiderstehlich schöne Gesicht und das seidige silberne Haar enthüllte, das ihm über den Rücken fiel.
Man erkannte auf den ersten Blick, dass er ein Vampir war.
Kein Mensch konnte so sehr einem Engel ähneln, der erst kürzlich vom Himmel gefallen war. Oder konnte sich mit einer solchen Anmut und Geschmeidigkeit bewegen. Oder die Dämonen dazu bringen, vorsichtig und ängstlich zurückzuweichen.
Shay stockte der Atem. Nicht wegen seiner überwältigenden Schönheit, seiner mächtigen Präsenz oder auch wegen seines auffälligen Samtumhangs, der seinen schlanken Körper umhüllte.
Nein, es war die Tatsache, dass sie diesen Vampir kannte.
Er war an ihrer Seite gewesen, als sie vor Wochen den Hexenzirkel bekämpft hatte. Und vor allem war er an ihrer Seite gewesen, als sie ihm das Leben gerettet hatte.
Und jetzt bot er auf sie, als sei sie nicht mehr als ein Gegenstand, den er besitzen wollte.
Seine Seele sollte in der Hölle schmoren.
Viper war seit Jahrhunderten auf der Welt. Er war Zeuge von Aufstieg und Niedergang ganzer Reiche geworden. Er hatte die schönsten Frauen der Welt verführt. Er hatte das Blut von Königen, Zaren und Pharaonen getrunken.
Manchmal hatte er sogar den Lauf der Geschichte verändert.
Nun war er übersättigt, abgestumpft und außergewöhnlich gelangweilt.
Er bemühte sich nicht länger, seine Macht auszubauen. Er beteiligte sich nicht an Kämpfen mit Dämonen oder Menschen. Er bildete keine Allianzen und mischte sich nicht in die Politik ein.
Sein einziges Anliegen war es, für die Sicherheit seines Clans zu sorgen und seine Geschäfte so profitabel zu halten, dass er sich den luxuriösen Lebensstil leisten konnte, an den er gewöhnt war.
Aber irgendwie war der Shalott-Dämonin das Unmögliche gelungen.
Es war ihr gelungen, ihm nicht mehr aus dem Kopf zu gehen, noch lange, nachdem sie leibhaftig verschwunden war.
Seit Wochen hatte sie ihn in seinen Erinnerungen verfolgt und hatte selbst seine Träume heimgesucht. Sie war wie ein Dorn, der in seiner Haut stecken geblieben war und sich nicht entfernen ließ.
Er war sich nicht sicher, ob diese Erkenntnis ihn erfreut oder geärgert hatte, als er auf der Suche nach dieser Frau die Straßen von Chicago durchforstet hatte.
Aber als er einen Blick auf seine neueste Errungenschaft warf, musste er sich nicht fragen, ob Shay erfreut oder verärgert war. Sogar im gedämpften Licht war deutlich zu sehen, dass in ihren herrlichen goldenen Augen Zorn aufblitzte.
Offensichtlich wusste sie die Ehre nicht ganz zu schätzen, die er ihr erwies.
Seine Lippen zuckten amüsiert, als er seine Aufmerksamkeit wieder dem Troll zuwandte, der hinter dem Pult stand.
»Ihr könnt mich Viper nennen«, informierte er den niederen Dämon mit kühler Abneigung.
Die roten Augen weiteten sich einen Moment. Das war ein Name, der überall in Chicago Angst hervorrief. »Natürlich. Vergeben Sie mir, dass ich Sie nicht erkannt habe, mein Herr. Sie … äh …« Er schluckte schwer. »Haben Sie das Geld bei sich?«
Mit einer Bewegung, die so schnell gewesen war, dass die meisten sie nicht mit den Augen hatten erfassen können, hatte Viper unter seinen Umhang gegriffen und warf nun ein großes Päckchen auf die Treppe, die zur Bühne hinaufführte.
»Ja.«
Mit großer Geste schlug Evor mit dem Hammer auf das Pult. »Verkauft.«
Die Shalott gab ein leises Fauchen von sich, aber noch bevor Viper ihr die angemessene Aufmerksamkeit zuwenden konnte, war ein lautes Fluchen zu hören, und ein kleiner, drahtiger Mensch drängte sich durch die Menge.
»Warten Sie. Die Auktion ist noch nicht vorbei«, drängte der Fremde.
Viper kniff die Augen zusammen. Möglicherweise hätte er über die Absurdität gelacht, die darin lag, dass der dürre Mann versuchte, sich mit Gewalt einen Weg durch die hochgewachsenen Dämonen zu bahnen, aber ihm entging weder das Gefühl von bitterer Verzweiflung, das den Mann umgab, noch die Schwärze, die seine Seele verdüsterte.
Dies war ein Mann, der vom Bösen berührt worden war.
Der Troll Evor runzelte die Stirn, als er den Mann ansah. Er war eindeutig nicht beeindruckt von dem billigen, ausgebeulten Anzug und den Secondhand-Schuhen. »Sie möchten weitermachen?«
»Ja.«
»Haben Sie das Bargeld dabei?«
Der Mann fuhr sich mit der Hand über den schweißbedeckten kahlen Schädel. »Ich habe es nicht dabei, aber ich kann es ganz leicht …«
»Nur sofortige Barzahlung«, knurrte Evor und schlug noch einmal mit dem Hammer auf das Pult.
»Nein. Ich besorge das Geld.«
»Die Auktion ist vorbei.«
»Warten Sie. Sie müssen warten. Ich …«
»Verschwinden Sie von hier, bevor ich Sie rauswerfen lasse.«
»Nein.« Ohne Vorwarnung rannte der Mann die Stufen hinauf. Er hielt ein Messer in der Hand. »Die Dämonin gehört mir.«
So schnell der Mann auch war, Viper war schneller und hatte sich bereits zwischen den Fremden und seine Shalott gestellt. Der Mann knurrte leise, bevor er sich umdrehte und auf den Troll zumarschierte. Dieser war eine leichtere Beute als ein entschlossener Vampir. Doch das traf wohl auf die meisten Wesen zu.
