Der Pinzgau unterm Hakenkreuz - Leo Rudolf - E-Book

Der Pinzgau unterm Hakenkreuz E-Book

Rudolf Leo

4,2

Beschreibung

Am 30. März 1931, sieben Jahre vor dem so genannten "Anschluss", finden im Land Salzburg Gemeinderatswahlen statt. Im Pinzgauer Kurort Zell am See votieren, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, bereits rund 30 Prozent für die Nationalsozialisten! Bisher unveröffentlichte Dokumente zeigen, wie früh die "Hitlerbewegung" im Pinzgau massive Erfolge verzeichnen konnte. Darüber hinaus widmet sich dieses Buch in besonderem Maße den Opfern des Widerstands. Wie im gesamten "Deutschen Reich" werden auch in den Salzburger Tälern Frauen und Männer verfolgt, inhaftiert und vernichtet. Das Schicksal dieser Menschen - ob Sozialdemokraten, Kommunisten, Christlich-Soziale, Kritiker, Deserteure, Priester, Roma und Sinti, Juden oder Zwangsarbeiter hat der Historiker Rudolf Leo akribisch recherchiert. Seinem Geschichtsverständnis einer "Geschichte von unten" entsprechend, gibt er nicht nur den Opfern der NS-Verfolgung eine Stimme, sondern setzt sich auch mit dem politischen Alltag in der Region auseinander.

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Rudolf Leo

DER PINZGAU UNTERM HAKENKREUZ

RUDOLF LEO

Der Pinzgauunterm Hakenkreuz

Diktatur in der Provinz

OTTO MÜLLER VERLAG

Dieses Buch ist eine gekürzte und überarbeitete Fassung der Dissertation „Der Nationalsozialismus im Pinzgau (Land Salzburg) 1930 bis 1945 – Widerstand und Verfolgung. Diktatur in der Provinz“(Universität Wien, 2012).

www.omvs.at

ISBN 978-3-7013-1209-2eISBN 978-3-7013-6209-7

© 2013 OTTO MÜLLER VERLAG, SALZBURG-WIENAlle Rechte vorbehaltenSatz: Media Design: Rizner.at, SalzburgDruck und Bindung: Druckerei Theiss GmbH, A-9431 St. StefanCoverfoto: Postkarte Zell am See, ca. 1938© Pinzgauer Bezirksarchiv, Zell am SeeGrafik Pinzgau: Sarah Leo, www.sarahleo.org

„Seine Wurzeln versteht nur,wer sich mit der Generation befasst,die uns erzogen hat…“

[Anton Innauer]

Meinen Eltern Kreszenzia (geb. Niederegger) und Johann Leo gewidmet.

Der Pinzgau im Salzburger Land

INHALT

Einleitung

I.

SALZBURG UND DIE NSDAP IN DEN 1930ER JAHREN

 

Die „Hitlerbewegung“ im Pinzgau

 

NS-Funktionäre: Ortsbekannte Herren aus allen sozialen Schichten

 

NSDAP – Die Männerpartei im Pinzgau

II.

MÄRZ 1938: DER „ANSCHLUSS“

 

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten

 

Der Einmarsch deutscher Truppen in Salzburg

III.

POLITISCHE RAHMENBEDINGUNGEN IM NS-STAAT

IV.

VOM „GAU WIEN“ BIS ZUM „GAU TIROL“: ÖSTEREICH WIRD ZUR „OSTMARK“

V.

PINZGAUER BERGBAUERN FÜR DIE „KORNKAMER“ DES REICHES

VI.

ERHOLUNG FÜR EIN „NERVENSTARKES VOLK“: DER NATIONALPARKPLAN

VII.

WIDERSTAND IM PINZGAU

 

Arbeiterbewegung, Sozialdemokratie und „Eisenbahner“

 

Kommunisten

 

Das „katholisch-konservative“ Lager und die Beamten

 

Die Amtskirche in Salzburg: „Grüß Gott“ statt „Heil Hitler“

 

Deserteure und ihre Familien

 

Hören des „Feindsenders“

 

Denunziation, Verrat und Spitzeltum

VIII.

VERFOLGUNG DER JUDEN, ROMA UND SINTI

 

Die Pogromnacht am 9./10. November 1938

 

Roma und Sinti

IX.

DIE ZWANGSARBEITER

 

Zwangsarbeit in der Pinzgauer Landwirtschaft

 

Zwangsarbeit beim Kapruner Kraftwerksbau

X.

FISCHORN, LICHTENBERG UND MITERSIL: SCHLÖSER IM DIENSTE DES NS

XI.

CHAOS IN DEN LETZTEN TAGEN: DAS ENDE DER NS-ÄRA

XII.

„KEINER WAR DABEI!“: DIE POLITISCHE LAGE IM PINZGAU NACH DER NS-ÄRA

Anhang

 

Opferregister

 

Anmerkungen

 

Abkürzungsverzeichnis

 

Literaturverzeichnis

Einleitung

Der Pinzgau1 im Land Salzburg ist mit seinen 28 Gemeinden der größte politische Bezirk. Geografisch grenzt er im Osten an den Pongau, im Norden an Bayern, im Westen an Tirol und im Süden an Südtirol und Kärnten. Weithin bekannt sind die Krimmler Wasserfälle, die sich als höchste Wasserfälle Europas über insgesamt 385 Meter in die Tiefe stürzen. Die Bezirkshauptstadt Zell am See ist ein beliebtes Sommerreiseziel und einer der best frequentierten Wintersportorte Österreichs. Die Eisenbahnknotenpunkte Zell am See und Saalfelden gelten als wichtige Zugverbindung zwischen Wien und Innsbruck. Bergsteigern2 ist die Region ein Begriff, denn der Aufstieg auf Österreichs höchsten Gipfel, den markanten Großglockner mit 3.798 Metern, erfolgt über den Pinzgauer Ort Bruck an der Glocknerstraße. Der Großvenediger (3.662 Meter) liegt direkt im Pinzgau nahe der Gemeinde Neukirchen am Großvenediger. Das Habachtal ist seit hunderten Jahren ein beliebtes Ausflugsziel für Menschen aus der ganzen Welt: Die Jagd nach dem grünen Smaragd, früher industriell abgebaut, heute nur mehr für Touristen interessant, lockt nach wie vor zahlreiche Sammler in das Tal nahe Bramberg am Wildkogel. Literaturliebhaber kennen die Gemeinde Rauris vor allem wegen ihrer jährlich stattfindenden „Rauriser Literaturtage“. Über die Grenzen hinweg ist auch der Name der Gemeinde Kaprun ein Begriff. Die Hochgebirgsstauseen mit ihren Speicherkraftwerken stehen als Synonym für das österreichische Wirtschaftswunder der 1950er Jahre – und zugleich für die verschwiegene Ausbeutung tausender Zwangsarbeiter in der Zeit des Nationalsozialismus. Wirtschaftlich war und ist die Region vor allem von Landwirtschaft, Tourismus (Nationalparkgebiet Hohe Tauern) und kleinen handwerklichen Betrieben geprägt. Der einzige Industrieort im Pinzgau befindet sich mit dem Sitz der Salzburger Aluminium Gesellschaft in Lend.

