Der Plan - Philip Kerr - E-Book

Der Plan E-Book

Philip Kerr

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Beschreibung

Daves Plan ist ebenso aberwitzig wie genial: Auf hoher See will er ganz groß abkassieren - Drogengelder der russischen Mafia, die in Europa gewaschen werden sollen. An Bord lernt er Skipperin Kate kennen und lieben, ohne zu ahnen, dass sie FBI-Agentin ist. «Ein intelligenter Thriller - extrem spannend und unterhaltsam.» (Prinz)

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Philip Kerr

Der Plan

Roman

Deutsch von Cornelia Holfelder-von der Tann

Für Tom und Paula

Dank

Mein besonderer Dank gilt Ben Gunn,

dem ich einen großen Teil der Informationen

über die Handelsschiffahrt verdanke;

Robert Bookman, der sich wie immer um

die geschäftlichen Dinge gekümmert hat;

meiner Lektorin Marian Wood und meinem

Verleger Michael Naumann. Ich

danke ferner Nicholas Bognor, Graham

Saltmarsh, Frances Coady, Linda

Shaughnessy, Caradoc King, Terry Burke,

Deborah Hayward, Nick Marston und

meiner Frau Jane Thynne für die Ermutigung

und Unterstützung.

1

«Haaa-tschi!»

Das Niesen hallte wie ein Schuß.

Jimmy Figaro sah sich in seinem luxuriös ausgestatteten Büro um und vergewisserte sich, daß nichts zu Schaden gekommen war.

«Scheißheuschnupfen», schniefte Rizzoli hinter einem serviettengroßen Taschentuch. «Der verdammte Herald sagt, der Pollenindex liegt bei 129.Auf einer Skala bis 201.Wegen der ganzen verfluchten Mangobäume hier unten in Florida. Die verbreiten diesen Scheiß.»

Rizzoli nieste wieder – ein mächtiges explosionsartiges Geräusch, halb Brüllen, halb Juchzen, ähnlich dem Schrei, den ein Rodeoreiter ausstößt, wenn er auf dem bockenden Gaul den Ring verläßt. Er sagte: «Also ich, wenn ich könnte, ich würde jeden gottverdammten Mangobaum in ganz Florida abfackeln.»

Figaro nickte vage. Er mochte Mangos. Über die Bäume hatte er noch nie groß nachgedacht, aber jetzt, wo er’s tat, sah er Ursula Andress vor sich, wie sie in Doctor No diesen Song über Mangobäume singt, während sie arschwackelnd den Fluten der Karibik entsteigt, eine Muschel in der Hand. Warum konnte er nicht mal so jemanden als Klienten haben statt eines Kleingangsters wie Tommy Rizzoli?

«Die ganzen verflixten Bäume. Ab damit ins Fegefeuer. Fegefeuer der Scheißverbreiter.» Rizzoli gluckste. «Wie der gottverdammte Film, hä?»

«Welchen Film meinen Sie, Tommy?»

«Fegefeuer der Scheißverbreiter.»

Figaro spürte, wie sich seine Stirn runzelte. Er wußte nicht genau, ob das ein Witz sein sollte oder ob Rizzoli wirklich glaubte, der Film heiße so.

«Sie meinen Tom Wolfe?»

Rizzoli rieb sich grimmig die Nase und zuckte die Achseln.

«Hmm.»

Aber Figaro war klar, daß Tommy Rizzoli von Tom Wolfe so viel Ahnung hatte wie er von erlesenem Porzellan. Figaro wandte sich wieder den Notizen zu, die er gemacht hatte. Die Faktenlage war so klar wie Tommy Rizzolis Schuld. Er und ein nicht näher benannter Partner – bei dem es sich jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach um Rizzolis Halbbruder Willy Barizon handelte – hatten durch gewaltsame Erpressung den größten Teil des Eistransportgeschäfts in Dade County unter ihre Kontrolle gebracht. Und dann war da noch der tätliche Angriff auf einen der an der Verhaftung beteiligten Polizeibeamten, der dem Mann ein gebrochenes Nasenbein eingetragen hatte.

«Haa-tschi!»

Die kaputte Polizistennase. Fast schon ironisch, wenn man Rizzolis eigenen allergiegeplagten Zinken sah. Aber Rizzoli blieb eisern dabei, der Beamte sei gestolpert und hingefallen.

«Was halten Sie von einer Vorabsprache, Tommy?»

«Sie meinen, ich soll im voraus alles zugeben?» Er griff sich an die Nase und bog sie hin und her, fast als wäre sie gebrochen. «Kommt nicht in die Tüte.»

«Ich meine einen Deal. Ich schätze, sie lassen die Körperverletzung fallen, wenn wir in der Erpressungssache kooperieren. Einstweilen rate ich Ihnen, Ihre Anteile im Eistransportgeschäft zu verkaufen und sich auf eine Geldstrafe einzustellen.»

Die beiden Männer fuhren zusammen, als draußen vor der Bürotür eine Frau schrie. Figaro versuchte es zu ignorieren.

«Die Anklage hat nicht viel mehr als ein paar mittelbare Beweise», fuhr er fort. «Nur die Aussagen von ein paar Undercover-Cops. Daraus mache ich Schweizer Käse.»

«Das ist der mit den Löchern, oder?»

«Genau. Und das weiß auch der Staatsanwalt. Ich sehe nicht, wieso Sie dafür ins Gefängnis wandern sollten.»

«Was?» sagte Tommy, als erwachte er aus tiefstem Schlaf. «Tatsache? Ist ja super, Jimmy. Aus Eis habe ich mir sowieso noch nie viel gemacht.»

Es klopfte an die Tür.

«Ist so verflixt schwer zu handhaben. Von wegen der speziellen kristallinen Struktur.»

«Ach.»

«Hab ich gelesen. Es besteht aus Schichten. Die gleiten gegeneinander. Drum rutscht es so leicht auseinander. Wie ein Stapel Karten.»

Figaros Sekretärin lugte um die Türkante.

«Sagen Sie selbst, Jimmy, was für ein Geschäft kann man auf so eine kristalline Struktur schon gründen?»

«Ich weiß nicht, Tommy. Ja, Carol?»

«Mister Figaro? Ob Sie wohl mal einen Moment Zeit hätten?»

Figaro sah seinen Klienten an.

«Ich glaube, das wär’s wohl so ziemlich», sagte er im Aufstehen. «Ich werde mit der Staatsanwaltschaft reden. Geben Sie mir eine Woche, um einen Deal auszuarbeiten, Tommy. Okay?»

Rizzoli erhob sich und zog automatisch Ärmel und Jackettrücken seines changierenden Anzugs glatt.

«Danke, Jimmy. Bin Ihnen wirklich sehr verbunden, Mann. Stimmt echt, was Naked Tony sagt. Sie sind einer von uns.»

Figaro wirkte gequält, als er jetzt seinerseits die Knöpfe seines Jacketts schloß und Rizzoli zur offenen Tür geleitete.

«Nein, Tommy, ziehen Sie nicht diesen Trugschluß. Es ist gut gemeint von Tony, wenn er das sagt, aber es stimmt nicht. Ich bin eher so was wie Ihr Priester. Ihr Fürsprecher vor dem allmächtigen Richter. Nur beichten Sie mir ja nichts. Ich will’s nicht wissen. Es interessiert mich einen Dreck, ob Sie schuldig sind oder so unschuldig wie ein Spaziergang durch den Kirchhof am heiligen Sonntagnachmittag. Mich interessiert einzig und allein, ob wir bessere Argumente auffahren können als die Gegenseite.» Er grinste. «Reines Juristending.»

«Verstehe.»

Die beiden Männer verabschiedeten sich mit einem Händedruck, der Figaro noch einmal klarmachte, wie resolut und kräftig sein kleineres Gegenüber war.

«Bis dann, Jimmy, und noch mal vielen Dank.»

Figaro winkte Rizzoli nach, bis dieser durch die Empfangsdiele und schließlich durch die Kanzleitür von Figaro & August entschwunden war. Dann sah er Carol fragend an.

«Sie sollten wohl besser mal mitkommen und es sich selbst anschauen», sagte sie und führte ihn durch die Bürosuite zum Konferenzraum.

«Als wir gesehen haben, was es ist, dachten wir, wir lassen es lieber hier reinstellen», erklärte Carol nervös. «Gina ist mit Smithy zur Toilette. Smithy hat es ausgepackt. Hat ihr wohl einen ganz schönen Schock versetzt.»

«Das war Smithy, die so geschrien hat?»

«Sie ist eben zart besaitet, Mister Figaro. Zart besaitet, aber loyal. Smithy hängt an Ihnen. Wie wir alle. Deshalb regen uns solche Sachen eben auf. Ist ja wohl verständlich, bei unsrer Klientel. Aber das hier – das ist wie im Kino.»

«Jetzt bin ich wirklich gespannt», sagte Figaro und folgte ihr in den Konferenzraum.

Smithy lag auf dem Sofa unterm Fenster, und Gina fächelte ihr mit einer Nummer des New Yorker das bleiche Gesicht.

Figaro erkannte das Titelblatt. Es war das Heft mit dem Porträt von ihm. Er sah sich im Raum um, und seine flinken, dunklen Augen, die einem überaus nützlichen fotografischen Gedächtnis zuarbeiteten, erfaßten sofort die mutmaßliche Kausalkette. Der Artikel im New Yorker. Der aufgerissene Karton. Die schamhaarartigen Strohknäuel. Der angelieferte Gegenstand selbst.

Frei im Raum stand, etwa eins fünfzig hoch und wie etwas, das dem schrecklichen Blick einer Gorgo ausgesetzt gewesen war, ein steinerner Mantel.

