Der Rhein. Geschichte und Sagen seiner Burgen, Abteien, Klöster und Städte - W. O. von Horn - E-Book

Der Rhein. Geschichte und Sagen seiner Burgen, Abteien, Klöster und Städte E-Book

W. O. von Horn

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Beschreibung

Neuausgabe des Buches aus dem Jahr 1875. - Über das Buch: Der in der Lesewelt durch seine anziehende, kernhafte und frische Erzählungsweise genugsam bekannte Spinnstubenschreiber (Pseudonym W. O. von Horn) sammelte am Rhein die Sagen unmittelbar aus dem Mund seiner Landsleute, spähte nach der Geschichte in den entlegensten Winkeln der Archive und Bibliotheken, und brachte die Frucht langjähriger Mühen und Studien in eine neue und sehr ansprechende Form. Wir finden in dieser reichen Ausbeute vieles, was bisher wenig oder gar nicht bekannt und zugänglich war. Das schöne Lesebuch, gar Reisehandbuch, bewegt sich lebhaft und in trefflicher Sprache erzählend von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart hin über alle wichtigen und interessanten Punkte auf beiden Ufern und in der nahen Umgegend des Rheins von Worms bis Köln. Eine vollständige und chronologisch geordnete Lokalgeschichte haben wir allerdings nicht vor uns, vielmehr eine Auslese der hervorragendsten Ereignisse, darunter auch wohl Romanhaftes oder durch Witz und Launen Ansprechendes. Alles aber schließt sich an die Schilderung der bezüglichen speziellen Lokalitäten an, treffliche Übergänge vermitteln, dass das Ganze nicht zur schroff begrenzten mosaikartigen Zusammenfügung von verschiedenartigen Bildern würde. Jeder Abschnitt besteht in einem einzigen meisterhaften Guss, soweit auch die darin vorkommenden Objekte der Zeit und der Sache nach aus einander liegen mögen. Die Bilder heben sich plastisch hervor, von organischem Leben und ansprechender Frische beseelt. Man vergisst, dass das Buch größtenteils mühsam aus vergilbten Pergamenten und Papieren zusammengetragen und so zu sagen in die neuere Sprache übersetzt ist; durchdrungen von dem eigenen Geiste des Verfassers, begrüßt seine wertvolle Darstellungsweise freundlich den Leser. Jedem wichtigen Punkt des Gebietes ist ein besonderer Abschnitt gewidmet, und hat jener ebenfalls Bedeutung in der Anschauung, so ist ein schöner Stahlstich beigefügt, welcher das Gesehene treu vergegenwärtigt. Allen Bildern liegen ganz neue, an Ort und Stelle aufgenommene Zeichnungen zugrunde. Seine Lektüre wird hoffentlich vielen Lesern, und möchten sie auch nicht alle den Rhein bereisen können, reichen Genuss gewähren. Es eignet sich zugleich sehr zum schönen und lehrreichen Geschenk. (nach: Westermann's Jahrbuch der Illustrierten Deutschen Monatshefte. 22. Band / 6. Band (neu), S. 283/284)

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Worms

Oppenheim

Mainz

Schloss Biebrich

Ingelheim

Die Burg Scharfenstein bei Kiedrich

Die Abtei Eberbach

Der Johannisberg

Burg Vollraths bei Oestrich im Rheingau

Die Städtchen und Dörfer des Rheingaus

Schierstein

Walluf

Elfeld, Eltville

Erbach

Hattenheim

Reichartshausen

Oestrich

Mittelheim

Winkel

Geisenheim

Bingen und Rüdesheim, die Rochuskapelle, Klopp, Rupertsberg, der Mäuseturm und Ehrenfels mit ihrem Sagenkreis

Rheinstein

Die Burg Reichenstein und die Clemenskirche

Die Burg Sooneck (Sonneck)

Die Heimburg bei dem Dorf Niederheimbach, Lorch gegenüber auch wohl Hohneck und Hoheneck genannt

Lorch

Die Burg Fürstenberg bei Rheindiebach

Bacharach und Stahleck

Die Pfalz im Rhein und ihre Umgebung, Kaub und Gutenfels

Burg Schönburg und Oberwesel

Die Lorelay (Loreley) bei St. Goarshausen

Rheinfels mit St. Goar, der Katz und der Maus gegenüber

Die Burgen Sternberg und Liebenstein und das Kloster Bornhofen

Boppard

Die Burg Liebeneck bei Osterspai

Die Marxburg bei Braubach am Rhein

Der Königstuhl bei Rhense auf dem linken Ufer des Rheins, nahe am Strom

Die Burg Lahneck bei Lahnstein

Die Königsburg Stolzenfels am Rhein

Koblenz und Ehrenbreitstein

Die Burg Sayn bei Neuwied

Schloss Kunostein-Engers bei Neuwied

Neuwied

Friedrichstein, genannt »das Teufelshaus«, bei dem Dorf Fahr, unterhalb Neuwied

Kloster Laach und der Laacher See, Neuwied gegenüber

Andernach

Die Burg Hammerstein

Die Burg Rheineck

Die Burg Arenfels unterhalb Hammerstein, auf dem rechten Ufer des Rheins

Sinzig

Stadt Linz

Dattenberg und Ockenfels

Altes Linz

Die Burg Ockenfels

Apollinarisberg und Remagen

Drachenfels, Rolandseck und Nonnenwerth

Die Abtei Heisterbach im Siebengebirge, unweit Königswinter

Burg Godesberg bei Bonn

Bonn

Die Abtei Siegburg

Brühl

Köln

Vorwort

Das Buch, welches ich hier den Freunden unseres schönen vaterländischen Stromes vorlege, bedarf einiger einleitenden Worte, zunächst über seinen Zweck und die Art der Behandlung des Stoffes.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Reisehandbücher die Geschichte der Städte, Burgen, Abteien und Klöster des Rheines in der daran so reichen Ausdehnung des Stromgebietes zwischen den wichtigen Grenzpunkten Worms und Köln für viele zu kurz, zu fragmentarisch behandeln, und dass der reiche, herrliche Sagenschatz kaum berührt wird. Ich habe, seit nahezu einem halben Jahrhundert dem Rheinland innerhalb der bezeichneten Grenzpunkte angehörend, diesen Mangel oft selbst empfunden und öfter ihn bedauernd aus dem Mund anderer vernommen.

So erwachte der Gedanke und reifte zum Entschluss, diesem Mangel abzuhelfen. Zu dem Zweck habe ich sorglich und gewissenhaft viele Jahre geforscht und das Material gesammelt, welches ich hiermit den Lesern in Begleitung von zahlreichen und schönen Abbildungen (Stahlstiche von Carl Mayer aus Nürnberg) in einfacher und, wie ich zu hoffen wage, ansprechender Darstellung vorlege.

Indem ich gebildete Leser im Auge habe, insbesondere diejenigen, welche seit Jahren meine Schriften gerne lesen, (entstanden unter anderem etliche Volks- und Jugendbücher), habe ich’s mir zur Aufgabe gemacht, die Ergebnisse ehrlicher und sorgfältiger Forschung, ohne den sonst vielleicht wichtigen Zitatenballast, in einer Weise, die dem Bedürfnis nach Unterhaltung genügt, zu verarbeiten und die örtlichen Sagen ebenso darzustellen.

Der Kenner der Geschichte wird die treue Quellenbenutzung anerkennen, ohne dass er in diesem Buch die namentliche Erwähnung derselben findet. Dass sich freilich viele Lücken zeigten, die auszufüllen mir ebenso unmöglich war als anderen vor mir, bedarf keiner Erwähnung. Wer die Schwierigkeiten kennt, die Geschichte eines kleinen Punktes durch lange Zeiträume zu verfolgen, wird ein mildes Urteil fällen, ist er jedoch glücklicher gewesen als ich, sind ihm Quellen bekannt, welche das nötige Licht für solch dunkle Parthien darbieten, oder vermag er da, wo ich menschlich geirrt, mich zu belehren, so bitte ich aufs Herzlichste, mir das Mangelnde darzureichen und aufgefundene Irrtümer freundlich zu berichtigen. Ich werde beides mit der größten Dankbarkeit aufnehmen und gewissenhaft benutzen.

Und so sei das Buch freundlicher Aufnahme und wohlwollender Beurteilung empfohlen!

Wiesbaden, im November 1866. W. O. von Horn (W. Oertel)

Vorwort zur zweiten Auflage

Dem Wunsch des mittlerweile verstorbenen Verfassers entsprechend, hat sich der Herausgeber dieser zweiten Auflage der Mühe unterzogen, das historische Material eingehend zu sichten. Konnte gleich nicht alles berichtigt werden, weil sonst der eigentümliche Charakter mancher Darstellungen verwischt worden wäre, so haben doch, unbeschadet des Ganzen, wesentliche Punkte eine Korrektur erfahren.

Möge auch diese zweite Auflage sich einer gleich freundlichen Aufnahme erfreuen, wie die erste, besonders da ihre Ausstattung eine noch reichere und würdigere geworden ist.

Wiesbaden, im Mai 1874. Julius Niedner

Vorwort zur Neuausgabe

Mit der Reihe »Auf historischen Spuren« hat sich der Autor zur Aufgabe gemacht, Literatur vergangener Jahrhunderte für heutige Leser aufzubereiten und wieder verfügbar zu machen. Dabei werden Änderungen, die sich beispielsweise aus der Überprüfung historischer Fakten ergeben, schonend eingearbeitet und der Schreibstil des Verfassers möglichst unverändert übernommen, um den Sprachgebrauch der damaligen Zeit zu erhalten.

Das vorliegende Buch enthält gegenüber vorangegangener Ausgaben unter anderen Berichtigung kleinerer Irrtümer, die aus einer weiteren Recherche offensichtlich wurden, Ergänzungen aus der Sichtung zusätzlichem Datenmaterial, 67 weitere Bilder, die zur Veranschaulichung der in den Berichten erwähnten Einzelheiten beitragen.

