Komm mit, ich zeig dir mein Reich - Christina Maus - E-Book

Komm mit, ich zeig dir mein Reich E-Book

Christina Maus

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Beschreibung

"Doch bevor die weißen Rosen ihm an den Kragen wollten, musste Heinrich sich auch noch mit enormem Gegenwind aus Frankreich herumschlagen. Dort gab es nämlich ein Bauernmädchen, das angeblich göttliche Stimmen gehört hatte. Die kleine Jeanne muss diese Geschichte ziemlich gut verkauft haben, denn viele Truppen schlossen sich ihr an; doch der Versuch, auch Paris von den Engländern zurück zu erobern, scheiterte. Damit war der Zauber der Unbesiegbarkeit der heiligen Jungfrau leider gebrochen und Johanna war unten durch." Geschichte kann vieles sein, aber niemals langweilig. Dabei hat die Geschichte Englands es mir besonders angetan. In den vergangenen 2000 Jahren war auf der kleinen Insel ganz schön was los. Und wer könnte besser darüber berichten, als ein waschechter König. Für Sie als Leser steigt Heinrich VII. aus seiner kühlen Gruft in der Westminster Abbey und begleitet Sie auf einem spannenden und unterhaltsamen Spaziergang durch die englische Geschichte. Egal ob die Kelten, römische Besatzer, Pestkranke, Robin Hood oder William Shakespeare: Auf Ihrer gemeinsamen Zeitreise gibt es so viel zu entdecken. Und wie Heinrich VII. es mit einem Augenzwinkern sagt, als er mit Ihnen vor den Portraits seiner Vorgänger und Nachfolger steht:" Da waren ein paar ganz schöne Knalltüten dabei."

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Für meine Eltern

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Textbeginn

Windsor Castle, London, 14. November 1501

Ludlow Castle, Wales, 2. April 1502

Windsor Castle, London, 15. Mai 1502

Kathedrale St. Peter, Exeter, 26.Juni 1503

Hampton Court Palast, Richmond, 22. April 1509

Windsor Castle, London, 22. Februar 1511

Windsor Castle, London, 14. Mai 1517

Westminster, London, 28. März 1527

Landsitz „The Moor“, Kent, 26. Juli 1527

Hever Castle, Kent, 23. Dezember 1528

Kensington Palace, London, 31. Mai 1529

Windsor Castle, London, 22. Juli 1529

Vorwort

Heinrich der Siebte von England (1457-1509) war der erste englische König aus dem Hause Tudor. Er erschlug seinen Vorgänger König Richard in einer Schlacht nahe der Stadt Bosworth und nahm sich dessen Krone. Damit beendete Heinrich die Rosenkriege zwischen den Häusern Tudor und York und besiegelte dies, indem er nach seiner Krönung Elisabeth of York zu seiner Frau nahm und damit die beiden Adelshäuser für immer miteinander verband.

Muss man Heinrich als Mensch, der im 21. Jahrhundert lebt überhaupt kennen? Vielleicht hilft einem das Wissen über das England des 14. Jahrhunderts, wenn man bei Günther Jauch auf dem Stuhl sitzt und die 64.000 Euro Frage beantworten muss. Doch das kann nicht die alleinige Motivation sein, sich Wissen über unsere Vergangenheit anzueignen.

Sicherlich lebt man auch glücklich, sollte man Heinrich nicht kennen. Aber dennoch gibt es Texte über ihn, Fotos, Bücher und wissenschaftliche Arbeiten, die uns von seinem Leben erzählen. Warum?

Ich brauche mir diese Frage nicht zu stellen. Ich interessiere mich für das Vergangene, die Geschichte und ich will darüber lesen und nie damit aufhören, Neues zu erfahren und Zusammenhänge und Entwicklungen zu begreifen. Das mag daran liegen, dass ich mit Büchern als allseits verfügbares mich umgebendes Medium aufgewachsen bin.

Viele Menschen tun das nicht. Ihre Lust, in die Geschichte einzutauchen, muss erst noch geweckt werden; genau das möchte ich mit meinem Buch erreichen.

Dieses Buch soll dabei den Leser weder mit einem Übermaß an Informationen langweilen noch mit einer allzu wissenschaftlichen Herangehensweise und Vermittlung von Inhalten abschrecken. Vielmehr soll es ihn dafür öffnen, sich um die Welt um sich herum und deren Vergangenheit zu interessieren. Denn Alles, was geschieht, ist schon einmal geschehen.

