Incubus - Norman Liebold - E-Book

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Norman Liebold

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Beschreibung

In einem Dorf taucht ein Geschichtenerzähler auf und erzählt die seltsame Geschichte von Silvan Caper, der am Morgen von den Zuhörern erhängt werden soll. Aus der lächerlichen Entscheidung, von den Frauen enttäuscht ins Kloster zu flüchten, wird die Erkenntnis, daß in diesem Kloster die letzten Succubi - Buhlteufel, Sexualdämonen - ihre Zuflucht gefunden haben. Caper gerät in einen Strudel von Ereignissen, die ihn selbst zum Dämon werden lassen und zum Racheengel, der das Kloster in Flammen aufgehen läßt. Die Zuhörer begreifen: Es ist ihre eigene Geschichte, und wie prophezeit gehen sie daran, Caper zu hängen. aber alles ist anders, als es zu Anfang scheinen will. Erotisch-satyrischer Roman über göttlich-dämonische Hintertüren. Amator Veritas Buch Nummer 31.

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Norman Liebold

Incubus

Roman

Digitale Version der 1. Auflage 2003.

Amator Veritas Buch Nr. XXXI
Mit Illustrationen des Autors
Copyright © 2003
Norman Liebold und Amator Veritas Verlag, Hennef.
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere die des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen und elektronische Medien, sowie der Übersetzung auch einzelner Teile.
ISBN-13 (Print): 978-3-937330-12-9

Den Mönchen des Klosters Kornelimünster,

Klosterflucht

Morgen früh wird dort an dem Baum ein Mann hängen. Eng geknüpft die Schlinge um den Hals, zerrissen seine Kleider. Und Ihr werdet um ihn stehen in weitem Kreis, Fackeln flackern qualmend in der Dämmerung.

Ihr lacht, Ihr schaut mit gerunzelter Stirn?

Morgen früh werdet Ihr es sehen, noch bevor die Sonne aus dem Nebel bricht! An dem Baum werdet Ihr ihn sehen, den Mann, und Euch werdet Ihr sehen, im Kreise stehend mit Fackeln in der Hand.

Ich will Euch seine Geschichte erzählen, bis zum Morgengrauen. Ich spiel ihm so sein Totenlied - laßt die Kinder in die Betten gehen! Das ist keine Geschichte für Kinder, schon gar nicht für die Euren!

Der Name des Mannes, von dem ich Euch erzählen will - wobei Mann wohl kaum die Sache richtig trifft, weder vorher noch nachher - tut nichts zur Sache. Versteht mich nicht falsch - der Mann ist nicht aus meinem Hirn entsprungen, doch trug er so viele Namen, daß ich nicht weiß, welchen ich nehmen soll. Den Ersten, den Letzten? Wen kümmern die Namen der Toten? Und morgen früh wird er gestorben sein, erhängt - wie gesagt - an der Linde vor dem Wirtshaus, mit Euch als Publikum... Ihr wollt einen Namen? Gut, das kann ich verstehen, eine gute Geschichte braucht einen guten Namen. Nennen wir ihn Caper. Nein, ich habe mir das nicht aus den Fingern gesaugt! Er hieß mal so, irgendwann, sogar ziemlich lange. Silvan Caper, ich kann mich gut erinnern: Der Ziegenbock, der aus dem Walde kam, das ist Latein. Kann einer von Euch Latein? Nein? Das habe ich mir gedacht. Nichts für ungut, jaja, ich fange ja schon an...

Ich will beginnen, als Caper - der Name ist Euch doch recht?, wie gesagt, er spielt eigentlich keine Rolle - auf der Betonbrücke stand und zum Kloster hinaufschaute. Es war mitten in der Nacht, wie jetzt, und es war Winter, wie jetzt, doch überall lag einen halben Meter Schnee und der Fluß war vereist. Caper schaute zu dem Berg hinauf, auf dessen Spitze die Abtei stand. Der Mond stand riesengroß genau dahinter und ließ sie als Silhouette erscheinen. Der Schnee reflektierte das silbrige Licht, und es war hell, die Schatten doppelt schwarz.

Der Fahrer des Wagens hatte laut gelacht: „Sie wollen Mönch werden?“ Caper hatte nur genickt und sein „Ich fühle mich berufen“ gesagt. Wie oft hatte er es gesagt, seitdem er aufgebrochen war - es war eine Lüge, und er wußte es. Er glaubte weder an den Sinn des selbstkasteienden Lebens hinter Klostermauern, noch an die Mysterien der Katholischen Kirche, er war noch nicht einmal getauft. Und es war auch keine weiße Taube vom Himmel hernieder gestiegen, um ihm zuzugurren: „Du bist berufen, Silvan Caper, berufen, Mönch zu werden und Christus‘ Feldzug gegen die Barbaren zum Sieg zu führen!“

Aber ein „Ich habe die Frauen satt“ klang lächerlich in seinen Ohren. Zu Recht, wenn Ihr mich fragt. Und ein „Die Welt hat mich enttäuscht und mein Herz gebrochen. Ich kann nichts mehr von Ihr erwarten, also gehe ich fort, irgendwohin, wo sie mir nicht mehr weh tun kann“ klang zwar sehr dramatisch, doch der bärtige Fahrer mit den Händen wie Schaufeln und den riesigen Füßen, die irgendwie sehr bodenständig aussahen, hätte ihn dafür wohl noch mehr ausgelacht. Und Caper mochte es gar nicht, ausgelacht zu werden. Also ein ernstes Gesicht, ein demütiger Augenaufschlag und ein „Ich fühle mich berufen.“ Zweitausend Jahre Christentum und zwölfhundert Jahre Mönchsorden in Deutschland taten ihr übriges, um das Lachen im Halse ersticken zu lassen und den Lacher zu einem „Verzeihen Sie mir, ich bin ein einfacher Mann“ zu bringen. Caper genoß sein „Ich verzeihe Ihnen, und Gott mit Euch“, als er die Wagentür zuschlug und auf der Brücke stand. Seine Hand umfaßte den Schokoladenriegel in seiner Jackentasche. Er hatte die ganze Reise über an ihm herumgeknetet, und so war das Ding ziemlich zerknautscht.