«Welcher perverse Irre…?» jammerte Carol. «Nein, Moment mal. Ich weiß ja, wer. Da auf dem Lieferschein steht ein Name.»

Sie streckte ihm einen rosa Zettel hin und plazierte eine zaghafte Hand auf der Schulter ihres Chefs. Es war das erste Mal in den drei Jahren ihrer Tätigkeit für Figaro, daß sie ihn berührte, und sie fühlte mit Erstaunen harte Muskeln unter dem Jackett seines teuren Armani-Anzugs. Er war ein großer, attraktiver Mann, gut in Form für jemanden, der die meiste Zeit in seinem Büro und den Rest am Gericht verbrachte. Ein bißchen wie Roy Scheider, dachte sie. Die gleiche lange Nase. Die gleiche hohe Stirn. Die gleiche Brille. Nur blasser. Fast so blaß wie die Frau auf der Couch.

«Alles in Ordnung, Mr.Figaro? Sie sehen ein bißchen blaß aus.»

Figaro, der kaum je an die Sonne kam, wandte den Blick von dem Steinmantel und sah sie an. Einen Moment lang sagte er nichts. Dann lachte er.

«Mir geht es prächtig, Carol», antwortete er und fing wieder an zu lachen, nur diesmal so heftig, daß er die Brille abnahm und sich mit beiden Händen auf den Konferenztisch stützen mußte, während ihm die Tränen über die Wangen liefen.

2

Zwei Dinge geschahen an dem Morgen, an dem Dave Delano aus der Justizvollzugsanstalt Homestead bei Miami entlassen wurde.

Das erste Ereignis bestand darin, daß Benford Halls, den man kürzlich von Homestead in das Staatsgefängnis von Starke verlegt hatte, hingerichtet wurde. Obgleich Starke ein paar hundert Meilen weiter nördlich lag, weckten die Details seiner letzten Stunden – von fast allen Radio- und Fernsehsendern Floridas minutiös geschildert – eine Menge Zorn und Aggressionen unter den Insassen von Homestead. Nicht genug damit, daß Halls wegen eines Problems mit dem uralten elektrischen Stuhl mehrere Stunden über den auf dreiundzwanzig Uhr angesetzten Termin hinaus hatte warten müssen. Es wurde auch noch gemeldet, daß der Filmschauspieler Calgary Stanford im Zuge seiner Studien für die Rolle eines Todeskandidaten, die er demnächst spielen werde, der Hinrichtung habe beiwohnen dürfen. Dave Delano hatte allen Grund, an Benford Halls zu denken.

Sie waren beide am selben Tag im selben Gerichtsgebäude in Miami verurteilt worden, vor genau fünf Jahren. Daß Dave seine ganze Strafe hatte abbrummen müssen – seit 1987 gab es für Häftlinge in Bundesgefängnissen so gut wie keine Bewährung mehr–, schien ein Klacks, verglichen damit, fünf Jahre darauf zu warten, vor den Augen irgendeines Filmschauspielers zum Tode befördert zu werden. Wenn das keine außergewöhnliche Grausamkeit war, dann war Torquemada ein Vorbild an Humanität.

Das zweite Ereignis bestand darin, daß Dave einen Luftpostbrief erhielt. Er kam aus Rußland und war in der unverwechselbaren klaren Handschrift und dem unverwechselbar kryptischen Stil Einstein Gergievs abgefaßt. Gergiev war sechs Monate vor Dave aus Homestead entlassen worden, nach acht Jahren wegen verbrecherischer Geldgeschäfte im Rahmen organisierter Kriminalität. Entlassen und sofort als unerwünschter Ausländer abgeschoben.

Diesem unerwünschten Gergiev verdankte es Dave letztlich, daß er die Zeit im Bau so gut genutzt hatte. Es war Gergiev gewesen, der ihm klargemacht hatte, daß er ausgesprochen sprachbegabt war und daß die Besonderheiten des Bundesstrafvollzugswesens ihm Bildungsmöglichkeiten eröffneten, von denen Leute draußen nur träumen konnten. Wenige Monate bevor durch einen Zusatz zum Strafvollzugsgesetz von 1994 die Studienförderung aus Bundesmitteln für Strafgefangene aufgehoben worden war, hatte Dave sein Russisch-Diplom gemacht.

Sein Spanisch war immer schon gut gewesen. South Beach, der Teil von Miami, in dem er aufgewachsen war, hätte auch Cuba sein können – gemessen daran, wie weit man mit Englisch kam. Und an schönen Tagen, wenn zu seinem dunklen Haar und seinen braunen Augen eine ordentliche Sonnenbräune hinzukam, hätte man ihn fast für einen der marielitos halten können, die das Ihre dazu taten, Miami zur Kapitale des Verbrechens in den USA zu erheben. Daves Russisch-Talent mochte damit zu tun haben, daß er der Sohn eines russischen Einwanderers war, der sich nach dem Krieg aus der Sowjetunion abgesetzt hatte. Sein Vater hatte mit richtigem Namen Delanotow geheißen und sich bei der Ankunft in Delano umbenannt, in der Hoffnung, durch die Wahl des Mittelnamens des amerikanischen Expräsidenten seine Zukunftschancen zu erhöhen. Sofern er nicht gerade betrunken gewesen war, hatte er die nächsten dreißig Jahre damit zugebracht, Klimaanlagen auf Luxusyachten zu installieren. Aus Liebe und Dankbarkeit seiner zweiten Heimat gegenüber und aus Haß auf das Land, aus dem er fortgegangen war, hatte Daves Vater seine Muttersprache nie mehr gesprochen.

Dave sah auf den Poststempel und schüttelte den Kopf. Der Brief war vier Wochen unterwegs gewesen. Ein Tag mehr, und er hätte ihn nicht mehr erreicht.

«Scheiß-Aeroflot», knurrte er, ehe er den in Russisch verfaßten Brief sorgfältig studierte. Teuerung, Kriminalität, Unfähigkeit der Regierung – das klang alles gar nicht so anders als das, was sich hierzulande abspielte. Dave las den Brief mehrmals durch und schlug ein paar von den schwierigeren Wörtern im Wörterbuch nach. Russisch war viel leichter zu sprechen, als zu lesen. Das kyrillische Alphabet und das westliche Schriftsystem waren zwei grundverschiedene Paar Stiefel. So gab es im Russischen schon mal sechs Buchstaben mehr als im Englischen.

Als der Wärter kam, um ihn in die Freiheit zu geleiten, hatte Dave sich den Inhalt des Briefs genau eingeprägt und den Papierfetzen vor den Augen seines Zellengenossen Angel, der schweigend auf der oberen Pritsche lag, im Klo runtergespült. Es war immer hart, wenn der Typ, mit dem man die Zelle teilte, entlassen wurde. Es machte einem richtig bewußt, daß man selbst weiter im Gefängnis saß. Und nicht minder unangenehm war die Aussicht, einen neuen Zellengenossen zu kriegen. Wenn der nun schwul war?

«Einen Brief kriegen und entlassen werden, alles am selben Tag», brummelte Angel. «Ist irgendwie nicht fair, Mann.»

Dave nahm den Pappkarton mit seinen Büchern, Schreibheften, Briefen, Kunstdrucken und Fotos hoch, klemmte ihn unter den muskulösen Arm und zupfte dann an dem Uncle-Sam-Bart, der sein jungenhaftes Gesicht kaschierte.

«Okay, Mann, das war’s.»

Angel, ein langer Hispano mit einem Goldzahn, kletterte herunter, umarmte Dave herzlich und bemühte sich, die Tränen zurückzuhalten. Tamargo, dieser Bulldozer von einem Wärter, wartete geduldig auf dem Gang draußen vor der Zellentür.

«Ich laß dir alles da, was im Schrank ist. Mein ganzes Zeug, Süßigkeiten, Vitamine, Zigaretten. Aber rauch sie bald.» Dave lachte. «Rauch sie oder tausch sie ein. Die werden den Laden hier zum rauchfreien Knast machen, wie überall, und dann nützen sie dir einen Scheiß.»

«Danke, Mann. Nett von dir.»

«Paß auf dich auf. Du kommst auch bald raus.»

«Ja, klar.»

Dave drehte sich wortlos um, folgte Tamargo durch den untersten Zellengang, rief den anderen Häftlingen ein paar Abschiedsworte zu und versuchte, nicht allzu selbstzufrieden auszusehen. Ihm war ein bißchen flau, so wie vor Prüfungsarbeiten oder ehe er vors Gericht hatte treten müssen. Aber das war gar nichts, verglichen damit, wie sich Benford Halls gefühlt haben mußte. Dave schauderte.

«Scheiße», murmelte er.

«Was gesagt?» fragte Tamargo.

«Nein, Sir.»

Sie verließen das moderne zweistöckige Gebäude, und als sie den ordentlich gestutzten Rasen überquerten, realisierte Dave, daß ihm zum erstenmal gestattet wurde, das Gras zu betreten. Die Freiheit zeigte sich eben in kleinen Dingen.

Im Wäscherei- und Kleiderlagertrakt unterwarf er sich fügsam der letzten Erniedrigung, die das System für ihn bereithielt: der Leibesvisitation. Es war eine palindromartige Umkehrung seines Eintritts in dieses System. Er zog seine Häftlingskleidung aus und bückte sich, um seine Arschbacken zu spreizen, damit einer der anderen Wärter, die hier auf ihn gewartet hatten, seinen After inspizieren konnte. Dann gaben sie ihm seine eigenen Sachen zurück, und er schlüpfte wieder in das Hemd, die Hose und das Sportjackett, die er am letzten Prozeßtag getragen hatte. Zu seiner Überraschung war das Jackett zu eng, die Hose hingegen zu weit.