Köln, im Februar 2019. gerik CHIRLEK

Abb. 1: W. O. von Horn (Sichling)

Abb. 2: Worms (Mayer)

Worms

Es ist ein ehrwürdiges Gebot: »Dem Alter die Ehre!« Diesem Gebot entsprechend, verweilen wir bei unsrer Rheinfahrt zuerst da, wo die uralte Sage und die wundersame deutsche Dichtung, eben dort, wo die Geschichte einen Strahlenkranz um die Mauerkrone der uralten Stadt Worms windet. Gönnen wir uns also den Moment der Ruhe und lassen die Aussicht auf uns wirken.

Sehen wir hin auf die Stadt und ihren Dom (Dom St. Peter zu Worms, kleinster der drei rheinischen Kaiserdome, hauptsächlich zwischen den Jahren 1130 und 1181 erbaut), auf ihre Liebfrauenkirche draußen, dann treten uns eine Reihe von Bildern entgegen, die uns hineinleiten in weite Zeitenferne. Wir erblicken im Geiste die rosige Kriemhilde und den riesigen Siegfried, das Königspaar, an dessen Hof sich eine dunkle Geschichte einfädelt; vor uns erscheint der Fiedler Volker und der finstre Hagen, in Summa das »Nibelungenlied« mit seinen Gestalten, mit seiner Liebe und seinem Leid, seinem Hass und seiner Rache, seinen Kämpfen und Siegen. Eine alte, sagenreiche Vergangenheit reckt das bleiche Haupt empor und fragt: Wo ist die Heimat meiner Geschichten? Wer ist der Dichter, der mit so gewaltiger Kraft das Herz zu fassen weiß und seine raue, wilde Zeit, die doch wieder so zarte, sinnige Züge hat, vor uns hinstellt, dass sie Leib und Leben vor uns gewinnt, eben weil sie Leib und Leben hatte?

Wo ist des großartigen »Liedes« Heimat? Hier, antworte ich, hier in dem pfälzischen Land, denn aus historischem Boden ist es erwachsen, kaum kann der, welcher den geschichtlichen Anhaltspunkten nachgegangen ist, sich die Gewissheit streitig machen lassen, dass in Worms der Dichter gelebt und Zeuge dessen gewesen ist, was hier spielt. Was das »Lied« sagt, wo willst du’s suchen, als da, wo es dir mit ernsten, historischen Zügen entgegentritt?

Dort hinten, gegen die Mosel hin, wo des Hochwalds dunkle Forsten sich über Berge und Täler ziehen, liegen die gewaltigen Trümmer der Burg Dhronecken (Thronecken), wo auch die Wiege des tückischen Mörders, des »grimmen Hagen«, stand, noch heute sich ankündigend als ein Burgbau, der tief, tief hinabreicht in das Dunkel der Seiten. Näher heran türmt sich über dem Städtchen Obermoschel die gewaltige Ruine der Burg »Landsberg« auf, wo urkundlich ein Rittergeschlecht erscheint, das durch sechs Geschlechtsfolgen den Namen der »Nibelungen« trägt – Nibelungus der Erste, Zweite usw. Drunten am Niederrhein tritt Siegfried, der heimische Recke auf, er badet sich im Blut des Drachen auf dem Siebengebirge und wird hörnen, unverwundbar bis auf die eine unheilvolle Stelle, wohin der Hauch des Abendwindes das Lindenblättchen weht und das härtende Drachenblut keine Stätte findet. Kennt ihr den »Drachenfels« mit seiner Höhle nicht, dahin die Sage den »Lindwurm« weist? Hier, im eisenreichen Land, schmiedet Siegfried sich selbst sein Schwert und kommt dann gen Worms an Gunthers Hof.

Drüben, landeinwärts liegt »Alzeia«, Alzey, die Heimat des »Fiedlers«, und noch vor wenigen Jahren, vielleicht noch heute, war im Schlussstein eines Torbogens am alten Kaiserpalast die »Fiedel« in uralter Form zu sehen. Jenseits des Rheins, Worms gegenüber, zieht sich der dunkle »Odinwald« hin, wo die »Recken« den Eber und Hirsch jagten. Noch heute zeigt das Volk einen im Waldesdunkel, aus einem kleinen Felsenkessel aufsprudelnden, klaren Quell und nennt ihn den »Siegfriedsbrunnen«, weil hier der »grimme Hagen« Siegfried den tötenden Jagdspieß in den Nacken stieß. Droben im Dahner Felsengebiet liegt die Ruine der Burg, die uns noch heute das Lied nennt, weil urkundlich ausgewiesen, genau den Namen tragend, den ihr des Liedes Dichter gibt, und nun Worms mit seinem Königshof, mit seinem Dom, mit seinem dem Volk noch heute bekannten und genannten »Rosengarten«! Da, nur da ist die Wiege des Heldenliedes, auf das wir stolz sein können, das aber dann vom geschichtlichen Boden in mythische Gebiete hinaustritt.

Aber ich frage: Kann ein Thüringer, kann überhaupt ein hier nicht heimischer Dichter sein Lied in diese Örtlichkeiten hineinlegen, die nur ein Heimischer kennen, so genau kennen kann, wie sie in Einzelzügen uns im Gedicht entgegentreten? Mir zieht, ich will es offen bekennen, bei dieser Gedankenreihe, bei diesen erwiesenen Tatsachen ein Dichterwort durch die Seele, das: »Was im Gedicht lebt, ist dagewesen!« Mir will aus all den kritischen Untersuchungen über das »Lied« und seinen Verfasser nur das Eine und dies Eine unumstößlich erscheinen: Des Liedes Wiege ist Worms, und des Liedes Dichter, wie viel Mythisches auch in den nebelgrauen Norden hinaufweist, ist ein Kind des von ihm genau gekannten Landes, eben ein Pfälzer, gewesen.

Ich weiß sehr wohl, wie diese kecke Behauptung angefochten werden wird, ich weiß sehr wohl, wie man, vom hohen Dreifuß herab, wegwerfend aburteilen wird, aber auch das weiß ich, dass der nüchtern Prüfende, klare Forscher es wohl der Mühe werthalten wird, den gegebenen Spuren sorglich nachzugehen. Ein kurz abweisendes, schneidendes Urteil ist leicht gefällt, aber Tatsachen kann es nicht zunichtemachen!

Mögen meine verehrten Leser mit mir übereinstimmen oder das anderswo zu finden glauben, was hier in einem Raum weniger Meilen, marksteinartig abgegrenzt, nah beieinanderliegt, das wohl bekannte Nibelungenlied gibt unserem alten Worms eine Bedeutung, wie sie poetisch herrlicher kaum eine andere Stadt wird aufweisen können, und diese Bedeutung ist echt deutsch und in ihrer Quelle unserem Volk ewig teuer.

Worms ist eine der ältesten Städte unseres rheinischen Landes. Denkt doch der Rabbi von Tudela der Stadt als einer uralten Wohnstätte ausgewanderter Israeliten, wenn auch vielleicht die alte Chronik der dortigen Synagoge nicht allzu genau in ihren Angaben sein dürfte, indem sie berichtet, dass zur Zeit der Zerstörung des ersten Tempels zu Jerusalem, etwa 588 Jahre vor der Geburt unsers Herrn, Juden hierher ausgewandert seien und eine Synagoge gegründet hätten. Ihre alten Thora’s, das sicherste Kennzeichen des Alters einer Synagogengemeinde, weisen bis in das hohe Altertum hinauf.

Auch Sagenhaftes knüpft sich an ihr Bestehen. Als sie in besseren Tagen in das teure Land der Verheißung heimgerufen und von dem Hohepriester mit dem Fluch und Zorn Gottes bedroht wurden, wenn sie nicht die hochheiligen drei Feste begingen, da beharrten sie im schönen »Wonnegau«, wie das Nibelungenlied das reichgesegnete Land am grünen Rhein nennt, und sagten als schlagende Antwort: »Sie wohnten im gelobten Land. Worms ist uns Jerusalem, unsre Synagoge ist uns der Tempel!« Was sie, in ihrer Auffassungsweise, zu solcher Antwort berechtigte, war der Umstand, dass sie, als sie aus der Heiligen Stadt gewiesen waren, Erde von der gottgeweihten Stätte mit sich genommen und die Erde ihres Gottesackers sowie diejenige, in welche sie die Fundamente ihrer Synagoge senkten, mit dieser heiligen Erde vermischt hatten. So war das Land der Verheißung hier, wo sie beteten und im Tod ruhten.

Wir wissen, dass das fanatische Mittelalter die Wormser Juden vielfach schonte, wenn sie anderweitig verfolgt wurden. Das hatte seinen Grund in einer List. Die Wormser Synagoge verbreitete das noch so unglaubliche Gerücht, dass, als Christus, der Herr, gekreuzigt werden sollte, alle Gemeinden der Welt gefragt worden seien, und die Wormser Synagoge allein nicht zugestimmt habe. So viel steht fest: Das Mittel half und trug gute Früchte.

Von den Kaisern, dessen getreue Kammerknechte sie allzeit waren, wurden sie besonders begünstigt, und nicht unerhebliche Privilegien waren Zeugnisse besonderen kaiserlichen Wohlwollens. Noch eine andere Sage berichtet von dem Ursprung der Judengemeinde in Worms, die wir, wenn auch ihre Entstehungszeit später fällt, doch hier nicht übergehen wollen.

Es ist durchaus bekannt, dass alte Adelsgeschlechter ihren Ursprung bis zur Arche Noahs zurückdatierten und sich der engsten Blutsverwandtschaft mit der Jungfrau Maria rühmten, sogar in Bildern diesen Behauptungen Aus- und Nachdruck verliehen.

