Der Mörder wohnt im selben Haus - Bernd Kaufholz - E-Book

Der Mörder wohnt im selben Haus E-Book

Bernd Kaufholz

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Beschreibung

Unser „Oberkommissar ehrenhalber“ Bernd Kaufholz ermittelt wieder! Die zehn Fälle trugen sich zwischen 1978 und 1988 zu. Der Band beginnt mit der Ermordung einer Frau in Dessau, deren Leiche erst nach Tagen in der Elbe im damaligen Kreis Burg angeschwemmt wurde. Der Mord an einer jungen Frau in Wittenberg im Jahr 1986 endet zwanzig Jahre später mit dem Suizid des Täters in der Haftanstalt von Cottbus-Dissenchen. Warum ein Mörder zweimal zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt werden konnte, schildert der Fall aus Weißenfels 1987. Bei neun der recherchierten Straftaten handelt es sich um Tötungsverbrechen. Eine Ausnahme bildet der Fall des „Klo-Königs“ von Halle, der mit seinen zehn Pachttoiletten zwischen 1979 und 1988 in etwa 90 Fällen mehr als eine halbe Million DDR-Mark in die eigene Tasche steckte.

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Der Autor dankt der Staatsanwaltschaft für die Unterstützung.

Mit Sternchen (*) versehene Namen in den Kriminalfällen wurden vom Autor geändert.

INHALT

 

Codewort „Exitus“

Der Tod des Säuglings

Der Klo-König von Halle

Der Junge im Gully

„Habt ihr Angst vor mir?“

Erstochen, erschlagen, angezündet

Zweimal lebenslänglich

Der Mörder wohnt im selben Haus

Nach Einbruch Mord

Witwenmord

Abkürzungsverzeichnis

CODEWORT „EXITUS“

 

Am Abend des 28. November 1978 betritt ein 25 Jahre alter Mann das Volkspolizeikreisamt in Dessau. Er fragt den Diensthabenden: „Wo kann man hier eine Vermisstenanzeige machen? Meine Frau ist seit dem 23. November verschwunden. Das heißt, sie ist nicht nach Hause gekommen …“

Der Polizist an der Pforte unterbricht ihn: „Das erzählen Sie bitte dem Genossen, der dafür zuständig ist“, und verlangt den Personalausweis. Er notiert: „Ronald Honig*, Geburtsjahr 1953, wohnhaft in Dessau“. Dann weist er dem jungen Mann den Weg. Kurze Zeit später sitzt er einem Kripo-Oberleutnant gegenüber.

„Erzählen Sie bitte, wann Sie ihre Ehefrau zuletzt gesehen haben“, bittet der Polizist.

Und Honig erzählt: „Also, am Donnerstag ab 16.30 Uhr waren mein Bruder Dieter, meine Ehefrau Ursula und ich in der Gaststätte in der Kornhausstraße hier im Ort. Ich möchte gleich sagen, dass meine Frau sehr gerne trinkt – Bier, aber auch Schnaps. So war das auch am 23. November. Zuletzt hat sie nur noch teilnahmslos auf dem Stuhl gesessen. Kurz vor 22 Uhr habe ich bezahlt, und wir sind raus aus dem Lokal. Doch meiner Frau hat das nicht gefallen. Sie wollte unbedingt noch ein Bier trinken. Ich habe auf sie eingeredet, dass sie genug hat – aber umsonst. Wenn Ursula betrunken ist, kann sie sehr ausfallend werden. Sie hat mich lautstark beschimpft. Da habe ich ihr eine geklebt.“

„Dann hau doch ab und geh allein!“, habe er geschimpft.

„Mein Bruder hatte ja extra noch eine 0,7-Liter-Flasche ‚Goldbrand‘ gekauft. Da hätte meine Frau doch zu Hause noch etwas trinken können.“

Uschi habe ihm einen Vogel gezeigt und sei dann die Kornhausstraße in Richtung Sieben Säulen entlanggeschwankt.

„Seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört oder gesehen.“

Er habe sich in der Brauerei erkundigt, in der seine Frau im Flaschenkeller arbeite. „Dort hat man mir gesagt, dass Ursula weder am 27. November noch heute im Betrieb war. Die Pflegeeltern meiner Frau habe ich schon am Freitag, dem 24. November, aufgesucht. Doch die wussten auch nicht, wo Ursula ist.“

Die Konsum-Gaststätte in der Dessauer Kornhausstraße

Im Bezirkskrankenhaus, in dem er nachgefragt habe, habe er ebenfalls keinen Erfolg gehabt.

„Haben Sie sich sonst noch bei jemandem erkundigt?“, will der Kriminalist wissen, der die Vermisstenanzeige aufnimmt.

„Ja, beim geschiedenen Mann meiner Frau, Rainer Wolff*. Er hat mir erzählt, dass sie sich mit bestimmten Personen herumtreibt, die er jedoch nur vom Sehen kennt.“

Dann kommt Honig darauf zu sprechen, dass er vom 25. September bis 13. Oktober in Leipzig einen Lehrgang besucht hat und abends immer erst spät nach Hause gekommen sei. „Der Wolff hat mir erzählt, dass Ursula öfter bei ihm gewesen ist, als ich in Leipzig war. Und er hat gesagt, dass in Kühnau ganz schön was los gewesen ist. Er meinte damit bestimmt die Sauferei meiner Frau. Sie soll oft am Kiosk Wasserwerkstraße getrunken haben.“

„Können Sie sich vorstellen, dass sich Ihre Frau etwas angetan hat?“, fragt der Kriminalist.

