Wer Rache sucht - Margaret Murphy - E-Book
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Wer Rache sucht E-Book

Margaret Murphy

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Beschreibung

Das Grauen breitet sich aus in Liverpool, der Stadt der Mörder! Der Kriminalroman »Wer Rache sucht« von Margaret Murphy als eBook bei dotbooks. Was Sergeant Forster und Detective Inspector Jeff Rickman anfangs für eine harmlose Vermisstenmeldung halten, wird bald zu einem rätselhaften Fall, der ihre eigenen Leben zu vergiften droht: Die junge Megan Ward ist von einem Tag auf den anderen verschwunden, vor dem Haus will ihre Mitbewohnerin wiederholt einen unheimlichen Fremden gesehen haben. Doch warum gibt es von Megan kein einziges Foto, keinen Ausweis, keine Familie oder Freunde, die man befragen könnte? Es ist, als hätte die junge Frau nie existiert. Während Rickman sich plötzlich mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert sieht, beschleicht Forster bei seinen Ermittlungen der Verdacht, immer tiefer in ein tödliches Netz vorzudringen, das ganz allein für ihn ausgeworfen wurde … »Margaret Murphys Ziel ist es, ihre Leser das Fürchten zu lehren, und das gelingt ihr brillant!« Literary Review Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Kriminalroman »Wer Rache sucht« von Margaret Murphy ist der dritte Band ihrer spannungsgeladenen Reihe um die »Liverpool Police Station«, in der jeder Band unabhängig lesbar ist. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 557

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Über dieses Buch:

Was Sergeant Forster und Detective Inspector Jeff Rickman anfangs für eine harmlose Vermisstenmeldung halten, wird bald zu einem rätselhaften Fall, der ihre eigenen Leben zu vergiften droht: Die junge Megan Ward ist von einem Tag auf den anderen verschwunden, vor dem Haus will ihre Mitbewohnerin wiederholt einen unheimlichen Fremden gesehen haben. Doch warum gibt es von Megan kein einziges Foto, keinen Ausweis, keine Familie oder Freunde, die man befragen könnte? Es ist, als hätte die junge Frau nie existiert. Während Rickman sich plötzlich mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert sieht, beschleicht Forster bei seinen Ermittlungen der Verdacht, immer tiefer in ein tödliches Netz vorzudringen, das ganz allein für ihn ausgeworfen wurde …

»Margaret Murphys Ziel ist es, ihre Leser das Fürchten zu lehren, und das gelingt ihr brillant!« Literary Review

Über die Autorin:

Margaret Murphy ist diplomierte Umweltbiologin und hat mehrere Jahre als Biologielehrerin in Lancashire und Liverpool gearbeitet. Ihr erster Roman »Der sanfte Schlaf des Todes« wurde von der Kritik begeistert aufgenommen und mit dem First Blood Award als bester Debüt-Krimi ausgezeichnet. Seitdem hat sie zahlreiche weitere psychologische Spannungsromane und Thriller veröffentlicht, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Heute lebt sie auf der Halbinsel Wirral im Nordwesten Englands.

Die Website der Autorin: www.margaret-murphy.co.uk/

Bei dotbooks veröffentlichte Margaret Murphy ihre Reihe um die Liverpool Police Station:

»Wer für das Böse lebt – Band 1«

»Wer kein Erbarmen kennt – Band 2«

»Wer Rache sucht – Band 3«

Außerdem ist bei dotbooks ihre Thriller-Reihe um die Anwältin Clara Pascal erschienen:

»Warte, bis es dunkel wird – Band 1«

»Der Tod kennt kein Vergessen – Band 2«

Sowie ihre psychologischen Spannungsromane:

»Die Stille der Angst«

»Der sanfte Schlaf des Todes«

»Im Schatten der Schuld«

»Das stumme Kind«

***

eBook-Neuausgabe August 2022

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2005 unter dem Originaltitel »Now You See Me« bei Hodder & Stoughton Ltd, London.

Copyright © der englischen Originalausgabe 2005 by Margaret Murphy

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2006 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Madrugada Verde

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-98690-256-8

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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***

Besuchen Sie uns im Internet:

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blog.dotbooks.de/

Margaret Murphy

Wer Rache sucht

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Christine Heinzius

dotbooks.

Für Murf

Kapitel 1

Neun Uhr. Schwarzer Himmel, graue Wolken. Die Straße unter Megan Wards Fenster glänzte geisterhaft nach einem plötzlichen Regenschauer. Die Autos verstopften die gesamte Straße, drängelten sich um einen Parkplatz, ein paar standen mit den Rädern auf dem Bordstein, wodurch die Lücke zu den gelben Backsteinhäusern gegenüber schmaler wurde.

Ein Mann stand auf der anderen Seite auf dem Gehweg. Er war groß, kräftig gebaut, die Trapez-Muskeln in seinem Nacken waren so dick, dass sein Kopf wirkte, als wäre er zwischen seine Schultern gerammt. Er beobachtete das Haus nun schon seit fünfzehn Minuten, während Megan ihn aus der Dunkelheit ihres Zimmers heraus beobachtete. Ihr Atem ging flach und gepresst.

Ein paar Jugendliche tauchten auf, sie waren auf dem Weg zu den Pubs in der Lark Lane, laut und prahlerisch, doch als sie an dem Mann vorbeikamen, schwiegen sie und achteten darauf, ihm nicht zu nahe zu kommen, und vermieden es, ihn anzusehen.

Was wollte er von ihr? Sie seufzte und atmete tief durch. Du weißt, was er will, und du hast dir das selbst eingebrockt.

Die Haustür wurde geöffnet, und aus dem Flur fiel Licht auf die Straße. O Gott – Sara!

Megan rannte aus ihrem Zimmer in den Flur und rief Saras Namen. Sie lief die Treppen hinunter und hörte das Klirren der Milchflaschen und den dumpfen Klang, als eine hinfiel und weiterrollte.

»Sara!« Sie sprang die letzten paar Stufen hinunter, stolperte und prallte fast gegen ihre Freundin, als diese wieder ins Haus lief.

»Megan, was ist los?«

Megan knallte die Tür zu und lehnte sich keuchend mit dem Rücken dagegen. »Er ist da draußen«, sagte sie.

Sara presste eine Hand auf den Mund. Sie hatte normalerweise einen klaren Blick und war selbstbewusst, doch jetzt wirkte sie klein und ihr Gesichtsausdruck verkniffen, aber ihr Schrecken hielt nur kurz an. Sie griff schnell nach der Türklinke, ihre kurzfristige Schwäche ärgerte sie.

Megan breitete die Arme aus. »Nein. Sara – nicht.«

Saras honigblonde Haare waren schulterlang und leicht gelockt. Sie strich sie hinter die Ohren und schob ihr Kinn vor. »Du darfst nicht zulassen, dass er dich auf diese Weise terrorisiert, Megan«, sagte sie. »Du musst dich ihm stellen.«

Megans Augen wurden größer. »Bitte, Sara ...« Sara wusste nichts, woher sollte sie auch wissen, wie gefährlich es war, sich diesem Mann zu stellen? »Nicht ...«, sagte sie noch einmal und hörte den bittenden Tonfall in ihrer Stimme und spürte die Tränen in ihren Augen. Saras Gesicht verschwamm.

»Er ist ein Stalker, Megan«, sagte Sara. »Du hast das Recht, geschützt zu werden.«

Du hast Unrecht, dachte Megan. Er ist kein Stalker, er beobachtet mich. Wie konnte sie Sara erklären, dass diese offene Überwachung viel bedrohlicher war als eine bloße Besessenheit? Sie suchte nach Worten, aber sie fand keine. Sie vertraute Sara so sehr, wie sie in den letzten fünfzehn Jahren niemandem vertraut hatte, aber sie wusste, dass Sara es nie verstehen würde, es nie verstehen könnte.

»Dann ruf wenigstens die Polizei an«, sagte Sara. Megans Schweigen machte sie ungeduldig.

»Das habe ich, erinnerst du dich? Es hat nichts genützt.«

Saras Hand packte fest zu und ließ dann locker. »Ich ... ich mache mir einfach Sorgen, Megan, das ist alles.«

Megan wusste, dass Sara an ordentliche Gerichtsverfahren glaubte, daran, dass das System gerecht war und das Gesetz die Schwachen und Schutzlosen beschützte.

Megan sagte: »Ich rufe morgen an und spreche mit dem Detective.« Demjenigen, der angeblich ihren Fall bearbeitete. Verlorene Liebesmüh. Aber wer war sie schon, um Saras Illusion zu zerstören, die Illusion der Sicherheit in einer gerechten Welt, in der gewalttätige Männer vor Gericht gebracht wurden? Sara hatte sich während ihrer vierunddreißig Lebensjahre auf diese Gewissheit verlassen. Ihr Glaube, dass das Gute immer überlegen war, machte sie stark und hatte ihr das Selbstvertrauen gegeben, ihr Leben nach dem langsamen Sterben ihres Mannes an Multipler Sklerose wieder neu aufzubauen. Er hatte ihr den Mut gegeben, in einem männlich dominierten Beruf Karriere zu machen, und Megan, eine Fremde, in ihr Zuhause aufzunehmen und Freundschaft mit ihr zu schließen. Megan würde nichts tun, um diese Überzeugung zu beschädigen oder ihre Freundschaft zu gefährden. »Ich verspreche«, sagte sie, »dass ich mit ihm sprechen werde.«

Sara ließ die Türklinke los und sah Megan direkt an. »Lass dich nicht von der Angst lähmen, Megan«, sagte sie.

