Der Mantel des Kaisers - Christina Maus - E-Book
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Der Mantel des Kaisers E-Book

Christina Maus

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Beschreibung

Staufer oder Welfe? Was für eine blöde Frage. Zumindest wenn man sie dem großen Frankenkönig Karl dem Großen stellt. Aber wie gelangt Karl eigentlich zwischen die Fronten der verfeindeten Adelsgeschlechter? Auf seiner ganz besonderen Zeitreise durch die deutsche Geschichte nimmt er dich an die Hand und stürzt sich mit dir in jedes Abenteuer, das euch und Karls Rittern auf eurem Weg begegnet. Egal ob Merowingerkönige, Hexen, Nibelungen oder Kreuzritter: Karl kennt sie alle und quetscht sympathisch, ehrlich und neugierig alle Informationen über das Werden und Sein unseres Landes aus ihnen heraus. 2000 Jahre zum Staunen, Schmunzeln und Mitfiebern. Und am Ende wieder eine Frage: Wie cool kann Geschichte eigentlich sein?

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Für Manuel

Inhalt

Vorwort

Teil 1

Das Frühe Mittelalter

Der Aachener Dom

Die Völkerwanderung

Wir sind die Merowinger

Wandermönche auf Tour

Bühne frei für die Karolinger

Rolandslied und dicke Tränen

Starke, schnelle Wikinger

Streit um Karls Erbe

Fleißige Mönche

O wie Ottonen

Wohin des Weges, Pilger?

Der verborgene Schatz: Die Reichskleinodien

Teil 2

Das Hohe Mittelalter

Bernhard von Clairvaux und die Kreuzzüge

Städte und Burgen

100 Jahre Salier

Frischer Wind in alten Mauern: Klosterreformen

Investiturstreit und Gang nach Canossa

Nasse Mäntel in der Schmiede

Deutsche Sprache-schwere Sprache

Höfisches Epos und Rittertum

Lieblicher Minnesang

Nichts für schwache Nerven: Gregorius und Nibelungen

Staufer oder Welfe?

Schwarzer Tod

Kostbares Papier auf dem Gutenberg

Humanismus und neue Weltanschauungen

Teil 3

Das Ausgehende Mittelalter und die Neuzeit

Ein Besuch im Hansekontor

Interregnum oder die Macht der Kurfürsten

Hallo Habsburg

Konzil in Konstanz

Unfall mit Folgen

Pilzpastete und andere Köstlichkeiten des Mittelalters

Karl bei den Hexen

Walz oder Walzer? Handwerker und Zünfte

Kommt ein Herold geritten

Suche nach Luther

Der Reformator im Baum

Traktate und Trinkbecher

Modellstehen für Dürer

Angriff!

Simplicius Simplicissimus

Militärische Neuordnung: die Landsknechte

30 Jahre Krieg

Luftige Gräber in Münster

Endlich Frieden

Bibliographie

Geschichtliche Daten im Überblick

Quellennachweise

Vorwort

S tell dir vor, du würdest einen Monat lang auf einer einsamen Insel sein. Ohne Handy, Internet oder Fernsehen. Keine Nachrichten. Nichts. Nur das Rauschen der Wellen und die Sonne, die immer wieder auf- und untergeht. Die Welt dreht sich weiter, Menschen interagieren, Dinge geschehen und du bekommst von all dem nichts mit.

Was würde passieren, wenn du nach dieser wahrscheinlich ganz erholsamen Auszeit wieder an ein Stromnetz angeschlossen wärest? Könnte man all das, was du verpasst hast, wieder aufholen und nachlesen? Schwer vorstellbar. Bis man alle Nachrichten und Neuigkeiten gelesen hätte, wäre schon wieder so viel anderes geschehen, dass man nicht mehr hinterherkommen würde. Deshalb filtern wir Nachrichten und Informationen. Natürlich gibt es Dinge, die fast jeder mitbekommt, weil sie enorm wichtig sind. Aber vieles geschieht auch einfach, und niemand nimmt Notiz davon. Und ich rede jetzt nur von der Gegenwart.

Richten wir nun den Blick auf die Vergangenheit. Wie ist die Welt zu dem geworden, was sie ist? Wie haben sich Ländergrenzen, Kulturen, Sprachen und Heldengeschichten gebildet? Würde man alle Bücher über das Vergangene und die Geschichte unserer Welt sammeln, man könnte ganze Fußballstadien damit füllen. Viele Bücher gehen dabei sehr ins Detail und sind eine Freude für jeden Wissenschaftler, aber für den Laien nur schwer zu greifen. Das Resultat: eine gewisse Geschichtsmüdigkeit. Manche Leser resignieren vor der Reizüberflutung und denken beim Wort Geschichte sofort an dicke, staubige, mühsam lesbare Wälzer und nicht an Spaß beim Lesen. An dieser Stelle komme ich ins Spiel.

Mein Ziel ist es, diese „too much information“ über unsere Vergangenheit zu filtern und einen leicht nachvollziehbaren, verständlichen Überblick über die Entstehung unseres Landes zu geben, der nicht langweilt, sondern fesselt. Denn das ist Geschichte für mich: spannend und erzählenswert, wenn man sich die richtigen Aspekte rausgreift, ohne die wichtigsten zu vergessen.

Wie ist das Land, in dem wir leben, eigentlich entstanden? Wer sind unsere Vorfahren und woher kommt unsere Sprache? Komm, lass uns gemeinsam nach unseren Wurzeln suchen!

Teil 1

Das Frühe Mittelalter

Kapitel 1

Mit einem lauten Platsch sprang der König ins Wasser. Heftig schwangen die Wellen in der heißen Quelle hin und her, denn der König hatte einen breiten und kräftigen Körperbau und war nicht unbedingt zu dünn, denn zu einem leckeren Rebhuhn an der abendlichen Tafel sagte er nur selten nein. Dann beruhigte sich das Wasser wieder und außer dem Dampf, der über dem Becken durch die kalte Luft waberte, stiegen nur ein paar lautlose dicke Luftblasen an die Oberfläche. Doch plötzlich teilte sich das Wasser wieder und die großen freundlichen Augen Karls des Großen tauchten aus der dampfenden Quelle auf. Direkt nach den Augen kam eine ebenso gewaltige Nase und ein heiteres Gesicht mit einem weißen Bart, aus dem es triefte, zum Vorschein.

„Ach, ist wusste gar nicht, dass wir heute noch Besuch an unserem Hof erwarten. Dann hätte ich mit meinem Bad noch ein wenig gewartet. Verzeiht mir diese Unhöflichkeit. Aber diese warmen Quellen hier in Aachen sind einfach herrlich.“

Der König kniff verschmitzt ein Auge zu, blies die Backen auf und tauchte abermals unter.

Nachdem er noch einige Bahnen gezogen hatte, kletterte er zurück auf die taunasse Wiese und hüllte sich in mehrere dicke Pelze, die ihm ein Diener zurechtgelegt hatte. Danach zog er seinen meergrünen Lieblingsmantel über die Pelze, schlüpfte in seine mit Edelsteinen besetzten Schuhe und ließ sich seufzend auf einem Stuhl neben seinem Besucher nieder.

„Du musst wissen, diese warmen Quellen waren der Grund dafür, dass ich meinen Hauptwohnsitz hierher nach Aachen verlegt habe.

