Warte, bis es dunkel wird - Margaret Murphy - E-Book
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Warte, bis es dunkel wird E-Book

Margaret Murphy

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Beschreibung

Er genießt das Spiel mit seiner Beute … Ein Thriller mit Gänsehautgarantie: »Warte, bis es dunkel wird« von Margaret Murphy als eBook bei dotbooks. Es scheint ein Morgen wie jeder andere: Clara verabschiedet ihre kleine Tochter am Schultor, macht sich auf den Weg in die Kanzlei – und dann weiß sie nur noch, dass sie in einen Wagen gezerrt und betäubt wird. Als Clara aufwacht, ist sie gefesselt, umgeben von der Dunkelheit eines Kellerverlieses. An den Wänden die Fotos von missbrauchten und ermordeten Mädchen. Und da ist ER: Ihr unbekannter Peiniger, der sich stumm an ihrer Angst weidet. Jede Minute gerinnt zu einer grauenhaften Ewigkeit, während Clara versucht, ihren Entführer zum Reden zu bringen. Doch er scheint jede Taktik, die sie sonst so erfolgreich vor Gericht anwendet, bereits zu kennen. Um ihr Leben zu retten, muss sie sich auf ein dunkles Spiel einlassen, das nach und nach die Abgründe dieser englischen Kleinstadt enthüllt … »Das Paradebeispiel eines Spannungsromans: gruselig und absolut packend!« Bestsellerautorin Val McDermid Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Psycho-Thriller »Warte, bis es dunkel wird« von Margaret Murphy ist der erste Band ihrer »Clara Pascal«-Reihe, die mit abgründigen Psycho-Duellen fesselt – für alle Leser und Leserinnen von »Das Schweigen der Lämmer«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Es scheint ein Morgen wie jeder andere: Clara verabschiedet ihre kleine Tochter am Schultor, macht sich auf den Weg in die Kanzlei – und dann weiß sie nur noch, dass sie in einen Wagen gezerrt und betäubt wird. Als Clara aufwacht, ist sie gefesselt, umgeben von der Dunkelheit eines Kellerverlieses. An den Wänden die Fotos von missbrauchten und ermordeten Mädchen. Und da ist ER: Ihr unbekannter Peiniger, der sich stumm an ihrer Angst weidet. Jede Minute gerinnt zu einer grauenhaften Ewigkeit, während Clara versucht, ihren Entführer zum Reden zu bringen. Doch er scheint jede Taktik, die sie sonst so erfolgreich vor Gericht anwendet, bereits zu kennen. Um ihr Leben zu retten, muss sie sich auf ein dunkles Spiel einlassen, das nach und nach die Abgründe dieser englischen Kleinstadt enthüllt …

»Das Paradebeispiel eines Spannungsromans: gruselig und absolut packend!« Bestsellerautorin Val McDermid

Über die Autorin:

Margaret Murphy ist diplomierte Umweltbiologin und hat mehrere Jahre als Biologielehrerin in Lancashire und Liverpool gearbeitet. Ihr erster Roman »Der sanfte Schlaf des Todes« wurde von der Kritik begeistert aufgenommen und mit dem First Blood Award als bester Debüt-Krimi ausgezeichnet. Seitdem hat sie zahlreiche weitere psychologische Spannungsromane und Thriller veröffentlicht, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Heute lebt sie auf der Halbinsel Wirral im Nordwesten Englands.

Die Website der Autorin: www.margaret-murphy.co.uk/

Margaret Murphy veröffentlichte in ihrer Reihe um die Anwältin Clara Pascal auch:

»Der Tod kennt kein Vergessen – Band 2«

Sowie ihre Reihe um die Liverpool Police Station:

»Wer für das Böse lebt – Band 1«

»Wer kein Erbarmen kennt – Band 2«

»Wer Rache sucht – Band 3«

Und ihre Spannungsromane:

»Das stumme Kind«

»Der sanfte Schlaf des Todes«

»Im Schatten der Schuld«

»Die Stille der Angst«

***

eBook-Neuausgabe März 2022

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2002 unter dem Originaltitel »Darkness Falls« bei Hodder and Stoughton, London.

Copyright © der englischen Originalausgabe 2002 by Margaret Murphy

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2003 Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Leonid Andronov, Gyn9037

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96655-768-9

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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***

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Margaret Murphy

Warte, bis es dunkel wird

Roman

Aus dem Englischen von Christine Heinzius

dotbooks.

Für Murf

Kapitel 1

Ein klarer Tropfen fällt auf ihre Wange. Er glitzert einen Augenblick, glatt wie eine Perle, dann wird er in den weichen Puder ihres Make-ups gesogen, und sein Glanz vergeht. Sie bewegt sich nicht. Er berührt sein Gesicht: Er weint. Er weint, weil sie so schön ist, und trotzdem bewegt sie sich nicht, als eine Träne warm auf ihre Haut tropft. Tut sie ihm Leid oder er sich selbst? Er kann es nicht ertragen. Sie gehörte ihm. Für eine zu kurze Zeit hatte sie zu ihm gehört, aber es war das reinste Vergnügen, das er je erlebt hat. Jetzt ist sie fort. Wie wird er je wieder eine wie sie finden?

Er schaut sich erneut ihr hübsches Gesicht an. Ihre Augenlider sind schattig, bläulich, verletzt, und ihre Lippen sind blass und blutleer, weil er den Lippenstift, den sie erst vor ein paar Stunden sorgfältig aufgetragen hatte, weggeküsst hat. Er streicht eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht – Gott, sie ist so schön! Er schließt seine Augen vor dem Schmerz, der real ist, physisch. Sie war alles für ihn: Alles, was er wollte, alles, was er sich je vorstellen konnte. Ein Stöhnen entweicht ihm, und er legt die Finger auf seine Lippen, damit sie aufhören zu zittern. Er kniet neben ihr und setzt sich auf seine Füße. Eine Weile vergisst er sich, wiegt sich langsam vor und zurück, die Wiederholung tröstet ihn.

Es kann so nicht weitergehen. Er muss einiges erledigen – für sie und für sich selbst. Man sagt, dass Rituale in schwierigen Zeiten helfen; dass die Traditionen des Trauerns und der Beerdigung uns dabei helfen, sowohl den Tod zu akzeptieren als auch die Notwendigkeit weiterzumachen. Er glaubt daran, und obwohl er nicht religiös ist, glaubt er immer noch an die Riten: Die alten Hymnen, der Geruch von Weihrauch und die gemurmelten Antworten der Gemeinde wirken immer noch tröstend auf ihn. Er wischt sich über die Augen.

Er wird sie nicht beerdigen. Sie hasste die Dunkelheit – hatte panische Angst davor, eingeschlossen zu werden. Und wie sollen sie sie überhaupt finden, wenn er sie unter die Erde bringt?

Er findet einen ruhigen Platz oberhalb des Musikpavillons, verborgen vor den neugierigen Augen der Schlaflosen und der gelegentlich vorbeikommenden Betrunkenen, die auf der Fußgängerbrücke über den Dee nach Hause wanken. Tiefes, ruhiges Wasser, schwarz und unergründlich, weit weg von der trügerischen Strömung des Wehrs, die sie schnell in die neugierige Öffentlichkeit ziehen würde. Bevor er die Chance gehabt hätte, sauber zu machen und alles zu desinfizieren; die Ordnung wieder herzustellen aus dem Durcheinander, das ihre Vorbereitung und ihr Tod verursacht haben.

Sie ist schwer. Im Tod schwerer als im Leben. Als ob ihre Lebenskraft sie getragen hätte, gegen den Sog der Schwerkraft. Lebend lernte sie schnell, sich seinem Willen nicht zu widersetzen, aber jetzt, da bewusster Widerstand ihr nicht mehr möglich ist, behindert sie ihn mit ihrer Trägheit. Er unterdrückt einen wütenden Reflex, sie bestrafen zu wollen – sie ist darüber hinaus, und er ist kein Verrückter –, er wird sie nicht entstellen: Sie kam unversehrt zu ihm, und sie wird ihn genauso verlassen.

Er schaut sich ihren Körper, der perfekt in seiner Verletzlichkeit ist, ein letztes Mal an, dann lässt er sie ins Wasser gleiten. Erschrocken über das eisige Wasser schnappt er nach Luft und sieht schnell in ihr Gesicht. Es ist unberührt.

Sie spürt nichts – er beneidet sie fast darum, weil er aufgewühlt ist: Er hat mit einer Handlung begonnen, von der es kein Zurück gibt. Sie rutscht widerstandslos unter die Oberfläche. Einen Augenblick lang schwimmen ihre Haare fächerförmig, rahmen ihr Gesicht ein, dann dreht sie sich, geschickt wie ein Otter, und verschwindet in der Tiefe.

Kapitel 2

Mittagspause. Er muss vor dem derben, banalen Geschwätz seiner Kollegen flüchten, sonst wird er wahnsinnig. Er trauert, aber er muss unverändert erscheinen, so ruhig und bestimmt wie immer.