Er war also angekommen. Dort oben lag die Benediktiner-Abtei. Eine der Ältesten in Deutschland, und, was weit wichtiger war, eine der Abgelegensten. Wenn auch nicht zu abgelegen. Zu Füßen des Berges lag ein kleines Dorf. Ganz Fachwerkgeschachtel mit winzigem Marktflecken. Ein Baum stand darauf, direkt am Brunnen und neben dem windschiefen Wirtshaus. Caper konnte es gut sehen von der Brücke aus. Er kletterte die schmale, halb unter Dorngesträuch vergrabene Treppe hinunter, um unten auf die Landstraße zu kommen und ging langsam zum Kloster hinauf. Rechts und links der kleinen Straße hatten die Stadtflüchter begonnen, ihre Residenz aus dem Boden zu stampfen. Fertigbauteile-Villen mit großzügig angelegten Gärten, zum Teil schon verputzt. Überall noch Kieshaufen und Bauschutt-Container. Dahinter war bereits eine zweite Reihe von Fundament-Löchern ausgehoben. Es waren jetzt schon mehr von diesen Städter-Fluchtburgen hier als die ursprünglichem Fachwerkbautchen der Dörfler. Wohlstands-Getto.

Weiter den Berg hinauf hörten die Straßenlampen auf, nur der Mond riß Flecken von hellem Schnee aus stockdüsterem Schatten. Das Torhaus ragte über Caper auf, die Straße endete hier. Endstation Weltarsch. Genau das richtige für mich, mochte Caper denken und lachte leise und bitter. Seine Hand zerknautschte den Schokoladenriegel. Langsam, mit vorgestreckter Hand, tastete er sich in die Finsternis des romanischen Torbogens und trat in etwas Weiches, das ein leises Knirschen von sich gab.

Grelles Licht flammte auf und blendete ihn. Im Torbogen waren starke Baulampen montiert, dort saß das grinsende Halbrund eines Bewegungsmelders. Abgeblätterte Fresken bedeckten das tonnenförmige Gewölbe über ihm. Grinsende Fratzen, Bocksfüße. Eine nackte Frau auf einem achtköpfigen Drachen, die anzüglich lächelte. Caper blickte an sich hinunter, um zu sehen, in was er hineingetreten war.

Er war in eine Krähe getreten. Natürlich. Sie mußte überfahren worden sein, vom Hals abwärts war sie zu einem Brei aus Knochen, Blut und Federn zermalmt. Er stand in diesem Brei und ein kaltes Gefühl kroch seinen Rücken empor, als der Kopf der Krähe sich ein wenig bewegte. Ein kaum hörbares, heißeres Krächzen drang aus dem Schnabel. Vogellider schnellten über milchig angetrocknete Augen. Caper fühlte sich nach dem ersten Schrecken hilflos. Dem Tier waren sämtliche lebenswichtigen Organe zermalmt worden, nichts konnte es mehr retten. Es quälte sich zum Tod hin, die Schmerzen mußten unvorstellbar sein. Er kniete sich nieder, schaute in das Krähenauge. Voller Mißtrauen sah es ihn an, da war Angst. Caper richtete sich auf und hob das Bein, um mit dem Absatz den Kopf des Vogels zu zerschmettern. Das Vogelauge glotzte ihn an. Er wandte den Blick ab, stand auf einem Bein. In ihm war Ekel, Mitleid und Angst. Ich kann es nicht retten, ich kann es nur erlösen, sagte er sich immer wieder. Dann trat er zu. Es knirschte, etwas zerbrach.

Der Vogel kreischte. Der Schnabel war zerdrückt und klaffte, das Auge ausgelaufen, der Schädel an einer Stelle aufgeplatzt. Trotzdem schrie das Tier fast wie ein Mensch, und ohrenbetäubend laut. Caper trat wieder zu, jetzt mehr aus Angst als aus Mitleid, trat wieder und wieder zu, bis das Kreischen mit einem Knacken unter seinem Schuh erstarb. Schwer atmend stand er im Flutlicht, das Hosenbein mit Blut bespritzt. Er schaute sich um. Es schien ihn niemand gesehen zu haben. Das Bild, wie er auf dem wehrlosen, sterbenden Vogel herumgetrampelt war, das Gesicht verzerrt, ließ ihn nicht los, er schämte sich zutiefst. Er lehnte sich neben die alte, hölzerne Pforte und griff in die Jackentasche, um den Schokoladenriegel hervorzuziehen.