Es geht dabei nicht darum, Alles zu wissen. Das habe ich an der Universität gelernt. Mein Professor hat immer gesagt: „Man muss nicht Alles wissen. Man muss nur wissen, wo man es nachlesen kann.“ Diese Quelle ist heutzutage natürlich meistens zunächst einmal das Internet. Trotzdem bin ich der Meinung, dass das Internet ein Buch, das man in der Hand hält oder eine Bibliothek, in der man recherchiert, nicht ersetzen kann.

Nur wer die Geschichte kennt kann verstehen lernen, warum die Welt zu dem geworden ist, was sie heute ist, aus welchen Beweggründen heraus Menschen handeln und wozu sie fähig sein können und um zu sehen, dass es mehr gibt, als man bisher erfahren hat.

Und ganz nebenbei macht es auch Spaß, in der Westminster Abbey in London vor einer der ältesten erhaltenen Türen Englands aus dem Jahr 1066 zu stehen, sie zu berühren und zu wissen: Ich bin nicht die Erste, die das tut.

Die Welt. Sie ist so groß, dass wir sie unser ganzes Leben lang bereisen könnten. Über Berge und Täler, durch Wälder und Meere in Höhlen und Wüsten. Sie ist so klein, dass wir jeden dieser Orte in nur einer Sekunde erreichen können: In unseren Gedanken.

Eine Meeresenge mit steilen Klippen an die das Wasser schlägt, wenn es aufgewühlt von der stürmischen See wütend, tosend und brausend an die von Moos bewachsenen Felsen schlägt. Der Wind heult so laut, dass man die wenigen Möwen, die sich nicht vor dem Sturm in eins der Löcher im Stein geflüchtet haben, kaum hören kann. Doch plötzlich zerreißt die grau aufgetürmte Wolkendecke und ein einzelner Sonnenstrahl bricht sich seinen Weg auf das nun grün glitzernde Wasser. Du möchtest mit mir an diesen Ort gehen? Du warst doch eben schon da. Und genau so können wir die Welt erobern: In unseren Gedanken. Wir können sie bereisen, entdecken und ihr ein Stück näherkommen, je mehr wir über das erfahren, was auf unserer Welt bereits geschehen ist. Denn nichts bleibt ohne Folgen, Alles baut aufeinander auf.

Ich bin Heinrich der Siebte von England. Ich bin König über viele Untertanen und ich möchte dich einladen. Zusammen können wir mein Land bereisen und dabei nicht nur einen Blick auf die erbitterten Kämpfe zwischen meinen Anhängern und meinen Feinden werfen, sondern auch das England kennen lernen, in dem die Menschen zu Hunderttausenden an der Pest starben oder am Kamin den sagenhaften Geschichten von König Artus lauschen. Ich habe mir ein paar Tage für dich frei genommen: Also komm mit, ich zeig dir mein Reich.

Unsere Reise beginnt in Calais. Das ist eine Hafenstadt an der Westküste von Frankreich. Du fragst dich, warum wir hier beginnen? Nun, es ist der kürzeste Weg vom europäischen Festland über den Ärmelkanal nach England. Wir werden also mit dem Schiff reisen. Das mag heutzutage in deiner Welt recht komfortabel sein. Im 15. Jahrhundert aber, in dem ich gelebt habe, war eine Reise mit dem Segelschiff wirklich kein Vergnügen, das kannst du mir glauben! Wer nicht seekrank wurde, der wurde vielleicht im Schlaf von einer Ratte gebissen oder unterwegs bestohlen. Dann stand man mit leeren Taschen auf englischem Boden, das heißt, wenn man überhaupt dort ankam. Es geschah nämlich nicht selten, dass die Schiffe in einem Sturm auf hoher See zerschellten und die Besatzung ertrank oder man wurde von Piratenschiffen überfallen und als Geisel genommen oder direkt im Kampf getötet. Aber sorge dich nicht, wir sind nämlich schon da: Siehst du die weißen Kreidefelsen von Dover dort vorne? Schneeweiß und steil ragen sie an der Küste empor, schön und gefährlich zugleich. Und auf der Spitze der Felsen ragt Dover Castle in den wolkenverhangenen Himmel, ich bin zu Hause.