«Einen Dollar für jedes Mal, daß ich das erlebt hab, und ich wär zufrieden», wieherte der Mann, der den Karton mit Daves persönlichen Habseligkeiten durchsuchte. Er sah in die Runde seiner nicht minder belustigten Kollegen. «Stemmt hier fünf Jahre lang Gewichte, als wär er Arnie Schwarzenegger, und wundert sich dann, wenn seine Kleider nicht mehr passen.»

Dave spielte mit.

«Guckt euch diese Hose an», sagte er grinsend und zog den Bund vom Bauch ab. «Ich muß zwanzig Pfund abgespeckt haben. Hey, ihr könntet diesen Bau hier als Schlankheitsfarm vermarkten. Die Homestead-Spezialdiät. Garantierter Abnahmeerfolg durch die Umstellung Ihrer Lebensgewohnheiten. Individuelle Betreuung durch qualifiziertes Aufsichtspersonal.»

«Sei froh, daß du deine Zeit hier hast abbrummen dürfen, Freundchen», sagte einer der Wärter. «In Arizona wärst du im Arbeitstrupp gelandet. Da draußen hättest du noch eine Masse mehr abgespeckt.»

Der Wärter, der Daves Habe inspizierte, blätterte ein Buch durch und betrachtete dann leicht angewidert den Einband.

«Was ist das denn für ein Scheiß?» grummelte er.

«Schuld und Sühne. Von Dostojewski», sagte Dave. «Der bedeutendste russische Schriftsteller. In meinen Augen.»

«Bist du so ’ne Art Kommunist oder was?»

Dave dachte einen Augenblick nach.

«Na ja, ich glaube an die Umverteilung des Reichtums», sagte er. «Das tut doch hier so ziemlich jeder, oder?»

«Zwangsarbeit ist keine Lösung», sagte Tamargo. «Und auch sonst nichts, was die Kerle fit hält. Ist doch nicht recht, wenn sie aus dem Gefängnis kommen und eine noch größere Bedrohung für den gesetzestreuen Bürger darstellen wie vorher. Wenn ihr mich fragt, sollten wir denen hier lauter Fettmacher verabreichen. Cheeseburger, Eiskrem, Coca-Cola, Fritten, wann sie wollen und soviel sie wollen. Kein Sport und jede Menge Fernsehen. Phil Gramm will’s abstellen, daß der Vollzug lauter hartgesottene Verbrecher ausspuckt? Dann ist das die richtige Methode. Massenhaft mieses Junk-food und bequeme Lehnsessel. Und wenn die Scheißkerle dann schließlich rauskommen, sind sie genau solche Schlaffsäcke wie wir alle und keine muskelbepackten Ganoven.»

Dave rückte sich den Schlips zurecht, so gut es ging, wenn man den Hemdkragen nicht mehr zukriegte, und bedachte Tamargo und dessen Riesenwampe mit einem freundlichen Grinsen.

«Sie sind ein kluger Kopf», sagte er. «Oder jedenfalls könnten Sie einer werden, wenn Sie auch die Vorzüge des Vollzugs hier in Homestead genießen dürften.»

«Noch nicht draußen und schon das große Wort schwingen», sagte Tamargo. «Deine Aufgabe – falls du dich dazu durchringen kannst, sie zu akzeptieren, Freundchen – besteht darin, verdammt noch mal zu gucken, daß du keinen Ärger kriegst und nie wieder hier landest. Kapiert?»

«War das Ihre Entlassungsansprache?»

«Genau.»

«Dein Anwalt ist da», sagte der Wärter, der ihn gefragt hatte, ob er Kommunist sei. «Stell dir vor. Will dich persönlich in die Stadt fahren. Muß dran liegen, daß du so geistreich plaudern kannst, Freundchen.»

«Ist Ihnen auch aufgefallen, was?»

Der Wärter winkte in Richtung Tür.

«Bis dann, Bolschewik.»

Dave zuckte die Achseln. Jetzt, da er ein bißchen gründlicher darüber nachgedacht hatte, schien ihm der Kommunismus nur eine andere Form des Diebstahls, weiter nichts. Und was hier im gesamten Vollzugssystem passierte, mit Leuten wie Benford Halls, zeigte ihm deutlich, daß der Regierung ein Dreck dran lag, menschliche Wesen in die Gesellschaft zurück zu entlassen. Die interessierten doch nur die nächsten Wahlen. Er dachte an eine Szene aus seinem Lieblingsfilm Der dritte Mann. Orson Welles’ berühmter Kuckucksuhr-Monolog. Die Szene, in der Harry Lime seinen alten Freund Holly Martins auf dem Riesenrad wiedertrifft. Dave hatte den Film so oft gesehen, daß er den Text Wort für Wort auswendig konnte.

«Du hast eben einen veralteten Standpunkt. Wo gibt’s heutzutage noch Menschlichkeit und Mitleid auf dieser Welt. Sieh dir doch das Treiben der Herren an, die die Welt regieren. Du mußt zugeben, daß ich dagegen noch ein Waisenknabe bin. Die haben ihren Fünfjahresplan und ich habe meinen.»

Er sah sich ein letztes Mal um und nickte.

«Komm schon», drängelte Tamargo. «Ich will hier auch raus, verstehst du? Ich hab jetzt nämlich frei. Und ich hab einiges vor.»

«Ich auch», sagte Dave. «Ich auch.»

3

«Also, was steht auf dem Plan?»

«Plan?»

«Ihrem Zeitplan für den ersten Tag Ihres restlichen Lebens.»

Dave saß in Jimmy Figaros 7er-BMW, bewunderte das ganze Holz und Leder und dachte, daß man sich von der Optik und vom Gefühl her vorkam wie in einem kleinen Rolls-Royce. Nicht, daß er schon mal in einem Rolls gesessen hätte. Aber so stellte er es sich vor. Er regulierte die Sitzeinstellung elektronisch und schaute durch die getönte Scheibe, während sie sich auf dem Highway 1 von Homestead entfernten. Viel gab es nicht zu sehen. Nur weite, fruchtbare Felder, auf denen man für ein paar Dollar selbst ernten konnte, was immer dort wuchs – Erbsen, Tomaten, Mais, Erdbeeren, alles mögliche. Aber Dave hatte eine andere Art von Ernte im Sinn.

«Ich weiß nicht, Jimmy. Ich meine, Sie chauffieren diese Karre. Und keine üble Karre, muß ich sagen.»

«Gefällt sie Ihnen?»

«Gibt’s hier auch Zimmerservice?» fragte Dave, der jetzt das Telefon in der Armlehne inspizierte. «Ich habe noch nie ein Auto mit Fernseher vorne drin gesehen.»

«Streckencomputer. Fernsehen kriegt er nur rein, wenn der Motor aus ist.»

«Und die Feds? Kriegt er die auch rein?»

Figaro grinste.

«Sie haben den New Yorker gelesen.»

«Ich habe in letzter Zeit alles mögliche Zeug gelesen.»

«Schon gehört. Tatsache ist, daß ich diesen Wagen jeden Morgen einmal säubere. Und ich meine nicht die verflixten Fußmatten. Ich habe dort im Handschuhfach einen handlichen kleinen Wanzendetektor liegen.» Er lehnte den Kopf zurück, und ein Grienen breitete sich über sein Gesicht. «Aber für den Fall, daß sie beschließen sollten, mir mit einem Richtmikrophon hinterherzuschnüffeln, sind Rück- und Seitenfenster doppelt verglast.»

«Doppelfenster an einem Auto? Soll das ein Witz sein?»

«BMW macht’s möglich. Hören Sie irgendwelche Verkehrsgeräusche?»

«Jetzt, wo Sie’s sagen – nein, ich höre nichts.»

«Und genausowenig kann irgend jemand hören, was Sie sagen. Obwohl Sie sowieso nicht sonderlich gesprächig sind. Wie üblich.»

«Das hat mich bis jetzt am Leben erhalten.» Dave zuckte die Achseln und klappte dann das Handschuhfach auf. Der Wanzendetektor war ein schwarzes Kästchen, etwa so groß wie eine Zigarettenschachtel, mit einer kurzen Antenne. «Nett. Sie nehmen diesen Abhörscheiß ganz schön ernst, was?»

«Bei meiner Klientel muß ich das.»

«Hausanwalt von Tony Nudelli. Ganz schöner Aufstieg, verglichen mit damals, als Sie noch Leute wie mich verteidigt haben, Jimmy. Was ich nicht kapiere, ist, warum Sie den ganzen Weg hier rausgekommen sind, um mich in die Stadt zu kutschieren. Ich hätte auch den Bus nehmen können.»

«Tony hat mich gebeten, für Ihr Wohl zu sorgen. Und Hausanwalt ist ein bißchen übertrieben, Dave. Dieser verdammte Artikel stellt mich hin wie Bobby Duvall. Aber im Unterschied zu diesem Typen, den er im Paten spielt–»

«Tom Hagen.»

«Richtig, Hagen. Im Unterschied zu ihm habe ich nicht nur einen Klienten, sondern mehrere. Sie zum Beispiel. Falls Sie je in irgendeiner Sache meinen Rat–»

«Danke, Jimmy, das weiß ich zu schätzen.»

«Okay, wenn Sie für heute nichts Bestimmtes vorhaben, erkläre ich Ihnen jetzt, was wir tun werden. Wie gesagt, Tony hat mich gebeten, mich um Sie zu kümmern. Wir fahren zuerst zu meinem Büro, und ich zeige Ihnen eine Abrechnung, die ich erstellt habe. Was ich mit Ihrem Geld gemacht habe und so weiter. Danach werde ich Ihnen, wenn Sie gestatten, ein paar Vorschläge unterbreiten, was Sie weiterhin damit machen können. Anschließend könnten wir vielleicht noch einen kleinen Lunch zu uns nehmen. Um vierzehn Uhr dreißig muß ich allerdings im Gericht sein.»

