Der Schatz im Silbersee - Karl May - E-Book + Hörbuch

Der Schatz im Silbersee E-Book und Hörbuch

Karl May

4,5

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Beschreibung

Der Schatz im Silbersee mit seinen sagenhaften Reichtümern ist das Ziel einer Bande von Tramps unter Führung des berüchtigten "Roten Cornel". Winnetou, Old Shatterhand, Old Firehand und weitere Gefährten ziehen den gleichen Weg, um Weißen und Indianern hilfreich zur Seite zu stehen, die von den Verbrechern bedroht sind. Die vorliegende Erzählung spielt Ende der 60er-Jahre des 19. Jahrhunderts.

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Seitenzahl: 747

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Sprecher:Heiko Grauel
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KARL MAY’s

GESAMMELTE WERKE

BAND 36

DER SCHATZ

IM SILBERSEE

ERZÄHLUNG AUS DEM

WILDEN WESTEN

VON

KARL MAY

Herausgegeben von

Lothar und Bernhard Schmid

© 1997 Karl-May-Verlag

ISBN 978-3-7802-1536-9

KARL-MAY-VERLAG

BAMBERG • RADEBEUL

1. Der schwarze Panther

Es war um die Mittagszeit eines sehr heißen Junitages, als der ‚Dogfish‘, einer der größten Personen- und Güterdampfer des Arkansas, mit seinen mächtigen Schaufelrädern die Fluten des Stromes peitschte. Er hatte am frühen Morgen Little Rock verlassen und sollte nun bald Lewisburg erreichen, um dort anzulegen.

Diese Dampfer gleichen in ihrem Äußeren keineswegs denen, die wir etwa auf den deutschen schiffbaren Flüssen zu sehen gewöhnt sind. Den Unterbau gleichsam bildet ein sehr großes, auffällig flachgehendes Boot. Dadurch will man angesichts der vielen Untiefen und Sandbänke der nordamerikanischen Ströme Unfälle vermeiden. Auf diesem Boot erhebt sich dann ein Aufbau, der einem dreistöckigen Wohnhaus gleicht. Sozusagen im Erdgeschoss, also auf dem unteren Deck, stehen die Dampfkessel und die Maschinen, die die mächtigen Schaufelräder treiben, lagern die Kohlen und die Schiffsfrachten. Auch haust hier die Schiffsmannschaft nebst denjenigen Fahrgästen, die möglichst billig reisen wollen. Auf dem ersten und zweiten Deck sind die Kabinen der besser zahlenden Reisenden sowie die ‚Saloons‘ untergebracht, also Speisesaal, Rauchzimmer usw. Ganz oben breitet sich eine Art Sonnendeck aus.

Die Strecke stromauf war immerhin beträchtlich, und der Dampfer schnaufte und stampfte denn auch gehörig, um den Anforderungen derer gerecht zu werden, die er an Bord trug.

Die große Hitze hatte die besser bemittelten Reisenden in ihre Kajüten und Kabinen getrieben, die meisten Deckfahrgäste aber lagen unten hinter Fässern, Kisten und anderen Gepäckstücken, die ihnen ein bequemes Ruhen gewährten. Für diese Fahrgäste hatte der Kapitän einen Schanktisch errichten lassen, worauf allerlei Gläser und Flaschen standen, deren scharfer Inhalt jedenfalls nicht für verwöhnte Gaumen und Zungen berechnet war. Hinter diesem Schanktisch saß der Kellner mit geschlossenen Augen, von der Hitze ermüdet, mit dem Kopf nickend. Wenn er einmal die Lider hob, stahl sich ein leiser Fluch oder sonst ein kräftiges Wort über seine Lippen. Sein Unmut galt einer Schar von etwa zwanzig Männern, die vor dem Tisch in einem Kreis auf dem Boden saßen und den Würfelbecher von Hand zu Hand gehen ließen. Es wurde um den so genannten ‚Drink‘ gespielt, das heißt, der Verlierende hatte am Schluss für jeden Mitspielenden ein Glas Schnaps zu bezahlen. Infolgedessen blieb dem Kellner das Schläfchen, wozu er so große Lust verspürte, versagt.