Sei vorsichtig, wenn du über die dünnen Planken an Land gehst. Da siehst du es? Dein Gang schwankt noch etwas von den Wellen auf hoher See. So ergeht es mir auch jedes Mal, wenn ich von einer Seereise meine Füße wieder auf festen Boden setze, ich laufe wie ein betrunkener Bauer! Ah, aber das ist nicht so schlimm, atme nur einmal tief die salzige Luft ein, dann wird es dir gleich schon wieder besser gehen.

Nun müssen wir uns am Hafen ein paar Pferde und Proviant beschaffen und natürlich auch einige bewaffnete Ritter als Begleitung und dann reiten wir zu unserem ersten Reiseziel: nach Canterbury. Normalerweise reise ich immer mit meinem festen Gefolge: Meine Ritter, ihre Damen, ein paar Knappen und Pagen, die sich um unsere Rüstungen und Schwerter und natürlich auch um die Pferde kümmern können, wenn wir rasten, ein Koch und wenn die Reise nicht allzu gefährlich ist, auch einer meiner Söhne. Dazu brauchen wir Wagen und Karren für die Zelte und das Gepäck. Das ist natürlich ein großer Aufwand und so eine Reise spricht sich unter den Leuten schnell herum. Mit dir möchte ich aber unerkannt bleiben: Schließlich wollen wir ja auch etwas erleben und die Leute beobachten. Da ist es bestimmt manchmal ganz hilfreich, wenn die Menschen mich nicht direkt als ihren König erkennen. Aber nun komm, wir sollten uns beeilen, es wird bald dunkel werden, und in der Nacht möchte ich mit dir nicht gerne durch einen der Wälder reiten. Also auf nach Canterbury!

Canterbury ist eine wichtige Stadt in England. Sie ist zwar klein im Vergleich zu London, der Hauptstadt Englands oder Städten wie Liverpool oder Manchester. Aber Canterbury und seine Kathedrale sind der Sitz des Bischofs von Canterbury. Und dieser Bischof ist das Oberhaupt der anglikanischen Kirche. Du fragst dich, was daran so besonders ist? Nun ich werde es dir gerne erklären. Aber erst mal brauche ich jetzt eine Stärkung, lass uns also in eine Taverne einkehren. Du nennst so ein Gasthaus sicher eine Kneipe. Und damals wie heute gibt es dort einen gemütlichen Platz am Kamin, einen Becher Wein und etwas kaltes Fleisch mit Soße und Brot. Du kannst natürlich auch ein Wasser oder ein kühles Bier bekommen, wenn du schon alt genug dazu bist. Ich als König trinke kein Bier, sondern Wein, wie fast alle Adeligen und Privilegierten in meinem Reich. Ich habe uns ein paar gute Flaschen aus Frankreich mitbringen lassen. Hier in England scheint einfach nicht genügend die Sonne, um unseren Wein so gut wie den der Franzosen wachsen zu lassen. Bier ist bei uns eher etwas für die kleineren Leute. Aber dir sage ich es gerne im Vertrauen: An manchen heißen Tagen trinke sogar ich als König gerne einmal einen Becher kühles Ale und lasse den Wein dafür stehen.

Hier in Canterbury kenne ich ein paar schöne Ecken. Gleich nachdem wir durch das Westgate, das westliche Tor in der Stadtmauer, in dem die Gefangenen in einem tiefen Turm mit Ketten an die Wände geschlossen werden, geritten sind kommen wir zum Old Weavers House, dem Haus der Weber. Komm mit, wir binden die Pferde hier auf der Straße an und ich zeig dir das Haus.