Darunter gehört definitiv auch das ausgezeichnete alte Geschlecht derer von Dalberg, die uns als die »Kämmerer von Worms« urkundlich begegnen. Ihre Familienchronik sagt, ihr Ahnherr sei ein Vetter der Heiligen Jungfrau gewesen und zugleich Zenturio in der 22. römischen Legion. Er habe, sagt die Chronik, als diese Legion an den Rhein versetzt worden sei, Juden aus dem von Titus eroberten und zerstörten Jerusalem mit nach Worms gebracht, und zwar als seine Sklaven, habe ihnen aber in christlicher Großmut und Liebe die Freiheit geschenkt, und diese hätten nun die Synagogengemeinde gegründet. Damit würde nun freilich jenes »Weißbrennen« in Betreff der Kreuzigung des Herrn zusammenbrechen, aber das Volk glaubte wunderlicher Weise mehr den Juden als den »Vettern der Heiligen Jungfrau«, die streng genommen doch auch Juden gewesen wären. Ob die altadeligen Herren an diesen Stammesursprung dachten?

Ein gallischer Volksstamm bewohnte das gesegnete Land des »Wonnegaus«, und später finden wir den Volksstamm der »Vangionen« in ihren Sitzen unter römischer Schildherrschaft, und der Römer Klugheit gründete hier die Söldnerstation Borbetomagus, wo der Vangionen Hauptstadt war, um sich ihrer Treue zu versichern. So finden wir denn frühe römische Bildung und Sitte, römische Tempel und Bäder und alle die Spuren einer ansehnlichen Römerstadt, nebst denen eines Kastells, einer Festung, mit römischer Besatzung. Worms wurde römische Munizipalstadt mit allen Vorrechten einer solchen. Durch die Legion, welche hier ihre Stellung hatte, und die früher in Jerusalem gewesen ist, kam das Christentum früh nach Worms, und die christliche Gemeinde, deren Wachstum, wie überall im Römischen Reich, durch wiederholte blutige Verfolgungen nicht unterdrückt werden konnte, breitete den heiligen Christenglauben nach allen Richtungen hin aus.

Im vierten Jahrhundert nahm die Sache Gestalt an. Kaiser Constantin (auch Konstantin der Große genannt) ließ das Christentum zu, und im Jahre 346 erscheint ein Bischof Viktor von Worms, worin wohl ein Zeichen von der Bedeutung der Gemeinde liegt.

Von dieser Zeit an beginnen erschütternde Stürme. Die Streifzüge der Alemannen und ihrer Verbündeten, die Einfälle der Franken in Gallien berührten das schöne Land des »Wonnegaus« und erschütterten Worms aufs Heftigste. Die Züge der Vandalen, gegen die Römer am Rheinstrom und ihre blühenden Städte verderblich gerichtet, brachten Elend, Graus und Zerstörung auch für Worms, und erst als die Burgundionen sich dort niederließen, scheint eine bessere Zeit eingetreten zu sein. Worms ward ihre Hauptstadt, aber die Kultur konnte noch nicht tief bei ihnen Wurzel geschlagen haben, so wenig wie das Christentum, als Attilas raub- und blutgierige Horden wie ein zerstörender, verheerender Waldstrom daher brausten und Bildung und Wohlstand niedertraten. In den »Katalaunischen Feldern« brach Attilas Macht zusammen. Sein Volksheer floh zum Rhein und weiter zurück, und was sie beim Siegeszug übriggelassen, zerstörten sie auf der Flucht.

Ob auf diesem Rückzug die Hunnen den Hinweg wieder fliehend einschlugen, ist mehr als ungewiss, aber das ist sicher, dass nach diesem Zurückfliehen alemannische Stämme diese Gegenden besetzten und bewohnten, die dann sich der Franken Herrschaft beugten. In dieser Zeit war Worms die Hauptstadt des nach ihm benannten Wormsgaus und dieser die schönste Perle des fränkischen Herzogtums am Rhein.

Als das fränkische Reich geteilt wurde, verlor zwar Worms an Bedeutung, aber der Umstand, dass eine »Pfalz«, ein Königsbau, ganz nahe der Stadt sich erhob, brachte die Herrscher durchaus öfters hierher, und die weite Ebene bot Veranlassung, jene gewaltigen Volksversammlungen in der Nähe abzuhalten, die man »Maifelder« nannte.

Der Aufenthalt der Frankenkönige und Herzöge zeitweise, des Gaugrafen Sitz beständig sowie der eines Bischofs, musste auf das Aufblühen der Stadt umso mehr wirken, als Mainz sich nur schwer von den Verwüstungen der Vandalen und Hunnen zu erholen vermochte. Unter Dagoberts I. Regierung wurde die vor der Stadt gelegene Pfalz ein geistliches Stift, und in der Stadt erhob sich stolzer eine neue, ein Palast. Seitdem hielten sich die Könige öfter in dieser stattlichen »Pfalz« auf, und Worms hieß »die königliche Stadt«, wurde mit Freiheiten begabt, die auch der große Karl stets mehrte. Worms ging in dieser Weise einer großen Zukunft entgegen, als mit einem Mal alle glänzenden Aussichten vernichtet wurden. Die Königspfalz brannte nieder.

Das war ein schlimmer Wendepunkt für die Zukunft der Stadt, die geworden wäre, was Frankfurt ist.

Frankfurt und Aachen gewannen den Vorzug, und wenn auch Worms nicht ganz vergessen wurde, so war doch seines Hauptes Krone für immer dahin. Vergessen wurde es, wie gesagt, nicht, wenn es auch keine kaiserliche Pfalz mehr besaß. Gar manche wichtige Angelegenheit führte die Frankenkaiser in die Mauern der alten Stadt, und gar manche bedeutende Regierungsmaßregel fand hier ihre Erledigung auf Reichstagen, aber es drohten ihr auch Gefahren, wie das Vordringen der Normannen bis zur Stadt, wo ihnen indessen das Ziel ihrer Räubereien gesteckt wurde.

Die späteren deutschen Kaiser weilten öfters in dem von Conrad, dem rheinfränkischen Herzog, erbauten Palast, und Worms sah eine glänzende Zeit, als Heinrich II. im Jahre 1002 in seinen Mauern erwählt wurde.

In den Wirren zwischen Heinrich IV. und dem Papst stand Worms »in rechten Treuen« zu dem Kaiser, der hier eine Zuflucht fand, als alle von ihm abfielen. Gegen ihren Bischof blieben die Wormser des Kaisers treue Freunde. Von hier aus zog er gegen die Sachsen, hier ließ er von den versammelten Bischöfen den Papst Gregor VII. absetzen. In Worms blieb er, bis zum schweren, heillosen Zug nach Canossa. Von hier aus bekriegte er seinen Gegenkönig, zog nach Rom, kurz, alle bedeutungsschweren Ereignisse gingen von Worms aus, und immer waren die treuen Wormser um ihn und bei ihm, bis sein Stern erlosch.

Sein unwürdiger Sohn zeigte sich, es war kein Wunder, den Wormsern abgeneigt, änderte aber seine Gesinnung aus Klugheit, hielt zahlreiche Reichstage daselbst und erhöhte ihre bevorrechtete Stellung, ja als er die einer Bischofseinsetzung widerstrebende Stadt belagerte und eroberte, kürzte er die ihr erteilten und aus früheren Tagen stammenden Begünstigungen nicht.

Worms war groß, reich und mächtig geworden. Es vermochte durch eigne Kraft dem Landfriedensbrecher Hermann von Stahleck zu widerstehen, wie es anderen Dynasten widerstand.

Die Hohenstaufen hielten Worms hoch, die Stadt aber auch das Panier der Hohenstaufen. Eine mächtige Bewegung erregten in Worms die feurigen Kreuzzugspredigten Bernhards. Viele Männer und eine Schar blühender Jünglinge folgten Conrad ins Morgenland, aber das Andenken an sie ließ heiße Tränen fließen, denn sie fanden ihr Grab in dem Land der Verheißung, und dennoch folgten wieder Friedrich II. (geb. 1194 / gest. 1250) vierhundert streitbare Wormser ins Heilige Land, die gleiches Schicksal hatten. Tapfere Bürger waren sie immer, und so erscheinen sie auch in dem Kampf Conrads gegen Heinrich Raspe (Heinrich Raspe IV., geb. 1204 / gest. 1247) zahlreich und tapfer. Ebenso standen sie ihm in der Fehde gegen den Eppsteiner Sifrid (Siegfried III. von Eppstein, geb. 1194 / gest. 1249) zur Seite, der auf dem erzbischöflichen Stuhl zu Mainz saß. Das bekam ihnen freilich sehr übel, und es schien, als solle Worms von jener stolzen Höhe herabfallen, doch Conrad vergaß seiner treuen Wormser nicht. Er sandte Hilfe, die verbündeten Oppenheimer zogen zu, und Worms atmete wieder frei, aber der vertriebene Bischof schlich sich in die Stadt und suchte sich festzusetzen. Da standen die Bürger wie ein Mann auf und verjagten den Verhassten. Daraus entstanden neue Irrungen, neue Kämpfe, bis des Kampfes müde die Stadt sich zur Versöhnung neigte. Mit 2.000 Bürgern stritt die Stadt für Conrad gegen Wilhelm von Holland (geb. um 1228 / gest. 1256).

In der Stadt selbst brachten die bischöflichen Streitigkeiten immer neue Verwirrung, und der erzbischöfliche Bann drückte sie, bis Kaiser Conrad seinem Vater wenige Jahre später im Tod folgte, und Worms sich mit Wilhelm von Holland einigte. Allmählich kehrte wieder Friede in die Mauern der Stadt ein. Auch diese Ruhe währte indessen nicht lange. Ein wichtiges Mitglied im Städtebund musste die Kämpfe mitstreiten. Dann einigte sich Worms mit Richard von Cornwallis (geb. 1209 / gest. 1272), huldigte ihm und zog allerdings Vorteil davon, aber im Innern begannen nun die allgemeinen Kämpfe dieser Zeit, Zünfte erhoben sich gegen die übermütigen Altbürgerfamilien, die herrschen wollten. Der Bischof schlichtet den Streit, doch der Funke glimmt unter der Asche fort. Dennoch erweitert und verschönert sich die Stadt, denn sie ist reich, ihr Handel blüht trotz der Rheinzölle und Raubritter, die Gewerbe entfalten sich, großartige Klöster und dem öffentlichen Wohl geweihte Bauten steigen empor, der Dom wird verschönert. Die zahlreichen, hier abgehaltenen Reichstage bringen Geld in die Stadt, und überall erscheinen die Früchte davon in wachsender Bildung, aber auch in wachsender Üppigkeit. Die Lombarden siedeln sich an, die Juden nehmen zu. Das Wachsen der Stadt geschieht mehr von außen her, weil des Handels Blüte die Einwanderer lockt. Zum inneren Segen gereichte das gerade nicht, denn Religion und Sitte wankt und sinkt in der Zeit, da im Reich überall das Verderben wie Nesseln emporschießt.