Es war ein Mars. Was lacht Ihr? Ihr kennt die Werbung auch, ich weiß - als Caper die zerknitterte Verpackung aufriß, kam er sich selbst lächerlich vor, das könnt Ihr mir glauben Er stand vor einem Kloster und hatte vor, zu klopfen und als Novice aufgenommen zu werden. Und er gab der Welt noch eine letzte Chance - mit einem Schokoladenriegel mit klebrigem Karamelzeug, das seinen Zähnen schmerzte. Hatte er gehofft, plötzlich von einem Gefühl der Hochstimmung überflutet zu werden? Um das Mars-Verpackungspapier unter einen Türklopfer zu klemmen und singend wieder in die Welt hinaus zu ziehen? Das Zeug schmeckte beschissen, erst recht, wenn man es die ganze Zeit in der Jackentasche trug und daran herumknetete. Er spuckte den braunen Brei in eine Ecke und suchte an der Tür nach dem Klopfer.

Bitte hinten klingeln! war auf einem Pappschild geschrieben, ein verwischter Computer-Ausdruck, mit Tesafilm an das rauhe Holz der Tür geklebt. Darunter war ein Pfeil, der um die Ecke ging. Caper ging los und machte einen großen Bogen um die tote Krähe. Ein kleiner gepflasterter Weg führte zwischen Rosenbüschen - braun, verwelkt, mit Eisklumpen um knollige Früchte - in die Richtung des Pfeils. Ein moderner Anbau mit verglaster Tür und großem Fenster lag hinter der Ecke des Torhauses. Ein Klingelknopf mit einem weiteren Schild Bitte klingeln! war an der Seite. Caper klingelte. Irgendwo aus dem Inneren tönte elektronisches Schnarren, sonst geschah eine Weile nichts. Caper fror erbärmlich und trat von einem Fuß auf den Anderen. Der Schnee färbte sich unter seinem Rechten rot von Krähenblut, hastig wischte er ihn mit frischem Schnee Schuh und Hosenbein ab.

„Gott mit Euch!“ sprach eine müde Stimme über ihm. Er schrack zusammen und blickte auf. Der etwas befremdete Blick eines älteren Mönchs lag auf ihm, und er wurde sich bewußt, welches Bild er abgeben mußte, kniete er doch hier vor der Tür und wischte mit Schnee Blut von seinem Schuh. Schließlich sprach er ein zittriges „Guten Abend“.

„Was wünschen Sie?“ fragte der Mönch. Er stand in der Tür, offensichtlich bereit, sie jeden Moment wieder zu schließen und Caper hier draußen in der Kälte stehen zu lassen samt Krähenblut am Schuh. Caper richtete sich auf und schaute sich den Benediktiner etwas genauer an. Er war recht groß gewachsen, hielt sich jedoch gebückt in seiner schwarzen Mönchskutte, als trüge er ein schweres Gewicht. Er mochte um die Fünfzig sein, vielleicht älter - sein Gesicht konnte einem Hundertjährigen gehören: Farblos blaß, fast grau drückte es eine unendliche Müdigkeit aus und ein leidender Zug war um Mund und Stirn. Die Augen lagen erschreckend tief in dunklen Höhlen, der gesamte Bereich um sie herum war dunkel gefärbt in einem kränklichen Braun, und nur unter den Augen traten schwarze Säcke noch deutlicher hervor. Caper dachte an den gestrengen Tageslauf der Benediktiner, die sich noch mitten in der Nacht zum ersten Gottesdienst erhoben. Er hätte nie gedacht, daß das solche Folgen haben konnte.

„Nun?“ drängte der Benediktiner.

„Entschuldigen Sie“, begann Caper und fühlte, wie sein Gesicht sich mit Röte überzog. Er mußte den Mönch eine ganze Weile blöde angestarrt haben. „Ich, nun, ich würde gerne Mönch werden.“

Der Mönch schwieg und schaute ihn eindringlich an. Caper fühlte sich ausgesprochen unwohl unter dem Blick dieser tiefliegenden Augen in den schwarzen Höhlen. Glaubte der Benediktiner ihm? Hielt er für einen schlechten Scherz? „Ich meine das ernst“, fügte er hinzu, um sich noch lächerlicher zu machen.

„Gehen Sie, suchen Sie sich eine hübsche Frau und werden Sie glücklich!“ sagte nach einer Weile der Mönch recht barsch. Seine Augen blickte ablehnend.

„Ich bin einen langen Weg hergekommen“, flehte Caper, fast weinerlich. „Ich weiß nicht mehr wohin, und es ist schon spät. Sie können mich doch nicht einfach so fortschicken! Müssen Sie mir nicht wenigstens für eine Nacht Unterkunft gewähren?“

In dem Benediktiner schien es zu kämpfen. „Kommen Sie herein. Und seien Sie leise!“ sprach er schließlich und trat beiseite, daß Caper eintreten konnte.

Die Tür führte auf einen kleinen Flur, Neonlampen summten an der schmucklosen Decke. Rechts sah Caper durch einen geöffnete Tür ein kleines Büro: Ein einfacher Schreibtisch mit Computer und Telephon, ein Kreuz an der Wand. Die Schritte klangen hohl auf dem Parkett des Flurs. Er kam sich vor wie in einem Bürogebäude, nicht wie in einem fast tausend Jahre altem Kloster.

Der Flur mündete mit einer Glastür auf einen breiteren Gang, der Caper förmlich durch Jahrhunderte stürzen ließ: Verwitterter Sandstein, Tonnengewölbe und ausgetretener Boden uralten Gesteins. Ein paar Baulampen, im Gewölbe verteilt, schufen ein krassen Nebeneinander von hell und dunkel.

