Der Minnesänger-Komplex - Norman Liebold - E-Book

Der Minnesänger-Komplex E-Book

Norman Liebold

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Beschreibung

Humorvolle Sammlung von märchenhaften Geschichten über die Liebe. Eine ganz spezielle Art der Liebe, die schwärmt und vergöttert, ohne den Geliebten dabei anzuschauen. Ironisch, satirisch und oft mit bösem Augenzwinkern wird die unreife Liebe aufs Korn genommen: Der Wanderer findet eine Strohblume und macht sie zur Rose, um zuletzt die Strohblume zu lieben aber abgewiesen zu werden, weil sie sich als Rose für zu gut hält. Der Wolf macht aus dem Mond ein Paradies und hört nicht auf seine Warnungen, bis er letztlich auf dem Mond nur Staub und Krater findet und ihn haßt und sich betrogen fühlt. Der Wolf, der sich in einen Menschen verliebt und sich zum Hund macht; der Diener, der seinen Dienst bei der Unnahbaren kündigt und lieber zur Magd ins Bett steigt, und viele andere amüsante bis verträumte Geschichten in einem Stil, die parodierend und übertreibend die Sprache der verschwärmten Romantik benutzt.

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Norman Liebold

Der Minnesänger-Komplex

de amore

mit Zeichnungen des Autors

AMATOR VERITAS

Digitale Version der überarbeiteten, authorisierten Ausgabe 2012.

Amator Veritas Buch Nr. XVIII
Copyright © 2002
Norman Liebold und Amator Veritas Verlag, Hennef.
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen und elektronische Medien, sowie der Übersetzung auch einzelner Teile.
ISBN-13 (Print): 978-3-937330-71-6

Den verbohrten Schwärmern, die ins Anbeten verliebt niemals zu lieben lernen, viel mehr aber noch den Beschwärmten, die an dem Bilde zu zerbrechen drohen,

Prolog

Vor einigen Jahren, grad um die Jahrtausendwende, irrte Spielmann Nahtegal kreuz und quer durchs Land. Er suchte nach der Melodie, von der ihm sein Leben abzuhängen schien. Auf metallne Walze mechanisch tot gebannt trug er sie als Spieluhr bei sich und folgte den Geschichten, die von ihrem Schöpfer ihm erzählten: Grad ein paar Tagesmärschen schien er ihm stets voraus, doch einzuholen vermochte er ihn nicht, was immer er auch tat. Was er jedoch nicht wußte, war, daß jene, die ihm die Traumelfenspieluhr geschenkt, einst, ihm eine Freude zu bereiten, seine eigene Weise aufs Metall hatte bannen lassen, und daß er keinem anderen Spielmann folgte als nur sich selbst - denn von niemand anderem erzählten die Geschichten als von ihm, der er spielend durch die Landen zog und spielend jeden fragte, ob er die Melodie wohl kenne. Doch dies ist eine andere Geschicht, die als die „Sieben Kelche“ bekannt geworden ist, hier an dieser Stell will Nahtegal die Mären Euch erzähln, die auf seiner Irrfahrt er abgelauscht. Denn lang war sie und führte ihn durch so manches Land. Nun ist es stets so, daß dem suchenden Wanderer begegnet, worum sein Geist sich gerade suchend dreht, oder daß sein sich suchend drehender Geist nur jenes sieht, was ihn berührt. So kommt es, daß die Mären hier einem Karusselle gleichen, das um einen Mittelpunkt sich herum bewegt.

Nahtegal brach auf, als der Sommer dem Ende zu sich neigte. Die Landen, durch die suchend striff, wurden ländlicher mit einem jeden Tag, bald waren nur noch Felder da, selten durchbrochen von eines kleinen Dorfes Kirchenspitz. Er nächtigte in Schobern, wo die Nacht ihn überfiel, und nahm sich, was er zum Leben brauchte, von den reifen Feldern. Eines Abends, als er in einem Heuschober am Feldesrand zur Ruh sich bettete, hörte plötzlich Stimmen er im Stroh. Eine Windböh fuhr über ihn hinweg und ein blutrotes Blümchen fiel zwischen die Halme. Auch dieses hub an zu sprechen, und in Spielmannsart lauschte Nahtegal, und merkte sich, was da gesprochen ward. Vielleicht, so sagte er sich später, wars ein Traum, doch die Geschichte stand in seinem Spielmannsbuch aus dieser Zeit, und also nunmehr hier.