»Aber, aber, es besteht keine Veranlassung zur Unvernunft.« Evor deutete hastig auf die bulligen Bodyguards am Rande der Bühne. »Sie kannten die Regeln, als Sie herkamen.«
Mit schwerfälligen Bewegungen traten die Bergtrolle vor. Ihre ungeheure Größe und ihre Haut, die so dick war wie Baumrinde, sorgten dafür, dass sie fast unmöglich zu töten waren.
Viper verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Aufmerksamkeit blieb auf den verrückten Menschen gerichtet, aber er konnte nicht leugnen, dass er sich auf eine beunruhigende Art der Shalott, die hinter ihm stand, bewusst war.
Es lag an dem süßen Duft ihres Blutes. An der Wärme ihrer Haut. Und an der schimmernden Energie, die um sie herumwirbelte.
Sein gesamter Körper reagierte auf ihre Nähe. Es fühlte sich an, als sei er nahe an ein loderndes Feuer herangetreten, das eine Hitze versprach, die er vor langer Zeit vergessen hatte.
Unglücklicherweise war er gezwungen, sich auf den scheinbar Wahnsinnigen zu konzentrieren, der drohend das Messer schwang. In der Entschlossenheit des Menschen lag etwas entschieden Eigenartiges. Dieser Mann vermittelte ein Gefühl der absoluten Panik, die fehl am Platze war.
Er wäre ein Dummkopf, wenn er die Gefahr unterschätzte, die von der plötzlichen Konfrontation ausging.
»Zurückbleiben«, quiekte der kleine Mann.
Die Trolle rückten weiter vor, bis Viper eine Hand hob. »Ich würde mich dem Messer nicht nähern. Es ist mit einem Fluch belegt.«
»Mit einem Fluch belegt?« Evors Gesicht versteinerte vor Wut. »Magische Artefakte sind verboten. Die Strafe dafür ist der Tod.«
»Meinen Sie, ein erbärmlicher Troll und seine Schläger könnten mich einschüchtern?« Der Eindringling hob das Messer, um damit direkt auf Evors Gesicht zu zielen. »Ich bin hergekommen, um die Shalott zu holen, und ich gehe nicht ohne sie. Ich werde Sie alle töten, wenn es sein muss.«
»Ihr könnt es versuchen«, meinte Viper gedehnt.
Der Mann fuhr herum, um ihn anzusehen. »Dieser Kampf hat nichts mit Ihnen zu tun,Vampir.«
»Ihr versucht mir meine Dämonin zu stehlen.«
»Ich bezahle sie Ihnen. Ich gebe Ihnen, was auch immer Sie wollen.«
»Was auch immer ich will?« Viper zog eine Augenbraue in die Höhe. »Was für ein großzügiges, wenn auch eher vermessenes Angebot.«
»Wie lautet Ihr Preis?«
Viper gab vor, einen Augenblick lang nachzudenken. »Nichts, was Ihr mir anbieten könntet.«
Die bittere Verzweiflung wurde deutlicher spürbar. »Woher wollen Sie das wissen? Mein Arbeitgeber ist sehr reich … sehr mächtig.«
Ah. Nun kamen sie endlich weiter.
»Arbeitgeber. Also seid Ihr nur ein Gesandter?«
Der Mann nickte, und seine Augen brannten wie Kohlen in ihren tief liegenden Höhlen. »Ja.«
»Und Euer Arbeitgeber wird zweifelsohne recht enttäuscht sein, wenn er erfährt, dass Ihr bei der Aufgabe, die Shalott zu erwerben, versagt habt?«
Die blasse Haut des Mannes nahm eine kränkliche graue Färbung an. Viper vermutete, dass das Gefühl der Düsternis, das er entdecken konnte, unmittelbar mit dem mysteriösen Arbeitgeber in Verbindung stand.
»Er wird mich töten.«
»Dann seid Ihr in einer recht verzwickten Lage, mein Freund, denn ich hege durchaus nicht die Absicht, Euch zu gestatten, den Raum mit meiner Kostbarkeit zu verlassen.«
»Was kümmert Sie das?«
Vipers Lächeln war kalt. »Sicher wisst Ihr, dass Shalott-Blut für Vampire ein Aphrodisiakum ist? Es ist ein höchst seltenes Vergnügen, das uns zu lange verwehrt war.«
»Sie wollen sie aussaugen?«
»Das soll nicht Eure Sorge sein. Sie gehört mir. Ich habe sie gekauft und dafür bezahlt.«
Er vernahm hinter sich einen erstickten Fluch und dabei das Rasseln von Ketten. Seine Schöne war eindeutig unzufrieden mit seiner Antwort und bestrebt, ihr Missfallen zu beweisen, indem sie ihm sämtliche Glieder einzeln ausriss.
Ein leises Gefühl der Aufregung schoss durch seinen Körper.
Beim Blut der Heiligen, er mochte gefährliche Frauen.
KAPITEL 2
Shay verfluchte die Handschellen, die sie an den Pfahl fesselten.
Sie verfluchte Evor, den gierigen, unbarmherzigen Hurensohn.
Sie verfluchte den fremden Menschen, der nach der bösartigen Fäulnis roch, die sie schon früher gespürt hatte.
Und vor allem verfluchte sie Viper, weil er sie behandelte, als sei sie nicht mehr als ein teures Partyvergnügen.
Leider war das wortlose Fluchen alles, was sie tun konnte, während der eindeutig verrückte Mensch mit seinem Messer herumfuchtelte.
»Sie gehört mir. Ich brauche sie.«
Der Vampir zuckte mit keiner Wimper. Tatsächlich stand er so still da, dass er mehr tot als lebendig wirkte. Nur die kalte Macht, die in der Luft lag, wies darauf hin, dass sich hinter der schönen Fassade etwas regte.
»Habt Ihr die Absicht, mich mit nicht mehr als einem verhexten Messer zu bekämpfen?«, fragte er.
