Der Schatten - Wolfgang Paul - E-Book

Der Schatten E-Book

Wolfgang Paul

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Beschreibung

Ein privater Ermittler packt aus. Noch nie hat ein Privatdetektiv derart aus dem Nähkästchen geplaudert: Kunststück, wer verrät schon seine Tricks? Doch Wolfgang Paul, genannt «Paule», hat seinen Beruf nach fünfzehn Jahren an den Nagel gehängt und zusammen mit Andreas Straub seine interessantesten Fälle aufgeschrieben. Paul nimmt uns mit auf eine abwechslungsreiche Reise durch unsere Gesellschaft: vom Hinterzimmer des Supermarkts bis ins Rotlicht-Milieu, vom ehebrecherischen Bäcker bis zum Management, das seine Mitarbeiter überwacht. Er erzählt spannende und bisweilen nachdenklich machende Geschichten aus einer Welt, die sonst lieber im Schatten bleibt. True Crime einmal anders!

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Seitenzahl: 250

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Wolfgang Paul • mit Andreas Straub

Der Schatten

Im Visier des Privatdetektivs

Rowohlt Digitalbuch

Inhaltsübersicht

WidmungVorwortPaule, der SchattenSonne, Schatten und MehrIm falschen FilmGeschichten aus der SpionboxBankerin mit BissSie tun es alleDie NormalosDie CoolenDie BetrübtenDie InnovativenDie AggressivenRed RoseAuf Messers SchneideEin diebisches KrankenhausWir kriegen das gebackenPasta und BastaPaule, pass auf!Die RiesenüberraschungAlles im LackDie Mini-ErmittlerMystery ShoppingAlles paletti?ErntezeitBlue BullMeine Frau sieht rotMein Ende
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Meinen lieben Töchtern Carima, Charlene und Shannon gewidmet.

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Vorwort

Freitag, 21. Jahrhundert, 17.42 Uhr. Irgendwo in Deutschland. Im Billi. Ich arbeite da, im Billi. Der Billi ist einfach ein billiger Discounter. Mehr nicht. Ich arbeite da auch nicht mehr so furchtbar lange, aber jetzt bin ich schon noch da. Gerade bin ich in einer von vielen Filialen. Eine, wie sie überall sein könnte.

Ein von den Geschehnissen auf dem Überwachungsmonitor und von sich selbst eingenommener Schatten sitzt neben mir. Wolfgang Paul heißt er. Ja, er heißt wirklich so. Und er plaudert unentwegt. Eigentlich untypisch für einen Detektiv. Aktenberge liegen vor mir und wollen nicht weniger werden. Während ich versuche, mich zu konzentrieren, wird mir von der Seite lautstark über vergangene Ermittlungserfolge berichtet. Geschichten aus der Schnüffler-Welt. Aus den Augenwinkeln beobachte ich den Detektiv, der auf seinen Monitor starrt. Für einen Moment sieht er herüber. Er lehnt sich zurück. Und wie immer zu weit aus dem Fenster. Wolfgang Paul erklärt mir, wie einfach doch mein Job sei und wie viel Geld ich dafür bekomme. Im Gegensatz zu ihm natürlich. Nach jeder Bemerkung in meine Richtung wippt er fröhlich auf dem gepolsterten Bürostuhl hin und her, der ihm in dieser Filiale zur Verfügung steht. So viel Luxus ist bei Billi rar. Vielleicht genießt er es, nicht mehr stundenlang in einem muffigen, engen Holzverschlag, der sogenannten Spionbox, mitten in der Filiale eingeschlossen zu sein. Jetzt ist er frei. Ein bisschen jedenfalls. Der Billi-Ermittler konzentriert sich wieder und «zappt» sich durch die verschiedenen Kameras. Fast wie beim Fernsehen.

Kamera 3: Zwei Damen mittleren Alters durchwühlen hektisch die Aktionstische, suchen nach neuen Angeboten.

Kamera 5: Ein junger Mann schreitet suchenden Blickes das Kühlregal ab. Er blickt auf den Einkaufszettel, rempelt dabei ein Ehepaar an, das vor der Kühltheke steht. Ob er die Salami sucht? Haha, wir haben schon wieder umgeräumt!

Kamera 7: Die Schlange an Kasse 2 ist viel zu lang; ungefähr zehn Kunden stauen sich. Kassiererin Nummer 14, Frau Ingrid «Dolli» Dollhofer, pennt wieder. Weitere Kunden kommen hinzu. Die Gesichter der Wartenden verfinstern sich.

Kamera 1: Eine Frau mit Kinderwagen betritt die Billi-Filiale, begleitet von zwei Mädchen, vielleicht zehn und 15 Jahre alt.

Kamera 9: Die stundenweise beschäftigte Tiefkühlnachfüllkraft Frau Müller legt im Rampenbereich des Lagers eine Raucherpause ein, deshalb macht eine Kassiererin gerade ihren Job, und die Schlange an Kasse 2! Aber noch hat Frau Müller ihre Zeit nicht überzogen.

Kamera 2: Die Frau mit dem Kinderwagen ist im ersten Gang auf Höhe der Süßwaren. Sie gestikuliert, spricht mit der älteren Tochter. Sie dreht sich um.