Diese Männer hatten sich jedenfalls nicht erst hier auf dem Steamboat zusammengefunden, denn sie taten sehr vertraulich miteinander und schienen sich, wie gelegentliche Äußerungen verrieten, genau zu kennen. Entgegen dieser allgemeinen Vertraulichkeit gab es unter ihnen einen, dem eine gewisse Achtung erwiesen wurde. Man nannte ihn Cornel, eine gebräuchliche Verstümmelung des Wortes Colonel, Oberst.

Der Mann war lang und hager, sein glattrasiertes Gesicht scharf und spitz gezeichnet. Die kurzgeschorenen Kopfhaare waren fuchsrot, wie man sehen konnte, da er den alten, abgegriffenen Filzhut weit in den Nacken geschoben hatte. Sein Anzug bestand aus schweren, nägelbeschlagenen Lederschuhen, Nankinghosen und einer kurzen Joppe von gleichem Stoff. Eine Weste trug er nicht. Deren Stelle vertrat ein ungeplättetes, schmutziges Hemd, dessen breiter Kragen weit offen stand und die nackte, sonnenverbrannte Brust sehen ließ. Um die Hüften hatte er sich ein rotes Fransentuch geschlungen, aus dem die Griffe eines Messers und zweier Pistolen blickten. Hinter ihm lagen ein ziemlich neues Gewehr und ein leinener Schnappsack, der mit zwei Bändern versehen war, um auf dem Rücken getragen zu werden.

Die anderen Männer waren in ähnlicher Weise sorglos und gleich schmutzig gekleidet, dafür aber ebenfalls sehr gut bewaffnet. Es war kein Einziger unter ihnen, dem man beim ersten Blick hätte Vertrauen schenken können. Sie trieben ihr Würfelspiel mit wahrer Leidenschaft und unterhielten sich dabei in so rohen Ausdrücken, dass ein halbwegs anständiger Mensch sicher keine Minute lang bei ihnen stehen geblieben wäre. Jedenfalls hatten sie schon manchen ‚Drink‘ getan, denn ihre Gesichter waren nicht nur von der Sonne, sondern auch vom Branntwein erhitzt.

Der Kapitän war aufs Achterdeck zum Bootsmann gegangen, um ihm einige notwendige Weisungen zu erteilen. Dabei fragte ihn der Bootsmann: „Was meint Ihr zu den Jungens, die da vorn beim Würfeln sitzen, Captain? Mir scheint, es sind Boys, die man nicht gern an Bord kommen sieht.“

„Denke es auch“, nickte der Gefragte. „Haben sich zwar als Harvesters[1] ausgegeben, die nach dem Westen wollen, um sich auf Farmen zu verdingen, aber ich möchte nicht der Mann sein, bei dem sie nach Arbeit fragen.“

„Well, Sir. Ich meinesteils halte sie für richtige und wirkliche Tramps[2]. Hoffentlich halten sie wenigsten hier an Bord Ruhe!“

„Wollten es ihnen nicht raten, uns über Gebühr zu belästigen. Wir haben Hands[3] genug an Bord, sie alle in den alten, gesegneten Arkansas zu werfen. Macht Euch übrigens zum Anlegen klar! In zehn Minuten kommt Lewisburg in Sicht.“

In der Tat sah man bald die Häuser des genannten Ortes, den das Schiff mit einem lang gezogenen Heulen der Dampfpfeife begrüßte. Von der Landebrücke wurde das Zeichen gegeben, dass der Steamer Fracht und Fahrgäste mitnehmen solle.