Honig überlegt einen Augenblick: „Ich habe ihr angedroht, sie zu verlassen, wenn sie sich nicht ändert. Da hat sie sinngemäß geantwortet, dass sie sich dann umbringen würde. Ich habe ihr deshalb öfter Rasierklingen weggenommen.“ Auch Tabletten habe sie geschluckt, und als sie drei Wochen zuvor betrunken war, sei sie von zu Hause weggelaufen. „Ich habe sie dann gemeinsam mit meinem Bruder aus dem Beckerbruch-Teich rausgezogen.“

Nachdem der 25-Jährige seine Frau beschrieben und aufgelistet hat, womit sie in der Nacht ihres Verschwindens bekleidet war, sagt der Polizist: „Bitte teilen Sie uns umgehend mit, wenn Ihre Frau wieder auftaucht.“

Dass er mit seinen Worten unbewusst ins Schwarze getroffen hat, ahnt der Oberleutnant da noch nicht.

Die üblichen Nachforschungen beginnen. Die Nachfrage im Betrieb der Vermissten am 1. Dezember ergibt, dass sie zuletzt am 23. November zur Arbeit gekommen ist. Am Tag darauf hatte sie arbeitsfrei – einen sogenannten Haushaltstag.

Schnell ergeben die Ermittlungen, dass die Vermisste und ihr Ex-Ehemann keine unbeschriebenen Blätter für die Polizei sind. Rainer Rutz*, der erste Ehemann, hatte eine Strafe wegen Raubes abgesessen. Und auch Ursula Honig* kennt eine Haftanstalt von innen. Aus der Akte geht hervor, dass sie „nicht arbeitete, ihre zwei Kinder vernachlässigte und sich herumtrieb“. Nach der Scheidung wurde dem Ehepaar das Erziehungsrecht abgesprochen. Die Kinder wurden adoptiert. Aus der zweiten Ehe gingen ebenfalls zwei Kinder hervor. Sie wurden nach der Scheidung Rainer Wolff zugesprochen.

Die Kriminalpolizei erkundigt sich bei den Pflegeeltern der Vermissten, und Ernst Gütschow* hält mit seinen Sorgen nicht hinterm Berg. „Mein Schwiegersohn und sein Zwillingsbruder hängen laufend in der Wohnung von Wolff herum, zechen dort.“ Außerdem komme es zu „sexuellen Ausschreitungen“.

Der Pflegevater bestätigt die Aussage seines Schwiegersohnes, dass die Vermisste des Öfteren Selbstmordabsichten geäußert habe und schon einmal aus dem Teich gezogen werden musste.

Die Schwiegermutter der Vermissten sagt am 10. Dezember aus, dass sie die Frau ihres Sohnes am 22. November zum letzten Mal gesehen hat. Zwei Tage später habe sie von Ronald erfahren, was sich am Abend zuvor vor der Kneipe zugetragen hat.

Bei der Befragung von Helga Klaus* nimmt auch Dieter Honig* teil. Er bestätigt die Angaben, die sein Bruder bei der Vermisstenanzeige gemacht hat.

Am 20. Dezember ermittelt die Polizei im Wohnhaus der Honigs. Zuerst wird Nachbarin Erika Blume*, die parterre links wohnt, befragt. „So richtigen Kontakt mit Frau Honig hatte hier keiner.“ Das habe wohl auch daran gelegen, dass das Ehepaar sehr viel trinkt. „Sie waren oft in Ziebigk in Gaststätten und kamen betrunken nach Hause. Von lauten Streitereien oder Tätlichkeiten habe ich nichts mitbekommen.“ Nachdem sie einige Tage Ursula Honig nicht gesehen hat, habe sie deren Ehemann gefragt, wo sie sei. „Er hat geantwortet: ‚Die ist weg.‘“ Wenig später habe sie von Helga Klaus erfahren, was nach dem Kneipenbesuch vorgefallen ist.

Aufmerksam wird der Kripo-Leutnant, als Erika Blume erzählt, dass Honig „komisch“ sei, seitdem seine Frau verschwunden ist. „Wenn er angesprochen wird, stottert er und macht einen unsicheren Eindruck.“

Die Leiterin der Konsumgaststätte in der Kornhausstraße und ihr Stellvertreter erkennen die Zwillingsbrüder und Ursula Honig auf den Fotos, die ihnen am 14. Dezember vorgelegt werden. Die drei seien Stammgäste. Gemeinsam sei das Trio das letzte Mal am 23. November da gewesen, am 24. November die Brüder allein.

„An diesem Tag habe ich ihnen Lokalverbot ausgesprochen, weil die Zwillinge eine Schlägerei angezettelt haben“, sagt Margot Kleisterkamp*.