Eastgate Street ist voll von Leuten, die einkaufen. In den Schaufenstern hängen Stellenangebote für die Saison: Der Weihnachtstrubel wird schlimmer. Er steht im Torbogen unter dem Glockenturm, gegenüber vom Grosvenor Hotel. Er raucht eine Zigarette, gegen die Kälte eingepackt, beobachtet mehr aus Gewohnheit als aus Verlangen.

Seine Augen gleiten über die Übergewichtigen und Hässlichen in der Menge. Es ist nicht nur so, dass sie ihn nicht interessieren – sie existieren einfach nicht. Den Rest beurteilt er nach einem instinktiven, fast unbewussten System der Klassifikation, von den zu Jungen über die zu Schönen bis zu dem Typ. Am besten, sie ist über dreißig, aber auf keinen Fall älter als vierzig. Selbstvertrauen ist entscheidend: Er findet Selbstvertrauen bei einer Frau attraktiv; es ist eine Herausforderung für ihn. Er mag Herausforderungen, und wo ist die Herausforderung, wenn eine Frau sich ihm von Anfang an unterwirft? Er sucht nach Haltung – eine Frau, die weiß, wie sie sich bewegen soll und sich ihrer Wirkung auf Männer bewusst ist, die ihre Feminität genießt, ohne sich darin zu baden; der Typ, der eine sexuelle Spannung auslösen kann, wenn sie ein Zimmer betritt, die das aber nicht immer ausnutzen möchte.

Er starrt in die bewegte Menge, ohne klar zu sehen. Da! Neben der Hotel-Kolonnade. Sie ist gut gekleidet, modisch, aber nicht auffallend. Sie geht ohne Eile, ruhig, elegant, selbstsicher, selbstbewusst. Sie hat Handschuhe an, hält in einer Hand einen zusammengerollten und verpackten Regenschirm. Sie trägt kamelfarbenen Kaschmir mit einem bisschen Rot am Hals, ihre Schuhe passen zu ihren Handschuhen.

Sie lächelt, und er spürt, dass sich seine Lippen als Antwort öffnen. Sie betritt die Straße in einem plötzlichen Sonnenstrahl, und sie scheint auf eine Bühne ins Scheinwerferlicht zu treten. Sein Herz schlägt schneller. Sie kommt auf ihn zu! Ein Mann tritt in sein Blickfeld, und er ärgert sich, löst sich vom Torbogen und tritt seine Zigarette aus. Die Frau nimmt den Arm des Mannes. Er tätschelt ihre Hand. Sie gehen lächelnd davon.

Seine Fäuste sind geballt, er folgt ihnen ein paar Schritte. Um Himmels willen! Was, denkst du, kannst du tun? Sie ist bei jemandem. Er wird langsamer und bleibt stehen, starrt ihnen nach, bis sie um die Ecke biegen, die Treppen zu einem Geschäft hinaufgehen und im Schatten verschwinden.

Er zuckt die Schultern, lächelt halb vor sich hin. Es ist bloß ein bisschen Unfug, ein Spiel, das er manchmal in seiner Freizeit spielt; warum sollte er sich aufregen? Er geht für weitere zehn Minuten zu seiner Bushaltestelle zurück und entspannt sich. Ein Mädchen, sechzehn, vielleicht siebzehn, bleibt stehen, um ihn nach der Zeit zu fragen. Fragt ihn nach der Zeit, obwohl die riesige Metalluhr neun Meter über ihnen kurz davor ist zu schlagen. Er starrt sie an, bis sie rot wird und ängstlich zurücktritt. Die Begegnung gibt ihm neuen Auftrieb. Die Frau in Kaschmir zu beobachten hat ein bisschen von der Aufregung zurückgebracht, die er gespürt hatte, als er Eleanor ausgesucht hatte. Er würde über sie hinwegkommen. Sie wird nicht die Letzte sein.

Kapitel 3

Pippa stürmte in die Küche, bereits zu spät fürs Frühstück, setzte ihre neue Barbie vor sich hin und begann sofort mit ihr zu reden.

»Nicht auf den Tisch!«, seufzte Clara und rettete die Puppe vor verschütteter Milch.

Pippa jammerte.

»Möchtest du wirklich, dass sie verdreckt ist, bevor du sie deinen Freunden zeigen konntest?« Clara Pascal schaute auf den Kopf ihrer Tochter hinunter und konnte nicht anders, als dem glänzenden Haar einen Kuss zu geben. »Hör auf zu schmollen und iss dein Frühstück.«

Sie setzte sich kurz hin, um an ihrem Kaffee zu nippen und eine Scheibe Toastbrot zu essen. Sie tat so, als ob sie nicht merkte, dass ihre Tochter die Arme verschränkt hatte und sich weigerte zu essen, während Hugo vor Pippa Grimassen schnitt, um sie aus ihrer schlechten Laune zu locken.

Clara schaute auf und sah, dass die beiden sich gegenseitig die Zunge herausstreckten und verrückte Gesichter schnitten. Gott, es ist, wie in einen Spiegel zu sehen! Die gleichen Gesten, die gleichen porzellanblauen Augen, die gleichen glatten, schwarzen Haare. Sie hat sogar das Grübchen im Kinn.

Sie stand auf und strich ihre Kleidung glatt, sie war sich Hugos bewundernden Blicks bewusst. Ihre Blicke trafen sich, und sie schenkte ihm ein träges Lächeln.

»Ich nehme an, dass du unbedingt früh in der Kanzlei sein musst?«, fragte er wehmütig.

»Punkt neun Uhr«, sagte sie und schlug seine Hand weg. »Kannst du nach Madame sehen, sie für Trish bereitmachen?«

Pippa protestierte mit einem kleinen Aufschrei. »Ich will, dass du mich hinbringst, Mummy.«

»Ich wünschte, ich könnte, aber ich kann es nicht, Darling.« Sie begann mit einer Erklärung, über den Kopf ihrer Tochter hinweg für ihren Mann, rechtfertigte sich ihm gegenüber, wissend, dass keine Erklärung Pippa befriedigen würde. »Ich habe eine Vorverhandlung um zehn Uhr. Die Anklage ist klar, eine Sache von Minuten, aber es kommt darauf an, wann wir an die Reihe kommen, und Peter Knight überzieht oft.«

Hugo zog eine Augenbraue hoch. »Peter Knight. Ich hoffe, Sie haben sich vorbereitet, Ms. Pascal.«

Clara lächelte. Richter Knight wurde nicht umsonst der Schuldirektor genannt.

Pippa wand sich auf ihrem Stuhl. »Mummy, ich will mit dir mitkommen.«

»Am Nachmittag treffe ich die Polizeizeugen für eine kurze Probe«, sagte sie sehr betont.

»Oh«, sagte Hugo und verstand sofort. »Wegen der … ähm …«

»Dem Fall am Ende der Woche«, beendete sie den Satz für ihn. Sie presste eine Hand auf ihr Zwerchfell und atmete tief ein: Selbst eine Bemerkung über den Casavettes-Fall machte sie nervös.

Pippa war für einen Augenblick ruhig und sah von ihrer Mutter zu ihrem Vater. »Ihr sagt immer, dass es unhöflich ist, zu flüstern. Nun, ich finde, dass es unhöflich ist, in einem Kode zu sprechen«, bemerkte sie.

»Du bist heute vielleicht neun geworden, aber das ist immer noch zu jung, um so geschwollen zu reden«, sagte Clara zu ihr.

»Ich rede nicht geschwollen«, entgegnete Pippa, beleidigt, aber offensichtlich unsicher, was das eigentlich bedeutete. »Ich will nur, dass du mich zur Schule bringst.«

»Daddy wird dich hinbringen.«

»Ich will Daddy aber nicht, ich will dich.«

»Mummy wird zur Party wieder da sein«, sagte Hugo.

»Ganz sicher.« Clara schwor feierlich.

»Mummy!«

Sie sah ihrer Tochter ins Gesicht. Sie war Hugo wirklich sehr ähnlich. »Trish kommt zu dir, Darling.«

»Ich will Trish nicht. Du bringst mich nie zur Schule!«

»Nur deshalb, weil ich um halb zehn im Gericht sein muss, und dann wäre ich …«

Aber Pippa war nicht in der Stimmung für Erklärungen. »Alle anderen Mädchen werden von ihren Mummys gebracht, aber du bringst mich nie hin«, schrie sie. »Nicht einmal an meinem Geburtstag.«

»Darling, ich müsste dich um halb neun zur Schule bringen. Du würdest eine halbe Stunde in der eisigen Kälte stehen.«

»Das ist mir egal! Ich mag die Kälte!« In ihren Augen standen Tränen, ihre Unterlippe zitterte, und Clara musste sich geschlagen geben.

»In Ordnung«, sagte sie. »In Ordnung! Ich bringe dich zur Schule. Du hast zehn Minuten.«

Von der plötzlichen und unerwarteten Kapitulation verwirrt, weinte Pippa ein paar Tränen, bevor ihr klar wurde, dass sie gewonnen hatte. Sie sprang vom Tisch auf.