In meinem riesigen Frankenreich besitze ich zwar viele Pfalzen (Pfalz von lat.: `palatium`; Burg oder Palast), die mir und meinem Gefolge auf Reisen und Kriegszügen als Rückzugsort und zur Versorgung meiner Truppen dienen. Aber regieren will ich nur noch hier in Aachen.

Denn hier ist es nicht nur schön ruhig, sondern ich komme von hier auch schnell zu meinen anderen Burgen und wir befinden uns hier in der Nähe vieler großer Flüsse. Ganz praktisch also.

Mal abgesehen von meiner mächtigen Königshalle mit bronzenen Türen und meiner eigenen Palastkapelle im Aachener Münster. Dort wurden nach meinem Tod im Jahr 814 noch viele Jahrhunderte lang deutsche Könige gekrönt. 32 um genau zu sein. Aber ich will nicht angeben. Das geziemt sich nicht für einen frommen Herrscher.“ Karl setzte sich aufrecht hin und räusperte sich.

„Wie wäre es, hast du Lust, dir meinen Palast anzuschauen? Wir könnten zuerst in die große Bibliothek mit Schreibstube gehen. Dort sitzt mein guter Freund Einhard gewiss schon wieder bei Kerzenschein und schreibt an seiner Biographie über mich. Komm, ich zeig es dir.“

Flink stand der König auf und ging mit raschen Schritten durch die von Rosen umrankte Pforte des Gartens, über den staubigen Hof vorbei an den Pferdeställen bis zu einem großen Gebäude mit einer breiten Fensterfront. An der Tür stand ein Diener, der seinem Herrn und dessen Besuch eilig die schwere Eichentür aufstieß. „Das ist unsere Hofschule. Ich bin sehr stolz auf meine eigene Akademie. Hierher lade ich aus allen Teilen meines Reiches die schlauesten Köpfe ein und bespreche mich mit ihnen über Grammatik, Astronomie, Musik und philosophische Fragen.

Wir haben auch viele Mönche hier, die schreiben können und das Wissen in Büchern festhalten und dann über mein ganzes Reich verbreiten.“

Karl tippte sich auf seinen mit beeindruckenden Muskeln versehenen Arm und dann an seinen Kopf. „Nicht nur das hier zählt, sondern auch das hier.“ Der mächtige Herrscher lächelte und stieß die Tür zur Schreibstube auf. „Habe ich es doch gewusst! Da sitzt mein fleißiger Freund Einhard so wie jeden Abend mit dem Federkiel.“

Karl lachte donnernd und schlug dem etwas schmächtig wirkenden Einhard auf den Rücken, wobei ein dicker Klecks Tinte quer über das halb beschriebene Pergament spritzte. Doch der König bemerkte die Schweinerei gar nicht und faltete die dicken Pergamentseiten, so dass er den Titel besehen konnte.

„Vita Caroli Magni“, las er mit leicht zusammengekniffenen Augen, „ein Buch über mein Leben als König und Kaiser der Franken. Hat auch nicht jeder!“, rief Karl und schlug dem armen Einhard noch einmal kräftig auf den Rücken. „Ich freu mich schon, wenn es fertig ist.

Du kannst es dir übrigens selbst einmal ansehen, es liegt heute in Wien in der österreichischen Nationalbibliothek.

Und Einhard, sag an, wie war dein Tag? Wollte nicht heute ein Mönch aus dem Kloster in Fulda vorbeikommen und dir etwas über eine neue Art zu schreiben beibringen?“

„Oh ja, der war da. Ein sehr netter Bursche.“ Einhard begrüßte den Besuch kurz mit einem Nicken und fuhr fort.

„Er hat mir etwas über die Karolingische Minuskel erzählt. Eine neue Art der Schrift mit Groß- und Kleinbuchstaben. Natürlich haben sie sie nach dir benannt. Bei der althergebrachten Majuskelschrift, die wir alle benutzen, sind ja alle Buchstaben gleich groß. Die neue Schrift ist viel eleganter und angemessener für einen König.“

Einhard schwang seinen Federkiel formvollendet durch die Luft und spritzte dabei noch mehr Tinte auf das Pergament. „Oh, na diese Seite war eh nicht mehr zu retten. Ich habe ihm direkt die von euch in Auftrag gegebene neu erstellte Grammatik mitgegeben. Dann kann er den Mönchen endlich beibringen, was ein Genitiv ist. Und ich habe ihm gesagt, er soll die Liste mit den Namen der Monate im ganzen Frankenreich verteilen. Wann kommen euch nur immer diese tollen Ideen, mein König? Den Monaten deutsche Namen geben, ha.“

„Beim Schwimmen, mein guter Freund. Das belebt und erfrischt den Geist nach getaner Arbeit. Nun denn, dann wollen wir euch nicht länger stören. Ich werde unserem Besuch nun meinen Thron im Münster zeigen. Gehabt euch wohl!“

Mit einer einladenden Geste deutete Karl seinem Gast an, ihm zu folgen. Einhard faltete seufzend die bekleckste halb beschriebene Pergamentseite zusammen und warf sie unter sein Schreibpult auf den staubigen Boden.

*

Marmorthron im Aachener Dom

(Aachen, Dom; private Aufnahme).

Das Aachener Münster wurde in der Form eines Oktogons, also achteckig gebaut. Die Wände entlang des äußeren Rundganges werden von antiken Säulen gestützt; die hohen Decken sind prachtvoll mit Gold, farbenfrohen Mosaiken und Wandmalereien verziert. Völlig egal, an welcher Stelle des Rundlaufes im ersten oder zweiten Geschoss man sich befindet, hat man von allen Seiten einen unversperrten Blick in den Innenraum, in dessen Mitte ein gewaltiger, reich geschmückter, goldener Kronleuchter hängt.

In der ersten Etage des Rundganges steht ein schlichter Thron aus Marmorplatten auf einem Steinpodest, auf den Karl sich schnaubend niederließ. „Von diesem Thron aus habe ich mein Weltreich regiert, aber es war ein langer Weg bis dahin.“ Karl rutschte etwas zur Seite und klopfte mit der Hand auf den freien Platz neben sich. „Komm mein Freund, mach es dir bequem. Ich erzähle dir von Anfang an.

Wie der Name „Germany“ schon verrät, liegen unsere Ursprünge in den germanischen Volksstämmen. Dabei lag die Urheimat dieser germanischen Völkerfamilie 2000 Jahre vor der Geburt Jesu in Südskandinavien, Schleswig- Holstein und Niedersachsen. Also so ziemlich in der Mitte des heutigen Europas. Wie viele solcher Stämme gab es? Leider gibt es nicht viele erhaltene schriftliche Aufzeichnungen darüber, aber der antike Geschichtsschreiber Tacitus hat alles über die Germanenstämme gesammelt und in seinem Buch „Germanica“ zusammengefasst. Darin erwähnt er rund 60 solcher Stämme, darunter die Teutonen, die Cherusker, die Friesen, die Langobarden, die Alemannen, die Salier, die Sachsen, die Thüringer und die Bayern.

Diese Germanenstämme waren recht unruhige Zeitgenossen. Statt irgendwo an einem Fluss zu siedeln und Häuser zu bauen, zogen sie lieber immerzu umher.

Sie betrieben keinen Ackerbau, denn das hätte ja bedeutet, dass man in der Nähe der bestellten Felder leben müsste, sondern ernährten sich von der Jagd und konzentrierten sich darauf, Krieg mit anderen Stämmen zu führen.