Der Mann schluckte. »Ich kann keinen Vampir besiegen.«
»Ah, dann seid Ihr nicht annähernd so dumm, wie Ihr ausseht.«
Der Blick aus den winzigen Augen schoss rasch umher, und Shay fühlte, wie sich alle anspannten. Der Mann war durchaus verzweifelt genug, um möglicherweise zu versuchen, sich an dem Vampir vorbeizukämpfen. Aber als er dann eine Bewegung machte, ging diese nicht in Vipers Richtung, sondern stattdessen in die des glotzenden Evor. Mit erstaunlicher Geschicklichkeit schlang er den Arm um den Hals des Trolls und drückte das Messer gegen die schwabbelige Haut seiner Kehle.
»Ich werde ihn töten. Solange er die Macht über den Fluch der Shalott besitzt, stirbt sie ebenfalls.« Sein Blick blieb auf Viper gerichtet. Ohne Zweifel war er sich dessen bewusst, dass der Vampir weitaus gefährlicher war als alle anderen Dämonen im Raum. »Sie wird Ihnen nichts nützen, wenn sie stirbt, bevor Sie sie aussaugen können.«
Shay sog scharf die Luft ein. Sie hatte keine Angst zu sterben. Aber bei Gott, wenn sie das Zeitliche segnen sollte, dann wollte sie das nicht tun, während sie an einen Pfosten gekettet und wehrlos war.
Viper bewegte sich nicht, aber seine Macht erfüllte den Raum wie eine eisige Woge. Die Luft bewegte seine silbernen Haarsträhnen und bauschte den Samtumhang auf.
»Ihr werdet sie nicht töten«, sagte er in einem Tonfall, der Shay einen kalten Schauder über den Rücken jagte. »Ich glaube nicht, dass Euer Arbeitgeber erfreut wäre, wenn sie ihm als Leichnam gebracht werden würde.«
Der Mann stieß ein wildes Lachen aus. »Wenn sie in den Händen eines anderen endet, steht mir Schlimmeres als der Tod bevor. Dann kann sie genauso gut mit mir kommen.«
»Begehrt Euer Arbeitgeber sie, oder fürchtet er sie?«, murmelte Viper, während er geschmeidig vorwärtsglitt. »Wer ist er? Ein Dämon? Ein Zauberer?«
»Halten Sie an, sonst töte ich sie.«
»Nein.« Viper strebte weiterhin mit flüssigen Bewegungen auf ihn zu. »Ihr werdet das Messer fallen lassen und verschwinden.«
»Sie können mich mit Ihren Augen nicht in Ihren Bann ziehen. Ich bin immun gegen diesen mystischen Mist.«
»Fein, dann werde ich Euch töten müssen.«
»Sie können nicht …« Die warnenden Worte lagen dem Mann noch immer auf den Lippen, als Viper ihn am Hals packte und ihn gegen eine Wand in der Nähe warf.
Obwohl der Mann so klein war, gelang es ihm, einen Höllenlärm zu veranstalten, als er gegen die Vertäfelung prallte und zu Boden glitt. Erstaunlicherweise war er im Handumdrehen wieder auf den Beinen und griff unter seinen sackartigen Mantel. Eindeutig war er mehr als bloß ein Mensch. Ohne Zweifel handelte es sich bei ihm um einen Magier, der über ausreichend magische Fähigkeiten verfügte, dass sie ihm etwas Schutz boten.
Er hob die Hand und umklammerte etwas, was wie ein kleiner Stein aussah. Shay runzelte die Stirn. Sie hatte lange genug bei den Hexen gelebt, um zu wissen, dass der Kristall einen mächtigen Zauber enthielt.
»Viper!«
Sie rief die Warnung, ohne zu wissen, warum sie es tat. Warum spielte es eine Rolle, wer den Kampf gewann? War es etwa besser, allabendlich von einer Gruppe Vampire ausgesaugt zu werden, als sich dem zu stellen, was das unbekannte Ungeheuer möglicherweise für sie auf Lager hatte?
Schließlich und endlich war es gleichgültig.
Noch bevor ihr sein Name über die Lippen gedrungen war, sprang Viper beiseite, sodass die schwarzmagische Entladung die entgegengesetzte Wand traf. Flammen krochen über die Vertäfelung, und mit Schreckensschreien stürzten die begüterten Gäste zur nächsten Tür. Magisches Feuer war das Einzige, was für Dämonen und Menschen gleichermaßen tödlich war.
»Holt die Feuerlöscher, ihr Blödmänner!«, schrie Evor und wedelte in wachsender Panik mit seinen rundlichen Händen. »Ich verliere sonst noch alles.«
Die Bergtrolle trotteten widerwillig los, um die Flammen zu bekämpfen, aber Shays Aufmerksamkeit blieb auf das Duell zwischen dem Vampir und dem zunehmend verzweifelten Mann gerichtet.
Viper war wieder auf den Beinen, und sein schwarzer Umhang wallte um ihn, als er im Halbkreis um den Mann herumschritt.
»Der Zauber, der Euch schützt, wird mich nicht davon abhalten, Euch die Kehle herauszureißen«, erklärte er mit seidenweicher Stimme. »Seid Ihr dermaßen begierig darauf zu sterben?«
»Mir wäre es lieber, mir würde die Kehle herausgerissen, als über mich ergehen zu lassen, was mein Meister mir antun würde«, krächzte der Mann. Er hob den Kristall und ließ seine Macht auf den Vampir los.
Erneut wich Viper mühelos aus, sodass die Explosion das Pult traf. Es ging in Flammen auf, und Evor kreischte vor Entsetzen.
»Hierher, bringt den Feuerlöscher hierher!«, schrie der Troll.
Es folgte eine weitere Detonation, und Shay fiel der Länge nach auf den Boden. Nur ihre schnellen Reflexe hielten sie davon ab, geröstet zu werden.