Wer sich näher mit der nationalsozialistischen Diktatur ­zwischen 1938 und 1945 im Pinzgau, im Land Salzburg und in Österreich generell beschäftigt, muss zunächst die Entwicklung in der Zwischenkriegszeit berücksichtigen. Die frühen 1930er Jahre sind geprägt von der Weltwirtschaftskrise und heftigen politischen Lagerkämpfen. Der drohende Zusammenbruch der größten österreichischen Bank, der Österreichischen Credit-Anstalt, 1931, kann nur mit einer Haftungsübernahme des Staates verhindert werden. Auslöser dafür ist das gleichzeitige Zusammenfallen einer internationalen Agrar-, Industrie- und Kreditkrise. Die politischen Folgen für diese Haftungsübernahme sind enorm und langwierig: Löhne und Gehälter müssen deutlich reduziert werden, die Preise steigen rasant. Die Arbeitslosigkeit erhöht sich österreichweit innerhalb von drei Jahren auf mehr als eine halbe Million.3 Die wenigen, die noch eine Anstellung haben, leiden unter Lohndruck und teils unmenschlichen Arbeitsbedingungen.

Zell am See, Dreifaltigkeitsgasse, 1942Quelle: Pinzgauer Bezirksarchiv, Zell am See

Schon im Juli 1928 findet beim Bichlwirt in Maishofen (Bezirk Zell am See) eine Versammlung der Gastgewerbeangestellten statt. Auf der Tagesordnung stehen die laufenden Lohnverhandlungen. 30 politische Gegner lösen die Versammlung gewaltsam, mit Gummiknüppeln und Ochsenziemern bewaffnet, auf. Der Sekretär der Gastgewerbeangestellten wird dabei schwer verletzt. Die Gendarmerie, die zu Hilfe gerufen wird, weigert sich einzugreifen.4 Im Gendarmeriebericht wird der Vorfall folgendermaßen zusammengefasst:

Am 31. Juli, um 23 Uhr, wurde von den Hotel- und Gastgewerbeangestellten von Zell am See im Gast­hause Bichlwirt in Oberreit, Gemeinde Maishofen, eine Versammlung abgehalten. Es kam während des Vortrages des Gewerkschaftssekretärs Heinz Kraupner zwischen den Versammlungsteilnehmern zu Meinungsverschiedenheiten, welche schließlich in eine Schlä­gerei ausartete. Durch Hiebe wurden mehrere Teilnehmer verletzt und im Lokal befindliche Möbel und Biergläser zertrümmert.5

Die Situation zwischen Österreich und Deutschland ist nach der Machtübernahme Adolf Hitlers angespannt. Im Frühjahr 1933 verschärft sich die Lage nach einer Reihe von Anschlägen der Nationalsozialisten in ganz Österreich. Die Behörden unter dem sich etablierenden austrofaschistischen Regime gehen hart gegen die deutschen Nationalsozialisten vor.6 Adolf Hitler antwortet mit wirtschaftlichem Druck: Deutsche Staatsbürger, die Österreich besuchen wollen, müssen ab Mai 1933 eine „Ausreisegebühr“ von eintausend Reichsmark (rund das Vierfache eines durchschnittlichen Monatseinkommens!) bezahlen. Die Folgen dieser „Tausendmarksperre“ sind für das Land Salzburg katastrophal: Große Verluste im Handel, im Gewerbe und im Tourismus verschärfen die ohnehin angespannte so­ziale Situation.7 Vor allem die Tourismusregion Zell am See ist von dieser „Tausendmarksperre“ durch den Ausfall des Fremdenverkehrs besonders betroffen.8 Wie tiefgreifend die Folgen des wirtschaftlichen Drucks sind, zeigt auch das Beispiel Lofer. Die Marktgemeinde an der bayerischen Grenze verzeichnet ­einen Rückgang der Touristenzahlen um 70 Prozent. Als ein­zigen Ausweg sieht die Gemeinde 1934 die Rückverlegung der Grenze. Indirekt, so der Wille der Gemeindevertreter, würde Lofer damit zu Bayern gehören. Der Vorschlag der Markt­gemeinde wird jedoch nicht umgesetzt. Im August 1936 wird die „Tausendmarksperre“ aufgehoben.9

Mit unzureichenden karitativen und polizeilichen Maßnahmen versuchen die Gemeinden gegen Armut und soziale Not anzukämpfen. Fehlende Unterstützung zwingt Arbeitslose dazu, bettelnd von Ort zu Ort zu ziehen. Wohltätigkeitsver­anstaltungen sollen helfen, die größte Not zu lindern.10 1931 ergeht beispielsweise in St. Johann im Pongau ein Aufruf, Geld, Naturalien, Kleider etc. zu spenden. Wo karitative Maßnahmen nicht helfen, werden polizeiliche Maßnahmen ergriffen. In einem Gendarmerieprotokoll vom 16. März 1931 der Gemeinde St. Johann im Pongau wird vorgeschlagen:

An die BH (Bezirkshauptmannschaft) wäre mit dem Ersuchen um Beistellung einer Gend. Assistenz für ca. 8 Tage heranzutreten, weil das Spital täglich zur Mittagszeit von ca. 20–30 fremden Personen besucht wird, die um ein Mittagessen bittlich werden. Durch eine scharfe Kontrolle könnte diesem Umstand abgeholfen werden.11

Gemeinderats- und Gendarmerieprotokolle der 1930er Jahre, wie beispielsweise jene aus St. Johann im Pongau, zeigen, dass die Behörden den immer größer werdenden Problemen der Wirtschaftskrise hilflos gegenüberstehen. Die Arbeitslosigkeit, Armut und Wohnungsnot der Betroffenen übersteigt die finanziellen Möglichkeiten der Gemeinden.12

In dieser wirtschaftlich und sozial prekären Lage setzt die Bevölkerung in Deutschland und Österreich ihre Hoffnungen in eine neue politische Bewegung. Im September 1930 wählt Deutschland einen neuen Reichstag. Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) erhält rund 18 Prozent der Stimmen;13 bis 1933 wird der Stimmanteil auf rund 44 Prozent steigen.

Am 9. November 1930 finden in Österreich Nationalratswahlen statt. Es war dies die letzte freie, geheime und demokratische Nationalratswahl bis 1945. Die NSDAP, die „Hitlerbewegung“, wie sie auf dem Stimmzettel genannt wird, erhält österreichweit – acht Jahre vor dem so genannten „Anschluss“ Österreichs an das „Deutsche Reich“ – rund 3 Prozent der Stimmen. Im gesamten Land Salzburg erreicht die NSDAP 3,17 Prozent der Stimmen. Im Pinzgau votieren bereits damals knapp 7 Prozent der Wahlberechtigten für die Nationalsozialisten. Alleine im Bezirk Zell am See entfallen rund 10 Prozent der Stimmen auf die „Hitlerbewegung“.

Am 29. März 1931 wird im Bundesland Salzburg der Gemeinderat gewählt. Ihre besten Ergebnisse erzielt die „Hitlerbewegung“ in Zell am See: Fast jede dritte wahlberechtigte Stimme geht in der Bezirkshauptstadt des Pinzgaus an die Nationalsozialisten. In Viehhofen erreicht die „Hitlerbewegung“ 25 Prozent, in Mittersill 20 Prozent und in Saalfelden 18,4 Prozent.

Am 24. April 1932 finden in Salzburg die letzten Landtagswahlen in der Ersten Republik statt. In Zell am See entfallen fast 20 Prozent der Stimmen auf die NSDAP. Verglichen mit den restlichen Gauen in Salzburg gehört der Pinzgau damit sechs Jahre vor dem „Anschluss“ zu den Regionen mit der größten Dichte an bekennenden Nationalsozialisten.