Es wurde im Jahre 1500, also neun Jahre vor meinem Tod gebaut: Ein weißes Fachwerkhaus mit schwarzen Holzbalken. Sieh dich vor, wenn wir hinein gehen: Die Tür ist nicht besonders hoch. Das liegt daran, dass die Menschen vor 500 Jahren noch nicht so groß geworden sind, wie ihr heute in deiner Zeit. Oh, und da kommt auch schon Elenor! Hast du einen Platz für mich und meine Begleitung am Kamin frei? Darf ich vorstellen: Das ist Elenor, die Wirtin und gute Seele des Hauses. Wir haben schon oft bei ihr Halt gemacht und sie wird uns sicher köstlich verwöhnen. Aber vorher muss ich dir noch den Garten auf der Rückseite des Hauses zeigen. Er ist wirklich wunderschön, aber halte dir die Nase zu, es stinkt dort nämlich ganz gewaltig. Nein, nicht der Garten stinkt, sondern der kleine Fluss, der dort direkt neben dem Haus her fließt. Hier geht es lang, nur die Stufe hinunter und durch den Torbogen. Die Menschen benutzen solche Flüsse nämlich dazu, um ihren Unrat und so manchen Dreck loszuwerden. Die Aborte, also die Toiletten, falls ein Haus so etwas besaß, hingen nämlich gerne direkt an der Hauswand als kleiner Holzverschlag über so einem Fluss. Elenor hat mir mal erzählt, dass so eine Toilette abgebrochen und mitsamt dem Mann, der gerade darauf saß, hier in den Fluss gestürzt und der arme Tropf mit heruntergelassenen Hosen ertrunken ist. Und er war nicht der einzige, der in diesem Fluss schon den Tod gefunden hat: Siehst du dort am Ende des Gartens den Stuhl aus Holz, der auf einem Holzbalken geschraubt über den Fluss ragt? Das ist ein Hexenstuhl. Komm doch näher, dann kannst du ihn einmal berühren, er ist zwar schon etwas von Moos bewachsen, aber noch stabil und aus festem, dunklem Holz. Die Menschen in meiner Zeit glaubten noch an Hexen und deren dunkle Machenschaften. Und sie waren auch nicht bange davor, eine solche der Ketzerei und Teufelswerk überführte arme Frau umzubringen. Komm noch ein wenig näher, dann kannst du noch besser sehen.

Der Stuhl wurde benutzt, um ein Gottesurteil an der überführten Hexe zu vollstrecken. Die Hexe wurde also auf den Stuhl gebunden und dann aus der Luft über dem Fluss mitsamt dem Stuhl in den Fluss getaucht. Du kannst dir sicher vorstellen, wie schrecklich diese armen Frauen dabei geschrien und um Gnade gefleht haben. Und trotzdem wollten die Einwohner von Canterbury sich ein solches Ereignis nicht entgehen lassen, und kamen in Scharen zu einer solchen Vollstreckung, um das Ganze zu begaffen. Solche Gottesurteile oder auch Hinrichtungen wurden von den Sherrifs öffentlich vollstreckt, weil sie die Leute davor abschrecken sollten, etwas Böses oder Verbotenes zu tun. Die Stimmung bei solchen Ereignissen war allerdings manchmal wie auf einem Jahrmarkt. Glaube mir, auch ich war schon bei solchen Hinrichtungen dabei und die Leute haben sich darum geprügelt, wer in den vorderen Reihen stehen durfte, um am besten sehen zu können. Aber zurück zu unserem Hexenstuhl hier: Nach ein paar Minuten wurde der Stuhl wieder hochgehoben, und dann trat das so genannte Gottesurteil in Kraft. Die Menschen glaubten, dass wenn die Hexe im Fluss ertrank, sie unschuldig gewesen war. Leider kam diese Einsicht für die Hexe dann aber ein bisschen zu spät. Manchmal kam es aber auch vor, dass die Hexe den Tauchgang im Fluss überlebte: Das bedeutete dann, dass sie eindeutig der Hexerei für schuldig bekannt wurde. Denn sie konnte nur überlebt haben, weil sie mit dem Teufel im Bunde ist, und der ihr geholfen hatte. Die verurteilte Hexe wurde dann vom Stuhl losgebunden und auf eine andere grausame Art und Weise getötet. Bei lebendigem Leibe verbrannt, aufhängen, vierteilen…oh nein, ich glaube ich erspare dir die gruseligen Details, du bist ja schon ganz blass geworden. Zeit für unsere Stärkung, komm wir gehen wieder hinein.

Mmmh, ja hier am Kamin ist es schön, mach es dir ruhig bequem und iss, soviel du möchtest. Nimm dir ruhig eines meiner Kissen, Elenor hat es mal wieder zu gut mit mir gemeint. Habe ich dir eigentlich schon erzählt, dass ich verheiratet und Vater vieler Kinder bin? Meine Frau ist Elisabeth of York. Sie ist die Tochter von König Edward dem Vierten von England und sie hat mir viele Kinder geboren, bevor sie 1503 im Kindbett starb. Das bedeutet, dass sie nach der Geburt eine Infektion und Fieber bekommen hat und daran gestorben ist. Das ist zu meiner Zeit sehr oft geschehen. Schuld daran waren die fehlende Hygiene und das fehlende Wissen der Ärzte. Die hatten keine Narkosemittel, Skalpelle oder Medikamente, so wie heute. Damals gab es bei Geburten oft nur heißes Wasser, ein paar heilende Kräuter oder schmerzlindernde Tees. Und das galt für die Königin genauso wie für jede Bauersfrau. Kam es vor, dass ein Kind im Mutterleib falsch herum lag, und zum Beispiel nicht mit dem Kopf, sondern mit den Füßen zuerst auf die Welt kam, dann verbluteten oft die Mutter genauso, wie das Baby. Oft kam es durch Dreck und Bakterien aber auch zu Infektionen, so dass die Mütter oder Kinder einige Tage nach der Geburt starben. Kinder wurden damals deshalb direkt nach der Geburt als erstes getauft, damit, falls sie starben, ihre Seelen gerettet waren.