Ein lautes Knurren erfüllte die Luft, und Shay hob den Kopf und beobachtete, wie Viper sich auf den erschrockenen Mann stürzte. Die Haare in ihrem Nacken standen ihr zu Berge, als sie das Gesicht des Vampirs sah, das zu einer tödlichen Maske erstarrt war. Seine Vampirzähne waren verlängert und zum Töten bereit.
Er war nicht länger der wunderschöne Engel, sondern ein Instrument des Todes.
Der Mann schrie auf, als Viper seine Zähne in seinen Hals grub. Der Schrei wurde zu einem Gurgeln, als das Blut die Kehle des Mannes herunterrieselte und auf den elfenbeinfarbenen Teppich tropfte. Er war einen Herzschlag vom Tod entfernt, aber in seiner Verzweiflung hob der Mann das Messer, um es dem Vampir in den Rücken zu bohren. Wieder und wieder drang die Klinge in Vipers Fleisch ein.
Shay zuckte zusammen. Auch wenn das Messer einen Vampir nicht töten konnte, mussten die Stiche ungeheuer schmerzen.
Es folgte noch ein entsetzliches Gurgeln, und Shay wandte geflissentlich das Gesicht ab. Ein Teil von ihr war dankbar, nicht dem drohenden Bösen übergeben worden zu sein, das immer noch in der Luft hing, aber sie zog es vor, nicht zuzusehen, während der Vampir seinen Mitternachtsimbiss zu sich nahm.
Zumal es sehr wahrscheinlich war, dass sie das Frühstück sein würde.
Es war ein dumpfer Aufprall zu hören, als der Mann zu Boden fiel, und dann folgte das Geräusch von schwerem Samt.
»Ich würde vorschlagen, dass Ihr besser darauf achtet, wen Ihr zu Euren kleinen Auktionen einladet, Evor«, meinte der Vampir gedehnt. »Schwarzmagier sind niemals gut für das Geschäft.«
»Ja … ja, sicher.« Der Troll rieb sich nervös die Hände und blickte sich im Raum um. Die Flammen waren gelöscht worden, aber das Pult und die Vertäfelung der gegenüberliegenden Wand waren nicht mehr zu retten. Oder auch der elfenbeinfarbene Teppich, der jetzt mit Blutflecken versehen war. Das elegante Ambiente hatte eindeutig gelitten. »Meine aufrichtige Entschuldigung. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er es geschafft hat, durch meine Sicherheitskontrollen zu kommen.«
»Die Frage ist nicht, wie er es schaffte. Es ist offensichtlich, dass er die Unterstützung eines sehr mächtigen Meisters sein Eigen nannte. Die Frage ist, um wen es sich dabei handelt und warum er so entschlossen war, die Shalott in seine Gewalt zu bekommen.«
»Ah … nun ja, ich nehme an, dass das jetzt keine Rolle mehr spielt.« Evor zuckte nervös mit den Achseln.
»Es sei denn, sein Meister begibt sich hierher, um nach ihm zu suchen.«
Evors Augen blitzten rot auf. »Meinen Sie, er kommt her?«
»Hellseherei gehört nicht zu meinen Talenten.«
»Ich muss die Leiche loswerden.« Der Troll warf einen Blick auf den leblosen Körper. »Vielleicht sollte ich sie verbrennen?«
»Das geht mich nichts an.« Viper hob die Schultern, um seine Gleichgültigkeit zu demonstrieren. »Ich werde nun mein Eigentum mitnehmen.«
»Oh, natürlich. Ein solches Durcheinander.« Evor durchsuchte nervös seine Taschen und fand schließlich ein kleines Amulett, das er dem ungeduldigen Vampir hinhielt. »Hier, bitte.«
Viper nahm das Amulett entgegen und blickte den Troll mit hochgezogenen Brauen an.
»Erklärt es mir.«
»Solange Sie das Amulett besitzen, muss die Shalott zu Ihnen kommen, wenn Sie sie rufen.«
Der Blick aus den mitternachtsschwarzen Augen glitt zu Shay. Sie versteifte sich angesichts der glühenden Genugtuung, die darin glitzerte.
»Also kann sie nicht vor mir fliehen?«, fragte Viper.
»Nein.«
»Was bewirkt es noch?«
»Nichts. Ich fürchte, Sie müssen sie selbst unter Kontrolle halten.« Evor grub in seinen Taschen, bis er einen schweren Schlüssel herauszog, den er Viper aushändigte. »Ich würde vorschlagen, dass Sie die Handschellen lassen, wo sie sind, bis sie sicher in einer Zelle verwahrt ist.«
Vipers Blick blieb die ganze Zeit auf Shays angespannte Miene gerichtet. »Oh, ich fürchte mich nicht davor, sie unter Kontrolle halten zu müssen«, meinte er leise. »Verlasst uns.«
Evor verbeugte sich leicht und gab seinen Schlägern einen Wink. »Wie Sie wünschen.«
Erst nachdem er das Geld aufgehoben hatte, das bis dahin auf der Bühne herumgelegen hatte, trieb Evor die Trolle vor sich her und verließ den Raum.
Sobald sie allein waren, kniete sich Viper vor Shay, die immer noch neben dem Pfosten kauerte. »Nun, mein Schatz. So treffen wir uns wieder«, murmelte er.
Albernerweise spürte Shay, wie sie die Luft anhielt. Du meine Güte, er war so wunderschön. Die Augen waren so dunkel und faszinierend wie ein samtener Nachthimmel. Die Gesichtszüge fein gemeißelt wie von der Hand eines Meisters. Das wallende silberne Haar schimmerte wie der feinste Satin.
Als sei er einzig und allein erschaffen worden, um jeder Frau Vergnügen zu bereiten, die das Glück hatte, seinen Weg zu kreuzen.
Der Drang, die Hand auszustrecken, um diese perfekten Züge zu berühren und zu entdecken, ob sie wirklich echt waren, ließ sie erschaudern.
Shay stellte fest, dass sie tatsächlich die Hand hob, aber es gelang ihr, sich zu beherrschen.Verdammt. Was stimmte nicht mit ihr?
Diese … verräterische Ratte hatte sie gerade gekauft, und zwar mit Haut und Haar, wie Levet es ausdrücken würde.