Konkreter wird eine 44 Jahre alte Dessauerin, die am betreffenden Abend Gast war: „Die beiden Männer sind sich an den Kragen gegangen. Die Gaststättenleiterin wollte den Streit der Betrunkenen schlichten und wurde von dem Verheirateten angegriffen. Sofort sind Stammgäste dazwischengegangen.“

Auch Waltraud Kühnau erkennt auf den Fotos die Zwillinge und Ursula Honig. Am 23. November hätten die drei am Personaltisch zwischen Ofen und Wand gesessen und geknobelt. Die Frau sei so betrunken gewesen, dass sie kaum vom Stuhl aufstehen konnte und auf dem Weg zur Toilette gegen die Theke gestürzt ist. Als das Trio etwa um 22 Uhr gegangen sei, sei die Frau gegen den Türpfosten gefallen. „Meiner Meinung nach konnte sie nicht mehr allein laufen. Sie brauchte Unterstützung.“

Der Eintrag des Lokalverbots im Kalender aus der CDU-Zeitung „Neue Zeit“ durch den stellvertretenden Gaststättenleiter am Freitag, den 24. November 1978

Der stellvertretende Gaststättenleiter Hans-Jürgen Blühmel* erinnert sich ebenfalls an die Schlägerei und zeigt dem Ermittler einen Kalender aus der CDU-Zeitung „Neue Zeit“, auf dem er das Lokalverbot für den „Schwarzen“, wie er Ronald Honig nennt, vermerkt hat. „Vier Tage später tauchte er aber wieder auf und tat so, als ob nichts vorgefallen wäre. Ich habe ihn sofort rausgeworfen.“

Ein Gaststättenbesucher, der gemeinsam mit dem Trio die Kneipe verlassen hatte, gibt etwas zu Protokoll, das die Ermittler stutzig macht. Es steht im Widerspruch zu den Aussagen von Ronald Honig, die er bei seiner Vermisstenanzeige gemacht hat. „Alles ging in Ruhe. Es fielen keine Schimpfworte. Wir gingen über den Parkplatz vor der Konsumgaststätte, durch die Rheinstraße und trennten uns an der Ecke Rheinstraße/Straßburger Straße. Das Ehepaar Honig ging eingehakt nebeneinander und der Zwillingsbruder, der sein Fahrrad schob, die Straßburger Straße entlang, in Richtung ihrer Wohnung“, berichtet Siegfried Hohlbein*.

Helga Klaus korrigiert am 29. Dezember ihre Aussage: „Nachdem mir Ronald erzählt hatte, dass seine Frau am 23. November von der Gaststätte fortgelaufen ist, habe ich mir gedacht, dass sich Ursula herumtreibt. Aber ich habe auch daran gedacht, dass sie sich vielleicht das Leben genommen hat.“ Vor „acht oder zehn Tagen“ sei ihr Sohn Ronald zu ihr gekommen und habe ihr in der Küche gebeichtet, dass sich alles etwas anders zugetragen habe. Uschi sei in seiner und der Gegenwart seines Bruders ins Wasser gelaufen. Sie habe sterben wollen, und sie hätten nichts unternommen, um sie zu retten. „Ich war schockiert und außer mir. Ich habe nur eine Frage gestellt: Warum habt ihr sie nicht rausgeholt?“, so die 49-Jährige. „Ronald hat geantwortet: ‚Wenn sie doch sterben wollte …‘“

Als der Kripo-Oberleutnant sie fragt, ob sie wisse, wo sich das alles abgespielt habe, zuckt die Mitarbeiterin der Dessauer Volkssolidarität nur die Schultern: „Irgendwo an der Elbe. Ich wollte nichts mehr davon hören.“

Für die Kriminalpolizei ist die Aussage von Helga Klaus ein gewichtiger Grund, Ronald Honig mit dem Verschwinden seiner Ehefrau in Verbindung zu bringen. Kripo-Hauptmann Adamski ordnet deshalb die vorläufige Festnahme des Hebezeugwarts beim VEB Getränkekombinat Dessau an. Noch am selben Tag wird der 25-Jährige in die Haftanstalt überstellt. Auch sein Zwillingsbruder Dieter kommt in Dessau hinter Gitter. Aus Sicht der Ermittler liegt der dringende Tatverdacht vor, dass die Brüder Ursula Honig getötet haben.

Beim Verhör wird Ronald Honig zuerst gefragt, wie viel im Lokal getrunken wurde und wie er den Alkoholisierungsgrad einschätze: „Meine Ehefrau hatte vier, fünf Glas Bier und die gleiche Anzahl Doppelte getrunken. Sie war angetrunken, aber in der Lage, allein zu laufen.“ Dass sie am Tisch eingeschlafen war, sei der verqualmten Kneipe geschuldet gewesen. Sein Bruder habe sechs, sieben Bier und zwei Schnäpse getrunken. „Er kann eine Menge ab und war keinesfalls betrunken. Ich selbst hatte auch sechs Bier, aber keinen Schnaps. Ich spürte keinerlei Einfluss des Alkohols.“

Ronald Honig bittet um A4-Papier und einen Stift. Er wolle schriftlich niederlegen, was sich am 23. November abgespielt hat.

Nachdem die Zwillinge und Ursula Honig die Konsumgaststätte gegen 22 Uhr verlassen haben, schlägt Dieter Honig vor, noch einen Spaziergang zu machen, damit seine Schwägerin „wieder einen klaren Kopf bekommt“. Die Betrunkene beschimpft auf dem Weg fortwährend ihren Mann. Die drei gehen von der Rainstraße zum Georgengarten. Vom Park aus wollen sie über den Becker-Bruch zum Kornhaus und von dort nach Hause. Die 31-Jährige brabbelt vor sich hin. Als das Trio am Becker-Bruch ist, läuft sie plötzlich los und schreit dabei: „Ich will sterben! Ich will sterben!“, und rennt in den Karpfenteich. Die beiden Männer holen sie heraus. Doch die Frau reißt sich los und läuft wieder ins Wasser. Die Brüder müssen sie mit Gewalt aus dem Teich zerren.