„Der Kreuzgang“, kommentierte die müde Stimme des Benediktiners. Er drehte sich um, sein müdes, blasses Gesicht mit den schwarzen Höhlen wirkte, als hätte es keine Augen. Caper schauderte unter einem Windzug. „Elftes Jahrhundert.“ Der Kreuzgang umlief einen kleinen Innenhof. Bögen, von verwitterten Sandsteinsäulen gestützt, gingen auf ihn hinaus. In der Mitte ragte kahl und riesig ein Baum, die Zweige berührten die Dächern ringsum und gaben ein hohles Knirschen von sich, wenn der Wind sie bewegte.

„Kommen Sie!“ der Mönch drehte sich ungeduldig nach Caper um. „Es ist spät, man sollte sich nicht zu so unmenschlicher Zeit hier herumtreiben.“

Caper folgte ihm und ließ dabei seinen Blick umherschweifen. Das Tonnengewölbe des Kreuzganges trug noch Reste von Malereien. Sie waren verblaßt, zum Teil abgebröckelt oder übertüncht, hier und da auch von großen Flecken hineingekleisterten Mörtels ausgefüllt. Im Licht der Baulampen konnte er kaum etwas erkennen, jede Unebenheit warf einen langen Schatten, Mulden wurden zu Seen von Finsternis. Hier glotzte ein Gesicht mit Eselsohren und übergroßen Augen, da schien sich ein Wirrwarr nackter Leiber zu winden. Caper rief sich zur Vernunft. Bei Tageslicht sähe alles gewiß völlig anders aus. Auch die Figuren, in Weinlaub halb versteckt an den Säulen äugend, wollte er sich bei Tage genauer anschauen. Dämonischen Fratzen, betörenden Frauenleiber - betende Heilige wahrscheinlich und Martyrien.

„Das Mittelalter war freizügiger in seinen Darstellungen“, meinte der Benediktiner, sich umwendend. „Man sollte meinen, das seien unpassende Bilder für eine monastische Einrichtung - man gewöhnt sich daran, mein Sohn. Hier herauf“, er deutete auf eine uralte, kunstvoll geschnitzte Holztür mit einer bronzenen Klinke. „Die Tür hier nebenan“, fuhr er fort, „führt ins Refektorium.[1] Kommen Sie morgen früh um halb acht, um mit uns zu speisen. Dann können Sie Ihr Anliegen dem Abt vortragen.“

Der Benediktiner öffnete die erste Tür. Hölzerne Stufen führten nach oben, von den Füße unzähliger Mönche ausgetreten gab sie bei jedem Schritt ein lautes Knarzen von sich. Winzige Lampen an der Seite spendeten spärliches Licht. Oben lag ein langer Flur im Halbdunkel. Er schien über dem Kreuzgang um den Hof zu laufen, und an der dem Hof zugewandten Seite lag Tür neben Tür. Caper fuhr zusammen, als über ihm etwas rumpelte und kratzte. Der Mönch drehte sich um und lächelte - zum ersten Mal, und auch wenn es unsagbar müde und traurig wirkte, machte es den fremden Mann doch menschlicher.

„Keine Sorge“, meinte er. „Das ist nur die Platane im Hof. Ihre Äste klopfen manchmal auf das Dach des Gästetrakts.“ Er öffnete die zweite Tür zu seiner Rechten und deutete hinein. „Bettwäsche finden Sie im Schrank, ebenso Handtücher. Waschgelegenheit und Toilette befinden sich zwei Türen weiter, steht dran.“ Er schaute Caper eine kurze Weile an. „Schließen Sie die Tür hinter sich ab und schlafen Sie schnell ein. Versuchen Sie nicht, in der Nacht das Kloster zu erkunden“, er lächelte etwas verlegen. „Das ist ein altes Gemäuer, und ein wenig baufällig. Lassen Sie geschlossene Türen geschlossen. Wir haben nicht oft Gäste, und die anderen Zimmer werden nicht genutzt.“ Er versuchte nocheinmal zu lächeln und wünschte Caper dann eine Gute Nacht. Das Lächeln fiel ein wenig schmerzlich aus. Leise schloß er die Tür hinter ihm, Caper hörte seine Schritte langsam leiser werden, die Treppe knarzte, dann war Stille.

Das Zimmer war kaum mehr als eine Zelle, und die unterschiedlichsten Zeiten hatten sich darin eingefunden. Die Einrichtung bestand aus einem eisernen Bett, das einem Krankenhaus der 20iger Jahre zu entstammen schien, einem kleinen, kunstvoll beschnitzten Schreibsekretär, einem wackeligen Kleiderschrank, der an Jugendherberge erinnerte und einem Nachtschränkchen, das eine Antiquität aus dem Schloß von Versailles hätte sein können. Die Wände waren weiß gekalkt, keine Tapete, und über dem Bett hing ein kleines bronzenes Kruzifix - Jesu‘ Kopf war überdimensioniert, die Hände ebenso, und Caper vermutete, das es mindestens ein halbes Dutzend Jahrhunderte alt war. Von der Decke summte eine Neonlampe ihr grünlich-schattenloses Licht und hob den Sandstein des romanischen Fensterbogens seltsam hervor. Man hatte ein modernes Fenster mit Plastikeinfassung eingesetzt, und dafür die Säulen angeschnitten. Oben flankierten zwei mitten durch die Nase abgesägte Dämonenfratzen den hellgrauen Kunststoff.

