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Der nächste Einsatz soll dem Leser das Gefühl vermitteln, direkt bei Einsatzfahrten der Polizei dabei zu sein. Echte Einsatzanlässe, echte Erlebnisse und echte Emotionen eines Polizeibeamten, der in Berlin-Kreuzberg seinen Dienst versieht. Mehrere Kurzgeschichten zeichnen das Geschehen nach, der Leser ist immer hautnah dabei.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 73
Vorwort
Fall 1: Die erstickende Leonie
Fall 2: Bushido und die Presse
Fall 3: Der mysteriöse Einbruch
Fall 4: Der (b)rennende Mann
Fall 5: Schulden und Sühne
Fall 6: Die Midlife-Crisis
Fall 7: Der Fall aus dem Krankenhaus
Fall 8: Schulzeit
Fall 9: Hilferufe aus der Wohnung
Fall 10: Ein Knall im Garten
Fall 11: Hoch hinaus
Fall 12: Ärztlicher Kunstfehler
Wer sich dazu entschließt, Polizeibeamter zu werden, der erhält Zugang und Einblick in diverse Lebensbereiche, die normalerweise verschlossen blieben. Es ist, als löse er eine Art „Backstage-Ticket“ für nahezu alle Situationen. Im Laufe der Zeit war ich in diverse Familiendramen involviert, habe in nahezu jedem Büro von Ladendetektiven gesessen und mit Fachdienststellen Dokumente und Betäubungsmittel überprüft. Die Spanne an Einsätzen ist so unglaublich vielfältig, ich wusste nie, was mich in der nächsten Schicht erwartet. Bereits während der Ausbildung hörte ich viele Geschichten von den Ausbildern, die selbst vieles erlebt haben. Einer der häufigsten Sätze, die ich hierbei hörte, war jedoch „Ich wünschte, ich hätte eine Art Tagebuch im Dienst geführt“. Spätestens mit dem erfolgreichen Abschluss begann ich, eigene Einsatzerfahrung zu sammeln, ich erlebte viele Geschichten. Über die Jahre sah ich viele lustige Dinge, viel Frustrierendes und auch entsetzliche Taten, die mich noch lang über die Dauer des Geschehens hinweg betroffen machten. Das vorliegende Buch soll einen Einblick in all diese Bereiche geben, es soll die Vielfalt des Alltags eines Polizisten schildern und die Möglichkeit bieten, sich in bestimmte Situationen hineinzuversetzen, als sei man zum Zeitpunkt des Geschehens dort gewesen. Sämtliche Namen, so sie genannt werden, wurden geändert, die geschilderten Erlebnisse sind jedoch komplett real und aus meiner eigenen Erinnerung niedergeschrieben. Diese Erfahrungen sind meine persönlichen Erlebnisse, Wertungen und Ansichten sind ausschließlich meine eigenen. Sollte jemals der Eindruck entstehen, ich ginge insbesondere mit dem Thema des Ablebens „pietätlos“ um, so möchte ich um Verständnis für meine Art zu schreiben bitten. Es ist eine Art, solche Themen verarbeiten zu können, aus meiner Erfahrung weiß ich, dass es z.B. auch Gerichtsmedizinern ähnlich geht. Humor hilft bei der Verarbeitung solcher Situationen.
Oft liest sich Humor auch angenehmer, als die zumeist triste Realität. Dennoch habe ich den größten Respekt vor jedem einzelnen Menschen und dessen Würde. Selbst die Menschen, die mir etwas antuen wollten, haben eine unantastbare Würde, die ich achte.
Ich möchte meiner Frau Jessica danken, die mich immer wieder mit den Worten „pass auf dich auf“ in den Dienst schickte und die mich immer unterstützte, egal, was geschah. Ferner danke ich jeder Kollegin und jedem Kollegen, der dieselbe Berufung hat. Das in den Vereinigten Staaten von Amerika so geläufige „thank you for your service“ hat es zwar (noch) nicht in den Deutschen Sprachgebrauch geschafft, ist für mich aber ein zentraler Punkt. Danke für Euren Einsatz!
Der erste Fall, der mich nachhaltig beschäftigt hat, ist die Geschichte der kleinen Leonie, ein ca. 1-jähriges Baby, welches sich mit seinen Eltern in einer Kreuzberger Markthalle aufhielt. Es war ein sonniger Tag, die Halle war von vielen Menschen durchströmt, die an den diversen Ständen ihre Einkäufe erledigten.
Leonies Eltern bemerkten, dass ihre Tochter plötzlich keine Luft mehr bekam. Die Sekunden, die auf diese Erkenntnis folgen, müssen die schlimmsten sein, die sich Eltern vorstellen können. Oftmals vergeht dieser kurze Moment und das Kind ist wohlauf, doch dieses Mal sollte es anders kommen.
Mein Kollege und ich waren im Funkwagen unterwegs, wurden per Funk angesprochen und erhielten den Einsatz „Erstickender Säugling“ in der Markthalle. Tausende Bilder schossen mir durch den Kopf, ich hoffte auf das Beste und erwartete doch irgendwie das Schlimmste. Es schien, als wolle sich mein Körper darauf vorbereiten, was als nächstes passieren würde. Wenn die Leitstelle die Freigabe erteilt, die Sonder- und Wegerechte zu nutzen, also mit Blaulicht und Martinshorn zu fahren, muss der Fahrer des Streifenwagens immer abwägen: „Was steht auf dem Spiel? Wie schnell sollte ich fahren, wie schnell darf ich fahren?“
Diese Abwägungen sind bei jedem Einsatz im Hinterkopf, doch bei einem Einsatzanlass wie diesem, fuhren wir so gut und schnell, wie es geht. Es ging buchstäblich um „Leben und Tod“, in diesem Fall sogar um das Leben eines Säuglings. Dennoch kann der Fahrer nicht einfach wie wild durch den dichten Straßenverkehr rasen, es hilft keinem, wenn auf dem Weg zu einem Einsatz ein Unfall entsteht, der ähnlich schlimme Folgen hat, wie der eigentliche Einsatzanlass. Ich habe immer versucht, möglichst schnell am Ort des Geschehens einzutreffen, ich war mir aber auch stets der Tatsache bewusst, dass bei jeder Eilfahrt die körperliche Unversehrtheit und das Leben weiterer Personen auf dem Spiel standen.