«Klingt prima, Jimmy. Ich bestehe nur aus Appetit.»

«Haben Sie Hunger? Worauf? Sie brauchen es nur zu sagen. Ich kenne da ein kleines haitianisches Restaurant in der Second Avenue. Wenn Sie möchten, könnten wir eben noch dort vorbeifahren und frühstücken.»

«Gefrühstückt habe ich schon, danke. Und ich bin nicht hungrig nach Essen, Jimmy. Klingt vielleicht ein bißchen abgedroschen, aber ich bin lebenshungrig, verstehen Sie? Lebenshungrig.»

Sie nahmen den North Bay Shore Drive, fuhren um das moderne Gebäude herum, das die Kanzleiräume von Figaro & August beherbergte, und parkten in der Tiefgarage. Figaro ging vor zum Lift.

«Wissen Sie was?» sagte er. «Gestern morgen nimmt unsere Empfangsgehilfin eine Lieferung an, während ich gerade in einer Besprechung mit einem Klienten stecke.» Figaro begann, amüsiert in sich hineinzuglucksen, während sie aufwärts fuhren. «Das bezieht sich auf das, worüber wir gerade geredet haben, okay? Sie und meine Sekretärin packen das Paket aus und fallen vor Schreck fast in Ohnmacht, als sie sehen, was drin ist. Weil den New Yorker nämlich nicht nur Leute lesen, die im Knast sitzen. Na, jedenfalls für sie sieht das Ding aus wie ein Mantel aus Beton. Und auf dem Lieferschein lesen sie als Absendernamen Galeria Salvatore. Also denken sie, es ist eine Mafia-Botschaft, von wegen Luca Brazzi ruht bei den Fischen und so. Nur daß es keineswegs eine Mafia-Botschaft ist. Es ist die Skulptur, die ich letzte Woche in einer Galerie in South Beach gekauft habe. Galeria Salvatore, an der Lincoln Avenue. Hat mich zehntausend Dollar gekostet. Ich dachte, ich nehme sie als so eine Art Conversation piece. Das ist vielleicht etwas, das meine Art Kundschaft zu würdigen weiß. Was smarte Burschen wie Sie ein Weilchen amüsiert, wenn ich gerade mal austreten bin.»

«Ganz schön schwarzer Humor, Jimmy.»

«Smithy – unsere Empfangsgehilfin–, wir mußten sie mit dem Taxi heimschicken, so sehr hat sie diese vermeintliche Todesdrohung gegen mich geschockt. Irgendwie rührend, wenn man’s bedenkt. Als würde sie ehrlich an mir hängen.»

«Wenn man’s so sieht – wirklich unglaublich.»

Sie traten beide aus dem Aufzug und gingen durch den stillen Flur in die Büroräume. Figaros Büro war ein Eckraum mit einem durchgezogenen Fenster, das einen Panoramablick auf die Brickell Bridge und die Bücherregalformen der Downtown-Skyline bot. Als Apartment wäre einem der Raum großzügig erschienen; als Büro für einen einzelnen Menschen war er ehrfurchtgebietend. Daves Augen wanderten über die helle Eichentäfelung, die cremefarbenen Ledersofas, den geländewagengroßen Schreibtisch, die Talmikunst an den Wänden und den Betonmantel, und er mußte feststellen, daß ihn das alles sehr beeindruckte, ausgenommen vielleicht der Humor dieses Mannes und sein Geschmack in Sachen Malerei. Nach der Enge seiner Zelle in Homestead löste Figaros Büro schon fast einen Anfall von Agoraphobie in ihm aus. Er sah auf seine Füße. Er stand auf Parkettboden, an der Ecke eines riesigen sandfarbenen Teppichs. Ins Parkett eingelassen war eine Messingtafel mit einer Inschrift, die genauer zu studieren Dave sich nicht die Mühe machte.

«Was ist das? Das Erste Base? Himmel noch mal, Jimmy, hier drinnen kann man ja Baseball spielen.»

«Allemal», sagte der Anwalt. «Sie waren noch nie in diesem Büro, was?»

«Die Geschäfte müssen prächtig laufen.»

«Für einen Rechtsanwalt, Dave, laufen die Geschäfte immer prächtig.»

Figaro deutete auf eins der Sofas, überflog die Notizzettel, die an der Kante seines Walnuß-Partnerschreibtischs klebten, und wartete, daß Carol mit der Akte, die sie in den Händen hielt, den Raum durchquerte.

«Ist das Mr.Delanos Akte?» fragte Figaro.

«Jawohl», sagte sie und warf, während sie ihm die Akte säuberlich vorlegte, einen Blick zu dem Mann hinüber, der sich gerade auf dem Sofa niederließ. Carol war daran gewöhnt, alle möglichen Charaktere – um es höflich auszudrücken – im Büro ihres Chefs zu sehen. Die meisten waren wandelnde Verbrecherkarteifotos, rohgesichtige Typen in schrillen Anzügen, Gorillas mit karnevalsbunten Seidenhemden und Krawatten. Dieser hier schien ein wenig anders zu sein als die anderen. Mit seinen Goldohrringen, dem Bart, Typ Lachender Kavalier, und der Elvis-Tolle wirkte er wie ein Pirat, der sich irgendwelche Klamotten geborgt hatte, nachdem er an Land geschwommen war. Aber er hatte ein hübsches, ruhiges Lächeln und noch hübschere Augen.

«Möchten Sie Kaffee?» fragte sie Figaro.

«Dave?»

«Nein danke.»

Während sie ihn im Hinausgehen noch einmal anlächelte, befand Carol: ein Haarschnitt, eine Rasur und andere Kleidung, und er würde jünger aussehen und nicht mehr ganz so wie jemand, der gerade auf dem Weg in die Gaskammer war. Richtig süß würde er aussehen. Die Tür schloß sich hinter ihr, und sie wußte, dieses Gefühl auf ihrem engberockten Hinterteil rührte von diesen großen braunen Augen her.

Figaro setzte sich Dave gegenüber und schnippte ein Blatt Papier über den gläsernen Couchtisch. Dave machte keinerlei Anstalten, sich das Blatt anzusehen.

«Zigarre?»

Dave schüttelte den Kopf.

«Davon werde ich heiser. Aber eine Zigarette könnte ich vertragen.»

Figaro bediente sich aus der Kiste Cohibas auf dem Tisch – ein Geschenk von Tony – und bot Dave anschließend eine Zigarette aus einer silbernen Zigarettendose an.

«Das war ein kluger Zug, Dave», sagte er durch eine Sprechblase aus blauem Rauch. «Den Mund zu halten.»

Dave zog schweigend an seiner Zigarette. Es war vermutlich Figaros Rat und Figaros Fehler gewesen, also mochte er auch das Reden übernehmen.

«Sehr bedauerlich, daß das Geschworenengericht Ihr Schweigen als Beihilfe gewertet hat. Ich nehme an, der Richter hat auch Ihre Vorstrafe in Rechnung gestellt. Aber trotzdem, fünf Jahre für etwas, womit Sie gar nichts zu tun hatten. Das schien doch ganz schön übertrieben.»

«Und wenn sie Sie in die Zange nehmen würden? Und wenn’s wegen was wäre, womit Sie gar nichts zu tun hätten? Und wenn sie von Ihnen verlangen würden, daß Sie einen Ihrer Klienten verpfeifen? Vielleicht sogar Ihren wichtigsten? Was würden Sie tun?»

«Den Mund halten, nehme ich an.»

«Eben. Man hat doch im Grunde gar keine Wahl, oder? Tot ist man viel länger als fünf Jahre, glauben Sie mir. Das ist ein großer Trost, wenn man im Bau sitzt. Es vergeht kein Tag, an dem man sich nicht sagt: Das hier ist die Hölle, aber es könnte noch schlimmer sein. Ich könnte auch auf dem Meeresgrund brummen, in Jimmys 10000-Dollar-Mantel.» Dave deutete mit einer Kopfbewegung auf das Kunstwerk in der Ecke von Jimmys Büro und grinste gelassen. «Das Ding da ist wirklich ein Conversation piece, wie Sie gesagt haben. Es wird sich bestimmt gut machen. Aber eher als Demonstrationsobjekt, würde ich sagen, denn als Kunstobjekt. Mund halten oder–»

«Sie sind ein talentierter Bursche, Dave.»

«Na klar doch. Und was hat es mir gebracht? Einen Förderaufenthalt in Homestead. Talent ist was für Leute, die Klavier spielen, Jimmy, nicht va banque. Ich kann’s mir nicht leisten, so was zu pflegen.»

«Sie können sich’s leisten», sagte Figaro und tippte bedeutsam auf das Blatt Papier. «Sehen Sie sich nur mal diese Aufstellung hier an. Angesichts Ihres Zeitaufwands und Ihrer Unannehmlichkeiten–»

«Hübsche Umschreibung für fünf Jahre Knast.»

«Zweihundertfünfzigtausend Dollar, wie vereinbart. Eingezahlt auf ein Off-shore-Konto und zu fünf Prozent Jahreszinsen festgelegt. Ich weiß. Fünf Prozent. Das ist nicht viel. Aber ich dachte mir, unter diesen Umständen würden Sie sicher eine risikofreie Anlageform wollen. Macht also summa summarum 319060Dollar, steuerfrei. Abzüglich zehn Prozent für meine treuhänderische Tätigkeit, sprich 31906Dollar. Ergibt 287154Dollar.»

«Sprich 57430Dollar pro Jahr», sagte Dave.