Megan kannte die Angst, ihr Reich, ihre hohen Klippen, die Energie und Chancen schufen, genauso wie ihren tiefen Treibsand, der einen festhielt und hinabzog und einem die Kraft raubte und Angst zu Panik werden ließ. Sie wusste auch, wie man Angst nutzen konnte, den bekannten Nervenkitzel des schnelleren Herzschlags, den raschen Anstieg der Hirnaktivität, den Tunnelblick durch den Adrenalinschub konnte sie sogar begrüßen. Es konnte funktionieren, wenn sie mitten in der Nacht, völlig übermüdet, kurz vor einem Durchbruch stand und der schwere Pulsschlag der Angst und der Hochstimmung sie antrieben, weiterzumachen oder die Chance für immer zu verlieren. In solchen Momenten war es dieser Kontrast zwischen Angst und Hochstimmung, der sie etwas zu Ende bringen, der Logik folgen und die Verbindungen erkennen ließ, selbst wenn das Ziel schwierig oder sogar gefährlich erschien.

Dieses Mal machte die Angst sie jedoch krank und schwach; sie zog sie immer tiefer und tiefer nach unten, während sie im Sumpf der Unentschlossenheit strampelte. Sie war kurz davor aufzugeben. So war es noch nie gewesen. Sicher hatte sie schon Angst gehabt, aber früher hatte sie die Situation eingeschätzt und ihre Entscheidung für oder gegen ein Weitermachen getroffen, indem sie das Risiko gegen den möglichen Gewinn abwägte. Sara war das neue Element in der Gleichung. Sie war zwar zu jung, um wie eine Ersatzmutter zu handeln, doch Sara hatte Megan ihr Zuhause und ihr Vertrauen angeboten und damit auch eine neue Perspektive, eine großzügigere, als das Leben ihr bisher gezeigt hatte, eine, die die Möglichkeit der Hoffnung zuließ und die die Krankheit der Schwäche mit sich brachte.

Sie hielt an ihrem Fenster Wache, plante, träumte, ging jedes mögliche Szenario durch und erarbeitete einen Handlungsplan. Ihr Gesicht, das sich in dem Glas vage spiegelte, war schmal und ernst, die Nase schmal, zart. Ihre dunklen Haare fielen wie Seide auf ihre Schultern. Sie beobachtete die vorbeifahrenden Autos, die Abstände zwischen ihnen wurden länger, ein Taxi hielt ein paar Häuser weiter an, und drei Mädchen taumelten lachend und betrunken auf die Straße. Fußgänger, dann nächtliche Trinker, ein Hundebesitzer, der geduldig an jedem Laternenpfahl stehen blieb und wartete, während der Terrier sein Revier markierte. Schließlich die Clubbesucher, die nach dem Ritual des Tanzens, des Trinkens und des Schwitzens zu Paaren geworden waren. Pheromone und Testosteron, die Gerüche des sexuellen Abenteuers.

Aber der Beobachter kehrte nicht zurück.

Kapitel 2

Das Hauptbüro des Sicherheitsdienstes Safe Hands Security war ungewöhnlich ruhig. Es war kurz nach zehn Uhr abends, und nächtliche Einsätze waren üblich: Patrick Doran glaubte an willkürliche Dienstpläne, von Bargeldtransporten bis zur Überwachung von Geländen mit niedriger Gefährdungsstufe. Das reduzierte die Gefahr möglicher Überfälle und verhinderte, dass seine Männer schlampig wurden. Normalerweise benutzten Techniker Überwachungskameras, um zu überprüfen, dass Liefer- und Abholzeiten eingehalten wurden, dass die Übergabe effizient ablief und dass die Regeln für quittierte Lieferungen penibel genau eingehalten wurden.

Heute Abend hatte er die Büroangestellten nach Hause geschickt. Die Computermonitore tauchten das Großraumbüro in ein Mondlicht, und das dumpfe Summen, das normalerweise wegen der ständigen Aktivität im Raum nicht zu hören war, fühlte sich nun wie ein größer werdender Druck an, ein leises, unterschwelliges Geräusch wie Meeresmusik oder Walgesang. Nathan Wilde, Systemadministrator, Internetsurfer und manchmal auch Hacker, der vor kurzem seinen Abschluss in Informatik gemacht hatte, war daran gewöhnt, mit dem Lärm aus seinem MP3-Player zu arbeiten, Technorhythmen und die Hymnen von The Grateful Dead. Er empfand die Stille wie eine Leere, und das dumpfe, tiefe Dröhnen der Computer hörte sich für ihn wie geflüsterte Warnungen an.

Zu Nathan kam John Warrender, der Sicherheitschef, ein Expolizist, der niemandem traute und dem nichts entging. Warrender hatte sich früh pensionieren lassen, er trainierte viel und achtete auf sein Gewicht und war mit Mitte fünfzig fitter als Nathan mit Mitte zwanzig.

Nicht dass Nathan fett gewesen wäre, ein bisschen schwabbelig vielleicht, das lag wohl an all diesen nächtlichen Internetsitzungen und den Pillen aus dem Internet, die ihn tagsüber wach halten sollten. Er war durchschnittlich groß und schwer, hatte einen blassen Teint, der leicht knallrot wurde, wenn er verlegen war; seine Haare waren kurz und mit Gel zu Stacheln geformt.

Keiner der Männer sagte etwas, was Nathan ebenfalls als außergewöhnlich auffiel. Warrender sprach zwar nicht viel, aber es gefiel ihm sehr, seine Stellung in jeder Situation deutlich zu machen. Normalerweise tat er das, indem er sehr schnell eine ganze Reihe von Fragen stellte und sich dann die Antworten anhörte, als wäre er davon überzeugt, sie seien nur ein Lügengespinst. Erst dann schwieg er. Noch bevor Doran eintrat, spürten sie beide dessen Präsenz.

Sie standen vor Dorans Büro, Nathan mit verknitterten Kleidern und glasigen Augen, da er zwanzig Stunden durchgearbeitet hatte, und das nur mit der Hilfe von Koffein, chemischen Cocktails und Schokolade, Warrender frisch rasiert und im Anzug. Er kam gerade aus dem Fitnessstudio.

Doran trat ein und ging geradewegs zwischen den Computern hindurch. Falls er besorgt war, so zeigte er es nicht. Nathan spürte Wut, aber er konnte den Gesichtsausdruck seines Bosses nicht entschlüsseln. Doran sah sowohl Nathan als auch Warrender wortlos an, dann zog er seine Karte mit einer solchen Präzision und Kraft durch das Lesegerät, dass Nathan zusammenzuckte.

Doran hatte blaue Augen und die dunklen Haare eines Iren von der Westküste, obwohl er in Liverpool geboren und aufgewachsen war und sein Vaterland nicht ein Mal besucht hatte. Klein, stupsnasig und schmal, sah er jünger als fünfundvierzig aus. Er konnte sehr charmant sein, und dann redete er weicher als mit seinem üblichen gutturalen Liverpooler Akzent, sprach die Ts sanfter aus und auch die Vokale, so dass er sich dem Westport-Akzent seines Vaters annäherte. Die Mädchen im Büro liebten es, besonders, da sie sich sicher waren, dass er als Familienvater einen kleinen, unschuldigen Flirt nicht ausnützen würde.

Er steckte die Karte ein wie ein Zauberer, der einen Taschenspielertrick vorführte, dann wandte er sich seinem Sicherheitschef und seinem Systemadministrator zu, die beide noch an der Tür seines Büros standen.

»Warten Sie auf eine Einladung, oder was?« Heute war sein Tonfall hundert Prozent aus Liverpool, die Wörter prasselten wie Hagelkörner auf Glas.

Sie traten ein. Zuerst Warrender. Das Zimmer war fensterlos und wurde von Neonröhren hinter Milchglas beleuchtet. Ein Schreibtisch aus dunklem Holz nahm ein Drittel des Raumes ein, eine Reihe von Überwachungsbildschirmen eine Ecke, Doran war kein vertrauensseliger Arbeitgeber.

»Unser System wurde gehackt«, sagte Doran, das K kam von ganz tief unten im Rachen und klang fast wie Auswurf. »Mein Geschäftskonto wurde leer geräumt.«

Nathan sah auf die Spitzen seiner Nike-Air-Turnschuhe und sagte nichts.

Warrender sog die Luft zwischen den Zähnen ein. »Okay«, sagte er. »Das ist schlimm, aber keine Katastrophe.«

»Schön, dass Sie das so sehen, John«, sagte Doran, und in den Basstönen seiner Stimme lag etwas Drohendes. »Ich hatte vor, den Verlust über Einsparungen an Ihrem Gehalt auszugleichen.«

Warrender lächelte schwach. »Ich meinte, dass Ihr Geschäftskonto zwar flüssig, aber nicht üppig ist, also ist Ihr restliches Vermögen sicher, oder?«

Doran sah ihn einen Augenblick lang an, und Nathan wagte einen schnellen Blick von seinen Schuhe nach oben und sah Schweißperlen auf der Stirn des Sicherheitschefs. Während die weiblichen Angestellten Doran beruhigend und sogar onkelhaft empfanden, kamen bei den Männern ganz andere Signale an. Trotz seiner natürlichen Autorität und körperlichen Stärke war auch Warrender nicht immun dagegen.

»Meine persönlichen Konten sind geschützt«, sagte Doran.

»Sind Sie sich da ganz sicher?« Nathan war entsetzt, seine eigene Stimme zu hören. Doran richtete seine Aufmerksamkeit auf ihn, und er begann sofort mit dem, was er das Kauderwelschritual nannte. Jedes Gespräch mit Doran endete so. »Ich meine, er ist drin. Im System.« Er dachte einen Augenblick darüber nach. »Vielleicht ein Trojaner oder eine Backdoor, aber wenn er einmal drin ist, ist er drin, er kann tun ... was auch immer er will, weil diese Typen einen gern durcheinander bringen, und wenn er an das Geschäftskonto kam ... Denn die Konten fürs Geschäft, Computer, die Bank sind alle gleich, nicht wahr, ich meine, im Prinzip?«

Doran wartete einen Augenblick. »Fertig?«, fragte er.