Hitlergruß am Gletscher, 1937Quelle: Pinzgauer Bezirksarchiv, Zell am See

I. SALZBURG UND DIE NSDAP IN DEN 1930ER JAHREN

Die „Hitlerbewegung“ im Pinzgau

Die Gewinne der „Hitlerbewegung“ bei den Reichstagswahlen in Deutschland im September 1930 nimmt die Gemeinde Zell am See mit Freudenkundgebungen auf. Man organisiert mit großem Aufwand für den 11. und 12. Oktober 1930 in der Bezirkshauptstadt einen „Gautag der Hitlerpartei“.

An der Begrüßungsfeier waren etwa 250 Personen, ­zumeist Deutsche, beteiligt. Am Sonntag sollte um 9 Uhr vormittags ein Festgottesdienst in der Pfarrkirche in Zell am See stattfinden. Der Pfarrer von Zell am See hat aber die Mitnahme der Fahnen und Standarten in die Kirche verweigert. Nach dem Gottesdienst fand eine Festversammlung auf dem Stadtplatz statt. Hier wurde von diversen Rednern auch aus dem benachbarten Bayern über den ‚Austromarxismus‘ losgezogen. Die Versammelten zogen unter der Leitung des hiesigen Fachlehrers Niedermüller durch die Stadt, von den angeblich 700 Teilnehmern waren etwa 10% aus Zell am See, die übrigen Teilnehmer aus dem Pinzgau, Tirol, Bayern, ja sogar aus Württemberg, wovon die meisten mit den Autos nach Zell am See gebracht wurden…14

Der Lokalhistoriker Ferdinand Hölzl erinnert sich hier an die auffallende aktive „Amtshilfe“ der Nationalsozialisten aus Deutschland, die offenbar bereits zu Beginn der 1930er Jahre über die Grenzen hinweg betrieben wird. Die Region, direkt an Bayern angrenzend, ist geografisch für die unterstützende Propaganda aus Deutschland gut gelegen. Ab der Machtübernahme Hitlers im Jahr 1933 erhalten österreichische NS-Funk­tionäre Unterschlupf im benachbarten Deutschland und können von dort ihre Arbeit fortführen. Am 19. Juni 1933 wird nach einem Handgranaten-Überfall von Nationalsozialisten in Krems an der Donau jegliche Betätigung der NSDAP in Österreich verboten. Der Sitz der österreichischen NSDAP-Leitung wird nach München verlegt. Auch die Gauleitungen von Wien, Niederösterreich, Tirol und Vorarlberg übersiedeln nach München. Die oberösterreichische Gauleitung zieht nach Passau, die Gauleitung von Salzburg schlägt ihre Zelte in Freilassing auf. Aus Deutschland wird Radio-Propaganda der NSDAP nach Österreich übertragen, deutsche Flugzeuge werfen NS-Flugblätter über Österreich ab.15 Die deutsch-österreichische Zusammenarbeit der Nationalsozialisten über die salzburgisch-bayerische Grenze hinweg hat Tradition: Nach dem gescheiterten Umsturzversuch Hitlers in München im November 1923 sind es Nationalsozialisten aus Deutschland, die nach ­Österreich flüchten, um hier Schutz zu suchen.16

Quelle: Statistische Nachrichten, Sonderheft zu den Nationalratswahlen vom 9. 11. 1930; Hg. Republik Österreich, Bundesministerium für Inneres, Wien 1, Herrengasse 7, Abt. 35

Im Frühjahr 1931 kommt es im Raum Zell am See immer wieder zu blutigen Zusammenstößen zwischen Nationalsozia­listen und sozialdemokratischen Anhängern. Im April 1931 wollen 34 Nationalsozialisten in Ferleiten eine Versammlung abhalten. Bei der Rückfahrt werden sie „von zirka 200 Arbeitern angegriffen, wobei im drauffolgenden Handgemenge eine Person schwer und vier Personen leicht verletzt wurden“.17 In Zell am See endet im September 1932 eine Zusammenkunft in einer blutigen Saalschlacht zwischen Sozialdemokraten und Nationalsozialisten. Die Lokalorganisation der sozialdemokratischen Partei hat unter dem Thema „Nationalsozialistische Demagogie“ zu einer Versammlung in das Parkhotel Zell am See eingeladen. Bei den Auseinandersetzungen nach der Veranstaltung werden drei Menschen schwer und zehn leicht verletzt. Das Parkhotel in Zell am See wird dabei verwüstet.18

Am 24. April 1932 finden in Salzburg, Wien und Niederösterreich Landtagswahlen statt. In Wien steigert sich die Partei der Nationalsozialisten im Vergleich zur Nationalratswahl 1930 von 2,1 Prozent auf 15,5 Prozent.19 Auch in Salzburg sind die Stimmengewinne beachtlich: Fast 5.000 Pinzgauer stimmen für die Nationalsozialisten. Der Aufstieg der „Hitlerbewegung“ ist offensichtlich. Die Salzburger Chronik schreibt über den Ausgang der Landtagswahl vom Vortag:

… daß die nationalsozialistische Bewegung, besonders im Pongau und Pinzgau, auch in den Besitzstand der christlichsozialen Partei eingedrungen ist … Es läßt sich nicht leugnen, daß die starke Agitation der Nationalsozialisten, die seit Jahren syste­matisch durch die Gebirgsgaue getragen wurde, diesen Enderfolg erzielt hat.20

Der Ausgang der Landtagswahlen 1932 ist für die österreichische NSDAP ein großer Erfolg. Im Land Salzburg erreicht die NSDAP 20,81 Prozent – ihr bestes Wahlergebnis.21 Franz Schausberger sieht die starken nationalsozialistischen Gewinne aus dem Reservoir der Großdeutschen, der Christlichsozialen und des „Heimatblocks“ (dem politischen Arm der bürgerlichen Heimwehren). Nur ein geringer Anteil kam nach Ansicht Schausbergers aus dem Lager des „Landbundes“ (1919 als „Deutsche Bauernpartei“ gegründet) und der Sozialdemo­kraten.22

Die Wahlergebnisse der Nationalsozialisten bei der Landtagswahl 1932 in den Salzburger Bezirken im Detail (Gewinn gegenüber der Nationalratswahl 1930):23

Auffallend sind hier neben der Stadt Salzburg und dem Pinzgau die überaus starken Gewinne der Nationalsozialisten im Bezirk Lungau. Dort können die Nationalsozialisten von 59 (Nationalratswahl 1930) auf 1.329 Stimmen (Landtagswahl 1932) erhöhen.

Die Entwicklung in einigen ausgewählten „Hochburgen“ der „Hitlerbewegung“ im Pinzgau zeigt, dass innerhalb von drei Jahren die Zahl jener, die den Nationalsozialisten ihre Stimme geben, enorm zunimmt. Bei der Nationalratswahl 1930 votieren im gesamten Pinzgau 1.65624 Menschen für die National­sozialisten. Zwei Jahre später, bei der Landtagswahl 1932, stimmen bereits 4.95925 Pinzgauer für die „Hitlerbewegung“, wie dem Salzburger Volksboten vom 1. Mai zu entnehmen ist.