«Die steckt gleich was ein», behauptet der neben mir sitzende Detektiv. Ich verdrehe die Augen. Ist für ihn nicht jeder Kunde ein potenzieller Ladendieb? So unseriös sieht die kleine Familie doch gar nicht aus. Halb schmunzelnd, halb skeptisch, blicke ich abwechselnd ihn und den Überwachungsmonitor an. Aufgrund der Nähe zum sozialen Brennpunkt leidet diese Filiale unter einer hohen Diebstahlquote und verhältnismäßig schlechten Inventurergebnissen. Der Detektiv hat hier gewissermaßen eine «Fanggarantie». Billi ist hier eine zentrale Anlaufstelle dubioser Gestalten. Sonst wären wir ja auch nicht vor Ort.

Kamera 2 – ZOOM: Die ältere Tochter gibt der Dame – vermutlich ihre Mutter – zwei Tafeln Schokolade.

«Jetzt, jetzt gleich», überschlägt sich der Detektiv fast. «Schauen Sie, Herr Straub.»

Tatsächlich. Die Frau öffnet den Reißverschluss einer Tasche unterhalb vom Haltegriff ihres Kinderwagens und stopft die Billi-Schoki hinein. Die Tochter reicht ihr noch zwei weitere Artikel, die ebenfalls in die Tasche wandern, die schnell verschlossen wird. Das Team schlendert seelenruhig weiter.

Die Augen des Detektivs werden immer größer. Wolfgang Paul ist aufgebracht. Wie gebannt starrt er auf den Monitor. Ich auch.

«Vielleicht packen sie die Artikel ja an der Kasse wieder aus», werfe ich noch ein, glaube es aber selbst nicht recht. Die Arbeit eines Detektivs im Billi stellte ich mir bis dato ziemlich langweilig vor. Jetzt, wo wir die Szene gemeinsam beobachten, bin ich gespannt.

Die Familie setzt ihren «Einkauf» fort. Immer mehr Artikel wandern in Behältnisse, die sich an oder in dem Kinderwagen befinden. Wir staunen nicht schlecht, welche Staumöglichkeiten das Gefährt bietet. Beeindruckend ausgeklügelt! Während andere Mütter ihre Töchter mit humanistischer Bildung versorgen, findet hier eine zweifelhaftere Ausbildung statt. Die Tochter fungiert offenbar bereits als veritable Komplizin. Die Frau und das ältere der beiden Mädchen benehmen sich wie ein perfekt eingespieltes Team.

Sie bewegen sich durch die Gänge des Ladens und stopfen den Kinderwagen immer noch voller. Sie sehen sich dabei nicht einmal verstohlen um. Fast schon offen packen sie die Ware ein. Kein Kunde nimmt davon Notiz. Im Billi kämpft jeder für sich. Niemand sieht sich nach rechts oder links um. Mutter und Tochter agieren folglich völlig ungeniert – bislang vermutlich unbehelligt.

Und natürlich packen sie die Artikel an der Kasse nicht wieder aus. Zwei Kleinigkeiten werden bezahlt, der Rest bleibt in den Taschen.

«Jetzt schnappe ich sie», ruft der Detektiv. Er schwingt sich – dynamisch, dynamisch – aus seinem Sessel und hastet von seinem Monitor zum Ausgang der Billi-Filiale. Die Familie ist bereits an der Kasse vorbei, als sie freundlich, aber nachdrücklich in die Nebenräume gebeten wird: «Mitkommen! Los!»

Das jüngere Mädchen flieht, das ältere und die Frau kann der Detektiv erfolgreich zum Bleiben motivieren: «Hiergeblieben! So geht das nicht!»

Bei einer Tasse Kaffee verfolge ich das Drama «live» am Monitor. Als es brenzlig wird, eile ich dem Detektiv zu Hilfe. Ich ziehe meinen Krawattenknoten nach, stürme von meinem Stuhl in Richtung Ausgang und halte, beinahe unter Einsatz meines Lebens, dem Detektiv und seinem Fang die Türe auf. Im Nebenraum werden Mutter und Tochter vom Billi-Ermittler knapp und entschieden gebeten, den Kinderwagen zu entleeren: «Auspacken! Alles!»

Zunächst versuchen sie es mit «Nix verstehen». Bis das Wort Polizei fällt. Das verstehen sie dann doch und werden kooperativer. Unter einigem Murren packen sie Stück für Stück ihr Diebesgut aus. Der Detektiv hilft ein wenig nach, da die beiden scheinbar ein wenig vergesslich sind. Verbindlich, aber deutlich: «Wollt ihr mich verarschen? Alles!»

Die Taschen und der Kinderwagen leeren sich, der kleine Tisch im Nebenraum quillt fast über. Mutter und Tochter schreien wie wild, fuchteln aufgebracht mit den Händen und versuchen immer wieder zu flüchten. Die Stimmung wird nicht besser, als wenig später die Polizei eintrifft. Die uniformierten Staatsdiener freuen sich: wieder was zu tun! Und im Grunde müssen sie nur noch ihren Bericht schreiben, Wolfgang Paul hat alles andere erledigt. Der Billi-Ermittler hat bereits alle entwendeten Artikel aufgelistet, die Endsumme berechnet und seinen Standard-Strafantrag ausgefüllt. Zusammen mit den Beamten empört er sich über die kriminelle Energie dieser Leute; eine gekonnte, routiniert abgelieferte schauspielerische Leistung. In Wirklichkeit freut er sich über den Doppelschlag: Schließlich werden sowohl Mutter als auch Tochter angezeigt. Das bedeutet für den Billi-Ermittler gleich zwei Punkte in der Fangstatistik. In Begleitung der staatlichen Ordnungshüter verlässt uns die nette kleine Familie wenig später.