Rudolph von Habsburg hob die Stadt ungemein dadurch, dass er den Raubadel bändigte; tüchtige Bischöfe am Ende des dreizehnten Jahrhunderts regierten Heil bringend.

Kaisertreu stritten die tapferen Wormser für Adolf von Nassau, während im Innern der nur schlummernde Kampf zwischen Zünften und Patriziern wieder entbrannte, zumal Letztere gegen Kaiser Adolf waren.

Albrecht trug wahrlich keine Liebe für Worms, genauer gesagt, für die Volkspartei, weil sie dem unterliegenden Adolf zugetan war. Er verschaffte den Patriziern den Vorteil.

Eine streitige Bischofswahl veranlagte, dass Balduin von Trier eine Zeit lang das Wormser Bistum in seine Faust bekam, und diese Faust war eine kräftige, welche die Zügel stramm anzog und die Bürger bezwang. Der von ihm eingesetzte Bischof befolgte seine Grundsätze, es waren die eines eisernen Regimentes, aber für ein solches waren die Wormser nicht angetan, und diesmal standen selbst die klugen, reichen Juden mit den Bürgern gegen den Bischof. Der war schlau genug einzusehen, was der Bürger Absicht war, nämlich die Juden in die Bürgerschaft aufzunehmen, um die Steuer, die sie dem Bischof zahlten, in die Stadtkasse zu leiten. Er kam den Städtern zuvor, gab den Juden eine Verfassung, die ihnen Vorteile gewährte, und hatte sie gewonnen. Der Bürger Zorn war groß, aber die »Spänne« wurde wieder beigelegt, wenn auch der Ärger wegen der Überlistung den Bürgern blieb.

Ludwig der Bayer hatte die Wormser für sich und gewährte ihnen große Vorteile für ihre Treue gegen Ludwig, trafen aber der päpstliche Bann und das Interdikt die Stadt. Es war eine schlimme Zeit damals. Nichts half gegen Raub und Fehde von außen, und Zwiespalt herrschte im Innern. Karls IV. Bemühungen, den Landfrieden zu sichern, hielten nicht vor. Trotz der sehr zahlreichen Gunstbezeugungen des »faulen Wenzel« hatte die Stadt schlimme Zeiten, denn fort und fort dauerten die Fehden nach außen, fort und fort die Streitigkeiten im Innern, bald zwischen den Bischöfen und der Stadt, bald zwischen Zünften und Patriziat. Sie wurden freilich wieder geschlichtet, allein nicht immer zum Vorteil der Stadt. Klug war es jedenfalls, dass sie sich mit den Kaisern vertrugen und zu ihnen hielten. Dadurch sicherte sich die Stadt nämlich einen starken Rückhalt, wenn sie auch mit dem alten Titel »Der frei gefürsteten Stadt« Anstoß gab.

Dennoch, und es ist wahrlich wunderbar, gedieh die Stadt auch während dieser Fehden, obgleich während dieser Zeit Feuersbrünste verheerender Art, Seuchen, ja selbst Hungersnot über sie hereinbrachen. Ihre Befestigungen wurden vermehrt, und sie wuchs stattlich, wie in ihren Bauwerken, so an Seelenzahl. Im 14. Jahrhundert, so wird berichtet, soll sie eine Kriegsmacht von 10.000 waffenfähigen Männern haben aufstellen können, natürlich mit ihrem Geld geworben.

Besonderen Glanz verliehen die Reichstage, und lustiges Leben begleitete sie aller Wege. Die strenge Sitte musste indessen oft ihr Haupt verhüllen, und selbst ins bürgerliche Leben drang das Gift tief hinein. Die Chroniken wissen vom Konstanzer Konzil an Mähren zu erzählen, die haarsträubend sind, und von ähnlichen Erscheinungen blieb Worms nicht frei in jenen Tagen loser Zucht und wilder Leidenschaften, zog doch des Reiches und der Kirche Wohl bei Weitem nicht alle zu den Reichstagen und Konzilien!

Mit dem Reichstag des Jahres 1521 begann auch für diese Stadt eine neue Zeit. Luther (geb. 1483 / gest. 1546), der welterschütternde Mönch von Wittenberg, erschien im Triumph in Worms, von Hoch und Niedrig eingeholt, und verteidigte mannhaft und glaubensmutig die evangelische Wahrheit. Wer gedenkt nicht seines gewaltigen Wortes, das er dort sprach: »Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen!«

Diese Worte ergriffen die Herren, dass Männer weinten, die kaum Tränen kannten, und brachen dem Evangelium eine mächtige Bahn.

In diese Zeit fällt der Ursprung der schönen Sage von dem Lutherbaum bei Worms, einer Korkulme von wunderbarer Stärke, Höhe und Kraft, die Jahrhunderte lang die Blicke bewundernd auf sich zog. Die Sage lautet: Als Luther auf dem offenen Wägelein, begleitet von dem kaiserlichen Herold, sich der Stadt näherte, zogen Fürsten, Grafen und Herren umgeben von zahlloser Volksmenge, dem edlen Kämpfer für Licht und Wahrheit entgegen.

Unter den hohen Herren befand sich der tapfere, ritterliche kaiserliche Feldhauptmann von Frundsberg (geb. 1473 / gest. 1528). Er ritt an der Seite des Wägeleins und redete viel mit dem Gefeierten. Da, als sie unfern der Tore der Stadt waren, richtete er sein großes, klares Auge auf Luther und sprach: »Mönchlein, glaubst du fest, dass deine Lehre siegreich bestehen werde?« Luther erhob den begeisterten Blick zu dem edlen Mann, deutete dann auf ein junges, schwankes Korkulmenreislein, das am Weg aufgesprosst war, und sagte voll Kraft und Freudigkeit der Überzeugung und des Gottvertrauens: »Ja, Herr, so wahr dies Reislein zu einem gewaltigen Baum werden und mit den Türmen der Stadt an Höhe wetteifern wird!«

Und die mächtige, herrliche Korkulme, die Jahrhunderte überdauert hat, ist dies Reislein gewesen, ist der Lutherbaum bei Worms!

Es war eine so wunderbar bewegte Zeit, auch für Worms, die diesem weltgeschichtlichen Reichstag folgte, die im Bauernkrieg der Stadt Gefahr drohte, denn bei dem nahen Pfeddersheim wurde jene blutige Schlacht geschlagen, die dem Bauernkrieg in diesen Landen den absoluten Todesstoß gab. Wie wäre es wohl der Stadt ergangen, wenn die Bauern gesiegt hätten?

Die Osterzeit des Jahres 1615 sah Worms in einer großen Aufregung. Sie galt den Juden, die vom Wucher ungeheuer reich geworden und den Handel, besonders in Wein und Früchten, ganz in ihrer Hand, daher das Mittel in ihrer Gewalt hatten, die Preise zu bestimmen. Die Bürgerschaft trieb sie zu den Toren hinaus und zerstörte ihre uralte, ehrwürdige Synagoge, aber es floss kein Blut, sie erfuhren auch keine brutale Behandlung. Solche Selbstherrlichkeit blieb nicht ohne ernste Folgen für die Stadt und die Rädelsführer insbesondere. Die Juden kehrten wieder. Die Bürger mussten ihren Grimm, wie das rheinische Volk sich ausdrückt, »hinunterwürgen«.

Worms hatte seine Glanzeshöhe überschritten. Es ging mit Macht abwärts. Seltene Reichstage bewirkten arge Ausfälle in seinen Einnahmen, und die Macht des Bischofs stieg. Jene Händel zwischen Zünften und Altbürgern waren verschwunden, aber religiöse Kämpfe traten an ihre Stelle, da der Bischof die Protestanten bedrängte und die Jesuiten ihr Wesen treiben ließ.

So kam der Dreißigjährige Krieg mit vielem Ach und Weh über die Stadt und drückte ihren Wohlstand noch tiefer herab. Brandschatzungen auf Brandschatzungen folgten sich, und Tilly, der von Onno Klopp Weißgebrannte, war unendlich hart gegen die Protestanten, deren Kirchen er schloss, und die er gewaltsam katholisch zu machen versuchte. Diese Quälereien mancherlei Art endeten erst mit dem Kommen der Schweden, die indessen auch keine Engel waren, doch begannen sie auch erneut, als nach der Schlacht bei Nördlingen die Schweden abzogen. Fortan waren es wieder Kaiserliche, Bayern, Franzosen und Weimarer, welche Worms die letzten Blutstropfen auspressen.

Schutzlos war die unglückliche Stadt dem Übermut und der Rohheit derer preisgegeben, die das Kriegsglück in ihre Nähe führte, und jede der Parteien arbeitete emsig an ihrem Ruin, bis endlich pestartige Seuchen und Hungersnot selbst in diesem Garten Gottes die unglücklichen Bewohner heimsuchten und zahlreiche Todesopfer forderten.

Wo so viele und tiefe Wunden klafften, war die Heilung sehr schwer, auch wenn wacker daran gearbeitet wurde. Als endlich einige Hoffnung grünte, kam der heilloseste aller Kriege, die jemals diesen blutgedüngten Boden des reichen, schönen Landes verheerten, der sogenannte Orleanssche (auch Pfälzischer Erbfolgekrieg bzw. Krieg der Augsburger Allianz, auch Neunjährige Krieg genannt, in den Jahren 1688 bis 1697).

