Versteckt und verschwiegen - Rudolf Leo - E-Book

Versteckt und verschwiegen E-Book

Rudolf Leo

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Beschreibung

Nur wenigen wird die Auszeichnung zuteil, eine "Gerechte unter den Völkern" zu sein. Die mittlerweile 100-jährige Andrée Geulen aus Brüssel gehört dazu. Während der NS-Zeit versteckte sie in Belgien jüdische Kinder und bewahrte sie vor dem sicheren Tod. Viele haben ihre Eltern nie wiedergesehen und wurden in Adoptivfamilien großgezogen. So erging es auch Siegfried Loewe und seiner Schwester Rebecca, die als Kleinkinder von 1942 bis 1945 versteckt wurden. Nach Kriegsende und später im Leben, als Siegfried Loewe längst mehrere Studien abgeschlossen hatte, erfolgreich war und privates Glück gefunden hatte, stellte er stets fest, dass das Verstecken nie ganz aufgehört hat. Im hohen Alter beschloss er, seine Geschichte offenzulegen und damit alles, was dazugehört: Ängste, Scham, Wut, Trauer über Verlorenes. Der Wiener Historiker Rudolf Leo hat Siegfrieds Erzählung aufgeschrieben, Fakten recherchiert und Archivmaterial hinzugezogen. So entstand das Porträt einer Reise von Brüssel nach Wien – mit vielen schmerzhaften Stationen, mit ungeplanten Zwischenstopps, aber auch mit hoffnungsvollen Ausblicken und einem Ankommen am Ende. Andrée Geulen durfte sich im Herbst 2021 über eine Glückwunschkarte aus Wien freuen: von Siegfried Loewe, geb. Grossmann, der ihr sein Leben verdankt.

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Seitenzahl: 113

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Rudolf Leo

VERSTECKT UND VERSCHWIEGEN

Rudolf Leo

Versteckt undverschwiegen

Erinnerungen von Siegfried Loewe

OTTO MÜLLER VERLAG

Zlata und Chaim Grossmann gewidmet.

Die Drucklegung dieses Buches wurde gefördert durch die

Kulturabteilungen von Stadt und Land Salzburg sowie Wien.

www.omvs.at

ISBN 978-3-7013-1301-3

eISBN 978-3-7013-6301-8

© 2022 OTTO MÜLLER VERLAG SALZBURG-WIEN

Alle Rechte vorbehalten

Satz und Umschlaggestaltung: MEDIA DESIGN: RIZNER.At

Lektorat: Christine Rechberger

Druck und Bindung: Finidr s.r.o., Český Těšín

Umschlagfoto: Archiv Loewe

Karte Brüssel/Wien: Sarah Leo

„An diesem Tag erzähl deinem Sohn …“

Exodus 13,8

INHALT

Personenregister

Vorwort des Autors

Vorwort Siegfried Loewe

I. Brüssel, Juni 1939

II. Saarbrücken, 1808 bis 1942

III. Wien, 1930er-Jahre

IV. Belgien, frühe 1940er-Jahre

V. Auschwitz, Oktober 1942

VI. Brüssel, 1942

VII. Belgien, September 1944

VIII. Wien, September 1947

IX. Wien, April 1948

X. Wien, Juli 1957

XI. Brüssel, Juni 1960

XII. Paris, Oktober 1961

XIII. Wien, September 1967

XIV. Rückblick: Marzabotto, September 1944

XV. Wien, Juni 1986

XVI. Wien, September 2021

Schluss

Abkürzungsverzeichnis

Anmerkungen

Quellenverzeichnis

Dank

PERSONENREGISTER

Barrios Susanne, geb. Loewe, * 29.05.1978 (Wien), Gerichtsdolmetscherin, Tochter von Siegfried Loewe

Czurda Birgit Maria, * 09.02.1943 (Wien), Bibliothekarin, erste Frau von Siegfried Loewe, †21.02.2006

Czurda Otto, * 04.06.1915 (Wien), Arzt, erster Schwiegervater von Siegfried Loewe

Faux Carole, * 10.04.1960 (Beaugency, Frankreich), zweite Frau von Siegfried Loewe, 07.12.1989

Geulen-Herscovici Andrée, * 06.09.1921 (Brüssel), † 31.05.2022, belgische Lehrerin, Judenretterin und „Gerechte unter den Völkern“. Sie half mit, das Leben von fast 3.000 jüdischen Kindern und Jugendlichen zu retten.