Eine Tatsache, die oft infrage gestellt wurde, möchte ich an dieser Stelle klarstellen. Mir ist kein Fall bekannt, in dem ein Kollege Blaulicht und Horn missbräuchlich verwendet hätte. Wenn Sie einen Streifenwagen mit Sondersignalen sehen, machen Sie bitte Platz. Es könnte um das Leben von Leonie oder jemand anderem gehen.
An der Markthalle angekommen machte sich ein erstes Gefühl von Erleichterung in mir breit, da ich erkannte, dass bereits ein Rettungswagen der Feuerwehr angekommen war. Dieses Gefühl von Sicherheit hielt leider nicht lange an. Die Besatzung hatte sich mit den Eltern von Leonie um einen kleinen Stehtisch in der Mitte der Markthalle positioniert. Auf dem Tisch lag die kleine Leonie und ich sah zum ersten Mal in ihre Richtung. Der Anblick war schmerzhaft. Dort lag ein Kind, ein Baby, welches nach Luft rang und die Gesichtszüge sahen aus, als habe das Kind Schluckauf, nur viel schmerzvoller. Stellen Sie sich den Anblick kurz vor, es dürfte schmerzen, insbesondere, wenn Sie bedenken, wie hilflos ein kleines Kind in einer solchen Situation ist.
Die Aufgabe der Polizei ist in solchen Fällen klar definiert, ich versuchte, die Szenerie abzusichern, die Umstehenden auf Distanz zu halten. Es war nicht so, als seien bei diesem Einsatz hunderte Gaffer mit Smartphones in der Hand gewesen. Jeder, der im Nahbereich stand, schaute zwar, aber mehr aus einer Art Empathie. Alle, so war es mein Empfinden, fühlten mit den Eltern mit, die mittlerweile weinend dastanden und von einem Rettungssanitäter betreut wurden, auch sie schienen mit dem Schlimmsten zu rechnen. Ich nahm eine Informationstafel aus Kork, die in der Markthalle stand und stellte sie so auf, dass ein geringer Sichtschutz entstand. Ich stand mittlerweile mit dem Rücken zu der Reanimation. Immer wieder sah ich zu Leonie und bereute es irgendwie umgehend, da der Kampf ums Überleben dieses jungen Menschen ein schmerzhafter war. Ich sah wieder nach vorn und konnte eine junge Frau erkennen, die zuerst in Richtung von Leonie schaute und dann mich ansah. Sie versuchte krampfhaft zu lächeln, als wolle sie signalisieren „das wird hoffentlich gut enden“. Ich lächelte zurück, ich wollte sie in ihrem Glauben bekräftigen, war aber auf ein tödliches Ende des Geschehens vorbereitet. Ich sah erneut zu dem Baby und die Situation besserte sich nicht. Noch immer versuchte der Notarzt, das Kind am Leben zu halten und ein normales Atmen zu ermöglichen. Hierzu bediente er sich einer Herzdruckmassage, die bei einem Säugling jedoch nicht mit beiden Handflächen erfolgt, sondern eher mit zwei Fingern jeder Hand. Als ich wieder nach vorn sah, erkannte ich wie die Frau, die eben noch in meine Richtung lächelte, zusammensackte. Sie wurde ohnmächtig, vermutlich, weil auch sie sich mittlerweile das schlimmste Ende vorstellen konnte. Ich rannte zu der Frau, zusammen mit einigen Anwesenden verhalfen wir ihr, sich hinzusetzen. Mein Gedanke in diesem Moment war, dass ich Leonie nicht viel helfen konnte und ein anderer Mensch ebenfalls Hilfe benötigte. Es war ein beschissenes Gefühl und ich glaube, alle Anwesenden teilten dieses. Glücklicherweise ging es der Frau schnell besser, sie erholte sich umgehend von dem Schock.
Ich lief zu meiner vorherigen Position zurück und erkannte plötzlich freudige Gesichter um mich herum. Dem Notarzt war es gelungen, Leonie zu helfen. Sie atmete wieder eigenständig und ohne Probleme. Leonie war gerettet und es ging ihr gut. Das Glücksgefühl, welches entstand, können Sie sich sicher vorstellen. Nach und nach löste sich meine innere Anspannung und die Personen gingen ihrer Wege. Bereits nach wenigen Minuten schien Normalität in der Markthalle eingekehrt zu sein. Rettungskräfte und Polizeibeamte dankten einander für ihren großartigen Einsatz und wenige Minuten später fand ich mich im Funkwagen wieder. Allen Beteiligten war nun nur eines wichtig, die Rückkehr zum Polizeiabschnitt, um das Erlebte verarbeiten zu können. Die Leitstelle war sehr verständnisvoll und gab an, mein Partner und ich sollen reinfahren. Gerade, als ich die Bilder erneut Revue passieren lassen wollte, hörte ich den nächsten Funkspruch: „Beide Wagen mit Eile zum Park, Schlägerei zwischen mehreren Personen.“