Zaunkönige - Norman Liebold - E-Book

Zaunkönige E-Book

Norman Liebold

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Beschreibung

Kaum etwas hat in den letzten Jahren die Gemüter in Siebengebirge so sehr erhitzt wie die Ereignisse, die mit dem Herabstürzen eines Steines vom Siegfriedfelsen am 04.01.2011 ihren Anfang nahmen. 2013 werden Wege gesperrt, Betretungsverbote der Weinberge kurz vor der Weinlese vernichten um ein Haar die Existenz der Winzer unterm Drachenfels. Gigantische Zäune werden errichtet, Hubschrauber erheben sich in die Luft. Böse Worte, Streit und Mißverständnisse, Medienrummel, Zuständigkeitgerangel und Verantwortungsgeschiebe. Nicht zuletzt auch für den VVS wurde, was woanders kaum ein Schulterzucken wert war, zur echten Herausforderung. Die Bürger des Siebengebirges, die sich unter dem Siegfriedfelsen wider den Drachen der Bürokratie erheben und in sozialem Ungehorsam die Weinernte für ihre Winzer einbringen, sind ebenso Meilensteine dieser bewegenden Geschichte wie der Weg zu einer für alle gangbaren Lösung. Menschliche Schicksale vor dem Hintergrund entmenschter Bürokratie in einer uralten Kulturlandschaft, wie sie sprechender nicht sein könnte. Eine Geschichte, die - exemplarisch und bewegend - ebenso Hoffnung gibt, wie sie die Idiotie des Drachen Bürokratie entlarvt. Eine Politsatire, spitzzüngig, wohl auch bissig, aber vor allem ein Mahnmal für Menschlichkeit und Zivilcourage für den Erhalt unserer Kulturlandschaft. Und Norman Liebolds Geschenk an die Stadt Königswinter zu ihrem leider allzusehr vernachlässigten 1000. Geburtstag.

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Norman Liebold

Danksagung

Herrn Breuer und dem VVS, der mir über Wochen Zugang zum umfangreichen und ausgesprochen wohlsortierten Archiv des VVS gewährte: „Ziehen Sie die Tür hinter sich zu, wenn Sie gehen.”

Familie Pieper, die neben den Schätzen aus dem Weinkeller auch allerelei Geschichten zu Tage zu fördern wusste.

Dr. Peter Kummerhoff und Herrn Langhammer – ohne das Seelenaufpäppeln und die handfeste Rückenstärkung wäre kaum daran zu denken gewesen, den Zaunkrieg im Wasserglas einer Novelle zu bändigen.

Und, ganz besonders, meiner besseren Hälfte Anke – nicht nur für die Geduld und die Kraft, den Zweifelnden wieder aufzurichten, sondern für all die wunderbaren Ideen, die in dieses Buch mit einflossen.

Und zu guter Letzt der Stadt Königswinter zum 1000. Jahrestag ihrer Ersterwähnung 1015.

“Zaunkönige”, inspiriert durch reale Begebnisse, ist fiktionale Literatur. Abgesehen vom Drachen Fafnir sind alle Handlungen und handelnden Personen frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ist nicht beabsichtigt und wäre rein zufällig.

Autorisierte Ersterscheinung 2015
Amator Veritas Buch LXVII (67)
Titelphoto: Anke Böser
Artwork, Umschlaggestaltung und Illustration: Norman Liebold
Lektorat: Anke Böser
Copyright © 2015 Amator Veritas Verlag, Hennef
Gesetzt in Garamond
Druck: CPi, Leck (Deutschland
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die des öffentlichen

"Die Aufgabeeiner intelligenten Regierungwäre es, das Volk nicht pausenlosmit irgendwelchem Quatsch zu behelligen,sondern ruhig und unauffälligdie Dinge zu tun,die getan werden müssen,statt die echten Probleme auszusitzenund dauernd Sachen zu erfinden,die bei genauer Betrachtung nur Alibis sind,um die eigene Existenz zu rechtfertigen."

Balthasar Matzbach in “Matzbachs Nabel” von Gisbert Haefs

Felsfall

Fall nicht runter, wenn du das nächste Mal da oben rumkraxelst! Schau nicht so, komm, setz‘ dich zu mir, ich spendier‘ dir einen Wein. Klar, hab‘ ich dich gesehen oben auf‘m Zaun. Nein, ich will dir keine Predigt halten. Ich find‘ das sympathisch, wirklich. Also, wenn ein alter Kauz wie ich dir einen Wein spendieren will – was willst du trinken?