Sie wollte Viper einen Pflock durch das Herz treiben, nicht herausfinden, ob er ihr das Vergnügen, das er versprach, auch tatsächlich verschaffen konnte.
»Ich würde sagen, was für eine angenehme Überraschung, aber das ist es nicht«, entgegnete sie.
»Nicht angenehm oder keine Überraschung?«
Die seidenweichen Worte kribbelten auf ihrer Haut und brachten sie zum Erschaudern. Sogar seine Stimme war wie geschaffen dafür, eine Frau augenblicklich zum Höhepunkt kommen zu lassen.
»Rate mal«, brachte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Er wölbte eine Braue, die einige Nuancen dunkler war als sein Haar. »Ich hätte gedacht, dass du etwas dankbarer sein würdest, Schatz. Ich habe dich soeben vor etwas gerettet, was, wie ich annehme, eine sehr schlimme Zukunft gewesen wäre.«
»Ich bin nicht dein Schatz, und meine Zukunft bei dir ist kaum weniger schlimm.«
»Du kennst noch nicht die Pläne, die ich für dich habe.«
»Du bist ein Vampir. Das ist alles, was ich wissen muss.«
Viper streckte seine schlanke Hand aus, um die Locken zu berühren, die sich aus Shays Zopf gelöst hatten und ihr über die Wange fielen. Eine kühle Woge von Macht überschwemmte ihren Körper und sorgte dafür, dass sich ihr Magen vor Lust heftig zusammenzog.
Verdammter Vampir.
»Du glaubst, wir seien alle gleich?«
»Vampire sind seit hundert Jahren hinter meinem Blut her. Warum solltest du dich von ihnen unterscheiden?«
Seine Lippen zuckten amüsiert. »Warum, in der Tat.«
Sie wich zurück, bis sie von den Handschellen aufgehalten wurde, die ihr schmerzhaft in die Handgelenke schnitten.
»Wusstest du, dass ich hier sein würde, als du hergekommen bist?«, verlangte sie zu wissen.
Er hielt einen kurzen Moment inne, bevor er nickte. »Ja.«
»Und du bist aus diesem Grund hergekommen?«
»Ja.«
»Warum?«
»Offensichtlich, weil es mein Wunsch war, dich zu besitzen.«
Das Gefühl von Enttäuschung kehrte umgehend zurück, um Shays Herz zu durchbohren. Dumm, dumm, dumm.
»Und das, nachdem ich dir das Leben gerettet hatte?«
Er neigte seinen Kopf zur Seite, sodass ihm das lange Silberhaar über die Schulter fiel.
»Mir das Leben gerettet? Möglicherweise.«
Shays Augen weiteten sich empört. »Was meinst du mit ›möglicherweise‹? Edra wollte dich töten. Ich habe eine magische Entladung auf mich gezogen, die für dich bestimmt war.«
Er zuckte mit den Achseln. »Gewiss hast du eine hässliche Wunde verhindert, aber es ist unmöglich zu bestimmen, ob es ein tödlicher Schlag gewesen wäre.«
»Du Idiot«, keuchte sie, ohne sich darüber Gedanken zu machen, dass sie jetzt seine Sklavin und seiner Macht hilflos ausgeliefert war. »Ich habe dir das Leben gerettet, und trotzdem bist du hergekommen, um mich zu kaufen.«
»Gab es einen anderen Bieter, den du vorgezogen hättest?«
»Ich hätte es vorgezogen, euch alle zu töten.«
Vipers sanftes Lachen schwebte in der Luft. »So blutdürstig.«
»Nein, ich habe es nur satt, der Gnade jedes Dämons, jedes Monsters, jeder Hexe oder jedes Irren ausgeliefert zu sein, der über das Geld verfügt, mich zu kaufen.«
Er verstummte, während sein Blick in Shays gerötetem Gesicht forschte. »Ich vermute, das ist verständlich.«
»Du verstehst gar nichts.«
Sein leises Lächeln kehrte zurück, aber zum ersten Mal erkannte Shay die Falten der Anspannung um seine Augen.
»Vielleicht nicht, aber was ich verstehe, ist, dass ich nicht in der Stimmung bin, heute Abend mit dir zu kämpfen, Schatz. Ich wurde verletzt und benötige Blut, um wieder zu Kräften zu kommen.«
Shay hatte die Stichverletzungen ganz vergessen, die er aus dem Kampf mit dem Menschen davongetragen hatte. Nicht, dass diese sie im Augenblick sonderlich gekümmert hätten.
Es gefiel ihr nicht, dass er das Blut erwähnt hatte.
»Und?«
Der belustigte Ausdruck kehrte in seine Augen zurück, als er mühelos Shays Unbehagen erkannte. »Obgleich ich es vorzöge, wenn du mich auf zivilisierte Art in mein Versteck begleiten würdest, kann ich dich auch in Fesseln und unter Protest hinbringen. Die Wahl liegt bei dir.«
Sie weigerte sich, ihre Erleichterung zu zeigen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie unfreiwillig zur Blutspenderin werden würde.
»Wunderbare Aussichten.«
»Im Augenblick hast du keine anderen. Was ziehst du vor?«
Sie funkelte Viper wütend an, aber schließlich streckte sie ihm ihre Arme hin. Es hatte keinen Sinn, gegen das Unvermeidliche anzukämpfen. Außerdem war das Eisen, das an ihrer Haut scheuerte, schlimmer, als sie zugeben wollte.
»Nimm mir die Handschellen ab.«
»Habe ich dein Wort, dass du nicht versuchen wirst, gegen mich zu kämpfen?«
Shay zwinkerte überrascht mit den Augen. »Du traust meinem Wort?«
»Ja.«
»Warum?«
»Weil ich in deiner Seele lesen kann.« Er hielt ihrem Blick mühelos stand. »Dein Wort?«
Nun ja … Verdammt.