Nachdem sich Ursula Honig etwas beruhigt hat, gehen sie weiter um die Gärtnerei herum zum Bootshafen. Dort rennt sie in Richtung Elbe. Direkt am Ufer macht sie halt und wiederholt, dass sie sterben will. Die Zwillinge, die ihr hinterhergelaufen sind, bleiben etwa fünf Meter vor ihr stehen. Ihr Ehemann ruft ihr zu: „Wenn du nicht vernünftig bist, geh doch ins Wasser!“ Dann warten sie ab, was die Frau tun wird. Langsam geht sie bis zu den Knien in den Fluss. Das Brüderpaar bewegt sich nun auf sie zu und versucht, ihr „den Blödsinn auszureden“. Dieter Honig greift nach seiner Schwägerin, taucht sie kurz mit dem Kopf ins Wasser und holt sie ans Ufer. Die Männer reden auf sie ein und versuchen, sie vom Suizid abzubringen. Doch vergeblich. Sie dreht sich um und läuft erneut in die Elbe, diesmal steht sie bis zur Brust im eiskalten Wasser. Ronald Honig will sie an Land bringen und auch Dieter streckt seine Arme nach der Lebensmüden aus. Doch als sie bis auf ein paar Zentimeter an sie herangekommen sind, fällt sie um, und das Wasser schlägt über ihr zusammen. Die Männer sehen sie in fünf, sechs Metern noch einmal auftauchen und zur Flussmitte treiben. Dann ist von ihr nichts mehr zu sehen.

Als Ronald Honig zum zweiten Mal angehört wird, schildert er das Vorgefallene konkreter, allerdings in einigen Details anders als zuvor.

Auf dem Nachhauseweg habe man sich auf eine der Bänke neben dem Karpfenteich gesetzt. Da habe Uschi wieder begonnen, „Zirkus zu machen“.

„Kurz darauf sprang sie in den Karpfenteich. Wir haben sie da gewaltsam rausgeholt.“

Auf dem weiteren Weg habe sie sich bis hinter dem Postenhaus der Wasserschutzpolizei ruhig verhalten. Doch in Höhe der Bootshäuser „hat sie erneut Krawall gemacht“. Sie sei plötzlich in Richtung Wallwitzburg, der künstlichen Burgruine, gelaufen, dann zur Elbe.

„Wir sind hinterhergemacht. Sie hat immer etwas von Selbstmord geschrien und ist in den Fluss gerannt. Wir konnten sie aus dem Wasser ziehen. Ich habe sie belegt, sie soll nicht solchen Mist machen und habe ihr eine Ohrfeige gegeben. Mein Bruder hat dann ihren Kopf ganz kurz unter Wasser gedrückt. Ich habe ihm noch zugerufen: ‚Da hast du sie wohl mal das Elbwasser schmecken lassen.‘ Und er brüllte Uschi an: ‚Hast du nun endlich die Schnauze voll?‘“

Doch seine Ehefrau habe sich wieder losgerissen und sei in den Fluss gelaufen. Dort habe sie etwa eineinhalb Meter vom Ufer entfernt im Wasser gestanden, sei zu Fall gekommen und zur Flussmitte abgetrieben. „Sie ging unter. Meine Frau war Schwimmerin. Ich weiß nicht, warum sie nicht versucht hat, das Ufer zu erreichen.“ Er selbst habe nicht versucht, sie zu retten. „Ich habe gedacht: Wenn es so ist, dann ist es eben so.“

Zu Hause hätten er und sein Bruder ihre Sachen getrocknet, Grog getrunken und sich bis 5.30 Uhr über die gemeinsame Glasmalerei unterhalten.

„Wir haben uns abgesprochen, was wir bei der Volkspolizei zum Verschwinden meiner Frau sagen wollen. Anschließend holte ich mein Motorrad von den Eltern und bin zur Arbeit gefahren.“

Zur selben Zeit wird sein Zwillingsbruder Dieter verhört. Fast gleichlautend, lediglich in einigen Details konkreter als Ronald, schildert er den Gaststättenaufenthalt und die spätere Tragödie. Nachdem sie gemeinsam die lebensmüde Frau aus dem Teich gezogen hätten, habe Ronald auf seine Frau „eingeschlagen“. Er habe den Streit geschlichtet, so Dieter Honig. Nachdem sie an der Elbe erneut ins Wasser gerannt sei, sei er hinterher, habe sie zu fassen bekommen und ans Ufer gezogen. Gemeinsam mit seinem Bruder habe er sie an den Armen auf die angrenzende Wiese gezerrt. Sein Bruder habe sie nun wieder gegen Kopf oder ins Gesicht geschlagen. „Ich habe mir meine Hosenbeine ausgewrungen, da habe ich gesehen, dass Uschi schon wieder in den Fluss lief und der Länge nach hinfiel.“ Er sei in den Fluss gestiegen, habe sie aber nicht mehr gesehen. „Ich habe ins Wasser gefasst und ihren Arm greifen können. Nachdem ich sie ins Flache gezogen habe, kam mein Bruder Ronald dazu. Uschi hat sich nicht mehr bewegt. Ich hatte Angst und bin über die Wiese losgerannt, quer durch den Busch. Da bemerkte ich, dass Ronald hinter mir herlief.“ Als Dieter Honig den Blick des Kripo-Leutnants bemerkt, fügt er an: „Es war alles so durcheinander. Ich weiß auch nicht richtig, wie alles kam.“