Ich bin überrascht, wie interessant die Situation war und wie sie der Detektiv gelöst hat. Wir unterhalten uns anschließend angeregt. Später nach Dienstschluss gehen wir zusammen ein Bier trinken. Sowohl den Detektiv als auch mich könnte es den Job kosten, bekäme die Geschäftsleitung davon Wind. Jeglicher persönlicher Kontakt zwischen den Mitarbeitern, der außerhalb der Filiale stattfindet, ist bei Billi unerwünscht.

Der Detektiv erzählt, wie sich bestätigt, sehr gerne und ausführlich – seine Geschichten sind spannend. Nicht nur von Fällen in Zusammenhang mit Discountern und Supermärkten weiß er zu berichten, auch von Aufträgen anderer Unternehmen, von Rechtsanwälten und Privatpersonen, die er zusätzlich erledigte. Schon an diesem Abend fällt spielerisch der Satz: «Da könnte man glatt ein Buch drüber schreiben.»

Zu unseren gemeinsamen Billi-Zeiten – man ist selbstverständlich per Sie – ist der Buchvorschlag eher ein Scherz gewesen. Aber Billi-Zeiten sind endlich.

Für uns beide kam es, völlig unabhängig voneinander, zum Bruch mit unserem Brötchengeber. Seither duzen wir uns. Aus «Herrn Paul» wurde «Wolfgang».

Aus Geschäftspartnern wurden gute Bekannte. Aus Bekannten Freunde. Trotz oder gerade wegen unseres Altersunterschieds, trotz oder gerade wegen unserer völlig unterschiedlichen Lebenswege, trotz oder gerade wegen unserer oft verschiedenen Sichtweisen. Die Buch-Idee konkretisierte sich schnell. Wolfgang erzählte, ich schrieb alles mit. Als Detektiv hat er viele kuriose und witzige, aber auch spannende Fälle erlebt. Um seine Geschichten, wie sie das Leben schrieb, zu veröffentlichen, leihe ich ihm meine Stimme. In diesem Buch habe ich Wolfgangs Gedanken und Berichte, seine Gefühle und Erlebnisse niedergeschrieben – ganz so, wie er sie mir schilderte.

Alle Erzählungen in diesem Buch beruhen auf realen Erlebnissen. Für Wolfgang Paul war es wichtig, sich von stark verzerrten Darstellungen im Fernsehen abzuheben. Seiner Ansicht nach haben Vorabendserien und Fernsehfilme wenig mit dem Alltag eines Detektivs gemein. Obwohl Ingo Lenßen und seine Ermittler mit Sicherheit auch in der Spionbox eine gute Figur abgäben.

Um die im Buch vorkommenden Unternehmen und Personen zu schützen, ändern wir ihre Namen. Wir verlegen die Orte des Geschehens, lassen allzu eindeutige Details weg, schreiben bisweilen Eigenschaften von Personen anderen zu und ändern einige völlig. Neben Erwägungen des Persönlichkeitsschutzes zwingen den Detektiv in einigen Fällen unterschriebene Vertraulichkeitserklärungen zu dieser Vorgehensweise. Andere Ermittlungen sind so brisant, dass wir sie deutlicher verfälschen mussten, um Wolfgang Paul nicht in ernsthafte Gefahr zu bringen.

Während meiner Recherchen lernte ich noch weitere Detektive kennen. Erstaunlich viele Geschichten ähneln sich. Auch die Schattenmänner selbst verhalten sich ähnlich. Vermutlich geprägt durch ihren Beruf, misstrauen sie zunächst jedem. Bei einigen Detektiven stellte ich fast schon paranoide Züge fest. Sie verfolgten andere und fühlten sich selbst ständig verfolgt. Wen wundert’s? Wer alle Tricks kennt, weiß, wie weit die Technik heute ist. Die Zielpersonen haben im Regelfall kaum eine Chance.

Privatermittler agieren regelmäßig in Grauzonen. Die Grenzen der Legalität werden in der täglichen Praxis schnell überschritten. Und die wenigsten scheren sich darum – bis Schwierigkeiten auftreten. Ein gewisses Maß an Skrupellosigkeit ist unvermeidlich im Beruf als Privatdetektiv. Einerseits sollen die Ermittler teilweise polizeiähnliche Aufgaben wahrnehmen, andererseits sind sie mit keinerlei besonderen Befugnissen ausgestattet. Privatermittler haben nicht mehr und nicht weniger Rechte als jeder andere Bürger. Daher stehen sie, wie es ein «Schatten» treffend formulierte, «ständig mit einem Bein im Knast».

Denn die Auftraggeber verlangen Ergebnisse, und manche verpflichten «kleine» Detektive gerade deshalb als externe Dienstleister, um sich nicht selbst die Finger zu beschmutzen. Wie die Ermittler an ihre Informationen gelangen, ist den Kunden oft gleichgültig, oder sie wollen es lieber erst gar nicht wissen.