Nathan nickte, sein Kopf fühlte sich nicht ganz sicher auf seinem Hals an.

Doran sah Warrender an. »Übersetzung?«

Warrenders Blick glitt über Nathan, als sähe er sich etwas besonders Widerwärtiges auf seiner Schuhsohle an. »Er glaubt, der Hacker könne an Ihre persönlichen Konten ran, weil er Zugriff auf das System hat, wann immer er es will, und weil die Computer- und Bankkonten auf demselben Prinzip aufbauen: Ein Name und ein Passwort oder eine PIN-Nummer.«

Dorans Blick wich nicht von Nathans Gesicht, und Nathan spürte, wie seine Wangen dunkelrot wurden. »Meine persönlichen Konten sind nicht vom Geschäftsnetzwerk aus zugänglich«, sagte Doran. »Mein Privatcomputer ist nie mit dem Geschäftsnetzwerk verbunden. Also. Bin ich in Sicherheit?«

»Haben Sie je mit einer VISA- oder einer Bankkarte online eingekauft?«, fragte Nathan und zwang sich, mehr Mut in seine Stimme zu legen, als er empfand.

»Nicht über das Geschäftsnetzwerk.« Dorans Stimme war ruhig, aber seine Augen sahen so tief und gefährlich aus wie der Pazifik.

Nathan schaute wieder zur Seite. »Haben Sie je Ihrer Bank geschrieben und im Text Kontodaten erwähnt?« Es war einfacher, einen klaren Kopf zu behalten, wenn er seinen Boss nicht ansehen musste.

Doran musste darüber nachdenken. »Nicht von der Arbeit aus«, sagte er nach kurzer Überlegung. »Ich benutze immer meinen Privatcomputer.«

Nathan nickte. »Dann sind Sie in Sicherheit, zumindest vor diesem Typ.«

»Soll heißen?«

»Ich kann Ihnen keine Immunität vor Hackern garantieren, Boss.«

»Können wir nicht bei dem aktuellen Problem bleiben?«, sagte Doran. »Nur für den Augenblick? Wie ist er hineingekommen? Wir haben doch eine Firewall, oder nicht?«

»Ja ...« Das war die Frage, die Nathan am meisten fürchtete. Die Firewall funktionierte auf zwei Ebenen: die Erste wehrte verdächtige Zugriffsversuche auf das Arbeitssystem ab, so wie ein Türsteher unerwünschte Gäste an einer Disco abblitzen lässt, die zweite Ebene warnte den Systemadministrator, dass es einen Versuch gegeben hatte, die Sicherheitsbarriere zu überwinden, ähnlich dem Türsteher, der seinen Kollegen über Funk mitteilt, dass es an der Tür Schwierigkeiten gibt.

Doran merkte, dass er zögerte. »Sagen Sie mir, dass Sie eine Firewall installiert haben«, sagte er.

»Ja, Mr Doran, natürlich habe ich das. Es ist nur, ich habe die Konfiguration verändert, sie schickt mir keine Pop-up-Warnungen mehr.«

Doran schloss eine Sekunde lang die Augen. »Sieh mich an, Nathan.«

Nathan sah auf einmal das Bild vor sich, wie Doran die Karte durch das Lesegerät zog, als schlitze er dem Hacker die Kehle auf. Oder auch dem Systemadministrator, der versagt hatte und gerade in Reichweite war.

Nathan sah ihn an, aber nicht ganz.

»Siehst du einen Pferdeschwanz?«, fragte Doran.

»Nein ...«

»Wie ist es mit einem Taschenschutz für all meine farbigen Gelstifte?«

»Nein, Boss«, sagte Nathan. Verarschung, dachte er. Sie müssen einen immer verarschen.

»Kein Pferdeschwanz, kein Taschenschutz, und weißt du, warum?« Doran wartete, bis Nathan seinen Kopf schüttelte. »Weil ich kein Freak bin, der dein sinnloses Gebrabbel verstehen könnte.«

Crack, du Idiot, dachte Nathan, durch die ohnmächtige Wut und die Erniedrigung errötete er noch mehr. Ich bin kein bescheuerter Freak, ich bin ein Computercrack.

»Okay«, sagte er, so beleidigt, dass er vergaß, nervös zu sein. »Ich habe der Firewall gesagt, sie soll mich nicht mit jedem unerlaubten Versuch, auf das System zuzugreifen, stören.«

Doran sah aus, als wäre er kurz davor, etwas kaputtzuschlagen. »Du hast was getan?«

»Wir haben jeden Tag zwischen fünfzig und einhundert dieser Versuche, Boss«, erklärte Nathan, »das bedeutet dreitausend pro Monat. Wir sind nur zu dritt, ich und die zwei Computertechniker, wir müssen uns um technische Probleme kümmern, Spam, E-Mails, Archivierung, Sicherungsbänder, alles.«

»Als Nächstes erzählst du mir, du willst eine Gehaltserhöhung.«

Jetzt, wo Sie es sagen, dachte Nathan, aber er wusste, wann er den Mund halten musste.

»Ich verstehe, dass du nicht jeden einzelnen Angriff überprüfen kannst«, sagte Doran. »Aber die Firewall soll doch Hacker draußen halten, oder nicht?«

»Sie erkennt bekannte Hackerstrategien und -programme und hält sie draußen.«

»Also war das hier ein unbekanntes Programm oder Strategie.«

»Vielleicht. Es könnte mit einer E-Mail hereingekommen sein, als Trojaner ...«

»Darüber haben wir doch schon gesprochen«, sagte Doran, sein Gesicht war so nah, dass Nathan die dunklen Bartstoppeln sehen konnte, die auf Dorans sorgfältig rasierten Wangen auftauchten. »Nur simples Englisch. Okay? Hast du das begriffen?«

Er muss sich zweimal täglich rasieren, dachte Nathan. Neandertaler. Die Beleidigung, auch wenn er sie nicht aussprach, gab ihm Mut. Er entschloss sich, dem KISS-Protokoll zu folgen: Keep it Simple and Stupid. Und Sie können mich an meinem lilienweißen Arsch lecken, Mr Doran. »Betrachten Sie es mal so«, sagte er in einem ruhigen und vernünftigen Tonfall. »Bei Ihnen wurde eingebrochen.«

»Na, das weiß ich ja schon«, brüllte Doran.

»Es ist eine Metapher«, sagte Nathan und spürte, wie er ebenfalls wütend wurde, was er schnell unterdrückte.

»Oh«, sagte Doran, »eine Metapher ...« Er legte eine Hand auf seine Brust. »Das hättest du schon sagen müssen, und da habe ich dich doch glatt unterbrochen.« Er schwieg dann jedoch, ging sogar zu dem großen Schrank hinter seinem Schreibtisch und schenkte sich einen Drink ein. Er bot weder Nathan noch Warrender etwas an.

»Ein einfallsloser Einbrecher würde es an einer Tür versuchen, ist sie offen, greift er sich das bisschen Bargeld und ein paar Wertsachen und haut ab«, fuhr Nathan fort. Er fühlte sich viel besser, als er sich selbst hörte. Er klang mehr oder weniger so wie in seinem Kopf, nicht wie sonst, wenn sein Boss ihn anbellte.

»Aber ich glaube, dass dieser Typ mehr ein Planer ist, ein Stratege ...« Er sah, dass er Dorans Aufmerksamkeit hatte. »Ein Stratege würde sich einschleichen, sich umsehen, ein paar Türen aufschließen oder sie vielleicht locker machen, dann wieder verschwinden und in Ruhe zurückkommen, um zu holen, was auch immer er möchte.«

»Du willst mir also sagen, dass das kleine Arschloch, das meine Konten leer geräumt hat, ein paar Türen aufgelassen hat, damit er zurückkommen und weiteren Schaden anrichten kann?« Er lachte, und Nathan und Warrender wechselten nervös einen Blick. »Das wird immer besser.« Er nahm einen Mund voll Whiskey, schluckte und verzog das Gesicht. »Schadensbegrenzung?«, fragte er.

»Der sicherste Weg wäre, die Internetverbindung zu kappen und die Polizei zu rufen.«

Doran reagierte entsetzt, aber er gewann schnell die Kontrolle zurück und wandte sich seinem Sicherheitschef zu. »Sagen Sie es ihm, John«, sagte er.

Warrender verschränkte die Arme und stellte seine Füße leicht auseinander, als bereite er sich auf eine Strafpredigt vor. »Safe Hands ist eine Sicherheitsfirma«, sagte er und sprach mit Nathan, als wäre er ein besonders dämlicher Neuling in der Grundausbildung. »Falls es bekannt würde, dass wir unser eigenes Geld nicht beschützen können, was glaubst du, wie viele Unternehmen uns dann ihres anvertrauen würden?«

Nathan schluckte. »Boss, das hier könnte ein Insiderjob sein, oder es könnte jemand sein, der tausend Meilen entfernt ist, in Kalifornien oder einem alten Sowjetstaat. Er könnte überall auf der Matrix sein.«

»Der Matrix?« Doran machte eine Pause, während der die Luft zu surren schien. Dann drehte er sich von Nathan weg und sprach Warrender an. »Ich habe gehört, was Neo hier zu sagen hat. Was schlagen Sie vor?« Seine Stimme war so kontrolliert, dass zwischen jedem seiner Worte eine Pause zu hören war.