Figaro rechnete kurz nach und sagte dann: «Richtig. Ihre Talente sind wirklich unerschöpflich. Auch noch Mathematik.»

«Falls Sie’s interessiert – dadurch bin ich überhaupt ins Geschäft reingeraten. Als Junge habe ich meinen Lebensunterhalt mit Rechnen verdient. Die Harvard Business School kam für mich ja leider nicht in Frage. Aber ich war der einzige Jid in unserem Viertel, und die italienischen Kids fanden es cool, einen jüdischen Bankier zu haben.»

«Das erklärt manches.»

«Und jetzt erklären Sie mir mal etwas, Figaro. Ich habe nie mehr als fünf Prozent für meine finanziellen Dienstleistungen berechnet. Zehn Prozent scheinen mir eher Wucher als eine angemessene Provision.»

«Wer fünf Prozent zahlt, zahlt gewöhnlich auch Steuern. Und nimmt in der Regel einen Scheck.»

«Das ist ein Argument.»

Figaro stand auf und trat hinter den Schreibtisch. Als er zum Sofa zurückkam, trug er eine Sporttasche. Er stellte sie neben Dave ab und setzte sich wieder hin.

«Sie bevorzugen Bargeld, richtig?»

«Tut das nicht jeder?»

«Heutzutage nicht unbedingt. Bargeld ist manchmal schwer zu erklären. Aber wie auch immer – haben Sie sich schon überlegt, was Sie damit machen wollen?»

«Das ist nicht gerade ein Grundstock zum Aussteigen, Jimmy. Dreihundert Riesen minus der paar Zerquetschten reichen nicht, um sich einen faulen Lenz zu machen.»

«Ich könnte Ihnen ein paar Sachen empfehlen. Die eine oder andere Anlagemöglichkeit vielleicht.»

«Danke, Jimmy, aber ich glaube nicht, daß ich die Seminargebühren bezahlen kann.»

«Betrachten Sie sie als erlassen. Verstehen Sie, das ist jetzt die Chance, sich auf die Vermögensleiter zu schwingen. Es gibt jede Menge hochwertige Immobilienobjekte hier in der Gegend. Zufällig bin ich am Bau einer Country-Club-Siedlung auf Deerfield Island beteiligt.»

«Ist das nicht die Insel, die Capone kaufen wollte?»

Hinter dem Zigarrenrauch verzog Figaro das Gesicht.

«Das ist fünfzig Jahre her.»

«Mag sein, aber ich dachte, dort sei alles Naturschutzgebiet. Für Waschbären und Gürteltiere und dergleichen.»

«Nicht mehr. Außerdem sind Waschbären keine schützenswerte Natur. Sie sind eine Plage. Sie sollten sich’s überlegen. Fahren Sie hin und sehen Sie sich’s selbst an. Drei Meter Raumhöhe, Luxusküche mit integriertem Eßplatz, ein Fitneßcenter, Blick übers Meer. Schon ab zwo zehn.»

«Danke vielmals, Jimmy, aber trotzdem nein.» Dave beugte sich über die Armlehne des Sofas, zog den Reißverschluß der Tasche auf und spähte hinein. «Ich brauche dieses Geld hier als Startkapital. Für etwas, das mir solider erscheint als auf Müllkippen aus dem Boden gestampfte Immobilien.»

«Ach? Was denn zum Beispiel?»

«Ich habe da so ein paar vage Ideen.»

Figaro zuckte die Achseln.

«Möchten Sie nachzählen?»

«Damit ich heute abend rumsitze und nichts zu tun habe? Nein danke.»

Dave beschloß, den Lunch mit Jimmy Figaro lieber ausfallen zu lassen. Jimmys Wagen, sein Zweitausend-Dollar-Anzug und die großen Augen der Sekretärin hatten Dave schon deutlich genug gemacht, wie deplaziert er im Moment wirken mußte. Der Luziferbart und die Vorhangringe in den Ohren mochten ihm ja in Homestead geholfen haben, seinen Arsch heil über die Runden zu bringen, aber hier draußen war alles anders. In den ehrbaren, wohlsituierten Kreisen, in denen Dave sich jetzt zu bewegen gedachte, würde dieses Komm-mir-bloß-nicht-in-die-Quere-Image seinen Plänen nicht dienlich sein. Shakespeare hatte recht: Denn es verkündigt oft die Tracht den Mann. Er würde eine komplette Runderneuerung brauchen. Aber zuerst mußte er einen Wagen auftreiben, und da seine Chance, einen zu leasen oder zu mieten, garantiert gleich Null war, schien es sinnvoll, diesen gemeingefährlichen Look noch eine Weile beizubehalten, wenigstens bis die Autofrage geklärt war. So würde ihm der Händler wenigstens nicht irgendeine Schrottkiste andrehen, die ihn veranlassen könnte, noch einmal zurückzukommen.

Jetzt, da er in Freiheit war, wollte er möglichst viel an der frischen Luft sein. Das bedeutete ein Kabrio, und im Sportteil des Herald fand er, was er suchte. Ein Mazda-Händler bot eine Auswahl an supergünstigen Sportwagen an. Ein Taxi brachte ihn die Fortieth Street nach Westen hinaus, zu Bird Road Mazda, und eine halbe Stunde später fuhr er wieder in Richtung Beach, in einem 96er Miata mit CD-Spieler, Leichtmetallfelgen und nur 1400Meilen auf dem Zähler. Er bekam gerade Spaß an der frischen Luft, der Sonne, dem sportlichen Schaltknüppel und der Musik aus dem Radio– CDs besaß er keine–, als er an der Ampel, wo er die Second Avenue nach Norden nehmen wollte, zu dem neben ihm stehenden Auto hinüberschaute und genau in die gehässigen Augen von Tamargo sah, dem Wärter, der ihn vor nicht mal drei Stunden aus seiner Zelle in Homestead geleitet hatte.

Tamargo fuhr nur einen alten Olds für 1900Dollar, und als er Dave in einem Wagen sah, der fast das Zehnfache gekostet hatte, klappte seine sofagroße Kinnlade herunter, als hätte ihn gerade ein Gehirnschlag ereilt.

«Wo zum Teufel hast du die Karre da her, Freundchen?»

Dave rutschte unbehaglich in seinem Ledersitz herum und sah zu der immer noch roten Ampel empor. Die Tatsache, daß er seine Strafe ganz abgesessen hatte, bescherte ihm jetzt, da er draußen war, gewisse Vorteile. Nicht zuletzt den, daß sich kein neugieriger Scheißschnüffler von einem Bewährungshelfer in sein Leben einmischte. Aber das letzte, was er wollte, waren peinliche Fragen seitens der City Police wegen des teuren Wagens. Die zentrale Frage war, ob sich Tamargo die Mühe machen würde, die Sache zu melden. Bis jetzt wußten die Cops über Daves Verbleib nicht mehr, als daß er über Jimmy Figaros Kanzlei zu erreichen war. Es war wenig sinnvoll, es drauf anzulegen, daß sie seine Autonummer und womöglich noch eine ganze Menge anderer Dinge herauskriegten. Also lächelte Dave, den Rückspiegel im Auge und das Lenkrad fest im Griff, freundlich zurück.

«Hey, du Wichser, ich red mit dir. Ich hab dich gefragt, wo du die verdammte Karre herhast.»

«Karre?»

«Yeah, die Karre da. Die, wo groß und breit ‹geklaut› auf dem Nummernschild steht.»

Dave hielt den Blick unverwandt auf die Ampel geheftet.

«Der Wagen ist clean, Mann.»

«Ach, nee!»

«Weißt du was, Tamargo? Du bist Teil einer verabscheuenswerten Lösung. Einer verabscheuenswerten Lösung, eines infernalischen Kreislaufs aus Schuld und Vergehen. Das ist nicht von mir, sondern von einem großen französischen Philosophen. Wenn du nur einen Funken Intelligenz in deiner verdammten Birne hättest, wüßtest du, daß eben diese Beschuldigung, die du da erhebst, das Versagen der Institution impliziert, für die du stehst. Genau diese Art Vorurteil ist nämlich eine der Hauptursachen der hohen Rückfallquote. Es mag dir vielleicht nicht bekannt sein, aber so nennt man das, wenn Exknackis wieder Verbrechen begehen. Rückfallquote. Weißt du, was das Gescheiteste ist, was du im Sinne dieses ganzen verabscheuenswerten Strafvollzugssystems tun kannst? Weiterfahren und dein gottverdammtes Maul halten.»

Die Ampel sprang auf Grün. Dave ließ den Motor aufjaulen und die Kupplung schnappen.

Tamargo trat seinerseits aufs Gas, in der Hoffnung, Dave Delano lange genug im Blick zu behalten, um sein Nummernschild lesen zu können. Aber der kleine Sportwagen war plötzlich einfach weg, und der Gefängniswärter war schon über fünfzig Meter weiter, ehe er merkte, daß Dave an der Ampel gewendet hatte. Tamargo stieg in die Bremse, wuchtete seine Körpermasse im Sitz herum und spähte durchs Rückfenster nach dem Exhäftling in dem Kabriolett aus. Aber Dave war verschwunden.