Der Ort war damals lange noch nicht so groß wie heute. Am Halteplatz standen nur wenige müßige Menschen. Es gab nur einige Kisten und Pakete aufzunehmen und die Zahl der an Bord steigenden neuen Fahrgäste betrug nicht mehr als drei.

Der eine von ihnen war ein Weißer von hoher, überaus kräftiger Gestalt. Er trug einen so starken, dunklen Vollbart, dass man nur die Augen, die Nase und den oberen Teil der Wangen erkennen konnte. Auf seinem Kopf saß eine alte Bibermütze, die im Laufe der Jahre fast kahl geworden war und ihre ursprüngliche Form völlig verloren hatte. Der Anzug des Mannes bestand aus Hose und Jacke von starkem, grauem Leinen. In dem breiten Ledergürtel steckten zwei Revolver, ein Messer und mehrere kleine, dem Westmann unentbehrliche Gegenstände. Außerdem besaß er eine schwere Doppelbüchse, an deren Schaft ein langes Beil gebunden war.

Als er das Fahrgeld bezahlt hatte, warf er einen forschenden Blick rundum. Dabei fiel sein Auge auf die Männer, die vom Spiel aufgestanden waren, um die an Bord Gehenden zu betrachten. Er sah den Cornel. Sein Blick glitt sofort weiter, als hätte er ihn gar nicht bemerkt. Aber er brummte, während er die heruntergerutschten Schäfte seiner hohen Wasserstiefel über die mächtigen Oberschenkel heraufzog, vor sich hin: „Behold! Wenn das nicht der rote Brinkley ist, so will ich geräuchert und mit der Schale aufgefressen werden! Hoffentlich kennt er mich nicht.“

Derjenige, den er meinte, hatte bei seinem Anblick gleichfalls gestutzt. Er wandte sich leise an seine Gefährten: „Seht euch einmal den schwarzen Kerl an! Kennt ihn einer von euch?“

Die Frage wurde verneint.

„Nun, ich muss ihn schon einmal gesehen haben, und zwar unter Umständen, die für mich nicht erfreulich waren. Es steckt in mir so eine dunkle Erinnerung daran.“

„Dann müsste er dich doch auch kennen“, meinte einer. „Er hat uns flüchtig gemustert, dich aber dabei gar nicht beachtet.“

„Hm! Vielleicht fällt es mir noch ein. Oder noch besser, ich frage ihn nach seinem Namen. Wenn ich den höre, werde ich gleich wissen, woran ich bin. Machen wir also einen Drink mit ihm!“

„Wenn er mittut!“

„Etwa nicht? Das wäre eine schandbare Beleidigung, wie ihr alle wisst. Derjenige, dem ein Drink abgeschlagen wird, hat hier zu Lande das Recht, mit dem Messer oder der Pistole zu antworten, und wenn er den Beleidiger niedersticht, kräht kein Hahn danach.“

„Er sieht aber nicht so aus, als sei er zu etwas, was ihm nicht beliebt, zu zwingen.“

„Pshaw! Wettest du mit?“

„Ja, wetten, wetten!“, ertönte es im Kreise. „Der Verlierer zahlt drei Glas für jeden.“

„Mir ist’s recht“, erklärte der Cornel.

„Mir auch“, meinte der andere. „Aber es muss Gelegenheit zur Revanche sein. Drei Wetten und drei Drinks.“

„Mit wem?“

„Nun, zunächst mit dem Schwarzen, den du zu kennen behauptest, ohne zu wissen, wer er ist. Sodann mit einem der Gentlemen, die da nach dem Ufer gaffen. Nehmen wir den großen Kerl, der wie ein Riese unter Zwergen bei ihnen steht. Und endlich den Indsman, der nebst seinem Jungen mit an Bord gekommen ist. Oder fürchtest du dich vor ihm?“