Warrender dachte ein paar Sekunden lang darüber nach. »Wir müssen herausfinden, welche Bereiche genau betroffen sind, die Passwörter aller Konten ändern, von Ihrem eigenen bis hinunter zum E-Mail-Konto der Rezeptionistin. Alle Hintertüren schließen, die er offen gelassen hat, und das kleine Arschloch aufspüren.«

»Kannst du das machen, Nathan?«

Nathan hatte keinen Zweifel, dass Doran ihn, ohne zu zögern, ersetzen würde, wenn er es nicht machen könnte. »Ja«, sagte er. »Aber nicht in dieser Reihenfolge.« Er sah, dass Doran und sein Sicherheitschef einen Blick wechselten. »Wir müssen ihn zuerst finden. Wenn ich ihn aussperre, wird er das wissen, und er wird alles dichtmachen und verschwinden. Er ist nicht so clever, er hat einen ziemlich offensichtlichen Exploit benutzt, um reinzukommen ...«

»›Exploit‹. Ist das der akademische Ausdruck für das verdammte, riesige Loch in meiner Computersicherheit? Und falls es so offensichtlich war, wieso hast du es dann nicht entdeckt?«

Nathan roch den Whiskey in Dorans Atem, frisch und stark. »Es gibt fünfundsechzigtausend Wege hinein, wenn man weiß, wonach man sucht«, sagte er. »Aber jedes Mal, wenn ein Computer Kontakt zu einem anderen hat, tauschen sie Adressen in Form eines Kodes aus. Er hat wahrscheinlich versucht, seine zu verbergen, aber ich vermute, dass dieser Typ noch relativ neu im Spiel ist, also wird er das nicht allzu gut gemacht haben. Ich kann ihn aufspüren und Ihnen innerhalb von Minuten seinen Standort nennen.«

»Einen Straßennamen und eine Hausnummer?«, fragte Doran, stellte sein Glas ab und sah Nathan mit neuem Respekt an.

Nathan schüttelte den Kopf. »Eine Stadt.«

»Scheiße.« Doran schnappte sich wieder seinen Whiskey und setzte sich in den Stuhl hinter seinem Schreibtisch.

»Die Sache ist die«, fuhr Nathan fort, entschlossen, es zu Ende zu bringen. »Falls ich seine IP-Adresse habe, die Kodenummer seines Computers«, korrigierte er sich schnell, »dann kann ich mich in seinen Computer einhacken. Das bedeutet, ich komme in jede Datei, jeden Ordner und jedes Dokument auf seinem System. Als ginge man in ein Büro und hätte die Schlüssel zu allen Aktenschränken.«

»Kannst du mein Geld zurückholen?«

»Vielleicht. Wenn er Internetbanking genutzt hat, kann ich versuchen, seinen Benutzernamen und sein Passwort zu knacken.«

»Mach dir keine Mühe.« Doran fuhr mit den Fingern durch sein Haar. »Finde ihn für mich, ich werde das Passwort selbst aus ihm herausprügeln.«

Nathan bezweifelte das nicht. »Falls er irgendwelche Dateien mit einer Adresse gespeichert hat, eine E-Mail, einen Brief, irgendwas, werde ich ihn finden.«

»Das solltest du auch tun«, sagte Doran.

Kapitel 3

»Gott!« Sara Geddes stolperte ins Haus und stieß mit dem Ellbogen die Haustür gegen eine Bö eisigen Frühlingsregens zu. »Richter Partington-Idiot-Jessop«, rief sie aus und ließ ihre Akten- und ihre Schultertasche, ihre Handschuhe, ihren Schal und ihren Mantel in einem lauten Durcheinander fallen. »Ich schwöre, ich könnte ihn mit seiner eigenen Schärpe erwürgen!« Vor Gericht war Sara genau so, wie eine Protokollführerin sein sollte, respektvoll, effizient, diskret, zurückhaltend, doch diese Persönlichkeit legte sie abends zusammen mit ihrem schwarzen Anzug und ihren bequemen Schuhen ab.

In der Küche gurgelte die Kaffeemaschine, und das Haus war vom nussigen Kaffeearoma erfüllt. Sie kickte ihre Schuhe von den Füßen, krallte ihre Zehen in den Teppichflor und lauschte. Aus Megans Büro, das nach vorn hinaus lag, hörte sie leise Musik: Fountains of Wayne, Megans aktuelle musikalische Leidenschaft. Sara tappte die Treppe hinauf und redete den ganzen Weg über. »Vier Stunden, um die Geschworenen einzusetzen, zwei weitere, um Beweise zu diskutieren, gegen die die Verteidigung überhaupt keinen Einspruch einlegen wollte, dann beginnt er um halb vier mit der Verhandlung, um sie nach einer knappen halben Stunde zu vertagen. Und er will, dass ich ...«

Sie streckte ihren Kopf durch die offene Tür von Megans Büro, ihre blonden Haare schwangen über ihr Gesicht. Das Zimmer war leer. Die Band spielte »Hey Julie«, ein Lied über eine Büroangestellte mit einem tyrannischen Boss. »Wie passend«, murmelte sie. Auf Megans Computerbildschirm war eine ziemlich gute Imitation eines tropischen Aquariums zu sehen, die übrige Einrichtung bestand nur aus einem Bettsofa und einem Bücherregal mit ein paar Computerhandbüchern und Taschenbüchern sowie vor allem Sciencefiction- und Technothrillern.

Sara drehte sich um und sah über ihre Schulter, als wäre sie im Flur an ihrer Freundin vorbeigegangen, ohne sie zu bemerken.

»Megan?« Sie klopfte an Megans Schlafzimmertür und öffnete sie, bereit, sich zu entschuldigen, falls sie störte. Das Bett war gemacht, das Zimmer ordentlich und ziemlich leer und kahl wie immer.

Das Badezimmer. Sara ging den Flur entlang. Die Tür stand offen, und das Zimmer war kühl und trocken. Es sah aus, als wäre es seit heute Morgen nicht mehr genutzt worden. Sie ist wahrscheinlich ausgegangen, um ein bisschen Luft zu schnappen, sagte Sara sich. Trotzdem empfand sie einen Schauer der Vorahnung. Die Band machte mit einem langsameren, melancholischeren Stück weiter, als Sara nach unten lief und ihre Schultertasche nach ihrem Handy durchwühlte. Sie wählte Megans gespeicherte Nummer. Eine Stimme vom Band erklärte ihr, dass das Handy ausgeschaltet war. Sie ging durch die Küche, in der Hoffnung, auf dem Küchentisch eine Nachricht zu finden. Vielleicht hatte sich ein glücklicher Zufall in der Recherche für die Geschichte, an der sie arbeitete, ergeben, und sie hatte kurzfristig weggehen müssen. Die Kaffeemaschine gluckste, zischte und spuckte, dann wurde es ruhig.

Sara starrte die Maschine an. Frisch gebrüht für ihren Feierabend. Es war während der sechs Monate, seit Megan die Zimmer hier gemietet hatte, zu einer Art Tradition geworden: Kaffee, Geplauder und dann ein Glas Wein, während sie gemeinsam das Abendessen zubereiteten.

Eine frische Bö Graupelschauer schlug gegen das Haus und riss an der Küchentür. Sie schwang auf und ließ einen kalten Luftzug herein. Sara kämpfte gegen ein deprimierendes Gefühl an. Megan war weg.

Kapitel 4

Detective Sergeant Lee Foster war gut gelaunt. Die Sonne schien, zumindest für den Augenblick. Sein Schreibtisch war aufgeräumt und sein Kopf ebenfalls, alles in der Welt war in Ordnung. Er spazierte pfeifend den Flur entlang und plante die Vergnügungen des nächsten Abends.

Detective Chief Inspector Jeff Rickman öffnete seine Bürotür, als Foster vorbeikam, und bat ihn herein. Er hatte ein paar Falten mehr und wog gut drei Kilo weniger als letzten Herbst, aber im Grunde war er immer noch derselbe: ruhig, ein Denker, ein Beobachter.

»Du wirkst fröhlich«, sagte Rickman und bot Foster einen Stuhl an.

Foster ignorierte den Stuhl, verschränkte die Arme und lehnte sich stattdessen gegen einen Aktenschrank, der in eine Zimmerecke gezwängt war »Hatte gestern Nacht Glück«, sagte er und grinste breit.

Rickman sah überrascht aus. »Naomi?« Naomi Harts entschlossene Ablehnung war eine stetige Quelle des Schmerzes für Foster, obwohl er es nie zugeben würde.

Foster schnaubte. »Meine Männlichkeit würde zusammenschrumpfen und abfallen, wenn ich darauf warten würde, dass die Eiskönigin Vernunft annimmt.« Er hatte einen starken Liverpooler Akzent, der seine Stimme rau klingen ließ. »Diese neue Zivilangestellte bei den Computern ist da eine viel bessere Aussicht ...«

»Erspar mir die Details.« Rickman hob ein dünnes, rosa Papier von seinem Schreibtisch hoch und gab es Foster.