Nach diesem Vorfall dachte Dave, daß er sein Äußeres gar nicht schnell genug verändern konnte. Er wollte nach Bal Harbor in Miami Beach, wo es laut Figaro eine ausgezeichnete Shopping mall gab und gleich gegenüber ein erstklassiges Sheraton, mit Seeblick, wie er sich ausbedungen hatte. Er fand einen anderen Weg zum Biscayne Boulevard und zur Route 41, und schon bald war er auf dem McArthur Causeway, über dem Intercoastal Waterway. Zu seiner Rechten lagen der Kreuzfahrthafen und die Docks von Miami. Der Anblick zweier großer, mit dem Bug zur offenen See gerichteter Passagier-Liner erfüllte ihn mit leiser Erregung, da er wußte, wenn alles so lief, wie es sollte, würde er selbst bald eine Seereise machen. Er erreichte jetzt South Beach, fuhr die Collins Avenue entlang und durch den sogenannten historischen Distrikt. Was gerade mal Art Deco hieß. Aber mehr hatte Miami an Historie nun mal nicht zu bieten, und das war ja auch einer der Gründe, weshalb Dave es kaum erwarten konnte, hier wegzukommen. Aber es tat trotzdem gut, endlich wieder mal zwischen den bonbonfarbenen Fassaden und den glitzernden Neonreklamen der Collins Avenue dahinzurollen. So viele Leute – es war wie die Rückkehr in den Schoß der Menschheit.

Zehn Minuten Collins-aufwärts bog er in die Bel Harbor Shopping mall ein, parkte den Wagen und machte sich, die Tasche mit dem Geld noch immer in der Hand, auf die Suche nach seinem neuen Look. Er merkte sofort, daß das hier genau der richtige Ort war. Ralph Lauren, Giorgio Armani, Donna Karan, Brooks Brothers. Jimmy Figaro hätte ihm für seine Zwecke kaum etwas Besseres empfehlen können. Es gab sogar einen Schönheitssalon, der ein 200-Dollar-Spezialpaket anbot: Massage, Haareschneiden, Maniküre, Gesichtsbehandlung. Vielleicht lief ja eine Rasur auch unter Gesichtsbehandlung. Dave trat ein.

Der Salon war leer. Ein Mädchen, das hinter der Theke eine Nummer von People las, erhob sich und lächelte höflich.

«Kann ich was für Sie tun?»

«Das hoffe ich doch. Ich komme gerade von Bord. Ich war mehrere Monate auf See, und, na ja, Sie sehen ja selbst. Ich habe vermutlich eine gewisse Ähnlichkeit mit Robinson Crusoe.»

Das Mädchen kicherte leise. «Sie sehen schon ganz schön grungy aus», sagte es.

«Haben Sie vielleicht Die Glücksritter gesehen? Sie wissen doch, mit Eddy Murphy.»

«Ja. Da war er toll. Aber danach nicht mehr.»

«So was will ich. Eine komplette Runderneuerung à la Eddy Murphy. Rasieren, Haareschneiden, Gesichtsbehandlung, Maniküre, Massage, das ganze 200-Dollar-Paket.»

Eine Kollegin des Mädchens, in einer Art weißem Klinikkittel mit einem Namensschild, auf dem JANINE stand, war jetzt hinzugetreten und musterte Dave mit zusammengekniffenen Augen, so, wie er den Mazda vor dem Kauf gemustert hatte.

«Wir machen hier eher auf Pretty Woman als auf Die Glücksritter», sagte Janine. «Aber momentan ist grade nicht viel los. Ich glaub schon, daß wir Sie hinkriegen. Wir machen den reinsten Chorknaben aus Ihnen, wenn Sie wollen. Ist allerdings schon ein Weilchen her, daß ich das letzte Mal einen Mann rasiert habe.»

Janine wandte sich dem Mädchen hinterm Tresen zu.

«Martin, du weißt doch, mein Ex? Den hab ich immer rasiert. Echt. Hat mir Spaß gemacht, damals. Heut würd’s allerdings anders laufen, wenn ich ein Rasiermesser an seine Kehle setzte. Ich würd den Saukerl abschlachten.»

Doch dann lächelte sie, als gefiele ihr plötzlich die Vorstellung, Dave zu rasieren.

«Na, was ist, junger Mann? Angst vor Frauenpower?»

Dave warf seine Tasche ab.

«Janine? Ich gehe das Risiko ein, wenn Sie’s tun.»

4

«Also, Jimmy, was meinen Sie? Kann ich Delano trauen? Wird er sein verflixtes Maul halten?»

Figaro hob den Blick von seinem Krabbencocktail und sah in die großen blaugetönten Brillengläser seines Gegenübers. Tony Nudelli war um die fünfzig, und sein Gesicht war genauso zerknittert wie sein beigefarbener Leinenanzug. Sie saßen beim Lunch im Normandy Shores Country Club, nur wenige Autominuten nördlich von Bal Harbor. Durch die Bogenfenster des im Mizner-Stil erbauten Restaurants konnte man Chers Sechs-Millionen-Villa drüben auf La Gorce Island ahnen.

«Natürlich können Sie ihm trauen. Er hat doch die ganzen fünf Jahre den Mund gehalten, oder nicht? Warum zum Teufel sollte er jetzt reden?»

«Weil ich ihn jetzt nicht mehr unter Kontrolle habe, darum. Solange sein Arsch im Gefängnis angenagelt war, wußte er, daß ich ihn jederzeit drankriege. Daß ich dort drinnen Leute kenne, die ihm die Hölle heiß machen können. Jetzt, wo er draußen ist, kann er tun, was er will, ohne sich ständig umgucken zu müssen, und das gefällt mir nicht. Das will mir nicht so recht behagen.»

«Aber, Tony, die Feds hätten ihm doch Schutz geboten, wenn er hätte auspacken wollen. Sie hätten ihm ein komplett neues Leben verpaßt.»

«Das ist wie mit den Wechseljahren. Damit ist das Leben im Grund vorbei. Bums – aus. Fragen Sie meine Frau. Ich hab sie schon Ewigkeiten nicht mehr gebumst. Nein, Jimmy, jeder Kerl, der auch nur einen Funken Mumm in den Knochen hat, wird die fünf Jahre abreißen und das Geld nehmen.» Nudelli fischte einen Zahnstocher aus dem silbernen Halter und begann in seinen oberen Backenzähnen herumzustochern.

«Apropos. Haben Sie ihn ausbezahlt? War er zufrieden?»

«Ich denke schon.»

«Sie denken schon?» Nudelli schnaubte, inspizierte das Essensrestchen auf der Spitze seines Zahnstochers und aß es dann auf. Mit einem matten Kopfschütteln setzte er hinzu: «Wenn ich wissen will, was die Leute so denken, lese ich den gottverdammten Herald, okay? Von Ihnen mit Ihrem sechsstelligen Pauschalhonorar plus Spesen und Prämien erwarte ich ein bißchen mehr als ein freundliches Gesicht und ein paar intuitive Spekulationen. Ich erwarte präzise Aussagen, so klar wie die Newtonschen Gesetze. Wenn x, dann y. Kapiert?»

«Ich bin mir dessen sicher», sagte Figaro.

«Spielen Sie Poker, Jimmy?»

«Ich bin kein großer Kartenspieler, Tony.»

«Das wundert mich nicht. Sie sagen, Sie sind sich dessen sicher, und zucken dabei die Achseln, als würden da immer noch einige Zweifel auf den wattierten Schultern dieses sichtlich teuren Anzugs lasten. Gewißheit sieht ein bißchen anders aus, Jimmy. Wie wär’s, wenn Sie ein paarmal nicken würden? Und ein bißchen lächeln? Herrgott, gegen Sie wirkt ja sogar der verdammte Kerl von der Wettervorhersage wie ein Ausbund an Gewißheit.»

«Tony, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, ich finde, Sie sind da wirklich ein bißchen paranoid. Glauben Sie mir, Dave ist ein cooler Bursche. Er hat seine Zeit in Homestead bestens genutzt. Er hat studiert und kommt mit einem Diplom und einer positiven Einstellung wieder raus. Er will weiter nichts als endlich anfangen, sein restliches Leben zu leben.»

«Und wie, genau, will er das tun, wenn ich fragen darf?»

«Wie, genau? Das weiß ich nicht. Und er auch nicht. Im Moment will er sich einfach erst mal erholen, ein bißchen was von seinem Geld ausgeben–»

«Sie haben ihn also ausbezahlt.»

«Das sagte ich doch schon. In bar. Mit Zinsen. Ich habe ihn gefragt, was er damit machen will, und ihm eine kleine Anlageberatung angeboten. Er hat dankend abgelehnt.»

Nudelli sah nachdenklich drein. Er leerte sein Weinglas und schnippte dann mit dem Fingernagel gegen den Kristallrand.

«Wie war der exakte Wortlaut dieser Ablehnung?»

«Exakt? Müßte ich dieses Wort kennen?»

«Jimmy, Sie sind ein gottverdammter Jurist. Exaktheit ist bei Ihnen so eine Art Geburtsfehler.»

«Er sagte, es sei nicht genug zum Aussteigen. Er sagte, es reicht nicht, um sich einen faulen Lenz zu machen.»

«Hm, das klingt aber nicht gerade wie jemand, der mit seiner Abfindung zufrieden ist.»

«Das Zitat ist aus dem Kontext gerissen.»

«Mir egal, und wenn Sie’s aus Bartletts Zitatenlexikon gerissen haben. Was Sie da sagen, klingt wie jemand, dem man gerade ein Zehn-Dollar-Coke angedreht hat.»

«Glauben Sie mir, Tony, wenn Sie dabeigewesen wären, hätten Sie einen zufriedenen Mann vor sich gesehen.»

Der Kellner kam, um ihnen von dem kalifornischen Chardonnay nachzuschenken, den Tony Nudelli so gern trank. Für Figaros besser geschulten Gaumen hatte er einen leichten Korkgeschmack.

«Vielleicht nicht gerade auf einem feurigen Wagen gen Himmel entrückt wie Elia», setzte Figaro hinzu, «aber zufrieden allemal.»

«Ist alles nach Ihrem Wunsch?» erkundigte sich der Kellner servil.