Ein allgemeines Gelächter erklang als Antwort auf diese Frage, und der Cornel meinte verächtlich: „Ich mich vor dieser roten Fratze fürchten? Pshaw! Dann noch eher vor dem Riesen, auf den du mich hetzen willst. The devil, muss dieser Mensch stark sein! Aber gerade solche Hünen pflegen oft am wenigsten Mut zu haben, und er ist so fein und schmuck gekleidet, dass er mit Leuten unseres Schlages schwerlich umzugehen versteht. Also ich halte die Wette. Einen Drink mit jedem der drei. Und nun ans Werk!“

Der Rothaarige hatte die drei letzten Sätze so laut gerufen, dass sie von allen Fahrgästen gehört werden mussten. Jeder Amerikaner und jeder Westmann kennt die Bedeutung des Wortes Drink, besonders wenn es so laut und drohend ausgesprochen wird. Deshalb richteten sich aller Augen auf den Cornel. Man sah, dass er, ebenso wie seine Gesellen, schon halb betrunken war, und so war ein fesselnder Auftritt zu erwarten.

Der Cornel ließ die Gläser füllen, nahm das seinige in die Hand, ging auf den Schwarzbärtigen los und sagte:

„Good day, Sir! Ich möchte Euch dieses Glas anbieten. Halte Euch für einen Gentleman und hoffe, dass Ihr es auf mein Wohl leeren werdet!“

Der Vollbart des Angeredeten wurde breit und zog sich wieder zusammen, woraus zu schließen war, dass ein vergnügtes Lächeln über sein Gesicht ging.

„Well“, entgegnete er. „Bin nicht abgeneigt, Euch diesen Gefallen zu tun, möchte aber vorher wissen, wer mir die überraschende Ehre erweist.“

„Ganz richtig, Sir! Man muss wissen, mit wem man trinkt. Ich heiße Brinkley, Cornel Brinkley, wenn’s Euch beliebt. Und Ihr?“

„Mein Name ist Großer. Thomas Großer, wenn Ihr nichts dagegen habt. Also auf Euer Wohl, Cornel!“

Er leerte das Glas, wobei die andern auch austranken, und gab es zurück. Der Cornel fühlte sich als Sieger, musterte den Schwarzbärtigen beinahe beleidigend vom Kopf bis zu den Füßen und fragte: „Mir scheint, das ist ein deutscher Name. Ihr seid also ein verdammter Dutchman, he?“

„Nein, ein German, Sir“, erwiderte der Deutsche freundlich, ohne sich durch die Grobheit aufregen zu lassen. „Euern ‚verdammten Dutchman‘ müsst Ihr anderswo unterzubringen suchen. Bei mir verfängt er nicht. Also Dank für den Drink und damit hallo!“

Großer wendete sich scharf auf dem Absatz um und ging rasch davon, indem er leise zu sich selbst sagte: „Also tatsächlich dieser Brinkley! Und Cornel nennt er sich jetzt! Der Kerl hat nichts Gutes vor. Werde die Augen offen halten.“

Brinkley hatte zwar den ersten Teil der Wette gewonnen, blickte aber gar nicht sehr siegesfroh drein. Seine Miene bewies vielmehr, dass er sich ärgerte. Er hatte gehofft, dass Großer sich weigern und dann durch Drohungen zum Trinken zwingen lassen werde. Der aber war der Klügere gewesen, hatte erst getrunken und dann ganz offen gesagt, dass er zu schlau sei, Veranlassung zu einem Krakeel zu geben. Das wurmte den Cornel. So näherte er sich denn, nachdem er sich das Glas wieder hatte füllen lassen, seinem zweiten Opfer, dem Indianer.

Mit Großer waren nämlich zwei Indsmen an Bord gekommen, ein älterer und ein junger, der vielleicht fünfzehn Jahre zählen mochte. Die unverkennbare Ähnlichkeit ihrer Gesichtszüge ließ vermuten, dass sie Vater und Sohn seien. Sie waren so gleich gekleidet und bewaffnet, dass der Sohn als das verjüngte Ebenbild des Vaters erschien.