»Komm mir mit deinen dreckigen Fingern bloß nicht zu nahe!«, warnte Clara und floh vor der Umarmung ihrer Tochter hinter einen Stuhl. »Zehn Minuten, und ich erwarte, dass du dir die Zähne geputzt und das Gesicht gewaschen hast, dass du glänzend und sauber und ordentlich bist.« Pippa rannte zur Tür, ihr Schmollen war vergessen. Sie lief die Treppe hinauf, und ihre Schritte hallten im Flur.

Clara drehte sich zu einem breit lächelnden Hugo um.

»Das Lippenzittern«, sagte sie mit einem leichten Schulterzucken, »kriegt mich jedesmal rum.«

Hugo lachte und breitete seine Arme aus. Sie schlüpfte in seine Umarmung, setzte sich auf seinen Schoß, genoss die Wärme seines Körpers unter seinem T-Shirt und den durchdringenden Geruch seines Eau de Cologne. »Sagst du Trish Bescheid?«

»Zu spät, um sie anzurufen, ich spreche mit ihr, wenn sie kommt. Sie wird es verstehen.«

Manchmal dachte sie, das Trish ihre Tochter besser verstand als sie beide. Sie hatte sich um Pippa gekümmert, seit sie sechs Monate alt war, zuerst als Nanny und dann als Kindermädchen. Es war dumm von ihr, das wusste sie, aber Clara fiel es schwer, auf ihre Beziehung nicht ein wenig neidisch, ja sogar böse zu sein.

Sie löste sich widerwillig aus der Umarmung und begann, das Frühstücksgeschirr in die Spülmaschine zu räumen.

»Lass ruhig, ich mache das«, sagte Hugo, stand auf und nahm ihr die Müslischalen ab. »Sie wissen, dass Sie fantastisch sind, Frau Anwältin, nicht wahr?«, sagte er und beugte sich vor, um sie auf die Lippen zu küssen. Clara war groß, aber mit seinen ein Meter dreiundneunzig überragte er sie noch. Sie küsste ihn zurück, schlang ihre Arme um ihn, ließ ihre Hände auf seinen Hintern gleiten und zog ihn fest an sich. Pippas Schritte waren auf der Treppe zu hören, und sie trennten sich.

Clara lächelte entschuldigend. »Die Pflicht ruft.« Sie riss ein Stück Küchenkrepp ab und deutete auf die Lippenstiftflecken auf seinem Mund.

Pippa kam herein, die Haare glatt und zusammengebunden, ihr Blazer glitzerte vor Anstecknadeln von ihren Geburtstagskarten.

»Du wirst die in der Schule nicht tragen dürfen«, warnte Clara sie.

»Annabelle Forrest hat es gemacht, und es war noch nicht einmal ihr Geburtstag, ihr Geburtstag war am Sonntag, und niemand hat es ihr verboten.«

»Annabelle Forrest hat Glück«, kommentierte Clara trocken. Sie hob ihre Aktentasche im Flur auf. Pippa hatte ihren Barbieranzen daneben gestellt und nahm ihn schwungvoll hoch, als sie vorbeiging.

»Bekomme ich keinen Kuss?«, fragte Hugo.

Pippa drehte sich um und warf sich auf ihn, ihr Gesicht strahlte. Er packte den Ranzen, bevor der jemandem wehtun konnte, und kniete sich hin, um sie zu küssen.

»Du riechst gut«, bemerkte sie und lief dann zur Tür.

»Genau, was ich gedacht habe«, sagte Clara und begnügte sich dieses Mal mit einem keuschen Kuss auf die Wange. »O Gott«, sagte sie, machte sich los und schaute ihn plötzlich betroffen an. »Ich habe vergessen, nach Melker zu fragen.«

»Mach dir keine Sorgen«, beruhigte Hugo sie. »Es ist nicht heute. Er ist in Frankreich und schaut sich eine neue Immobilie an. Aber er hat gesagt, dass er mir morgen definitiv eine Antwort gibt.«

Clara streckte sich, um einen Lippenstiftfleck wegzuwischen, den er vergessen hatte. »Du wirst den Auftrag bekommen«, sagte sie.

»Autoschlüssel, Mummy!«

»Denkst du?«

Pippa griff nach dem Schlüsselbund in Claras Hand, aber Clara hielt ihn gerade außerhalb ihrer Reichweite. »Ich weiß es.«

»Wieso weißt du es?«

»Er wäre sonst verrückt.« Sie brauchte »er muss« nicht hinzuzufügen, da sie beide wussten, wie wichtig der Melker-Vertrag für Hugos Firma war.

»Mummy!«

»Fährst du?«, fragte Clara.

Pippa kicherte.

Auf dem Weg zur Schule plapperte Pippa darüber, wen sie zu ihrer Party eingeladen hatte und was sie dachte, was ihre Freunde für sie kaufen würden.

Clara ging die Arbeit des Vormittags durch. Ihr Klient, der wegen eines Absatz-18-Vergehens angeklagt war, hatte zugestimmt, sich schuldig im Sinne von Absatz 20 zu bekennen. Der geringere Vorwurf einer Körperverletzung ohne Vorsatz gab ihr die Möglichkeit, verschiedene mildernde Umstände vorzubringen. Sie würde die Zusammenfassung des Falls noch einmal durchgehen, bevor sie vor Gericht erschiene. Es sollte in diesem Stadium eigentlich genügen, sich mit ihrem Gegner abzusprechen, aber Richter Knight mochte es nicht, schlecht vorbereitete Anwälte zu erwischen.

Sie bog von der Hauptstraße ab in die kurvenreiche Straße, die zu Pippas Schule führte, und ging die Unterlagen im Gedächtnis durch. Gab es da irgendetwas, das die Verteidigung beanstanden könnte? Ihre Hand griff automatisch nach ihrer Aktentasche, die auf dem Beifahrersitz lag, und sie schaute zu ihrer Tochter.

»Pippa«, sagte sie, als sie zum ersten Mal das dunkelrosa Band in ihrem Haar bemerkte. »Woher hast du das?«

Pippa wurde rot.

»Wenn du meine Papiere durcheinander gebracht hast …« Sie bremste wegen einer engen Kurve und landete vor einem Milchwagen. Der Milchmann grinste und fuhr auf dem Bürgersteig um sie herum.

»Das habe ich nicht, Mummy. Ich habe nur das Band abgemacht. Ich habe sie nicht einmal aus deiner Tasche genommen.«

»Du weißt, dass du meine Papiere nicht anfassen sollst. Diese Bänder sind nicht zur Dekoration.«

Pippa machte bei dem Gedanken an diese verrückte Idee ein so überraschtes Gesicht, dass Clara sich auf die Lippe beißen musste, um nicht laut loszulachen. »Ich könnte ernste Schwierigkeiten bekommen, wenn irgendeines der Dokumente fehlt.« Eine Übertreibung, aber es könnte sicherlich sehr peinlich werden.

Pippa blinzelte. »Tut mir Leid, Mummy.«

»Und du weißt, dass in der Schule nur blaue Bänder erlaubt sind.«

»Aber Mummy, es ist mein …«

»Geburtstag.« Clara seufzte. »Ich weiß.«

Sie bog in die Seitenstraße, die zu der Schule führte. Die Primeln am Rand der privaten Auffahrt zum Hintereingang der Schule waren leicht mit Raureif gepudert. Auf dem Lehrerparkplatz neben dem Eingang zum Gebäude waren ein paar Autos geparkt, ansonsten sah die Schule verlassen aus. Clara hielt gegenüber der Auffahrt und sah auf ihre Uhr. Acht Uhr fünfundzwanzig, sie konnte mit Pippa noch zum Schulhof gehen und trotzdem um neun in der Kanzlei sein.

Sie löste ihren Sicherheitsgurt und öffnete die Tür.

»Du kannst reinfahren«, sagte Pippa. »Das machen alle.«

Clara ließ die Tür geöffnet und streckte ihre Hand aus. »Die Regeln sind zu deiner Sicherheit da, Pippa. Wenn ›alle‹ in die Schule führen, gäbe das ein Chaos.«

Sie gingen die Auffahrt entlang, Pippa blieb stehen, um mit ihrem Absatz dünnes Eis auf einer Pfütze zu zertreten. »Aber es ist ja noch niemand da.«

»Doch, jemand ist da.«

Pippa drehte sich um und sah die Straße entlang. Nur ein paar Autos von Anwohnern und ein Transporter, der spuckte und hustete und unregelmäßige, hellblaue Abgaswölkchen in die eisige Luft blies. »Wer?«, fragte sie.

»Du.« Clara lächelte und küsste ihre Tochter auf die Stirn. »Geh nicht weg vom Schulhof«, warnte sie. »Und versteck dich nicht hinter dem Schulgebäude.« Sie gab Pippa ihren Ranzen. »Oh, und einen schönen Tag wünsche ich dir.« Sie drückte einen der Anstecker an Pippas Revers, der »Happy Birthday« spielte.