Sie wollte ihn nicht wissen lassen, dass sie ihr Versprechen unbedingt einhalten würde, wenn sie erst ihr Wort gegeben hatte. Das würde ihm bloß noch mehr Gewalt über sie verschaffen.
Für einen Moment weigerte sie sich, ihm das Versprechen zu geben. Wie konnte sie damit leben, ohne wenigstens zu versuchen, ihm einen Pflock durch sein Herz zu treiben? Schließlich hatte sie ihren Stolz. Aber als er sie weiterhin mit dieser entnervenden Ruhe ansah, die nur ein Vampir aufbringen konnte, seufzte sie unwillig auf. Er war bereit, in genau dieser Stellung eine Ewigkeit zu verharren, falls es nötig war.
»Heute Nacht werde ich nicht versuchen, gegen dich zu kämpfen«, erklärte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
Er lächelte über ihr widerwilliges Versprechen. »Mehr kann ich wohl nicht erwarten.«
»Verdammt richtig.«
Viper stellte fest, dass ihm ein Lächeln auf den Lippen lag, während er die Shalott vom Auktionshaus zu seinem wartenden Auto begleitete.
Er war sich alles andere als sicher, warum er zufrieden war.
Zur Auktion war er gekommen, weil ihm die schöne Dämonin nicht aus dem Sinn gegangen war. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, was er mit ihr zu tun beabsichtigte. Alles, was er wusste, war, dass er niemandem sonst gestatten konnte, sie zu besitzen.
Jedoch hatten seine Pläne keinen Kampf mit irgendeinem unbedeutenderen Schwarzmagier eingeschlossen und ebenso wenig die Verärgerung eines mächtigen Feindes, der zweifelsohne versuchen würde, Rache zu üben. Und ohne Frage hatten sie auch nicht beinhaltet, dass er von seiner ureigenen Sklavin wie ein blutsaugendes Monstrum behandelt wurde.
Warum zum Teufel lächelte er also?
Er senkte den Blick ein wenig, um den ärgerlichen ruckartigen Bewegungen von Shays Hüften zuzusehen, die vor ihm ging. Ah, ja. Nun erinnerte er sich wieder.
Ein Anflug von reiner Begierde zog ihm den Magen zusammen.
Der Duft von Shays starkem Blut reichte aus, um jeden Vampir vor Sehnsucht hart werden zu lassen. Sie durchtränkte die reine Luft mit Lust. Aber das war es nicht, was seine Aufmerksamkeit gefangen nahm.
Es waren ihre exotische Schönheit, die Grazie, mit der sie sich bewegte, die wilde Entschlossenheit, die in den goldenen Augen schimmerte, und die Gefahr, die um sie herumwirbelte wie eine Wolke der Verlockung.
Sie würde niemals leicht zu haben sein. Wenn ihr Liebhaber sie küsste, würde er nie wissen, ob sie ihre Beine um ihn schlingen oder ihm das Herz herausreißen würde.
Das verlieh der ganzen Angelegenheit ein zusätzliches köstliches Gefühl der Erregung, das er schon viel zu lange nicht mehr verspürt hatte.
Da Vipers Aufmerksamkeit noch immer von dem sanften Wiegen ihrer Hüften in Anspruch genommen wurde, war der Vampir gezwungen beiseitezutreten, als Shay abrupt vor der glänzenden schwarzen Luxuslimousine anhielt.
»Gehört das Auto dir?«, fragte sie.
»Trotz all meiner Sünden.«
Shay setzte ein gezwungenes Lächeln auf, aber Viper konnte ihre Vorsicht spüren. Sie schien durch die unverhohlene Demonstration seines Reichtums eher verstört als beeindruckt zu sein.
»Hübsch.«
»Es gefällt mir, gut zu leben.« Mit einer eleganten Bewegung öffnete Viper die Tür und machte eine Geste mit der Hand. »Nach dir.«
Es folgte eine spannungsgeladene Pause. Dann reckte Shay das Kinn vor und kletterte in die schwach erleuchteten Tiefen.
»Zum Teufel«, murmelte sie leise.
Er lächelte, als er sich auf dem Sitz ihr gegenüber niederließ. Der Wagen war ein Kunstwerk. Exklusive weiße Sitze, poliertes Satinholz, Schiebedach, ein eingebautes Weinregal und ein Plasmafernseher.
Was konnte ein anspruchsvoller Vampir mehr verlangen?
Viper wartete ab, bis das Auto sanft surrend anfuhr. Dann nahm er zwei Kristallgläser heraus und schenkte einen großzügigen Schluck von seinem Lieblingsjahrgangswein ein.
»Wein? Es ist ein besonders exquisiter Burgunder.«
Shay nahm das Glas nur, um daran zu riechen, als fürchte sie, es könne Gift enthalten. »Ich würde den Unterschied nicht erkennen, wenn du ihn in deiner Badewanne gebraut hättest.«
Viper verbarg sein Lächeln, indem er anerkennend einen kleinen Schluck von dem Wein nahm. »Ich sehe schon, ich muss dich in die Freuden des schönen Lebens einführen.«
Die goldenen Augen verengten sich. »Weshalb?«
»Weshalb was?«
»Weshalb solltest du dir die Mühe machen? Es spielt für dich doch wohl keine Rolle, ob ich teuren Wein oder kilometerlange Limousinen zu schätzen weiß.«
Viper zuckte leicht mit einer Schulter. »Ich bevorzuge eine Gefährtin, die über ein wenig Kultiviertheit verfügt.«
»Gefährtin?« Shay lachte kurz und freudlos auf. »Ich?«
»Ich habe eine Menge Geld für dich bezahlt. Hast du geglaubt, dass ich dich in einer feuchten Zelle verstecken will?«
»Warum nicht? Du kannst mich genauso gut in einer feuchten Zelle aussaugen wie irgendwo sonst.«
Viper streckte sich mit eleganter Unbefangenheit in seinem Sitz aus und zuckte leicht zusammen, als seine Verletzungen über den Druck protestierten, der auf sie ausgeübt wurde. In einigen Stunden würden sie verheilt sein, aber bis dahin würden sie ihn auf schmerzhafte Weise an seinen jüngsten Kampf erinnern.
