Der sanfte Schlaf des Todes: Im Visier eines Serienkillers - Margaret Murphy - E-Book
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Der sanfte Schlaf des Todes: Im Visier eines Serienkillers E-Book

Margaret Murphy

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Beschreibung

Im Visier eines Serienkillers ... Der eiskalte Psycho-Thriller »Der sanfte Schlaf des Todes« von Margaret Murphy als eBook bei dotbooks. War der Mord an ihrer Tochter nur ein erster Zug in einem perversen Spiel, um sie zu brechen? Kate Pearson ist in einem Albtraum gefangen: Ihre elfjährige Tochter wurde entführt, ermordet, und der Killer ist weiterhin dort draußen. Ein Gedanke, den Kate kaum ertragen kann. Jeden Tag kämpft sie darum, wieder zurück ins Leben zu finden – doch dann erhält sie im Büro eine E-Mail, die sie das ganze Grauen noch einmal durchleben lässt: »Warum hast du zugelassen, dass er mir wehtut, Mami?« Es ist nicht die letzte Nachricht, die sie von dem Mörder erhält: Er spielt mit ihren Ängsten, fordert sie heraus – und immer mehr beschleicht Kate das dunkle Gefühl, dass er es all die Zeit eigentlich auf sie abgesehen hat. Womöglich ist es jemand, den sie schon lange kennt, dem sie vertraut? Und der erneut töten wird, wenn sie ihn nicht aufhält ... »Margaret Murphy erzeugt höchste psychologische Spannung.« The Times Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der abgründige England-Thriller »Der sanfte Schlaf des Todes« von Margaret Murphy. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

War der Mord an ihrer Tochter nur ein erster Zug in einem perversen Spiel, um sie zu brechen? Kate Pearson ist in einem Albtraum gefangen: Ihre elfjährige Tochter wurde entführt, ermordet, und der Killer ist weiterhin dort draußen. Ein Gedanke, den Kate kaum ertragen kann. Jeden Tag kämpft sie darum, wieder zurück ins Leben zu finden – doch dann erhält sie im Büro eine E-Mail, die sie das ganze Grauen noch einmal durchleben lässt: »Warum hast du zugelassen, dass er mir wehtut, Mami?« Es ist nicht die letzte Nachricht, die sie von dem Mörder erhält: Er spielt mit ihren Ängsten, fordert sie heraus – und immer mehr beschleicht Kate das dunkle Gefühl, dass er es all die Zeit eigentlich auf sie abgesehen hat. Womöglich ist es jemand, den sie schon lange kennt, dem sie vertraut? Und der erneut töten wird, wenn sie ihn nicht aufhält ...

»Margaret Murphy erzeugt höchste psychologische Spannung.« The Times

Über die Autorin:

Margaret Murphy ist diplomierte Umweltbiologin und hat mehrere Jahre als Biologielehrerin in Lancashire und Liverpool gearbeitet. Ihr erster Roman »Der sanfte Schlaf des Todes« wurde von der Kritik begeistert aufgenommen und mit dem First Blood Award als bester Debüt-Krimi ausgezeichnet. Seitdem hat sie zahlreiche weitere psychologische Spannungsromane und Thriller veröffentlicht, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Heute lebt sie auf der Halbinsel Wirral im Nordwesten Englands.

Die Website der Autorin: www.margaret-murphy.co.uk/

Bei dotbooks veröffentlichte Margaret Murphy auch ihre psychologischen Spannungsromane:

»Die Stille der Angst«

»Im Schatten der Schuld«

»Das stumme Kind«

Außerdem ist bei dotbooks ihre Thriller-Reihe um die Anwältin Clara Pascal erschienen:

»Warte, bis es dunkel wird – Band 1«

»Der Tod kennt kein Vergessen – Band 2«

Sowie ihre Reihe um die Liverpool Police Station:

»Wer für das Böse lebt – Band 1«

»Wer kein Erbarmen kennt – Band 2«

»Wer Rache sucht – Band 3«

***

eBook-Neuausgabe Oktober 2021

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1996 unter dem Originaltitel »Goodnight, My Angel« bei Macmillan, London, und später neu unter dem Originaltitel »Dear Mum«. Die deutsche Erstausgabe erschien 1997 unter dem Titel »Schlafe sanft, mein Engel« bei Goldmann.

Copyright © der englischen Originalausgabe 1996 by Margaret Murphy

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1997 Wilhelm Goldmann Verlag, München

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/DrimaFilm, gyn9037

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96655-904-1

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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***

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Margaret Murphy

Der sanfte Schlaf des Todes

Roman

Aus dem Englischen von Christine Frauendorf-Mössel

dotbooks.

Dank an Murf für all den Spaß

und an Dr. R. C. Bucknall,

der den Wolf von der Tür fernhält.

Melanie ermordet

Melanie Pearson wurde neben einem Waldweg, 10 Meilen von ihrem Zuhause in Manchester entfernt, erschlagen aufgefunden. Obwohl das Opfer nicht vollständig bekleidet war, gab es keine Anzeichen für ein Sexualverbrechen.

Die dunkelhaarige Melanie, die seit einer Woche als vermißt galt, wäre am heutigen Tag zwölf Jahre alt geworden. Ihre verzweifelte Mutter mußte von Polizeibeamten gestützt werden, als sie nach der Identifizierung der Toten das Leichenschauhaus verließ.

Melanies Verschwinden hatte eine landesweite Fahndung ausgelöst. Aus Polizeikreisen verlautet, daß die Unterstützung der Bevölkerung ›überwältigend‹ gewesen sei. Der grausige Fund von heute ist für die gesamte Polizei ein schwerer Schlag. Selbst erfahrene Polizistinnen und Polizisten sind fassungslos angesichts der Brutalität, mit der das kleine Mädchen offenbar getötet wurde.

Der Leiter der Ermittlungen, Chefinspektor Harmon, sagte: »Solange Melanies Mörder nicht gefaßt ist, gibt es keine Sicherheit für unsere Kinder.

Wir haben es mit einem sehr gefährlichen Verbrecher zu tun. Ich bitte dringend um Hinweise aus der Bevölkerung. Selbstverständlich behandeln wir jede Information vertraulich.«

Nur wenige Mädchen an Melanies Schule, der Trafford High, gehen den Schulweg im Moment alleine. Eltern haben einen Bring- und Abholdienst eingerichtet, so daß jeweils mehrere Kinder von mindestens einem Erwachsenen begleitet werden. Nach Schulschluß am Spätnachmittag wird das Schulgelände von Lehrkräften gründlich kontrolliert und die Abfahrt der Schülerinnen mit den Schulbussen überwacht. Melanie war beim Verlassen des Schulgeländes in Begleitung eines großen, schlanken Mannes gesehen worden, der einen dunklen Parka mit Kapuze trug.

Eine Mutter sprach wohl allen aus dem Herzen, als sie sagte: »Solange dieser Wahnsinnige frei herumläuft, kann sich keiner sicher fühlen. Wir sorgen zwar dafür, daß der Weg von und zur Schule unter unserer Aufsicht stattfindet. Aber rund um die Uhr können wir die Kinder nicht bewachen. Dazu müßten wir sie zu Hause einsperren. Und das ist ausgeschlossen.«

Kapitel 1

Stimmen, gedämpft und beruhigend, verbanden sich in wohltuender Harmonie mit dem sanften, schnellen Klappern der Computertasturen. Die Strahlen der Novembersonne fielen schräg in den Büroraum: goldgelb und noch ein wenig erwärmend. Jemand hatte ein Fenster geöffnet, und das gleichmäßige Rauschen des Nachmittagsverkehrs auf dem Albert Square war eine zusätzliche Geräuschkulisse.