Am 1. Oktober 1688 begannen die Drangsale der Stadt. Halb gezwungen, halb überredet, öffneten die Bürger die Tore den Franzosen. Was sie gelobt, dachten diese, niemals zu halten. – Was Rohheit und Wildheit ersinnen mag, musste Worms erdulden. Und doch lag noch eine schreckliche Angst lähmend auf den Herzen, wenn sie auch jedes Opfer williglich darbrachten, die Angst um das Bestehen der Stadt. Es blieb nicht aus, was andere Städte erduldeten. Im Februar 1689 fielen die Befestigungswerke, an denen Jahrhunderte lang gebaut worden war. Ja, ein schwacher Hoffnungsstrahl der Hilfe, welcher der Stadt aufging, ließ die Feinde schnell an die Vollendung ihres teuflischen Werkes gehen.

Gegen Ende Mai begannen sie die heranreifende Ernte auf den Feldern zu zerstören. Dann wurde mit gleisnerischer Teilnahme die Notwendigkeit der Verbrennung der Stadt angekündigt und den Bürgern gestattet, ihr Bestes zu retten. Im Dom hatten sie vieles untergebracht, weil er verschont bleiben sollte. Allein auch dieses Wort wurde zurückgenommen. Mit Trommelschlag ward der Brand angekündigt, damit fliehen könne, was fliehen wollte. Nun beginnt die Plünderung durch die Soldaten, und lange noch war dieses edle Werk nicht vollendet, da donnert ein Kanonenschuss über die Stadt hin, und der mit Schwefel und Pulver vorbereitete Brand bricht los!

An hundert Orten zugleich loderten die Flammen auf und zehren gierig an dem, was sie erreichen. Es war eine schauderhafte Nacht! Bis in weite Ferne leuchtet die Höllenglut hinaus in die Landschaft, und nah und fern vernimmt man das Jammern des unglücklichen Volkes, das die geheiligten Stätten seiner Heimat zusammenstürzen sieht!

Die Stadt ist zu einem großen Schutthaufen geworden! Nur einzelne Bauwerke widerstanden einigermaßen, so auch der Dom. Ob es in der Absicht lag, ihn zu erhalten, muss wohl nach allem, was geschah, bezweifelt werden.

Was der Brand übriggelassen, zerstörten sechs Wochen lang die Franzosen, und selbst die Särge der Toten wurden nicht verschont!

Was sollten die Beraubten beginnen? Die, welche noch Vermögen gerettet hatten, zogen in die Ferne und suchten sich eine neue Heimat, andre bauten sich Hütten auf der Maulbeerau, noch andre richteten sich in den Kellern Wohnungen ein oder suchten eine Unterkunft in den die Stadt umgebenden Dörfern, näher oder entfernter von der Stätte des großen Jammers.

In ganz Deutschland hatte man allgemein Mitleid mit den Bewohnern der so arg zerstörten Stadt.

Aus Holland und Deutschland flossen reichliche Gaben, besonders nahmen sich die Reichsstädte der unglücklichen Schwester an. Alles wetteiferte in Wohltaten für die Unglücklichen, und ein wackerer Stadtrat tat alles, was in seinen Kräften stand.

Auch der Dom und die alte Johanniskirche wurden hergestellt, dass der Betende wieder eine heilige Stätte hatte, wo er zum gnadenreichen Herrn mit der Gemeinde flehen konnte. Wo sollten sie auch anders Trost und Hilfe finden.

Zwanzig Jahre verstrichen, bis die Spuren einer ungeheuren Barbarei notdürftig entfernt und 500 Häuser nebst den Gotteshäusern hergestellt waren. Selbst Mauern und Türme entstanden wieder, aber die Stadt war verarmt, ihre Krone gefallen und zertrümmert, ihre Lebensadern waren unterbunden.

Nur langsam erholte sie sich, aber die Französische Revolution brachte ihr eine fatale Gabe, den französischen Adel. Unter den Flüchtigen war Condé, der den Bischofshof bewohnte, der später von den Revolutionshorden niedergebrannt wurde, weil ihn Condé bewohnt hatte.

Diese Emigranten hatten teilweise Geld, aber die Gabe, die sie reichlich mitbrachten, war eine bodenlose Entsittlichung, und ihr unseliger Einfluss blieb nicht ohne Folgen.

Das Überflutetwerden von den Revolutionsheeren, den sogenannten »Grundelchen«, brachte wahrlich keinen Segen! Das Deutsche Reich, inzwischen atemlos, verschied nach einem langen Todeskampf an Altersschwäche und Auflösung.

Worms wurde dem Reich Napoleons einverleibt, wie das linke Rheinufer überhaupt. Viel Seide wurde bekanntlich unter einer Regierung nicht gesponnen, welche die Blüte der Bevölkerung auf die Schlachtfelder schleppte. Die Freiheitskriege änderten diese Verhältnisse, und Worms wurde zum Großherzogtum Hessen geschlagen, jetzt eine Landstadt, die schwermütig auf vergangene bessere Tage hinblickt.

Die alten Wunden sind wohl ausgeheilt, aber die Tage des alten Glanzes kehren nicht wieder und können nicht wiederkehren. Dennoch hat sich die Stadt in neuerer Zeit sehr gehoben, und der Gewerbefleiß regt sich mit frischer Kraft, Tage des Friedens sind dem geistigen und materiellen Fortschritt Tage des Segens und frischester Entfaltung. Ein Erinnerungszeichen an ihre größten Tage besitzt die Stadt jetzt in einem großartigen Lutherdenkmal, welches von der Meisterhand Rietschels entworfen und teilweise auch ausgeführt wurde. Der frühe Tod des Meisters (gest. 21. Februar 1861) ließ ihn die Vollendung und Aufrichtung des Werkes nicht mehr sehen. Zwölf Jahre lang wurde an demselben gearbeitet und aus allen evangelischen Ländern zu demselben beigesteuert, bis am 25. Juni 1868 vor einer glänzenden Versammlung von Fürsten und einer zahllosen Menge von Gästen aus allen Ländern Europas die feierliche Enthüllung stattfand.

Abb. 3: Oppenheim (Merian)

Abb. 4: Oppenheim (Mayer)

Oppenheim

Könnten wir über ein Jahrtausend oder gar mehrere hinweg auf jene Stellen am Rheinufer hinblicken, wo jetzt sich die menschlichen Wohnungen eng aneinander drängen, und aus kleinem Anfang im Laufe der Zeit durch Vermehrung der Bewohner und Zuzug von außen allmählich Städtchen oder Städte geworden sind, wir würden mit praktischem Blick und Verstand, an mancher ausgewählten Stelle, unter dem Laubdach eines oder mehrerer Bäume, eine oder vielleicht auch, je nach der Sippe, mehrere Hütten entdecken, bei denen die trocknenden Netze auf die unerschöpfliche Nahrungsquelle hindeuteten, deren Quelle am Ufer dahin plätschert.

Sonderlich gesellig sind unsere Alten lediglich dann gewesen, wenn die höchste Gefahr oder Not sie einigte. C’est tout comme chez nous! (Grade, wie es bei uns auch geht). Erst wenn die Sippe auseinanderging, gesellte sich Hütte zu Hütte, bis endlich gemeinsame hochwichtige Zwecke zur Vereinigung mit anderen führten, und der kleine Wohnort seine Glieder reckte.

Aber der Rhein beherbergte nicht bloß den Fisch in seinem Schoße, auf der Landseite reichte auch der Hochwald bis an die Ufer herab, und in seinem Dunkel bewegte sich eine Welt von jagdbaren Tieren vom Ur bis zum Hasen und Eichhörnchen und vom Adler bis zur Drossel. Zwischen Wald und Fluss aber vermittelnd, baute an jeder günstigen Bachmündung oder Bucht der Biber seine Niederlassungen. Reiz und Nahrung, Kleidung und Betten gab die Jagd. Was verlangte der einfache Mensch mehr? Gab ihm das entstaute Uferland ein Gerstenfeld für sein Bier und ein Haferfeld zum Brot, so waren wohl alle seine Wünsche bereits erfüllt.

Als der Römer bis zum Rhein vordrang, fand hier und da sein schlauberechnender Blick solch eine Stelle, geeignet zu einer, kriegerischen Schutz bietenden, Niederlassung. Dann erhob sich ein Wachturm mit einem Erdwall oder ein Kastell oder Castrum. So belehrte der schlaue Unterdrücker den Deutschen über den Bau der Rebe, den Anbau des Nuss- und süßen Kastanienbaumes. Aber bei Weitem nicht alle deutschen Niederlassungen waren auch zugleich römische, und wer mit großer Sicherheit die Schlüsse ziehen wollte, dass der Ort römischen Ursprungs sein müsse oder die Römer daselbst sesshaft gewesen seien, weil an einem Uferort Weinbau blühe, der Nuss- und Kastanienbaum gepflanzt werde, wäre sicher hundertfach in einer argen Täuschung befangen.

Wenn da die Steine nicht reden, so ist alles vorüber.

Ein Ort, auf den das Gesagte Anwendung findet, ist Oppenheim. Weil die Nachweise der römischen Stationsorte auf den sogenannten »Itinerarien« zwischen Worms und Mainz eine Station legen, die den Namen »Bauconica« oder »Bonconica« trägt, so sollte das Oppenheim sein, wenn auch durchaus kein Anklang in den beiden Namen zu finden, und wenn auch tausendmal nachgewiesen ist, dass die genaue Angabe der Entfernung dieser Station von Mainz herauf und von Worms herab nicht zutrifft, vielmehr stark abweicht, wenn auch jeder es genau weiß, dass man nie in Oppenheim römische Bauwerke oder Altertümer fand, und es durchaus unnachweisbar ist, dass die zwei in Oppenheim vorhandenen kleinen Römermünzen-Sammlungen in Oppenheim selber gefunden sind, was, wenn es auch wirklich der Fall wäre, doch noch immer keinen bindenden Beweis liefern würde.

Man sagt: Der Votivstein, den man bei der von ihm her benannten Sironaquelle fand, ist ja Beweis genug, aber auch da übersieht man, dass die Quelle nach Nierstein gehört.

Summa summarum: Oppenheim ist nicht das Bauconica oder Bonconica der Itinerarien, es hat keinen römischen Ursprung!