»Es ist wahr, dass ich mit deinem Blut ein Vermögen verdienen könnte«, antwortete er und betrachtete ihren angespannten Gesichtsausdruck über den Rand seines Glases hinweg. »Vampire würden jeden Preis bezahlen, um von deinem mächtigen Elixier zu kosten. Mein Bestreben, noch mehr Reichtum anzuhäufen, ist jedoch nicht groß, und im Augenblick ziehe ich es vor, dich für mich selbst zu behalten.«
»Als deinen Privatvorrat?«, stieß sie heiser hervor und kreuzte die Arme vor ihrem Magen.
»Vielleicht«, murmelte er zerstreut, während er in ein Fach unter seinem Sitz griff und ein kleines Keramikgefäß herausnahm. »Streck deine Arme aus.«
Erwartungsgemäß versteifte sie sich und hielt entsetzt den Atem an. Sie hatte klar gesagt, dass sie es für ein Schicksal schlimmer als der Tod hielt, ihr Blut mit einem Vampir teilen zu müssen.
»Was?«
»Ich sagte, du sollst deine Arme ausstrecken.«
»Jetzt?«
»Jetzt.«
Ihre Kiefer arbeiteten, als sie ihn wütend anstarrte. Viper streckte seine Hand aus und wartete geduldig.
Es verging eine ganze Weile, bevor Shay einen leisen Fluch ausstieß und ihm ihren Arm hinhielt.
»Hier.«
Er umfasste ihren Unterarm mit einer Hand und nutzte seine andere, um damit eine kleine Portion der hellgrünen Creme aus dem Keramikgefäß zu holen. Dann begann er vorsichtig, die roten Blasen auf der Haut ihrer Handgelenke damit einzureiben. Die Wunden von den eisernen Handschellen würden Narben bilden, wenn sie nicht richtig behandelt wurden.
»Was machst du da?«, fragte sie.
»Es besteht keine Veranlassung, dich leiden zu lassen. Hexen sagen mir nicht gerade zu, aber nicht einmal ich kann leugnen, dass sie wissen, wie man eine wirklich gute Salbe herstellt.«
Shay runzelte die Stirn, als Viper nach ihrem anderen Handgelenk griff, um sich auch darum zu kümmern.
»Warum tust du das?«
»Du bist verletzt.«
»Ja, aber … warum kümmert dich das?«
Viper begegnete fest ihrem Blick. »Du gehörst nun mir. Ich kümmere mich um mein Eigentum.«
Shay kniff die Lippen zusammen. Sie war nicht vollkommen zufrieden mit seiner Erklärung, aber ihre Muskeln entspannten sich unter seiner sanften Berührung, und sie versuchte sich ihm nicht zu entziehen. Bis er ihr Handgelenk hob, sodass er seine Lippen auf ihre wunde Haut pressen konnte.
»Bitte nicht«, flüsterte sie, »ich …«
Ohne Vorwarnung öffnete sie ihre Augen weit, und mit einer kraftvollen Bewegung, die ihn unvorbereitet traf, hatte sie sich aus seinem Griff gewunden.
Viper spannte sich an, als er die plötzliche Gefahr spürte. »Was ist los?«
»Die Finsternis aus dem Auktionshaus«, flüsterte sie. »Sie folgt uns.«
»Duck dich«, befahl er und griff erneut unter den Sitz. Diesmal zog er eine elegante Handfeuerwaffe hervor.
Es gab einen dumpfen Aufprall, als die Limousine von hinten getroffen wurde. Viper fluchte leise vor sich hin. Er hatte keine Sorge, dass der Wagen zerstört werden würde, denn die Limousine war gebaut worden, um einer kleinen Atombombe zu widerstehen. Und natürlich war der Fahrer ein Vampir. Pierres Reflexe waren die besten, die er je erlebt hatte. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er unsterblich war.
Der perfekte Chauffeur.
Aber er würde jedem das Herz herausreißen, der dumm genug war, ihn so unverfroren anzugreifen.
Viper lehnte sich zur Seite und ließ langsam die getönte Scheibe herunter. Ein Windstoß peitschte durch das Wageninnere und verdrängte die wohlige Wärme. Der Herbst war ohne Gnade hereingebrochen und hatte die Nächte empfindlich kalt werden lassen.
Hinter ihnen beschleunigte ein großer Jeep in dem vergeblichen Versuch, sie von der Straße zu drängen. Sogar aus dieser Entfernung konnte Viper erkennen, dass in dem Auto zwei Leute saßen, die beide menschlich waren.
»Gib mir eine.«
Verblüfft über Shays leise Forderung drehte sich Viper um, um sie mit zusammengekniffenen Augen anzusehen.
»Du weißt, wie man mit einer Schusswaffe umgeht?«
»Ja.«
Ohne seinen Blick von ihren weit geöffneten Augen abzuwenden, griff er unter den Sitz, um ihr eine Handfeuerwaffe anzubieten, die seiner eigenen ähnelte. Mit erstaunlicher Effizienz wog sie die Pistole in der Hand, bevor sie ohne Probleme den Sicherungshebel umlegte.
Er hätte um seinen schönsten Rubin gewettet, dass dies nicht das erste Mal war, dass sie eine Waffe in der Hand hielt.
Das war nicht gerade beruhigend.
Aber zumindest würde sie sich nicht versehentlich den Fuß abschießen oder, was noch schlimmer wäre, ihm, dachte er ironisch, während er das gegenüberliegende Fenster herunterließ.
»Ziel auf die Reifen«, befahl er, beugte sich aus dem Fenster und lehnte sich mit der Hüfte gegen die Tür, um sich zu stabilisieren. Er wartete einen Augenblick, visierte sein Ziel an, drückte ab und traf den Vorderreifen mit einem einzigen Schuss. Auf der anderen Seite des Wagens feuerte Shay eine Reihe von Kugeln ab und durchlöcherte schließlich den anderen Reifen. Das Auto, das sie verfolgte, driftete hart nach rechts ab.Viper gelang ein Schuss durch das Seitenfenster, mit dem er den Fahrer erwischte, obwohl er unmöglich feststellen konnte, ob er ihn tödlich getroffen hatte.