Die Zahlenangaben in diesem Buch orientieren sich, sofern nicht anders gekennzeichnet, am Material des Salzburger Volksboten, weshalb sie zu den Zahlenangaben in der Literatur leicht differieren. Klar erkennbar – ob einige Stimme auf oder ab – ist jedenfalls der enorme Zuwachs an NSDAP-Stimmen zwischen der Nationalratswahl 1930 und der Landtagswahl 1932. Laurenz Krisch hat eine Analyse über Wahlmotive und Wahlverhalten in der Region Pinzgau und Pongau durchgeführt. Die Gruppe der „Großdeutschen“ in der Region Pinzgau-Pongau zählt zu den großen Verlierern bei der Landtagswahl 1932. Die in der Literatur vielfach aufgestellte Theorie, dass die Nationalsozialisten die Stimmen primär aus dem nationalen Lager erhalten, trifft allerdings nur für einige „Hochburgen“ der Großdeutschen zu.26

„Deutscher Tag“ auf der Wimm, 1932Quelle: Pinzgauer Bezirksarchiv, Zell am See

In der Region Pinzgau kann die „Hitlerbewegung“ aus allen politischen Lagern Stimmen gewinnen; die starken Zuwächse zwischen 1930 und 1932 werden also nicht von einem Lager allein getragen. Die Christlichsozialen verlieren in der Region zwischen 1930 und 1932 insgesamt 2.717 Wähler, den Sozial­demokraten gehen 706 Wähler verloren. Die NSDAP gewinnt im Pinzgau 3.236 Wähler. Einer der Gründe für die enormen Stimmengewinne der NSDAP ist die Grenznähe zu Bayern. Deutsche Nationalsozialisten sind bereits Anfang der 1930er Jahre aktiv in der Region tätig. Daneben gelingt es den Nationalsozialisten, angesehene Gemeindebürger aus allen politischen und sozialen Lagern für die Partei zu gewinnen. Auch die einfache, schlichte und direkte Kommunikationsform der Nationalsozialisten in ihren Broschüren, Flugblättern und auf Plakaten trägt sicherlich dazu bei, dass Menschen in dieser sozial und wirtschaftlich schwierigen Situation der NSDAP ihre Stimme geben. Die NSDAP wird 1931 in Salzburg durch Gauleiter Karl Scharitzer neu organisiert, sie führt im gesamten Bundesland zahlreiche Wahlveranstaltungen durch. Neue, junge Kandidaten treten als Redner auf, die Veranstaltungen sind gut organisiert und vermitteln einen Eindruck von Aktivität und Mobilität. Auch wenn die Propagandamethoden weit nicht jene Effektivität und Qualität der NSDAP in Deutschland erreichen, sind sie trotzdem erfolgreich.27 Die Strategie der NSDAP, mit zahlreichen Veranstaltungen Aktivität, Macht und Aufbruch zu demonstrieren, hat offensichtlich in ganz Österreich – selbst in den entlegensten Gebieten – Erfolg. Stellvertretend sei hier der Bericht eines Bergbauerns aus Kärnten in den Unterkärntner Nachrichten vom 12. März 1932 angeführt:

Es gibt heute keine Ortschaft mehr, auch im Gebirge nicht, wohin die Hakenkreuzler nicht kämen. Was uns Bergbauern von diesen Jungen nicht nur fernhält, sondern sie uns widerlich macht, ist ihr aufdringliches, abstoßendes Betragen, das ist ihre Keckheit …28

Für die nationalsozialistische Frau gibt es die Zeitschriften Die Deutsche Frau und Frau und Welt, die während der Illegalität der NSDAP in Österreich als legale Propagandaorgane dienen. Damit ist einerseits der Informationsfluss gesichert, und darüber hinaus können über die Zeitschriften verbotene Zusammenkünfte organisiert werden. So werden beispielsweise „Bunte Abende“, „Gruppenreisen“, „Mütterschulungen“ und andere Zusammenkünfte in Österreich veranstaltet. Damit war den NS-Frauen die Gelegenheit zu unauffälligen Begegnungen gegeben.29

Wie der Historiker Christian Klösch am Beispiel Kärnten beschrieben hat, gewinnen die Nationalsozialisten vor allem die Jugendlichen. Die NS-Propaganda ist grenzenlos, kreativ und spricht junge Menschen offenbar besonders an. Kirchtürme und Schornsteine werden beispielsweise in Kärnten bereits in den frühen 1930er Jahren mit Hakenkreuzfahnen bestückt. Jugendliche malen nachts das NS-Symbol auf Felswände. Jungbauern streuen im Frühjahr mit Dünger das Hakenkreuz auf die Wiese, sodass dieses auch beim Ausmähen im Sommer noch gut sichtbar ist.30 Jugendliche sind in den 1930er Jahren eine zentrale Zielgruppe der nationalsozialistischen Werbung. Die NSDAP wird in der Propaganda als Partei der Jugend dargestellt. Jugendliche, so Johanna Gehmacher, sind „Mittel und Ziel der Propaganda der Illegalen gleichermaßen“.31

Im Oktober 1936 wird in Saalfelden von der Postdirektion ein unzustellbares Paket geöffnet. Darin finden die Beamten mehrere nationalsozialistische Broschüren mit dem Titel Der Deutsche Junge. Der 18jährige Tischlergehilfe Tassilo Eigl wird daraufhin festgenommen. Seine Aussagen und die Geständnisse einiger seiner Kameraden führen, so Johanna Gehmacher, zur größten Aufdeckung der Hitler-Jugend in „der gesamten Periode der Illegalität – zumindest, was die Zahl der angezeigten Personen betrifft.“32 Gruppen der Hitler-Jugend in Saalfelden, Zell am See, Kaprun, Rauris und Taxenbach werden ausgehoben. Rund 70 ausschließlich junge Leute, hauptsächlich Lehrlinge, werden angezeigt. Auch der mutmaßliche Führer der Hitler-Jugend in Zell am See, der 19jährige Robert Rieser, Angestellter im Grandhotel, legt ein umfassendes Geständnis ab. Ein von der Gendarmerie bei ihm beschlagnahmter Lageplan gibt Einblick in die Struktur der illegalen Hitler-Jugend im gesamten Pinzgau. Der Ober-, Mittel- und Unterpinzgau wird systematisch in Hitler-Jugendgruppen unter dem Namen „Gefolgschaft“ eingeteilt: „Gefolgschaft I“ (Zell am See, Kaprun, Schüttdorf, Bruck, Taxenbach, Rauris und Lend), „Gefolgschaft II“ (Saalfelden, Maishofen, Weißbach, Lofer und Unken), „Gefolgschaft III“ (Mittersill, Stuhlfelden, Uttendorf, Niedernsill und Piesendorf). Auffallend dabei ist die systematische und flächendeckende Organisation eines gesamten politischen Bezirks durch die Hitler-Jugend. Die meisten von ihnen sind lohnabhängige Jugendliche. Die ökonomische Abhängigkeit, das Angebot von Schuhen, Kleidern und einer regelmäßigen Mahlzeit begünstigen bei einigen Jugendlichen die ideologische Bindung.33

Beim organisierten Schmuggel von Waffen und Sprengstoff zwischen Österreich und Deutschland kommt es immer wieder zu Zwischenfällen mit illegalen Nationalsozialisten („Legionären“), die sich in Deutschland aufhalten. Im Pinzgau werden in den Orten Zell am See, Mittersill, Lend, Badgastein und Bischofshofen Stützpunkte errichtet, wo Sprengstoff und Waffen gelagert sind. Im Sommer 1934 heben österreichische Sicherheitsbehörden in der Region große Waffenlager aus. Die illegalen Nationalsozialisten ziehen sich über die Grenze nach Bayern zurück. Peter Harlander, Bauer aus Taxenbach, wird im Zuge dieser Aktion verhaftet. Auf seinem Hof wird ein Waffendepot gefunden. Harlander wird vom Landesgericht in Salzburg zum Tode durch den Strang verurteilt.