Pippa kicherte fröhlich, öffnete das Tor und betrat den schützenden Schulhof. Clara verließ sie, nicht ganz ohne Bedenken. Keine Aufsicht, dachte sie. Es sollte wirklich eine Aufsicht da sein.

Am Ende der Auffahrt hörte Clara das weinerliche Quietschen des Schulhoftores, aber sie ging im Kopf schon wieder ihren Fall durch und nahm es nur entfernt wahr. Der Transporter hatte vor ihrem Auto geparkt. Die hinteren Türen waren offen, und der Fahrer schien etwas zu suchen.

Clara griff nach dem Türknauf, als der Mann sich zu ihr umdrehte. Sie sprang erschrocken zurück. Er trug eine rote Skimaske und atmete unregelmäßig, als ob er gelaufen wäre. Clara beruhigte sich, lächelte halb und drehte sich um, es war ihr peinlich, so schreckhaft zu erscheinen.

Der Mann bewegte sich schnell. Er packte sie von hinten, sein linker Arm um ihre Schulter, sein rechter bedeckte ihr Gesicht. Clara kämpfte, versuchte zu schreien, aber er hatte ihr etwas auf den Mund geklebt. Ein Finger und sein Daumen quetschten ihre Nase zusammen. Sie versuchte, ihre Arme zu befreien, tastete und griff nach hinten, versuchte, sich loszureißen. Ihr Gesichtsfeld verschwamm an den Rändern, und sie wusste, dass sie ohnmächtig werden würde.

Ein schriller Schrei ließ den Mann einen Augenblick seinen Griff lockern. Sie atmete durch die Nase ein und bearbeitete mit der Zunge das erstickende Klebeband. Es gab nach, zerriss aber nicht.

Der Mann hielt sie fest, und entsetzt sah Clara, dass Pippa ihr auf die Straße gefolgt war. Sie schüttelte ihren Kopf, versuchte, Pippa zu sagen, dass sie zurückgehen sollte, aber sie kam näher, während der Mann Clara in den Transporter zerrte.

Clara fand neue Kraft, trat nach hinten und hörte, wie er stöhnte und fluchte, dann warf er sie hart gegen die Seite des Transporters, nahm ihr so die Luft. Sie fiel auf die Knie, und er zog ihre Arme nach hinten und wickelte etwas fest um ihre Handgelenke, dann warf er sie in den Wagen und knallte die Tür zu.

Clara trat mit beiden Füßen gegen die Tür und hörte Pippas Schreie, wie sie verzweifelt versuchte, ihn abzulenken. Lieber Gott, bitte, nicht Pippa. Nimm sie nicht!

Kapitel 4

Die Sonne glitzerte auf dem schmelzenden Frost, als Detective Inspector Steve Lawson die paar Meter von der Straßensperre am Ende der Straße zu dem blauweißen Polizeiband ging, das der zuerst verständigte Beamte direkt nach seinem Eintreffen am Tatort gespannt hatte.

Rotkehlchen kämpften in einer musikalischen Schlacht um das Revier; völlig unpassend vor dem Hintergrund des Blaulichts und dem Piepsen und Knistern des Polizeifunks.

Ein Police Constable kam auf Lawson zu und hob ihren Arm, als er sich unter dem Band hindurchduckte, ließ ihn aber wieder sinken, als Lawson seine Marke zeigte.

»Detective Sergeant Barton ist der Verantwortliche, Sir«, sagte sie und trat zur Seite.

Ein stämmiger Mann mit Halbglatze schaute von seiner Unterhaltung mit einem weiß gekleideten Beamten der Spurensicherung auf und nickte anerkennend. Er sagte noch etwas und kam dann zu Lawson.

»Schön, wieder mit dir zu arbeiten, Boss«, sagte er und ergriff Lawsons ausgestreckte Hand.

»Phil! Himmel! Wie lange ist das her?«

»Vier Jahre, ungefähr.« Lawson hatte beim Sondereinsatzkommando gearbeitet und war später zur Kriminalpolizei nach Crewe gewechselt, während Barton in Chester geblieben war.

»Was, zum Teufel, ist mit deinen Haaren passiert?«

»Vaterschaft.« Barton grinste und rieb mit einer Hand über die übrig gebliebenen Stoppeln.

»Du bist ein Dad?«

Bartons Lächeln wurde breiter. »Ein Junge. Er ist jetzt achtzehn Monate.«

»Verdammt, herzlichen Glückwunsch!« Als sie das letzte Mal zusammengearbeitet hatten, hatte Phils Frau gerade einige Fruchtbarkeitstests machen lassen. Die zwei Männer gingen nebeneinander dorthin, wo die Beamten der Spurensicherung arbeiteten.

»Und, was ist das Geheimnis deiner ewigen Jugend?«, fragte Barton. »Ein Gemälde auf dem Speicher?«

Lawson lachte. »Ein paar Kilo weniger«, schlug er vor.

»Und noch was …« Barton blinzelte und betrachtete den Inspector genau. Er schnipste mit den Fingern. »Du hast den Gesichtspilz abgenommen!«

»Es ist schlimm genug, frühzeitig graue Haare zu bekommen, aber wenn der Bart auch noch weiß wird, wird aus dem Schönheitsfehler eine Beleidigung.«

»Wieso frühzeitig graue Haare?«, fragte Barton spöttisch.

»Schön, zu wissen, dass du immer noch so aufsässig wie früher bist, Sergeant.« Sie blieben an der schmalen Auffahrt zur Schule stehen, und Lawson betrachtete den Tatort. »Was haben wir?«

Barton wurde sofort ernst. »Die Tochter hat gesehen, wie sie entführt wurde. Der Bastard hat sie niedergeschlagen, als sie versuchte, ihre Mutter zu befreien.«

»Ist sie in Ordnung?«

»Durcheinander, ansonsten …«

Sie betrachteten ein Team der Spurensicherung, das in den weißen Overalls wie riesige Larven aussah, als es sich in einem kleinen Bogen auf Händen und Füßen zu dem Kühler eines BMWs vorarbeitete, der gegenüber dem Schuleingang stand.

»Wer ist sie, die Entführte? Wissen wir das?«

»Clara Pascal.«

Sie sahen sich an, dann pfiff Lawson leise. »Verdammte Scheiße.«

»Sollte die Casavettes-Verhandlung nicht diese Woche beginnen?«, fragte Barton.

»Am Freitag. Sie war wegen Einschüchterungsversuche der Zeugen verschoben worden.«

In der folgenden Stille dachten beide Männer darüber nach, was das für diesen Fall bedeutete. Ein schwarzer Schuh mit einem eckigen Absatz lag vorne neben dem Auto auf der Seite. Lawson beobachtete, wie einer der Männer der Spurensicherung ihn vorsichtig mit Handschuhen aufhob und in einen Beutel für Beweisstücke schob.

»Die Spurensicherung sammelte Faser- und Staubproben und die Reifenspuren, aber dieses Tauwetter hilft nicht gerade.«

Ein weißer Overall kam zu ihnen. »Wir müssen so bald wie möglich die Kleidung des Kindes bekommen«, sagte der Mann leise. Er war sich der Eltern jenseits der Absperrung bewusst, die die Hälse reckten, um zu sehen, was vor sich ging.

Lawson schaute zur Schule hinüber. Hinter dem Schulhof schlug die Kirchturmuhr zehn Uhr. »Ich werde tun, was ich kann«, sagte er.

»Noch eine oder zwei Stunden, und alle Fasern, die sie beim Kontakt abbekommen hat, sind verloren.«

»Das Wohlergehen des Mädchens ist vorrangig«, sagte Lawson.

Der Mann von der Spurensicherung wollte ärgerlich etwas erwidern, aber dann nickte er und fuhr im selben, leisen, langsamen Tonfall fort, mit dem er sie begrüßt hatte: »Sicher. Aber denken Sie nicht nur an die Tochter, sondern auch an die Mutter, nicht wahr, Inspector?«

Lawson drehte sich zu ihm um. Der Mann hatte Recht, das musste er zugeben. »Irgendwas gefunden?«, fragte er.

»Genug Fasern, um einen Wollpulli zu stricken, aber da jeden Vormittag und Nachmittag hunderte Kinder hier vorbeikommen, bin ich nicht sicher, wie viel davon nützlich sein wird. Die Fasern auf den Kleidern des Mädchens sind wirklich unsere beste Chance.«

Lawson seufzte. »In Ordnung, ich rede mit ihrem Vater. Ist er schon hier?«

»Auf dem Weg«, antwortete Barton.

»Und den Dreck unter ihren Fingernägeln«, fügte der Mann von der Spurensicherung hinzu.

Barton erläuterte: »Sie hat kurz mit ihm gekämpft.«

»Wenn wir ein Hautstückchen bekämen, zum DNS-Vergleich …«

Lawson warf Barton einen fragenden Blick zu.