Kate Pearson seufzte. Es war durchaus kein unzufriedener Seufzer, und sie lächelte, teils nachdenklich, teils amüsiert, über ihre Stimmung. Irgend etwas fehlte. Mit einiger Überraschung stellte Kate fest, daß sie so milde gestimmt war wie das nachmittägliche Licht. Zum ersten Mal seit fast fünf Monaten war sie relativ zufrieden. So also kann es sein, dachte sie. Ihr Blick schweifte zum Fenster und hinaus über den kleinen Garten an der Rückseite des Gebäudes. Ich hatte ganz vergessen, wie es ist, wenn man … Sie hielt inne. Glück war es nicht. Sie ahnte, daß sie nie wieder glücklich sein konnte. Nicht wirklich glücklich. Eher schon fröhlich. Das traf es besser. Der spätherbstliche Sonnenschein flimmerte durch die Bäume, die noch nicht alle restlos kahl waren. Flammend rot hoben sie sich vor der tiefstehenden Sonne ab, wie in einem letzten Aufbäumen gegen den kommenden Winter. Ein kühler, würziger Luftzug strich über ihr Gesicht. Sie schloß für einen Moment die Augen und atmete tief ein. Dann konzentrierte sie sich wieder auf ihre Arbeit, das Korrekturlesen, und tippte leicht auf die Bildlauf-Taste.

Im nächsten Augenblick stieß sie ihren Stuhl vom Schreibtisch zurück und starrte entsetzt auf den Monitor.

Acht Worte füllten den Bildschirm aus.

Kate schnappte voller Entsetzen nach Luft und riß ihre Hände von der Tastatur zurück.

Alle arbeiteten leise. Sam kontrollierte zusammen mit Emma einige Unterlagen. Ihre Stimmen übertönten das Klicken der Tastaturen und das sanfte Rauschen des Verkehrs.

Kate zwang ihren Blick zurück auf den Bildschirm. Ganz unten auf dem Monitor erschien eine weitere Textzeile.

Langsam entstand eine allgemeine Unruhe. Blicke gingen hin und her. Kates überwiegend weibliche Kollegen reagierten nervös auf ihre Erregung. Sie wollte nur noch fort, weg von den furchtbaren Worten auf dem Monitor, weg von den neugierigen Blicken der anderen. Doch sie war nicht sicher, ob ihre Beine sie tragen würden, deshalb blieb sie sitzen. Ihr Blick zuckte zwischen den ängstlichen Gesichtern ihrer Kolleginnen und dem Monitor hin und her.

Dann nahm ihr jemand die Sicht. Sie war erleichtert und verärgert zugleich. Jemand hatte sich vor den PC gestellt. Sie schaute hoch. Es war Adam. Wer sonst? Sie hatte nicht viele Freunde im Büro. Und das nahm sie niemandem übel. Schließlich hatte sie den Kollegen in den vergangenen sechs Monaten viele Gründe gegeben, sie nicht zu mögen.

»Kate?«

Sie stand wie in Trance auf. Adam streckte eine Hand aus, stützte sie.

»Kate, was ist los? Was ist passiert?«

Sie starrte über seine Schulter, und er drehte sich um, folgte ihrem Blick.

»Gütiger Himmel!« flüsterte er. Doch in der absoluten Stille hörte es sich beinahe an wie ein Aufschrei.

Bei den anderen gewann Neugier die Oberhand. Sie drängten sich um Kates Schreibtisch, der fast in der Mitte des Raumes stand. Einige schrien unwillkürlich laut auf, als sie den Text auf dem Monitor lasen.

Warum hast du zugelassen, daß er mir weh tut, Mami?

und darunter:

Ich hab dich lieb, Mami. Ich möchte nach Hause.

Adam markierte die Nachrichten mit schnellen, automatischen Bewegungen und löschte sie. Dann sicherte er den Bericht, an dem Kate gearbeitet hatte, und schaltete ihren Computer ab.

Kate stand wie versteinert da. Sie war leichenblaß. Adam hielt noch immer ihren linken Oberarm umfaßt und führte sie jetzt aus dem Büroraum.

Das fragende Gemurmel explodierte zu einem aufgeregten Stimmengewirr, noch ehe sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte.

Melanie lachte über einen ihrer unbeholfenen Witze, und Kate wurde von einem Gefühl unendlicher Zärtlichkeit und Liebe für sie erfaßt. Sie legte den Arm um ihre Tochter und zog sie heftig an sich. Melanie kreischte vor Lachen und drückte sich eng an ihre Mutter. Sie sah auf, und ihre seidigen braunen Haare fielen ihr aus dem Gesicht. Ihre Augen wurden groß und sahen die Angst. Sie waren in einem Wald, an einem Bach. Es wurde dunkel, und Kate drängte unruhig zum Aufbruch.

»Haben wir uns verlaufen?« fragte Melanie, plötzlich verängstigt.

Kate sah lächelnd in die Augen ihrer Tochter hinunter, versuchte, ihr die Angst zu nehmen, versuchte, die Last allein zu tragen. In Melanies schreckgeweiteten Augen spiegelte sich die grüne Farbe ihrer eigenen.

»Nein, Liebes. Wir haben uns nicht verlaufen«, sagte sie ruhig und verschwieg den Rest: ›Ich weiß nur nicht, wo wir sind‹. Melanie drängte sich enger an die Mutter.

Der Wald wurde dunkler, dichter, unwegsamer. Brombeerranken zerkratzten ihre Beine und rissen an ihrer Kleidung.

»Mami …«

Kate ergriff fest die Hand der Tochter. »Ist ja gut. Alles wird gut werden, wenn wir zusammenbleiben. Bleib bei mir, Mel. Laß nur meine Hand nicht los.«

»Melanie!«

Kate war jetzt allein. Sie stand auf einer Lichtung. Im Dunkeln. Ihre Stimme, schrill und panisch, schien abzuprallen, reichte nur bis zu dem Saum von Bäumen, der die Wiesen umgab, und hallte zu ihr zurück. Sie hörte Wasser rauschen. Das war nicht mehr der Bach, an dem sie entlanggegangen waren, sondern ein Fluß, der lautstark über Felsgestein toste. Es war dunkel, so dunkel. Und sie konnte Melanie nicht finden.

Sie schrie erneut: »Melanie!« und rannte auf das Wasser zu. Ein Schuß zerriß die Stille. Wie über ihrem Kopf. Hohl, gedämpft durch die seltsam schwere Luft, die über allem lag.

»MELANIE!«

Kate wachte auf. Tränen strömten ihr über das Gesicht. Es war dunkel, stockdunkel. Sie blinzelte in die Schwärze, die sie umgab. Das dumpfe Pochen begann erneut. Ihre Nachbarin, Mrs. Wilson, klopfte, um sich zu beschweren. Sie mußte wohl laut geschrien haben.

Kate ging in Melanies Zimmer und nahm den Lieblingsbären ihrer Tochter in den Arm.

Sie konnte gerade eben das Leuchtzifferblatt der Mickymaus-Uhr auf der Kommode erkennen. Es war halb elf.

Allmählich ließ das qualvolle Schluchzen nach, die Tränen versiegten, und sie hatte sich wieder unter Kontrolle. Die Taubheit, die sie den ganzen Nachmittag und Abend über empfunden hatte, war fort. Sie verspürte eine grenzenlose Sehnsucht nach Melanie. Sie. hätte nie geglaubt, daß die quälende Leere der ersten Wochen sie noch einmal derart lähmend überkommen könnte. Und doch war sie wieder da, machtvoll und überwältigend wie in jenen Augenblicken auf der Schwelle zum Wahnsinn, als sie ihr gesagt hatten, daß Melanie tot war.

Adam hatte sie vom Büro nach Hause gebracht und nur zögernd allein gelassen. Sie hatte versucht fernzusehen, um die erstickende Stille in der Wohnung zu verdrängen. Doch sie vermochte den Dialogen nicht zu folgen. An das, was dann gekommen war, erinnerte sie sich kaum. Sie wußte nur, daß sie schließlich erschöpft in ihr Zimmer und ins Bett gegangen war. Sie hatte Melanies Raum gemieden, um nicht im Ansturm der Gefühle unterzugehen. Jetzt wurde ihr klar, daß sie den Sturm nur hinausgezögert hatte.