Rose und Wanderer

Das Stück ist sehr überzogen zu spielen, derart überzogen, daß es in die Lächerlichkeit hinüberkippt.Es spielen: Die Strohblume (Ein Mädchen), Das Stroh (Eine Gruppe gleichförmig grau gekleideter Personen mit Masken), Der Wandersmann. Schauplatz ist ein Schober von Stroh am Wegesrand, trocknend in sommerlicher Abenddämmerung.

DAS STROH(Im Chore) In einem Schober am Feldesrand, am Sommerende, eng an eng, so liegen wir, Strohhalme, gemähtes Gras und trocknen in der Sommersonne. Und wahrlich: Recht gut fühlt man sich so, als Stroh unter Stroh, nach Leben duftend, vom Sommer raunend, von verträumten Liebespaaren, die sich in uns paaren voller zartgehauchter Seufzer. Oh, man fühlt sich gut als Stroh unter Stroh!

STROHBLUME(Weht heran, gleichsam vom Wind getragen.) Der Schnitter kam, und allein war ich, als das Herz entbrannte von nie gekannter Sehnsuchts-Sehnsucht, und ohne Wurzel so suche ich eine Stunde schon, daß ich nicht mehr einsam bin. (Sieht den Strohhaufen) Ach, Hand in Hand durch Wiesen laufen! Märchenflüsternder Stimme lauschen, ein Kuß unterm Sternenzelt! (Pause.)

Müde bin ich worden, schnell wird man müd ohne Wurzel! Ein wenig will ich ruh’n! (Sie läßt sich in das Stroh hinsinken, welches sie auffängt und streichelt und wiegt, was sehr sinnlich wirken soll.)

Oh, so wohl fühlt man sich im Grase, im Frischgemähten! Oh Ihr Halme, wie ihr mich umfangt und so zärtlich summt und wohlig duftet!

DAS STROH Oh Blume, bist Du nicht wie wir, hat Schnitter Dir nicht genommen, was Wurzel war, bist Strohblume und unter Stroh nun: daheim? Fühlst Du nicht die Wärme? Sing mit uns, und trockne mit uns in der warmen Sommersonne! Lausch den Liebesflüsterworten der Pärchen, die sich in uns paaren, schließ die Augen, kleine Strohblume, laß Dich fallen, Stroh unter Stroh bist Du nun, daheim, und für die Ewigkeit wie jetzt, so hübsch die Farben Deiner Blütenblätter, Strohblumen bleiben trocken immer schön! Für die Ewigkeit...

EINER IM STROH Oder für den Wiederkäuermagen...

DAS GANZE STROH Ach hör nicht auf ihn! Er träumt nur schlecht!

WANDERSMANN Ach, Rosen! (Ad spectatores.) Rosen sind so wundervoll, so zart, so rot, so weich, und ihr Geruch ist unvergleichlich! Mit Rosen-Geruch auf den Lippen seufzend sterben! An einem Rosengarten kam ich vorbei, der Schnitter war schon dagewesen, und keine Blütenpracht leuchtete in der Sonne mehr. In Vasen verdorren sie, in Vasen! (Seufzt tief.)

DAS STROH(Raunend) Der Abend senkt sich, Wandersmann, bette Deinen Kopf in uns, das Stroh, atme eine Nacht lang unsren Duft, laß Dir sanfte Träume schicken!

WANDERSMANN Ein Schober, der Abend kommt, ein guter Platz, den Kopf zu betten; wenn ich doch an den letzten Sommer denke, wo meine Liebste mir noch Schmachteworte säuselnd im Stroh Küsse tauschte! Schmerzlich ist die Erinnerung, doch sie tut auch wohl... (Betrachtet das Stroh.) Was ist das dort für ein Tupfer Farbe im Gelb der toten Halme? So rot, wie Feuer fast, wie Mädchenlippen, hat eine Rose sich hierhin verirrt?

STROHBLUME Nein, Strohblume bin ich, Wandersmann, sag, gefall‘ ich Dir?