Denn Detektive werden nicht nur aus hehren Motiven beschäftigt, sondern durchaus auch gezielt missbräuchlich eingesetzt. Wissentlich oder unwissentlich können sie zu Werkzeugen, zu Helfern skrupelloser Auftraggeber werden. Zu ihrem verlängerten Arm, der die «Drecksarbeit» ausführt. Um Spuren zu verwischen, werden dann häufig der Form halber Rechtsanwälte zwischengeschaltet. So können Unternehmen die Überwachungen als «Rechtsberatungsaufwand» in ihren Gewinn-und-Verlust-Rechnungen tarnen und im Zweifel behaupten, dem Detektiv jedenfalls keinen direkten Auftrag erteilt zu haben. Welche Ziele der Auftraggeber im Einzelnen verfolgt, wissen die Privatermittler oft nicht. Fast jeder Detektiv kann, nach einigem Nachdenken, über solche zweifelhafteren Fälle berichten. Dennoch wird wohl die Mehrheit der «Schatten» auch solche Aufträge nicht ablehnen. Denn gerade diese sind oft lukrativ.

Wir berichten in diesem Buch überwiegend von Fällen, in denen sich der Einsatz des Privatermittlers als gerechtfertigt erweist. Regelmäßig kann Wolfgang Paul jemanden «überführen» oder einen Fall «aufklären». Dies soll nicht über den oft langwierigen und sicherlich auch langweiligen Alltag hinwegtäuschen. Ergebnislose Ermittlungen gehören zum Tagesgeschäft eines jeden Detektivs – nur eben großteils nicht in dieses Buch.

Spannende und unterhaltsame Geschichten stehen bei uns im Vordergrund. In diesem Sinne: Viel Vergnügen!

 

Andreas Straub

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Paule, der Schatten

Mein Name ist Paul, Wolfgang Paul. Ich bin ein Schatten. Im Dienste von Arbeitgebern, Kaufhäusern, Ehepartnern – oder wer auch immer mich dafür bezahlt – bespitzele, beschatte und spioniere ich. Es ist nur eine Frage des Geldes, dann forsche ich bis ins kleinste Detail alles aus. Ich fördere den ganzen Schmutz zutage.

Eigentlich bin ich aber ganz umgänglich. Alle, die mich näher kennen, nennen mich «Paule». Ich bin ein geselliger Mittvierziger, habe drei Kinder. Auf meine drei Mädels bin ich stolz. Sport treibe ich hauptsächlich sonntags im Schützenverein. Mit meinen Brüdern hebe ich gerne das Glas – meist erst nach dem Training. Dennoch bin ich körperlich fit. Wenn nur die Raucherei nicht wäre. Mir das abzugewöhnen: schwer. Sehr schwer. Dabei habe ich es, frei nach Mark Twain, schon oft geschafft, damit aufzuhören. Gerade als Detektiv habe ich viele langwierige Beobachtungsphasen – da lenkt Rauchen ein wenig ab und beschäftigt mich. Gute Ausrede, oder?

Zwar bin ich aktives Mitglied im Schützenverein, aber in meinem Beruf als Detektiv lehne ich Waffen kategorisch ab. Wenngleich ich oft in Gefahr bin, ist mir das Risiko zu hoch. Ich könnte nie damit leben, eventuell eine unbeteiligte Person zu verletzen oder gar zu töten. Während einer früheren Tätigkeit im Werttransport musste ich während der Arbeitszeit eine Schusswaffe tragen. Ich habe mich dabei immer unwohl gefühlt. Daher habe ich lediglich ein Pfefferspray bei mir. Es dient eher meinem eigenen Sicherheitsgefühl denn der echten Abwehr.

Ich bezeichne mich als Detektiv. Privatermittler klingt ein wenig hochtrabend, Schnüffler zu negativ. Ich bin eher zufällig in die Überwachungsbranche geraten, genauso wie die meisten Kollegen. Viele Vorstellungen, die sich auf meinen Beruf beziehen, rühren aus Filmen und Fernsehserien. Die Realität hat damit wenig zu tun. Pseudo-Dokus wie «Lenßen & Partner» überzeichnen den Alltag stark. Viele meiner Tage und Einsätze, genauso wie die der meisten meiner Detektivkollegen, sind wenig actiongeladen. Die Spannung liegt vielmehr im Zwischenmenschlichen. Ich erlebe Komödien und Tragödien, verschieden und abwechslungsreich wie das Leben.

Seit fast 15 Jahren bin ich Detektiv, hauptsächlich im Dienste der Wirtschaft. Ich beobachte gezielt andere Menschen, die im Regelfall nichts von ihrem Glück wissen. Meine Zielpersonen stammen aus allen gesellschaftlichen Schichten und Altersklassen. Vom einfachen Arbeiter bis zum Manager, vom Supermarktkunden bis hin zur betuchten Klientel in Boutiquen, von kleinen Gaunern bis zu Schwerstkriminellen, von kleinen Dealern bis zu Größen im Rotlicht- und Drogenmilieu. Je nach Auftrag werde ich für eine kürzere oder längere Zeit zu ihrem Schatten. Meine Auftraggeber wollen alles wissen. Wie ein Jäger lauere ich meinem Ziel oft stundenlang auf. Instinkt und das richtige Timing sind entscheidend. Geduldig warte ich auf den entscheidenden, zielsicheren Schuss – in meinem Fall ein Schnappschuss. Unbemerkt beobachte und verfolge ich meine Zielpersonen, ich ermittle in alle Richtungen und sichere Beweise. Sobald ich genügend Material habe, übergebe ich es meinen Klienten, sorgsam aufbereitet und gerichtsfest dokumentiert.