Das Telefon klingelte. Kate fuhr zusammen. Melanies Teddybär heftig an sich drückend, ging sie zur Tür, schloß ab und blieb für einen Moment stehen, den Blick aufs Telefon fixiert. Kate wurde von derselben unerträglichen Spannung erfaßt, die ihre Nerven in jener ersten Woche nach Mels Verschwinden bei jedem Klingeln auf die Zerreißprobe gestellt hatte. Wer sollte sie anrufen? Und um diese Zeit? Sie sah auf die Uhr. Halb acht. Verwirrt machte sie kehrt, als wolle sie in das Zimmer zurück. Aber die Uhr in Melanies Zimmer stand auf halb elf … Kate schüttelte müde den Kopf. Melanies Wecker mußte stehengeblieben sein. Sie hatte vergessen, ihn aufzuziehen.

Sie fühlte einen Stich des Schuldbewußtseins, einen stechenden Schmerz unter dem Herzen. Noch nie hatte sie vergessen, die Uhr aufzuziehen. An diesem Morgen, als sie ins Büro gefahren war, war sie einem Glücksgefühl so nahe gewesen, wie sie es nicht mehr für möglich gehalten hatte. Und dabei hatte sie es versäumt, die Uhr aufzuziehen. Melanies Uhr. Sie hatte, gewissermaßen, Melanie vergessen.

Ein Pochen von oben ließ Kate heftig erschaudern. Bum, bum, bum! … ertönte es dreimal in schneller Folge. Mrs. Wilson war gereizt, weil sie das Telefon einfach klingeln ließ. Sie nahm den Hörer von der Gabel und hielt ihn weit von ihrem Ohr entfernt.

»Kate?«

Ein ersticktes Schluchzen, dann hatte Kate sich wieder in der Hand. »Adam?« antwortete sie einigermaßen ruhig.

»Geht … es dir besser?«

»Viel besser. Danke«, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu.

Am anderen Ende war es still. Dann sagte Adam vorsichtig: »Ich weiß, daß du lieber niemanden aus dem Büro um dich haben möchtest, aber soll ich vielleicht eine Freundin für dich anrufen und sie bitten, zu dir zu kommen?«

»Nein. Ich … Nein.«

»Nun …« Er schien verlegen zu sein. »Was ist mit deiner Mutter?«

»Nein!« Kate zuckte angesichts ihrer heftigen Reaktion zusammen und wiederholte ruhiger: »Nein. Mir geht’s wirklich gut. Ich habe nur … Es war nur ein Schock. Das ist alles. Morgen komme ich wieder ins Büro.«

»Mr. Owen hat mich gebeten, dir auszurichten, du könntest den Rest der Woche freinehmen.« Adams Stimme klang entschuldigend.

Kate stöhnte. »Oh, Mann! Wer hat es ihm denn erzählt?«

»Tut mir leid, Kate. Als ich zurückkam, wußte es schon der ganze Laden.« Adam zögerte, und Kate spürte, daß noch etwas Unangenehmes kommen würde. »Kate, sie behaupten, du hättest es selbst getan.«

Sie runzelte die Stirn.

Besorgt über ihr Schweigen, begann er erneut. »Kate …«

»Vielleicht bin ich’s ja gewesen«, sagte sie trotzig.

»Kate …«

»Ich bin morgen wieder da.« Damit legte sie auf. Sollten sie doch denken, was sie wollten.

»Vielleicht war ich’s ja auch«, wiederholte sie finster gegen die Wand. »Vielleicht war ich’s …« Angst schlich sich in ihre Stimme. Sie hatte getippt, bevor diese Worte auf dem Bildschirm erschienen. Sie hatte Korrektur gelesen, korrigiert und vor sich hin geträumt. Könnte sie die Nachricht eingegeben haben, ohne es zu merken? Wie sie in Melanies Zimmer gegangen war, ohne es zu merken? Die zweite Zeile – ›Ich hab dich lieb, Mami. Ich will nach Hause‹ –, war sie schon vorher auf dem Monitor gewesen? Hatte sie selbst die Nachricht eingetippt, um sich für das Vergessen zu bestrafen? Dafür, daß sie, wenn auch nicht unbedingt glücklich, so doch wenigstens für ein paar kurze Stunden unbeschwerter gewesen war?

Kapitel 2

Kate zündete mit zitternden Händen eine zweite Zigarette an.

»Du solltest zur Polizei gehen.«

Sie lehnte sich gegen die Wand, schloß die Augen und machte einen tiefen Zug. Sie hatte die Zigaretten auf dem Weg ins Büro gekauft, um gewappnet zu sein, falls Mr. Owen sie zu einer Diskussion über ihre Arbeitstauglichkeit zwang. Es war erstaunlich, wie schnell sie wieder zur Raucherin geworden war. Wie schnell die alten Gewohnheiten sich wieder eingestellt hatten. Und wie gut es geschmeckt hatte, selbst nach fünf Jahren. Adams Einwände ignorierte sie.

»Ich hab’s wegen Melanie aufgegeben, weißt du.«

»Was aufgegeben?«

»Das Rauchen. Melanie kam ganz aufgeregt aus der Schule. Sie hatte geweint. Man hatte den Kindern einen Film des Gesundheitsministeriums gezeigt.«

Adam schwieg.

Kate sah sie so deutlich vor sich. Wie sie in ihrem blauen Regenmantel in der kleinen Küche gestanden hatte. Ihre Haare klebten wie seidene Fäden an dem weißen Seidenfutter der Kapuze. Ihre Kniestrümpfe waren bis zu den Knöcheln hinuntergerutscht.

»Ich will nicht, daß du stirbst, Mami«, hatte sie ernst gesagt. Sieben Jahre, und bereits besorgt, die Mutter könne sterben.

Kate entgegnete, sie solle nicht albern sein. Viele Leute rauchten, ohne Krebs zu bekommen. Aber Melanie war gut informiert.

»Miss Unsworth hat gesagt, jede Zigarette verkürze das Leben um fünf Minuten.« Melanie, deren Zeitvorstellungen noch sehr schwammig waren, schloß daraus, daß Kate nicht mehr lange zu leben hatte. »Das macht eine Stunde und eine Viertelstunde für heute.«

Kate rauchte damals ungefähr 15 Zigaretten täglich. Sie war von den Rechenkünsten ihrer Tochter beeindruckt und konnte sich die Frage nicht verkneifen, ob ihr jemand bei der Rechnung geholfen habe. Aber Melanie war in Tränen ausgebrochen und hatte gejammert: »Bitte, Mami!«

Kate hatte sie beruhigt, ihr geschmeichelt, ihr gedroht, aber Melanie ließ sich nicht beruhigen. Schließlich hatte Kate ihre Niederlage eingestanden.

Und tatsächlich das Rauchen aufgegeben.

Kate seufzte. Melanie war damals sieben Jahre alt gewesen. Eine Woche vor ihrem zwölften Geburtstag war sie verschwunden. »In einem Punkt hat meine Mutter recht gehabt«, sagte sie. »Eine Mutter sollte nie ihr Kind überleben.« Sie zog nervös an ihrer Zigarette.

Adam warf ihr einen verstohlenen Blick zu. Sie trug eine braune Hose, Stiefeletten und ein langes dunkelbraunes Polowollhemd, das ihre schmale Taille überspielte. Sie schnippte die Asche von der Zigarette, steckte sie zwischen die Lippen und machte einen tiefen Lungenzug. Ihre schmalen, zierlichen Nasenflügel blähten sich dabei. Kates Haut war von einer unnatürlichen Blässe, was den Kontrast zu ihrem vollen kastanienbraunen Haar noch verstärkte. Sie trug es jetzt stets streng zurückgekämmt und zu einem Zopf geflochten. Als sie sich kennengelernt hatten, war er von ihrem Haar fasziniert gewesen. Wenn sie es offen trug, fiel es seidenweich auf ihre Schultern und wellte sich so sinnlich im Nacken, daß er dem Wunsch, es zu berühren, kaum hatte widerstehen können.