Die Germanen waren also tapfer und sie lehnten es ab, Dinge zu besitzen (sonst hätten sie bei ihren ganzen Wanderungen ja auch immer alles mit sich herumschleppen müssen). So machten sie im Lauf der Jahrhunderte ganz schön Meter und besiedelten bald ganz West-, Mittel- und Osteuropa. Man unterscheidet dabei drei große Gruppen: Die Nordgermanen blieben in Skandinavien und bildeten den Ursprung der Dänen, Schweden, Norweger und Isländer. Die Ostgermanen (Goten, Wandalen und Burgunder) zog es nach Süden; die Westgermanen blieben in der Mitte Europas und besiedelten zusätzlich noch die britischen Inseln.

Jetzt könnte man meinen, dass doch irgendwann jeder Germanenstamm ein unbesiedeltes Fleckchen für sich gefunden haben müsste und zur Ruhe kommen könnte. (Der Konjunktiv verrät an dieser Stelle aber schon, dass es nicht so war). Denn im Osten lauerte eine Gefahr, die immer wieder Unruhe reinbrachte: Wild entschlossene asiatische Reitervölker wie die Awaren oder die sagenumwobenen Hunnen standen den Germanen in ihrer Tapferkeit in nichts nach und versuchten, sie zu verdrängen. Vor allem die Goten im Osten wurden stark unter Beschuss genommen und wichen nach Italien und Spanien aus. Doch zieht der eine Stamm weiter, vertreibt er wieder einen anderen, wie ein Stein, der im Wasser seine Kreise zieht. Die Völkerwanderung der germanischen Stämme war also oft auch eine Kettenreaktion, bei der es auch schon mal sein konnte, dass manche Stämme ganz verschwanden oder sich neue bildeten, weil zwei Stämme sich zu einem zusammenschlossen.

Chaos also auf der Landkarte.

Und auch im Süden hatten die Germanenstämme über Jahrhunderte einen mächtigen Feind, der versuchte, die Grenzen seines Reiches immer weiter nach Norden auszudehnen: die Römer. So kam es z.B. im Jahre 9 n.Chr. zur großen Schlacht im Teutoburger Wald, bei der die Cherusker mit der Unterstützung anderer Germanenstämme drei römische Legionen vernichtend in die Flucht schlugen.

Irgendwann muss den Anführern der vielen verschiedenen Germanenstämme dann ein Licht aufgegangen sein. Vielleicht war es nach einer erfolgreichen Schlacht, die sie vereint mit anderen Stämmen für sich entscheiden konnten. Ihnen wurde bewusst, dass sie im Verbund stärker gegen äußere Angreifer waren und so lautetet das neue Motto: „Einer für alle und alle für Einen.“ Entlang des Rheins schlossen sich viele verschiedene kleine Germanenstämme zusammen und gaben sich einen gemeinsamen neuen Namen: die Franken, was so viel wie „die Freien“ oder „die Kühnen“ bedeutete. Ein erstes starkes Bündnis inmitten der leicht chaotischen Völkerwanderung. Keine schlechte Idee.

Zu ihrem Anführer erkoren die Franken Chlodwig I. aus dem Geschlecht der Merowinger. Von 482 bis zum Jahr 511 war Chlodwig König des fränkischen Reiches und zwang in diesen drei Jahrzehnten (wahrscheinlich mit viel Blutvergießen) ganz Westeuropa unter seine Herrschaft. Er vertrieb die Westgoten, die es sich in Frankreich gemütlich gemacht hatten, zurück nach Spanien und auch den mächtigen Stamm der Alemannen drängte er weit in den Osten ab. Während einer schweren Schlacht gegen die Alemannen schwor er auf dem Schlachtfeld, dass er sich taufen lassen würde, sollte er als Sieger vom Platz gehen. Und was man verspricht, muss man auch halten, also wurde Chlodwig im Jahr 498 katholisch.

Das klingt jetzt erst mal nicht so spannend, war aber in der Tat etwas sehr Besonderes, denn die Germanen huldigten bis dahin einem heidnischen Götterglauben. So verehrten die heidnischen Germanenstämme Donar, den Donnergott des Gewitters und Wotan, den Allvater und Schlachtenlenker. Sie brachten ihren Göttern auf steinernen Altären in der Natur Tier- und angeblich sogar Menschenopfer dar, um sie gnädig zu stimmen und trugen Amulette zur Abwehr böser Dämonen.

Auf die Taufe ihres Anführers Chlodwig reagierte die heidnische Bevölkerung also erst einmal semi-begeistert. Und es sollte noch mehrere hundert Jahre dauern, bis sich die Christianisierung der Franken so richtig durchsetzen konnte.

Ganz enorm geholfen haben dabei zu allem entschlossene Wandermönche, denen kein Weg zu weit war, um die frohe Botschaft von Jesus in die Welt zu tragen. Also schnürten sie ihr Bündel mit drei Paar zusätzlichen Sandalen und machten sich auf ihren Weg von Irland und England (wo der Katholizismus sehr viel höher im Kurs stand) ins ferne Frankenreich.

Der bekannteste von ihnen war der heilige Bonifatius. Geboren in Exeter erreichte er 718 das Frankenreich und wurde vom Papst zum „ersten Bischof der Deutschen“ ernannt. Bonifatius verbreitete die frohe Botschaft im Volk und gründete mehrere Klöster, darunter auch sein Lieblingskloster in Fulda. Doch nicht alle Heiden sprangen direkt begeistert in den Fluss, um sich taufen zu lassen, wenn sie die Botschaft der Wandermönche hörten. Und so dachte sich Bonifatius, dass er mal etwas richtig Spektakuläres tun muss, um die verlorenen Seelen von ihrem Irrglauben weg zu bekommen. Er schwang die Axt und fällte eigenhändig die Donareiche, die von den Heiden verehrt und gehuldigt wurde. Manche mag er damit bekehrt haben, doch hielten viele weiter an ihrem Glauben fest.

Und so wurde Bonifatius bei dem Versuch, in Friesland das Christentum zu verbreiten, von einer wilden Meute niedergemetzelt. Kein schöner, aber hoffentlich ein schneller Märtyrertod. Beigesetzt wurde der erste deutsche Bischof in seinem Lieblingskloster in Fulda. Und genau dort an seinem Grab versammeln sich ihm zu Ehren noch heute die deutschen Bischöfe zur alljährlichen Bischofskonferenz.

Doch nun zurück zum frisch getauften Frankenkönig Chlodwig I. Der hatte Paris zum politischen Zentrum seines mächtig gewachsenen Reiches erkoren und nach getanen Schlachten vier Söhne gezeugt, die das Erwachsenenalter erreichten. Für diese vier Söhne galt das Prinzip der Herrschaftsteilung, das seinen Ursprung im germanischen Volksglauben hatte.

Es besagte, dass alle Mitglieder der königlichen Sippe (also der Merowinger) magische und charismatische Herrschaftsfähigkeiten besitzen. Und zwar alle gleich (also nix mit Primogenitur, d.h. des Vorrechts des Erstgeborenen). Es gab nach Chlodwigs Tod also nicht einen Alleinerben, sondern das Frankenreich musste unter seinen vier Söhnen aufgeteilt werden. Das konnte ja nicht gut gehen.