Deshalb suchen sie Unterstützung vom Schatten. Wer sind sie, meine Mandanten? Unternehmen oder deren Rechtsanwälte beauftragen mich, Informationen über Mitarbeiter einzuholen. Das sind besonders spannende Fälle. Einen großen Teil meiner Arbeitszeit nimmt die Kundenüberwachung in Kaufhäusern und Supermärkten ein. Insgesamt habe ich in meinen knapp 15 Jahren als Detektiv etwa 2500 Ladendiebe überführt. Die meisten Fälle sind wenig spektakulär, aber einige Highlights sind darunter. Spannender als der Diebstahl an sich sind oft die Reaktionen der «unbescholtenen Bürger», wenn sie erwischt werden. Ich kann mit Sicherheit behaupten: Klauen ist Volkssport. Im Regelfall wird ein Diebstahl als Kavaliersdelikt abgetan. Ab und an beobachte ich nicht nur die Kunden, sondern auch die Mitarbeiter im Handel, sofern mein Auftraggeber dies wünscht. Ich montiere versteckte Kameras und filme die Mitarbeiter, obwohl und gerade weil sie es nicht wissen. Gelegentlich arbeite ich für Privatpersonen, die beispielsweise ihrem Ehepartner nicht mehr trauen. Das gibt, wenn sich der Verdacht bestätigt, besonders schöne Bilder und Videos.

Detektive werden eingesetzt, um Sachverhalte aufzudecken. Sie beschaffen Informationen und Beweismaterial. Im Allgemeinen wird zwischen Privatdetektiven und Wirtschaftsdetektiven unterschieden. Privatdetektive kümmern sich hauptsächlich um private und familiäre Angelegenheiten, beispielsweise um Überwachungen bei Partnerschaftsproblemen, Heiratsschwindel und Ehebruch. Dazu zählen auch Ermittlungen im Zusammenhang mit Erbschaften oder Sorgerechts- und Unterhaltsfragen. Sie werden von Privatpersonen beauftragt. Wirtschaftsdetektive hingegen werden von Unternehmen angeheuert. Um keinen direkten Kontakt zu unterhalten, wird in der Regel eine Anwaltskanzlei zwischengeschaltet, die den Auftrag an uns vergibt. Einsatzgebiete sind zum Beispiel Personenüberwachungen im Zusammenhang mit Einstellungen (sogenannte Leumundsprüfungen). Ist ein Mitarbeiter krankgeschrieben und besteht ein massiver Verdacht, dass die Krankheit nur vorgetäuscht ist, beauftragen Unternehmen häufig Detektive. Ähnliche Einsätze ergeben sich bei der Überwachung von Außendienstmitarbeitern oder wenn ein Mitarbeiter im Verdacht steht, nebenbei schwarz zu arbeiten. Spezialisierte Detektive kümmern sich auch um Betriebsspionage und Patentfragen. Im Versicherungsbereich bietet sich ein großes Einsatzfeld, das durch TV-Sendungen bekannt ist. Viele kleine Detekteien, oft Ein-Mann-Betriebe, sind in der Ladenüberwachung für Supermärkte tätig.

All diese Aufgaben könnten die Endkunden, die Unternehmen, im Grunde selbst durchführen. Detektive haben keinerlei Sonderrechte. Sie machen lediglich häufiger von dem sogenannten «Jedermann-Festnahmerecht» gemäß § 127 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) Gebrauch: Jeder Bürger darf eine tatverdächtige Person unter gewissen Umständen vorübergehend festhalten. Insbesondere in der Kaufhaus- und Supermarktüberwachung spielt die vorläufige Festnahme von Ladendieben, bis die Polizei eintrifft, eine wichtige Rolle. Hierfür muss der Dieb auf frischer Tat ertappt werden, und es muss Fluchtverdacht bestehen. Von beiden Voraussetzungen ist im Regelfall auszugehen. Dennoch sind Detektive, entgegen der Darstellung in einigen Filmen und Serien, weniger mit der Polizei als vielmehr mit ganz normalen Bürgern vergleichbar. Jeder darf sich Detektiv nennen und als solcher arbeiten. Im Wach- und Sicherheitsgewerbe, zu dem die Ladenüberwachung zählt, ist eine IHK-Schulung, eine Sachkundeprüfung sowie eine Gewerbeanmeldung nach § 34 a der Gewerbeordnung notwendig. Für Unternehmen sind Detektive externe Dienstleister. Weshalb werden sie beauftragt, könnten die Aufgaben doch prinzipiell von eigenen Mitarbeitern ausgeführt werden?

Mangel an Zeit und Erfahrung. Spezialisiertes Personal für Überwachungsdienstleistungen ist in der Regel nicht vorhanden.

Mangel an technischem Equipment, dessen Anschaffung für nur einen Einsatz unrentabel wäre.

Mangel an geeigneten Informationsquellen. Jeder Detektiv baut sich im Verlauf der Zeit ein Netzwerk auf. Für verschiedene Einsatzgebiete gibt es echte Spezialisten.