Eine Vermisstenanzeige zu machen, sei ihre gemeinsame Idee gewesen. „Aber wir wollten damit noch ein paar Tage warten.“

Im Nebenzimmer geben sich die Vernehmer mit der „Geschichte“, die Ronald Honig erzählt hat, nicht zufrieden. „Das ist doch nicht die ganze Wahrheit. Was ist wirklich passiert?“, fühlt der Oberleutnant dem Ehemann der Vermissten auf den Zahn.

Und Ronald Honig schiebt mit den Worten: „Na ja, ist ja jetzt auch schon egal“, nun die Hauptschuld am Tod seiner Ehefrau seinem Bruder Dieter zu. „Durch die Einwirkung meines Bruders stürzte Uschi nach vorn. Dieter hat ihr Gesicht ins Wasser gedrückt. So etwa drei Minuten lang. Meine Frau schlug erst mit den Armen um sich, dann stellte ich vom Ufer aus fest, dass sie sich nicht mehr bewegte. Dieter hat mich dann zu sich gerufen, ich sollte den Kopf weiter unter Wasser halten. Aber weil ich gesehen habe, dass sie schon tot ist, habe ich das nicht gemacht. Ich habe ihr noch mal kurz ins Gesicht gefasst, aber sie hat nicht mehr reagiert. Wir haben sie dann gemeinsam zur Flussmitte hinabgestoßen, wo sie versank.“

Auf die Frage, warum er nichts unternommen habe, das Leben seiner Frau zu retten, antwortet Ronald Honig: „Ich war damit einverstanden, was mein Bruder getan hat. Wir standen auf dem Standpunkt, dass sie es ja nicht anders haben wollte.“

Am nächsten Tag ringt sich der Untersuchungshäftling zu einem Geständnis durch. Den Schlussakkord des Dramas schildert er folgendermaßen: „Ich habe ihr eine gescheuert. Danach lief Uschi erneut in die Elbe und stand dort bis zur Brust im Wasser. In diesem Moment wurden mein Bruder und ich uns einig, was mit meiner Frau passieren sollte.“

„Wie ist das zu verstehen?“, fragt der Kriminalist.

„Bereits eine Woche vor dem 23. November waren wir uns einig geworden, Uschi eines Tages umzubringen. Obwohl ich mit ihr erst seit dem 10. August 1978 verheiratet war, hatte ich von ihr die Nase voll. Ich wollte sie loswerden.“ Und er nennt auch die Gründe, warum er sie „beiseiteschaffen“ wollte: „Mit meinem Bruder wollte ich in unserer Wohnung ein Atelier einrichten, um unseren gemeinsamen Interessen Malerei und Fotografie ungestört nachgehen zu können. Wir wollten unabhängig sein. Außerdem konnte ich ihr übermäßiges Trinken nicht ertragen.“

Immer wieder hätten sie sich darüber unterhalten, aber nie einen konkreten Plan gefasst. Irgendwann werde sich schon mal die Gelegenheit ergeben, sie verschwinden zu lassen. Am 23. November sei es dann so weit gewesen.

Ursula Honig ist mit dem Kopf auf den Armen am Tisch eingeschlafen. Ronald Honig nickt seinem Bruder zu und Dieter weiß sofort, was sein Zwilling damit meint: Der Zeitpunkt ist gekommen. Draußen sagt Dieter Honig: „Lass uns doch noch ein bisschen spazieren gehen.“ Und sein Bruder versteht, wie der Vorschlag gemeint ist.

Die Männer glauben, dass ihnen der Zufall in die Hände spielt, als Uschi in den Karpfenteich rennt. Doch noch zur rechten Zeit gibt Dieter zu verstehen, dass das Wasser zu klar und nicht tief genug ist, um die Frau zu ertränken.

Die in der Nähe befindliche Elbe bringt Ronald nun auf die Idee, es dort zu versuchen. In Höhe des Wasserschutzstützpunktes stößt er die 31-Jährige in Richtung des Flusses. Vom Weg zur Walwitzburg biegt sie zur Elbe ab und taumelt zum Elbufer. Dort läuft sie ins Wasser. „Jetzt muss sie sterben“, schießt es ihrem Ehemann durch den Kopf. Und später wird er sagen, dass sie Uschi mit Gewalt in die Elbe gestoßen hätten, wenn sie nicht von selbst in den Fluss gestiegen wäre.

