Der Prozeß Jesu - Christian Chmelensky - E-Book

Der Prozeß Jesu E-Book

Christian Chmelensky

0,0
29,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: GRIN Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2002
Beschreibung

Examensarbeit aus dem Jahr 2002 im Fachbereich Theologie - Historische Theologie, Kirchengeschichte, Note: 1,0, Technische Universität Berlin (Institut für Geschichtswissenschaften), Sprache: Deutsch, Abstract: Der Prozess Jesu, das von Pontius Pilatus ausgesprochene förmliche Todesurteil und die Vollstreckung der Kreuzigung: Kaum ein Forschungsgegenstand der christlichen Exegese steht bis heute mehr im Kreuzfeuer der Diskussionen der Religionswissenschaftler. Im Zentrum des Interesses steht dabei die Frage nach den Verantwortlichen am Tode Jesu sowie den Hauptursachen für seine Hinrichtung. Unter Einbezug älterer wie neuester Erkenntnisse zum Thema gelingt Christian Chmelensky der Spagat zwischen den juristischen und philologischen Aspekten: Von der evangeliaren Entwicklung der Texte, dem Prozessrecht der Mischna bis hin zu den damaligen Rechtsverhältnissen des Römischen Reiches. Seine ausführliche und klar strukturierte Diskussion der unterschiedlichen Quellenaussagen führt dem Leser die Gründe für die unterschiedliche Darstellung des Vorganges vor Augen. Vor allem jedoch verdeutlicht sein Buch klar und verständlich, weshalb die Forschung, die primär von Theologen angeführt wird, nie eine einheitliche Position bezogen hat. Mit seiner sorgfältigen und sachlich fundierten Betrachtung der Hintergründe des Prozesses bringt der Autor Licht in die Vielzahl der stark divergierenden Positionen. Eine lesenswerte Lektüre, nicht nur für Theologen, Geschichts- und Religionswissenschaftler. Auch allen biblisch Interessierten, bietet das Buch eine "spannend gemachte" (Prof. Dr. Dahlheim) Analyse und wissenswerte Antworten. "Der Verfasser leistet einen notwendigen Beitrag zur historischen und theologischen Abklärung zur römischen Verantwortlichkeit am Tode Jesu. Vorhandene Vorurteile zur jüdischen Beteiligung und Antijudaismen [...] können vom Leser konsequent abgebaut werden." (Prof. Dr. Hubert Frankemölle, Universität Paderborn) ‑[...] Christian Chmelensky faßt knapp und verständlich zusammen, was jedermann zu beachten hat, der sich ernsthaft mit der Materie auseinandersetzen will. (Prof. Dr. Werner Dahlheim)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis
II. Der Prozeß
1. Das Verfahren vor dem Synhedrion
2. Die evangeliare Anklage des Synhedrions
3. Das historische Motiv der Synhedristen
4. Das ius gladii und die Frage der Kapitalgerichtsbarkeit
6. Die Vollstreckung des Urteils
Jesus von Nazareth - Leben und Tod eines jüdischen Wanderpredigers
1. Quellen
2. Literatur

Page 1

Page 3

I. Einleitung: Die Quellen - Die Frage nach einerUrpassion

Als Jesus eine Woche vor Beginn des Passafestes ca. 30 n.Chr. nach Jerusalem zog, waren die Erwartungen seiner Jünger ganz auf das nahe Gottesreich gerichtet. In ihm würde ihr Herr eine zentrale Rolle einnehmen; gemeinsam würden sie ein großes Mahl, das eschatologische Festmahl, feiern. Daß jedoch am Ende dieser Woche die Verhaftung, Verurteilung und der Kreuzestod ihres Rabbis stand, muß ihnen ein traumatisches Erlebnis gewesen sein.1Wie Mk 14,50 glaubhaft berichtet, flohen die Jünger nach der Verhaftung ihres Herrn; vermutlich gingen sie zurück in ihre Heimat.2Es bestand die Gefahr, daß die jüdische Sekte der Christen wieder verschwinden würde, ohne eine Spur in der Geschichte zu hinterlassen. Doch was zuerst ein riesiges Problem darstellte, sollte der neuen Religion bald ihren tiefen, ureigensten Sinn verleihen: Bis heute ist es der zentrale christliche Grundgedanke, daß der Auferstandene durch seinen Tod am Kreuz die Menschen erlöst habe.