Mangel an Mut. Die Ermittlungen, gerade bei Wirtschaftsdetektiven, bewegen sich oft in rechtlichen Grauzonen. Die Unternehmen möchten zwar die Informationen bekommen, nicht aber mit deren Beschaffung in Verbindung gebracht werden.

Detektiveinsätze, wenn sie länger andauern, sind meist kostspielig für die Kunden. Für die Honorare von Detektiven gibt es keine gesetzlichen Vorgaben. Zwischen jedem Kunden und der Detektei wird eine individuelle Vereinbarung geschlossen. Die marktüblichen Stundensätze bewegen sich gemäß «Bund internationaler Detektive» zwischen 40 und 100 Euro plus 0,30 bis 1 Euro Kilometergeld. In vielen Fällen entsteht nach Abschluss der Ermittlungen Streit, wer die Kosten zu tragen hat. Die Unternehmen versuchen oft, die, gerade in Fällen von vorgetäuschter Krankheit oder Schwarzarbeit, den entsprechenden Mitarbeitern aufzubürden. Das Angebot, auf die Erstattung solcher Kosten zu verzichten, wird gern einmal als Druckmittel eingesetzt, um einen Aufhebungsvertrag abzuschließen und so potenziell langwierige arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen zu umgehen. Gelten sie als sogenannte Rechtsverfolgungskosten, sind Überwachungskosten zumindest teilweise erstattungsfähig. Es gibt verschiedene Gerichtsurteile zu diesem Thema, die mal zu Gunsten der Unternehmen, mal zu Gunsten der Mitarbeiter ausfallen. Generell gilt, wenn eine Erstattungsfähigkeit vorliegen soll, dass der Detektiveinsatz notwendig gewesen sein muss. Das heißt, das Unternehmen beauftragt den Detektiv auf einen konkreten Verdacht hin, und dieser trägt wesentlich dazu bei, den Verdächtigen zu überführen. Weiter müssen die Überwachungskosten in einer angemessenen Relation zum zu erwartenden Schaden für das Unternehmen stehen. Beispielsweise rechtfertigt ein zweiwöchiger Arbeitsausfall noch keinen Detektiveinsatz für 30000 Euro – ein Schaden für das Unternehmen in Höhe von 200000 Euro hingegen schon.

Im Bereich der Ladenüberwachung sieht die Welt anders aus. Ein Ladendetektiv arbeitet streng nach den Vorgaben seines jeweiligen Kunden und ist diesbezüglich eher mit einem Angestellten vergleichbar. Jedoch ist der Detektiv im Regelfall selbständiger Unternehmer und damit in vielerlei Hinsicht schlechter gestellt als ein angestellter Arbeitnehmer. Er erhält weder Urlaub, noch werden seine Krankheitstage bezahlt. Weder ein Tarifvertrag noch ein Betriebsrat sind ihm bei der Vertretung seiner Interessen behilflich. Arbeitnehmerschutzvorschriften, beispielsweise Ruhezeiten oder maximale Arbeitszeiten pro Tag, gelten für Selbständige nicht. Der Markt im Bereich der Ladenüberwachung ist hart umkämpft. Es gibt kaum Einstiegsbarrieren, und so findet ein ruinöses Preisdumping statt, das sich die Kunden zu Nutze machen.

Zwielichtige Gestalten tummeln sich im Überwachungsmarkt. Ihre Methoden sind teils fragwürdig. Oft bieten sie Kaufhausüberwachung bereits für etwa 14 Euro plus Mehrwertsteuer pro Stunde an, ohne Anfahrtskosten gesondert zu berechnen. Die meisten bemerken zu spät, dass sie mit dieser Preispolitik als Selbständige auf längere Sicht nicht überleben können. Die Obergrenze bilden etwa 25 Euro pro Stunde. Selbst meine Kalkulation, die sich im oberen Mittelfeld befindet, ist äußert knapp. Anfahrtskosten und -zeiten kann ich aber ebenfalls nicht geltend machen. Erwischte Diebe müssen in der Regel eine Bearbeitungsgebühr an das Ladengeschäft bezahlen. Bei Billi zum Beispiel beläuft diese sich auf 50 Euro.

Fakten aus der Spionbox: Detektive in Deutschland

Das Wort «Detektiv» hat einen lateinischen Ursprung: «detegere» bedeutet «entdecken» oder «aufdecken». Die zentrale Aufgabe eines Detektivs ist die Beweiserhebung und Dokumentation eines Sachverhaltes, zum Beispiel durch Observationen und Recherchen. In vielen Fällen werden die gewonnenen Informationen vor Gericht als Beweismittel genutzt.

Der Bundesverband der deutschen Detektive (BDD) schätzt die Zahl der in Deutschland tätigen Detektive auf etwa 3300. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gibt es bundesweit circa 1500 Detekteien. Ein Detektiv kann Inhaber, Angestellter oder freiberuflicher Mitarbeiter einer Detektei sein. Der durchschnittliche Jahresumsatz einer Detektei beträgt Schätzungen zufolge etwa 80000 Euro.

Detektive werden hauptsächlich von Unternehmen beauftragt. Eine Umfrage des BDD im Jahr 2008 ergab, dass etwa 55 Prozent aller Aufträge einen wirtschaftlichen Hintergrund hatten. Nur in etwa einem von vier Fällen steckt eine Privatperson hinter der Beauftragung eines Detektivs. Weitere 20 Prozent der Aufträge kommen von Rechtsanwaltskanzleien – diese sind meist aber auch nur Mittler für Aufträge, die von der Wirtschaft oder öffentlichen Auftraggebern vergeben werden.