Obwohl es zuerst gar nicht so schlecht lief. Chlodwigs Söhne trieben den Ausbau des von ihrem Vater geschaffenen Frankenreichs noch voran und eroberten bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts (550) noch Thüringen, Bayern und Burgund (heute Frankreich). So hatten die Merowinger in kürzester Zeit mit viel Schweiß und Tränen aus dem Flickenteppich der germanischen Volksstämme ein Reich geschaffen, das vom Atlantik über das Mittelmeer bis an die Ostsee verlief.

Doch viel Macht ruft Neid hervor und hat schon so manche Brüder gegeneinander aufgehetzt.

Und so kam es, dass Chlodwigs Söhne sich heillos zerstritten und bekämpften und das merowingische Frankenreich wieder in viele kleine Teile zerfiel, die sich untereinander bis aufs Blut bekämpften. Ende mit „Einer für alle und alle für Einen“.

100 Jahre lang zerlegten die Merowinger sich selbst und es herrschte wieder das alte Chaos. Zeit also für das nächste mächtige Adelsgeschlecht, und das stand schon in den Startlöchern: die Karolinger.

Um das Jahr 687 gelang es Pippin dem Mittleren aus dem Hause der Karolinger das von den Streitereien der Merowingersöhne herrschende Machtvakuum zu füllen und mehrere Gebiete im Frankenreich für sich zu erobern. Kräftig unterstützt wurde er dabei von seinem Sohn Karl Martell, der den Beinamen „der Hammer“ trug. Bei dem Spitznamen muss ich ihn wohl nicht im Detail beschreiben. Dieser karolingische Hammer gewann Schlacht um Schlacht, besiegte die aus dem Süden nach Norden drängenden Araber bei Tours und Poitiers und band die Alemannen wieder stärker an das Fränkische Reich. Die Karolinger waren also klar auf dem Vormarsch; trotzdem gab es immer noch die Nachfahren der Merowinger, die sich noch nicht ganz abschütteln ließen. So herrschten noch rund 50 Jahre lang Karolinger und Merowinger gleichzeitig im Frankenreich, bis es dem Karolinger Pippin dem Jüngeren zu bunt wurde.

Gleichzeitig mit ihm herrschte Merowingerkönig Childerich III., der als politischer Schwächling galt und den Beinamen „Schattenkönig“ trug. Ein leichter Gegner also. Pippin hatte sich mit viel Schönrednerei und wahrscheinlich auch einigen Juwelenlieferungen einen heißen Draht zum Papst erarbeitet und bat ihn, Childerich absetzen zu dürfen. Der Papst war einverstanden und Childerich III. wurde postwendend auf Lebenszeit ins Kloster geschickt.

Pippin wurde 751 vom fränkischen Adel zum König der Franken gewählt und vom päpstlichen Legaten Bonifatius (richtig, der Wandermönch) gesalbt und erhielt durch diese neu erworbene Geblütsheiligkeit das Recht, eine eigene anerkannte Königssippe zu gründen. Tschüss Merowinger.

Und gleich der erste Sohn von Pippin dem Jüngeren und seiner Frau Bertrada war ein echter Volltreffer. Sein Name:

Karl der Große.“

Kapitel 2

Ehrwürdig und mit vor Stolz vorgereckter Brust neigt Karl kurz sein Haupt. Dann bekreuzigt er sich, küsst seinen Siegelring und lächelt seinen Besucher an.

„Als ich 9 Jahre alt war, durfte ich bei der feierlichen Krönung meines Vaters, Pippin der Jüngere, zum König der Franken dabei sein. Das hat mich damals sehr beeindruckt, und ich wollte einmal genauso sein wie mein Vater.“

Für einen kurzen Moment blickte Karl gedankenversunken ins Leere. Seine Augen glänzten; doch als er sich wieder an seinen Besucher wandte, verfinsterte sich sein Blick. „Aber mein Vater war töricht und hat aus den Fehlern der Merowinger nichts dazugelernt. Anstatt sein gesamtes Reich mir allein zu vererben, wollte er es unbedingt zwischen mir und meinem Bruder Karlmann aufteilen. So ein Unfug. Mein Bruder verweigerte mir Hilfe und Zusammenarbeit und war neidisch auf meinen Erbanteil. Das ganze Reich hat er aufs Spiel gesetzt. Nur gut, dass er so früh gestorben ist.“

Während er erzählte, hatte der König auf seine Hände gestarrt und zuckte plötzlich zusammen, als ob ihn ein Geist berührt hätte. Wütend sprang er auf und fuhr seinen Besuch an:“ Was seht ihr mich so durchdringend an? Ich war weit weg, als das mit meinem Bruder geschah. Oder denkt ihr etwa, ich hätte etwas damit zu tun gehabt? Ich bin ein guter Christ und habe mir nichts zu Schulden kommen lassen.“ Karl strich sich den Mantel zurecht und setzte sich wieder neben seinen Besucher auf den steinernen Thron. „Nun gut, wie auch immer. Mit 29 Jahren war ich Alleinherrscher über das Frankenreich.

Und was soll ich sagen: Die große Macht hat mir ein wenig den Verstand vernebelt und ich verstieß meine damalige Ehefrau samt Kindern, um die wunderschöne 13jährige Alemannin Hildegard zu heiraten.

Mein Schwiegervater Desiderius war natürlich nicht sonderlich begeistert, als seine Tochter weinend und mit einer Schar Kinder im Schlepptau wieder bei ihm in Italien auftauchte. Desiderius war der König der Langobarden, einem germanischen Volksstamm, der dort lebte, wo heute die Lombardei ist. Also zog er 774 in die Schlacht gegen mich, verlor und ich wurde zum König der Langobarden ernannt.

Das gefiel mir und ich dachte, wenn es so einfach geht, dann könnte ich mein Reich doch noch ein wenig mehr vergrößern. Das Römische Weltreich war Geschichte und ich wollte ihm gemeinsam mit meinen Franken als herrschendem Volk in nichts nachstehen. Frei nach der Losung: `Renovatio Romani Imperii`, also die Erneuerung des Römischen Weltreiches. Und da ich gerade in Norditalien verweilte, ließ ich meinen Blick nicht lang umherschweifen und knüpfte mir die Bayern vor. Die hatten mit der Niederlage der Langobarden gegen mich nämlich ihren wichtigsten Verbündeten verloren und standen nun ziemlich allein auf weiter Flur und umzingelt von Franken. Gegen die Könige der Merowinger hatten die Bayern ihre Unabhängigkeit immer verteidigen können, aber da kannten sie mich noch nicht. Der bayrische Herzog Tassilo wurde 788 abgesetzt, nachdem der bayrische Adel ihn fallen gelassen hatte wie eine heiße Kartoffel und zu uns Franken übergelaufen war. Also wirklich, diese ganzen überschätzten Treueeide sind bei der kleinsten Androhung von Folter und Gewalt schnell nichts mehr wert. Tassilo verschwand hinter dicken Klostermauern und aus dem selbstständigen Herzogtum Bayern wurde eine abhängige fränkische Grafschaft mit einem meiner Schwager als Vorsteher. Bayern: Haken dran.

Auch dieser Eroberungszug war leicht, jetzt wollte ich mir einmal einen etwas härteren Gegner vornehmen. Und der war auch schnell gefunden: die heidnischen Sachsen im Norden meines Reiches. Die waren wirklich ein harter Brocken. Die Sachsen wollten sich partout nicht taufen lassen und wehrten sich standhaft gegen die Missionierung.