»Vermisst?«, las er vor. »Was soll ich damit machen?«

»Ich will, dass du in der Sache ermittelst, Lee.«

»Sie wird erst seit vierzehn Stunden vermisst«, erwiderte Foster. »Vielleicht war ich ja nicht der Einzige, der gestern Abend Glück gehabt hat. Vielleicht hat sie einfach nur irgendwoanders die Nacht verbracht.«

Rickman fuhr mit einem Finger über seine Augenbraue und hielt an der Narbe inne, die sie teilte. »Du kannst wirklich an nichts anderes denken, oder?«

Foster sah betroffen aus. »Sei bitte gerecht«, meinte er. »Da gibt’s noch Fußball und Bier, die sind mir wichtig und alles.«

»Megan Ward«, sagte Rickman. »Fünfundzwanzig. Freiberufliche, investigative Journalistin. Mieterin von Sara Geddes, die die Anzeige aufgegeben hat. Sie ist eine hoch geachtete Beamtin am Gericht in Liverpool. Der zuständige Beamte hat bereits einen Anruf von Richter Partington-Jessop erhalten, anscheinend ist Miss Geddes verzweifelt, sie ist heute Morgen nicht zur Arbeit erschienen.«

Foster verdrehte die Augen. »Also werden wir Ressourcen verschwenden, um nach irgendeiner dummen Tussi zu suchen, die zur Teezeit mit einem dämlichen Grinsen auftauchen wird, bloß weil Richter Bindestrich sich nicht mal ordentlich betrinkt?«

»Du solltest nicht von dir auf andere schließen, Lee«, sagte Rickman stirnrunzelnd, obwohl seine braunen Augen amüsiert glitzerten. »Miss Geddes sagt, dass Megan Ward einen Stalker hatte.«

Foster schnappte nach Luft. »Okay, aber das hättest du mir auch gleich sagen können.« Seit 1997 das Gesetz zum Schutz vor Belästigung in Kraft getreten war, wurden Stalking-Vorwürfe sehr viel ernster genommen. Er faltete den Zettel und steckte ihn ein.

»Es wird weiterhin dadurch komplizierter, dass Miss Geddes behauptet, die Polizei habe die Sorgen ihrer Mieterin ignoriert.«

»Hat sie denn formell Anzeige erstattet?«, fragte Foster.

»Keith Norton kümmert sich darum. Miss Geddes ist bereits zu einer Aussage hier gewesen«, sagte Rickman. »Ich habe kurz mit ihr gesprochen, und sie ist bereit, eine informelle Lösung zu akzeptieren, vorausgesetzt, der Fall wird von nun an mit der entsprechenden Sorgfalt behandelt.« Rickmans Gesicht wies ein paar Narben von Kämpfen auf, und seine Nase war gebrochen und nie ordentlich gerichtet worden. Mit einem Meter dreiundneunzig überragte er einige der jüngeren Angestellten. Die schweren Jungs in Liverpools krimineller Welt wurden von ihm eingeschüchtert, aber Frauen reagierten positiv auf Rickman, dessen Aura der Stärke und Liebenswürdigkeit etwas Beruhigendes hatte. Er hatte Miss Geddes die unterschiedlichen Möglichkeiten erklärt, und sie vertraute ihm, dass er tat, was nötig war, damit so etwas nicht wieder passierte.

»Nimm Naomi Hart mit«, sagte Rickman.

Foster war schon durch die Tür, aber er trat zwei Schritte zurück, sein Gesichtsausdruck war eine komplizierte Mischung aus Schrecken und Ungläubigkeit. »Du verarschst mich, richtig?«

»Stalking, vermisste Frau – Naomi Hart wird vielleicht mehr aus Miss Geddes herausbekommen als du.«

»Du meinst, ich bin taktlos.«

»Da werde ich dir nicht widersprechen.« Rickman lächelte. »Aber in diesem Zusammenhang ist es eine Versicherung. Investigative Journalisten haben schon so manchen Trick versucht. Dir muss klar sein, dass es sich hier um eine Journalistin auf der Suche nach einer Story handeln könnte: ›Polizei tritt die Gefühle eines Stalking-Opfers mit Füßen‹, so was in der Art.«

»Na ja, in Ordnung«, sagte Foster mit einem leidenden Blick. »Ich werde Naomi mitnehmen. Aber sie wird es an mir riechen.«

Rickman zog die Augenbrauen hoch. »Weißt du, es ist mir wirklich ein Rätsel, wie Naomi Hart dich je zurückweisen konnte, einen Mann mit deinem offensichtlichen Stil und deiner Kultiviertheit ...«

Foster ging lachend fort.

Er rief Detective Constable Hart von seinem Büro aus an und gab ihr eine Zusammenfassung. Sie war gerade von einem Hauseinbruch auf dem Weg zurück ins Revier. Sie klopfte an Fosters Tür, sobald sie angekommen war.

Foster öffnete sie mit einer Hand, in der anderen hielt er das Telefon. Seine Füße lagen auf dem Schreibtisch, und in seinem Schoß lag ein Notizblock. Er winkte sie herein und sprach weiter in den Hörer. Sein »Büro« war eine kleine, stickige Schachtel, aber Foster hatte in einer Ecke einen leise summenden Ventilator aufgestellt.

Er beendete das Telefonat und legte auf.

»Alles in Ordnung, Naomi?«

Sie bemerkte seinen anerkennenden Blick. Naomi Hart war eine große, selbstbewusste Blondine und fiel Männern auf. Das war ihr bewusst, aber sie kümmerte sich nicht weiter darum, es war nicht ihr Problem. »Ist Ihnen nicht kalt?«, fragte sie. Sie hatte während eines plötzlichen Hagelschauers über den Parkplatz laufen müssen.

»Ich bin mehr der Freiluft-Typ«, sagte Foster. »Ich mag ein bisschen Luftbewegung. Und es ist hier drinnen sowieso schnell stickig.«

Hart fand das nicht sehr überzeugend. Foster sah so frisch wie immer aus, seine dunklen, zu modischen Stacheln geformten Haare glänzten. Er war glatt rasiert und roch wunderbar. Sie konnte das Eau de Cologne nicht genau identifizieren, vielleicht Cool Water, leicht und nicht zu würzig.

»Danke, dass Sie sofort zu mir gekommen sind«, sagte er.

»Klingt spannend.«

»Wahrscheinlich verschwenden wir nur unsere Zeit und unsere Energie«, sagte Foster. »Aber was den Job interessant macht, ist ja, dass man ab und zu mal einen interessanten Knochen findet, um darauf zu kauen.«

»Hätte nie gedacht, dass Sie ein Philosoph sind«, sagte Naomi Hart.

»Ich bin voller Überraschungen.« Er riss ein Blatt von seinem Notizblock, schwang die Beine vom Schreibtisch und stand auf, dann faltete er das Blatt zusammen und steckte es zu dem rosa Zettel in seine Tasche. Foster war schlank und muskulös, aber nicht besonders groß. Hart trug flache Schuhe und konnte ihm direkt in die Augen sehen. Seine Augen waren durchdringend kobaltblau, und viele Frauen waren diesen babyblauen Augen verfallen, doch seine Geheimwaffe war das, was die weiblichen Angestellten »Das Lächeln« nannten. Er setzte es jetzt ein, obwohl Naomi Hart sich bereits so lange als immun dagegen gezeigt hatte, dass sie sich fragte, warum er damit weitermachte.

»Sie wissen nicht, was Ihnen entgeht, Naomi«, sagte er und las ihre Gedanken.

»Das ist beruhigend«, sagte Naomi. Ihr Mundwinkel zuckte.

Foster sah sie scharf an, aber sie bemerkte das amüsierte Zwinkern. »Die Hauptsache ist, dass der Boss es nicht für Zeitverschwendung hält«, sagte er.

»Wer ist denn der Ermittlungsleiter?«, fragte Hart. »Chief Inspector Hinchcliffe?«

»Chief Inspector Rickman«, sagte Foster und hielt ihr die Tür auf.

»Rickman?«

Er ließ die Tür wieder zufallen. »Was soll das heißen ›Rickman‹?«

Naomi Hart hörte den warnenden Unterton in seiner Stimme. An diesem Punkt musste man vorsichtig bei Foster sein. Seine Loyalität Rickman gegenüber hatte einen schon fast legendären Status erreicht, und es gab endlos viele Gerüchte über die Gründe dafür.

»Nichts, Sarge«, erwiderte sie und streckte sich unbewusst zu ihrer vollen Länge. »Ich dachte nur, er würde nicht an« – sie zuckte verlegen mit den Schultern – »richtigen Ermittlungen arbeiten«, schloss sie schwach.

»Glauben Sie, er schafft es nicht, Naomi?«

»Das habe ich nie gesagt.«

»Aber die Gerüchteküche hat heftig gebrodelt, oder?« Der Tratsch lief darauf hinaus, dass Rickman seit letztem Herbst nicht mehr ganz zurechnungsfähig war. »Welche Version haben Sie denn gehört?«, fragte er.

Naomi Hart wich seinem Blick aus. »Nur, dass er viel in Ausschüssen arbeitet, Planung und Beratung und so was.«

»Das ist alles?«, sagte Foster. »Haben Sie nicht die Geschichte gehört, dass er nach einem Streit im Suff mit einem Vorgesetzten vom Dienst suspendiert wurde?«

Naomi Hart wurde rot und wünschte sich, sie hätte ihre große Klappe gehalten.

»Was ist mit dem Neuesten? Dass man ihn zur Ausbildung und in die Schulen abschieben will?«

»Sarge, ich wollte nicht ...«

»Was wollten Sie nicht, Naomi? Einen Mann treten, der am Boden liegt?«

»Hören Sie«, sagte Naomi Hart. »Ich habe nichts gegen Rickman. Ich habe sogar gern mit ihm gearbeitet. Er war ein guter Boss, aber Sie müssen zugeben, dass er nicht mehr oft hier war, seit ... dem, was passiert ist, und ich habe einfach nicht erwartet, seinen Namen zu hören. Das ist alles.«

Eine halbe Minute lang sagte Foster nichts, und Naomi Hart trat nervöser Schweiß auf die Stirn. Als Foster das Schweigen endlich brach, schien es, als habe er beschlossen, die Wahrheit zu sagen. Er nickte, dann sagte er: »Er hat sich freigenommen. Jetzt ist er wieder da. Das ist alles, was irgendwer wissen muss.«

In den seltenen Momenten, in denen Foster ernst war, gefiel er Naomi Hart. Er gefiel ihr richtig gut, nicht bloß als Kollege, sondern als Mann.

Sie sah ihn an. »Verstanden«, sagte sie.