WANDERSMANN Eine Rose liegt im Stroh (Seufzt) Und ist verdammt zu dorren!

(Ad spectatores) Ich bin so leichtgläubig nicht, das muß ich sagen: Wohl liegt hier im Stroh eine Strohblume, klein und trocken, oder auch eines Klatschmohns Blüte, doch ach!, es ist so schön, das Gefühl, dieser süß-wehmütige Schmerz, eine Rose da zu sehen, im Strohe liegend, verdorrend und vielleicht kann man sie ja retten?

(Zur Strohblume:) Oh Rose Du! Im Dämmerlichte Dein Rot so warm, zart zitternd Deine Blüte im Winde bebt, so weich, so herrlich duftend, ach, wie gern nähm‘ ich Dich mit mir fort, wässerte Deine Trockenheit, damit lang Du blühtest, vielleicht auch pflanzt ich Dich ein in meinen Garten, Süße Du, voll wonniglichem Dufte!

DAS STROH Nun, Strohblume, sieh den Wandersmann, der, um schöner Worte Willen, nicht Strohblume in Dir sieht, sondern die vielgerühmte Rose: Von blutigroter Farbe, so weich und groß, ihren übervollen Duft so reich in jede Nase gießend. Ihm geht’s doch nur um‘s Seufzen! Strohblume, fühlst Du nicht, wie hart und stark die Blätter Deiner Blüte sind? Wie zart und hauchdünn Dein Duft, ein wenig herb sogar? Deine Farbe, zwar ist sie rot, doch nicht wie die Rose welkst Du schon nach ein paar Tagen, sondern glänzt auch nach Monden noch im Lichte! Wir lieben Dich und das Licht auf Deinen stroh’gem Blütenblättern, Deinen zart-herben Strohgeruch, Deine Trockenheit, die ohne Fäulnis ist!

WANDERSMANN Oh, wie das letzte Licht auf Deiner samtenen Haut sich bricht, Dein Duft im Abenddämmer, wie die Blätter Deiner Knospe so zart sich öffnen, ihren Odem zu verströmen, oh laß mich Dich nehmen, laß Dich entführen in das Land der Rosen!

DAS STROH Wo Du faulen wirst, denn Wasser ist die Fäulnis für Unsresgleichen!

WANDERSMANN Oh Rose! Welch schreckliches Denken: Die fette Wiederkäuer-Lippe, die Dich packt, schon welkend, Dich zerreißt, die gelbstinkenden Zähne, die Dich zermalmen, Deine Blüte zu Brei zerdrücken, wie Du hinabgewürgt halbverdaut wieder ins Maul erbrochen wiedergekäut...

STROHBLUME(Sich die Ohren zuhaltend, verkrümmt, den Kopf verbergend, weinend.) Wenn die Wiederkäuerlippe mich greift, dann wird nicht Ros‘ zermalmt, sondern des Strohes Blume! Und wenn Du mich, Wandersmann, aufnähmst, um Rosenduft zu atmen, dann würfst Du mich zurück ins Stroh, denn nicht Rosenduft vergieße ich in die Nacht, sondern Strohblumen-Hauch, und nicht weich und zart ist meine Blüte wie Mädchenhaut, sondern hart und spröde!

DAS STROH Und darum!

EIN HALM Ja, warum faßt er Dich nicht an?

ANDERER HALM Ja, warum riecht er nicht an Dir?

EIN HALM Ja, warum liebkosen seine Lippe nicht Deine Blüte?

DAS STROH Darum! Er weiß es wohl: Nicht weich bist Du, wie Mädchenhaut, sondern spröd und hart, denn nicht Rose bist Du, sondern ein Strohblümchen!

WANDERSMANN Willst Du nicht mit mir kommen, Rose? Ich will Dich pflegen, in meinen Händen wirst Du niemals welken! In meinen Garten will ich Dich pflanzen!

STROHBLUME Warum nimmst Du mich nicht auf, Wandersmann, hältst mich in Deiner Hand, riechst an meiner Blüte? Ich habe solche Furcht vorm Wiederkäuermagen! Warum liebst Du Rosen, und Strohblumen nicht? Warum hörst Du keines meiner Worte? Gefalle ich Strohblume Dir sowenig, daß Du nur seufzt, wenn ich Rose Dir scheine?