Mögen auch manche Leute übel da zusehen, und der Lokalpatriotismus bittere Tränen vergießen, wenn er die Ruhmeskränze seiner Vaterstadt welken sieht, die er in Liebe gewunden, es ist so!

Die Stadt muss sich begnügen, aus einem Fischerdorf, aus einigen Fischer- und Jägerhütten, welche die ersten Ansiedler bauten, erwachsen zu sein. War es ja doch nur ein Dörflein, als seiner geschichtlich und urkundlich zuerst gedacht wird. Das ist immer schon früh genug, denn der fromme Franke Folrad schenkte im Jahre 764 dem Kloster Lorsch (St. Nazarius) einen Weinberg in der Gemarkung des Dorfes Oppenheim.

An diese erstbekannte Schenkung reihten sich in den folgenden Jahren andere und bedeutendere an, bis im Jahre 774 die größte in dem »Dorf Obbenheim« durch Karl den Großen erfolgte. Die Vermutung oder der Schluss, diese Schenkung umschließe das ganze Dorf mit Mann und Maus, ist aber wiederum leichtfertig und falsch, ganz gleich wie oft sie auch ausgesprochen, das heißt »nachgeschrieben« worden ist.

Das Kloster in der Gemarkung Oppenheims war reich durch private Schenkungen sowie die kaiserliche begütert. Auf seinen »Hufen« saßen seine Lehnsleute, Pächter etwa, die unter der Verwaltung und wohl auch Gerichtsbarkeit des Klosters standen, während die übrigen Bewohner des Dorfes, die auf ihrem eigenen Boden sesshaft waren, unter der Gerichtsbarkeit des Gaugrafen standen. Die kirchlichen Verhältnisse betreffend, ist es gewiss zweifellos, dass das Kloster eine Kapelle bei seinem »Saal« besaß, diese den Bewohnern des Dorfes für ihre religiösen Bedürfnisse diente und so lange dienen musste, bis endlich eine größere Kirche erbaut werden konnte. Sie ging vom Kloster aus. Als Abt Thiodroch den Abtsstab und Inful empfing, nahm er sich des Dorfes an, das wahrscheinlich sich an Seelenzahl sehr vergrößert hatte. Er begann um das Jahr 865 auf dem sogenannten »Abrahamsberg« eine Kirche zu »Obbenheim« mit einem Kloster zu erbauen. Das war die St. Sebastianskirche, die nun ihr Jahrtausend vollendet hat. Was der Abt für das geistige Wohl der Oppenheimer tat, verdiente leiblichen Vorteil als Lohn. Die Klöster wussten das schon geltend und rund zu machen, und so ist es nicht mehr als billig gewesen, dass neue Vorteile dem Kloster zuflossen.

Der wesentlichste dieser Vorteile, der auch dem Ort ein solcher wurde, war die von Heinrich II. im Jahre 1008 erteilte Marktgerechtigkeit und die Erlaubnis, für das Kloster einen Zoll zu erheben. Das bereicherte das Kloster und auch den Markt Oppenheim, denn der Verkehr wuchs und ebenso seine Einwohnerzahl, und der Handel auf dem Rhein nahm sichtlich zu.

Eine durchaus wichtige Verkehrsvermehrung trat für den Ort stets dann ein, wenn drüben in dem alten Trebur Reichsversammlungen stattfanden. Da nahmen viele der Fürsten und Herren mit ihrem Gefolge ihr Quartier in Oppenheim, und es floss Geld in die »Säckel« der Bewohner, so wie auch der treffliche Wein ihrer Berge zu wohlverdienter Geltung kam, wenn so viele Menschen in der Nähe zusammenströmten.

Man hätte denken sollen, bei dem sehr großen Landbesitz hätte das Kloster Lorsch sich fortdauernd in einem blühenden Zustand erhalten müssen, aber es erlitt wohl Unfälle, und seine Verwaltung scheint auch eine sorglose gewesen zu sein, kurz, es ging zu Zeiten des Kaisers Conrad des Dritten, wenn auch nicht »den Weg alles Fleisches«, doch eigentlich im vollen Sinne des Wortes »den Weg aller Klöster«, wenn es ihn auch früher ging, wie andre. Es verarmte und musste daran denken, von seiner Güterfülle einen Teil zu veräußern, um nur bestehen zu können. Da dachte der Konvent an Oppenheim und seine Güter dortselbst, wo es doch nicht zum Alleinbesitz gelangt war, und wo es wohl zwischen Klostervogt und Gaugraf nicht an unangenehmen Berührungen gefehlt haben mag, was dem Kloster nicht zum Vorteil gereicht haben kann. Der Kaiser kaufte die Güter, welche Karl der Große dem Kloster geschenkt hatte, um eine namhafte Summe zurück, dennoch aber war um das Jahr 1200 Oppenheim noch immer ein offenes Dorf, ohne jeglichen Schutz, wie ihn Türme und Mauern gewähren. In kaiserlicher Gunst stand übrigens Oppenheim hoch angeschrieben. Es hatte zahlreicher Verleihungen von Freiheiten, Rechten und Gerechtsamen sich zu erfreuen, die offenbar den Weg zu städtischer Würde und Reichsfreiheit mit sicherer Hand ebneten. Zahlreicher Adel zog in den Ort. Ebenso wanderten Gewerbetreibende ein, da die Märkte sehr anlockend waren. Aber auch viele »Unfreie« gingen ihren Leibherren durch und hielten sich zu Oppenheim auf, wo sie nicht nur Verdienst fanden, sondern auch der alte rheinische Spruch sich an ihnen bewährte: »Die Luft am Rhein macht frei.«, dessen sich aber besonders der Rheingau erfreute. Oppenheim war im Sonnenlicht kaiserlicher Gnaden durch seinen Handel, Verkehr und Weinbau, geordnetes inneres Wesen, treues Zusammenhalten und zahlreiche Bevölkerung eine Stadt geworden, ohne es noch dem Namen nach zu sein. Die Erhebung zur Stadt konnte nicht lange mehr ausbleiben, wenn nicht gegen den Ort eine Ungerechtigkeit begangen werden sollte. Es waren aber auch Kräfte dafür in Bewegung, und so erteilte denn Friedrich II. dieses Recht und ließ viele Gnadenbezeugungen folgen, wie auch seine Nachfolger damit fortfuhren. Daher hatte der Kaiser auch an den Bürgern Anhänger mit Leib und Leben, in Not und Tod, als welche sich dieselben in manchem blutigen Kampf bewährten. Für tapfere Männer galten die Oppenheimer mit gutem Recht.

Eine Stadt konnte nicht offenbleiben, wie ein Dorf. Sie bedurfte starker Mauern und Türme zum Schutz ihrer Tore. Darauf drang besonders auch der sesshafte Adel, der in seinen »Freihöfen« wohnte, die schon einen burgartigen Charakter trugen, meist einen Turm hatten und gewissermaßen auf eine Einzelverteidigung eingerichtet waren. Was konnten sie im Falle eines wirklichen Kampfes aber helfen, wenn der Stadt die Mauer- und Gräberschutzwehr fehlte, ja über der Stadt eine Burg, eine Akropolis als letzte Zuflucht? Und wie trefflich war da droben die weitausschauende, die Stadt beherrschende Stelle! Aber wann die Burg erbaut wurde, die den Namen »Landskron« wohlverdient empfing, ist nicht zu ermitteln, und dennoch ist sie ohne Zweifel eine Reichsburg gewesen und wohl von einem der Kaiser erbaut worden, um kühnen Städtemut und Übermut gelegentlich zu dämpfen, wenn es etwa nottun möchte. Wo die bestimmten Angaben fehlen, lassen sich aus sorgfältig anderweitig ermittelten Umständen Schlüsse ziehen, welche Handhaben darbieten, annähernd die Zeit zu bestimmen. Vor den Jahren 1244 und 1245 kommt urkundlich die lateinische Benennung »Castellani« und »Castrenses« nicht vor. Man könnte beide kurzweg mit »Burgmänner« übersetzen. Beide Bezeichnungen setzen also eine vorhandene »Burg«, ein »Castellum« oder »Castrum« voraus. Es wird sich also der Schluss wohl rechtfertigen lassen, dass im Laufe dieser Jahre die Burg erbaut und ihre Bewachung und Verteidigung den in der Stadt sesshaften, also mit ihren Interessen daran gebundenen Adeligen übertragen wurde, und diese jene »Burgmänner« waren, wie es sich dann auch geschichtlich nachweisen lässt, da vieler Namen in Urkunden genannt werden.

War der zahlreich in der Stadt sesshafte Adel bereits von bedeutendem Einfluss auf das innere Wesen und Leben der Stadt, so konnte es nicht ausbleiben, dass dieser Einfluss jetzt noch wuchs, damit der Burgmannschaft gewisse Befugnisse und Rechte verbunden waren. Wenn aber übermütige Ein- und Übergriffe in Oppenheim vielleicht um ein Bedeutendes weniger sich geltend machten als in anderen, besonders rheinischen Städten nachweisbar, so möchte man sich bewogen finden, diese Erscheinung nicht in der weniger herrschsüchtigen Gesinnung des Adels, sondern in der Achtung gebietenden Gesinnung der tapferen Bürgerschaft zu suchen, die nicht geeignet erschien, sich willkürlich unterdrücken und beherrschen zu lassen. An Versuchen, sich herrschsüchtig geltend zu machen, hat es nirgends und auch hier nicht gefehlt, aber die tapferen und wackeren Bürger verstanden das, was man nennt: »Auf die langen Finger klopfen«. Und das wirkte schon bei den Herren.

Ehrenhaft und treu hielt es in den nachfolgenden Zeiten die Bürgerschaft mit denen, welchen sie große Wohltaten zu danken hatte, mit den Kaisern, namentlich hohenstaufischen Geschlechts. Auf manchem Römerzug waren sie dabei, und auch im Städtebund zeigten sie sich als solche, die gern ihren Arm darliehen, wenn es galt, den Landfrieden und Handel und Wandel des freien Bürgertums gegen Frevel zu schützen.