Barton schüttelte zweifelnd den Kopf. »Ich würde nicht darauf wetten, Boss. Sie war ziemlich durcheinander, als sie sie hereinbrachten …«

»Ich werde sehen, wie es ihr jetzt geht. Was ist mit Zeugen?«

»Bis jetzt noch niemand. Streifenpolizisten gehen von Tür zu Tür, aber die meisten Leute sind vor halb acht zur Arbeit gefahren.«

Lawson schaute sich den Tatort noch ein letztes Mal an. Obwohl die Straße schmal war, standen die Häuser alle einzeln, mit großen Zwischenräumen. Nur von zwei Häusern aus konnte man das Ende der Schulauffahrt sehen, wo Mrs. Pascal ihr Auto geparkt hatte. Hier begrenzte eine niedrige Sandsteinmauer einen großen, heruntergekommenen Garten mit einem alten und ungepflegten Obstgarten und einer Garage neben dem Haus – keine Fenster, durch die ein interessierter Nachbar das Kommen und Gehen vor der Schule hätte beobachten können.

Er sah die Straße hinunter und entdeckte einen beschädigten Renault. »War der beteiligt?«

»Schon erledigt, Boss«, sagte Barton. »Fotos, Fingerabdrücke, Fasern, die haben sogar Teile des Rücklichts mitgenommen.«

Lawson grummelte. »Ihr habt hier gute Arbeit geleistet, Phil, danke. Sag mir Bescheid, wenn der Ehemann auftaucht.«

Barton sah über seine Schulter. »Ich glaube, das da könnte er sein.«

Sie drehten sich um, um einen Mann zu beobachten, der von zwei Police Constables flankiert auf sie zukam. Neben ihm erschienen beide Beamte klein, und Lawson spürte sowohl eine große körperliche Stärke als auch eine erzwungene Beherrschtheit.

»Riesenkerl, nicht wahr?«, flüsterte Barton.

Einer der Beamten hob das Band, und der Mann musste sich tief hinabbeugen, um darunter durchzupassen, sein grauer Wollmantel schleifte einen Augenblick durch den Dreck.

»Sind Sie der Verantwortliche?«, fragte er Lawson, ohne auf eine Vorstellung zu warten. Er war sehr blass, und ein Kinnmuskel zuckte.

»Mr. Pascal?«, fragte Lawson.

Er nickte, verärgert über die Frage. »Wo ist sie? Wo ist meine Tochter?«

Er ging auf die Schulauffahrt zu, aber Lawson legte eine Hand auf seinen Arm. »Ich möchte Ihnen erst ein paar Fragen stellen, Mr. Pascal. Ich bin Detective Inspector Lawson.«

Hugo starrte ihn ein paar Sekunden lang, ohne zu verstehen, an, dann machte er sich los. »Das kann warten«, sagte er. »Pippa …«

»Ist in sicheren Händen«, sagte Lawson mit unerschütterlicher Ruhe. »Sie könnte über Informationen verfügen, die für unsere Ermittlungen wichtig sind, Sir. Wenn Ihre Tochter Sie sieht, wird sie aufgeregt sein, und das könnte alles verzögern …« Und was ist mit Ihrer Frau, Pascal? Wollen Sie nicht nach ihr fragen?

Hugo zögerte einen Augenblick, schien sich auf einen Streit einzustellen, doch dann erschlaffte sein Gesicht und seine Schultern sanken nach vorn. »In Ordnung«, sagte er. »Wo?«

Sie sprachen in der Junior-School-Bibliothek, umgeben von Wagen voller Taschenbüchern und Regalen mit verblichenen Lexika, unter Harry-Potter-Postern.

Hugo saß unbequem auf einem Plastikstuhl, der eher für jemanden, der halb so groß war wie er, passte, und beantwortete die Fragen des Inspectors auf eine verwirrte, unzusammenhängende Weise.

»Besorgt?«, wiederholte er, als ob dies eine ihm fremde Vorstellung wäre. »Worüber sollte sie besorgt sein?«

Lawson zuckte die Schultern. »Arbeit? War sie beunruhigt über einen ihrer Fälle?«

»Nein. Sie dachte, sie würde heute Morgen bei Gericht vielleicht warten müssen, aber …«

Lawson wartete und erwartete fast, dass Pascal den Casavettes-Fall ansprechen würde.

»Es ist ihr Geburtstag, wissen Sie?«

»Mrs. Pascals?«

»Ms., sie möchte gerne Ms. genannt werden«, korrigierte er automatisch. »Nein, nicht Claras, Pippas. Es ist Pippas Geburtstag. Sie war so aufgeregt.«

Lawson versuchte es noch einmal. »Haben Sie oder Ihre Frau in den letzten Tagen vielleicht etwas Ungewöhnliches bemerkt«, sagte er. »Autos, die vor Ihrem Haus geparkt waren. Seltsame Telefonanrufe, Briefe …«

»Ich mache mir Sorgen wegen ihrer Party, wissen Sie«, fuhr Hugo fort. »Sie hat sich so darauf gefreut.«

Barton und Lawson wechselten einen Blick. »Ich glaube nicht, dass Ihre Tochter …«

»Nein, natürlich nicht. Sie ist aufgewühlt. Das muss sie sein.« Er sah sie ängstlich an. »Denken Sie, ich sollte absagen?«

Lawson überließ Mr. Pascal Barton und ging zurück zum Empfang. Ein kleiner Junge kam mit einer Notiz seines Lehrers in der Hand, als Lawson die Tür erreichte. Der Junge starrte den Inspector mit unverhohlenem Interesse an, als der darum bat, Pippa zu sehen. Als Lawson zu einem Büro im Hauptflur geführt wurde, hörte er, wie eine dünne Stimme die Sekretärin fragte: »Bringt er sie ins Gefängnis?«

Das Büro der Schulleiterin war einfach eingerichtet: Ein Schreibtisch mit einem Chefsessel, zwei unterschiedliche Sessel für Gäste und ein paar Metallregale in einer Ecke des Raumes, voll gestopft mit Aktenordnern und Hängeregistern. An den Fenstern mit Blick auf den Schulhof waren Rollos, die im Augenblick geöffnet waren.

Die Direktorin hockte neben Pippa und sprach ruhig mit ihr. Auf ihrem Schreibtisch stand ein offenes Laptop, und daneben lag ein Stapel Post. Sie stand auf, begrüßte Lawson und fragte, ob er wollte, dass sie ging.

Er bat sie zu bleiben und wandte seine Aufmerksamkeit den zwei Personen in den Sesseln zu. Die mollige, freundlich aussehende Frau gegenüber Pippa erkannte er, District Commissioner Sarah Kormish vom Kinderschutz-Team. Sie stand auf und machte ihren Stuhl frei.

Pippa Pascal war eine Miniaturausgabe ihres Vaters: Ihr Gesicht war ovaler und ihre Haare zu einem glatten Pony geschnitten, aber sie hatte die gleiche cremeweiße Haut und das gleiche glänzend schwarze Haar, die gleichen intelligenten, blauen Augen. Sie schien ruhig, außer ihren Händen, in denen sie ein feuchtes Taschentuch knetete.

»Pippa?«, sagte Lawson. »Du heißt Pippa, nicht wahr?«

Sie hob mutig ihr Kinn und antwortete flüsternd.

»Ich bin Inspector Lawson.« Er hielt ihr seine Hand hin. Sie starrte sie einen Augenblick lang an und nahm sie dann mit feierlicher Formalität. Ihre Hand war eiskalt.

»Wie geht es dir?«, fragte Lawson.

»Mein Rücken tut ein bisschen weh. Und mein Hals.«

Sie schluckte, und Lawson verstand, dass sie nicht aus Schüchternheit flüsterte: Sie musste sich heiser geschrien haben, als sie zusah, wie ihre Mutter weggezerrt wurde.

»Ist mein Daddy schon da?«

»Du kannst ihn gleich sehen.« Lawson setzte sich neben sie, er wollte sie nicht nervös machen, indem er hoch über ihr stand. »Glaubst du, du kannst Sarah erzählen, was passiert ist?«, fragte er und lächelte zu ihr hinüber, die sich hinter den Sessel des Kindes gestellt hatte.

Pippa drehte sich in ihrem Stuhl, sah zuerst zu DC Kormish auf, dann schaute sie stirnrunzelnd auf ihre Hände und biss auf ihre Unterlippe. Sarah sagte: »Nur, wenn du dich danach fühlst, Liebes. Aber es würde uns wirklich helfen, wenn du es könntest.«

Die Stirn wurde noch stärker in Falten gelegt, und das kleine Mädchen schluckte wieder, bevor sie sprach. »Wird mein Daddy bei mir sein?«

»Oh, ja«, sagte Lawson, eine Antwort auf Sarahs schnellen, fragenden Blick. »Daddy kann mit dir mitkommen.«

Das Kind schien verwirrt. »Wir haben einen besonderen Ort«, erklärte Sarah. »Es ist wirklich nett da. Ich werde dir alles zeigen, wenn du möchtest.«

»Wann gehen wir?«

»Sobald du die Möglichkeit gehabt hast, deine Schuluniform auszuziehen«, sagte Lawson.