Als Adam sie jetzt ansah – das Haar aus den wachsbleichen, angespannten Zügen streng zurückgekämmt –, schoß es ihm durch den Kopf, daß sie inzwischen genauso rigoros auch ihre Gefühle in Schach hielt. Sie hat Angst, loszulassen, um nicht hysterisch zu werden, dachte er. Die Hülle um ihre Selbstbeherrschung ist sehr dünn.

Kates grüne Augen erwiderten seinen Blick. Sie hatte die gefährliche Ausstrahlung eines weidwunden Tieres. Sie brauchte Hilfe und vertraute doch niemandem.

»Kennst du den Kerl, der …« Er verstummte. Sein Finger fuhr nervös über eine Augenbraue. Adam hatte sich auf ein schwieriges Terrain begeben.

Er fühlte, daß Kate neben ihm erstarrte, wagte jedoch nicht, sie anzusehen.

Welcher Mann? Was hatte er sagen wollen? Sie hatte den Büroraum verlassen, um genau dem zu entgehen! Eine neue Nachricht. Eine weitere Notiz war in ihrer Mailbox aufgetaucht:

Hilf mir Mami! Mach, daß er aufhört!

Was hatte Adam sagen wollen? Daß das fiese Schwein – das Ungeheuer, das ihre Tochter umgebracht hatte – sich zurückmeldete?

»Der Inspektor … Wie hieß er noch?«

Kate atmete aus. Sie hätte vor Erleichterung beinahe gelacht. »Chefinspektor«, korrigierte sie ihn. »Harmon.«

»Vertraust du ihm?«

Kate runzelte die Stirn, als sei die Vorstellung, jemandem zu vertrauen, geradezu absurd. Sie überlegte. »Ich denke schon … Ich meine, ich habe ihm mal vertraut.«

»Solltest du ihn nicht informieren?«

»Weshalb?«

Diesmal sah Adam konsterniert drein. »Weshalb? Weil er Polizist ist. Weil er befaßt war mit deinem F …«

»Mit meinem … was? Mit meinem ›Fall‹? Wolltest du das sagen?«

»Was ich sagen will, ist, daß er dich kennt und über deinen …«

»Meinen ›Fall‹.«

»Weil er weiß, was mit Melanie passiert ist«, beharrte Adam. »Erzähl ihm von diesen verrückten E-mails. Vielleicht kann er was unternehmen.«

»Was denn zum Beispiel? Der ›Fall‹ Pearson ist ad acta gelegt. Gilt als alte Kamelle. Hast du das nicht gewußt?« Kates Züge trugen jenen steinernen, abweisenden Ausdruck, den er in den vergangenen Monaten so oft an ihr bemerkt hatte.

»Kate …« Er zögerte. »Und wenn er es ist?« Er meinte Melanies Mörder. Brachte jedoch das Wort nicht über die Lippen.

»Nein.«

Er versuchte es erneut. »Kate, du kannst nicht zulassen, daß dieser Kerl ungeschoren davonkommt …«

»Hör auf, Adam«, warnte sie. »Du hast selbst gesagt, daß es vermutlich ein ›Verrückter‹ ist.« Sie wehrte seine Einwände, Verrückte könnten gefährlich sein, ungeduldig ab und fügte hinzu: »Ich habe dich nicht um deinen Rat gefragt. Ich habe dich nicht gebeten, mir nachzugehen. Falls ich jemanden brauche, um mich auszuweinen, sage ich Bescheid. Und jetzt zisch ab. Ich will meine Zigarette genießen.«

Sie fing seinen Blick auf und bereute das Gesagte sofort. Adam kehrte langsam ins Gebäude zurück.

Als er den Büroraum betrat, herrschte dort heller Aufruhr.

»Was ist denn jetzt schon wieder los?«

Adam zuckte mit den Schultern.

Moiras Mund wurde schmal. Sie konnte es nicht ausstehen, wenn ihre hemmungslose Neugier nicht befriedigt wurde.

»Mr. Owen sucht sie schon«, berichtete sie in einem gehässigen Tonfall. »Und dich auch. Du hast deinen Computer nicht abgeschaltet.«

Adam musterte sie kalt. Moira war eine korpulente Frau und hatte eine physische Ausstrahlung, der man sich kaum entziehen konnte. Ihr Gesicht war eigentlich ganz nett, nur die Augen verrieten sie: dunkle, stechende Knopfaugen, die unaufhörlich und gierig die Umgebung abtasteten. Harmlose Neugier nahm Moira niemand als Beweggrund ab.

Unter Adams scharfem Blick senkte sie die Lider. »Ich möchte nur nicht, daß Kate Schwierigkeiten kriegt«, murmelte sie.

»Ach, wirklich nicht, Moira? Wenn Kate Schwierigkeiten bekommt, machst du dir doch vor Freude in die Hose.«

Schallendes Gelächter ertönte. Moira wurde rot. »Ich bin doch keine Klatschtante!«

Adam warf den Kopf zurück und lachte. »Das ist pure Selbstverleugnung!«

»Was soll das heißen?«

»Ausgerechnet du steckst deine Nase doch unablässig in anderer Leute Angelegenheiten.«

»Wird hier heute ausnahmsweise auch mal was gearbeitet?«

Alle fuhren gleichzeitig herum. Owen stand mit aufgekrempelten Hemdsärmeln in der Tür zu seinem gläsernen Büro. Seine Angestellten stoben auseinander, perlten wie Quecksilbertropfen von Moira und Adam ab, die in der Mitte zurückblieben.

Wir sprechen uns noch, dachte Adam, und warf Moira einen giftigen Blick zu, der ebenso böse erwidert wurde.

Als Kate Minuten später ins Büro zurückkehrte, herrschte, abgesehen vom Klackern der Tastaturen und dem leisen Geräusch der Laserdrucker, unnatürliche Stille.

Owen musterte sie wütend von seinem Platz hinter der Glasscheibe aus. Kate ließ sich nichts anmerken. Sie sah jedoch, daß Moira etwas in ihr lächerliches Notizbuch eintrug, und widerstand dem Impuls, es ihr wegzunehmen und aus dem Fenster zu werfen.

Kate setzte sich an ihren Schreibtisch und nahm den Telefonhörer ab. Mit ruhiger Hand drückte sie zwei Nummerntasten. Einen Augenblick später sagte sie: »John? Hier ist Kate Pearson. Folgendes: Irgend jemand fingert in meinen Dateien herum. Kann ich mal kurz zu dir runterkommen?«

Adam wirkte überrascht und verlegen zugleich. Er erinnerte sich sofort an den großen dunkelhäutigen Kriminalbeamten. Er war an jenem Tag, als man Melanie gefunden hatte, in den Fernsehnachrichten aufgetreten. Er hatte hinter Kate gestanden und eine beruhigende Hand auf ihre Schulter gelegt.

Kaum war Kate auf den Eingangsstufen erschienen, fielen die Reporter über sie her. Adam erinnerte sich noch, daß er den Klang ihrer harten Schritte auf den glatten Steinen als unangenehm und beklemmend empfunden hatte.

Ein Reporter hatte Kate ein Mikrophon vors Gesicht gehalten und alle anderen mit seiner Frage überbrüllt, was sie zu der Meldung zu sagen habe, daß Melanie zum Zeitpunkt der Entführung ›mutterseelenallein zu Hause‹ gewesen sei. Zu jener Zeit waren gerade einige Skandalgeschichten von Müttern, die ihre Aufsichtspflicht angeblich sträflich vernachlässigt hatten, durch die Medien gegeistert.