Mein ältester Sohn war Arthur, der Prinz of Wales. Er war Prinz of Wales, weil er als Ältester mir nach meinem Tod auf den Thron folgen sollte. So ist es bis heute geblieben. Der Prinz of Wales herrscht nicht wirklich über Wales, es ist nur sein Titel und den trägt immer der Thronfolger. Ich glaube, der momentane Prinz of Wales heißt Charles? Du wirst ihn besser kennen als ich, ich habe nur gehört, seine Frau Camilla soll nicht sehr hübsch sein…oh, das war nicht nett von mir, aber nun zurück zu meinen Söhnen. Arthur starb 1502 vor mir und so folgte mir nach meinem Tod mein zweitältester Sohn Heinrich auf den englischen Thron und wurde Heinrich der Achte.

Heinrich hat sich bis in eure Zeit einen Namen gemacht, aber nicht nur wegen seiner Politik, sondern vor allem wegen seiner Frauengeschichten. Heinrich war nämlich ganze sechs Mal verheiratet, und glaube mir, darauf bin ich nicht besonders stolz. Nur gut, dass seine Mutter das nicht mehr miterleben musste. Englische Schulkinder lernen sogar einen Spruch, damit sie sich die Reihenfolge seiner Ehefrauen besser merken können: Er geht so, Divorced, beheaded, died, divorced, beheaded, survived. Du fragst dich, was das heißt. Nun, es bedeutet geschieden, geköpft, gestorben, geschieden, geköpft, überlebt. So ist mein lieber Herr Sohn nämlich mit seinen Frauen umgesprungen: Von seiner ersten Frau Katharina hat er sich scheiden lassen und damit so einiges in England ins Rollen gebracht, aber dazu komme ich gleich noch.

Er war nämlich unsterblich in die hübsche Anne Boleyn verliebt und wollte sie unbedingt heiraten. Deshalb ließ er sich scheiden und heiratete Anne. Weil sie ihm aber keinen Sohn und damit keinen Thronfolger gebar, wurde Heinrich Anne schnell wieder leid; um sie los zu werden ließ er sie wegen Ehebruchs und Hochverrats, den sie nicht begangen hatte, anklagen, in den Tower von London sperren und dort durch Köpfen hinrichten. Er war nämlich schon wieder in die nächste verliebt: Jane Seymour, seine dritte Ehefrau. Jane starb allerdings kurz nach der Hochzeit im Kindbett, nachdem sie Heinrich seinen lang ersehnten Thronfolger Edward geboren hatte. Doch mein Sohn hatte immer noch nicht genug und ließ sich zu einer Ehe mit der Deutschen Anna von Kleve überreden. Anna war allerdings nicht so hübsch, wie man Heinrich versprochen hatte und sie sprach auch kein Englisch. Also zögerte mein Sohn nicht, und ließ sich zum zweiten Mal scheiden.

Und damit nicht genug: Es folgte noch Ehe Nummer fünf mit seiner Hofdame Catherine Howard, die er kurz darauf auch wegen Ehebruchs köpfen ließ und seine letzte Ehe mit Catherine Parr, die Glück hatte, und Heinrich überlebte. Du siehst also, mein Sohn hat sich mehr als Frauenheld denn als Kriegsherr oder kluger Kopf einen Namen unter den englischen Königen gemacht, aber er ist auch für etwas ganz anderes verantwortlich: Die Trennung Englands von der katholischen Kirche. Wie es so weit kommen konnte, fragst du dich? Nun, ich werde es dir erzählen. Ach Elenor, könntest du uns wohl noch etwas Wein und eine Decke bringen? Es ist schon dunkel geworden und das Feuer im Kamin ist schon fast heruntergebrannt.