Die geografisch günstige Lage des Pinzgaus mit dem alpinen Gelände spielt für die Kurierdienste der „Legion“ eine wichtige Rolle. Die große Zahl der Legionäre und die hohe ­Organisationsdichte in der Region sind sicherlich auch darauf zurückzuführen. Zwei führende Salzburger Legionäre stammen aus dem Pinzgau: Hermann Langhans aus Lend, geboren 1897, absolviert eine Militärschule in Hainburg. 1932 tritt er der NSDAP bei. Langhans wird mehrmals kurz inhaftiert und flieht 1934 nach Deutschland. Nach dem „Anschluss“ 1938 ist Langhans Oberstleutnant der Schutzpolizei in Salzburg. Ein weiterer führender Legionär stammt aus Niedernsill: Franz Lorenz, auch 1897 geboren, absolviert die Realschule und die Universität Innsbruck. 1931 tritt er der NSDAP bei. Auch er verbringt mehrere Wochen in Polizeiarrest und flüchtet nach Deutschland. 1938 kommt er nach Salzburg und wird Bürgermeister. Seine politische Karriere endet 1943: Nachdem Unregelmäßigkeiten bei den Lebensmittelkartenzuteilungen entdeckt werden, wird er wegen Amtsmissbrauchs angeklagt und an die Ostfront versetzt. Die Stadt Salzburg nimmt ihn 1952 wieder in den Dienst auf; er wird Leiter des Jugendamtes. Lorenz stirbt 1957 in Salzburg.34

Mit dem Juliabkommen 1936 zwischen Österreich und dem „Deutschen Reich“ entschärft sich die politische Lage zwischen den beiden Ländern. Die bisherigen strengen Grenzkontrollen waren aus Sicht des „Deutschen Reiches“ vor allem aus wirtschaftlichen Überlegungen notwendig, um dem österreichischen Tourismus und damit der heimischen Wirtschaft zu schaden. Österreich wollte mit den bisherigen strengen Reisebestimmungen die enge illegale Zusammenarbeit der österreichischen und deutschen Nationalsozialisten eindämmen. Ab 1936 ist ein weitgehend ungehinderter Reiseverkehr österreichischer Staatsbürger ins nationalsozialistische Deutschland möglich. In einem geheimen Zusatzprotokoll des Juliabkommens verpflichtet sich die österreichische Regierung, rund 550 Rückkehrwillige aus Deutschland zu überprüfen. Die Flüchtlinge aus dem „Reich“ sollten weder gerichtlich noch polizeilich verfolgt werden.35

Der Bericht des Gauorganisationsleiters von Salzburg, Karl Feßmann, vom 31. Jänner 1938 dokumentiert, wie gut organisiert die Partei bereits Monate vor dem so genannten „Anschluss“ im gesamten Land Salzburg ist. Neben dem Gauleiter und seinem Stellvertreter verfügt die Partei über 14 Mitglieder der Gauleitung. Fünf Kreisleiter und mehr als 400 Bezirks-, Sektions- und Ortsgruppenleiter sind für die Verbindung zu den rund 8.000 Parteimitgliedern in Stadt und Land Salzburg zuständig:

… Der Gau war nach den Bezirkshauptmannschaften eingeteilt, der Kreis I, Salzburg-Stadt, wurde von einem Kreisleiter, vier Bezirksleiter, zwölf Sektionsleiter und 103 Blockwarte organisiert. Die Gliederungen und angeschlossenen Verbände zählten: SA ca. 1600 Mann (eine SA-Brigade mit drei Standarten, sieben Sturmbanne und 28 Stürmen), SS ca. 500 Mann (eine SS-Standarte), HJ 450, BDM 360, Jungvolk 130, NSBO (NS-Betriebszellenorganisation) ca. 400, NS-Lehrerbund 128, NS-Ärztebund 34, NS-Juristenbund 31, NS-Kulturbund 51 und NS-Frauenschaft 1100 Mitglieder …36

Wochen später, im März 1938, kann die bis dahin in der Illegalität agierende Organisation aus dem Untergrund treten. Die Vorarbeiten haben sich gelohnt. Nach dem „Anschluss“ verfügt die NSDAP in Salzburg über eine funktionierende, straffe Parteiorganisation.

NS-Funktionäre: Ortsbekannte Herren aus allen sozialen Schichten

Eine Aufgliederung der amtsbekannten Nationalsozialisten im Bezirk Zell am See vom Jänner 1938 nach Berufsgruppen zeigt, dass die Gruppe der Selbstständigen und Gewerbetreibenden überproportional, aber auch alle anderen gesellschaftlichen und sozialen Gruppen in der „Hitlerbewegung“ vertreten sind.

Beruf

Anzahl

Selbstständige, Gewerbetreibende

35

Gelernte Arbeiter

29

Hilfsarbeiter

16

Angestellte

9

Beamte

4

Bauern

2

Studenten

1

Gesamt

96

Quelle: SLA; BH-Zell/See, K 641, A1/4171/38; zitiert in: Hanisch, Gau der ­guten Nerven, S. 55

Ist die NSDAP im Pinzgau, wie Ernst Hanisch fragt, die „Partei der Rechtsanwälte, Apotheker, Notare, Unternehmer?“37 Und trifft es zu, wie Robert Stadler und Michael Mooslechner meinen, dass im Pinzgau die „bäuerlichen Elemente“ bei den Nationalsozialisten fehlen?38 Eine der umfangreichsten Arbeiten über die Struktur der österreichischen NSDAP-Wählerschaft stammt von Dirk Hänisch, der die Wählerströme von rund 4.000 Gemeinde- und Städtedaten analysiert und ausgewertet hat. Laut Hänisch sind Angestellte und öffentlich Bedienstete die Hauptträger der heimischen Nationalsozialisten. Bauern und Mithelfende, so seine Analyse, sind hingegen eklatant unterrepräsentiert.39 Gerhard Botz hingegen sieht in der Bauernschaft sowie in privaten und öffentlichen Angestellten „die wichtigsten sozialen Trägergruppen des österreichischen Antisemitismus und Nationalsozialismus.“40 Botz verwendet dafür den Begriff der „asymmetrischen Volkspartei“.41 Jürgen W. Falter bezeichnet die NSDAP als eine „Volkspartei des Protests“42, und dieser Protest ist wohl in allen gesellschaftlichen Gruppen zu finden.

Auffallend ist der geringe Anteil an Bauern in der von der Bezirkshauptmannschaft Zell am See erstellten Liste über amtsbekannte NSDAP-Aktivisten im Pinzgau. Die Zahlen sind ­allerdings sehr mit Vorsicht zu genießen. Bauern sind offensichtlich weitaus vorsichtiger, sich öffentlich politisch zu positionieren. Faktum ist, dass im Pinzgau auch Bauern (Bsp. Gerichtsbezirk Mittersill) für die NSDAP aktiv tätig sind und als Kandidaten für die Partei zur Verfügung stehen.