Detektiv ist in Deutschland kein staatlich anerkannter Beruf wie zum Beispiel Polizist oder Lehrer. Detekteien verfügen auch nicht über staatliche Lizenzen. Indessen bieten private Fortbildungseinrichtungen sowie Industrie- und Handelskammern berufsbildende Lehrgänge an. Die meisten kommen als Quereinsteiger zum Detektivberuf. Besonders häufig üben ihn Ex-Polizisten oder ehemalige Geheimdienstler aus.

Einen Detektiv zu engagieren bedeutet, dass zwischen dem Kunden und dem Detektiv ein Dienstvertrag nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) zustande kommt – derselbe Dienstvertrag, den man auch mit einer Putzfrau schließen kann. Genauso wenig wie von einer Putzfrau 100 Prozent Sauberkeit der Wohnung kann man von einem Detektiv einen Ermittlungserfolg verlangen. Der Dienstleister, in diesem Fall der Detektiv, schuldet eine fachlich korrekte Arbeit, aber keinen Erfolg. Wenn er also nicht das gewünschte Resultat abliefert und trotzdem ordentlich gearbeitet hat, kann ihm das Honorar nicht verweigert werden.

Ein Detektiv hat im Vergleich zu anderen Bürgern keinerlei Sonderrechte oder hoheitliche Befugnisse. So bringt der Detektivberuf an sich auch keineswegs das Recht mit sich, eine Schusswaffe zu tragen. Zur Mindestausrüstung eines Detektivs gehören Auto, Laptop, (Video-)Kamera, Tonband- und GPS-Sendegeräte.

Eine Umfrage des BDD ergab, dass mehr als 90 Prozent aller an Detektive bzw. Detekteien vergebenen Fälle komplett oder teilweise aufgeklärt werden können.

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Sonne, Schatten und Mehr

Es war schon immer mein Traum, Detektiv zu werden. Ich konnte mir nie einen spannenderen Beruf vorstellen. Schon als kleiner Junge spielte ich immer Sherlock Holmes. Miss Marple faszinierte mich. – Klingt gut, stimmt aber nicht: Ich bin durch eine reine Verkettung von Zufällen in das Metier gerutscht. Und für lange Jahre dabeigeblieben.

Als Jugendlicher habe ich weniger meinen Neigungen als vielmehr der Vernunft meiner Eltern gehorcht und eine handwerkliche Ausbildung begonnen. Elektriker, so mein Vater, sei ein Beruf mit Zukunft: «Den braucht man immer.» Motiviert bin ich dazu nicht. Aber was soll ich sonst tun? Für mich ist es selbstverständlich, die Erwartung meiner Eltern zu erfüllen. Ich möchte sie nicht enttäuschen. Trotz meines mäßigen Interesses an dem Beruf schließe ich die Ausbildung gut ab und bin anschließend eine Weile als Elektriker tätig. So recht gefallen will mir die Arbeit nicht. Ich bin meistens in meiner Heimatregion im Einsatz und erledige jeden Tag die gleichen Aufgaben. Ich erfülle mein Soll, aber mir fehlt der Elan. Erhöhte Spannung gibt es nur, wenn ich eine Steckdose falsch anschließe. Und zwischen mir und meinem Chef. Wir verstehen uns nicht besonders gut. Mich reizen das Abenteuer und die weite Welt.

Ein Freund baut zu dieser Zeit ein Unternehmen auf, das europaweit Zubehör auf Luxusyachten montiert. Die See und das Meer faszinieren mich. Ich bin ein abenteuerlustiger Jungspund und möchte etwas von der Welt sehen. Mein Bekannter hat bereits zwei Mitarbeiter und fragt mich, ob ich einsteigen will. Mein Gehalt könne ich verdoppeln. Arbeiten unter der spanischen Sonne, für sehr gutes Geld, auf Luxusyachten herumturnen und das alles komplett eigenverantwortlich? Ein Traum! Teilhaber des Unternehmens könnte ich werden, viel Geld scheffeln. Ich könnte reich werden und selbst nicht mehr arbeiten müssen. In meiner Phantasie sehe ich mich bereits, genüsslich einen Cocktail schlürfend, neben Bikinischönheiten auf einer Luxusyacht vor Ibiza ankern. Ich überlege nicht lange, das Angebot ist attraktiv. Genau darauf habe ich gewartet! Ich bin wie elektrisiert, als ich meine Kündigung schreibe, und packe schon wenige Tage später meine Koffer.

Ich erhalte die feste Anstellung, das Geld stimmt. Unser Stützpunkt ist Mallorca. Dort teilen wir uns zu dritt eine Wohnung. Zu unseren anderen Aufträgen fahren wir mit einem neun Meter langen Wohnmobil – oft müssen wir dafür die Fähre zum Festland nehmen. Das Wohnmobil ist zur Hälfte als Werkstatt ausgebaut, in der anderen Hälfte leben wir. Wir bereisen alle größeren Häfen in Südeuropa: von der Côte d’Azur über die Costa Brava bis zur Adriaküste und der Atlantikküste sowie der Nord- und Ostsee. In den bekanntesten Küstenstädten und auf den angesagtesten Inseln bin ich tätig. Viele unserer Aufträge laufen über Neuakquisitionen auf Bootsmessen, da wir noch nicht viel Stammkundschaft haben. Die Qualität unserer Arbeit spricht sich herum. Viele Kunden empfehlen uns weiter.