Den frühen Gemeinden war es daher ein notwendiges Bedürfnis, von dieser Erlösungstat auf das Genaueste zu lesen. Dies berücksichtigend, wurden die ersten Evangelien niedergeschrieben. Welche Bedeutung der Passion dabei von Anfang an zukam, zeigt der Bericht des ersten Evangelisten: Markus legt das Gewicht seiner Schrift, die er um 70 n.Chr. verfaßte, ganz eindeutig auf die Verhaftung, den Prozeß, die Kreuzigung und Auferstehung Jesu und schuf damit „ein Evangelium, das man als Passionsgeschichte mit ausführlicher biographischer Einleitung charakterisieren könnte“.3

Warum allerdings, so stellt sich sofort die Frage, wurde dieser erste eingehende Bericht über Lehre, Tod und Auferstehung Jesu verhältnismäßig spät - rund 40 Jahre nach den Ereignissen - niedergeschrieben? Der Grund liegt in der Parusieerwartung der ersten Christen, die noch mit der festen Zuversicht einer raschen Wiederkehr ihres Herrn lebten: „Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschehen sein wird“ (Mk 13,30), und daher keine Notwendigkeit in einer geschlossenen schriftlichen Fixierung seines Wirkens sahen. Die Christen der ersten Generation vertrauten auf die mündliche Überlieferung, der die Menschen der Antike ohnehin einen höheren Wahrheitsgeha lt zuschrieben als der schriftlichen. So tradierte man vor allem die Sprüche (Weisheitssprüche, prophetische und apokalyptische Aussagen, Gesetzesworte, Gemeinderegeln, Gleichnisse) und Wundertaten des Herrn in komplexeren Spruchsammlungen, allesamt getragen von heilsgeschichtlicher Hoffnung. Ihre einzelnen Sequenzen (Perikopen) waren meist kurz und einprägsam und

1Die Emmausgeschichte zeigt deutlich, welch eine Katastrophe die Hinrichtung Jesu für die Jünger bedeutete:

Sie hatten eine irdisch verstandene Erlösung Israels erwartet, vgl. Lk 24,21.

2Vgl. Mt 28,16.

Page 4

wurden in der Regel durch christliche Wanderprediger oder Gemeindeautoritäten zur Erbauung und Unterweisung vorgetragen oder in Debatten mit Gegnern eingesetzt. Erst in dem Moment als die ersten Jünger und Weggefährten Jesu aus der Welt schieden ohne daß der Herr wiederkehrt war, verabschiedete man sich langsam von der Hoffnung auf ein bald hereinbrechendes Gottesreich und begann damit, das bisher mündlich Überlieferte, schriftlich für nachfolgende Generationen festzuhalten. Ein Beispiel für eine solche Spruchsammlung ist die durch die Forschung weitestgehend rekonstruierte Logienquelle Q, die um 45 n.Chr. entstand und wahrscheinlich auch schriftlich fixiert wurde.4Matthäus und Lukas nutzten sie um 90 n.Chr. als Quelle für die Abfassung ihrer Evangelien. Allerdings ist es ein Merkmal dieser Quelle Q und auch anderer Spruchsammlungen, daß sie keinen Passionsbericht enthält. Doch warum?

Am besten läßt sich diese Tatsache wohl mit der Motivation des Missionars Paulus erklären. Bei ihm, der von einem unvergleichlichen missionarischen Eifer getrieben wurde, erkennt man die fast hektische Absicht, noch so viele Menschen als möglich zum Heil zu führen, bevor das unmittelbar bevorstehende Gottesreich die diesseitige Welt ablösen würde. Diese Sicht der Dinge, die man für die ersten Christen im Allgemeinen annehmen darf, deckt sich mit dem zentralen Thema der Logienquelle: Die Heilserwartung steht bei ihr im Zentrum. Es scheint also konsequent, wenn man sich - zwecks Missionierung - auf die Botschaft des Herrn, d.h. seine Prophezeiungen, Gleichnisse etc., konzentrierte. Denn sie allein beschrieb den Weg zum Heil. Die äußeren Umstände, also etwa die detaillierte Schilderung der Erlösungstat mit dem vorausgehenden komplizierten Prozeßverfahren, der Kreuzigung und der anschließenden Grablegung Jesu mußten dafür in den Hintergrund treten. Die Praxis der mündlichen Tradition verlangte es, Schwerpunkte zu setzen, zu reduzieren also, wollte man seinen Zuhörern tatsächlich das Wesentliche vermitteln.5Wenn dies aber erklärt, warum um 45 n.Chr. Spruchsammlungen entstanden, die wie Q keine Passionsgeschichte beinhalteten, so stellt sich eine neue Frage: Woraus schöpften die Evangelisten ihre Informationen, wenn sie von den letzten Stunden Jesu berichteten?