Von diesem Moment an deckt sich die Schilderung des Mordes mit seiner Aussage zuvor. Er ergänzt jedoch, dass er „allein nicht in der Lage gewesen wäre“, seine Frau zu ertränken. „Ich habe geglaubt, Dieter wird es allein schaffen.“

Dieter Honig gibt fast zeitgleich zu: „Ich und mein Bruder haben Ursula Honig getötet. Wir haben sie in der Elbe ertränkt. Nach den Weihnachtsfeiertagen war ich fast über die Sache hinweg. Als ich gestern von der Polizei abgeholt wurde, konnte ich nicht recht glauben, dass nun die Wahrheit ans Tageslicht kommt.“ Über Nacht habe er in der Zelle über alles nachgedacht und sei zu dem Schluss gekommen, dass es besser ist, die Wahrheit zu sagen.

Auf dem Weg nach dem Vorfall am Karpfenteich habe sein Bruder zu ihm gesagt: „Exitus.“ Er habe sofort verstanden, dass er damit meinte, dass es mit Uschi „zu Ende gehen soll“. Bereits in der Gaststätte hätte ihm Ronald mitgeteilt, als dessen Frau auf der Toilette war: „Heute Abend ist es günstig, die Ursula um die Ecke zu bringen, weil sie so betrunken ist, dass das Ganze wie ein Unfall aussehen könnte.“

Am 27. Januar 1979 ist Polizeiobermeister Schäfer von der Wasserschutzpolizei Magdeburg mit dem GS 9 auf der Elbe unterwegs. Er sucht mit einem Fernglas die Wasseroberfläche und das Ufer ab. Alle Besatzungen haben den Auftrag bekommen, bei ihren Patrouillenfahrten besonders aufmerksam zu sein und nach einer weiblichen Leiche Ausschau zu halten.

An der Einfahrt zum Vorbecken der Niegripper Schleuse in Höhe des Elbkilometers 347,3 wird er kurz nach 13 Uhr am östlichen Ufer auf einen Eishügel aufmerksam, der auf dem Steinschotter des Böschungsrandes liegt und mit einer etwa 20 Zentimeter dicken Schneeschicht bedeckt ist. Er glaubt, etwa einen halben Meter vom Wasser entfernt die Umrisse eines menschlichen Körpers zu erkennen. Als das Boot näher an die Stelle herangefahren ist, sieht die Besatzung, dass sich Schäfer nicht geirrt hat. Über Funk wird der Diensthabende des Polizeikreisamtes Burg informiert. Der Burger Kriminal-Oberleutnant Haberland trifft um 14.40 Uhr am Fundort gegenüber der betonierten Warnleuchte an der Einfahrt zum Schleusenvorbecken ein.

Erst als die dicke Eisschicht entfernt ist, können die Ermittler feststellen, dass tatsächlich eine Frau vor ihnen liegt. Haberland protokolliert: „18 bis 30 Jahre alt, schlanke Gestalt, etwa 1,65 Meter groß, dunkelblonde, lange Haare, die an einem Stein fest angefroren sind, sodass die Tote nur mit Gewalt angehoben werden konnte.“ Durch die festgefrorene Bekleidung kann vorerst nicht festgestellt werden, ob es neben den Tierfraßspuren am linken Unterarm, an der linken Hand und im Gesicht weitere Verletzungen gibt, die auf sogenannte Fremdeinwirkung, zum Beispiel Hieb-, Stich- oder Schlagverletzungen, zurückzuführen sind.

Der Versuch, den etwa 3 Millimeter breiten, goldfarbenen Ring vom rechten Ringfinger zu entfernen, gelingt nicht.

Der Abtransport der Toten gestaltet sich aufgrund der Bodenverhältnisse schwierig. Erst als ein Schlitten geholt wird, kann die Tote zum Leichenwagen gebracht werden, der 500 Meter vom Fundort entfernt wartet.

Ein weiteres Problem ergibt sich, nachdem die Fotos, die von der Auffindesituation gemacht wurden, entwickelt sind. Am 29. Januar schreibt Leutnant Haberland ins Protokoll: „Die Originalaufnahmen sind nicht gelungen. Der Verschluss der Kamera hat etwas geklemmt. Vom Fundort werden neue Aufnahmen gefertigt.“ Nun allerdings ohne die Tote.

Die Fundstelle der Wasserleiche – gekennzeichnet durch einen Pfahl – am Elbufer gegenüber der Warnleuchte

Die Leichenöffnung ergibt, dass die Frau eines gewaltsamen Todes durch Ertrinken gestorben ist. Den Rechtsmedizinern Professor Wolff und Dr. Laufer von der Medizinischen Akademie Magdeburg kommt zugute, dass die Leiche von den länger anhaltenden tiefen Temperaturen konserviert wurde, sodass trotz der langen Liegezeit „verhältnismäßig sichere Befunde erhoben werden konnten“.

Festgestellt wurde ein Blutalkoholwert von 2,1 Promille, im Urin 3,7 Promille – also eine „sehr starke Alkoholbeeinflussung. Diese hat ohne Zweifel die physische und psychische Handlungsfähigkeit der Frau erheblich eingeschränkt, sodass sie kaum in der Lage gewesen sein dürfte, die Absichten der Beschuldigten zu erkennen noch sich dagegen zu wehren.“ Die Reaktionsfähigkeit des Opfers sei ebenfalls herabgesetzt gewesen. Dieser Umstand habe den Ertrinkungsvorgang erheblich beschleunigt.

Der goldfarbene Ehering, den die Tote am Finger trug, und der gleichfarbige Augenbrauenstift, den sie bei sich hatte

Gefunden wurden Quetschungen und Prellungen, die durch feste Griffe entstanden sein könnten.