Mein Chef überträgt mir zunehmend den Verkauf auf den Messen. Das macht mir Spaß, und ich erziele gute Erfolge. Nach so mancher Messe fließt bei uns der Champagner. Die Kunden sind illuster: erfolgreiche Sportler, mächtige Wirtschaftsbosse, schwerreiche Adelige, bekannte Schauspieler. Der Umgang mit ihnen gefällt mir. Ich freue mich, wenn solche Persönlichkeiten mit unserer Arbeit zufrieden sind und sie privat kennen zu lernen. Manche lerne ich sogar sehr privat kennen. Zu unseren Kunden zählen beispielsweise zwei miteinander befreundete Ehepaare, deren Yachten vor Ibiza liegen. Sie haben gleich mehrere Gemeinsamkeiten. Sie sind reich: klar. Sie sind arrogant: klar. Und die Ehemänner sind mindestens zwanzig Jahre älter als die Frauen. Auch klar. Normalerweise sind Yachtbesitzer allerdings Menschen, die das Einzigartige, das Individuelle lieben. Diese beiden Paare jedoch besitzen die absolut identische Yacht und lassen sich immer ähnliches Zubehör montieren. Bei der Auftragsbesprechung kommen wir kaum zu Wort, die Ehemänner fühlen sich enorm wichtig, und ich muss alles genauestens notieren.

«Das werde ich passgenau zu Ihren Wünschen und Vorstellungen fertigen», sichere ich zu. «Daher muss ich alles genau vermessen.»

«Ja, es soll einmalig sein», wird mir erklärt, als sie in doppelter Ausfertigung bestellen. Die Ehepaare erhalten unser «einmaliges» Standardmodell, das ich schon auf hundert anderen Booten montiert habe, sind aber glücklich.

Als ich einen Monat später die Montage vornehme, ist nur noch eine der Ehefrauen zugegen. Sie ist 28, sieht aus wie ein Model, ihr Mann ist über 50.

«Er ist mal wieder auf Geschäftsreise», erklärt sie mir. «Kommen Sie bitte kurz in mein Hotel, wenn Sie fertig sind.»

«Ja, klar.»

«Ich habe noch ein paar Details mit Ihnen zu besprechen.»

«Okay, bis später», sage ich und wundere mich. Ich befürchte schon, dass ich Änderungen vornehmen muss, werde aber positiv überrascht. Sie öffnet die Türe im Negligé. Ich trete näher und wende mich den Detailfragen zu.

Einerseits bin ich glücklich in meiner Jugendzeit: ich mache viele Bekanntschaften, auch mit Frauen. Ich lerne etliche vermeintlich bedeutende und einflussreiche Menschen kennen. Andererseits habe ich durch die langen Jahre des Nomadenlebens viele Freunde in der Heimat verloren. Die Kommunikationsmittel sind noch nicht so weit fortgeschritten wie heute, und nach und nach verlaufen sich viele Bekanntschaften. Nur die besten Freunde bleiben mir erhalten. Dennoch kommt es bei meinen Heimaturlauben häufiger vor, dass ich abends allein unterwegs bin.

An einem Freitagabend bin ich in einer Cocktailbar. Sofort sticht mir die Bardame ins Auge. Routiniert mixt sie die Getränke und sieht dabei einfach bezaubernd aus: ihre blonden Haare, die blauen Augen, ihr Lächeln. Ich bin hin und weg von ihrer Ausstrahlung. Sie spricht mit einem leichten Akzent, eine gebürtige Engländerin, wie ich erfahre. Sie behandelt mich wie alle anderen Gäste mit professioneller Freundlichkeit. Trotz mehrerer Versuche, nimmt sie keine besondere Notiz von mir. Sie ignoriert mich, denke ich. Trotzdem bin ich am nächsten Tag wieder in der Bar und versuche, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Wieder lässt sie mich abblitzen. Aber ich lasse so schnell nicht locker, sie hat es mir angetan. Fortan bin ich bei jedem Aufenthalt in Deutschland mehrmals in dieser Cocktailbar. Die Drinks schmecken scheußlich. Ich versuche, mit der Bardame ins Gespräch zu kommen, und lade sie zum Essen ein. Nach etlichen Anläufen willigt sie schließlich ein. Ich führe sie in ein elegantes Restaurant aus. Endlich, nach gut sechs Monaten, taut sie auf. Wir verstehen uns ab nun bestens. Meine Beharrlichkeit hat sich ausgezahlt.

Erst wird sie meine Freundin, wenig später meine Frau. Wir bekommen Nachwuchs, und ich stehe vor einer Entscheidung: mein lieb gewonnenes Nomadenleben oder meine Familie. Beides wird auf Dauer nicht gehen. Innerlich bin ich zu diesem Zeitpunkt gereift und plane, sesshaft zu werden. Ich will meinen Kindern ein guter Vater sein und sie öfter als nur wenige Wochen im Jahr sehen. Ich beschließe die Rückwanderung.