3Theissen/Merz, S. 43.

4Die Logienquelle Q ist erkennbar aus mehreren kleinen Sammlungen heraus gewachsen. Vgl. Theissen/Merz,

S. 44.

5So verliert sich auch Paulus nicht in Details, wenn er die Erlösungstat in seinen Briefen an die Gemeinden

anspricht. Er beschreibt das aus seiner Sicht Wesentliche: „Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der

Schrift....“ (1. Kor 15,3). Deutlich wird hier schon der Bezug zur alttestamentlichen Prophetie, die man als ganz

auf Jesus Christus ausgerichtet verstand.

Page 5

Die sog. Zweiquellentheorie geht davon aus, daß Matthäus und Lukas außer der Quelle Q noch das Markusevangelium vorlag.6Da in ihm schon eine ausführliche Passion mit Verhaftung, Prozeß, Kreuzigung und Grablegung enthalten war, orientierten sich beide an Markus. Besonders Matthäus zeigt eine ausgesprochene Nähe zum ersten Evangelisten; er überliefert eine fast wortgetreue getreue Kopie der Markuspassion. Wie wir sehen, hä ngen also letztendlich alle drei Synoptiker in Bezug auf die Passion von ein und derselben Quelle ab: Markus direkt, die anderen beiden indirekt über Markus. Stellt sich also die Frage nach der Quelle des Markus. Hierzu gibt es in der Forschung zwei grundverschiedene Auffassungen, und letztendlich läßt sich die Frage bis heute nicht zufriedenstellend beantworten.

Die eine These besagt, daß es vor Markus keine zusammenhängende Passionsgeschichte gegeben habe. Markus selbst sei der „Schöpfer der Passionsgeschichte“. Er habe sie erst um 70 n.Chr. mit der Abfassung seines Evangeliums aus lauter fragmentarischen Überlieferungen und Anekdoten konzipiert. Diese Meinung wird z.B. von E. Linnemann vertreten. Eine zweite These, für die vor allem von G. Theissen und R. Pesch stehen, geht von Markus als einem „konservativen Redakteur“ aus. Demnach hat Markus, von wenigen Änderungen abgesehen, einen bereits vorhandenen, umfangreichen Passionsbericht übernommen. Dieser Bericht sei vor 37 n.Chr. in Jerusalem entstanden und niedergeschrieben worden.7Obwohl sie reizvoll erscheinen mag, läßt sich die These von einer „...zusammenhängende(n) Passionsgeschichte, die wahrscheinlich schon schriftlich vorlag....“8, nicht beweisen. Hinzukommt, daß die oben ausgeführten Modalitäten der mündlichen Überlieferung mit losen Spruchsammlungen, die für die erste Generation der Christen charakteristisch waren, dieser These widersprechen. Setzt man die Fixierung der Passionsgeschichte vor 37 n.Chr. an, so muß man auch nach den Motiven der Verfasser fragen. Solche sind jedoch - wie oben bereits erläutert - nicht erkennbar. Dennoch: Eine ältere und sehr wahrscheinlichmündlichePassionstradition hinter den vier evangeliaren Passionen wird man annehmen müssen, denn Markus muß aus irgendeinem Wissensfundus geschöpft haben; ganz gleich wie lückenhaft oder vollständig dieser auch immer war. Das entscheidende Argument dafür ist die Tatsache, daß die Ereignisfolge in allen vier Evangelien gleich ist: Die Verhaftung Jesu auf dem Ölberg, seine Abführung zum Hohepriester, eine Verhandlung vor den Juden, eine Verhandlung vor

6Ferner weisen beide einen Teil individuellen „Sondergutes“ auf, der wohl aus kleineren Einzeltraditionen

stammt, vgl. Theissen/Merz, S. 45ff.