Oppenheim besaß durch des Friedrichs II. Gunst mit dem Städtchen Sobernheim an der Nahe ganz und gar dieselbe Urkunde und demnach dieselben Rechte und Freiheiten mit Frankfurt am Main. Aber welche Unterschiede in den Früchten, die daraus erwuchsen! Dort am Main steigender Glanz, wachsende Macht und Ehre, und die beiden armen Schwestern am Rhein und an der Nahe, wie kümmerlich war ihr Wachstum gegen jene in Süd und Nord vermittelnde Stadt! Dort Aufblühen und dauerndes Bestehen, hier ein hoffnungsvolles Anheben, aber ein Verwelken in der Knospe!

Wie auch scheinbar der Ritterstand auf der Landskron und in der Stadt sich weniger schroff gegen die freien Bürger stellen mochte, es konnte doch nicht ausbleiben, dass es oft recht ernste Reibungen gab. Einmal ward es doch den Bürgern zu arg, und sie belagerten, stürmten und eroberten die Burg, räumten mit den »Herren« auf und machten mit ihrem »Trutzoppenheim« kurzen Prozess, das heißt, sie zerstörten, nachdem sie den Rittern den Weg heimwärts gezeigt hatten, die Burg von Grund auf, dass eben von »dem Nest des Übermuts und unberechtigter Anmaßung« nichts übrigblieb, als Trümmer. Das war eine Folge des Städtebundes, wo der Einzelne sich fühlen lernte. Ja als die Bürger Richard von Cornwallis (geb. 1209 / gest. 1272) als König anerkannten, machten sie die Bedingung, dass zu seinen, des Königs, Lebzeiten, keine Burg bei der Stadt mehr dürfe erbaut werden. Damit stellten sie sich auf der einen Seite sicher, aber die sogenannten »Ritterbürtigen« besaßen noch ihre burgartigen Freihöfe in der Stadt, und auch hier musste vorgebeugt werden. Dies geschah durch eine Vereinbarung mit ihnen, die sie notgedrungen eingingen. Da aber von den »Ritterbürtigen« zu erwarten war, dass sie, wenn Zeit und Stunde günstig sein würden, jenen »Pergamentstreifen« als nicht bindend betrachten würden, so schloss die Stadt mit Worms und Mainz ein besonderes Bündnis zu gegenseitiger Hilfe, das, wie wir bei Worms gesehen, von den Oppenheimern treu gehalten wurde. Es war genug, die Ritter im Zaum zu halten.

König Richard hielt sich öfters in der Stadt auf, fühlte sich im Kreise der biederen Bürgerschaft wohl und legte mit großer Feierlichkeit anno 1262 den Grundstein zur Sankt Katharinenkirche, deren herrlicher Bau Zeugnis von dem Wohlstand und der Einigkeit ablegt, aber auch von dem frommen Sinn und der Opferwilligkeit der Oppenheimer. In diesem Zeitraum treten noch andere fromme Stiftungen auf: das Frauenkloster des Zisterzienser-Ordens und das Armenhospital, zwei Stiftungen, bei denen die »grauen Ordensbrüder von Eberbach«, die, schon lange her, in Oppenheim begütert waren, sich als besonders tätig und hilfreich erwiesen. Die heillose Zeit bis zu Rudolph von Habsburgs Kaiserwahl empfand auch Oppenheims Handel schmerzlich, und mit Freuden trat die Stadt in den erweiterten Bund der rheinischen Städte. Als dieser Männerbund unterhalb Bingen die ritterlichen Raubnester brach, waren überall die bürgerlichen Streiter Oppenheims dabei, der Ordnung und dem Recht freie Bahn machen zu helfen. Sie fehlten nirgends und nie, denn sie hatten in ihren eigenen Mauern erlebt, dass nichts helfen und sicherstellen könne, als Zerstörung der Sitze dieser von den Bürgern gefürchteten, aber bei den Rittern so beliebten noblen Passion!

Rudolph von Habsburgs Einschreiten gegen dieses Unwesen und Ausrotten des »Diebshandwerkes«, wie er es selbst scharf, aber richtig bezeichnete, legte eigentlich den Städtebund lahm, denn wo vom Reich Ordnung gehalten wurde, war die eigene Sonderhilfe überflüssig.

Wenn der Kaiser auch die Ritter, wie wir weiter unten bei Sooneck und Reichenstein sehen werden, durchaus scharf züchtigte, so wollte er es doch mit ihnen nicht gänzlich verderben. Er hielt auch die Städte scharf im Zaum, weil mit ihrem Reichtum auch ihre Macht und ihre Selbstherrlichkeit überhandnahmen. Von ihnen errang, oder richtiger gesagt, erpresste er Geld unter ernster Androhung ihrer Verpfändung. Außerdem hatten sich die Insassen der Reichsburgen wieder ansehnlicher Begünstigungen zu erfreuen.

Auch Landskron war wiederaufgebaut worden, wie es scheint, nicht lange nach dem Tod Richards, dessen Versprechen mit seinem Tod aufgehoben war. Die Bürgerschaft ließ es sich nicht so leicht aufdrängen, das erfahrungsmäßig nicht leichte Joch, aber es scheint, dass sie es nicht hindern konnte. Als nun Rudolph am Mittelrhein tatkräftig dreinfuhr, mochten die Oppenheimer darin eine Berechtigung erkennen, die neue Landskron zu brechen. Das geschah denn auch mit allerlei Grimm, welcher die frühere Erinnerung weckte, aber nicht zum Wohlgefallen des Kaisers. Zwar strafte er nicht, aber er zwang die Stadt, ihre Zwingburg aus eigenen Mitteln wiederaufzubauen. Ob das keine Strafe war, möchte schwer zu behaupten sein, und man kann es begreifen, dass die Strafe empfindlich war.

Er selbst bestellte die »Burgmannschaft« und tat dadurch der Bürgerschaft eine Genüge, dass er der Stadt Bürgschaften gegen die Rückkehr jener Zustände gab, die als Schreckensbilder vor den Seelen der Bürger standen, und deren herbe Erfahrung in allen Andenken lebte.

Das hätte beruhigen können, aber die da droben in der Landskron hatten viel von kaiserlichen Gnaden, die Bürgerschaft wenig von der großen Bürgerfreundlichkeit des Habsburgers zu rühmen, wodurch bei den Bürgern die Begeisterung für diesen stark abgekühlt wurde, und die Wachsamkeit sich nicht einlullen ließ.

Rudolph hatte durch seine Handlungsweise in der Bürgerschaft Argwohn und Missliebigkeit hervorgerufen und in der Burgmannschaft argen Trotz und Übermut. Aufs Neue loderte der Hader zwischen Stadt und Burg in hellen Flammen auf, zumal Rudolph den Bürgern jedwede Teilnahme an dem Gericht zu entwinden gewusst hatte.

Bis zum Äußersten scheint er es jedoch nicht kommen lassen wollen, denn sicher wäre die Burg noch einmal gebrochen worden. Er lenkte ein. Es erschienen bald wieder Bürger »den Ritterbürtigen« gegenüber im Gericht, und das drohende Unwetter ging ohne schwere Schläge vorüber, aber dennoch zeigte Rudolph den Oppenheimern im Ganzen wenig Liebe, und die Stadt verlor die ihrige zu ihm. Das erwies sich deutlich in der Abneigung der Stadt gegen Albrecht und in ihrem festen Halten zu Adolf von Nassau, der sich oft in Oppenheim aufhielt, ohne dass aber die Stadt sich großer Begünstigungen von ihm zu rühmen gehabt hätte. Eins nur kam ihr recht zugute, nämlich die Ermäßigung der Reichssteuer. Adolfs Lage gestaltete sich indessen immer bedenklicher, und seine Geldmittel wurden je länger, je kleiner. Er musste endlich alle seine Einkünfte zu Oppenheim und der Ilmgegend verpfänden. Angenehm war das der Stadt gewiss nicht, dennoch aber stritt ein Fähnlein Oppenheimer bei Göllheim für Adolf gegen Albrecht. Dieser war klug genug, die Ungunst der Städte zu seinem Vorteil zu wenden, dadurch, dass er mild und freundlich gegen sie handelte.

Die Zeiten, die kamen, waren der Stadt nicht ungünstig und gestalteten sich unter Ludwigs Regierung selbst recht erfreulich. Die Stadt ordnete ihr inneres Leben, und die Formen ihrer Verwaltung verhießen auch eine günstige Zukunft, aber es war die Zeit der unseligen Pfandschaften im Reich, denen namentlich kleinere, aber auch ansehnliche Städte unterlagen, wenn die Majestät Mangel an gangbarer, landesüblicher Münze hatte, was bei dem römischen Kaiser deutscher Nation oft, ja bei manchem dauernd der Fall war.

Oppenheim wurde vom Kaiser an Kurmainz verpfändet. Das Schlimmste bei solchen Pfändern war die Auslösung, just wie bei den Schulden das Bezahlen. Der Fall, die Lösung möglich zumachen, trat nicht immer ein, und dann blieb das Pfand, und veränderte Zeitverhältnisse machten es zum Eigentum, Oppenheim weiß davon zu reden.

Die Stadt kam daraufhin im Jahre 1399 wieder als erbliches Pfand an Kurpfalz. Ohne dass sie es ahnte, war das für die Stadt der Augenblick, wo ihre Freiheit, ihre Selbstständigkeit endete und für immer zu Grabe ging, denn fortab wurde sie nach und nach, trotz ihres Wehrens, eine kurpfälzische Stadt. Die Geschicke, welche in jenen bewegten Zeiten die Pfalz überhaupt erfuhr, teilte auch Oppenheim, und gewiss nicht zu seinem Vorteil. Die Zeiten hatten sich völlig geändert, innerlich und äußerlich, und diese Veränderung musste sich im Größten wie im Kleinsten ausprägen, aber das Schlimmste war, dass jene stolze Freiheit des Selbstherrschens für die Stadt dahin war und ein pfälzischer Amtmann ebenso viel despotisches Gelüste hegte, wie einer der »Ritterbürtigen« in Landskron es früher gehegt hat, wenn nicht noch etwas mehr.