DAS STROH Er findet’s schön, um Rosen zu weinen, wer weint schon gern um Strohblumen? Das ist nicht edel!

WANDERSMANN Wie das Mondenlicht spielt auf ihren Blütenblättern...

DAS STROH Auf Rosen spielt kein Licht nicht, Samt ist der Rosen Haut und schluckt den Mondenglanz: Nur Strohblümchenhaut spiegelt’s glänzend wieder!

STROHBLUME Wer sagt, daß ich Strohblume bin?

STROH Stroh sind wir, ein Schober am Wegesrand, Liebespärchen hauchen sich in uns paarend Liebesworte, Wanderer finden Ruh in unsern Armen, der Schnitter macht‘ uns alle gleich, wir trocknen in der Abendsommersonne, dorren für den Wiederkäuermagen, laßt uns die Tage doch noch lustig machen und vergessen! Warum solltest Du, Strohblümchen, Rose sein, am Wegesrand, in des Strohes Schober? Was macht Rosen denn besser denn Strohblumen?

STROHBLUME Ich lag hier nicht von Anfang an, der Wind trieb mich her, warum sollt‘ der Schnitter, der mich schnitt, Strohblumen geschnitten haben und nicht Rosen?

WANDERSMANN(Verträumt) Wie zart und süß und herb zugleich das Stroh doch duftet! Und die kleine Blume, wie sie so rot und schlafgleich dort im Gelben liegt. Gewiß, um Rosen seufzen so wohl schöner sein, hab ich mir sagen lassen, denn edel seien diese Blumen, die Königinnen im Blütenreich! Und doch, was macht Rosen schöner denn Strohblümlein?

STROH Gleich schläft er ein, der Wandersmann, oder warum schielt er so? Was macht Rosen schöner denn Strohblümlein? Doch wohl nur, daß man’s ständig sagt!

STROHBLUME Ja, er sagt‘ es ja, der Wandersmann: Rose bin ich, schön wie Rose, weich wie Mädchenhaut und meinen Duft überreich verströmend – kein Mauer-Strohblümlein!

WANDERSMANN(Näher) Wie ein Wunderwerk, die unzähl’gen tausend winz’gen Blüttenblättchen, ein kleiner Ball von herzblutfarbenem Rot tausendfach! So silbern der Mond an den Spitzen sich bricht! (Er nimmt sie in den Arm, birgt streicheln ihren Kopf an seiner Brust, legt sein Gesicht in ihre Haare.) Wie zart Du riechst!

STROHBLUME Betäubend mein Duft in Deine Nase steigt, wie schmelzend weich mein Leib sich an Deine Lenden biegt!

WANDERSMANN So zart und herb Dein Duft, nach Sommer und Stroh, nach Kindheit und Spiel und Sommerfreude! Nach grashalmkauend in die Wolken schauen, nach Hand in Hand durch Blumenwiesen laufen!

STROHBLUME Riechst Du ihn, Wandersmann? Meinen schweren, betäubend süßen Wohlgeruch, der aus meiner Knospe dringt, wie er flüstert von Liebesnächten, im Rausche hingebracht, von Festen, von Gesang und Tanz, so wild und hemmungslos, riechst Du ihn?

WANDERSMANN Wie beredt ist er doch, Dein Duft! So zärtlich am Abend, ein Kopf an Deiner Brust, zarte Flüsterstimme märchenerzählend unter den Sternen, ein Flötenspiel leis im Fernen, so lieblich, vom Winde herüber gehaucht, eine Ahnung nur, die Hand, die mein Gesicht gestreichelt, ein Schmetterling, ein schüchternen Kuß...

DAS STROH Am Wegesrand ein Schober, dicht an Dich die Halme, weder Ros noch Strohblümlein, nur Gras sind wir, vom Schnitter geschnitten für Wiederkäuermägen, laßt uns vergessen und von Rosen träumen!

WANDERSMANN Oh, lieblich bist Du, so zart und wunderlich...

STROHBLUME Rose...

WANDERSMANN Kleine Blume aus dem Stroh, willst Du nicht mit mir kommen, Hand in Hand durch Wiesen laufen, Märchenflüsternder Stimme lauschen unterm Sternenzelt?