Eine Empfehlung? Mh, nicht so einfach – Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Andererseits – hier, mit Blick auf den Siegfriedfelsen – liegt ja nichts näher, als ein Wein von den Stöcken, durch die du gerade mitten durch gestiefelt bist. Am Fuß des Drachenfelsens wachsen seit Jahrhunderten Weinreben. Seitdem die Römer hier waren, behaupten manche. Schau da drüben, wo die Linien der Rebpflanzungen bis fast ganz an den Felsen heranreichen, da oben sind – naja, waren – die besten Lagen der Piepers, Riesling wächst da. Der Felsen speichert Wärme und strahlt sie bis spät in die Nacht zurück – abendsonnenverwöhnt, könnte man sagen. Da, der untere Teil der Weinberge liegt schon im Schatten, nur auf Siegfriedfelsen und der Lage ganz oben liegt noch Sonne. Der junge Pieper macht einen ziemlich annehmbaren Wein daraus. Den 2013er würd‘ ich empfehlen, das war ein bemerkenswertes Jahr, das kannst du mir glauben.

Um ein Haar hätte es keinen Wein mehr vom Drachenfelsen gegeben, ja, wenn die Leute hier nicht dem Staat den Stinkefinger gezeigt hätten … aber das ist eine längere Geschichte. Eine ziemlich verwickelte noch dazu. Wobei ich dir nicht verheimlichen will, dass ich unter Umständen der Richtige bin, sie dir zu erzählen. Ich lebe hier schon eine Weile. Länger als manch anderer, in der Tat.

Na, neugierig? Der weiß ‘ne gute Geschichte zu schätzen, dachte ich mir, der hat was gespürt da oben, als er die Verbotsschilder links liegen ließ und bis zum Drachenloch raufgeklettert ist. Weiß noch nicht richtig, was, aber das ist einer, der spürt es wie einen Magneten in sich, und die Geschichte ist Eisenstein, nicht wahr? Nicht doch, du brauchst nicht nervös werden – meinetwegen kannst du auf dem Felsfangzaun herumturnen, so lange du willst. Die Verbote da kratzen mich nicht. Du bist irritiert? Du gehst über den Marktplatz von Rhöndorf und ein wirrbärtiger alter Typ quatscht dich an. Hockt allein am Tisch vor seinem Weinglas und erklärt: Hab dich gesehen, wie du Verbotenes machst. Ach, ich sehe viel, ziemlich viel sogar.

Da stand zum Beispiel in der Zeitung, niemand hätte den Felsen fallen sehen – den Felsen, der von nicht wenigen als Auslöser für all die Geschehnisse angesehen wird. Aber ich sah ihn fallen, an jenem bitterkalten Morgen. Ich hörte das leise Knirschen, mit dem er sich vom Hang löste, das Rumpeln, als er kippte, sich wieder aufrichtete, erneut kippte, ins Rollen kam, immer schneller, dreieinhalb Tonnen Trachytfels, hörte das Krachen, mit dem Bäume barsten, das metallische Scheppern, als er das Geländer durchbrach, die sekundenbruchteillange Stille, als er in der Luft hing und das bergzitternde Donnern, als er auf dem Weg aufsetzte, hochsprang und schließlich wie ein stürzender Stern durch den Weinberg pflügte, um am Ende einer breiten Schneise der Zerstörung liegen zu bleiben.

Wärst du mit mir dort oben gewesen, zu Füßen des Drachenfelsens, dir wär – das garantiere ich dir – ein Schauer von Schicksal über den Rücken gelaufen. Nicht wegen des Felsklumpens, der hätte dir vielleicht einen ordentlichen Schrecken eingejagt – Herzklopfen, nach Luft Japsen, weiche Knie –, aber keinen Schauer von Schicksal. Nein, dort oben, mit Blick auf den Graben der Zerstörung und den Felsbrocken im Weinberg, wird‘s mit einem Mal dunkler. Ein mulmiges Gefühl, als striche ein Schatten über die Seele. Aber es wird noch dunkler. Als käme die Nacht zurück. Du hebst die Augen – und noch bevor dein aufgeklärter Verstand mit Wissenschaft kommen kann – greift eine atemlose Bangigkeit nach deinem Herzen. Die Sonne erlischt, etwas frisst sie auf. Über den drei Zacken des Siegfriedfelsens steht nur noch eine geborstene Scherbe, eine schnell schrumpfende Sichel. Ein schwarzer Schatten erstickt die Sonne, das Herz klopft bang und fürchtet ewige Finsternis. Und in dem Augenblick, als die Sonne nur mehr gleißend-glühender Sichelstreif ist, kurz bevor der Schatten weiterkriecht und sie wieder aus seinem Rachen lässt – in diesem bangsten Augenblick, spürst du etwas. Der Berg selbst öffnet ein Auge und starrt auf dich herab.