Grossmann Harry, * 28.12.1931 (Saarbrücken), † Juni 2019 in Brüssel, Geschäftsführer, Bruder von Siegfried Loewe,

Grossmann Chaim (Hermann), * 24.04.1895 in Mlava/Mlawa (Bezirk Pltozk, heutiges Polen), Vater von Siegfried Loewe, am 31.10.1942 in das KZ Auschwitz deportiert und dort ermordet

Grossmann Max, * 22.06.1939, † 25.07.1939 (Brüssel), Zwillingsbruder von Siegfried Loewe

Grossmann Zlata (Lotte), geb. Messinger, * 26.03.1903 Wisnicz (Galizien), Mutter von Siegfried Loewe, am 20.10.1943 in das KZAuschwitz deportiert und dort ermordet

Loewe Alfred, * 07.07.1903 (Wien), † 1996, Adoptivvater von Siegfried Loewe. Alfred Loewe und seine Frau sind im Familiengrab Teich in Hütteldorf bestattet. Das sehr gepflegte Grab wurde und wird von Siegfried Loewe regelmäßig besucht und betreut.

Loewe Christian, * 29.03.1971 (Wien), Röntgenologe, Sohn von Siegfried Loewe

Loewe Ernestine, geb. Schwarz, * 02.11.1877 Wien, † 29.11.1941 (ermordet im KZ Kaunas, Litauen), Mutter von Alfred Loewe

Loewe Hedwig, * 18.10.1906 (Wien), † 1999, Adoptivmutter von Siegfried Loewe. Hedwig Loewe ist im Familiengrab Teich (Eltern von Hedwig) in Hütteldorf bestattet.

Loewe Robert, * 23.04.1968 (Wien), Dermatologe, Sohn von Siegfried Loewe

Schiller Friedrich, * 17.07.1899, † 04.03.1959, Kaufmann, Halbbruder von Alfred Loewe

Schwarz Rebecca, geb. Grossmann, * 09.10.1941 (Brüssel), Schwester von Siegfried Loewe

VORWORT DES AUTORS

Ich saß gerade in meiner Linzer Wohnung, als das Telefon klingelte. Es war im März 2020. Siegfried Loewe aus Wien war am Apparat. Er erzählte mir, dass er sehr, sehr lange überlegt habe, aber jetzt, da er 80 Jahre alt geworden war, über sein Leben, seine Kindheit und seine Familie berichten wolle. Auch seine Kinder und Enkelkinder sollten die Geschichte erfahren.

Jahrzehntelang hat er geschwiegen. Vor sich, seiner Familie, seinen Kollegen und seinen Freunden. Nun war er so weit, zu erzählen. Eine gemeinsame Freundin hat uns zusammengebracht. Siegfried Loewe möchte reden und er möchte, dass es aufgeschrieben wird. Wir vereinbarten ein erstes Treffen, um uns kennenzulernen. Wir wissen, es gibt keine Zufälle: Bald stellt sich heraus, dass wir in Wien fast Nachbarn sind und dasselbe Lieblingskaffeehaus haben. Ab nun sollten wir monatelang – mit pandemie- und ferienbedingten Unterbrechungen – jeden Donnerstag pünktlich um 10 Uhr in meiner oder seiner Wohnung zusammentreffen. Ein Tonband nahm das Erzählte auf. Und jeder Donnerstag brachte neue Überraschungen. So wurde das Leben von Siegfried Loewe langsam auch Teil meines Lebens.