STROHBLUME(Aufblickend) Strohblume? Kleines Mauer-Strohblümchen? Durch Wiesen laufen? (Sie macht sich los.)

WANDERSMANN Durch Wiesen laufen, ja, wie Kinder, Küsse im träumenden, sonnenduftend goldgelben Stroh...

STROHBLUME(Hinfortschwebend) Rauschende Ballnächte, lustvernebelt weggeschwemmt in hemmungsloser Lust... (Ab)

WANDERSMANN Eine Bö riß aus der Hand mir das Blümchen, das mich so wunderlich träumend gemacht, gern hätt ich’s geliebt und unterm Herzen getragen...

DAS STROH In einem Schober am Feldesrand am Sommerende, eng an eng, so liegen wir, Strohhalme, gemähtes Gras, und trocknen im Abendwind. Und wahrlich, recht gut fühlt man sich a, denkt man nicht an Wiederkäuermägen, als Stroh im Abendwind, darin seufzend Pärchen Liebesworte tauschen, früher zumindest, als Rosen Rosen waren und Strohblumen Strohblumen. Schlaf gut, Wandersmann, und wandere Morgen weiter durch die Wiesen, Felder, Wälder, so ewig im Kreise wie wir im Wiederkäuermagen: Vielleicht findest Du Strohblume im Feuchten faulen.

Als der Herbst kam und der Winter, floh Nahtegal in die warmen Stuben, spielte dort, gab seine Weisen wieder für ein Dach über sich und etwas Warmes in seinem Bauch. Als das Frühjahr aber kam, strich weiter er durch die Landen hin. Die Dörfer wurden immer seltener, und bald waren da nur noch Wald und Wiesen. Selbst Schober gab es nicht mehr, oft schlief er auf der blanken Erd, einen Haufen Vorjahrsblätter unter sich und Reisig. Eines Nachts, der Mond stand voll, erwachte er von einem Tönen, das sphärisch überall und nirgends war. Über sich, einen Steinwurf weit, stand ein Wolf auf der Hügelspitze, die Schnauze in Wind, und heulte plötzlich, daß Nahtegal das Blut in den Venen gefror. Und das Heulen war mehr, als Heulen sonst uns scheint: Nahtegal konnte Worte hören! Und der Mond da über ihm, er sprach nicht minder. Und Nahtegal lauschte, und Nahtegal machte eine Geschichte draus. Die zweite Geschichte in seinem Spielmannsbuch.

Mond und Wolf

Personae: Mond als weißgekleidetes Mädchen, auf einem mit bleichelfenbeinernem Licht beschienenen Podest; Wolf als dunkel gekleideter junger Mann mit Weltschmerzgebaren, auf dem Boden liegend, schließlich Mutter Erde als Stimme aus dem Überall. Zu beachten ist, daß sowohl Mond wie sehr pathetisch sind und ihre Rollen übersteigern, was durchaus lächerlich wirken darf.

MOND Der Mond bin ich, nehme zu, nehme ab, scheine in der Nacht in silbrigem Lichte, steh fern und bin Trost den Einsamen, die, mich schauend, nicht mehr ganz so einsam sind. Der Wolf dort unter mir, aus jenem Geschlechte, das, ich habe nie verstanden wie, in mir von jeher den großen Freund gesehen, diesem Wolf haben die Menschen das Rudel zusammen-geschossen, und seitdem liegt er jede Nacht auf diesem Hügel und schaut mich an trau‘gen Blickes. Er dauert mich wohl, aber Mond bin ich, der Ewige, und kreise fern der Erde meine Bahn, kann nichts als tröstlich leuchten, daß die Nacht nicht ganz so finster ist.

WOLF Ach Mond! So schön ist Dein silbern Licht in der Nacht, die, erleuchtest Du sie nicht, so finster ist. Du machst sie schöner als den Tag, denn versilbert ist die Welt durch Dich, oh Mond, leuchte mir und schwinde nicht wie so oft mir hin, daß keine Nacht mehr kommt wie als Du nichts warst als ein schwarzes Loch im Himmel.