Von anderen hörte ich, ihnen war, als glitte ein riesiger Schatten über die Sieben Berge hin, ein Schatten, der als Ahnung durchs Gemüt streift, nicht festzuhalten, aber doch Spuren ziehend. Ein Kräuseln auf dunklem See, das auf Bewegung in der Tiefe weist.

Im Nachhinein ist leicht zu deuten, aber zweifelsfrei war jener tonnenschwere Fels ein Eckpunkt dieser Geschichte. Und er stürzte am Morgen des vierten Januar 2011 vom Siegfriedfelsen herab. Und die Sonnenfinsternis an eben jenem Morgen kann man nicht wegdiskutieren – es war ein Zeichen, dessen versichere ich dich. Ein Zeichen, das, wie viele der Zeichen heute, von niemandem gesehen wurde. Oder doch von fast niemandem.

Die Sonnenfinsternis zog vorüber, diejenigen Menschen, die für einen Moment die Bewegung wie Wellenkräuseln im Lauf des Schicksals spürten, schüttelten sich und vergaßen, und dem Fels zollte man, als er entdeckt wurde, die ihm gebührende Aufmerksamkeit, soweit herabfallende Felsen eben Aufmerksamkeit verdienen in einer Gegend, wo man seit Jahrhunderten im Schatten dräuender Felswände lebt und arbeitet. Ein kleiner Artikel im Ortsblatt, sogar mit Bild, eine Notiz im Regionalteil der hiesigen Tageszeitung. Ein paar Leute kamen, liefen um den Brocken herum, schauten zum Siegfriedfelsen hinauf und ... gingen wieder. Auch ein Gutachter war dabei, zog das Maßband am Felsen entlang, notierte mit gerunzelter Stirn, schritt den Graben im Weinberg ab, murmelte etwas von höherer Gewalt und verkroch sich wieder in sein Büro.

Irgendwann kamen Arbeiter von der Stadt, ausgerüstet mit Presslufthämmern, Stemmeisen, Spitzhacken und allerlei anderem Werkzeug. Sie machten mehrere Stunden lang erheblichen Lärm, das Rattern der Presslufthämmer hallte von der Felswand wider, und alle, die ihnen dabei zuschauten, waren sich einig, dass sie sich wirklich Mühe gaben. Schließlich aber packten sie all ihr Werkzeug wieder ein und verließen den Weinberg. Der Trachytbrocken lag weiterhin in seinem Krater – um ein paar Löcher reicher und einige Ecken ärmer, ansonsten aber weitestgehend unbeeindruckt.

Die Stadt sperrte – vielleicht von der Hartnäckigkeit des Steins eingeschüchtert – einen der Weinbergwanderwege. Sehr zum Missfallen des ansässigen Orts- und Bürgervereins, schränkte dies doch die Attraktivität als Wandergebiet nicht unerheblich ein. Man lag schließlich am Rheinsteig, und am Fuß der beeindruckend aufragenden Felswand hatte man den besten Blick über Rhein und Weinberge bis in die Eifel hinein – vom Drachenfels mal abgesehen.

Was da metallisch glitzert, das ist der Fangzaun. Ja, dieses Ding aus Stahl und Draht mitten in der mit „Romantik“ im gleichen Atemzug genannten Kulisse, 612 Meter lang, bis zu fünf Meter hoch. Alle paar Meter Stahlträger, auf Gelenken montiert und an Federn aufgehängt. Mehr als tausend Bohrungen in den Fels. Ich werde wütend, wenn ich darüber nachdenke. Wirklich wütend. Geradezu fuchsteufelswild!