«Bestens, danke.»

«Elia», flötete der Kellner. «Das ist ein hübscher Name, Elia. Warum konnten mich meine Eltern nicht so nennen statt William Charles?»

Tony Nudelli lehnte sich jäh zurück, sah den Kellner an und entblößte gereizt seine gelben, aber mittlerweile gründlich gesäuberten Zähne.

«Weil sie dein bekacktes Mondgesicht an eine Kloschüssel erinnert hat und weil sie dachten, dann stimmen wenigstens die Initialen, du kleiner Schwanzlutscher. Und wenn du mieser Arschkriecher noch mal unser Gespräch hier unterbrichst, dann sorg ich dafür, daß dich die Leute Vincent nennen. Weil du dann nämlich nur noch ein Ohr hast, das du in anderer Leute Angelegenheit reinhängen kannst. Kapiert? Und jetzt verschwinde, bevor du mit deinen warmen Wichsgriffeln noch den verdammten Wein temperierst.»

Der Kellner zog sich hastig zurück.

«Ich bestelle wohl besser kein Dessert mehr», schmunzelte Figaro. Ein Teil von ihm genoß es, wenn Tony Nudelli so richtig loslegte. Solange es nicht ihn traf. Es erregte ihn, diese Art von Macht – und sei es nur indirekt – zu kosten.

«Sind Sie nicht bei Trost? Die Pekannuß-Pie hier ist unschlagbar.»

«Ich dachte nur, er könnte sich vielleicht auf irgendeine unauffällige, aber unappetitliche Art rächen wollen.»

«Da sind Leute schon für weniger gestorben.»

«Aber das weiß er ja nicht.»

«Sie haben recht, Jimmy.» Mit einem lauten Fingerschnippen beorderte Nudelli den Oberkellner an ihren Tisch. «Diese verdammte kleine Tunte könnte mir sonstwas in meine Pekannuß-Pie mogeln.»

«Alles zu Ihrer Zufriedenheit, Mr.Nudelli?»

«Louis, wir hätten gern zwei Stück Pekannuß-Pie. Und ich möchte, daß Sie sie uns persönlich bringen. Verstehen Sie?»

«Jawohl, Sir. Sofort. Ist mir ein Vergnügen.»

Der Oberkellner verschwand in Richtung Küche.

«Ich möchte Sie etwas fragen, Jimmy.»

«Natürlich, Tony.» Er schmunzelte, als er den gedeckelten Kellner erblickte. «Ich bin ganz Ohr.»

Nudelli sah dem Kellner ärgerlich hinterher. «

Verdammter Idiot. Was ist nur mit den Kellnern in diesem Land los? Es reicht nicht, daß man ihnen ein Trinkgeld gibt. Nein, sie wollen auch noch eine eidesstattliche Versicherung, daß man nicht auf sie runterguckt, weil sie ihre Kohle so machen, wie sie’s tun.»

«Reden wir nicht von Kellnern! Neulich bestelle ich ein Steak im Delano. Und als der Kellner es bringt, sagt er, das Gemüse kommt in ein paar Minuten. Ich frage den Kerl, was soll das sein? Essen auf Raten oder was?»

Figaro lachte über seine eigene Geschichte und gab sich noch erheiterter, als er sah, daß sie Nudelli amüsierte. Wenn er doch nur daran gedacht hätte, sie in ein anderes Restaurant zu verlegen. Das Delano war eins der schicksten in South Beach, frequentiert von Madonna und Stallone, aber der Name trug nicht gerade dazu bei, Nudelli von dem abzulenken, was ihm im Kopf herumspukte – Dave Delano.

«Was wollten Sie mich fragen, Tony? Bevor wir auf die verflixten Kellner kamen.»

«Nur eine Kleinigkeit. Wie lang ist die Verjährungsfrist für Mord?»

«Für Mord gibt es keine Verjährung.»

«Sie haben’s erfaßt. Mal angenommen, Delano beschließt, doch noch auszupacken?»

«Regen Sie sich ab, Tony. Delano ist kein Singvogel.»

«Hören Sie mir gefälligst erst mal bis zu Ende zu, Jimmy. Wie ein guter Anwalt. Nur mal angenommen, er tut’s. Warum auch immer. Gehen wir einfachheitshalber mal davon aus, er macht mich für seinen Aufenthalt hinter Gittern verantwortlich. So ein Gefängnis macht komische Sachen mit den Menschen. Es macht sie pervers. Macht sie rachsüchtig. Vielleicht will er ja meine Viertelmillion und meinen Arsch noch dazu. Ich meine, was sollte ihn davon abhalten? Würden Sie mir das mal beantworten?»

«Wenn, dann würde er wohl am ehesten mich dafür verantwortlich machen», sagte Figaro achselzuckend. «Schließlich habe ich ihn vor Gericht vertreten. Aber er wird’s nicht tun, Tony.»

«So nicht, Jimmy. Wir orakeln hier nicht in der Gegend herum. Wir erörtern eine hypothetische Situation. Verstehen Sie? Wie zwei Philosophen in einem römischen Dampfbad. Was haben wir an harten Fakten, was uns auszuschließen erlaubt, daß Delano jemals auf die Idee kommt zu singen? Moment. Mir ist da gerade noch ein Gedanke gekommen. Mal angenommen, er macht irgendwas Krummes. Was Kriminelles. Und die Cops erwischen ihn. Sie kriegen ihn am Arsch. Aber vielleicht will er nicht noch mal in den Bau. Wer wollte ihm das verübeln? Ich bestimmt nicht. Aber vielleicht sind die Feds ja so schlau und bringen ihn dazu, zu erzählen, was er ihnen damals schon hätte erzählen sollen. Sein Arsch gegen meinen.»

Nudelli klatschte mit der Hand auf den Tisch, als gälte es, eine Fliege zu erschlagen, und just in diesem Moment kam der Oberkellner mit den zwei Stücken Pekannuß-Pie.

«Was sollte ihn davon abhalten, hä, Jimmy?»

«Bitte sehr, Mr.Nudelli. Die Pekannuß-Pie.»

«Danke, Louis.»

«War mir ein Vergnügen, Sir. Guten Appetit.»

«Na ja, wenn man’s so eiskalt sieht, Tony–»

«Ich seh’s so eiskalt. Ein Drink on the Rocks im geeisten Glas ist warm dagegen. Was sollte ihn davon abhalten, hä?»

Figaro spießte ein Stück Pie auf seine Gabel, ließ diese aber vorerst auf dem Teller liegen.

«Nichts. Außer vielleicht, daß er mehr Angst vor Ihnen hat als vor den Cops.»

Nudelli hob seine großen behaarten Hände und gestikulierte auf eine Art, die Figaro an den Papst erinnerte, wenn er zu Weihnachten huldvoll vom Balkon des Petersdoms herabgrüßte. Aber der Anwalt merkte wohl, daß die Entwicklung, die dieses Gespräch nahm, nicht gerade von besonderer Huld geprägt war.

«Da haben Sie’s. Wir sind schon wieder im Reich des Ungewissen. Sie legen den Finger genau auf die Wunde, Jimmy. Vielleicht. Jetzt versetzen Sie sich mal in meine Lage. Ich habe eine Familie zu versorgen und ein Geschäft zu führen, ich habe Leute, deren Existenz von mir abhängt.» Er seufzte laut und schob sich ein Stück Pie in den Mund. «Wissen Sie, was das Problem ist? Die Sprache. Der Verfall unserer gottverdammten Sprache. Die Wörter bedeuten nicht mehr das, was sie mal bedeutet haben, wegen all der verflixten Minderheiten, denen man nicht auf die Zehen treten darf – dies darf man nicht sagen, und jenes darf man nicht sagen–, und wegen all der verflixten Politiker, die sich der Sprache bedienen, um gar nichts zu sagen. Ich will Ihnen ein Beispiel geben, Jimmy. Wenn ein Mann zu einem Mädchen sagt: ‹Wirst du dich von mir ficken lassen?›, und sie sagt: ‹Vielleicht›, weiß man, es ist eine reale Möglichkeit. Wenn man aber zu einem Politiker sagt: ‹Werden Sie mehr Schulen und Krankenhäuser bauen, wenn wir Sie wählen?›, und er sagt ‹Vielleicht›, dann kann man sicher sein, er wird’s nicht tun. Bei ihm heißt ‹vielleicht› nämlich ‹nie und nimmer›. Verstehen Sie, was ich meine?»

Figaro war sich nicht sicher. Es gab Zeiten, da er Tony Nudelli für den klügsten Klienten hielt, den er je gehabt hatte. Und dann wieder schien er ihm so dumm wie das Vormittagsfernsehen. Über diesem weitschweifigen Exkurs war ihm entfallen, worauf Nudelli ursprünglich hinausgewollt hatte. Aber er nickte dennoch und sagte: «Klar.» Er beschloß, das Gespräch einem anderen Schluß entgegenzusteuern, als ihn Tony in seinem arglistigen Hirn vermutlich noch immer anpeilte.

«Soll ich mal ein Wörtchen mit Delano reden, Tony? Ihn von der unbedingten Notwendigkeit seines Schweigens überzeugen? Er kommt morgen bei mir im Büro vorbei, um ein paar Sachen zu besprechen. Ich kann ihn zur Raison bringen, wenn Sie wollen.»

«Willy Barizon», sagte Nudelli kopfschüttelnd.

«Bitte?»

«Der Halbbruder von Tommy Rizzoli. Dem Burschen, den Sie aus dem Eistransportgeschäft rausgegrault haben.»

«Ich habe ihm lediglich geraten, seine Anteile zu verkaufen, um auf diese Weise vielleicht einer Haftstrafe zu entgehen, weiter nichts.»