Die NSDAP-Kandidaten aus dem Pinzgau für die Landtagswahl 1932 zeigen, dass nahezu alle sozialen Gruppen – Arbeiter, Unternehmer und Bauern – von der „Hitlerbewegung“ angesprochen werden konnten. Die auffallenden Stimmengewinne etwa in Neukirchen und Niedernsill können nur mit starken Persönlichkeiten vor Ort erklärt werden. Der 58jährige Johann Schwarzenbacher „Brielbauer“, Kleinbauer aus Neukirchen am Großvenediger, sei hier als Beispiel angeführt. Aus Hollersbach stammt ein weiterer NSDAP-Kandidat: der 72jährige Matthias Kantner, auch er ist Bauer und Mühlenbesitzer.43 In diesem Gebiet, das sehr von der Landwirtschaft geprägt ist, sind es eher Bauern, die sich für die NSDAP aufstellen lassen.

Auch im nördlichen Gerichtsbezirk Saalfelden, direkt an der bayerischen Grenze, sind lokale und charismatische NSDAP-Funktionäre offensichtlich für die Stimmenzuwächse verantwortlich: Der 37jährige Hans Dözelmüller, Gast- und Landwirt aus Saalfelden, und der 48jährige Ludwig Haider, Uhrmacher aus Unken bei Lofer, kandidieren 1932 für die Landtagswahl.

Im südlichen Gerichtsbezirk Taxenbach ist am deutlichsten die Bedeutung charismatischer Persönlichkeiten zu erkennen. Während in der gesamten Region die NSDAP-Zugewinne bescheiden ausfallen, fällt Rauris mit seinen mehr als 400 NSDAP-Stimmen auf. Aus Rauris kommt der 38jährige Schmiedemeister Franz Koweindl.

In Zell am See, der Hochburg der Nationalsozialisten, sind die Wahlergebnisse der NSDAP ebenfalls auffallend: Mehr als 700 Männer und Frauen votieren bei der Landtagswahl 1932 für die NSDAP. Das entspricht einem Wähleranteil von gut 20 Prozent. Auch aus dieser Region stammen zwei NSDAP-Kandidaten: der 30jährige Bruno Streyhammer, Sägearbeiter aus Viehhofen, und der 43jährige Rupert Lanner, Schuhmachermeister aus Zell am See.44

NSDAP – Die Männerpartei im Pinzgau

Die Diskussion über das Geschlecht der NSDAP-Wähler und -Wählerinnen wird von Historikern und Sozialwissenschaftern schon seit langem geführt. Jürgen W. Falter geht in seinem Buch Hitlers Wähler der Frage nach, ob „Hitler und seiner Bewegung schon früh weibliche Wähler geradezu in Scharen zugeströmt seien.“45 Hitler, der Eroberer der Frauenherzen?

Falter, der die Wahlen in Deutschland in den 1920er und 1930er Jahren analysiert, kommt zu folgendem Schluss: „Der Versuch, den schnellen Aufstieg der NSDAP zwischen 1928 und 1930 rechnerisch vor allem auf den Zustrom weiblicher Wählerinnen zurückzuführen, (…) muß angesichts dieser Ergebnisse als verfehlt erscheinen.“46 Interessant ist Falters Beobachtung, dass im katholischen Milieu ein Überhang männ­licher NSDAP-Wähler herrscht, während in evangelischen Regionen ab 1933 ein leichter Überhang von weiblichen NSDAP-Wählerinnen festzustellen ist.47

Der Pinzgau ist klar eine katholisch geprägte Region. Ein Vergleich der NSDAP-Wähler im Verhältnis zu den wahlberechtigten Männern und der NSDAP-Wählerinnen im Vergleich zu den wahlberechtigten Frauen bei der Nationalratswahl 1930 und der Landtagswahl 1932 zeigt, dass die NSDAP im Pinzgau eine „Männerpartei“ ist. Auch Laurenz Krisch, der 71 Gemeinden im Pinzgau und Pongau ausgewertet hat, kommt in seiner Arbeit über das Wahlverhalten in der Region zu diesem Schluss. Frauen waren bei den Christlichsozialen und im Lager der Nichtwähler überproportional häufig zu ­finden.48

„Die frühe österreichische NSDAP wurde von ihren Funk­tionären – durchaus mit Selbstzufriedenheit – nicht nur als eine von Männern beherrschte, sondern auch als eine vor allem von Männern gewählte Partei gesehen“, schreibt Johanna Gehmacher.49 Gezielte Wahlwerbung für Frauen gilt in der NSDAP offensichtlich als entbehrlich. Die NS-Wahlwerbung 1932 spricht Frauen ganz selten direkt als Zielgruppe an; als Kandidatinnen für die Partei werden sie abgelehnt. Trotzdem sei an dieser Stelle angemerkt, dass es der NSDAP bei den Wahlen 1932 – vor allem in Wien – gelang, Frauen wie Männer für die Wahl zu mobilisieren.50

II. MÄRZ 1938: DER „ANSCHLUSS“

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten

Im Juli 1934 wird Bundeskanzler Engelbert Dollfuß bei einem Putschversuch der Nationalsozialisten vom Putschisten Otto Planetta im Bundeskanzleramt ermordet. Dollfuß selbst hat das Parlament ausgeschaltet und alle Parteien verboten – ihm folgt der autoritäre Bundeskanzler Kurt Schuschnigg.51 Regierungstreue Sicherheitskräfte schlagen den „Juliputsch“ nach mehreren Tagen nieder. Schauplätze der Kämpfe sind vor ­allem die Bundesländer Kärnten, Steiermark und Ober­österreich. Aus Salzburg werden kleinere Aufstände gemeldet. Insgesamt sterben in Österreich rund 200 Menschen, 13 nationalsozialistische Putschisten werden hingerichtet, rund 4.000 Nationalsozialisten werden in Anhaltelager eingewiesen.

NS-Kundgebung am Hauptplatz in Zell am See, undatiert, um 1938Quelle: Pinzgauer Bezirksarchiv, Zell am See

Alle Parteien bleiben in den folgenden Jahren verboten. Medien, Zeitungen, Rundfunk und Film werden gleichgeschaltet und mit Zensur belegt. Für die Umsetzung seines Gestaltungsanspruches werden im Austrofaschismus unterschiedliche Instrumente der Repression mit dem Ziel der Gleichschaltung angewendet.52 Die österreichische Diktatur dauert vier Jahre und wird nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten 1938 von der Diktatur der Nationalsozialisten abgelöst.