Er öffnete die Tür und machte eine Handbewegung, damit sie hinausging. »Das bleibt zwischen uns beiden, in Ordnung?«

»Das mit dem Chief Inspector?«, fragte Naomi verwirrt.

»Das mit dem Ventilator«, sagte Foster und schloss die Tür fest hinter sich. »Ich habe mir viel Mühe gemacht und Sachen getan, auf die ich nicht stolz bin, um dieses verdammte Ding zu bekommen, und ich will nicht, dass irgendein langfingriger Idiot sich hier hereinschleicht und ihn klaut.«

Kapitel 5

Sara Geddes öffnete die Haustür mit einer schnellen, entschlossenen Bewegung, als erwarte sie fast, ihre Freundin draußen zu sehen.

Sie hat nicht geschlafen, dachte Naomi Hart. Miss Geddes sah hübsch aus in ihrer grauen Wollhose und dem dunkelorangefarbenen Kaschmirpullover, ihre honigblonden Haare waren ordentlich zusammengebunden, und sie hatte sogar ein wenig Make-up aufgelegt, aber die dunklen Schatten unter ihren Augen und das leichte Blinzeln, als sie ins helle Sonnenlicht blickte, waren nicht zu übersehen.

»Miss Geddes? Detective Constable Hart.« Sie nickte in Fosters Richtung. »Und das ist Detective Sergeant Foster.«

Sara sah von ihren Ausweisen in ihre Gesichter, verglich die Fotos mit den beiden Menschen auf ihrer Türschwelle. Erst als sie überzeugt war, ließ sie sie ins Haus.

Der Flur war groß, und seine Wärme angenehm nach dem kühlen Aprilsonnenschein. Ein langer Spiegel mit einem Rahmen aus getriebenem Metall hing über der Heizung, metallgrau und warme Bronze. Sie führte sie ins Wohnzimmer, und Naomi Hart fiel auf, dass der Kontrast zwischen warmen Farben und strengen Linien eine Art Thema war. Die Wände des Zimmers waren schlohweiß, und an ihnen hingen abstrakte Gemälde, das größte war aubergine und lila mit Beige und Crème aufgehellt. Ein Flüsschen aus silbernem Metall verlief von links nach rechts, dick und rund, glatt wie Lötzinn. Daneben hingen vier weitere Bilder in verschiedenen Farben und Stilen, drei große, ein kleines.

»Ihre eigenen Arbeiten?«, fragte Naomi Hart.

»Ja.« Sara Geddes runzelte die Stirn. »Könnten wir bitte weitermachen?«

Naomi Hart verstand. Sie war eine Frau, die daran gewöhnt war, mit der Polizei zu arbeiten, sie musste nicht beruhigt werden, und sie hatte keine Zeit für Small Talk.

»Haben Sie mit Detective Constable Frinton gesprochen?«, fragte Sara.

Naomi Hart sah Foster an. »Der Beamte, der im Fall des Stalking-Vorwurfs ermittelt«, erklärte er. »Das fällt nicht in unseren Bereich, Miss Geddes. Sie werden bald von Inspector Norton hören.«

Sara dachte einen Moment darüber nach, dann nickte sie. »In Ordnung. Was wollen Sie wissen?«

»Fangen wir mit dem ungefähren Zeitpunkt von Miss Wards Verschwinden an.«

Sara sah auf die Wand hinter ihnen, als stelle sie sich die Szene vor, ihre grünen Augen trübten sich ein wenig. »Der Kaffee war gerade fertig gekocht, als ich nach Hause kam«, sagte sie. »Das dauert ungefähr zehn Minuten, sie hatte ihn immer frisch aufgebrüht, wenn ich nach Hause kam. Ich würde sagen, dass sie höchstens zehn Minuten, bevor ich gekommen bin, verschwunden ist, und ich kam um sechs Uhr.«

Die Widersprüche zwischen hart und weich, Wärme und harten Kanten, die Naomi Hart in Saras Kunst gesehen hatte, schienen die Frau selbst zu spiegeln: Sie machte sich offensichtlich Sorgen um Megan Ward, hatte eine schlaflose Nacht lang auf sie gewartet, und doch war sie in der Lage, die Umstände ruhig zu analysieren.

»Könnten wir ihr Zimmer sehen?«, fragte Naomi Hart.

»Es sind zwei«, korrigierte Sara sie. »Megan hat aus einem ein Büro gemacht, das kleinere Zimmer nutzt sie als Schlafzimmer.«

Sie folgten ihr über die Treppe nach oben. »Sie haben gesagt, dass sie eine investigative Journalistin ist?«, sagte Naomi Hart.

»Freiberuflich. Ich weiß nicht, woran sie im Augenblick arbeitet.«

Weitere Bilder von Sara hingen im Treppenhaus und im Flur an den Wänden, Öl, Acryl, sogar eine Collage, die aussah, als sei sie aus den Bronze- und Stahlresten vom Spiegelrahmen im Korridor entstanden. Im Kontrast dazu war Megans Schlafzimmer so kahl wie eine Klosterzelle. Das Bett war ordentlich gemacht, und nirgendwo waren Kleider zu sehen, nicht einmal ein Paar Schuhe oder eine einzelne Socke. Kein Make-up oder Parfüm auf der Kommode, keine Taschenbücher auf dem Nachttisch.

»Hat sie all ihre Sachen mitgenommen?«, fragte Foster.

Sara Geddes ging zum Schrank, der sich in einem Alkoven neben dem Kaminvorsprung befand, und öffnete die Tür. An einem Ende Blusen, am anderen Hosen und Röcke, Stiefel und Schuhe waren ordentlich auf dem Schrankboden aufgereiht. »Es ist alles noch hier«, sagte sie.

»Wann ist sie eingezogen?«, fragte Naomi Hart und sah sich die Kleider an. Sie wusste nicht, was sie zu finden hoffte.

»Vor nicht ganz sechs Monaten«, antwortete Sara. »Sie hat die Zimmer im Oktober gemietet.«

»Hier ist nicht viel zu sehen.« In diesem persönlichsten Zimmer einer Frau fehlte seltsamerweise jegliches persönliche Detail. Keine Fotos, kein Nippes, keine Zeitschriften, das einzige Bild war ein abstraktes, gelbblaues Gemälde von Sara, das über Megans Bett hing.

»Sie ist oft umgezogen«, sagte Sara. »Sie hatte eigentlich nie die Chance gehabt, irgendwo Wurzeln zu schlagen.«

Foster stand hinter Sara und durchsuchte eine Schubladenkommode rechts neben dem Fenster. Er drehte sich um, und Naomi Hart reagierte mit einem winzigen Blinzeln auf seinen Blick. Das hier sah von Minute zu Minute mehr nach einem abgekarteten Spiel aus. Foster machte mit seiner Suche weiter, und Naomi Hart fing an, sich das Zimmer sehr genau anzusehen, und suchte nach einem Platz, an dem eine Kamera oder ein Mikrofon versteckt sein könnten.

»Volltreffer.« Foster zog einen vergilbten Schuhkarton unten aus einer Schublade. Er stellte ihn auf das Bett, hob den Deckel und durchsuchte den Inhalt vorsichtig, dabei trug er Handschuhe.

»Wissen Sie, was das ist?«, fragte Naomi Hart.

Sara Geddes schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn noch nie gesehen.«

Der Karton enthielt eine chaotische Sammlung von Bus- und Zugfahrkarten, ein paar Programme von Popkonzerten, Poster aus Zeitschriften, Eintrittskarten für verschiedene Veranstaltungen. Es gab den Anstecker für Vertrauensschüler, einen Geburtstagsanstecker, eine Haarklammer mit einem Schmetterling, ein Taschenmesser und ein 10 X 15-Foto.

»War sie als Kind in Pflege?«, fragte Foster.

»Eine kurze Weile, nach dem Tod ihrer Mutter«, sagte Sara. »Woher wussten Sie ...?«

»Pflegekinder werden viel herumgeschoben«, erwiderte Foster. »Sie haben alle eine Schatztruhe wie diese hier, sie verbindet sie mit ihrer Vergangenheit. Mit ihrem Zuhause.«

Naomi Hart sah ihn neugierig an, aber Foster fuhr fort. »Ist sie das?« Es war ein Familienfoto: eine Mutter und zwei Kinder, der Junge ungefähr fünfzehn, das Mädchen vielleicht fünf Jahre alt.

Sara betrachtete die Gruppe. »Das könnte sein ... Sie hat die gleiche Haarfarbe, die gleichen, zarten Gesichtszüge.«

»Hat sie einen Bruder erwähnt?«, fragte Naomi Hart.

»Hm«, sagte Sara, immer noch in das Foto vertieft. »Er ist gestorben.«

»Der Vater?«

»Sie erinnert sich nicht an ihn. Er kam bei einem Unfall auf einer Ölplattform ums Leben, als sie noch sehr jung war.«

»Die Abteilung für vermisste Personen hat eine Software, mit der man Fotos altern lassen kann«, schlug Naomi Hart vor.

Foster klopfte mit dem Foto auf die Seite des Kartons, und nach einem kurzen Moment des Nachdenkens ließ er es wieder hineinfallen und schloss den Deckel. »Wir haben ja eine Künstlerin hier«, sagte er und lächelte Sara an. »Sie müssen doch irgendwann einmal eine Skizze oder ein Porträt von ihr gezeichnet haben.«

»Ja.« In ihrem Tonfall lag irgendetwas, das Hart nicht identifizieren konnte. »Ich bin mir aber nicht sicher, ob das Ihnen etwas nützt.«

Sie führte sie in Megans Büro. Es sah aus, als hätte Megan in Eile gepackt und ein paar unwichtige Dinge zurückgelassen.

»Sieht es ...?«, begann Foster.

»... immer so aus, ja«, bestätigte Sara und sah traurig auf die größtenteils leeren Bücherregale.