Ich war als christlicher Herrscher aber der Ansicht, dass alle Volksstämme in meinem Reich mir nicht nur die Treue schwören mussten, sondern auch denselben Glauben wie ich und fast alle Franken haben sollten. Also habe ich ein bisschen übertrieben und den Menschen erzählt, ich sei „das Schwert Gottes“ und das Gott selbst mir aufgetragen habe, heidnische Völker zu unterwerfen und zum rechten Glauben zu führen. Stimmte natürlich nicht, klang aber sehr eindrucksvoll und war ein prima Vorwand, um mit Gottes vermeintlicher Unterstützung mein Reich zu vergrößern. Doch die Sachsen wehrten sich und das ganze 30 Jahre lang. Sobald ich auf einer meiner vielen Reisen durchs Frankenreich unterwegs war, überfielen die Sachsen fränkische Siedlungen und erschlugen Christen, obwohl sie vor meiner Abreise auf unschuldig gemacht hatten. Da platzte mir eines Tages der Kragen und ich stellte ein riesiges Heer auf.

Das war richtig modern: Im Kern befanden sich Panzerreiter mit schweren Panzern aus schuppenförmig angeordneten Metallplatten. Damit man diese Kolosse überhaupt auf die Pferde bekam und die Tiere nicht unter ihnen zusammenbrachen, gab es etwas tolles Neues: Steigbügel, Sättel und Hufeisen. Zu den Panzerreitern gesellte sich eine leichte, schnell bewegliche Kavallerie mit Dolchen, Schwertern und Schilden bewaffnet und tausende Fußsoldaten mit Pfeil und Bogen. Das war das Ende der aufsässigen Sachsen. Wer noch lebte, wurde getauft, und das Herzogtum Sachsen wurde zur fränkischen Provinz.

Wahrscheinlich hätte ich es dabei belassen sollen, doch nach diesem grandiosen Sieg war mein Verstand wieder leicht benebelt und ich beschloss sofort den nächsten Feldzug.

Der Plan: meine so erfolgreichen Kreuzzüge in das von den Arabern besetzte Spanien verlegen. Ich sag es schon mal vorweg: hat nicht gut geklappt. In den spanischen Städten Pamplona und Saragossa handelten wir uns zwei empfindliche Niederlagen ein. Ein schwerer Rückschlag.

Damit überhaupt noch ein Franke an einem Stück wieder zurückkehren konnte beschloss ich, den Feldzug abzubrechen. Doch auch unsere Nachhut wurde beim Rückzug über die Pyrenäen in einem Gebirgspass überfallen und abgeschlachtet. Unter den Toten war auch der fränkische Anführer Markgraf Roland (mein unehelicher Sohn, aber psst!, das weiß fast niemand!).

Aus dieser Tragödie entstand das Rolandslied, ein `Chanson de geste` also ein Heldenepos in Versen, das im Hochmittelalter in altfranzösisch verfasst wurde.“

Mit einem Mal brach Karl die Stimme weg, und der große, kräftige Mann wurde von einem heftigen Schluchzen geschüttelt. Karl vergrub sein Gesicht in seinen starken Händen und die Tränen rannen ihm über die Wangen und tropften auf seinen Mantel. Tröstend legte sein Gast seine Hand auf die Schulter des Königs und Karl beruhigte sich langsam wieder. Mit einem letzten lauten Schniefen wischte er sich durch sein feuchtes Gesicht und lächelte seinen Besucher an.

„Verzeiht mir diesen Gefühlsausbruch, aber die Schlacht bei Roncevaux war das Schlimmste, was mir je widerfahren ist. Aber von vorn:

Im April im Jahre 778 war ich zusammen mit einem riesigen Heer, bestehend aus den wichtigsten Adelsmännern und Rittern meines fränkischen Reiches, nach Spanien aufgebrochen, um es von der Herrschaft der muslimischen Herrscher zu befreien, die sich dort seit einigen Jahrzehnten breitgemacht hatten. Angeführt wurde meine Streitmacht, so wie bei jedem wichtigen Feldzug, von meinem Lieblingsgrafen Roland, den ich über alles geliebt habe. Roland war stark, tapfer und von edlem Geblüt; einen besseren Ritter hätte sich niemand ausmalen können.

Schlacht um Schlacht gewannen wir gegen die heidnischen Sarazenen und besetzten ihre Burgen und Städte. Doch in Saragossa endete unser Siegeszug. Wir belagerten die Stadt, in der König Marsilie lebte, doch wir schafften es nicht, sie einzunehmen.

Eines Tages berieten wir uns, wie es weitergehen solle. Wir einigten uns darauf, einen Boten nach Saragossa zu schicken, um König Marsilie ein Angebot zu machen: Wir ziehen uns zurück ins Frankenreich, wenn er im Gegenzug den christlichen Glauben annimmt. Dann würde er zu meinem Lehnsherrn und Vasall und dürfte während meiner Abwesenheit wieder über die von uns besetzten spanischen Gebiete regieren.

Als Boten sandten wir Ritter Ganelon, in dem festen Glauben, dass wir ihm blind vertrauen könnten. Doch Ganelon war neidisch auf Rolands Ruhm und meine Liebe zu ihm, und er verriet uns hinterlistig. Zusammen mit den Sarazenen schmiedete er einen teuflischen Plan. Zum Schein würde König Marsilie auf unser Angebot eingehen. Sobald wir abgezogen wären, würde er uns nach Aachen folgen und sich dort feierlich von mir hier in der Domkapelle taufen lassen. In Wahrheit aber würden die Sarazenen unser Heer verfolgen und ihm in den Bergen der Pyrenäen auflauern.

Ganelon sorgte dafür, dass die Nachhut dabei von Roland angeführt wurde und die gottlosen Heiden versprachen ihm, dass sie Roland für ihn töten würden und beschenkten ihn für seinen Verrat mit Gold und Edelsteinen.

Ich war sehr froh, als Ganelon zu unserem Lager zurückkehrte und berichtete, dass die Heiden einverstanden mit unserem Vorschlag seien, denn in den vorherigen Schlachten hatten wir bereits einige gute Männer verloren und wir waren des Kämpfens müde. Also packten wir fröhlich unsere Sachen und machten uns auf den langen Weg Richtung Heimat. Ich ritt mit dem Hauptheer einige Meilen vor; uns folgte die Nachhut, die von Roland und seinem besten Freund Olivier angeführt wurde.

Nichtsahnend zogen wir los, bis die Nachhut in Roncevaux auf ein riesiges Heer der Sarazenen traf. Olivier begriff sofort den Verrat von Ganelon und wollte den Olifanten blasen, ein riesiges Horn aus Elfenbein, das nur in der Schlacht geblasen wird und das das Hauptheer warnen sollte, damit wir umkehren und der Nachhut helfen.

Doch Roland hielt ihn davon ab: Er wollte nicht, dass ich umkehre und mein Leben aufs Spiel setze, nur um ihm zu helfen. Und so stürzten sie sich allein und ohne Aussicht auf einen Sieg in die Schlacht.