Besorgt schaute Pippa noch einmal zu Sarah, bat um eine Erklärung. »Du möchtest doch an deinem Geburtstag nicht mit deiner Schuluniform herumlaufen, oder?«, fragte sie. »Und du hast dich ein bisschen schmutzig gemacht, als du hingefallen bist …«

Pippa rieb verlegen an einem Fleck auf einer weißen Socke.

»Danke, Pippa«, sagte Lawson und nahm sanft ihre Hand. »Du warst ein tapferes Mädchen.« Er stand auf, um zu gehen.

»Sie werden sie finden, nicht wahr?«, fragte sie, ihre Augen glänzten vor ungeweinter Tränen.

»O ja, wir werden sie finden«, entgegnete Lawson mit mehr Überzeugung, als er empfand.

»Wissen Sie, wer meine Mummy mitgenommen hat?«

Sie sah ihn arglos an. Er atmete tief ein. »Nein.«

Sie biss auf ihre Lippe. »Wissen Sie denn, wo sie ist?«

Kinder finden immer den wunden Punkt. Er sah sie fest an. »Nein«, sagte er. »Aber wir werden sie finden.«

Sie wandte sich ab und schaute aus dem Fenster auf den verlassenen Schulhof. Eine gefleckte Bachstelze hüpfte auf dem Asphalt, dann lief sie mit zuckendem Schwanz hin und her auf der Suche nach Nahrung.

»Ich habe ihr gesagt, dass sie hineinfahren soll«, murmelte sie, eine Träne hing an ihrem unteren Augenlid. »Aber sie wollte nicht.«

Lawson schaute in die Bibliothek, bevor er ging. Hugo Pascal saß im selben Stuhl, nach vorn gebeugt, die Hände zwischen den Knien. Lawson sah kurz zu Barton, der leicht den Kopf schüttelte – er hatte nichts Nützliches gesagt, während der Inspector fort war.

»Wir möchten, dass Pippa mit einer Beamtin vom Kinderschutz-Team spricht«, sagte er.

Pascal sah auf, wollte sofort seine Tochter beschützen. »Ich möchte nicht, dass sie auf das Polizeirevier geht.«

»Nein, natürlich nicht. Wir haben gesonderte Räume, um mit Kindern zu sprechen.«

Hugo wiederholte zerstreut die Worte.

»Aber wir brauchen zuerst ihre Kleider.«

Er stand auf und warf dabei den Stuhl um. »Was sagen Sie da?«

Lawson bemerkte seinen Fehler und hob beide Hände, um Hugo zu beruhigen. »Es ist in Ordnung«, sagte er.

»Was hat er ihr angetan?« Er lehnte sich vor, errötete, sein Ärger war bereits eine Drohung in dem engen, voll gestopften Raum.

»Nichts«, sagte Lawson bestimmt. »Ihre Tochter ist unverletzt.« Er wartete einen Augenblick, bis es zu Pascal durchdrang. »Aber sie hatte vielleicht kurz Kontakt mit dem Entführer, und es könnten Spuren auf ihrer Kleidung sein.«

Hugo drehte sich um, stieß gegen einen der Buchwagen und hielt sich daran fest, als ob er ihn brauchte, um aufrecht stehen zu bleiben. »Ich dachte, Sie meinten …«

»Nein … Ihre Tochter war Zeugin der Entführung. Sie hat versucht, den Mann aufzuhalten …« Hugo spannte sich an, und Lawson fügte hinzu: »Es tut mir Leid, Sie erschreckt zu haben, Sir …«

Hugo lachte bellend auf. »Erschreckt«, wiederholte er bitter. »Erschreckt beschreibt nicht mal ansatzweise, was ich fühle.«

Lawson tat der Mann Leid, aber er musste seine Arbeit erledigen, und je schneller es losging, umso größer war die Chance, Clara Pascal unverletzt nach Hause zu bringen. »Wenn Sie erlauben, Mr. Pascal«, sagte er, »werden wir Ihr Telefon abhören.«

»Ja« – Hugo versagte die Stimme – »alles … alles, um … ich möchte sie nur sicher wieder zurückbekommen.«

Endlich die Sorge um seine Frau. »Jemand wird zu Ihnen nach Hause kommen. Sergeant Barton wird Sie begleiten und die Kleider mitnehmen.« Lawson gefiel nicht, was er als Nächstes zu sagen hatte. »So lange die Spurensicherung noch da ist … Vielleicht könnten Sie Pippa fragen, ob sie eine, eine Probe vom Schmutz unter ihren Nägeln nehmen können.«

Hugos cremefarbene Haut wurde schlohweiß.

»Es tut mir Leid, Sir, es gibt keine angenehmere Art, diese Dinge anzusprechen.«

»Nein. Nein, ich nehme an, die gibt es nicht.«

Aber es war auch nicht einfach für einen Vater, sich vorzustellen, dass seine neunjährige Tochter mit einem Mann ringt, der gerade seine Frau entführt hat. Hugo ließ den Wagen los und schwankte ein wenig, dann ging er unsicher zur Tür. »Bringen wir es hinter uns, Sergeant.«

Kapitel 5

Clara trat fest gegen die Tür, die Wände, den Boden des Transporters, machte mit dem einen Fuß, an dem sie noch einen Schuh trug, so viel Lärm wie möglich. Der Mann fuhr wie ein Wahnsinniger, raste durch die Seitenstraße zur Kreuzung und schoss auf die Hauptstraße. Er fuhr sehr schnell den Hügel hinunter und bog nach rechts ab, aus der Stadt hinaus, auf die A483 in Richtung Wrexham.

Er war die Strecke schon oft gefahren, hatte die Kurven geübt, über die A55, dann links ab nach Rosett, hinunter auf die Nebenstraßen, die namenlose Straße nach Cuddington, die parallel zum River Dee verläuft, in einer Geraden, wo der Fluss sich windet wie Eingeweide. Er fuhr schnell und erregte Aufmerksamkeit, er wollte so oft wie möglich gesehen werden, weit weg von seinem Zuhause, dann würde er langsam wieder zurückfahren, sich unter den Berufsverkehr auf der A41 mischen, seine Geschwindigkeit an die der anderen Autos anpassen und vorsichtig wieder nach Chester hineinfahren.

»Hör damit auf!«, schrie er. Das war nicht gut. Sie würde mehr Aufmerksamkeit erregen, als er wollte. Er musste gesehen werden, aber er wollte nicht, dass die Polizei auf ihn aufmerksam würde. Er wollte nicht riskieren, angehalten zu werden. »Hör mit dem Scheißlärm auf!«

Ein paar Meter weiter hielt er an einem Rastplatz und kletterte nach hinten.

Clara erstarrte. Autos und LKWs fuhren vorbei, aber sie war sich nur ihres eigenen flachen und gierigen Atems bewusst; sie fühlte sich, als ob sie ersticken würde. Er beugte sich über sie, er trug immer noch die Skimaske, seine Augen glitzerten mit einer so unvernünftigen Wut, dass sie dachte, er würde sie auf der Stelle umbringen.

Sie hielt still, wartete, bis er näher kam, nah genug, dann hob sie ihren Fuß und trat fest zu. Er stöhnte und stolperte nach hinten. Clara rutschte auf Knien zur Tür. Sie war nicht abgeschlossen, sie könnte es gerade so schaffen …

Er packte den Kragen ihrer Jacke und riss sie nach hinten. Sie fiel mit einem dumpfen Laut auf den Boden des Transporters. Wenn sie geglaubt hatte, dass er vorher wütend gewesen war, war das nichts verglichen mit dem Blick, den er ihr jetzt zuwarf. Aller Kampfesmut verließ sie. Alles, was sie wollte, war, die nächsten Minuten zu überleben.

Er stand über ihr, bis seine Atmung ruhiger wurde, dann griff er in seine Tasche. Blau, gefüttert, eine rote Paspel vorne, wiederholte sie innerlich, ohne Hoffnung, jemals die Chance zu bekommen, der Polizei ihre sorgfältigen Beobachtungen mitzuteilen. Blaue Augen, dachte sie. Er hat blaue Augen.

Er riss ein eckiges, flaches Paket auf und nahm eine rosa Augenklappe heraus. Er packte sie am Haar, klemmte ihren Kopf zwischen seine Brust und einen Ellbogen. Er roch nach Feuchtigkeit und Schimmel, dann ein antiseptischer Geruch, der an die Kindheit erinnerte. Er presste die Augenklappe auf ihr linkes Auge. Er riss das zweite Päckchen auf und wiederholte das Ganze an ihrem rechten Auge.

Er packte sie an den Schultern, drückte ihr Gesicht auf den Boden des Transporters und umfasste ihre Fußgelenke. Sie wehrte sich, aber er hielt sie fest, und sie spürte, wie ihre Beine mit demselben weichen Stoff wie ihre Armgelenke festgebunden wurden.