Der „Anschluss“ Österreichs an das „Deutsche Reich“ im Jahr 1938 erfolgt ohne militärischen Widerstand. Die Bilder jubelnder Menschen in ganz Österreich gehen um die Welt. Bundeskanzler Schuschnigg hätte 1938 möglicherweise noch die Unterstützung der unterdrückten Arbeiterbewegung für den Kampf um ein unabhängiges Österreich erhalten. Trotzdem entscheidet er sich, eine Volksbefragung für die Unabhängigkeit Österreichs durchzuführen. „Damit war es Schuschnigg selbst, der den letzten Akt im österreichischen Drama auslöste.“53 Deutsche Truppen marschieren im März 1938 in Österreich ein. Die Vereinigung Österreichs mit dem „Deutschen Reich“ wird von langer Hand vorbereitet. Bereits zwölf Jahre vor dem tatsächlichen „Anschluss“ erklärt Adolf Hitler 1926 in Passau: „Man wird einst auch nicht lange das österreichische Parlament fragen, wenn die sonstigen Umstände günstig sind, sondern vollzieht den Anschluß durch die Tat.“54 Und vor der Machtübernahme 1933 bezeichnet er die Vereinigung als „eine mit allen Mitteln durchzuführende Lebensaufgabe“.55 Die Nationalsozialisten haben politische und wirtschaftliche Interessen an Österreich. Besonders groß ist das Interesse an den Rohstoffen sowie den Wirtschaftsbetrieben im Alpenland. 1936 meldet die NS-Propaganda, dass „der Führer die einzelnen Probleme in einer bestimmten Reihenfolge“ anfassen und Österreich zu den „nächsten Opfern“ zählen werde.56 Ermuntert durch die Wirtschaftskrise versucht das nationalsozialistische Deutschland, einen Wirtschaftsraum in Mittel- und Südosteuropa zu schaffen. Der wirtschaftliche „Anschluss“ Österreichs ist nur ein erster Schritt, um den politischen „Anschluss“ umzusetzen. Hinter dem Anschlussgedanken steckt ein klares machtpolitisches Kalkül: Neben der Tschechoslowakei, Südosteuropa und Polen bildet Österreich das regionale Umfeld für die weitere Eroberung Osteuropas.57

Der Einmarsch deutscher Truppen in Salzburg

Ich habe mich daher entschlossen, den Millionen Deutschen in Österreich nunmehr die Hilfe des Reiches zur Verfügung zu stellen. Seit heute morgen marschieren über alle Grenzen Österreichs die Soldaten der deutschen Wehrmacht! …Berlin, den 12. März 1938, Adolf Hitler58

So heißt es in einem Auszug aus der Proklamation Adolf Hitlers. Am Vormittag des 12. März 1938 marschieren deutsche Truppen in der Stadt Salzburg ein. Es ist ein kalter Märzsamstag. Die Temperatur liegt knapp über dem Gefrierpunkt. Das Thermometer zeigt plus 1 Grad, der Himmel ist leicht bewölkt. Erst am Nachmittag werden schwere Wolken aufziehen. Schnee liegt in der Luft.59 Viele Salzburger jubeln. In zahlreichen Geschäften hängen Bilder mit dem Portrait von Adolf Hitler. Die Fahnenfabriken machen ein gutes Geschäft. Bereits nach wenigen Stunden sind alle Hakenkreuzfahnen ausverkauft. Das Zentrum der Stadt Salzburg versinkt in einem Fahnenmeer.60 In zahlreichen Orten werden Sonnwendfeuer in Hakenkreuzform von Anhängern der Hitler-Jugend auf den Bergen entzündet. Auf behördliche Anordnung läuten die Kirchenglocken im ganzen Land. Die ersten deutschen Offiziere treffen bereits zu Mitternacht zwischen dem 11. und 12. März 1938 in Salzburg ein.61 Der stellvertretende Gauleiter von Salzburg, Anton Wintersteiner, berichtet über die Stunden der Machtübernahme in Salzburg. In der Sonderbeilage des Völkischen Beobachters heißt es in der Wiener Ausgabe vom 12. März 1938:

Um etwa halb 9 Uhr (des 11. März 1938) abends erreichte mich fernmündlich der Befehl, die Macht­ergreifung durch Bestellung der Formationen der Partei zur Hilfspolizei und durch Besetzung der maßgebenden öffentlichen Ämter sofort zu vollziehen. Wir konnten das Ende des Zusammenströmens der Massen auf dem weiten Platz gar nicht mehr abwarten. Dr. Reitter gab den 20 000 aufmarschierenden Nationalsozialisten durch den Lautsprecher, der weit über den Platz hin hallte und sich an den Wänden des Domes brach, den Rücktritt Schuschniggs bekannt. Ein einziger Aufschrei der Freude und Begeisterung antwortete ihm. Unbeschreiblich ist der Jubel der Menge. (…) Dr. Reitter und ich marschieren mit zwei weiteren SA-Stürmern zum Landhaus, wo noch die Bundespolizei den Eingang besetzt hält. Noch weiß man nicht, ob die Polizisten von der Waffe Gebrauch machen würden. Doch plötzlich treten sie zur Seite und grüßen mit ‚Heil Hitler!‘ die durch das Tor einmarschierenden Nationalsozialisten.62

Schon in dieser Nacht werden alle Redaktionen in Österreich von SS- und SA-Einheiten besetzt. Die NS-Führung weiß, dass eine Gleichschaltung der Medien unbedingt notwendig ist. Zahlreiche Redakteure werden entlassen oder verhaftet und durch NS-Funktionäre ersetzt.63 Die Anweisung von Reichsmarschall Hermann Göring vom 11. März 1938 ist klar:

Passen Sie auf, die ganzen Presseleute, die müssen sofort weg und unsere Leute hineinkommen.64

Die einzigen nennenswerten Widerstandsaktionen im Land Salzburg passieren in diesen Märztagen in den Arbeiterhochburgen Hallein und Bischofshofen. Am Nachmittag und Abend des 11. März 1938 kommt es in Hallein zwischen National­sozialisten und (vermutlich) Kommunisten zu Zusammen­stößen. In Bischofshofen gibt es Unruhen. Im ganzen Land werden ­Racheakte verübt. Vor allem Männer der „Systemzeit“ sind ­davon betroffen, zwei Beispiele seien hier stellvertretend angeführt: In Bad Gastein wird der Beamte Hans Karlhuber von SA-Männern durch den Ort getrieben. Um den Hals trägt er eine Tafel mit der Aufschrift: „Ein großes Schwein hält Einzug in Gastein.“ Er wird von Schaulustigen misshandelt und mit Eisbrocken beworfen. In Wagrain muss der Oberförster ­Linus Hochleitner das Dollfusskreuz umwerfen. Mit einem Kreuz auf dem Kopf zwingt man ihn, durch den Ort zu ­ziehen.65

Die NS-Wochenschau sendet am 29. April 1938 unter dem Titel „Die Grenzen sind gefallen“ Bilder aus Salzburg. Die Film­dokumente zeigen Mitglieder der Hitler-Jugend, die Grenzsymbole zwischen Deutschland und Österreich demontieren und zerstören. Grenzbalken und Schilder werden symbolisch verbrannt.66 Noch brennen nur Grenzbalken. 24 Stunden später sind es bereits Bücher: Am 30. April 1938 werden auf dem Residenzplatz in Salzburg Bücher, für die Nationalsozialisten so genannte „entartete Kunst“, verbrannt.67 1.200 Werke von jüdischen, sozialdemokratischen, marxistischen, kirchlichen oder liberalen Autoren werden dabei vernichtet. Darunter finden sich Werke von Stefan Zweig, Arthur Schnitzler, Franz Werfel u.v.a.m.68 Diese organisierte Bücherverbrennung ist die einzige auf österreichischem Boden.