Caper öffnete das Fenster, um hinauszuschauen. Er blickte in den Hof mit dem alten Baum, um den der Kreuzgang herumlief. Die Baulampen waren erloschen, und sein Fenster war die einzige Lichtquelle. Die Reihe der Fenster, die über den Arkaden des Kreuzganges im Geviert herumlief, waren dunkel, nur in einem grad gegenüber, hinter einem Ast, sah Caper das helle Viereck seines Fensters gespiegelt mit sich als kleine, dunkle Gestalt darin. Der Baum erhob sich majestätisch, breitete seine riesigen, kahlen Äste aus und überspannte den gesamten Hof. Gerade über Capers Fenster legte sich ein Ast auf das Dach - Caper hätte ihn berühren können, wenn er sich nur ein wenig aus dem Fenster lehnte. Der Ast hatte die bleierne Dachrinne eingedrückt, und ein langer Eiszapfen hing an dieser Stelle hinunter, war fast armdick und gab ein leise klingendes Geräusch von sich, als Caper spielerisch dagegen klopfte.

„Na denn“, meinte er schließlich zu sich selbst, trat zum Schrank und fand Bettwäsche, Handtücher und eine Packung Kerzen. Er entzündete eine von Ihnen und steckte sie in einen Halter - das Neonlicht schien ihm unpassend in diesem alten Gemäuer. Der Eiszapfen vor dem Fenster erglühte in warmen Licht und funkelte wie wertvoller Edelstein. Die Bettwäsche hängte er eine Weile hinaus, um die klare Winterluft den stockigen Geruch herauswaschen zu lassen, setzte sich daneben auf das breite Fensterbrett und wickelte eine Decke um die zitternden Schultern.

Er kramte die zerknitterte Zigarettenschachtel aus seiner Hosentasche, fingerte mit klammem Finger einen halb zerbröselten Glimmstengel heraus und entzündete ihn an der Kerze, die er zu sich auf das Fensterbrett gestellt hatte. Über ihm, zwischen den schwarzglänzenden Ästen der Platane funkelten die Sterne, kein Laut war zu hören, bis auf das gelegentliche Kratzen eines Zweigs über die Dachschindeln. Caper saß lange an der kalten Luft und rauchte. Er fühlte sich seltsam.

Ich habe mein Leben hinter mir gelassen, dachte er. Oder soetwas in der Richtung. Und er wußte nicht, ob er sich freuen oder heulen sollte. Dahin hatten ihn die Frauen getrieben, die bösen, hintertriebenen Geschöpfe, die sein Herz gefressen hatten, um es zerkaut wieder auszukotzen. Caper sühlte sich eine ganze Zeit in seinem Selbstmitleid, und ein wenig auch in dem Gefühl, etwas Krasses, nie Dagewesenes, Großartiges gemacht zu haben - er war ins Kloster gegangen, hatte stolz und willensstark der Welt den Rücken zugewandt und würde Mönch werden! Am Arsch der Welt würde er bis zu seinem Tode sein, vielleicht großartige, wissenschaftliche oder meinetwegen auch theologische Arbeiten abfassen, nein, große Romane und herrliche Gedichte schreiben, berühmt werden, und alle Frauen würden ihn haben wollen - aber er war ein Geweihter Christi, unberührbar und sicher in seiner Kutte. Zum Ende fühlte sich Caper ziemlich gut und gefestigt in seiner Entscheidung, bezog mit frischem Mut sein Bett und kroch zwischen die Decken, um erschöpft auf der Stelle einzuschlafen.

***

He, Wirt, meine Kehle ist trocken! Was? Ja, meinetwegen ein Bier. Ein Großes, wenn ich bitten darf. Ah, das tut gut! Jaja, ich erzähle ja schon weiter!

Da soll man sagen, Geschichten seien heut nichts mehr wert, wo‘s Fernsehen und Kino und den ganzen Kram gibt. Ihr hängt mir an den Lippen, dabei hab‘ ich noch nicht mal richtig angefangen... es wird besser, ich sag es Euch, in dem Kloster, da spielte sich so manches ab, kein Wunder, daß es niederbrannte! Kein Wunder, daß Caper seltsame Träume hatte und am Morgen wie gerädert aus den Federn kroch.

Wißt Ihr, was ihn geweckt hat? Eine Nachtigall! Ihr glaubt mir nicht, aber so war es! Sie saß im offenen Fenster, grad unter dem dicken Eiszapfen, die kleine Brust geschwollen von dem Ton darin, und sie schmetterte ihr trauriges Lied heraus, es dämmerte gerade. Es war ein seltsames Lied, aber wenn eine Nachtigall zwischen abgesägten Dämonenfratzen sitzt, grad unter einem halbmeterlangen Eiszapfen mitten im Februar, dann kann sie ja wohl ein seltsames Lied singen!

Caper jedenfalls wachte davon auf und stöhnte. Er hatte geschlafen wie ein Stein, doch er fühlte sich, als hätte er die ganze Nacht durchgesoffen. Sein Augen waren Stachelbälle in ihren Höhlen, und sein Kreuz tat ihm furchtbar weh. Er warf das Kissen nach dem Vogel, doch der hüpfte nur zu Seite. Und als das Kissen, am Eiszapfen hängengeblieben, auf die Fensterbank fiel, machte er es sich auch noch darauf bequem, zupfte mit dem Schnabel am Bezug herum und formte sich eine Mulde zum drin sitzen. Und kaum saß er, sang er auch schon weiter.

Caper mußte lachen.