Entschuldige. Es schmerzt mich, es schmerzt mich wirklich, es ist wie ein Splitter in wundem Fleisch. Es juckt, es beißt, es entzündet sich, ja, eitert! – Jedenfalls, bitte, lass deinen Blick von diesem … diesem Ding die Felswand hinauf wandern. Da bist du vorhin bis zum Drachenloch hochgeklettert, ja. Höher und höher und höher. Genau senkrecht. Die Felswand da – diese malerische Klippe, wildromantisch – das ist ein Steinbruch, so groß wie der Kölner Dom. Nein, keine Metapher – das Loch in der Flanke des Bergs dürfte ziemlich genau so groß sein wie der Dom. Man hat ihn hier herausgeschnitten, gewissermaßen. Mehr als 400.000 Kubikmeter Trachyt für das Weltkulturerbe und den Stolz der Stadt, in der die Bezirksregierung blöde grinsend den Stinkefinger herüberwinkt. Da bekommt man nicht übel Lust, den Dom wieder dahin zu tun, wo er hergenommen wurde! Achte mal drauf, wenn du im Dom bist – in dem Stein finden sich große Kristalle – drei bis vier Zentimeter lang, rechteckig. Die sind in dieser Größe einmalig – Sandinin in Trachyt. Man sieht sie auch in den Brocken, die vom Siegfriedfelsen herunterkommen. Und im Drachenfelsen, natürlich. Das ist der ganze Berg da – Siegfrieds Klippen sind nur ein Teil davon, und ganz oben drauf – ja, die Burg Drachenfels. Oder was noch davon übrig ist. Nicht wenig ist schon heruntergepurzelt, bevor man‘s mit Beton und Stahlankern festnageln konnte. Man sieht von hier nur die Spitze, findest du das nicht auch äußerst interessant? Bist du oben gewesen? An diesem riesigen Glaswürfel mit dem hypermodernen Flair, der aber zugegebenermaßen recht beeindruckend daherkommt – als schwebe man über Rhein und Siebengebirge, in einem Luftschiff vielleicht. Der menschgemachte, absolut geradlinige Raum aus Beton, Glas und Holz, klimatisiert, bestuhlt, staublos sauber kathedralengroß, frei schwebend über den Abgründen der Natur, abgeschirmt von Wind, Wetter, wütenden Elementen – man schlürft eine heiße Schokolade mit Sahne, Fahrstuhlmusik plätschert aus unsichtbaren Lautsprechern, draußen tobt romantisch das Gewitter, Blitzeszucken und Sturmgewölk wie auf den Gemälden der Romantik – welch erhabener Anblick, welch prickelnd banges Gefühl in der Brust. Und ganz sicher und bequem hinter Glas. Der Mensch hat die Natur gezähmt, wo anders kann man das besser in Szene setzen als im Schnittpunkt von romantischer Verklärung, unverfälschter Natur, Drachenmythos, Naturschutzgeschichte und dem Massentourismus des meistbestiegenen Berges Europas.

Siegfried hat hier den Drachen erschlagen, heißt es, um in seinem Blut badend unverletzbar zu werden. Ein schönes Bild für die Bestrebungen des menschlichen Kontrollwahns. Der Glaswürfel steht noch nicht lange da oben. Letztes Jahr war die feierliche Eröffnung. Um ihn errichten zu können, wurde natürlich erst einmal abgerissen, was man Ende der Sechziger hingestellt hatte. Die Abrissarbeiten begannen Januar 2011. Du denkst mit, das gefällt mir! Anfang Januar sprangen die Abrissmaschinen an und ließen den Felsen erzittern. Am zehnten, heißt es offiziell. Während unser Felsen ja schon am vierten fiel. Übrigens war er da nicht allein. Im Juno krachte ein großer Brocken auf den Eselsweg – das ist der Wanderweg, auf dem, wie der Name sagt, die Touristen sich schnaufend in die Höhe quälen, um an Einkehrhäuschen, Weinterrassen und am Ende dann im Glaswürfel gemolken zu werden. Anderthalb Jahre war der gesperrt, die Sicherung kostete eine halbe Million – der Glaswürfel übrigens neun. Das ist auf der anderen Seite des Bergs, nach Königswinter hinüber. Aber auch hier kamen noch etliche Steine herunter und kollerten durch die Weinberge. Die Stadt sperrte darauf auch den mittleren und schließlich den unteren Weinbergweg. Ein Schelm, der Böses dabei denkt, wenn du mich fragst. Die Geschichte wiederholt sich. Schon Ende der Sechziger meinte man, die Melkstation auf dem Touristenmagneten Drachenfels modernisieren zu müssen und setzte einen Betonklotz in der Ästhetik jener Zeit dahin. Es rumpelten auch damals Trachytklötze in die Tiefe, Wege wurden gesperrt, Gutachten in Auftrag gegeben und dann sehr erschrocken hingeschaut – mit der Folge, dass sogenannte Felssicherungsmaßnahmen durchgeführt wurden, damit die Touristenmelkstation zum Ruhme von Vaterland und Kulturlandschaft weitermelken konnte.