«Kommt aufs selbe raus. Na, jedenfalls werde ich Willy schicken, damit er mit Delano redet.»

«Wollen Sie ihm das Maul stopfen lassen?»

Nudelli sah gequält drein.

«Sie sollten mal was von Ihrer Pie essen. Sie ist die Krönung des Ganzen.»

Figaro führte die Gabel an den Mund. Er mußte zugeben: Die Pie war wirklich gut.

«Ich hasse es, meinen Anwalt solche Wörter benutzen zu hören», sagte Nudelli steif. «Aber nein, ich will niemandem das Maul stopfen lassen. Ich will Delano nur dran erinnern – ihm auf zwingende Weise vor Augen führen–, daß er gut dran tut, mich noch immer zu fürchten.» Er leckte sich die Lippen und wischte sich dann mit einer Papierserviette den Mund. «Ich glaube, ich hätte zum Dessert gern was Süßes zu trinken. Vielleicht einen Muscat. Mögen Sie Muscat?»

Figaro schüttelte den Kopf.

«Wo ist denn dieser Schwanzlutscher abgeblieben?» brummelte Nudelli und sah sich nach dem Kellner um. Dann starrte er wieder Figaro an. «Und außerdem will ich erst mehr über diese neuen Freunde von ihm wissen, bevor ich auch nur dran denke, ihm das Maul stopfen zu lassen. Ich habe gehört, daß er in Homestead mit so einem Iwan in der Zelle gesessen hat. Und daß dieser Iwan ein paar wichtige Connections in New York hat. Ich habe keine Lust, Delano eins aufs Maul zu geben und mir diese russischen Bastarde auf den Hals zu ziehen. Die stehen drauf, Leute umzubringen. Ich glaube, da stehen sie sogar noch mehr drauf als aufs Geldmachen. Na ja, was drinsteckt, steckt eben drin. Leute umbringen hat bei denen Tradition. Geldmachen nicht.»

«Der Name seines Zellengenossen war Einstein Gergiev», rapportierte Figaro. «Er wurde Einstein genannt, weil er Physiker und Computerexperte war, bevor er in die Mafiageschäfte einstieg. Zuerst in Rußland und dann hier in Florida.»

«Cleveres Bürschchen, hm?»

«Er hat irgend so einen Partnerschaftsschwindel zwischen den beiden Städten angezettelt.»

«Welchen Städten?»

«Den beiden St.Petersburg.»

«Das eine am Golf von Mexiko kenne ich ja, aber wo liegt das andere?»

«In Rußland. Nordrußland.»

«Nie gehört.»

«Muß ein ganz schönes Ding gewesen sein. Soll die Stadt St.Petersburg – die in Florida, meine ich – ein paar Millionen Dollar gekostet haben.»

«Tatsächlich?»

«Jedenfalls wurde Gergiev vor sechs Monaten entlassen und nach Rußland zwangsrückgeführt. Aber ich wußte nicht, daß er Connections in New York hat.»

«Alle Rußkis hängen dort drin. Brighton Beach. Müßten Sie mal sehen. Die reinste Rußki-Kolonie. Klein-Odessa nennen sie’s. Dort oder in Israel. Tel Aviv. Die Hälfte von all den Juden, die Rußland verlassen haben, sind organisiert. So sind sie überhaupt erst an das nötige Geld gekommen.» Nudelli zuckte die Achseln. «Ich habe da einen Cousin in Tampa. Vielleicht kann der was über diesen Einstein rausfinden. Wo wohnt Delano jetzt?»

«Er hat gesagt, er wolle sich im Bal Harbor Sheraton einquartieren.»

«Ein nettes Beach-Hotel. Mit Stil. Das Fontainebleau kann man ja mittlerweile vergessen.»

Nudelli richtete sich auf. Der Kellner war jetzt in Sicht.

«He, du da, Elia. Komm her.»

Als der Kellner Tony Nudelli erblickte, drückte er sich rückwärts zur Tür wie ein Quarterback, der einen ungedeckten Receiver sucht. Gleich darauf war er zur Tür hinaus und rannte durch den pseudomediterranen Hof in Richtung Biscayne Bay.

«Du liebe Güte», wieherte Nudelli. «Was hab ich denn gesagt?»

5

Das Meer hatte Dave gefehlt, und sei es nur in der überfüllten, von Booten wimmelnden Version vor Miami Beach. Plattgequetscht zwischen dem hellblauen Himmel und dem rosa Steinstaub, der hier als Sand firmierte, rollte das schlangenhautgraue Meer in weißen Kritzellinien auf ihn zu. In Homestead hatte er sich oft vorgestellt, dieses Bild wiederzusehen. Aber es war nicht der ersehnte Anblick des Ozeans, der das Freiheitsgefühl in ihm aufwallen ließ, sondern der damit einhergehende Salzgeruch und das urtümliche, atemähnliche Geräusch. Das hatte er ganz vergessen gehabt. Innerhalb der vier Wände seiner Hotelsuite war es, bei allem Luxus, nur zu leicht gewesen, die alptraumhafte Enge seiner Zelle heraufzubeschwören, so wie ein Amputierter noch immer das abgetrennte Glied spürt. Er hatte nur die Augen zu schließen und auf die klimatisierte Stille zu horchen brauchen. Aber hier am Strand, wo die Meeresgeräusche und -gerüche in sein Bewußtsein drangen, wo er den Wind in seinem ordentlich geschnittenen Haar spürte und die Spätnachmittagssonne sein glattrasiertes Gesicht wärmte wie eine riesige Warmhalteglocke, war es unmöglich, sich woanders besser zu fühlen als draußen. Dave legte sich auf sein Badehandtuch und sog in tiefen Zügen den Himmel ein. Er las nicht einmal. Seine vernachlässigten übrigen Sinne erlaubten ihm nicht, sich auf irgend etwas anderes zu konzentrieren als darauf, wo er war und was das bedeutete. Ein paar Tage Ausspannen in Bal Harbor würden helfen, die Mauern in seinem Kopf abzubauen. Danach konnte er sich dann an die Arbeit machen.

Willy «Four Breakfasts» Barizon hatte seinen Spitznamen von jenem Morgen, als er in einem Denny’s an der Lincoln Avenue vier komplette Frühstücke – jeweils bestehend aus zwei Spiegeleiern, zwei Streifen Speck, einer Bratwurst und Bratkartoffeln – verdrückt hatte. Mit seinen eins neunzig Körperlänge wog er in Shorts gut zwei und in voller Bekleidung knapp zweieinviertel Zentner, wobei die Differenz vor allem auf die beiden Pistolen zurückging, die er unter dem losen Hawaiihemd trug. Seine Zunge war ein paar Nummern zu groß für sein Gesicht, weshalb er zur einen Seite seines feuchtglänzenden Mundes heraus redete, als hätte er immer noch eins seiner Frühstücke in der anderen Backentasche wie einen Priem. Sein schwarzes Haar war naturgelockt, wirkte aber aufgrund der Frisur wie eine frische Dauerwelle. Kleine Dreadlocks baumelten vor den mächtigen Ohren wie bei einem chassidischen Juden. Als Volksausgabe eines Riesen war Willy Barizon nicht gerade leicht zu übersehen. Außerdem war es schon eine ganze Weile her, daß er diese Art Job gemacht hatte, und er hatte vergessen, wie man unauffällig vorging. Im Eistransportgeschäft war es nur darum gegangen, Eindruck zu machen. Ungemütlich auszusehen, wenn man zum Kassieren aufkreuzte, war praktisch schon alles. Es kam selten vor, daß man tatsächlich handgreiflich werden mußte.

Dave bemerkte Willy sofort. Oder besser gesagt, er bemerkte den Blick, den der Hoteldiener dem massigen Mann zuwarf, als er, Dave, aus dem Hotelrestaurant trat, um den Portier zu bitten, das Fax, das er beim Essen fein säuberlich in kyrillischen Lettern aufgesetzt hatte, für ihn abzuschicken. Nach fünf Jahren Homestead hatte Dave Augen im Hinterkopf. Der Hoteldiener hätte dem Hünen ebensogut einen Neonpfeil in die Brust schießen können. «Der da, der ist es.»

Dave stieg in einen Lift, zusammen mit einer Frau mit einem Haarturm, so hoch wie eine Kochmütze. Was hatten die Frauen in Miami nur mit diesen Monsterfrisuren? Ein Auge auf dem Haargebilde und dem hutzligen Püppchen darunter, drückte er den Knopf für sein Stockwerk und wich dann ins Innere des Lifts zurück, während die Frau ihr Fahrtziel wählte. Dann trat sie zur Seite, als Willy Barizon zu ihnen stieß. Ein, zwei Sekunden vergingen, bis er daran dachte, auch einen Knopf zu drücken, was Dave mehr oder minder bestätigte, daß der Hüne ihn abgepaßt hatte, um ihm auf sein Zimmer zu folgen. Aber das Motiv blieb ihm schleierhaft. Kein Cop, soviel war sicher. Ein Cop hätte ihn sich gleich unten in der Halle geschnappt. Aber warum auch? Verdacht des schweren Autodiebstahls? Als die Aufzugtür zuglitt, wandte Dave sich Willy Barizon zu und streckte ihm das Handgelenk mit der Uhr hin, die er am Nachmittag in Bal Harbor gekauft hatte.

«Siehst du diese Uhr, Mann?»

«Was?»

«Uhr. Ticktack. Das hier ist ein Breitling-Chronograph. Die beste Armbanduhr der Welt.»

Püppchen tat, als wäre er gar nicht da.

«Die Rolex-Dinger kannst du vergessen. Ich meine, die sind doch nur was für Typen im Film. Und für National Geographic