Am 6. Februar werden dem Pflegevater von Ursula Honig eine sogenannte Kleiderkarte unter anderem mit einem weinroten Stoffteil von einem Rollkragenpullover, einem blauen Stoffteil von einer Jeans sowie ein goldfarbener Augenbrauenstift und der Ehering vorgelegt. Außerdem wird ihm ein hoher Schnürstiefel mit Metallösen und heller Plastesohle gezeigt.

Ernst Gütschow nickt. Dann sagt er: „Ich habe des Öfteren die Wäsche meiner Pflegetochter gewaschen, zuletzt Anfang November 1978. Ich erkenne alle Stoffteile wieder.“ Auch Stift und Schmuckstück gehörten Ursula. „Die Schuhe hat sie sich gleich nach ihrer Hochzeit mit Ronald Honig im Schuhgeschäft Dessau-Ziebigk gekauft.“

Letzte Gewissheit bringt der sogenannte Zahnstatus, der Vergleich des Gebisses der Toten mit ihren zahnärztlichen Unterlagen.

Am 2. März geht der Schlussbericht der Kriminalpolizei zu den Ermittlungen im „Tötungsdelikt zum Nachteil Ursula Honig“ an die Staatsanwaltschaft Halle.

Zur Vorgeschichte schreibt der Hauptmann der Kripo, Stadelmann, dass Ronald Honig ab Oktober 1978 die Ehe satthatte und er mit dem Gedanken spielte, sich von seiner Frau zu trennen. Gehindert, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen, habe ihn die Befürchtung, eine Trennung finanziell nicht stemmen zu können. Zuerst habe er deshalb die Idee gehabt, das spätere Opfer mit einem anderen Mann zu verkuppeln. Als das nicht geklappt habe, sei er mit seinem Zwillingsbruder übereingekommen, Ursula Honig zu töten.

Die Schuhe des Opfers

Um die Frau noch betrunkener zu machen, als sie es nach dem Gaststättenbesuch am 23. November 1978 schon war, hätten die Brüder ihr auf dem Nachhauseweg immer wieder aus der „Goldbrand“-Flasche zu trinken gegeben.

Am Elbkilometer 261 sei es dann zur Tat gekommen. „Gemeinschaftlich handelnd, haben Ronald und Dieter Honig Ursula Honig ertränkt.“ Bevor sie die Tote in Richtung Strommitte geschoben haben, hätten sie ihr den Personalausweis abgenommen und später verbrannt, um eine Identifizierung des Opfers zu erschweren.

Am 13. März sitzt Ronald Heim jedoch erneut einem Staatsanwalt und einem Kriminalisten gegenüber. Der Grund dafür ist, dass der Dessauer mehrfach darum gebeten hat, weitere Aussagen zu machen.

Er schildert, dass sein Bruder Dieter von Anfang an etwas gegen die Ehe gehabt habe und „versucht hat, uns gegeneinander auszuspielen“. Und er überrascht die Vernehmer mit einem völlig neuen Aspekt. „Mein Bruder hat sich mehrfach mit dem Gedanken befasst, die DDR illegal zu verlassen, und dabei ist ihm Ursula ganz offensichtlich im Wege gewesen“, bietet er ein Tatmotiv an. „So fuhren wir im November nach Bratislava in die ČSSR. Mein Bruder hatte ein Messer dabei, um es gegen Diensthunde und Grenzsicherungskräfte einzusetzen. Er hat mehrfach gesagt, dass er seine Haut so teuer wie möglich verkaufen wird.“ Allerdings sei der unausgegorene Plan nicht aufgegangen. „Wir sind bei Bratislava herumgeirrt und hatten nicht mal Geld in der Tasche. Für die Rückfahrt musste dann das DDR-Konsulat aufkommen.“

Skizze der Leichenfundstelle an der Einfahrt zur Niegripper Schleuse (Kreuz) bei Burg, oben links die einbetonierte Warnleuchte

Bereits im Sommer 1978 seien er und sein Bruder sowie dessen Freundin und seine damalige Verlobte Ursula nach Berlin gefahren. „Wir wollten über die Mauer abhauen.“ Aber auch von diesem Vorhaben seien sie letztlich abgerückt.

Am 16. Juli 1979 beginnt vor dem 4. Strafsenat des Bezirksgerichts Halle der Prozess gegen die Zwillinge. Nach drei Prozesstagen spricht Oberrichter Angermann das Urteil gegen den Hebezeugwart Ronald Honig und den Schlosser Dieter Honig: lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes in Mittäterschaft.

Legende zum Mord in Dessau: 1: Konsum-Gaststätte, 2: Parkbank am Teich, 3: Wohnung von Familie Honig, 10: Tatort, gestrichelt von 1 nach 10: Weg zum Tatort, gestrichelt neben 2: Karpfenaufzuchtteich

In seiner Urteilsbegründung verweist der Vorsitzende Richter auch auf den fingierten Brief an seine Frau, mit dem Ronald Honig die Polizei auf eine falsche Spur locken wollte. Darin schrieb er, dass er nicht böse sei, dass Uschi „gestern noch ein Bier trinken wollte“. Er entschuldigt sich dafür, dass er nach dem Gaststättenbesuch „einfach losgegangen“ sei. Und er endet: „Ruf mich bitte an, damit ich beruhigt bin, dass du wieder da bist.“

Für das Gericht sei es keine Frage gewesen, dass es beide Angeklagten darauf abgesehen hatten, sich gegenseitig zu belasten. Angermann verwies zum Beispiel darauf, dass Ronald Honig beteuert habe, dass die Tötungsidee von seinem Bruder Dieter ausgegangen sei, der jedoch diese Darstellung bis zum Schluss bestritten habe. Dieter Honig habe von sich gewiesen, den Kopf des Opfers unter Wasser gedrückt zu haben. Tatsächlich habe das sein Bruder getan.