Das fränkische Heer kämpfte mutig und selbstlos, doch es war zahlenmäßig so unterlegen, dass alle von ihnen starben. Roland kämpfte dabei wie ein Löwe gegen König Marsilie und schlug ihm die rechte Hand ab. Doch auch Roland

wurde mit der Lanze und dem Schwert getroffen. Da entschied er sich im Angesicht des Todes, doch noch den Olifanten zu blasen.

Als wir das Horn vernahmen, wussten wir sofort, dass unsere Nachhut sich in größter Gefahr befand. Ohne zu zögern und an uns selbst zu denken, kehrten wir um und eilten unseren Männern entgegen. Doch als wir auf dem Schlachtfeld eintrafen, war alles zu spät. Die Blüte des fränkischen Adels lag tot und niedergemetzelt vor uns im Staub. Bevor er starb, hatte Roland sich auf sein Schwert Durendal gelegt, damit niemand es sieht und ihm wegnimmt; in der blutverschmierten Hand hielt er noch immer den Olifanten umklammert.“

Wieder schlug Karl der Große die Hände vor sein Gesicht und begann heftig zu schluchzen. „Ich habe diesen Jungen großgezogen. Er war mein ganzer Stolz. Nun hatte ich nur noch eines im Sinn: Rache!“

Karls Augen funkelten zornig und seine Stimme donnerte durch die Kapelle und hallte von den Wänden wider, als er fortfuhr zu erzählen. „Als die gottlosen Sarazenen unseren Zorn sahen, da bekamen sie es mit der Angst zu tun und flüchteten vom Schlachtfeld so schnell sie ihre Rösser trugen nach Saragossa. Doch wir verfolgten sie und trieben sie vor uns her, bis wir an den Rand des großen Flusses Ebro kamen. Und glaub mir, mein Freund, nicht jeder Krieger kann so gut schwimmen wie ich“, lächelte Karl böse.

„Wir konnten unsere Schwerter wieder einstecken und entspannt dabei zusehen, wie die Heiden in ihren schweren Rüstungen einer nach dem anderen im Ebro ertranken.

Olifant aus Elfenbein, Anfang 13. Jahrhundert

Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz

Kunstgewerbemuseum (s. Quellennachweise).

Als keiner mehr übrig war, kehrten wir um zum Schlachtfeld in Roncevaux und bestatteten dort unsere Toten. Roland und Olivier wurden gewaschen, aufgebahrt und auf Wagen verladen, nachdem man ihnen die Herzen als heilige Reliquien aus der Brust geschnitten und in weiße Seidentücher gewickelt hatte. Während wir das taten, lag König Marsilie weinend und mit nur noch einer Hand ausgestattet in seinem Turm in Saragossa und wartete verzweifelt auf die Verstärkung, die er schon vor Wochen per Brief angefordert hatte.

Und seine heidnischen Götter hatten ihn erhört, denn genau an diesem Tag traf der Emir aus Babylonien per Schiff zusammen mit einem riesigen Heer neuer muslimischer Krieger in Spanien ein. König Marsilie warf sich vor dem Emir in den Staub und versprach ihm ganz Spanien, wenn er mich und das fränkische Heer töten sollte. Gesagt, getan, dachte sich der Emir und forderte uns erneut zum Kampf heraus.

Ganze 30 Bataillone hatte er im Schlepptau, dreimal mehr Männer als wir Franken. Doch Gott war an unserer Seite, denn wir tragen den rechten Glauben in uns, und er sandte uns den Erzengel Gabriel zum Schutz. Mit meinem Schwert Joyeuse in der Hand ritt ich ihm auf meinem Schlachtross Tencendur entgegen und hieb ihm so gewaltig auf seinen goldenen Helm, dass sein Körper in zwei Stücke brach!“

Karl war wütend aufgesprungen und deutete mit wuchtigen Armbewegungen durch die Luft einen Schwertkampf an. „Alle haben wir sie getötet, die nicht schlau genug waren, um vor uns zu fliehen. Dabei klang unser stolzer fränkischer Schlachtruf `Monjoie!` über das blutig aufgewühlte Schlachtfeld und ließ den Feind vor Furcht erstarren. Für Roland!“ rief Karl und fiel erschöpft zurück auf seinen Thron.

„Als König Marsilie von der schändlichen Niederlage seiner Helfer erfuhr, ist er vor Gram darüber gestorben. Wir konnten Saragossa stürmen und seine Frau gefangen nehmen. In dieser Nacht nahmen wir der Stadt, was uns für unseren Sieg zustand, und tauften jeden, den wir finden konnten. Wer sich weigerte, unseren christlichen Glauben anzunehmen, wurde gehängt oder verbrannt. Ich weiß, das ist sehr grausam, aber so sah die Realität im 8. Jahrhundert nun einmal aus.

Ich ließ einige tausend fränkische Ritter in Spanien zurück, um die von uns eroberten Städte dort zu bewachen, und machte mich mit dem restlichen Heer auf den Heimweg.

Das Rolandslied des Pfaffen Konrad, Regensburg, Ende 12. Jahrhundert

Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod.Pal.germ. 112, S.74v (s. Quellennachweise).

Rolands Olifanten ließen wir in Bordeaux zurück, damit die Pilger dort ihn bewundern konnten. Meinen geliebten Roland selbst und seinen Freund Olivier beerdigten wir in Saint-Romain. Zurück in Aachen tauften wir die Geisel in unseren heiligen Quellen und gaben der Heidenkönigin den neuen Namen Juliana. Der Verräter Ganelon, der das ganze Massaker zu verantworten hatte, wurde vor Gericht gestellt und zum Tode durch Vierteilen verurteilt. Du kannst mir glauben, mein Freund, all diese schrecklichen Ereignisse verfolgen mich noch heute in meinen Träumen.“

Karl strich sich langsam über den langen Bart und blickte dabei ins Leere.

„Da hätte ich gut ein wenig Ruhe gebrauchen können, was meine Innenpolitik betraf. Aber auch da tat sich schon wieder die nächste Front auf, denn die aufständischen Sachsen machten mir erneut (waren sie jemals auch nur für kurze Zeit friedlich?) das Leben schwer. Doch nach der kräftezehrenden und verlustreichen Schlacht in Spanien waren meine Nerven aufgebraucht.

Kapitel 3

Ich war außer mir vor Wut und wie von Sinnen. Wer aufmuckte, wurde nicht mehr eingesperrt oder verbannt, sondern direkt geköpft und verbrannt. Eine schlimme Zeit, für die ich mich schäme.

Damals nannten sie mich den „Sachsenschlächter“. Schutz boten den armen Verurteilten nur noch die Kirchen, wenn sie es bis dahin schafften. Und obwohl dieses Handeln von mir so gar nicht christlich war, wurde ich am Weihnachtsfeiertag im Jahr 800 von Papst Leo III. auch noch zum Kaiser gekrönt. Damit war ich nun endgültig der Herr Europas.

Wenn man bedenkt, dass alles mit dem Zusammenschluss einiger kleiner Germanenstämme entlang des Rheinufers begonnen hatte, war das ein famoser Triumph. Mein Imperium war mehr als 1 Million Quadratkilometer groß und ich regierte über 15 Millionen Menschen. Du kannst mir glauben, das war damals ganz schön viel. Skandinavien und England führten durch ihren Inselstatus ein weitestgehend politisches Eigenleben und Spanien war nach der muslimischen Invasion 711 zum großen Teil ein Kalifat mit Ausrichtung zum Orient.