VORWORT SIEGFRIED LOEWE

Lange, sehr lange habe ich gezögert, meine Lebensgeschichte aufzuzeichnen. Ist diese Vita wirklich von Interesse? Jedes Mal, wenn ich interessierten Menschen einige Andeutungen machte, riet man mir zur Niederschrift („das ist ja wie ein Roman“). Ich habe aber auch erleben müssen, dass bei manchen meiner Gesprächspartner das Interesse nach wenigen Sätzen nachließ und das Thema gewechselt werden musste. Mir wurde wiederholt das Wort abgeschnitten mit einem knappen „das haben wir alle erlebt“, was mich jeweils entmutigte und meine Zweifel verstärkte. Auch die Frage, die ich mir selbst oft gestellt habe, ob ich, der ich nie in einem KZ war, eigentlich als Zeitzeuge gelten könne, hat meine Zweifel genährt und mein Schweigen noch vertieft. Das Schweigen war (und diese Tatsache ist vielfach thematisiert worden) das konstante Verhaltensmuster der Nachkriegsgeneration, sowohl auf der Täter- wie auf der Opferseite. In diesem Zusammenhang kann ich auf einen prominenten Zeugen verweisen, der wie ich in Belgien als „verstecktes Kind“ überlebt hat; es handelt sich um den 1932 geborenen François Englert, dem 2013 der Nobelpreis für Physik verliehen wurde und der erst nach dieser Verleihung und nach 71 Jahren sein Schweigen gebrochen hat. In seinem ersten Interview nach der Zuerkennung des Nobelpreises erklärte er: „Lange Zeit hindurch habe ich geschwiegen. Wenn man mich bat, über jene Vergangenheit zu sprechen, sagte ich, die Zeit dafür sei noch nicht reif. Ich habe mich über den Lebenslauf anderer Kinder erkundigt, die wie ich während des Krieges versteckt worden waren. Es ist schwierig, zu erklären. Aber es ist gewiss eine Tatsache, dass ich kein Einzelfall bin, der wenig über das Vergangene gesprochen hat. Es handelt sich zweifellos um eine Abwehrhaltung.“

Einen großen Anteil an meiner persönlichen Entscheidung, meine Geschichte spät, aber doch aufzuzeichnen, trägt Margot Ham-Rubisch, eine liebe Freundin, die mich wiederholt zur Niederschrift ermuntert und letztlich den entscheidenden Anstoß gegeben hat, indem sie die Verbindung mit dem Zeithistoriker Rudolf Leo, dem ich zu großem Dank verpflichtet bin, ermöglicht und hergestellt hat. Mit Rudolf Leo haben wir eine Art Doppelregie vereinbart: Er hat meine Erzählungen und Erlebnisse gleichsam „objektiv“ mit dem Blick des Historikers nach historischen Kriterien aufgearbeitet, hat in verschiedenen Archiven recherchiert, hat neue Fakten zusammengetragen, die meine eigenen amateurhaft und spät unternommenen Recherchen maßgeblich erweitert haben. Ich selbst versuche, anhand meiner Unterlagen, der vorhandenen Dokumente und meiner Erinnerungen meine Lebensgeschichte aus rein persönlicher und subjektiver Sicht darzustellen. Diese Arbeitsweise führt zwangsläufig zu vereinzelter Zweigleisigkeit und unvermeidlichen Wiederholungen, die wir jedoch bewusst in Kauf genommen haben.

Meine Lebensgeschichte, die auch eine Familiengeschichte ist, zeigt meines Erachtens zum Teil schwer verkraftbare Wirrnisse als Folge traumatisierender Schicksalsschläge. Ich möchte hoffen, dass diese Niederschrift einen kleinen und bescheidenen Beitrag zum Nicht-Vergessen einer denkbar dunklen Periode leistet und dass meine Nachkommen, Enkel und Urenkel vielleicht erfahren wollen, wo der eigentliche Ursprung eines Teils ihrer Familie liegt.

I. BRÜSSEL, JUNI 1939

Die Zwillingsbrüder Max und Siegfried wurden am 22. Juni 1939 in Brüssel geboren. Max überlebte nur wenige Wochen und starb am 25. Juli 1939 an Scharlach. Gemeinsam mit seiner zwei Jahre jüngeren Schwester Rebecca, geboren am 9. Oktober 1941, verbrachte Siegfried die ersten Jahre in Belgien. Sein älterer Bruder Harry war am 28. Dezember 1931 in Saarbrücken geboren worden.

Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Belgien am 10. Mai 1940 war das Leben dieser jüdischen Kinder in höchster Gefahr. Sie überlebten, weil sie von belgischen Widerstandskämpfern im Untergrund versteckt wurden. Der damals elfjährige Harry verbrachte die Kriegsjahre an einem unbekannten Ort in Belgien. Sein Bruder Siegfried vermutet, dass er in einer Strafanstalt interniert wurde und dort schlimme Dinge erlebt hat. Harry konnte oder wollte nie über diese Jahre reden. Nach dem Krieg kam er in ein Jugendlager. Siegfried und Rebecca verbrachten die Kinderjahre versteckt unter den falschen Namen Pierre und Annie Legros. Die Mutter hatte darum gebeten, die beiden jüngeren Geschwister nicht zu trennen. Vom Dezember 1942 bis zum Jänner 1945 wurden der damals dreijährige Siegfried und die einjährige Rebecca bei Familie Yves in der Rue de la Probité 25 in Ixelles in Brüssel versteckt.

Hedwig Loewe, Rebecca und Siegfried am Strand der belgischen Küste, 1946 © Privat

Siegfried und Rebecca am Strand der belgischen Küste, 1946 © Privat

Ja, ich kam am 22. Juni 1939, einem Samstag, im Brüsseler Spital Saint-Pierre auf die Welt, eine Stunde nach meinem Zwillingsbruder Max. Aus den Unterlagen, über die ich verfüge, glaube ich schließen zu können, dass die Geburt nicht ganz problemlos ablief und es in weiterer Folge zu Komplikationen kam. Meine Mutter wurde am 22. Juni für die Entbindung ins Spital eingeliefert, aber erst am 3. Juli entlassen. Am 14. Juli kam sie neuerlich ins Spital und konnte das Krankenhaus erst am 6. August verlassen. Ich selbst war vom 7. September bis zum 12. September im Spital Brugmann, dann vom 27. November bis 19. Dezember 1941 wieder im Spital Saint-Pierre. In der Zwischenzeit war mein Bruder Max am 25. Juli 1939 an Scharlach verstorben. Alle diese Fakten sind Hinweise auf einen zumindest fragilen Gesundheitszustand, was wohl auch auf meine Schwester Rebecca zutraf, die nur zwei Monate nach ihrer Geburt ebenfalls mehrere Wochen lang im Spital behandelt werden musste. Ich habe anlässlich eines Brüssel-Aufenthalts versucht, aus dem Archiv des Spitals genauere Informationen hinsichtlich dieser Aufenthalte zu erhalten, wurde aber von der Direktion auf den juristisch einzuschlagenden Weg verwiesen, nämlich einen Antrag bei der Staatsanwaltschaft (Procureur du Roi) einzubringen, was mir wegen der Kürze meiner Besuche in Brüssel nicht möglich war. Aus dem Saint-Pierre-Spital besitze ich jedoch eine Ambulanzkarte, die meine Mutter bei sich hatte, als sie, wahrscheinlich auf dem Rückweg von einem Spitalsbesuch, aufgegriffen und interniert wurde. Aus dieser Karte geht eindeutig hervor, dass sie in physiotherapeutischer Behandlung war.

Während ich viele Dokumente zu meiner und meiner Schwester Person besitze, kann ich über die Art und Weise, wie mein älterer Bruder Harry diese Zeit überstanden hat, wenig sagen. Er hat sich in ein nicht zu durchbrechendes Schweigen gehülltund dieses bis zu seinem Ableben durchgehalten. Rebecca und ich wurden jedenfalls zu „versteckten Kindern“: Unter falschen Namen – Pierre und Annie Legros – waren wir vom 11. Dezember 1942 bis 1. Jänner 1945 bei Monsieur Yves untergebracht und versteckt. Anschließend kamen wir in ein Waisenheim.