In das geistige Regen und Bewegen jener Tage trat die Stadt wenig ein. Es scheint, als ob das Lahmlegen ihrer bürgerlichen, freien Regsamkeit auch geistig zurückgewirkt hätte.

Luther war persönlich in Oppenheim. Doch war seine Anwesenheit daselbst nicht von der Wirkung begleitet, welche bei der frischen und freien Richtung und Eigentümlichkeit der Bürger hätte erwartet werden können und dürfen. Übrigens, dürfen die Macht und der Einfluss der Priesterschaft, die an Mönchen und Nonnen gute Helfer und Helferinnen hatte, so wenig unterschätzt werden, als ihre rastlose und verdoppelte Tätigkeit, den Strom zu dämmen, der verheerend in das bisher so sorglich behütete Erntefeld der Kirche hereinzubrechen drohte. Die Abneigung gegen die Reformation ging sogar so weit, dass der Rat widerstrebte, als Kurfürst Otto Heinrich seine Kirchenordnung und die Reformation einführen wollte. Worauf er sich dabei stützte, war der Rechtsgrundsatz, dass das Pfandrecht über die Stadt nicht das kirchliche Reformationsrecht in sich schließe, denn der Grundsatz, dass die Religion des Landesherrn über die der Untertanen entscheide, sei hier nicht anwendbar, da das Land nicht das »Eigentum des Kurfürsten« sei, er es vielmehr nur als Sicherheit für Dargeliehenes in zeitweisem Besitz habe. Daher und weil die Stadt eine »vom Reiche und kaiserlicher Majestät gefreite« sei, gebühre lediglich ihr selbst das Recht, in Glaubenssachen Änderungen vorzunehmen.

So sehr das auch an den Geist verflossener Tage erinnerte, so scheint doch, dass der Rat es nicht mit dem Kurfürsten verderben wollte, denn wir finden in der Stadt, vom Rat geduldet, »lutherische Prädikanten«. Indes scheint ihr Erfolg nicht durchgreifend gewesen zu sein, obgleich das mehr ruhige Hinnehmen reformatorischer Maßregeln Kurfürst Friedrich III. (geb. 1515 / gest. 1576), und zwar nach reformierter Auffassung, den Beweis liefern könnte, dass eben nur unter der Asche der Funke fortglomm, aber dann auch fröhlich zur Flamme wurde, wenn ein weckender Hauch ihm Lebenskraft lieh.

Der häufige Bekenntniswechsel in der Pfalz hatte für die armen Geistlichen die schlimmsten Folgen, weil ein Fortjagen und Wiedereinsetzen derselben sich öfters wiederholte. Mit dem Bekenntnis fielen seine amtlichen Träger ohne Erbarmen. Das wiederholte sich auch in Oppenheim, und je näher in der verhältnismäßig kleinen Stadt diese Männer dem Einzelnen wie den Familien standen, desto betrübender, aber auch aufregender wirkten die harten Maßregeln der eben grade herrschenden Richtung. Das Pfandrecht hatte keine Geltung mehr, die Stadt wurde als pfälzische Stadt angesehen, und pfälzische Beamte, die bekanntlich nach zwei Seiten hin ausgezeichnet waren, einmal durch die sorgsame Pflege ihres Leibes in Speise und Trank und dann durch die gewissenhafte Sorge für ihre Einnahmen, ließen es nicht fehlen, auf die Bürgerschaft zu drücken und ihre Willkür zum Gesetz zu machen, auch ihren standesüblichen Hochmut zur Geltung zu bringen, wo und wie es die Gelegenheit mit sich brachte.

Ein großer Teil derselben hatte die kaiserlichen Finanzen, welche damals an chronischer Zehrung laborierten, damit unterstützt, dass sie von dem, was aus den Landeseinkünften in ihren Privatsäckel floss, den Adel sich kauften, und sie waren unerträglich dünkelhaft, wie das in der Natur der Sache lag. Dass es da an Reibungen mit dem Rat nicht fehlte, der noch von Reichsfreiheit träumte und auf dem Pfandrecht ritt, was diese neugebackenen Junker mit Hohnlachen hinnahmen, war natürlich. Da folgte bei dem Kurfürsten Beschwerde auf Beschwerde, aber da die Stadt und ihr Rat nicht sonderlich angeschrieben stand, so folgte einfach, dass die Herren Amtleute nicht recht behielten, wenn sie es nicht gar zu arg machten.

Kam so der Wohlstand der Stadt ins Sinken, wirkten die unglückseligen Folgen des »Winterkönigtums« Friedrichs V. (geb. 1596 / gest. 1632) noch drückender darauf ein, denn die einrückenden Spanier und das »Heer der Mönche«, welche an den Soldaten Bekehrungshelfer hatten, die den Lohn ihrer kirchlichen Tätigkeit aus den Säcken der Bürger mit nicht milder und schonender Hand erhoben, waren auch ein nicht unwirksames Mittel, Land und Leute zu verarmen und innerlich furchtbar zu erbittern. Die Mönche nahmen die protestantische Kirche in Besitz, und dann folgte das Spinola-Cordova’sche Bekehrungsgeschäft, nämlich das herdenweise Treiben der Protestanten in die Messe, wobei es an obligaten Kolbenstößen und dem Kitzeln mit der Säbelspitze nicht fehlte.

Der Rat versuchte durch Proteste und Klagen bei der in Kreuznach sesshaften spanischen Regierung Hilfe zu finden, aber die edlen Herren lachten dazu und ließen die Oppenheimer auf Abstellung hoffen.

So ging es im Gebiet des Glaubens, und im Gebiet des Geldes hielt die sorgliche Behörde darauf, dass nichts durchging und nichts blieb.

Aber ein Hoffnungsstern ging den Gedrückten doch auf, als Gustav Adolf nach der Schlacht bei Breitenfeld nahte, »denn«, sagte das Volk in der Pfalz, »wir werden so allein die spanischen Molche los!« Der König von Schweden nahm schon Mitte Dezember 1631 sein Quartier in Erfelden.

Wenn auch die Spanier alle Schiffe entfernt und meist in den Fluten des Rheines versenkt hatten und glaubten, sich damit eine sichere Schutzwehr bereitet zu haben, so blieb das eine gewaltige Täuschung, denn die Schweden hatten, vom Volk begünstigt, Mittel und Wege gefunden, über den Rhein zu gelangen, und in der Morgendämmerung des 17. Dezembers, den Punkt des Überganges bezeichnet heute noch die sogenannte »Schwedensäule«, sahen sich die Spanier unerwartet von den Schweden angegriffen. Die Sternschanze der Spanier, die Stadt und endlich auch Landskron fielen, wenn auch nach schwerem, blutigem Kampf, in der Schweden Hände. Die Spanier, welche nicht nach Mainz als Bringer der Schreckensbotschaft flohen, fielen sämtlich durch die Schärfe des Schwertes oder die Kugeln der Hakenbüchsen, denn der Kampf war sehr erbittert. Erst nach Jahren fanden die Reste der Gefallenen eine Ruhestätte in den Gewölben unter der St. Katharinenkirche, wo sie künstlich, wie feste Mauern, noch heute aufgeschichtet sind und sie der Pflug des Ackerers nicht störte. Oppenheim hatte gelitten und musste noch leiden, denn die Schweden waren auch wilde Gesellen, die nichts und niemanden schonten. Der arme Kurfürst, schwer bereuend, dass er nach Böhmens trügerischer Krone gegriffen, kam, aber sein Land erhielt er nicht. Es war die letzte bittere Täuschung, und als er in Mainz starb, erhielt Oppenheim, als die nächste »pfälzische Stadt«, die traurige Ehre, sein vielgetäuschtes Herz und seine Eingeweide im westlichen Chor seiner schönen Katharinenkirche bestatten zu dürfen.

Die unglückliche Schlacht von Nördlingen (im Jahre 1634, eine der Hauptschlachten des Dreißigjährigen Krieges) führte die Schweden über Oppenheim nach der Rheingrafschaft an der oberen Nahe, wo sie letztlich ein Asyl fanden. Allerdings bezeichneten sie ihren Weg genauso wenig wie später ihre Nähe durch Handlungen der Liebe. Als die Spanier wiederkamen, fanden sie nichts mehr, was des Nehmens wert gewesen wäre. Die Zeit, welche nun anbrach und bis zum Westfälischen Frieden reichte, war eine für Stadt und Land gleichermaßen schwere, denn ihr Besitz wechselte zwischen Spaniern, Bayern, Franzosen, Reichssoldaten (unstreitig die wenigsten rühmenswerten) usw. Dass die Stadt dabei nicht gewann, dass der Religionsdruck unter jesuitischer Beihilfe weder milde war noch nachließ, das lag in den Verhältnissen und in der Zeit, aber die Dulder empfanden es bitter genug. Erst nach dem Westfälischen Frieden wurde es besser, obgleich noch bis zum Jahre 1680 nicht alle Wunden geheilt waren.

Die Katharinenkirche erhielten die Reformierten.

Die Stadt hatte eingesehen, dass das alte Lied vom »Pfandrecht« am Ende war. Sie war klar aus ihren alten Träumen erwacht. Still beugte sie sich unter die Friedenssatzung, die sie der Pfalz einverleibte. Leider fiel die Zeit dieses ernüchternden Erwachens gerade in die Periode der begehrlichen Geltendmachung vermeintlicher Ansprüche des »Allerchristlichsten Königs von Frankreich« an die schöne Pfalz. Man sieht, dass das »Annexionsgelüste« an der Seine nicht von heute ist, und dass die schönen Ufer des Rheines Gegenstände einer alten Liebe sind, die, wie das Sprichwort sagt, nicht rostet.

Schon im Jahre 1688 kam es zum Krieg, die Pfalz fiel in die Hände der Horden Ludwigs des Vierzehnten, der ein wackeres Zugreifen für nützlicher hielt, als ein langsames Unterhandeln.