Kates Gesicht war leichenblaß. Sie gab keine Antwort, schien durch den Reporter hindurchzusehen, hatte immer noch das Bild ihrer bleichen, geschundenen Tochter vor Augen. Schließlich stotterte sie: »N… nein, sie … sie war bei ihrer Freundin – Jenny, ihrer Freundin. Sie wollten zusammen essen …«

Verzweifelt und hilfesuchend sah sie zu Harmon auf. Der Inspektor legte beschützend den Arm um ihre Schultern, schob sie zu einem Wagen und sagte energisch:

»Keine Fragen mehr!«

Erst nachdem er die Autotür hinter ihr geschlossen hatte, stellte er sich ruhig und emotionslos den Reportern.

»Mrs. Pearson ist tief erschüttert, meine Damen und Herren. Wir alle sind erschüttert. Ich weiß, Mrs. Pearson ist Ihnen für Ihre Unterstützung bei der Suche nach Melanie dankbar. Aber Sie werden verstehen, daß sie jetzt in Ruhe gelassen werden möchte. Ich verspreche, daß Ihre Fragen in einer späteren Pressekonferenz beantwortet werden.«

Aus der Menge der Presseleute schlug ihm Unmut entgegen, doch bevor es zu Tumulten kommen konnte, war Harmon in einen Wagen gestiegen und davongefahren.

Chefinspektor Harmon entging Adams Verlegenheit nicht. Mittlerweile war er daran gewöhnt, als dunkelhäutiger Kriminalbeamter in ranghoher Stellung die unterschiedlichsten Reaktionen zu provozieren. Er musterte den jungen Mann mit verhaltener Neugier.

Adam wurde rot.

»Sie wollten mit mir über Melanie Pearson sprechen, Mr. Shepherd.« Er sprach ein erstklassiges Englisch. Nur der Tonfall verriet eine Spur seiner westindischen Heimat.

»Über den Fall … ja.« Adam zuckte unwillkürlich zusammen. Wieder war ihm dieses unselige Wort herausgerutscht.

»Ich finde den Ausdruck ›Fall‹ besonders unpassend, wenn es um den Tod eines kleinen Mädchens geht, Mr. Shepherd. Melanie Pearson war ein Kind, kein ›Fall‹.«

»Ja, natürlich. Ich habe nicht gemeint …«, stotterte Adam. »Ich wollte damit nur sagen, daß es nicht direkt etwas mit Melanie zu tun hat. Mehr mit Mrs. Pearson.«

»Nicht direkt? Wie darf ich das verstehen?« Chefinspektor Harmon blieb freundlich. Seine dunklen Augen musterten den jungen Mann nachdenklich. Mr. Shepherd machte einen überaus nervösen Eindruck. Immer wieder hob er die Hand an die Augenbrauen und strich sich hektisch über die Stirn, auf der inzwischen Schweißperlen standen.

»Stimmt etwas nicht, Mr. Shepherd?«

Adams Hand zuckte erneut an die Schläfe. »Ob was nicht stimmt? Nein. Was meinen Sie?«

»Das weiß ich nicht.« Harmon hielt inne. Shepherd konnte seine Hände nicht still halten. »Sie scheinen erregt zu sein.«

»Mrs. Pearson weiß nicht, daß ich hier bin. Das ist es vielleicht.«

Erneut traf ihn ein nachdenklicher Blick.

Erneut reagierte er mit einer nervösen Geste.

Ein leises Klopfen an der Bürotür lenkte sie beide ab. Sie sahen zur Tür, Harmon gereizt, Shepherd mit Erleichterung. Ein Kriminalbeamter erschien im Türrahmen, erfaßte die Situation und wollte sich schon wieder zurückziehen, als Harmon sagte: »Kommen Sie ruhig rein, Bill. Dürfte Sie auch interessieren, was Mr. Shepherd zu sagen hat. Sergeant Wainwright ist ebenfalls mit den Ermittlungen gegen Melanies Mörder befaßt«, klärte er Adam auf.

Der Mann blieb stehen, die magere, knochige Hand auf der Türklinke. Adam fühlte sich erneut beobachtet, abgeschätzt, etikettiert und in eine Schublade gesteckt. Der Sergeant schloß die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen, eine Haltung, die Adam augenblicklich in Panik versetzte.

»Wie darf ich Ihre letzte Bemerkung verstehen? Ist Mrs. Pearson mit Ihrem Besuch bei uns vielleicht nicht einverstanden?« fragte Harmon.

»Sie … sie hat mir verboten herzukommen. Sie sagt, ich solle Sie nicht belästigen. Sie sagt, Sie hätten genug zu tun.«

Die Augen des Chefinspektors blitzten amüsiert auf. »Trotzdem sind Sie gekommen.« Harmon erhob sich. Er war größer, als Adam ihn in Erinnerung hatte, mindestens einen Meter zweiundneunzig, dabei schlank und muskulös zugleich.

»Ja«. Adam räusperte sich eingeschüchtert. »Kate will es nicht eingestehen, aber sie braucht Hilfe. Es muß was unternommen werden.«

»Unternommen? Inwiefern? Das müssen Sie mir schon näher erklären.«

»Kate kriegt Nachrichten. Total verdrehtes Zeug. Über Email. Außerdem pfuscht jemand in ihren Dateien herum … hackt sich in Berichte, die sie schreibt, in Briefe und so weiter. Ob sie auch Telefonanrufe kriegt, weiß ich nicht. Sie sagte es mir nicht. Es ist geradezu pervers. Weshalb sollte jemand … Dabei ging es ihr gerade etwas besser. Jedenfalls schien sie zumindest das Schlimmste überstanden zu haben. Und dann fängt dieses kranke Schwein an …«

»Nachrichten über E-mail, sagen Sie?«

»Ja, und er stellt sie zu, während sie an ihrem Computer arbeitet.«

»Ist das Computerjargon?« fragte Wainwright prompt.

»Sie meinen ›zustellen‹?« Adam wurde rot. »Vermutlich.«

»Wie wär’s, wenn Sie für uns das Geheimnis dieses Ausdrucks lüften?« Diesmal war es Harmon.

Der junge Mann zuckte mit den Schultern.

»Man bezeichnet damit die Methode, E-mails in ein laufendes Programm zu schicken, so daß die Arbeit am PC unterbrochen werden muß. Es ertönt ein Piepton, und dann taucht die Nachricht auf dem Bildschirm auf. Eigentlich gilt das als schlechte Manieren.«

»Etikette im Internet?«

Adam sah auf, runzelte die Stirn. »Wenn Sie so wollen.«

»Ist das leicht zu machen? Ich meine, könnte jeder durchschnittliche Büroangestellte es tun, oder … muß man dazu schon Computerfreak sein wie Sie?«

Adam blinzelte. »Wie meinen Sie das?«

»Es ist doch einfach, einer bestimmten Person per E-mail eine Nachricht zu schicken. Man braucht dazu nur eine Adresse, oder? Aber um sich in laufende Programme einzuschalten … ist dazu nicht ein Paßwort nötig?«

»Ich bin kein Computerfreak. Ich bin nur ein ganz normaler Anwender«, protestierte Adam reichlich spät.

Inspektor Harmon neigte den Kopf leicht zur Seite. »Egal. Ich möchte wissen, ob man über bestimmte Fachkenntnisse verfügen muß, um sich in laufende Programme einzuschalten?«

»Genau das ist ja das Beunruhigende an der Sache«, gestand Adam, sichtlich entspannter. »Verstehen Sie mich nicht falsch. Das Sicherheitssystem von Technicom ist nicht gerade brillant, aber es enthält alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen.«

»Und Sie kennen sich damit aus, oder?« fragte Wainwright.

Adam zuckte zusammen. »Womit?«

»Mit dem Sicherheitssystem.«

Sofort wurde Adam wieder vorsichtig. »Nicht besser als jeder andere im Büro.«

»Sie sind demnach also nicht für das Sicherheitssystem verantwortlich.« Das war eine Feststellung, und Adam hatte das unangenehme Gefühl, daß Harmon mehr wußte, als er zugab.