»Es fehlt nichts?«

Sara ließ ihren Blick durchs Zimmer schweifen. »Ich bin nicht oft hier hereingekommen. Es war ihr Arbeitszimmer, ich wollte sie nicht ...« Sie hielt inne und sah noch einmal hin. »Ihr Laptop ...« Sie zeigte auf das Bücherregal. »Er stand normalerweise dort, wenn sie nicht daran arbeitete.«

Naomi Hart war verwirrt. »Sie ist also nur Minuten, bevor Sie nach Hause gekommen sind, gegangen oder wurde mitgenommen und hat alles außer ihrem Laptop zurückgelassen?«

»Ihre Arbeit ist ihr Ein und Alles«, sagte Sara. »Wenn sie verschwinden müsste, dann würde sie ganz sicher ihre Nachforschungen mitnehmen.«

»Und Sie wissen nicht, worum es dabei geht?«

»Das habe ich Ihnen bereits gesagt.« Sara war an die Kreuzverhörtechnik der Anwälte gewöhnt, man würde ihr nicht so leicht eine Falle stellen können wie der durchschnittlichen Zeugin.

»Hat Sie gut gezahlt?«

Sara sah Foster stirnrunzelnd an. »Gezahlt?«

»Hat sie ihre Miete pünktlich gezahlt?«

Sie sah ihn kalt an. »Immer.«

»Na ja, freiberufliche Journalisten, ein unregelmäßiges Einkommen ...« Er zuckte mit den Schultern, hielt die Handflächen nach oben.

»Immer«, wiederholte Sara und sah ihn mit einem Blick an, der Stahl hätte schmelzen können.

»Sie haben die Abende zusammen verbracht«, sagte Naomi Hart, um sie von Foster abzulenken. »Litt sie an Stimmungsschwankungen? Wirkte sie überängstlich?«

»Sie machte sich natürlich Sorgen wegen des Mannes, der sie verfolgte, ich mir auch.«

»Wie lange hat sie hier gewohnt, sechs Monate?«, sagte Foster. »Sie müssen sie gut gekannt haben. War sie ...?«, er unterbrach sich. »Haben Sie sich je Sorgen darum gemacht, dass Sie ...«

Naomi Hart sah, dass er nach einem passenden, politisch korrekten Wort suchte. »Haben Sie sich je Sorgen gemacht, dass sie labil sein könnte?«, sagte sie. »Psychisch labil?«

Sara richtete sich auf, sah Foster und Naomi Hart voller Verachtung an. »Sie haben Megan Wards Beschwerde wegen Stalking verpfuscht«, sagte sie. »Also versuchen Sie jetzt anzudeuten, dass sie es sich eingebildet hat?«

»Wir untersuchen alle Möglichkeiten, Miss Geddes«, sagte Naomi Hart.

»Außer der sehr realen Möglichkeit, dass Megan in Gefahr ist.«

Sie verloren sehr schnell an Boden, und falls im Haus tatsächlich Kameras versteckt waren, dann würden sie auf den Aufnahmen eine schlechte Figur machen. Naomi Hart sah Miss Geddes in die Augen. Sie war eine Frau, die an die Regeln von Beweisen und ausgewogenen Argumenten gewöhnt war. Sie war analytisch, und trotz ihrer offensichtlichen Unzufriedenheit mit der bisherigen Polizeiarbeit hatte Naomi Hart das Gefühl, dass sie auch eine vernünftige Frau war.

»Leute verschwinden aus allen möglichen Gründen«, begann Naomi Hart. »Ganz oben auf der Liste steht der Familienstreit, dieses Szenario können wir ausschließen, da Sie uns erzählt haben, dass Miss Ward keine Familie hat. Andere Faktoren sind Schulden, Drogenmissbrauch, Stress, Depressionen und psychische Erkrankungen.« Sie sah, dass Sara all das aufnahm und ihre Fragen mit der relevanten Statistik verglich. »Entführung ist der am meisten gefürchtete Grund, aber auch der am wenigsten wahrscheinliche.«

Sara schien gegen Emotionen anzukämpfen. Zunächst dachte Naomi Hart, es handele sich um Wut. Sie hatte Angst, und verängstigte Menschen hatten oft das Bedürfnis, um sich zu schlagen, doch dann sah Naomi etwas in den Augen der Frau glitzern. Sie drehte sich um und nahm ein Bild von der Wand.

»Megan«, sagte sie. Es war ein Acrylgemälde, die Farben erinnerten an Wasser und dunstiges Licht. Durch die milchigen Grau- und Blautöne blitzte ab und zu grelles Gold und Rot auf wie Lichtstrahlen und Blutspritzer.

Foster hielt das Gemälde in Händen, auf seinem Gesicht ein überraschter, amüsierter Ausdruck. »Das ist wohl nichts, das man bei Aktenzeichen XY zeigen könnte, oder?«

Sara lächelte, sie lachte sogar ein wenig. Es platzte aus ihr heraus, als hätte sie den Atem angehalten, Tränen und eine leise Panik lagen darin. Sie schien sich wieder zu fangen und bemühte sich sichtlich, sich zusammenzureißen. »Ich werde sie für Sie zeichnen«, sagte sie.

»Ich nehme nicht an, dass Sie den Mann, von dem Megan sagte, dass er sie verfolgte, je gesehen haben?«, fragte Hart.

»Einmal ...« Sara runzelte die Stirn und versuchte offensichtlich, sich an sein Gesicht, seine Größe und seinen Körperbau zu erinnern. »Es war dunkel. Ich könnte Ihnen meinen Eindruck schildern.«

»Solange die Augen und die Nase an den Stellen sitzen, an denen man sie erwartet ...«, sagte Foster und sah das Bild von Megan mit zusammengekniffenen Augen an. Er schaute zu Sara und versuchte es bei ihr mit seinem Verwirrter-Welpe-Lächeln, und es funktionierte. Sie strahlte ihn richtig an.

»Ich fange dann mal an«, sagte sie.

»Bevor Sie das tun ...« Sara blieb stehen und wandte sich Naomi Hart zu. »Wissen Sie, ob Megan je E-Mails von diesem Typ bekommen hat?«

Es war seltsam, Zweifel und Verwirrung in Saras Gesicht zu sehen. »Ich weiß nicht. Es tut mir Leid, ich hätte danach fragen sollen.« Sie sah wieder auf etwas links von Naomi Hart. »Sie hat allerdings gesagt, dass etwas an ihrer Firewall vorbeigekommen sei, falls das irgendetwas zu bedeuten hat.« Sie schloss die Tür hinter sich, und sie lauschten ihren Schritten, die sich im Flur entfernten.

Naomi und Foster wechselten einen Blick: Man denkt, es sei sicher, hinter einer geschlossenen Tür zu sprechen. Hatte Sara sie geschlossen, um ihnen Privatsphäre zu ermöglichen oder die Illusion von Privatsphäre?

Foster zuckte mit den Schultern. »Was denken Sie?«, fragte er und formulierte die Frage bewusst mehrdeutig. Jeder Handlung, die sie davon überzeugte, dass Sara Geddes ehrlich war, folgte eine, die sie verdächtig wirken ließ.

Naomi Hart seufzte und zuckte mit den Schultern. »Lohnt es sich, die Leute von der Technik zu rufen?« Sie überließ es ihm, zu entscheiden, ob sie damit meinte, man sollte den Computer nach E-Mails von Megans Verfolger oder das Zimmer nach Abhörgeräten durchsuchen.

Foster begriff. Er lächelte und sagte genauso vage: »Kann nicht schaden.«

»Brauchen wir eine Erlaubnis vom Boss?«, fragte Naomi Hart.

»Nein, ich entscheide das jetzt sofort«, sagte Foster. »Mal sehen, was dieses Teil zu verstecken hat.« Er ging mit einem entschlossenen Glitzern im Auge auf den Computer zu.

Alarmiert räusperte Naomi sich. Es genügte, um Foster zum Stehen zu bringen. Er drehte sich verwirrt und ein wenig ungeduldig zu ihr um. Naomi Hart wählte eine Nummer und sprach in ihr Handy. »Technische Abteilung?«, sagte sie und zog beim Sprechen die Augenbrauen hoch. Können Sie mir folgen, Sarge? Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen konnte er das nicht, aber er war clever genug, den Mund zu halten.

»Constable Hart, Edge Hill Revier«, fuhr sie fort. »Ich brauche einen Rat, was die Behandlung von Computerbeweisen angeht.«

Dreißig Minuten später lagen Computerteile eingetütet und beschriftet auf der Rückbank ihres Streifenwagens. Sie hatten auch den Schuhkarton mit den Erinnerungsstücken mitgenommen, aber sie hatten keine Disketten, CDs, Notizen, Tagebücher oder Passwörter unter Megans persönlicher Habe gefunden.

»Danke«, sagte Foster und nahm das letzte Bündel Beweistüten an.

»Wofür?«

»Dass Sie mich davor bewahrt haben, bei all dem hier wie ein kompletter Idiot dazustehen.«

»Keine Ursache.« Es gab Regeln, was das Sicherstellen von Computerbeweisen anging, und die kleinste Abweichung von der Vorgehensweise konnte Beweise vernichten oder bedeuten, dass sie von der Spurensicherung abgelehnt wurden.

Naomi Hart lehnte sich mit den Armen auf das Autodach und sah zu ihm hinüber. »Haben Sie das Seminar besucht?«, fragte sie, ehrlich neugierig.

»Ja.«

»Waren Sie dabei wach?«

»Am Tagträumen.« Fosters Mundwinkel zuckte. »Über Sie.«

Naomi Hart kniff die Augen zusammen. Er gab einfach nie auf. »Es stört mich, dass es keine Sicherungsdisketten oder Notizen gibt«, sagte sie.