Diese Länder konnte ich zwar nicht beherrschen, aber die Franken betrieben einen regen Handel mit ihnen, denn die Adeligen verlangten nach Luxus. Exportiert wurden vor allem Waffen aber auch Töpfer- und Glaswaren. Aus dem Ausland zu uns geschafft wurden besonders Felle und Pelze, Honig, Wachs und Sklaven. Was man so braucht eben. Die Gesellschaft unserer Karolingerzeit beruhte noch auf dem Prinzip der Sklaverei, da hatte sich seit der Antike nichts dran geändert.

Nun bestand mein riesiges Reich aus vielen kleinen Einzelheiten. Um diesen Flickenteppich besser zu ordnen, fasste ich die Stämme zu verschiedenen Grafschaften zusammen. Mehrmals im Jahr wurden dann bei mir in Aachen die sogenannten Reichstage abgehalten, bei denen die Grafen aus dem ganzen Frankenreich zusammenkamen und über neue Steuern oder Gesetze berieten. Jeder männliche Franke ab 12 musste einen Treueeid auf mich ableisten und sich zum Dienst an der Waffe verpflichten. Ich war wirklich sehr zufrieden mit dem, was ich geschaffen hatte.

Doch kaum denkt man, jetzt kehrt Ruhe ein, braute sich im hohen Norden ein neuer Sturm zusammen. Und das war ein mächtiger, schneller und gnadenloser Wirbelsturm: die Wikinger. Das waren Schweden, Dänen und Norweger gemeinsam, und weil sie die Männer aus dem Norden waren, nannten wir sie „Normannen“. Die Normannen besaßen blitzschnelle Drachenboote, die sich durch ihre besondere Bauweise auszeichneten. Sie waren breit und flach und lagen nicht tief im Wasser, so dass die wilden Furchtlosen damit auch durch seichte Flüsse bis tief in das Landesinnere und ganz nah an die Küsten heranfahren konnten. Waren sie an ihrem Ziel angelangt, ging alles blitzschnell: im Morgengrauen runter vom Drachenboot, alle erschlagen, plündern, anzünden und weg. Um es mal in der grausamen Kurzform zu sagen.

Auf diese Weise überfielen sie im Jahr 800 Friesland und ab da eine große Stadt oder Grafschaft nach der anderen. Köln, Bonn und auch Hamburg legten sie in Schutt und Asche und sie überfielen sogar meinen Lieblingspalast in Aachen, in dem wir beiden gerade sind und machten aus meiner Kapelle ihren Pferdestall. Sie drangen aber auch tief in das heutige Frankreich ein, das ja damals noch Teil meines Frankenreiches war, und besetzten Nantes, Paris und Aquitanien. Dort gründeten sie die Normandie, die ihren Namen trägt und bis heute existiert.

Um mein Reich vor diesen gefährlichen Typen besser zu schützen, war ich gezwungen, eine ständige Küstenwache einzurichten. Das waren unruhige Jahre, das kann ich dir sagen.

Nach den Plünderungen gab es überall viele Flüchtlinge und Bettler auf den Straßen. Die Not war so groß, dass die Menschen ihr Mehl mit Erde vermischen mussten, um noch Brot backen zu können. Irgendwann bemerkten die Wikinger dann selbst, dass im Frankenreich nicht mehr viel zu plündern war und bevor sie dort selbst verhungern würden, zogen sie ab Richtung England. Von mir aus. Ein Problem weniger.

Und wenn man keine größeren Probleme mehr hat, dann macht man sich einfach neue, was meinst du?“ Karl der Große deutete auf seinen weißen Bart und sah traurig auf seine großen Hände. „Weißt du, ich habe zwar viele Schlachten gewonnen, doch auch dem tapfersten Krieger schwinden irgendwann die Kräfte.

So gingen die Jahre auch an mir nicht spurlos vorüber und ich merkte, dass es Zeit war, meine Nachfolge zu planen. Die Merowinger hatten sich ja mit ihrer bescheuerten Reichsteilung unter allen Söhnen selbst ordentlich ein Bein gestellt. So wollte ich es nicht machen; also bestimmte ich im Herbst 813 meinen Sohn Ludwig den Frommen im Beisein aller wichtigen Franken zu meinem Mitregenten und Alleinerben meines Reiches und Kaisertitels nach meinem Tode. (Diesen Vorgang nennt man `Designation`: Der König allein bestimmt einen Sohn zu seinem Nachfolger und alle fügen sich. Ab dem 11. Jahrhundert pochten die deutschen Fürsten allerdings vermehrt auf ein Mitspracherecht bei der Bestimmung des herrschenden Nachfolgers. Deshalb war das mittelalterliche Deutschland, im Gegensatz zu Frankreich oder England, nie eine Erbmonarchie).

Mein Sohn Ludwig nahm sich seine Krone vom Altar und setzte sie sich unter großem Beifall selbst auf sein Haupt. Ein Jahr danach starb ich und Ludwig der Fromme war der neue König der Franken. Ludwig war mir sehr ähnlich: breite Schultern, eine mächtige Brust und eine markante Nase, aber sein Wesen war anders als das meine.

Im Grunde genommen war Ludwig kein Staatsmann, sondern zeigte mehr Interesse an geistlichen Fragen und Problemen der Kirche. Statt mit dem Schwert zu trainieren, betete er immerzu und sang fromme Lieder bei langen Spaziergängen.“

Karl rollte mit den Augen und schüttelte den Kopf. „Der Junge war nicht schuld daran. Er war mein drittgeborener Sohn und es war üblich, die erstgeborenen Söhne an der Waffe und im Kampf auszubilden, damit sie die Herrschaft übernehmen konnten. Die Söhne, die danach noch kamen, wurden oft höfisch erzogen und auf ein Leben im Kloster vorbereitet, damit sie vielleicht einmal einen ranghohen Posten in der Kirche besetzen konnten. Auch Ludwig hatte diese geistliche Ausbildung bekommen, doch seine älteren Brüder Karl und Pippin waren leider schon vor mir gestorben, also blieb das Reich an ihm hängen. Unter ihm gab es am Hof in Aachen nichts mehr zu lachen, es herrschten Zucht und Ordnung. Als frommer Christ heiratete Ludwig früh und bekam drei Söhne: Lothar, Pippin und Ludwig der Deutsche. So weit, so gut. Das sollte doch bei einer so großen Auswahl an Söhnen keine Probleme bei der Suche nach einem Nachfolger geben. Oder doch?

818 starb Irmingard, die erste Frau von Ludwig, und nur ein Jahr später heiratete er erneut: die schöne, kluge und leider auch recht energische Judith. Offiziell hatten die Frauen damals natürlich nichts zu sagen, aber du weißt ja, wie das ist.

Judith schenkte Ludwig noch einen weiteren Sohn, Karl der Kahle genannt. Der Name hatte allerdings nichts damit zu tun, dass das Baby ohne Haare auf die Welt gekommen war, sondern bezog sich darauf, dass Karl noch keinen Erbteil zugewiesen bekommen hatte. Sein Bruder Lothar war Mitkaiser, Mitregent und Erbe seines Vaters. Sein Bruder Pippin war König von Aquitanien (Südwesten des Fränkischen Reiches) und sein Bruder Ludwig war der König von Bayern. Und Karl war der Kahle. Das konnte seine Mutter auf keinen Fall so hinnehmen. Du siehst, es riecht gewaltig nach Ärger.