MOND Ich weiß wohl, Wolf, Du hörst mich nicht, denn durch den Äther wird nur mein Licht getragen, nicht die Stimme. Ich schwinde und wachse, das war schon immer so, und bis alles fällt in eins und alles Sein Nicht-Sein wird, wird dies so bleiben. Du machst mich traurig, wenn ich schwinde, denn ich sehe in Deinen Augen, wie die Angst in Dich kriecht vor der finstren Neumond-Nacht, aber morgen schon steht die Sichel wieder scharf über Dir und wächst mit jedem Tag.

WOLF Einsam bin ich, Mond, wie niemals jemand einsam war; die Welt ist mir ein Haufen verbrannte Asche, und Du allein mit Deinem Silber-Lichte machst, daß ich hinschaun kann. Die Menschen sind wie ein Geschwür auf Mutter Erde, das sich durch die Wälder fressend beständig wächst. Eiter quillt aus den Beulen des Geschwulstes, die man ,,Städte“ nennt, und rings das Land ist wund und tot. Die Wölfe fliehen in den Norden, aber auch dort frißt das Mensch-Geschwür schon in den Wäldern. Mir schoß man zusammen, was mir alles war, und nur Du bliebst und stehst über mir wie eh und je und so groß und schön und silbern.

MOND Auch wenn alles verbrannt ist, Wolf, und Asche, stehe ich noch über der rauchenden Erde, ich gieße mein Licht aus über sie des Nachts und nehme ab und nehme zu. Aber fern bin ich, Wolf, Mutter Erde rührt mich nicht, und wenn sie‘s tät, ich könnte doch nichts tun.

WOLF Oh Mond! Wie schön muß es sein bei Dir! Ist es silbern dort? Ich weiß wohl: Ein Gestirn bist Du im All, grad wie Mutter Erde, auf der ich lieg‘. Wohl ist auf Dir noch alles Silber-Wald, und das Mensch-Geschwür kennst Du nicht. Die Hirsche und das Ren streifen frei noch über Dich und atmen Dein Licht. Man sagt unter den Wölfen, wenn man stirbt, dann läuft an auf einem Strahl von Silber hin zu Dir. Wie gern, Mond, liefe ich auf Deinem Silber-Strahl hinauf zu Dir, um durch Deiner Wälder Rauschen hinzutreiben! Sag, oh Mond, kannst Du nicht Deinen Silber-Streif zu mir hinuntersenden?

MOND Ach Wolf! Schweig lieber und dring nicht in mich mit solchen Bitten! Du kannst mich nicht hören, doch laut flehe ich: Sag soetwas nicht, denn Du weißt nicht, was Du sagst! Du liegst dort drunten, fern auf grünem Hügel in Maienluft. Hör doch, wie die Nachtigall Dir schlägt, hör doch, wie der Wind im nahen Walde rauscht, labe Dich an den mannigfalt‘gen Wohlgerüchen!

Du weißt nicht, Wolf, was Du sprichst: Du siehst nur aus der Ferne mich, so fern, daß einer meiner öden Riesen-Krater, tausend Meilen tief, für Dich nichts mehr ist als ein schwarzer Punkt. Du siehst ungekannt mich aus der Ferne und träumst Dir Silber-Wälder. Ich sage Dir: Keine Silberwälder stehn auf mir, hier schlägt keine Nachtigall, und weder Hirsch streift noch ziehn die Wölfe. Silbern steh ich über Dir, so fern wie Du nicht denken kannst. Im leeren Raum bin ich, nichts mehr als Trabant der Mutter Erde, der geflohen ich zum toten Fels erstarrte. Keine Wärme ist in mir, kein Wind weht hier, nur Staub und Tod.

Schweig stille, Wolf, daß ich Dir nicht einen Strahl vor Deine Pfoten lege! Du würdest mich traurig machen, Wolf, wenn Du zu mir kommst und statt Trost zu nehmen von meiner nah unendlich weiten Ferne, statt die Brust Dir weit und frei zu heulen in Deinen Mondsmelodeien, mich einfach nur noch haßtest, mich kalten Stein im Leeren, weil keine Wälder auf mir sind von Silber. Du hörst mich nicht, doch ich bitte Dich: Schweig stille, daß ich Dir nicht einen Strahl vor die Pfoten lege! Denn Du würdest ersticken in meiner Luft.

WOLF