7Das Jahr 37 n.Chr. wird alsterminus ante quemangenommen, weil der ohne Namen eingeführte Hohepriester

in der Erzählung identisch mit dem gegenwärtig amtierenden sein muß. Andernfalls hätten beide ihn namentlich

von dem gegenwärtig amtierenden Hohepriester, absetzen müssen, vgl. Theissen/Merz, S. 392. Kaiphas, der zur

Zeit der Verurteilung Jesu das Amt des Hohenpriesters bekleidete, wurde 36 n.Chr. abgesetzt.

8Theissen/Merz, S. 43.

Page 6

dem Römer Pontius Pilatus mit abschließendem Todesurteil, Kreuzestod und Grablegung.9Letztlich aber bleibt dem Historiker als Grundlage nur das Markusevangelium als älteste, historisch verwertbare Quelle unter den Synoptikern.

Stellt sich noch die Frage nach dem Evangelium des Johannes. Der Verfasser folgt ganz offensichtlich durchweg einer anderen Tradition. Es zeigt deutliche Unterschiede zu den Synotikern.10Daher scheint die Schrift auf den ersten Blick für die Forschung verlockend, könnte sie doch auf die Frage nach der historischen Passion ganz neue Antworten liefern. Doch das Gegenteil ist der Fall. Das Evangelium des Johannes muß aus zweierlei Gründen für die Rekonstruktion der historischen Verhältnisse äußerst kritisch betrachtet werden. Zum einen entstand es um 120 n.Chr. und ist damit von den Ereignissen am weitesten entfernt. Zum anderen ist der Bericht des Johannes als gnosisnahes Evangelien innerhalb der kanonischen Evangelien am stärksten von einem theologischen Interesse geprägt, was zuerst David Friedrich Strauß („Leben Jesu" von 1835/36) erkannte.11Bei größter Unterschiedlichkeit im Detail zeigt sich aber zwischen der Johannespassion und der synoptischen Passion im Kern Übereinstimmung, was wiederum auf eineUrpassionhindeutet, die bei dermündlichenWeitergabe in den Details eine z.T. enorme Abwandlung erfuhr. Daher wird diese Arbeit, wo nötig, das Evangelium des Johannes in die Überlegungen einbeziehen. Hauptsächlich aber wird sie sich auf das Evangelium des Markus stützen, und die anderen Evangelisten nur dort zu Rate ziehen, wo ihre Überlieferung von Markus abweicht. Außerdem sind die außerbiblischen Quellen - allen voran Flavius Josephus und Tacitus sowie die rabbinische Literatur, d.h. Talmud und Mischna - von entscheidender Bedeutung für die Analyse. Mit ihrer Hilfe lassen sich die Schilderungen der Evangelisten kritisch prüfen. Ziel ist es, die theologischen und politischen Tendenzen aus den Evangelien heraus zu filtern, um am Ende zu einem historisch wahrscheinlichen Ablauf der Ereignisse zu gelangen. Weiter soll der Konflikt, der letztlich zu dem Prozeß und der Hinrichtung Jesu geführt hatte, erläutert werden. Dabei gilt es nicht die Schuldfrage, wohl aber die Verantwortlichkeiten, Zuständigkeiten, Funktionen und Motive der beteiligten Parteien am Prozeß Jesu näher zu beleuchten.

9Von einer solchen, egal ob schriftlich oder mündlich vorliegenden,Urpassiongeht auch Joachim Gnilka aus,

vgl. Gnilka, Jesus Christus nach frühen Zeugnissen des Glaubens, S. 117ff.

10Das Johannesevangelium zeigt als gnosisnahes Evangelium deutliche Unterschiede zu den Synoptikern. Die

Unterschiede sind so gravierend, daß man es nicht in einer Synopse neben die drei anderen legen kann: Es

ergeben sich kaum entsprechende Textpassagen. Dies gilt auch für die Passion des Johannes, obwohl hier noch

die meisten Übereinstimmungen festzustellen sind.

11Vgl. Franz-Josef Ortkemper, Was wir von Jesus wissen (können). Die Geschichte der Leben - Jesu -

Forschung, aus:http://www.kath.de/nd/kmf/akng/lebjesu.htmvom 14.12.2001. Dennoch gibt es in der

Forschung immer wieder die Bemühung, hinter der Johannespassion eine andere und ältere Tradition zu

erkennen, die den höheren historischen Wahrheitsgehalt aufweist, vgl. Theissen/Merz, S. 49f.388-414.