»Ich bin wie gesagt ein Anwender. Mehr nicht.«

»Kein Grund zur falschen Bescheidenheit, Mr. Shepherd«, entgegnete Harmon. »Wenn Sie wissen, daß das Sicherheitssystem geknackt worden ist …«

»Man muß nicht Bill Gates persönlich sein, um das festzustellen. Es liegt auf der Hand. Wie sonst hätte dieser verdammte …« Adam hielt rechtzeitig inne. Beinahe wäre er den beiden Polizisten mit ihrer Taktik zu fragen auf den Leim gegangen und hätte seiner Wut freien Lauf gelassen. Er wartete, bis er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. »Wie sonst hätte er in Kates Programmen herumfingern können.«

»Ja, wie wohl?« Chefinspektor Harmon wandte sich zum Fenster und beobachtete einige Minuten lang den Verkehr unten auf der Straße. Wainwright hatte seine grauen Augen unverwandt auf ihn gerichtet, sein Gesicht war düster vor Sorge. Als Adam nervös wurde, sagte Harmon:

»Weshalb sagen Sie ›er‹?«

»Wie bitte?«

»Sie bezeichnen den Hacker als ›er‹. Wie sonst hätte ›er‹ in Kates Programmen herumpfuschen können«, zitierte er Adam wörtlich.

»Ist nur eine Redeweise. Hacker sind meistens Männer … oder Jungs.«

Harmon drehte sich um. »Könnte das Sicherheitssystem der Firma von innen geknackt worden sein? Ich meine, wie beurteilen Sie das als … Laie?« fügte er in ironischem Ton hinzu.

Adam wurde erneut rot. »Das ist natürlich möglich«, antwortete er vorsichtig. »Aber wer sollte …« Etwas an Harmons Gesichtsausdruck ließ ihn verstummen.

»Was stand eigentlich in diesen Mitteilungen?« fragte Harmon plötzlich.

»Verrückter Blödsinn. Sie waren so abgefaßt, daß man glauben konnte, sie kämen von Kates Tochter.«

Harmon hob abrupt den Kopf. »Von Melanie!« flüsterte er.

Adam nickte. »Einmal beschwert sie sich darüber, daß Kate zugelassen habe, daß er ihr weh tut. In der letzten Nachricht hieß es, Melanie wolle nach Hause.«

Für einige Minuten war es vollkommen still im Zimmer. Schließlich stand Adam auf und wandte sich zum Gehen. Wainwright rührte sich nicht vom Fleck. Er blieb mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt. Mit unbeweglicher Miene.

»Sie unternehmen doch was, oder?« fragte Adam Harmon.

»Weshalb sind Sie hierhergekommen, Mr. Shepherd?«

»Weil ich nicht will, daß Kate noch mehr durchmachen muß. Weil sie Ihnen vertraut.« Er zuckte mit den Schultern. »Weil ich nicht weiß, was ich sonst tun soll.«

Harmon sah Shepherd nach. Die Tür fiel hinter ihm zu.

Kapitel 3

Er arbeitete geräuschlos und mit äußerster Sorgfalt, komponierte seine Mitteilungen ohne Hast auf einem Offline-Network-Simulator. Einige Monate zuvor hatte er das Gerät gekauft, um seine Telefonrechnung zu senken. Doch dann hatte er noch andere Vorzüge daran entdeckt: ein klarer Ausdruck gepaart mit schneller Übertragbarkeit, die praktisch verhinderte, daß man ihm auf die Schliche kam.

Das Tageslicht verschwand zunehmend, aber er schaltete kein Licht an. Er mochte es, wenn die Dunkelheit in sein Zimmer kroch und ihn kühl und tröstlich umfing. Er lächelte.

Der Monitor schien jetzt intensiver zu leuchten. Sein Licht grenzte sich schärfer ab, warf einen bläulichen Widerschein auf sein Gesicht und verlieh seinen Augen einen metallischen Glanz.

Meine Arbeit ist wie ein Liebesakt, schoß es ihm durch den Kopf, und er stutzte plötzlich, runzelte die Stirn. Er war nicht sicher, daß irgend etwas, irgend jemand sich seiner Liebe würdig erweisen könnte. Die Antwort ergab sich von selbst: Seine Liebe war bei anderen in unsicheren Händen, das hatte er schmerzlich erleben müssen. So hatte er sie nach innen gewendet, bewunderte nun voller Hingabe seinen Geist und seine Geschicklichkeit. Die schnellen, präzisen Bewegungen seiner Finger über der Tastatur, die sorgfältige Gestaltung des Textes, seine treffende Formulierung – stets das passende Wort, stets zurückhaltend im Ausdruck. Er errötete kurz vor Glück und nahm dann seine Arbeit mit frischem Eifer wieder auf.

MamiMami, hilf mir …

Zweimal die Rücktaste, dann zweimal die Tabulatortaste und:

Es ist so DUNKEL hier draußen, so … KALT

Ein kleiner Wonneschauer lief an seiner Wirbelsäule entlang, und er seufzte in vollkommener Zufriedenheit. Alles lief exakt nach Plan.

Kapitel 4

Es war gut, daß Adam seinen Besuch bei Inspektor Harmon für sich behalten hatte. Wie der Inspektor schon vermutet hatte, hätte Kate ihn sicher nicht gebilligt. Allein ihr geradezu fanatischer Unabhängigkeitsdrang verbat jede Einmischung in ihre privaten Angelegenheiten. Aber das war noch nicht das Schlimmste: Sich an Inspektor Harmon zu wenden hätte den Rückfall in eine Hilflosigkeit bedeutet, die sie nicht gutheißen konnte.

Sie hatte nichts gegen Harmon als Mann, und seine Freundlichkeit während jener schrecklichen Wochen, nachdem Melanies armer, geschundener Körper gefunden worden war, hatte sie niemals als aufdringlich empfunden. Kate wußte, daß er sie von den aufdringlichen Überfällen der Medienvertreter abgeschirmt hatte. Er hatte im Grand Midland Hotel im Zentrum von Manchester ein Zimmer für Kate und eine Freundin reservieren lassen, nur fünf Gehminuten von der Stadtverwaltung und ihrem Arbeitsplatz entfernt. Kate hatte Mary Marchant gebeten, das selbstgewählte Exil im Hotel mit ihr zu teilen. Damals waren sie noch befreundet gewesen. Die vorübergehende Abwesenheit von ihrer Wohnung und Marys Gesellschaft erwiesen sich als heilsam. Trotzdem hatte sie sich nach ihrem Zuhause gesehnt und war nicht einmal eine Woche lang im Hotel geblieben.

Mittlerweile hatte sich ihre Reaktion auf das Verhalten der meisten Menschen ihr gegenüber von der Dankbarkeit der ersten Tage in offene Feindseligkeit gegen deren Aufdringlichkeiten verkehrt. Für Chefinspektor Harmon empfand sie jedoch nach wie vor nur Hochachtung. Er hatte ihr in einer Zeit Schutz gewährt, in der sie sich nicht alleine ihrer Haut erwehren konnte.

Harmon war es auch gewesen, dem die Aufgabe zugefallen war, Kate die Nachricht von Melanies Tod zu überbringen. Harmon hatte sie auf den Anblick der schrecklichen Wunden vorbereitet, die ihrem kleinen Mädchen zugefügt worden waren. Er selbst hatte Kate ins Leichenschauhaus begleitet, und er war es gewesen, der sie stützte, als sie schließlich zusammenbrach. Denn nichts und niemand konnte eine Mutter auf den Anblick vorbereiten, wenn ihr Kind bleich, kalt und schrecklich zugerichtet auf der Bahre eines Leichenschauhauses lag.