»So«, sagte er, seine Stimme immer noch rau, atemlos. »Mach noch einmal Krach, und ich bringe dich um.« Langsam, ganz bewusst, legte er sich auf sie, sein Bauch in der Einbuchtung ihres Rückgrats. Der Geruch von Nikotin, gemischt mit dem von Feuchtigkeit und Schimmel, überwältigte sie. Sie hörte ihre eigenen verzweifelten Schreie des Abscheus, die von dem Klebeband vor ihrem Mund erstickt wurden, aber sie hatte zu große Angst, um sich zu bewegen. Seine Hand glitt ihren Arm entlang zu ihrer Schulter. Sie schloss ihre Augen, Tränen quollen zwischen ihre Augenlider und machten die Augenklappen nass. Jetzt, dachte sie. Jetzt beginnt es.

Aber er legte seine Hand auf ihr Gesicht, auf ihren Mund. Er nahm ihr Kinn in seine Hand, kniff ihre Nase mit Zeigefinger und Daumen zu. Zu spät verstand sie, was er tat. War es das? Wäre die letzte Erinnerung ihrer Tochter an ihre Mutter, dass sie gesehen hat, wie sie von diesem Wahnsinnigen entführt wurde? Der Gedanke an Pippa gab ihr Mut zum Kämpfen; sie trat und wand sich, wehrte sich gegen ihn, aber er war stark, und sie verlor schnell an Kraft. Das schwache, rote Licht, das durch die Augenklappen drang, wurde schwarz; sie spürte, wie sie bewusstlos wurde, konnte aber nichts dagegen tun.

Langsam griff er über seinen Kopf und zog die Skimaske aus, er brauchte sie jetzt nicht mehr. Er fühlte sich plötzlich müde, dabei hatte er gerade erst angefangen. Er hatte einen Pakt mit Clara Pascal geschlossen, und er musste da durch, zumindest so weit, wie er es geplant hatte.

Er stupste sie, testete die ungeschützte Vertiefung an ihrem Abdomen mit seiner Schuhspitze. Clara Pascal würde ihm keinen Ärger mehr machen.

Kapitel 6

Pippa drückte sich fest an ihren Vater, als sie die Treppen des Hauses hinaufstiegen. Barton sah, wie Pascal sich bückte und ihre Schulter beruhigend umfasste, während er den Schlüssel im Schloss umdrehte. Sarah ging direkt auf die Treppe zu, während er die Alarmanlage ausschaltete. Sie schien begeistert zu sein, Pippas Sammlung von Porzellanschweinen gezeigt zu bekommen.

Barton begann zu sprechen, aber Hugo brachte ihn mit einer verärgerten Geste zum Schweigen und führte ihn über den Holzfußboden der Diele zu einem Zimmer links des Flurs. »Verzeihung«, sagte er und schloss die Tür hinter ihnen. »Ich möchte lieber, dass meine Tochter von alldem nichts hört.«

Barton nickte. »Mr. Pascal«, fing er ohne Einleitung an. »Haben Sie den Transporter der Wasserwerke vor Ihrem Haus gesehen?«

Hugo nickte.

»Das ist einer von unseren Wagen. Er ist mit allen modernen Kommunikationsmitteln ausgestattet.«

Hugo trat ans Fenster und sah hinaus. Ein Mann in einem blauen Overall schlurfte, die Hände in den Taschen, neben ein paar andere Männer, die im Asphalt am anderen Ende der Straße wühlten.

»Der Transporter wird die ganze Zeit da draußen bleiben«, fuhr Barton fort. »Es gibt verschiedene Wege für den Entführer, Kontakt aufzunehmen.« Er zählte sie an seinen Fingern ab: »Telefon, Festnetz oder mobil, Post, Kurierdienst oder E-Mail.« Auf Anweisung von Inspector Lawson ließ er die Möglichkeit eines direkten Kontakts aus.

»Ich benutze mein Handy kaum«, sagte Hugo. »Ich vergesse immer, es aufzuladen.«

»Gut, das vereinfacht die Sache.« Barton hielt seinen Tonfall sachlich, gefühllos. Er wollte, dass Pascal sich an das, was er sagte, erinnerte. Er wollte auch die benommene Apathie des Mannes durchbrechen, ihn zum Nachdenken bringen.

»Die Fangschaltung des Telefons wird im Moment gelegt. In ungefähr zehn Minuten werden Sie einen Anruf bekommen, nur um zu testen, ob alles funktioniert, erschrecken Sie also nicht.«

Hugo sah zum Telefon, das auf einem antiken Tisch mit dünnen Beinchen stand, als ob dort ein ekliges Monster säße. Er schob seine Hände in die Manteltaschen und schüttelte sich. »Das sollte nicht passieren.«

Barton spannte sich an. Was, zum Teufel, sollte das bedeuten? Er wartete, aber Hugo starrte stur auf seine Hände. »Sir?« Er hielt seinen Tonfall neutral. Hugo antwortete immer noch nicht. Barton verlagerte sein Gewicht, um Hugos Aufmerksamkeit zu erregen. Die Stirn des großen Mannes war in Falten gelegt. Er blinzelte.

»Sie sagten, dass das nicht passieren sollte …«

Hugo schien irritiert, als ob er nicht gemerkt hätte, dass er laut gesprochen hatte. Einen Augenblick lang war er durcheinander, dann sagte er: »Ich … es sollte ein normaler Tag sein. Clara sollte früh nach Hause kommen, pünktlich zur Party …« Er schüttelte den Kopf.

»Wenn Sie mir etwas mitteilen möchten …«, sagte Barton und ließ alles offen.

Hugo starrte ihn verständnislos an. »Was, zum Beispiel?«

Barton sagte nichts, er sah Hugo bloß an. Hugo seufzte zittrig. »Ich wünschte, ich könnte mich an etwas erinnern«, sagte er. »Das wünschte ich wirklich.«

»Nun«, sagte Barton, »falls Ihnen irgendetwas einfällt …«

»Ja, natürlich, ich werde Sie sofort anrufen.«

»In Ordnung«, sagte Barton. »Also, falls Sie alles andere, was ich gesagt habe, vergessen, erinnern Sie sich auf jeden Fall daran: Die Priorität ist, Ihre Frau gesund nach Hause zu bringen. Tun Sie nichts, um das zu gefährden.«

»Glauben Sie wirklich, dass man mir das extra sagen muss?«, wollte Hugo wütend wissen und sah Barton direkt an.

»Sie sind durcheinander«, sagte Barton, von Hugos Ausbruch unberührt. »Und verängstigt. Sie würden gerne etwas, jemanden schlagen. In solchen Situationen sagen wir manchmal Dinge, die uns später Leid tun.« Er sah kurz Selbsterkenntnis und Scham in Hugos Gesicht aufblitzen.

»Wenn Sie angerufen werden, bleiben Sie ruhig. Wir hören mit. Versuchen Sie, sie so lange wie möglich reden zu lassen. Bitten Sie darum, mit Ihrer Frau zu sprechen«, sagte er und sah Hugo in die Augen, »bitten Sie um einen Beweis, dass sie lebt.«

Hugo schaute weg und ging wieder zum Fenster. Barton betrachtete das Zimmer, um Hugo Zeit zu geben, sich zu sammeln. Abstrakte Aquarelle, dynamisch und frisch, hingen an einer Wand. Zwei blassgrüne Leinensofas standen im rechten Winkel zueinander. In die Alkoven waren Bücherregale eingebaut, ein glänzender Marmorkamin voller Holzscheite zum sofortigen Anzünden dominierte die Wandmitte.

Hugo fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, seine Hände zitterten, die Spannung war in seinem Nacken und seinen Rückenmuskeln deutlich sichtbar.

»Wir sichern Ihnen absolute Diskretion zu, Mr. Pascal«, sagte Barton. »Verhalten Sie sich so, wie Sie es für richtig halten.«

Hugo warf ihm einen abschätzigen Blick zu.

Er denkt, ich lüge, dachte Barton. Er glaubt mir nicht. »Ms. Pascal kommt gesund wieder zurück – das steht für uns fest«, sagte er.

»Nun, hoffen wir, dass Sie Recht haben, Sergeant«, erwiderte Hugo.

Hinter ihm auf der Straße sah Barton, dass das Überwachungsteam ein Leinenzelt errichtete.

»Haben Sie …« Die Tür öffnete sich und unterbrach Bartons Frage nach einem Foto von Clara Pascal. Pippa stand barfuß in schwarzen Jeans und einem kurzen, hellgrünen Wolltop da. Sarah stand in der Tür und sah verlegen aus.

»Warum wollen die meine Kleider?« Ihre Stimme war hoch und panisch, ihr Gesicht kreidebleich.

Hugo Pascal beugte sich zu seiner Tochter hinunter. »Sie denken …« Er wusste nicht, wie er es erklären sollte.

»Wir benutzen ein Mikroskop, um nach Spuren zu suchen«, schaltete Barton sich ein. Er verstand, dass die Vorstellung, dass jemand die Kleider seines kleinen Mädchens untersuchte, um nach Fasern, Haaren, Hautschuppen oder Blutspuren des Entführers seiner Frau zu suchen, Mr. Pascal widerlich vorkam.

»Aber ich habe doch nichts gemacht«, jammerte Pippa.