Der Propagandafeldzug für den „Anschluss“ besteht aus Versprechungen und konkreten ökonomischen Verbesserungen. Die NS-Führung versteht es, Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und Hunger der Diktatur von Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg zuzuschreiben. Im Zuge der Propaganda erhalten Arbeiter höhere Löhne; Kindergeld, Ehedarlehen und Arbeitslosenunterstützung werden ausbezahlt. Ein gewaltiges Aufbauprogramm für Österreich wird angekündigt. Den Öster­reichern soll durch den „Anschluss“ das Gefühl vermittelt werden: „Wir sind (wieder) wer…“69

Nicht alle Salzburger jubeln. Es gibt Neugierige in Stadt und Land, die wissen wollen, wer von den Nachbarn bereits die NS-Binde trägt, und deshalb auf die Straßen gehen. Andere sind einfach Schaulustige. Politisch Andersdenkende, Juden, Intellektuelle oder Anhänger des „Ständestaates“ sitzen verunsichert daheim oder sind bereits in „Schutzhaft“ im Gefängnis. In Österreich werden in den ersten Tagen nach dem „Anschluss“ insgesamt 72.000 Menschen inhaftiert.70

Der „Anschluss“ in Zell am See, 1938Quelle: Pinzgauer Bezirksarchiv, Zell am See

III. POLITISCHE RAHMEN-BEDINGUNGEN IM NS-STAAT

Die hierarchische Struktur der NSDAP bietet die organisato­rische Voraussetzung für die Kontrolle und Überwachung der Bürger. Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) versteht sich als politisch militärische Bewegung. Die Struktur ist klar hierarchisch geliedert, damit ist der Informationsfluss von unten nach oben gewährleistet: Ideale Bedingungen für Denunziation, Spitzeltum und Überwachung.

Der BlockDie kleinste Einheit in der NSDAP-Struktur bildet der Block. Er wird vom „Blockleiter“, auch „Blockwart“ genannt, geführt. Blockleiter sind vor allem in den Städten zu finden. Das Handbuch der NSDAP definiert diese Einheit:

Der Block der NSDAP besteht aus 40-60 Haushalten. Der Blockleiter muss Parteigenosse sein. Er soll zu den besten Parteigenossen zählen. Der Blockleiter untersteht in der Ortsgruppe disziplinär dem Zellenleiter. Der Blockleiter wird vom Ortsgruppenleiter berufen. Nachweis arischer Abstammung bis 1800.71

Block- und Zellenleiter stehen in sehr engem Kontakt mit der Bevölkerung. Diese Position ermöglicht der NS-Führung, die Stimmung in der Umgebung auszuloten, und die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes „unter Kontrolle“ zu halten. Das System funktioniert von ganz unten bis ganz an die Spitze der Partei. Das Neue Wiener Tagblatt vom 12. Mai 1938 beschreibt das Meldesystem:

Der Blockleiter beobachtet mehrere Häuser oder auch nur ein einzelnes Haus, er nimmt teil an Freud und Leid, aber auch an den Rechtsangelegenheiten der Be­wohner. Er kann ein ganz einfacher Handwerker oder Angestellter sein. Er gibt seine Meldung dem Nächsthöheren, dem Zellenleiter, weiter. Vom Zellenleiter geht der Weg zum Ortsgruppenleiter hinauf (…) Weiter geht es zur Kreisleitung, von dort zur Gauleitung, die etwa einer Landesregierung entspricht, und schließlich zur Reichsleitung als der Spitze der Partei.72

Die ZelleÜber dem Block steht die Zelle. Wie der Block ist diese Struktur in großen Ballungszentren zu finden. In kleinen Gemeinden, so das Organisationshandbuch der NSDAP, sind diese Ein­heiten „nur bei Notwendigkeiten“ einzusetzen.

Die OrtsgruppeDie Ortsgruppe ist in jeder Gemeinde zu finden. Die NSDAP schreibt dem Orts­gruppen­leiter eine zentrale Rolle in der Gemeinde zu. Natürlich werden nur Parteigänger für diese Funktion eingesetzt. Obwohl diese außerhalb der Gemeindeverwaltung angesiedelt ist, erhält der Ortsgruppenleiter wesentliche Entscheidungsgewalt, er entscheidet über Einrückungster­mine, Unabkömmlichkeits­erklärungen oder sonstige Ver­günstigungen für die Gemeindebewohner. Die Machtbefugnisse der jeweiligen Bürgermeister werden durch die Ein­setzung der Ortsgruppenleiter eingeschränkt.

Im Organisationshandbuch der NSDAP ist die Rolle des Ortsgruppenleiters klar definiert:

Der Ortsgruppenleiter der NSDAP ist als Hoheitsträger auf personellem Gebiet mit besonderen Befugnissen ausgestattet. Der Ortsgruppenleiter muß ein Parteigenosse sein, der das Vertrauen der Parteigenossen und darüber hinaus das aller Volksgenossen seines Hoheitsgebietes rechtfertigt. Der Ortsgruppenleiter untersteht unmittelbar dem zuständigen Kreisleiter. Der Ortsgruppenleiter wird vom Kreisleiter berufen. Dienststellungsabzeichen: Hakenkreuzarmbinde mit einer 16 mm breiten gelben Eichenlaubtresse in der Mitte, eingefasst mit je zwei 1 mm breiten Goldstreifen. In der Mitte des Hakenkreuzes ein goldener Stern. Je ein 2 mm breiter Goldstreifen an beiden Rändern der Armbinde. (…)

Dem Ortsgruppenleiter unterstehen innerhalb seines Hoheitsbereiches in disziplinärer Hinsicht sämtliche politischen Leiter, außerdem die Obmänner, Walter, Warte usw, die keine politischen Leiter sind.73

Eine wesentliche Rolle spielt der Ortsgruppenleiter auch bei der Vergabe der so genannten Unabkömmlichkeitserklärungen (UK), hier kann er entscheidend seinen Einfluss geltend machen. Wer „UK“ gestellt ist, darf zu Hause bleiben und muss nicht in den Krieg ziehen. Dr. med. Josef Heiß, Arzt in Zell am See,74 der Sprengelarzt in Lend, Dr. med. Franz Bogdanowicz,75 die Arbeiter der Schmittenhöhe-Bahn in Zell am See und viele andere erhalten eine Unabkömmlichkeitserklärung. Der Wirt einer Schutzhütte muss ebenso wenig an die Front wie der Bauernbub aus Bramberg.

Ab 1943 werden „UK“ – auch für Parteigänger – immer seltener bewilligt. Der Endkampf wird vorbereitet. Alte und Junge müssen an die verschiedenen Fronten. Eine Frau aus Krimml hat Glück: Sie ersucht um Urlaub ihres Mannes, der im Osten kämpft. Die Begründung ist simpel: Sie muss allein das Haus umbauen. Der Akt wird zwischen Salzburg und Zell am See herumgereicht, aber schließlich wird der Urlaub bewilligt. Begründung: „Fronturlaub wird bewilligt, da die Schaffung von Wohnraum von besonderer Wichtigkeit ist.“76 Weniger Glück hat der Dentist Ferdinand Schleinzer in Mittersill. Sein Antrag auf eine Unabkömmlichkeitserklärung wird bereits im September 1941 mehrmals abgelehnt.77 Auch Franz Ritsch, Ledererzeuger in Mittersill, hat keinen Erfolg. Ritsch beantragt 1941 eine Verlängerung seines Urlaubs, um Material für seine Firma einzukaufen. Der Antrag wird abgelehnt. „Der normale Urlaub kann aus Einsatzgründen nicht verlängert werden“78