„Du hast ja recht“, sprach er zum Vogel. „Es wird schon hell, und ich werde hier noch viel früher aufstehn müssen!“ Er ging zu seinem Rucksack, holte den Rest eines Brotes herauf und legte es vorsichtig neben das Kissen im Fenster. Der Vogel schaute ihn nur an, gab sein warmes Plätzchen jedoch nicht auf. Als Caper zurückgetreten war, hüpfte er nur zur Brotkruste herüber, schnappte sie sich und holte sie in sein neues Nest. „Kannst Du behalten“, lachte Caper. „Das Ding war eh mehr Federklumpen als Kissen.“

Jemand schlug gegen die Tür. Drei Mal, und die Stimme des Benediktiners vom Vorabend rief: „In einer halben Stunde im Refektorium!“

Caper zog sich an. Zwei Türen weiter fand er den Waschraum. Eine große Doppelnull war mit Pinsel und Farbe angebracht. Es schien eher für ein Regimet gebaut worden zu sein: Ein Dutzend Waschschüsseln, in einen Sims eingelassen, mehrere Pissoirs. Eine Dusche war nachträglich eingebaut worden. Hinter einem der Waschschüsseln stand ein rahmenloser Spiegel. Caper erschrack, als er hineinschaute. Tiefe Schatten unter den Augen, als hätte er die ganze Nacht nicht geschlafen. Für einen Moment flackerten Erinnerungsfetzen von Träumen auf: Nackte Frauenleiber, nicht einer, sondern mindestens drei, so genau konnte er es bei dem ganzen Gewinde nicht sagen.

Der Dämon über dem Türbogen grinste ihn verschwörerisch an. Er schien tatsächlich immer breiter zu grinsen und ihm zuzuzwinkern. „Das fängt ja gut an“, meinte Caper und stieß sein Gesicht in die Schüssel mit eiskaltem Wasser. Prustend kam er hoch, der Dämon grinste einfach weiter vor sich hin, was bei einer Fresse aus Stein auch nicht anders möglich war, und die Traumfetzen hatten sich aufgelöst. Eine Viertelstunde später stand er vor der Tür des Refektoriums und hatte die Hand erhoben, um zu klopfen.

Drinnen hörte er eine Stimme reden. Sie trug irgendetwas vor. Caper wartete, er wollte nicht einfach so hineinplatzen. Als die Stimme eine ganze Weile nicht zu reden aufhörte und das Klappern von Geschirr ertönte, drückte er vorsichtig die Klinke herunter und schob die Tür auf.

Die Tür kreischte. Sie quietschte nicht, sie knarrte auch nicht. Sie kreischte. Die vortragende Stimme hielt inne, und Caper blickte in eine Halle. Ein großes, von dicken Säulen getragenes Gewölbe hing niedrig über ausgetretenem Steinfußboden. Die winzigen schießschartenartigen Fenster ließen kaum Licht ein, und der größte Teil des großen Raumes lag im Halbdunkel. Eine lange Tafel, ausreichend für bestimmt zwei, dreihundert Menschen lief ins Dunkel hinein. Nur über dem Kopf strahlte eine einzelne Neonlampe ihr grünliches Licht aus. Sieben Mönche saßen dort und hatten sich zu ihm hin gedreht, um ihm entgegen zu schauen.

Ein Achter, derselbe, der Caper in der Nacht empfangen hatte, stand vor einem alten, geschnitzten Pult, vor sich ein Buch, und ein Neunter stand an einem Wägelchen mit Schüsseln und einer Kaffeekanne darauf. Keiner sprach ein Wort, alle starrten ihn an.

Es war ein unheimliches Bild: Die Mönche sahen allesamt schrecklich übermüdet aus, mit Krähenfüßen unter den Augen und blassen Angesichtern. Und sie alle starrten ihn völlig schweigsam an, als käme er aus einer anderen Welt. Caper räusperte sich: „Entschuldigen Sie, ich, ich sollte hier her kommen, zum Frühstück ins Refektorium, nicht wahr?“ Er blickte zu dem Mönch am Lesepult hinüber, um Bestätigung zu bekommen.

Am Kopfende der Tafel erhob sich einer der Mönche. Um den Hals trug er ein großes Kreuz, das golden wirkte. Er trat auf Caper zu und streckte ihm die Hand entgegen.

„Guten Morgen“, sagte er. „Ich bin der Abt dieses Konvents.[2] Setzen Sich sich zu uns, Platz ist ja genug da.“ Er deutete mit einem etwas schmerzhaften Lächeln hinter sich, wo von dreihundert Stühlen sieben besetzt waren. „Wir pflegen während des Essens zu schweigen und den Worten des Vorlesers zu lauschen.“ Er deutete auf die vielen leeren Stühle und setzte sich wieder, um schweigend weiter zu essen. Auch die anderen Mönche wandten sich wieder ihren Tellern zu, und schauten nur ab und an neugierig zu Caper hinüber. Der Mönch an dem Wägelchen kam herüber, stellte Teller und Tasse vor ihn hin, legte ein Messer daneben und schenkte ihm Kaffee ein. Mit fragendem Blick und ohne ein Wort bot er ihm aus verschiedenen Schalen an: Brot, Brötchen, Marmelade, Butter. Er deutete auf Capers Nachbarn, und Caper gab die Schüsseln weiter, die langsam durch die Reihe wanderten. Der Vorleser nahm seine Lesung wieder auf.

„Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen, bist fern meinem Schreien, den Worten meiner Klage? Mein Gott, ich rufe bei Tage, doch du gibst mir keine Antwort; ich rufe bei Nacht und finde doch keine Ruhe“[3], las er, und seine Stimme schwankte ein wenig. Die Mönche starrten auf ihre Teller. Im Gesicht seines Gegenübers sah Caper eine Träne. „Sei mir nicht fern, denn die Not ist nahe, und niemand ist da, der hilft. Viele Stiere umgeben mich, Büffel von Baschan umringen mich. Sie sperren ihren Rachen gegen mich auf, reißende, brüllende Löwen. Ich bin hingeschüttet wie Wasser, gelöst haben sich all meine Glieder. Mein Herz ist in meinem Leib wie Wachs zerflossen. Meine Kehle ist trocken wie eine Scherbe, die Zunge klebt mir am Gaumen, du legst mich in den Staub des Todes. Viele Hunde umlagern mich, eine Rotte von Bösen umkreist mich. Sie durchbohren mir Hände und Füße...“[4]

Der Vorleser war immer lauter geworden, zum Ende schrie er fast und reckte seine Hände verzweifelt zum niedrigen Gewölbe hinauf. Tränen flossen ihm über die Wangen. Verwirrt starrte Caper um sich. Auch auf den Gesichtern der anderen Mönche waren Tränen, einer schluchzte auf und schlug die Hände vor das Gesicht.

Ein Stuhl fiel polternd um, der Abt war aufgesprungen und hatte das Buch des Vorlesers zu Boden geworfen, die Bibel.

„Genug!“ rief er. Seine Stimme zitterte, die Augen flackerten unbeherrscht in den schwarzen Höhlen. Er richtete seinen Stuhl wieder auf und setzte sich. Es war sehr still im Refektorium. Der Abt aß weiter, stopfte sich schweigend ein ganzes Brötchen in den Mund. Die anderen Mönche taten es ihm nach. Der Vorleser stand am Pult und starrte vor sich hin. Bis zum Ende des Frühstücks wurde kein Wort gesprochen, die Luft war zum Schneiden dick. Caper fühlte sich unwohl und würgte mühsam sein Essen hinunter. Er traute sich nicht, aufzuschauen. Der Kaffee schmeckte nicht mehr...

Wirt, einen Kaffee, ich werd ein wenig müde!

Nungut, auch ein solch gedrücktes Frühstück endet irgendwann, wie auch diese Erzählung und mit ihr die Nacht enden wird. Der Abt hob die Tafel auf, doch ehe die Mönche sich erheben und zu ihren Aufgaben gehen wollten - und man sah es ihnen an, daß sie das schnell wollten - erhob er seine Stimme.

„Wir haben ein Gast, wie Ihr sehen könnt. Bruder Hieronimus berichtete mir, daß er gestern Nacht angekommen ist und ein Anliegen an uns hat. Schenken wir ihm jetzt Gehör.“

Caper erhob sich und war sehr unsicher. Die Szene, die sich gerade eben erst vor seinen Augen abgespielt hatte, stand ihm noch klar vor Augen.

„Mein Name ist“, begann er, und ich würde vielleicht zuviel verraten, sagte ich den Namen, den er nannte. Ich bin so frei, unser Silvan Caper weiter zu verwenden. „Mein Name ist Silvan Caper“, begann er also, „Und ich bin von dem Wunsch erfüllt, Ihrem Konvent beizutreten. Ja, ich möchte Mönch werden und mein Leben dem Orden weihen, und hoffe, daß Sie meiner Bitte entsprechen.“ Obgleich er leise sprach und seine Stimme zitterte, trug er die Worte ohne zu stocken vor - er hatte sie oft genug geübt, auch heute Morgen vor dem Spiegel, immer wieder. Er blickte sich um.

Die Gesichter der Benediktiner sahen ihn an, und allesamt waren sehr ernst. Die Regungen, die sich widerspiegelten, waren widersprüchlich: Da war heftigste Abneigung, Freude, Skepsis und, was Caper irritierte, Sorge. Eine seltsame mitleidige Sorge, die einen Knoten machte in seinem Hals. Wußte er, worauf er sich einließ?

Nach einer Weile des Schweigens sprach der Abt: „Es ist eine schwierige Zeit, Silvan Caper. Sehen Sie sich um: Einst war diese Tafel voll besetzt mit gottesfürchtigen Mönchen. Jetzt sind wir zu neunt in einem Kloster, das für dreihundert gebaut worden ist. Zu sagen, daß selten jemand an unsere Pforte klopft, um unserem Konvent beizutreten, wäre eine Untertreibung, ja, man überlegt schon, ihn aufzulösen und uns einem anderen Kloster zuzugeben.

Unsere Regel sagt: Wenn einer neu ankommt, um Mönch zu werden, dann soll ihm der Eintritt nicht ohne weiteres gewährt werden, sondern man halte sich an das Apostelwort: Prüft, ob die Geister aus Gott sind Kommt also einer und klopft beharrlich an, und zeigt es sich, daß er das ihm zugefügte Unrecht und die Erschwernis des Eintritts vier oder fünf Tage lang geduldig erträgt und auf seiner Bitte besteht, dann gewähre man ihm den Eintritt, und er soll ein paar Tage in der Wohnung der Gäste bleiben.[5]

Und doch, können wir noch auf die Probe stellen? Wächst unser Konvent, werden wir vielleicht nicht aufgelöst. Und die Nachricht, daß ein Novice zu uns gekommen ist, wirft ein gutes Licht auf unsere abgelegene, sterbende Abtei.

Sie sagen, sie sind von weit her gekommen, ich frage sie, von wie weit her?“

„Vom anderen Ende Deutschlands“, sagte Caper. „Ich bin drei Tage per Anhalter gereist, um hier her zu kommen.“

„Das können wir gelten lassen, und auch wurden Sie ja schon von Bruder Hieronimus in das Gästehaus gebracht. Sind die Brüder einverstanden, das als Prüfungszeit anzusehen?“ Die Mönche nickten, jedoch stand auf einigen Gesichtern jene seltsame Sorge um so deutlicher geschrieben.