»Vielleicht hat sie sie mitgenommen.«

»Oder jemand hat sie geklaut. Normalerweise heben die Leute Benutzernamen und Passwörter nah beim Computer auf«, sagte Naomi. »Außer, sie hat sie in den Taschenbüchern oder den Handbüchern versteckt ...«

Sie holte noch ein paar neue Tüten aus dem Kofferraum und ging wieder hinein. Sara kam aus einem Zimmer hinten im Haus, als Naomi mit Tüten voller Bücher die Treppe erreichte.

»Megan«, sagte Sara und riss ein Blatt von ihrem A4-Zeichenblock.

Naomi Hart stellte eine der Tüten auf den Flurboden und nahm die Zeichnung entgegen. Megan hatte lange Haare, dunkel und glatt, Sara hat ihnen viel Glanz verliehen. Das Gesicht war attraktiv, vielleicht ein bisschen lang, aber die Augen waren dunkel und strahlend und die Lippen voll, sie wirkten sinnlich und vielleicht auch verletzlich.

»Danke«, sagte sie. »Das wird uns helfen. Wir haben keinen Pass oder Führerschein gefunden.« Sie ließ es wie eine Frage klingen.

»Sie hat sie immer bei sich«, sagte Sara.

»Welches Auto fährt sie?«

Sara schüttelte den Kopf. »Einen Sportwagen. Silber. Ich habe keine Ahnung von Autos. Sie hat ihn kurz nach Weihnachten gekauft.«

Naomi sah noch einmal auf die Zeichnung. Sie hatten nicht viel. »Der Verfolger«, sagte sie. »Haben Sie ...?«

Sara riss ein zweites Blatt ab. »Ich befürchte, es ist nicht sehr hilfreich.«

Der Mann war von oben zu sehen. Er war muskulös, und er lehnte sich auf den Fußballen vor, als bereite er sich auf einen Angriff vor, aber sein Gesicht war ein konturenloser Schatten, zur Identifizierung nutzte die Zeichnung gar nichts.

»Machen Sie sich darüber keine Gedanken«, sagte Naomi. »Falls Ihnen noch etwas einfällt, das uns weiterhelfen könnte, falls Megan sich bei Ihnen meldet oder falls der Mann wieder auftaucht, rufen Sie mich jederzeit an.« Sie gab Sara ihre Visitenkarte mit ihrer Handynummer und ihrer Durchwahl sowie ihrer E-Mail-Adresse.

Sara nickte und sah plötzlich ängstlich und den Tränen nah aus, als würde das Verschwinden ihrer Freundin durch dieses Detail realer werden.

»Jederzeit«, betonte Naomi Hart.

Sara nickte noch einmal. Sie konnte ihr nicht in die Augen schauen, und Naomi gefiel es nicht, sie allein in diesem großen Haus zurückzulassen, wo sie sich Sorgen um ihre Freundin machte und vielleicht ein Verfolger in der Nähe war.

»Falls der Verfolger auftaucht, notieren Sie die Uhrzeit. Rufen Sie diese Nummer oder die Polizeizentrale an, und nennen Sie das Aktenzeichen, das ich Ihnen gegeben habe.« Die Leute fühlten sich oft weniger hilflos, wenn sie etwas zur Ermittlung beitragen konnten.

Sara Geddes sah sie an und verstand, was sie meinte. Sie reichte Naomi die Hand. »Danke schön«, sagte sie.

»Also, Naomi«, sagte Foster, als sie ins Auto stieg. »Sie haben anscheinend einen guten Eindruck hinterlassen. Glauben Sie, sie ist vom anderen Ufer?«

Naomi zischte durch die Zähne. »Wir haben uns nur die Hand gegeben, Sarge. Und falls Sie glauben, dass ich ›vom anderen Ufer‹ bin, weil ich Sie abgewiesen habe ...«

»Wow!«, rief Foster aus. »Pause und zurückspulen, Mädchen. Ich habe gar nichts damit gemeint. Sie kennen mich, ich plappere oft los, bevor sich mein Gehirn eingeschaltet hat. Apropos ...« Er steckte den Schlüssel ins Zündschloss und ließ den Wagen an. »Aber sagen wir mal, die beiden hätten etwas miteinander. Dann könnte es ja sein, dass sie sich gestritten haben und Megan davongestürmt ist.«

»Sara ist nicht lesbisch«, sagte Naomi Hart amüsiert.

Foster fuhr los und sah in den Rückspiegel. »Wie haben Sie das denn rausbekommen?«

»Einmal, weil sie einen Ehering trägt, am Ringfinger der rechten Hand. Ich glaube, sie ist Witwe.«

Foster sah sie an. »Das bedeutet nicht, dass sie nicht ...«

»Und dann, weil der Foster-Charme bei ihr gewirkt hat.« Foster sah sie stirnrunzelnd an. »›Solange die Augen und die Nase nur an den Stellen sitzen, an denen man sie erwartet‹«, zitierte Hart mit einer grotesken Imitation von Fosters Trauriger-Welpe-Lächeln.

Kapitel 6

Naomi Hart fuhr mit ihren Fingern durch die Haare und zupfte an ihrem Blusensaum, um ein paar Falten zu glätten. Sie klopfte an Chief Inspector Rickmans Tür, als Foster gerade um die Ecke kam.

»Herein.« Rickmans Stimme klang kräftig und selbstbewusst, das machte ihr Mut. Sergeant Foster hatte nicht übertrieben: Einige der Tratschgeschichten hatten Rickman zu einem zitternden Wrack gemacht.

Sie trat ein, gefolgt von Foster. Das Büro des Chief Inspectors war nur unwesentlich größer als das des Sergeants, aber es hatte ein Fenster, durch das die unterschiedlichen Geräusche des Nachmittags drangen, das Rufen und Lachen der Kinder, die auf dem Hof der nahen Tagesstätte spielten. Rickman schob einige Kopien zusammen, die er auf seinem Schreibtisch ausgebreitet hatte, und richtete sich auf. Durch das kleine Zimmer wurde seine Größe noch betont. Seine braunen Haare sahen ein wenig zerzaust aus, als wäre er bei der Arbeit mit den Fingern durchgefahren, und sie waren etwas kürzer als in ihrer Erinnerung. Dadurch wirkte er trotz seiner Größe verletzlich.

»Sir.« Naomi Harts Haltung und Tonfall waren formell und respektvoll.

Rickman lehnte sich über seinen Schreibtisch, um ihr die Hand zu geben. »Schön, Sie wiederzusehen, Naomi. Bei der Ermittlung letzten Herbst haben Sie exzellente Arbeit geleistet.«

Naomi lächelte. Sie war überrascht, dass er sich daran erinnerte, denn mindestens fünfzig Beamte mussten an dieser Ermittlung gearbeitet haben. Sie war genauso überrascht, dass er den Fall überhaupt erwähnte angesichts der furchtbaren Folgen. Er sah gut aus, vielleicht ein bisschen dünner als im November letzten Jahres, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, aber das war verständlich. Der Gewichtsverlust betonte seine scharfen Gesichtszüge, und das, zusammen mit seinen warmen, braunen Augen, verlieh ihm ein fremdes, fast aristokratisches Aussehen. Für ihren Geschmack war er jedoch ein bisschen zu ramponiert: Die schlecht gerichtete Nase, die er sich als Kind gebrochen hatte, und die vielen Kratzer und Narben auf seinem Gesicht lenkten von den edlen Zügen ab.

»Setzen Sie sich«, sagte Rickman. »Hören wir mal, was Sie haben.«

Naomi Hart setzte sich auf den Stuhl nah am Fenster, die kühlen, duftenden Windböen in ihrem Rücken waren eine willkommene Abwechslung zum wiederaufbereiteten Mief der Klimaanlage des Gebäudes. Foster wählte den Platz neben dem Aktenschrank, rechts neben und ein Stück hinter ihr.

»Ich habe im Internet gesucht«, sagte Naomi Hart. »Die einzige Megan Ward, die ich gefunden habe, ist ein Filmstar und definitiv nicht unsere Megan.« Sie hatten die Arbeit aufgeteilt: Naomi am Computer und Foster am Telefon. »Dann habe ich es bei verschiedenen Zeitungen und bei der Lexis-Nexis-Datenbank versucht, sie erscheint in keiner Verfasserzeile.«

»Also«, sagte Rickman, »keine Journalistin.«

Naomi Hart zuckte mit den Schultern. »Es könnte wohl ihre erste große Geschichte sein. Regionalzeitungen nennen Nachwuchsreporter nicht immer in der Verfasserzeile. Aber sie hat Sara Geddes den Eindruck vermittelt, dass sie als Freiberuflerin etabliert sei.«

»Ich hatte kein Glück«, sagte Foster. »Von der Zulassungsstelle habe ich die Adresse einer Megan Ward in Norwich erhalten. Ich habe Saras Zeichnung dorthin gefaxt. Der Vermieter sagt, sie könnte es sein, aber sie ist vor sechs Monaten ausgezogen. Keine Nachsendeadresse.«

»Was ist mit dem Auto?«, fragte Rickman.

»Die Zulassungsstelle wollte sich noch einmal melden.«

»Falls sie ihren Führerschein nicht hat ändern lassen, wird sie wahrscheinlich ihre alte Adresse genannt haben«, sagte Naomi Hart.

Rickman nickte. »Aber zumindest hätten wir eine Marke, ein Modell und eine Autonummer, nach der wir suchen können.«

»Könnten wir Saras Zeichnung an die Regionalnachrichten schicken?«, fragte Naomi Hart.

Rickman legte den Kopf schief. »Was, wenn sie nicht gefunden werden will? Sie hat ein Recht auf ihre Privatsphäre, und sie hat nichts Illegales getan.«