Jahrelang stritten sich meine vier Enkel, bis mein Sohn Ludwig der Fromme 829 nachgab und Nachzügler Karl Teile des Erbanteils von Lothar übertrug. Karl rieb sich die Hände, doch Lothar schäumte vor Wut.

Um den Streit zu beenden, wurde Lothar vom Hof in Aachen verbannt und zum König von Italien ernannt. Doch damit wollte der sich nicht zufriedengeben und die Brüder Lothar, Pippin und Ludwig verbündeten sich gegen ihren Vater und ihren kleinen Stiefbruder Karl und zogen gegen ihren eigenen Vater in die Schlacht. Die war aber zu Ende, bevor sie begonnen hatte, denn Ludwigs Soldaten ließen ihren frommen König im Regen stehen und liefen zu seinen Söhnen über.

Die siegreichen Söhne verbannten ihre Stiefmutter Judith nach Italien und hielten sich für ziemlich schlau. Doch als ihr Vater Ludwig 840 starb, war die Teilung des Reiches immer noch nicht geklärt. Auch mein Enkel Pippin war mittlerweile gestorben, so dass die neue Streitallianz Lothar und Ludwig gemeinsam gegen Nesthäkchen Karl hieß.

Doch Lothar übertrieb es ein wenig, denn er wollte zwar, dass sein Bruder Ludwig ihn gegen Karl unterstützte, aber im Grunde genommen wollte Lothar die Alleinherrschaft für sich zurück und Ludwig war nur Mittel zum Zweck. Als der das mitbekam, zeigte er seinem untreuen Bruder nen` Vogel und wechselte die Seiten. Ludwig tat sich mit Karl zusammen und gemeinsam schlugen sie 841 Lothars Heer.

Und dann müssen die beiden nach ihrem grandiosen Sieg eine ganze Menge billigen Wein getrunken haben, denn sie hatten die (wie ich finde) dümmste Idee, von der ich jemals gehört habe. Sie beschlossen nämlich, dass Frankenreich in zwei gleich große Hälften aufzuteilen. Mein riesiges, grandioses, mit so viel Schweiß und Tränen erkämpftes Frankenreich. Das Weltreich, das ich aus einem Flickenteppich unzähliger Germanenstämme erschaffen hatte.

Einfach mit dem Schwert in zwei Teile geschlagen.

Ihre Idee besiegelten Ludwig und Karl in Straßburg 842 mit den berühmten Straßburger Eiden. Karl II., der Kahle, wurde König der Westfranken. Ludwig II., der Deutsche, wurde König der Ostfranken.

Dabei sahen die Ländergrenzen von Westfranken und Ostfranken schon beinahe so aus wie die heutigen Ländergrenzen von Frankreich und Deutschland. In Westfranken lebten die Galloromanen, die Altfranzösisch sprachen. In Ostfranken lebten die Germanen, die Althochdeutsch sprachen.

In Straßburg verschworen sich Ludwig und Karl gegen ihren Bruder Lothar:

Indi mit Ludheren in nohheiniu thing ne gegango, zhe minan uuillon imo broudher ce scadhen uuerhen.

Und mit Lothar will ich auf keine Abmachung eingehen, die mit meinem Willen diesem meinem Bruder schaden könnte.

Das ganze Abkommen wurde 843 mit dem Vertrag von Verdun noch einmal rechtskräftig besiegelt. Die beiden neu entstandenen Länder wurden nach dieser Teilung nie wiedervereinigt.

Für die nächsten 150 Jahre sollte diese Trennung des ehemaligen Frankenreichs in zwei große Teile bestehen bleiben. Regiert wurden sie von den jeweiligen Nachkommen Ludwigs des Deutschen und Karl dem Kahlen. Da fast alle in der Familie ihre Söhne immer nur Karl, Ludwig oder Karlmann nannten, konnte man da im Stammbaum ganz schön durcheinanderkommen.

Deshalb mussten Beinamen her, um die ganze Sippschaft besser auseinanderhalten zu können.

Da gab es zum Beispiel König Karl der Dicke oder Karl der Einfältige, der im Übrigen ein Sohn von Ludwig dem Stammler und ein naher Verwandter von Ludwig dem Faulen war. Also ich weiß ja nicht, ob die sich mit diesen Beinamen einen Gefallen getan haben. Das klingt nun nicht gerade respekteinflößend. Und meine Ur-Urenkel hatten anscheinend wirklich nicht besonders viel auf dem Kasten, denn das Frankenreich zerfiel immer mehr. Aus dem Gebiet Friesland spalteten sich die Niederländer ab und auch das Herzogtum Lothringen (aus dem später Belgien hervorging) wurde unabhängig.

Im Inneren gab es viel Stress durch die plündernden Wikingerhorden. Die Bevölkerung war arm und vor allem die Grenzen im Osten wurden gehäuft von wilden Reiterhorden aus Ungarn überfallen (die nach der Schlacht das Blut ihrer besiegten Gegner tranken. Oder auch nicht.)

So schritt der karolingische Machtzerfall unaufhaltsam immer weiter voran. Vor allem im Ostfrankenreich bildeten sich wieder vermehrt Stammesherzogtümer mit eigener Verwaltung, die von einflussreichen Familien regiert wurden, die die Befehle des Königs, sagen wir mal, nicht so ernst nahmen.

In Schwaben waren das die Staufer, in Bayern die Luitpoldinger, in Sachsen die Liudolfinger und in Franken die Konradiner. Diese Familien stellten einen Herzog (`Dux`), der selbst seine Außengrenzen absicherte und Urkunden im Stil von Königsurkunden ausstellte und dem karolingischen König mehr und mehr den Rang ablief. So wurden im Lauf der Jahre aus dem zweigeteilten Frankenreich wieder ein neuer Flickenteppich aus Stammesherzogtümern, die sich zusammentaten und einen von ihnen zu ihrem Oberhaupt ernannten. Den Anfang machte 911 Herzog Konrad I.

Das Deutsche Reich war geboren.

Kapitel 4

Mit einem Ruck sprang Karl der Große von seinem Thron auf und lächelte seinen Besucher an. „Puh, das war eine lange Geschichte. Also ich weiß ja nicht, wie es dir ergeht, aber ich habe Hunger! Komm, wir gehen in den Weinkeller. Dort lagern ein paar hervorragende Tropfen, von unseren Mönchen hier in der Abtei selbst hergestellt. Die musst du wirklich einmal probieren. Und dann lassen wir uns noch etwas kaltes Fleisch und Brot dazu bringen und den Tag gemütlich ausklingen. Morgen muss ich dir etwas zeigen, aber das hat noch Zeit. Komm!“

Karl stieg die steinernen Stufen hinab und lief zusammen mit seinem Gast durch die große Flügeltür der achteckigen Kirche hinaus auf den Hof. Die Sonne war bereits untergegangen und die letzten Lichtstrahlen des Tages brachen dunkelorange durch die schattigen hohen Eichen am Ende des Hofes. Mit raschen Schritten ging Karl auf ein kleines Gebäude aus dunklen Steinen gemauert zu, das fast gänzlich von einer Weinrebe überwachsen war. Auf der kleinen Holzbank vor der Eingangstür saß ein dicker Mönch und las in einer Bibel. Als er den König und seinen Gast auf sich zukommen sah, klappte er das Buch zu und stand auf.