„Dann, Silvan Caper, mögen Sie einige Tage im Haus der Gäste wohnen. Die Regel sagt weiter: Dann kommt er in die Wohnung der Novicen, wo sie lernen, essen und schlafen. Man weise ihnen einen älteren Bruder zu, der es versteht, die Seelen zu gewinnen, und der über sie mit größter Aufmerksamkeit wacht.[6]

Verstehen Sie mich nicht falsch, Silvan Caper, ich kenne Sie nicht, und ich zweifle an ihrer Berufung zu Gott. Doch wir können nicht mehr wählerisch sein. Wir sterben aus, und jeder, der zu uns kommt, ist eine Gnade Gottes, aus welchen Gründen auch immer. Bilden Sie sich nichts darauf ein, und erwarten Sie auch nicht, daß wir Ausnahmen machen in der Härte unserer Regel, wenn wir Sie schneller zu einem Bruder machen, als wir es unter anderen Umständen täten!

Bruder Hieronimus, den Sie ja schon kennen gelernt haben, wird Ihnen als Älterer zugewiesen werden. Er wird Sie leiten und prüfen.

Novicenzellen haben wir schon lange nicht mehr, und so bleiben Sie einfach in ihrem Zimmer wohnen. Das war früher die Klausur der Mönche und mag dafür angehen.

Sind alle damit einverstanden?“ Wieder nickten die Mönche. Bruder Hieronimus blickte ein wenig gequält. „Die Brüder müssen nun ihren Arbeiten nachgehen. Wir sind wenige, und also gibt es viel zu tun. Sie werden für den Anfang zusammen mit Bruder Hieronimus im Garten und an der Pforte arbeiten. Nach dem Komplet erwarte ich Sie zu einem Gespräch.“ Der Abt schloß, sprach ein kurzes Gebet und ging dann hinaus, gefolgt von den meisten Mönchen. Nur der Mönch, der die anderen während der Mahlzeit bedient hatte, räumte das Geschirr auf sein Wägelchen und Bruder Hieronimus trat auf Caper zu.

„Als ich damals herkam, haben sie mich fünf Tage draußen stehen lassen“, sagte er. „Komm mit, ich zeige Dir erstmal alles, was Du wissen mußt.“ Er führte Caper nach draußen. „Den Kreuzgang kennst Du ja schon. Die meisten Türen kann man mit diesem Schlüssel öffnen.“ Er kramt in seiner Kutte und förderte einen riesigen Schlüsselbund an einem großen Eisenring hervor, um nach einigem Suchen daran einen kleinen, modernen Vierkant-Schlüssel zu finden. Er war silbern und statt eines Bartes war vorn eine konische Verdickung, die ein viereckiges Loch aufwies. Es waren mehrere von dieser Sorte an dem Bund, und Hieronimus löste einen ab, um ihn Caper zu geben. „Das Vierkant steckst Du auf die Stelle, wo normalerweise die Klinke sitzt und drehst ihn nach rechts. Die Türen, die damit nicht zu öffnen sind, gehen Dich nichts an.“

Sie schritten den Kreuzgang hinab, und Caper sah sich nach den Bildern und Steinmetzarbeiten um, die ihm am Vorabend aufgefallen waren. Bei Tageslicht wirkten sie flach und wenig realistisch, doch er hatte sich nicht getäuscht. An einer Säule, unter steinernem Weinlaub versteckt, lächelte ein betörend schönes Mädchengesicht mit leicht zugespitzten Ohren und Unmengen an Locken. Es hatte die Zunge herausgestreckt und schien an etwas zu lecken. Caper trat näher und sah den Faltenwurf einer geöffneten Kutte, aus der ganz eindeutig ein Penis hervorragte. Als sein Blick nach oben, den Faltenwurf entlang wanderte, sah er im Kapitel der Säule das im Schlaf verzückt grinsende Gesicht eines Mannes mit Tonsur, hinter dessem rechtem Ohr eine kleine Dämonenfratze sein Grinsen parodierte.

Im Gewölbe darüber, abgeblättert und ausgeblichen, war eine Gruppe von Teufeln in Frauengestalt mit Bocksfüßen abgebildet, die einen nackten Mann auffraßen.

„Bruder Hieronimus?“ setzte Caper an, schaute sich weiter um und erblickte an einer zweiten Säule das gemeiselte Gesäß einer Frau, das sich ihm keck entgegenstreckte. Zwischen den Schenkeln sah man drei Paar Hände, die sie zu spreizen versuchten.

„Ja, Schüler Caper?“ Hieronimus drehte sich um und erschreckte Caper ein weiteres Mal mit den erschreckend schwarzen Höhlen seiner Augen und den aufgedunsenen Tränensäcken.

„Diese Darstellungen hier überall, ich meine, was bedeuten sie?“

„Versuch, sie nicht zu beachten. Das Kloster brachte Generationen von vorzüglichen Steinmetzen hervor. Sie bereisten die Höfe, arbeiteten auch für weltliche Herren. Sie waren meist Laienbrüder, müßt ihr wissen, und einige nahmen ihr Gelübde wohl nicht recht ernst. Vielleicht dachten sie, es sei ein Spaß, die jungen, noch nicht gefestigten Mönche auf diese Weise zu verunsichern.“

„Ich war schon in einigen Klöstern, Bruder Hieronimus, sowas sehe ich aber zum ersten Mal.“