Angermann sagt, dass aufgrund der abweichenden Aussagen eine „eindeutige und vollständige Klärung des Tatablaufs“ nicht möglich gewesen sei. Dieser Umstand sei jedoch mit Blick auf die übrigen übereinstimmenden Angaben des Brüderpaares „von sekundärer Bedeutung“. Diese Angaben seien ausreichend, um das gemeinschaftliche Handeln der Angeklagten festzustellen.

„Die Angeklagten Ronald und Dieter Honig sind mithin wegen eines außerordentlich schweren, in der sozialistischen Gesellschaft Ausnahmecharakter tragenden Verbrechens gegen das Leben, strafrechtlich verantwortlich und zu bestrafen.“

Der Dessauer Anwalt von Ronald Honig geht in Berufung. Er will erreichen, dass das Urteil „lebenslänglich“ aufgehoben und seinem Mandanten eine zeitlich begrenzte Haftstrafe ausgesprochen wird. Der Strafverteidiger bemängelt, dass sich das Gericht intensiver mit den Aussagen der Angeklagten hätte auseinandersetzen müssen, um herauszufinden, wer tatsächlich derjenige war, der den Tod der Frau verursacht hat. Dazu hätte zudem insbesondere festgestellt werden müssen, „welche Handlung den Tod herbeigeführt hat“. Der Anwalt geht von einem versuchten Mord mit bedingtem Vorsatz aus. „Der Angeklagte hat zuerst die Tötung zwar nicht angestrebt, sich jedoch bewusst damit abgefunden, dass der Tod des Opfers eintreten könnte.“ Beim späteren Hineinschieben des Körpers in tieferes Wasser sei Ronald Honig davon ausgegangen, dass seine Frau da bereits tot war. Er habe auch nicht vorausgesehen, dass die möglicherweise nur bewusstlose Ursula Honig durch diese Handlung zu Tode kommen würde. Das sei aufgrund seines Bildungsstandes auch nicht zu erwarten gewesen. Insgesamt sei die Schuld somit geringer, als es das Bezirksgericht gesehen habe.

Auch der Anwalt von Dieter Honig gibt sich mit dem Mordurteil nicht zufrieden. Seine Berufung zielt ebenfalls darauf, eine zeitliche Haftstrafe zu erreichen. Ein wichtiger Grund aus Sicht des Verurteilten ist der Vorwurf, dass das Gericht „zum Teil einseitig nur den Argumenten des Mitangeklagten nachgegangen ist und sich nicht ausreichend mit seinen Einwendungen auseinandergesetzt hat“. Dabei habe Dieter Honig sowohl im Ermittlungsverfahren als auch beim Prozess den „glaubwürdigeren Eindruck gemacht“. Das Gericht habe nicht gewertet, dass sein Mandant „keinerlei echte und glaubwürdige Motive hatte, seine Schwägerin zu beseitigen. Die Frau sei lediglich ihrem Ehemann ‚im Wege gewesen.‘“ Er zählt die Gründe dafür auf: übermäßiger Alkoholkonsum, mehrfache Beziehungen zu anderen Männern, Diebstahl und Betrug, hysterisches Verhalten, Suizidversuche.

Der 5. Strafsenat des Obersten Gerichts der DDR verwirft am 16. August 1979 beide Berufungen als „offensichtlich unbegründet“ und stimmt in der Begründung völlig der Argumentation sowie dem Urteilsspruch der Richter in Halle zu.

Im Dezember 1982 lehnt das Gericht „nach gründlicher Prüfung“ ein Wiederaufnahmeverfahren, das von Ronald Honig beantragt wurde, ab. Es seien „keine Beweismittel vorgebracht“ worden, „die allein oder in Verbindung mit früher erhobenen Beweisen, eine andere Entscheidung zu begründen, geeignet sind“.

Anlässlich des 38. Jahrestages der Gründung der DDR 1987 beschließt der Staatsrat eine allgemeine Amnestie. Vor diesem Hintergrund wird die Haftstrafe Dieter Honigs auf 15 Jahre herabgesetzt. Auch sein Zwillingsbruder Ronald kommt in den Genuss dieser Entscheidung.

Der Leiter der Strafvollzugseinrichtung Brandenburg schickt Ende März 1990 an das Bezirksgericht Halle einen „Antrag auf Strafaussetzung“, Ronald Honig betreffend. Oberstleutnant Jahn verweist im Abschlussbericht auf die positive Entwicklung des Strafgefangenen; so habe er sich beruflich weiterqualifiziert. Er bescheinigt Honig eine „positive Grundhaltung“, ein „aufgeschlossenes, aber ruhiges Wesen“. Er übe „aktiv positiven Einfluss auf andere Strafgefangene aus“.