Für diese Fürsorge würde Kate ihm stets dankbar sein. Und gleichzeitig konnte sie ihm nie verzeihen, daß er derjenige gewesen war, der ihr mit ruhiger Sachlichkeit mitgeteilt hatte, daß Melanie nie wieder nach Hause kommen würde. Daß sie durch die Hand eines brutalen Mörders in Angst und unter Schmerzen gestorben war. Und sie, Kate, war nicht dagewesen, um sie zu retten.

»Das ist alles so sinnlos!« Kate stand auf, ging ungeduldig zum Fenster. Ihre Kollegen warfen sich ratlose Blicke zu. Das Großraumbüro bot keinerlei private Rückzugsmöglichkeiten.

»Alles in Ordnung, Schätzchen?« kam es fast wie eine Warnung von Moira. Aufdringliche Moira. Übereifrige, wißbegierige, überkandidelte Moira Jones – Korporal Jones hatten sie und Melanie sie getauft, nach der Figur aus Dad’s Army –, stets bereit zu lauschen und mehr als willig, Krisennachrichten gleich zu verbreiten. Moira hielt sich gerne für eine warmherzige Samariterin, doch fehlte ihr jeglicher Sinn für Diskretion. Für alles, was über die nackten Fakten hinausging, zeigte sie weder Verständnis noch Interesse. Neugier war ihre einzige Motivation.

»Mir geht’s ausgezeichnet«, antwortete Kate, ohne sich umzudrehen. Sie stand am Fenster, sah auf den Albert Square hinunter und beobachtete die Blätter, die wie Tränen langsam von den Bäumen auf das Kopfsteinpflaster und die Bänke fielen.

Seufzend wandte sie sich wieder um. Einige ihrer Kollegen reagierten zu langsam, so daß Kate ihr Starren noch bemerkte. Die sensibleren unter ihnen taten so, als sähen sie träumend aus dem Fenster. Andere wiederum senkten abrupt ihre Blicke und konzentrierten sich mit übertriebenem Eifer auf die Arbeit. Einige jedoch starrten sie weiterhin ungerührt und herausfordernd an.

Kate registrierte das alles nur nebenbei. Sie war viel zu sehr in ihre eigenen Gedanken versunken.

»Sinnlos«, murmelte sie erneut und zwang sich schließlich, an ihrem Bericht weiterzuarbeiten.

Das Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelte. Äußerlich gelassen griff sie nach dem Hörer, während ihr Herz jedoch wie rasend klopfte.

»Wo zum Teufel bleibt die Furnley-Akte?«

»Ich arbeite daran, Mr. Owen.«

»Was? Ich brauche sie jetzt! Ich habe in einer Stunde einen Termin bei Furnley persönlich! Was bilden Sie sich ein?«

Mr. Owen hatte eine Glatze, seit er die Dreißig überschritten hatte, und darüber war er nie ganz hinweggekommen. Zumindest erlaubte er sich seither keine Schwäche mehr. Aus einem Zweimannteam, das Computerspiele entwickelte, hatte er die Firma Technicom mit sechzig Angestellten und einem Jahresumsatz von einer Million Pfund gemacht. Technicom versorgte jetzt Unternehmen im gesamten Nordwesten mit Computer-Hardware und maßgeschneiderten Office-Software-Paketen, die in der Branche einen ausgezeichneten Ruf genossen.

Owen war also ein erfolgreicher Unternehmer und hatte nicht die Absicht, sich seinen Ruf durch unfähige Büroangestellte kaputtmachen zu lassen.

»Tut mir leid …«

»Was zum Henker haben Sie den ganzen Tag gemacht? Ich hatte Sie gebeten, daß dieser Bericht vorrangig behandelt wird. Er sollte spätestens mittags auf meinem Tisch liegen.« Diese Pearson wurde allmählich zu einem Verlustgeschäft.

Kate warf einen Blick auf die große Uhr an der Wand. Halb drei. »Ich hatte keine Ahnung …«

»Ich hatte Ihnen eine entsprechende Nachricht in Ihrer Mailbox hinterlassen. Herrgott, Kate, reißen Sie sich zusammen! Haben Sie etwa den ganzen Tag noch keinen Blick in Ihre Mailbox geworfen?« Furnley war ein potentieller neuer Kunde. Für Owen stand viel Geld auf dem Spiel.

»Selbstverständlich habe ich in meine Mailbox geschaut«, log Kate ungerührt. »Ich muß Ihre Nachricht übersehen haben, Mr. Owen. Aber der Bericht ist sowieso gleich fertig. Er ist nur noch nicht ganz korrigiert. Sie können ihn ruhig schon abrufen. Und während Sie ihn durchlesen, korrigiere ich zu Ende und drucke ihn aus.«

»Bleibt mir wohl nichts anderes übrig.« Owen zögerte. »Ach was! Schicken Sie mir das ganze Zeug rein, sobald Sie fertig sind.«

»Geben Sie mir zwanzig Minuten – nein, eine halbe Stunde«, sagte Kate schnell, aber Owen hatte bereits lautstark aufgelegt.

Nachdem Kate den Bericht abgeliefert hatte, überwand sie sich, ihre E-mails zu kontrollieren. Sie fand Mr. Owens Memo sofort. Es war um sieben Uhr am vorausgegangenen Abend registriert worden – Mr. Owen erledigte einen Großteil der Arbeit von zu Hause aus. Sie blätterte die Mailliste durch und fand einen anonymen Eintrag unter Position 22 in ihrer Mailbox, mit dem Datum des Vortages. Statt des Absenders erschien die Eintragung:

NAME AUF ERSUCHEN GEHEIMGEHALTEN

Sie griff zum Hörer und wählte eine Nummer. »John? Gibt’s was Neues?« Nach einer Pause: »Nein … Nein, ich weiß, daß du tust, was du kannst.« Wieder eine Pause. »Nein!« rief sie dann. »Mach das nicht! Stell sämtliche Anrufe durch …« Schließlich dankte sie dem Systembetreuer, legte auf und starrte auf den Bildschirm.

Kate klickte die anonyme Eintragung mit dem Cursor an, holte tief Luft und drückte die Enter-Taste. Und da war sie. Wie ein Schrei in der Dunkelheit.

so … KALT

Kate fühlte, wie auch in ihr eisige Kälte hochkroch. Ihre Hände waren kalkweiß, und sie bekam eine Gänsehaut.

Das ist nicht Melanie, sagte sie sich. Das ist nicht mein Kind. Das ist irgendein sadistisches Spiel für ihn. Er bläst sich auf, weil die Polizei ihn nicht erwischt hat … ihn nicht erwischen kann … ihn nie erwischen wird.

Wut gewann die Oberhand über den Schmerz. Eisern nahm sie sich vor, den sogenannten Header, den Vorspann des Datagramms, zu prüfen, hinter dem sich der Absender verbarg.

Kate sah sich heimlich im Büro um. Die anderen arbeiteten ruhig weiter, hatten nichts bemerkt, waren träge gefangen in der Nachmittagssonne, die Nachtfrost versprach. Adam stand neben Lynn an der Kaffeemaschine. Das Lachen der beiden drang gedämpft zu ihr herüber. Kates Blick richtete sich wieder auf den Bildschirm. Der Header lautete:

Return-Path ›[email protected]

Ein anonymer Mailservice.

Na gut, sagte sie sich. Es wäre geradezu unhöflich, nicht zu antworten. Sie tippte ein paar Worte ein und brachte die Nachricht auf den Weg.

Warum verstecken Sie sich hinter einem toten Kind?

Kate warf erneut einen verstohlenen Blick auf Adam. Er schien sie zu beobachten, doch dann sah er auf die Uhr, sagte etwas zu Lynn, trank seinen Kaffee und schlenderte ohne einen Blick zurück aus dem Büro.

Kate konzentrierte sich wieder auf den Bildschirm und gab den Druckbefehl. Der Printer sprang an und druckte die Seite in Sekundenschnelle aus. Kate faltete sie und steckte sie in ihre Handtasche. Nachdem sie die restliche Mail durchgesehen hatte, schloß sie das Programm und verließ das Büro.