Aus jenen Kindertagen habe ich nur wenige Erinnerungen, vergleichbar mit Puzzleteilen, die ich nicht zusammensetzen kann, weil sie niemand für mich zusammengesetzt hat. Eine dieser seltenen Erinnerungen berührt eine Autofahrt, bei der ich vom Fahrer angehalten wurde, mich schnell klein zu machen, mich zu ducken, um von einer deutschen Patrouille, die der Fahrer wahrgenommen hatte, nicht gesehen zu werden. Oder an einen Spitalsbesuch einer alten Dame (wer war sie?), bei dem viele Familienmitglieder anwesend waren. Präziser ist die Erinnerung an eine Warnung vor einem Bombenangriff und das weite Öffnen aller Türen und Fenster. Deutlich auch ist die Erinnerung an einen sonnigen Septembertag, an dem sehr viele Menschen auf den Straßen waren und ihre Freude, ihre Begeisterung, ihre Erleichterung richtiggehend hinausschrien. Es wurden Fahnen geschwenkt, Zeitungen angeboten, die in riesigen Lettern den Sieg verkündeten und den Verkäufern geradezu aus den Händen gerissen wurden. Es war in der Tat der Tag der Befreiung.

Auch wenn ich nur wenige Erinnerungen an die bei Monsieur Yves verbrachte Zeit habe, so habe ich zumindest keine schlechten. Jedenfalls bedauere ich zutiefst, dass ich infolge der Übersiedlung nach Österreich keinen Kontakt mit ihm aufrechterhalten und ihn oder seine Kinder (hatte er welche?) während meiner späteren Besuche in Belgien nicht aufgesucht habe.

Meine Schwester und ich verließen die Familie Yves nach über zwei Jahren offiziell am 1. Jänner 1945 (für Belgien warder Krieg im Winter 1944/45 vorbei) und kamen in das Waisenheim Hôme des enfants israélites in Uccle, Rue Victor Allard 173. Unser Aufenthalt in diesem Heim, das sicherlich großes Ansehen genoss, was schon der Besuch der belgischen Königin dokumentiert, endete am 9. Oktober 1946, als wir an diesem Tag den Eheleuten Loewe anvertraut wurden. Alle diese Daten sind fremdenpolizeilich registriert. In der Retrospektive erscheint mir die im Heim verbrachte Zeit als eine ruhige, unbeschwerte, liebevoll umsorgte Phase, weil das Heim die Atmosphäre eines echten Zuhauses vermittelte. Auch hier war mit unserer Ausreise jeder Kontakt definitiv abgebrochen. Sowohl die Unterbringung als „versteckte Kinder“ bei Familie Yves wie auch die unmittelbar darauffolgende Aufnahme in ein Waisenheim zeigen deutlich, in welchem Ausmaß sich die belgischen Behörden und Organisationen um das Wohl der überlebenden jüdischen Kinder gesorgt haben.

In guter Erinnerung bleibt der Besuch der belgischen Königin Elisabeth im Frühjahr 1946 im Kinderheim, bei dem Siegfried ein Gedicht vortragen und Rebecca einen Blumenstrauß überreichen durfte. Das Heim in einem Vorort von Brüssel war ein gutes Haus. Die Kinder wurden sehr gut behandelt, der große Schlafsaal, die Ausflüge ans Meer, das Lachen der Kinder und die Leiterin, Tante Bronia („eine Seele von einer Frau“), sind Siegfried noch Jahrzehnte später in bester Erinnerung. Fotos aus diesen Tagen zeigen die Kinder glücklich am Strand der belgischen Küste. Eines der Bilder dokumentiert Siegfried, wie er mit einem Pferdewagen, ein Geschenk der Königin Elisabeth, spielend am Boden sitzt, rundum Kinder, die dem Buben begehrliche Blicke zuwerfen.

Siegfried mit Pferdewagen, ein Geschenk der belgischen Königin, 1946 © Privat

Königin Elisabeth, Herzogin von Bayern, war die Gattin des belgischen Königs Albert I. und Mutter von Leopold III. Zeit ihres Lebens war sie eine sozial engagierte und karitativ tätige Persönlichkeit, die in der Bevölkerung extrem viel Sympathie genoss. Im Ersten Weltkrieg manifestierte sie ihr soziales Engagement durch die effiziente Unterstützung von Kriegsopfern, Witwen und Waisen und die Mithilfe bei der medizinischen Versorgung. Sie war eine entschiedene Gegnerin des Nationalsozialismus, für ihr Eintreten zur Rettung von Juden, insbesondere von jüdischen Kindern, wurde sie 1965 als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt.