Der letzte Hippie - Oliver Sacks - E-Book

Der letzte Hippie E-Book

Oliver Sacks

0,0
2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der New Yorker Neurologe Oliver Sacks ist durch seine Fallgeschichten weltberühmt geworden. Voller Empathie und mit großer Fachkenntnis hat er immer wieder Menschen porträtiert, deren Leben durch eine schwere Krankheit oder Behinderung geprägt wurde – und hat seinen Lesern gezeigt, welche Chancen die Abweichungen vom sogenannten Normalen bieten und welche positiven Besonderheiten die betroffenen Menschen auszeichnen. Greg F. war ein begabter, musikbegeisterter junger Mann, der die amerikanische Studentenrebellion der sechziger Jahre miterlebte – mitsamt ihren Drogenexperimenten und Hare-Krishna-Eskapaden. Dann warf ihn ein Hirntumor aus der Bahn. Greg erblindete und galt fortan als neurologisch und psychisch schwer behindert – ein sogenannter hoffnungsloser Fall, an den Rollstuhl gefesselt. Oliver Sacks nahm sich des Patienten an und näherte sich ihm in einem langwierigen Prozess, den er in dieser Fallgeschichte einfühlsam beschreibt. Schließlich bringt er Greg zu einem Konzert von dessen einstiger Lieblingsband «Grateful Dead» in den Madison Square Garden – und die Sinne des Schwerkranken werden auf verblüffende Weise neu aktiviert. Eine Geschichte, die unter die Haut geht – und die überraschende Einsichten in die oft rätselhafte Funktionsweise unseres Gehirns bietet.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 66

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Oliver Sacks

Der letzte Hippie

Eine Fallgeschichte

Aus dem Englischen von Alexandre Métraux

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Der New Yorker Neurologe Oliver Sacks ist durch seine Fallgeschichten weltberühmt geworden. Voller Empathie und mit großer Fachkenntnis hat er immer wieder Menschen porträtiert, deren Leben durch eine schwere Krankheit oder Behinderung geprägt wurde – und hat seinen Lesern gezeigt, welche Chancen die Abweichungen vom sogenannten Normalen bieten und welche positiven Besonderheiten die betroffenen Menschen auszeichnen.

 

Greg F. war ein begabter, musikbegeisterter junger Mann, der die amerikanische Studentenrebellion der sechziger Jahre miterlebte – mitsamt ihren Drogenexperimenten und Hare-Krishna-Eskapaden. Dann warf ihn ein Hirntumor aus der Bahn. Greg erblindete und galt fortan als neurologisch und psychisch schwer behindert – ein sogenannter hoffnungsloser Fall, an den Rollstuhl gefesselt.

Oliver Sacks nahm sich des Patienten an und näherte sich ihm in einem langwierigen Prozess, den er in dieser Fallgeschichte einfühlsam beschreibt. Schließlich bringt er Greg zu einem Konzert von dessen einstiger Lieblingsband «Grateful Dead» in den Madison Square Garden – und die Sinne des Schwerkranken werden auf verblüffende Weise neu aktiviert.

Über Oliver Sacks

Der letzte Hippie

Such a long, long time to be gone …

and a short time to be there …

Robert Hunter, «Box of Rain»

Greg F. wuchs in den fünfziger Jahren als Kind einer wohlhabenden Familie im New Yorker Stadtteil Queens auf. Er war ein attraktiver, recht begabter Junge, der, wie sein Vater, für eine berufliche Karriere prädestiniert schien – vielleicht für eine Karriere als Songwriter, wofür er schon in jungen Jahren Talent zeigte. Doch als Jugendlicher in den späten Sechzigern wurde er rebellisch und stellte so manches in Frage. Er begann das konventionelle Leben seiner Eltern und der benachbarten Familien ebenso zu hassen wie die zynische, kriegslüsterne Politik des Landes. Sein Drang, aufzubegehren, aber zugleich auch nach Idealen zu suchen, nach einem Vorbild, nach Führung, beherrschte ihn vollends 1967, im «Sommer der Liebe». Er ging oft ins Village, hörte nächtelang Allen Ginsberg, begeisterte sich für Rockmusik, besonders Acid Rock, und vor allem für die Gruppe The Grateful Dead.

Er entfremdete sich zunehmend von seinen Eltern und Lehrern, gegen die er sich aufsässig zeigte und verschloss. Als Timothy Leary 1968 die Jugend Amerikas aufrief: «Turn on, tune in, drop out», ließ sich Greg die Haare lang wachsen, brach die Schule ab, wo er als guter Schüler gegolten hatte, wandte sich vom Elternhaus ab und schlug seine Zelte im Village auf, wo er LSD nahm und in die Drogenszene des East Village geriet. Wie viele seiner Generation machte er sich auf die Suche nach Utopia, nach der inneren Freiheit und nach «höherem Bewusstsein».

Doch das turn on, das «Anturnen», allein befriedigte Greg nicht. Er sehnte sich nach einer kodifizierten Weltanschauung und Lebensweise. 1969 zog es ihn wie viele junge Acid Heads zu Swami Bhaktivedanta und seiner Internationalen Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein in der Second Avenue. Unter seinem Einfluss schwor Greg, wie so viele andere, dem LSD ab und fand in religiösen Höhenflügen einen Ersatz für LSD-Highs. («Die einzige Radikalkur gegen Trunksucht», so William James, «ist Religionssucht.») Die Lehre, die Gefolgschaft, das gemeinsame Singen, die Rituale, die asketische und charismatische Gestalt des Swami überkamen Greg wie eine Erleuchtung, und innerhalb kurzer Zeit wurde er ein leidenschaftlicher Anhänger und Konvertit.[*] Nun hatte sein Leben endlich einen Mittelpunkt, einen Fokus. In den ersten exaltierten Wochen nach seiner Bekehrung wanderte er, in safrangelbe Gewänder gekleidet und die Hare-Krishna-Mantren singend, im East Village umher, und Anfang 1970 zog er in den Haupttempel in Brooklyn. Seine Eltern wollten dies zunächst nicht zulassen, widersetzten sich dann aber seinen Wünschen nicht mehr. «Vielleicht wird es ihm helfen», meinte sein Vater, pädagogisch gestimmt. «Wer weiß, vielleicht ist das der Weg, dem er folgen muss.»

Das erste Jahr im Tempel verlief reibungslos; Greg war folgsam, aufrichtig, fromm und gläubig. Er ist ein Erwählter, sagte der Swami, einer, der zu uns gehört. Anfang 1971 wurde Greg, nun eng mit der Gemeinschaft verbunden, zum Tempel von New Orleans gesandt. Als er im Tempel von Brooklyn lebte, hatten ihn seine Eltern noch hin und wieder getroffen, nun brachen die Beziehungen vollends ab.

In Gregs zweitem Krishna-Jahr machte sich ein Problem bemerkbar – er spürte, dass seine Sehschärfe abnahm, ein Symptom, das der Swami und andere spirituell deuteten: Er sei ein «Erleuchteter», sagten sie ihm; es sei das «innere Licht», das immer heller in ihm strahle. Greg hatte sich zunächst wegen seiner Sehkraft Sorgen gemacht, doch die spirituelle Erklärung seines Swami beruhigte ihn. Seine Augen wurden weiterhin zunehmend schwächer, aber er klagte nicht mehr darüber. Und tatsächlich schien er von Tag zu Tag vergeistigter zu werden; eine wunderbare, nie zuvor erlebte Gelassenheit breitete sich in ihm aus. Von seiner früheren Ungeduld und Umtriebigkeit war nichts mehr zu spüren. Manchmal verfiel er in eine Art Benommenheit und starrte mit einem seltsamen (einige sagten: «transzendentalen») Lächeln vor sich hin. «Das ist die Seligkeit», meinte sein Swami, «er wird zum Heiligen.» In dieser Phase seiner Entwicklung, hieß es, brauche er dringend den Schutz der Gemeinschaft. So verließ er den Tempel nicht, unternahm überhaupt nichts mehr ohne Begleitung, und von Kontakten zur Außenwelt wurde ihm nachdrücklich abgeraten.

Seine Eltern erfuhren nichts von ihm selbst, doch erhielten sie gelegentlich Mitteilungen aus dem Tempel, in denen immer häufiger von seinem «spirituellen Wachstum» und seiner «Erleuchtung» die Rede war, Mitteilungen, die derart vage klangen und in einem Maße von der ihnen aus früherer Zeit vertrauten Person Gregs abwichen, dass sie sich immer größere Sorgen machten. Einmal schrieben sie einen Brief an den Swami und erhielten eine besänftigende, abwiegelnde Antwort.

Drei weitere Jahre vergingen, bevor Gregs Eltern beschlossen, sich einen eigenen Eindruck von Gregs Zustand zu verschaffen. Der Vater war damals in schlechter gesundheitlicher Verfassung und fürchtete, er würde seinen «verlorenen» Sohn nie wiedersehen, wenn er noch länger wartete. Nachdem sie dies dem Tempel mitgeteilt hatten, erhielten sie schließlich eine Besuchserlaubnis. So kam es 1975, nach vier Jahren ohne jeglichen Kontakt, zu einem Wiedersehen im Tempel von New Orleans.

Was sich ihren Blicken bot, erfüllte sie mit Entsetzen. Ihr ehemals schlanker Sohn mit seinem schönen Haar war dick und kahl geworden. Sein Gesicht war ständig zu einem «blöden» Lächeln verzogen (so der Ausdruck des Vaters). Immer wieder brachen unversehens Lied- und Versfetzen aus ihm hervor, oder er machte «idiotische» Bemerkungen, und all das ohne Anzeichen tieferer Gefühle («als sei er ausgehöhlt, als sei er innen ganz leer», sagte sein Vater). Für das gegenwärtige Geschehen schien er sich nicht zu interessieren. Er war desorientiert – und völlig blind. Die Tempelgemeinschaft ließ Greg überraschenderweise ziehen – vielleicht war selbst sie zu der Überzeugung gelangt, dass sein Aufstieg zur Erleuchtung zu weit gegangen war, und hatte sich über Gregs Zustand beunruhigt gefühlt.

Greg wurde in einer Klinik untersucht und in die Neurochirurgie eingewiesen. Das Tomogramm zeigte einen riesigen Tumor, der die Hypophyse, die benachbarte Sehnervenkreuzung (Chiasma opticum) sowie Teile der Sehbahn zerstört hatte und sich beidseitig bis in die Stirnlappen erstreckte. Es reichte zudem bis zu den Schläfenlappen und nach unten zum Dienzephalon (Zwischenhirn). Bei der Operation stellte sich heraus, dass es sich um eine gutartige Geschwulst (Meningiom) handelte – doch die Wucherung hatte schon die Größe einer kleinen Pampelmuse oder einer Orange erreicht, und obwohl es den Chirurgen gelang, sie fast vollständig zu entfernen, konnten sie den bereits angerichteten Schaden nicht beheben.