Page 7

II. Der Prozeß

„Wiederum fragte ihn der Hohepriester und sagte zu ihm: Bist du der Christus, der Sohn des Hochgelobten? Jesus aber sprach: Ich bin´s....” (Mk 14,61f). Dieses Bekenntnis des Angeklagten lieferte endlich den vom Hohepriester und dem ganzen Synhedrion ungeduldig erwarteten Grund für die Verurteilung des Nazareners. Der Prozeß des Jesus von Nazareth vor den „Vornehmsten” des jüdischen Volkes war in den frühen Morgenstunden zu Ende gegangen. In seinem nächtlichen Verlauf hatte man verschiedene Vorwürfe gegen ihn vorgebracht, und zahlreiche Zeugen waren aufgetreten, um ihn einer Schuld zu überführen. Doch „die Zeugnisse waren nicht gleich” (Mk 14,57), sie widersprachen sich; und so gelang es der Versammlung der Schriftgelehrten, Hohenpriester und Ältesten nicht, eine in sich schlüssige und stichhaltige Anklage gegen Jesus vorzubringen. Erst das Bekenntnis Jesu, er sei der Christus, brachte eine Wendung in das Geschehen: Der Hohepriester zerriß seine Kleider und sagte: „Was bedürfen wir weiter Zeugen? Ihr habt die Lästerung gehört. Was meint ihr? Sie alle aber sprachen das Urteil über ihn, er sei des Todes schuldig” (Mk 14,64). Die jüdische Behörde lieferte ihn in den frühen Morgenstunden an den römischen Präfekten Pontius Pilatus aus, wo ihm abermals der Prozeß gemacht wurde. Dieser aber, versuchte einiges - so wollen es die Evangelien -, um den Mann aus Galiläa dem Tode zu entreißen, „denn er erkannte, daß ihn die Hohenpriester aus Neid überliefert hatten” (Mk 15,10). Doch scheiterte Pilatus am Verhalten des Angeklagten, der zwar die Frage: „Bist du der König der Juden?” (Mk 15,2) bejahte, danach aber, zum Staunen des Statthalters, jede weitere Aussage verweigerte. Nun war es aber gerade die Zeit des Passafestes, und es bestand der Brauch, daß der Statthalter zu jedem Fest einen Gefangenen freiließ. Pilatus stellte die Volksmenge vor die Wahl: Barrabas oder Jesus? Das Volk entschied sich für die Freiheit des Barrabas, und auch auf Nachfrage des römischen Statthalters, was er denn mit dem Mann tun solle, den sie König der Juden nannten, war das Urteil der Menge eindeutig: „Kreuzige ihn!” schrien sie überlaut (Mk 15,14). Das Urteil wurde umgehend durch ein römisches Exekutionskommando vollstreckt. Das Verbrechen, dessen sich Jesus von Nazareth vor dem römischen Statthalter schuldig gemacht hatte, ist ebenfalls durch die Evangelien überliefert: „Und die Aufschrift mit der Angabe seiner Schuld lautete: Der König der Juden” (Mk 15,26). Dieser dem Bericht des Markus entnommene Prozeßverlauf deckt sich in den wesentlichen Punkten mit den drei anderen kanonischen Evangelien; dabei finden sich jedoch im Detail mitunter erhebliche Unterschiede. Wenigstens drei handelnde Parteien sind aber allen Berichten gleich: Die Jerusalemer Lokalaristokratie, der römische Statthalter und das Volk.