*

Windsor Castle, London, 14. November 1501

„Komm schon, Arthur! Lass mich nicht warten, Liebster!“ Katharina strahlte über ihr ganzes Gesicht und wirbelte im Kreis herum. Ihr schwarzes Haar, das kunstvoll hochgesteckt und mit Perlen durchwirkt worden war, löste sich etwas und eine einzelne Haarsträhne fiel ihr ins Gesicht. „Ich will mit meinem Ehemann tanzen.“ „Oh Liebste, gönn mir doch mal eine Pause. Wir tanzen doch schon die ganze Nacht.“ „Nur noch diesen einen Tanz, die Spielleute musizieren so gekonnt.“ Kronprinz Arthur konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, entschuldigte sich bei seinem Gesprächspartner und führte seine jugendliche Braut durch die vielen Gäste zurück auf die Tanzfläche.

Der gesamte englische Hochadel war zu dieser Hochzeit erschienen, dazu die mächtigen und wichtigen Kaufleute Londons und alle bedeutenden kirchlichen Würdenträger. Schließlich heiratete heute der Mann, der seinem Vater Heinrich dem Siebten von England einmal auf den Thron folgen sollte.

Arthur sah in seinem stattlichen Gewand, das mit Goldfäden durchwirkt worden war, und seinem tiefschwarzen schulterlangen Haar viel älter aus, als fünfzehn Jahre. Fast alle der anwesenden Frauen beneideten Katharina um diesen Mann: Arthur war groß, hübscher, als sein Vater und sein Bruder Heinrich und er besaß trotz seiner ritterlichen Ausbildung mit Schwert und Schild dennoch sehr feine, edle Züge.

Doch neben seiner Braut verblasste er ein wenig; zu schön wirkte Katharina in ihrem Kleid aus fließender, schneeweißer Seide. „Du wirst mich mit deinem Übermut noch früh ins Grab bringen, Katharina. Lass uns eine kleine Pause einlegen. Ich denke, der Earl of Suffolk und der Earl of Kent hatten noch nicht die Gelegenheit, uns persönlich zu gratulieren.“ „Wie du wünscht, Arthur. Ich denke, ich werde noch lernen müssen, wie eine zukünftige Königin sich zu benehmen hat.“ Arthur konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen und nahm seine Braut bei der Hand. „Du bist schon jetzt meine Königin, Katharina von Aragon.“

Hand in Hand durchschritten die beiden die riesige hell erleuchtete Halle, die rundherum durch lange Eichentische gesäumt wurde, auf denen die erlesensten Speisen aus dem ganzen Land zusammengetragen worden waren, um ihre Gäste willkommen zu heißen.

„Sie ist so hübsch, findest du nicht? So schön wäre ich auch gerne einmal, wenn ich groß bin.“ „Sie ist nicht hübsch.“ Der zehnjährige Heinrich verdrehte die Augen und kniff seiner Schwester Mary unter dem Tisch in den Arm. „Mutter ist schön. Katharina trägt nur ein teures Kleid und unseren Schmuck. Sieh doch nur, wie sie alle Männer anlächelt. Arthur kann einem wirklich leid tun.“ „Du bist ein Schaf!“ Mary kicherte leise und hielt das Tischtuch noch etwas höher.

Sie war erst fünf Jahre alt und als kleine Schwester des Bräutigams der jüngste Gast auf dieser Hochzeit. „Ich finde, sie ist die schönste Frau der Welt.“ Noch nie zuvor hatte Mary so viele teuer gekleidete Edelleute tanzen und lachen sehen und obwohl sie als Tochter des Königs von England an Reichtum gewöhnt war, kam sie aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Ihr zehnjähriger Bruder Heinrich hingegen hätte diesen Abend am liebsten allein mit einem seiner Diener in seiner Kammer verbracht, und seinen Jagdhund auf dem Fell vor dem Kaminfeuer gestreichelt.

„Als ob es wohl wichtig wäre, wie man aussieht. Das einzig Wichtige ist das Wohl Englands und seiner Bürger. Das sollte Arthur als zukünftiger König im Auge haben. Stattdessen interessiert er sich mehr für die Tanzkünste seiner spanischen Braut. Ich wünschte, ich wäre der Ältere. Arthur wird uns noch alle ins Verderben reißen. Du entschuldigst mich?“

Heinrich wollte unter dem Tisch hervor krabbeln, doch seine kleine Schwester hielt ihn zurück.