Der Wagen kam von der Straße ab, und Viper nahm mentalen Kontakt zu Pierre auf, der die Limousine bereits herunterbremste. Er wollte diese Männer unbedingt in seine Gewalt bekommen, um aus ihnen jede kleinste Information herauszupressen, über die sie möglicherweise verfügten.
Und dann beabsichtigte er sie leer zu trinken.
Wer auch immer oder was auch immer seine Shalott besitzen wollte, entwickelte sich allmählich zu mehr als nur einer Plage.
Er musste ganz genau wissen, womit er es zu tun hatte.
Der Gedanke war ihm kaum in den Sinn gekommen, als das schlitternde Auto einen Laternenpfosten rammte. Er murmelte einen leisen Fluch und dann einen weiteren, als der Wagen prompt in einem Feuerball explodierte.
Zum Teufel.
Geschah das nicht immer nur im Kino?
Er ließ sich wieder im Wagen nieder und klopfte gegen die Trennwand. Umgehend brauste die Limousine in der Dunkelheit davon.
Viper beobachtete, wie Shay sich wieder hinsetzte. Er schloss die Fenster und streckte seine Hand aus, um die Waffe wieder an sich zu nehmen. Shay zögerte nur ganz kurz, bevor sie sie ihm in die Hand legte. Viper beugte sich herab, um beide Waffen in dem verborgenen Fach zu verstauen.
Er machte es sich auf dem Leder etwas bequemer und schenkte ihr ein schwaches Lächeln. »Nicht schlecht.«
»Sie zieht nach rechts.«
Sein Lächeln wurde breiter. »Ja, ich weiß.«
Langsam kniff sie die Augen zusammen. »Du dachtest, ich könnte sie auf dich richten?«
»Warst du nicht in Versuchung?«, fragte er.
»Eine Schusswaffe kann dich nicht töten.«
»Die Kugeln sind aus Silber und hätten bei mir zumindest einigen Schaden angerichtet.«
In Shays Augen glitzerte die unausgesprochene Warnung, dass sie weitaus mehr tun wollte, als ihm nur Schaden zuzufügen.
»Du hast gesagt, dass du mir traust.«
»Ich habe nicht so viele Jahrhunderte überlebt, ohne mir bewusst zu sein, dass ich mich gelegentlich irren kann. Mein Wahlspruch lautet: ›Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste‹.«
Shay warf sich in die Ecke ihres Sitzes und zerrte an dem langen, rabenschwarzen Zopf, der über ihrer Schulter lag. Sie war wütend gewesen, als er ihr das Versprechen abverlangt hatte, ihm keinen Schaden zuzufügen, zornig, dass er so einfach in ihrer edlen Seele gelesen hatte. Jetzt war sie ärgerlich, dass er weiterhin vorsichtig war.
Ob sie teilweise Dämonin war oder nicht, sie war so widersprüchlich wie jede Frau.
»Wenn ich dich verletzen wollte, bräuchte ich keine Waffe«, murmelte sie leise vor sich hin.
KAPITEL 3
Shay war nicht dumm.
Sie wusste, dass es unter allen Umständen gefährlich war, einen Vampir zu reizen. Als ob man russisches Roulette mit einer vollgeladenen Pistole spielte. Und sie war nun ganz und gar seiner Gnade ausgeliefert.
Aber während jeder ihrer Sinne ihr einschärfte, den Mund zu halten und in dem butterweichen Ledersitz zu versinken, weigerte sich ihr ausgeprägter Stolz einfach, darauf zu hören.
Abgesehen davon, dass Viper ein Vampir war, verkörperte er alles, was sie nicht leiden konnte.
Er war zu schön, unverschämt reich und, was am schlimmsten war, auf eine unverfrorene Weise zu überzeugt von seiner eigenen Bedeutung.
Das war das Schlimmste überhaupt.
Tief in ihrem Inneren beneidete sie ihn um diese coole, würdevolle Arroganz. Selbst wenn sie ein Jahrtausend lang lebte, würde sie niemals einen dermaßen unerschütterlichen Glauben an ihren eigenen Wert erlangen.
Sie war ein Mischling. Zur Hälfte Dämonin, zur Hälfte Mensch. Sie gehörte zu keiner dieser beiden Welten. Und sie würde auch nie dazugehören.
Der Vampir machte es sich in seinem Sitz bequem und sah sie mit festem Blick an.
»Was für eine faszinierende Diskussion, Schatz, die wir zweifelsohne irgendwann in allen Einzelheiten führen werden. Aber im Augenblick bevorzuge ich es, mich darauf zu konzentrieren, wer oder was dich so verzweifelt in seine Gewalt zu bringen versucht.«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Shay vollkommen aufrichtig. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wer hinter ihr her war. Ihr Leben hatte sie in den Schatten verbracht und nie irgendwelche Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Das war die einzige Methode gewesen, um zu überleben.
»Kein gekränkter ehemaliger Besitzer?«, fragte er.
»Abgesehen von Evor, der die Macht über meinen Fluch hat, war Edra meine einzige Besitzerin.« Sie kniff ärgerlich die Lippen zusammen. »Bis du kamst.«
»Kein ehemaliger Liebhaber, der einen Groll gegen dich hegen könnte?«
Sie spürte, wie ihr Gesicht dummerweise vor Verlegenheit heiß wurde. »Nein.«
»Kein ehemaliger Liebhaber?« Vipers Lippen zuckten vor kaum verhohlener Belustigung. »Oder niemand, der einen Groll gegen dich hegen könnte?«
»Das geht dich verdammt noch mal nichts an.«
»Es geht mich etwas an, wenn jemand versucht, mich zu töten.«
Shay zerrte heftig an ihrem Zopf, während sie Viper wütend ins Gesicht starrte. »Dann bring mich zu Evor zurück.«