Draußen widerstand sie der Versuchung zu rennen und zwang sich, gemessenen Schrittes die Feuertreppe hinunterzugehen. Sie war bereits zwei Stockwerke tiefer, als sich oben mit dumpfem Knall eine Tür schloß. Kates Blick folgte automatisch dem Geräusch, und sie glaubte im Zwielicht eine Bewegung zu sehen. Die Dunkelheit schien zu ihr herunterzukriechen, und sie ergriff die Flucht, rannte die Treppen hinunter und durch die Tür im Kellergeschoß. Eine Frau fuhr erschrocken zurück, als Kate in den Korridor stürzte. Sie brachte eine heisere Entschuldigung heraus, nahm sich zusammen und ging zu einer Stahltür rechts vom Treppenaufgang. Im Kellergeschoß waren die Server-Anlage und John James, der Systembetreuer von Technicom, untergebracht. Kate hatte keinen Zweifel, daß John ihr noch bereitwilliger helfen würde, wenn sie bei ihm vorbeischaute, statt nur mit ihm zu telefonieren. Rechts von der breiten Stahltür war ein Kartenschloß angebracht. Darüber befand sich eine Sprechanlage. Kate drückte auf den Klingelknopf und wartete. Wenige Minuten später tönte ein undefinierbares Zischen aus der Sprechanlage. Sie nahm an, daß dies eine menschliche Stimme sein sollte, drückte auf die Sprechtaste und sagte: »Mein Name ist Kate Pearson. Ich möchte John sprechen.« Wieder ertönte ein Zischen aus der Anlage. Es klang wie Wasser in einer alten Heizungsanlage. Dann summte der Türöffner. Kate wunderte sich, daß ein Mann wie Owen, der stolz darauf war, über die beste Computer-Hardware zu verfügen, der Firma ein solch miserables Kommunikationssystem zumutete, über das man sich nicht normal verständigen konnte. Sie drückte mit der Schulter gegen die Tür, die lautlos, aber zögernd nachgab. Kate trat ein.

Vor ihr lag eine Art Tresorraum. Er war mindestens sechs Meter hoch, hell erleuchtet, weitläufig, und wirkte dennoch in sich so abgeschlossen, daß sie beinahe klaustrophobische Anwandlungen bekam. Die Geräuschkulisse bestand aus dem sanften Zischen von Laserdruckern, den Kühlaggregaten der Computer, die überall auf sorgfältig aufgeräumten Schreibtischen standen und aus dem tiefen, durchdringenden Summen der Klimaanlage. Die Server-Anlage stand auf Marley-Platten, die jeden Abend gesäubert wurden. Stapel von Magnetbändern und Disketten lagerten in Kisten oder Regalen an den Wänden. Im hinteren Viertel des Raums hatte man eine Zwischendecke eingezogen, um weitere Staumöglichkeiten zu schaffen. Kate empfand es hier als kalt und ungemütlich, sie hatte das Gefühl, unwillkommen zu sein.

John James, der Systembetreuer von Technicom und Teilzeitprogrammierer, saß an seinem Schreibtisch und arbeitete an einem der PCs. Das Kunststoffgehäuse war auf einer Seite weggeklappt, so daß das Innenleben des Computers freilag. John war so in seine Arbeit vertieft, daß Kate zögerte, ihn zu stören. Gedankenlos nahm sie eine Zigarette heraus. Es gab keine sichtbare Reaktion, keinen Augenkontakt, doch die Mißbilligung, die John ausstrahlte, war so deutlich zu spüren, daß sie die Zigarette augenblicklich wieder einsteckte. Sie wartete höflich, während er ein Chip auswechselte.

John James war ein kleiner, schlanker junger Mann. Er hatte einen weißen Kinnbart und trug sein Haar im Nacken zu einem blonden Pferdeschwanz mit erdbeerfarbenem Streifen zusammengebunden. Die Wirkung war verblüffend. Er sah wie ein schottischer Highlander aus. Tatsächlich jedoch stammte er aus Edinburgh. Sein Haar wurde bereits schütter, war jedoch stets gepflegt und sorgfältig frisiert. Er hatte immer einen blütenweißen Laborkittel an und sah mit einem Ausdruck überraschter Belustigung in die Welt.

Schließlich sagte er in seinem gewählten Edinburgher Akzent: »Eigentlich sollte ich diese Operation einem Techniker überlassen. Aber Owen, dieser knausrige Waliser, spart, wo er nur kann, an Arbeitskräften.«

Kate begriff sofort, daß das eine Warnung sein sollte, ihn nicht zu lange von der Arbeit abzuhalten.

John James zog eine Schraube fest und legte den Schraubenzieher beiseite. »Okay, laß sehen.«

Kate reichte ihm den Ausdruck.

»Mieses Schwein!« Die Heftigkeit seines Fluchs paßte nicht so recht zu seiner wie immer leicht amüsierten Miene.

»Stimmt«, murmelte Kate. »Soll das übrigens heißen, du hast sie nicht gelesen, als sie reinkam?«

John wurde schlagartig ernst. »Weshalb sollte ich deine private Mail lesen?« fragte er streng. »Du hast mich gebeten, den Absender ausfindig zu machen. Ich hab’s versucht … leider ohne Erfolg. Aber du hast mich nicht gebeten, deine Post zu lesen. Das ist deine Privatsache. Ich bin doch kein Voyeur.«

Kate wurde klar, daß sie John beleidigt hatte. Er hatte strenge Moralvorstellungen. »Ich dachte, du mußt unsere E-mails grundsätzlich überprüfen«, sagte sie in dem Versuch, ihn zu beschwichtigen. »Aus Sicherheitsgründen – um Mißbrauch vorzubeugen.«

Kate fühlte, wie sie unter seinem Blick rot wurde. Sie war schon fast soweit, aufzugeben und zu gehen, als er nickte. »Natürlich nur als Stichproben«, antwortete er vorsichtig. »Der Computer sucht aus, und ich überprüfe die Eingänge, die er vorschlägt. Alles andere wäre moralisch nicht zu vertreten, Kate«, sagte er mit leisem Vorwurf.

»Nein«, stimmte sie ihm ernsthaft zu. »Natürlich nicht.«

John schwieg für einige Minuten, fummelte an der Server-Anlage herum, überprüfte Bänder, lagerte Computerausdrucke in ein Regal am Ende des Raumes ein. Die Protokolle von Testläufen, die beim Erstellen von Programmen üblich waren, wurden hier im Keller auf Endlospapier ausgedruckt. Die meisten Programmierer arbeiteten im oberen Stockwerk an ihren PCs, aber ein oder zwei zogen die Atmosphäre des Kellerraumes vor. Letzteres war Kate reichlich unverständlich. Sie empfand den Raum als beklemmend und wurde immer mutloser. Wenn John schon empfindlich auf die Andeutung reagierte, er könne ihre E-mail gelesen haben, würde ihm ihr Vorschlag erst recht nicht gefallen.

»Ich glaube, er ist gefährlich.« Sie hielt inne, war auf der Hut. Johns Miene verriet nichts. Trotzdem war sie sicher, daß ihn die Notiz ebenso schockiert hatte wie sie selbst. »John, ich glaube, der Mann, der mir die E-mail geschickt hat, ist derselbe, der auch Melanie entführt hat.«

Er sah zu ihr auf. Das übliche süffisante Lächeln. Und doch verriet der Ausdruck seiner Augen tiefe Besorgnis.

»Hm … könnte durchaus hinkommen.« Er seufzte, wartete auf das Unvermeidliche.

»Ich will ihn finden. Vielleicht … ich dachte, möglicherweise …«

Er beobachtete sie aufmerksam.

»… könntest du für mich ein paar Dateien überprüfen.«

John richtete sich steif auf.