Page 8

1. Das Verfahren vor dem Synhedrion

Alle Evangelisten sind sich in ihren Berichten darüber einig, daß die Jerusalemer Lokalaristokratie als eine Art erste Instanz des Verfahrens am Prozeß gegen Jesus beteiligt war. Sie wurde auf ihn aufmerksam, ergriff und verhörte ihn, bevor sie ihn schließlich an Pilatus auslieferte. Pilatus dagegen war in letzter Instanz für die Hinrichtung verantwortlich. Es gibt keinen Grund, an diesem Instanzenweg zu zweifeln. Er war durchaus üblich, wie das bei Josephus erwähnte Vorgehen gegen den Unheilspropheten Jesus ben Hanan zeigt: Dieser „ungebildete Mann vom Lande“ wurde, als er vier Jahre vor Ausbruch des Krieges (62 n. Chr.) am Laubhüttenfest sein „Wehe über Jerusalem!“ am Tage und in der Nacht, „in allen Gassen“ umherlaufend, hinausschrie, von einigen angesehenen Bürgern ergriffen. Er wurde von den „Obersten“ verhört und mit der Geißelung bestraft, bevor sie ihn an den römischen Prokurator Albinus übergaben, der ihn „bis auf die Knochen durch Peitschenhiebe zerfleischt(e)“ und schließlich - „von seinem Wahnsinn überzeugt” - laufen ließ.12Auch im Falle des Jesus von Nazareth beschreiben die Synoptiker die jüdische Instanz ausdrücklich als Versammlung des Synhedrions, denn „alle Hohenpriester und Ältesten und Schriftgelehrten kamen zusammen” (Mk 14,53)13. Gerade diese drei Gruppen bildeten zusammen das Synhedrion, die oberste jüdische Verwaltungsbehörde in Judäa, an deren Spitze der amtierende Hohepriester stand.14Zur Zeit der Verurteilung Jesu hieß der Hohepriester Joseph Kaiphas (18-36 n.Chr.). Es waren vor allem zwei wesentliche Aufgaben, die dem Synhedrion zukamen:

1. Die innere Verwaltung Judäas mit der Vertretung des jüdischen Volkes vor dem römischen Statthalter.

2. Die Aufsicht über den Kult in Jerusalem, d.h. die Verwaltung des Tempels, an den jeder Jude in der Welt eine jährliche Steuer in Höhe einer Doppeldrachme zu entrichten hatte. Zu diesem Zweck waren dem Synhedrion seitens der römischen Besatzer auch judikative Befugnisse zugestanden worden; nur die Kapitalgerichtsbarkeit lag allein bei den Römern. Obwohl das Synhedrion offizielle Befugnisse nur in Judäa besaß, erstreckte sich sein Ansehen natürlich durch die Tempelverwaltung weit darüber hinaus. Dem Synhedrion gehörten außer ihrem Vorsitzenden 70 Mitglieder an.15

12Josephus, Jüdischer Krieg, 6,300-309.

13Ebenso Mk 15,55: „Die Hohenpriester aber und der ganze Rat...“.

14Außer dem amtierenden Hohenpriester gehörten dem Synhedrion ehemalige Hohepriester, Angehörige der

vornehmsten Priestergeschlechter, Vertreter der Priester- und Laienaristokratie, sowie Schriftgelehrte an, vgl.

Conzelmann/Lindemann, S. 136.

15Vgl. Conzelmann/Lindemann, S. 136.

Page 9

Nach Markus und Matthäus fand ein Prozeß des Synhedrions mit abschließenden Todesurteil statt.16Lukas dagegen berichtet nur von einem Verhör vor dem Synhedrion, jedoch ohne rechtsgültiges Urteil.17Und Johannes weicht noch weiter von der Darstellung ab: Er weiß weder etwas von einer Synhedrionssitzung noch von einem Urteil der jüdischen Seite. Nach Johannes wurde Jesus lediglich vom Schwiegervater des Kaiphas, dem ehemaligen Hohepriester Hannas, verhört.18Aufgrund der widersprüchlichen Überlieferung stellt sich also die Frage nach dem tatsächlichen historischen Vorgehen der jüdischen Seite gegen Jesus: War es eine ordentliche Prozeßsitzung des Synhedrions mit legalem Todesurteil? Dann müßte allerdings eine vollzählige Versammlung aller Mitglieder angenommen werden. Oder muß man die Verhandlung als eine Art Voruntersuchung verstehen, in der man Anklagematerial für den römischen Prozeß einsammelte? In diesem Fall hätte nicht das ganze Synhedrion zusammenkommen müssen; die Versammlung weniger Ratsmitglieder wäre ausreichend gewesen.

Der formal-juristische Aspekt des jüdischen Verfahrens

Untersucht man den formalen Ablauf des jüdischen Verfahrens, läßt sich aus den Evangelien folgendes erschließen: 1. Gegen Jesus wurde nachts verhandelt.19

2. Jesu „Prozeß“ fand nach der synoptischen Überlieferung in der Passanacht, nach Johannes in der Nacht des Rüsttages statt.

3. Jesus wurde gle ich in der ersten Prozeßsitzung verurteilt.

4. Die Sitzung fand im Palast (nach Mk/Mt) bzw. Haus (nach Lk) des Hohenpriesters statt.