»Nein, Liebling!« Hugo zog sie an sich. »Natürlich nicht. Aber die Wissenschaftler müssen nach Spuren suchen«, sagte er und wiederholte Bartons Worte, »um Mummy zu finden.«

Sie befreite sich aus seiner Umarmung und starrte ein paar Augenblicke lang feierlich in sein Gesicht. »Aber mein anderer Uniformrock ist in der Wäsche«, sagte sie herausfordernd. »Was soll ich dann morgen anziehen?«

Sein Lächeln war eine Grimasse des Schmerzes. »Darüber machen wir uns später Gedanken.«

Sie runzelte die Stirn, wollte es jetzt wissen.

Hugo seufzte, sein riesiger Körper schüttelte sich. »Ich brauche dich morgen vielleicht hier zu Hause«, sagte er schließlich. »Und wenn du wirklich zur Schule gehen willst, dann denke ich, dass wir beide herausfinden können, wie die Waschmaschine funktioniert. In Ordnung?«

Sie überlegte einen Moment, dann nickte sie, nicht völlig überzeugt. »Okay.«

Hugo kniete noch einen Augenblick länger, nachdem sie das Zimmer schon verlassen hatte, als ob er sich auf die Anstrengung des Aufstehens erst vorbereiten müsste. Als er aufgestanden war, ging er zu dem Bücherregal am anderen Ende des Zimmers.

»Wollten Sie das?«, fragte er und gab Barton ein gerahmtes Foto.

Clara Pascal hatte ein hübsches, ovales Gesicht, ihr Haar war eine Masse dunkelbrauner, wilder Locken. »Sie hat sehr helle Haut«, bemerkte Barton.

»Sie trägt im Sommer einen Hut, sonst bekommt sie Millionen Sommersprossen.« Hugo hielt inne, es war ihm peinlich, Barton mehr erzählt zu haben, als er wissen wollte.

Barton schaute noch einmal auf das Foto. Clara hatte ein offenes, freundliches Gesicht, der Gesichtsausdruck war der einer Frau, die selten wütend, eher gut gelaunt war.

»Was glauben Sie, wie sie reagieren wird, Mr. Pascal?«, fragte er. »Ich meine, wie wird sie damit fertig?«

Hugo nahm das Foto zurück und betrachtete es, um nicht auf den Sack mit Kleidern auf dem Sofa schauen zu müssen. »Sie wird reden«, sagte er. »Sie wird versuchen, ihn auf ihre Seite zu ziehen. Eine Kontroverse ist für sie ein Spiel, eine Möglichkeit, ihre rhetorischen Fähigkeiten vorzuführen …« Er unterbrach sich. »Das klang kritisch. Das sollte es nicht. Ich meine, dass Clara sich nicht leicht einschüchtern lässt. Aber sie ist auch nicht unsensibel«, fügte er hinzu. Er reagierte auf Bartons Gesichtsausdruck. »Ich versuche, Ihnen ein klares Bild meiner Frau zu geben.« Er klang aggressiv, defensiv. Er zuckte die Schultern, brachte sogar ein reuiges Lächeln zustande. »Ich befürchte, ich werde ihr nicht gerecht. Was ich Ihnen zu sagen versuche, ist, falls sie ihn überzeugen kann, sie gehen zu lassen, dann wird sie das tun.«

Falls sie es kann, dachte Barton. Falls er es zulässt.

Sie ist schwer. Warum überrascht ihn das? Er hatte schon gehört, dass Tote schwer sind, und hatte es sogar schon einmal selbst erfahren können. Er war mit dem Transporter rückwärts in die Auffahrt gefahren und will sie in das Haus tragen; er hält sie in seinen Armen, wie sie es in Filmen immer machen: Ihren Kopf über seinen angewinkelten Arm, so dass die weiße Verletzlichkeit ihres Halses sichtbar wird. Aber es ist nicht so leicht, wie es aussieht.

Ihr Körper ist in der Mitte zusammengeklappt, er bleibt nicht in seinen Armen, und sie ist sowieso zu schwer, um getragen zu werden. Er tritt vom Transporter auf die bemooste Auffahrt. Es ist niemand in der Nähe; die Straße ist verlassen, genau wie er es erwartet hat – er hat das Haus sehr sorgfältig ausgewählt.

Er packt sie an den Fußgelenken und zieht sie zu sich. Ihr Haar hat sich bei dem Kampf gelöst; es schleift hinter ihr über den Boden und nimmt Rost und Schmutz mit. Ihre Beine rutschten über die Kante der Ladefläche. Er schaut in ihr Gesicht. Bräunliche Flecken haben sich rechts und links von ihrer Nase gebildet. Sie werden dunkler werden und dann blau und violett.

Er empfindet plötzlich Hass; dumpf, hässlich und unvernünftig. Er packt ihr Jackenrevers und zieht sie hoch. Ihr Kopf fällt mit einem hörbaren Knacken zurück. Eine ganze Minute lang ist er unentschlossen. Das schwache Zittern ihrer Halsschlagader macht ihn verrückt: Es würde nicht viel brauchen, es jetzt zu erledigen. Aber deshalb hat er sie nicht hergebracht. Nicht jetzt. Noch nicht.

Ein paar Sekunden starrt er in ihr Gesicht. Durch das Klebeband über ihren Augen und ihrem Mund erscheint sie ausdruckslos, gesichtslos. Er legt seine Hand nah an ihren Mund, nah genug, um die Wärme ihres unregelmäßigen Atems zu fühlen.

Es ist nicht Mitgefühl, das ihn zurückhält, oder Mitleid. Clara Pascal verdient keines von beidem. Er hat sich sehr große Mühe gemacht, sie hierher zu bringen, und er will mehr von ihr; so viel mehr. Er lässt sie leben, weil sie es nicht verdient, unwissend und friedlich zu sterben.

Kapitel 7

Die Elektriker hatten seit zehn Uhr im zweiten Stock des Bridewell-Museums neben der Diva Street Station gearbeitet. Zwei Stunden später verliefen graue Kabel wie ein Band von einem Ende des Raumes zum anderen. Elektrische Leitungen und Telefonanschlüsse wurden an den Wänden angebracht und Telefonkabel festgeheftet.

Lawsons Acht-Mann-Team trug Tische und Stühle aus einem Umzugswagen vor dem alten Polizeirevier. Er ging auf der Treppe an einer eher zart wirkenden Polizistin vorbei, die einen Overhead-Projektor trug und über seinen Vorschlag, ihr zu helfen, lachte.

Computer, Telefone und Faxgeräte folgten in der Prozession, die Aktenschränke und schwereren Stücke überließen sie den Profis.

Barton kam an, als zwei Schreiner gerade eine große Tafel durch die Seitentür des Museums bugsierten.

»Wohin, Boss?«, fragte der Ältere.

»Zweiter Stock«, antwortete Lawson und winkte sie vorbei. »Folgen Sie einfach dem Krach.« Er drückte sich gegen die Wand, um die beiden vorbeizulassen, und Barton kam ihm entgegen die Treppe herauf. Er trug eine Hand voll Tüten mit Beweismaterial.

»Die Kleider des Mädchens?«, fragte Lawson.

Barton nickte. Jedes Kleidungsstück war einzeln eingetütet, und Sarah Kormish hatte auch die braune Pappe, auf der das Kind gestanden hatte, sorgfältig gefaltet und verpackt. »Sie ist mit DC Kormish in den Carsley-Vernehmungsraum gegangen.«

»Gut. Bring das dem Beamten von der Asservatenkammer, der wird das Labor kontaktieren. Was ist mit einem Foto?«

»Ich lasse gerade Abzüge machen, habe aber vorab schon mal diese Farbkopien bekommen.« Er griff in seine Brusttasche und zog ein Bündel bunter Kopien von Claras Foto hervor.

»Attraktive Frau«, kommentierte Lawson und ging wieder.

Als Barton in der ersten Etage eine Schaufensterpuppe sah, die, als Viktorianischer Bobby verkleidet, den Weg zu der Hauptausstellung des Museums wies, rief er: »Besser ging’s nicht?«

Lawson zuckte die Schultern. »Woanders laufen andere, größere Ermittlungen. Wir brauchen ein HOLMES-Team, um die Daten auszuwerten, und wir brauchen Platz.«

»Was ist mit dem unbenutzten Zimmer im Hauptquartier?«

»Nicht zu gebrauchen.« Lawsons Tonfall war resigniert. Das Home Office Large and Major Enquiry System war nicht Platz sparend: Computer, Drucker, Telekommunikation und Ablagemöglichkeiten waren unverzichtbar. Als das HOLMES-Zimmer in Chester in den achtziger Jahren eingerichtet worden war, umfasste es bloß ein paar Computer und Mitarbeiter, aber das enge Büro reichte jetzt für das moderne System mit einem Team von acht ausgebildeten Beamten mit Computerausrüstung nicht mehr aus.

Barton war außer sich. »Das ist doch unmöglich! Jeder Museumsbesucher kann hier kommen und gehen, während wir versuchen, eine Ermittlung durchzuführen?«