Ihre Anzüge bestanden aus ledernen, an den Seiten gefransten Leggins und gelb gefärbten Mokassins. Ein Jagdhemd oder Jagdrock war nicht zu sehen, da sie den Leib von den Schultern an in jene Art bunt schillernder Zuñidecken gehüllt hatten, von denen das Stück oft über sechzig Dollar kostet. Das schwarze Haar war schlicht nach hinten gekämmt und fiel dort bis auf den Rücken herab, was ihnen ein frauenhaftes Aussehen verlieh. Ihre Gesichter waren voll, rund und besaßen einen gutmütigen Ausdruck, der dadurch noch erhöht wurde, dass sie ihre Wangen mit Zinnober hochrot gefärbt hatten. Die Gewehre, die sie in den Händen hielten, schienen zusammen keinen halben Dollar wert zu sein. Überhaupt sahen die beiden ganz und gar ungefährlich aus. Sie waren, als ob sie sich vor anderen Menschen fürchteten, scheu auf die Seite gegangen und lehnten nun an einem aus starkem Holz gefertigten, mannshohen Kasten. Dort schienen sie auf nichts zu achten, und selbst als der Cornel jetzt auf sie zukam, erhoben sie die Augen nicht eher, als bis er hart vor ihnen stand und sie anredete: „Heißes Wetter heut! Oder nicht, ihr roten Burschen? Da tut ein Trunk wohl. Hier, nimm, Alter, und schütte es auf die Zunge!“

Der Indianer rührte kein Glied und antwortete in gebrochenem Englisch: „Not to drink – nicht trinken.“

„Was, du willst nicht?“, brauste der Rothaarige auf. „Es ist ein Drink, verstanden, ein Drink! Damit abgewiesen zu werden, ist für jeden echten Gentleman eine blutige Beleidigung, die mit dem Messer vergolten wird. Wie heißt du?“

„Nintropan-hauey“, antwortete der Indsman ruhig und bescheiden.

„Zu welchem Stamm gehörst du?“

„Tonkawa.“

„Also zu den zahmen Roten, die sich vor jeder Katze fürchten. Mit dir werde ich nicht viel Federlesens machen. Also, willst du trinken?“

„Ich nicht trinken Feuerwasser.“

Der Indianer sagte das trotz der Drohung, die der Cornel ausgesprochen hatte, ebenso ruhig wie vorher. Der Cornel aber holte aus und gab ihm eine schallende Ohrfeige.

„Hier dein Lohn, du roter Feigling!“, rief er aus. „Ich will mich nicht anders rächen, weil so ein Kerl zu tief unter mir steht.“

Kaum war der Hieb gefallen, so fuhr die Hand des Indianerknaben unter die Zuñidecke, jedenfalls nach einer Waffe, und zugleich flog sein Blick zum Gesicht seines Vaters empor, prüfend, was dieser jetzt tun und sagen werde.

Das Gesicht des Roten war so ganz anders geworden, dass man es fast nicht wieder erkennen konnte. Seine Gestalt schien gewachsen zu sein, seine Augen leuchteten auf und über seine Züge zuckte eine plötzlich erwachte Spannkraft. Aber ebenso schnell senkten sich seine Wimpern wieder, sein Körper fiel zusammen und sein Gesicht nahm den vorherigen ergebenen Ausdruck an.

„Nun, was sagst du dazu?“, fragte der Cornel höhnisch.

„Nintropan-hauey danken.“

„Hat dir die Ohrfeige so sehr gefallen, dass du dich dafür bedankst? Nun, da hast du noch eine!“

Der Cornel holte abermals aus, schlug aber, da der Indianer den Kopf blitzschnell senkte, mit der Hand gegen den Kasten, woran die Indsmen lehnten. Es gab einen lauten, hohlen Ton. Da erscholl von innen ein kurzes, rasselndes Knurren und Fauchen, das schnell zu einem wilden, heiseren Schrei anschwoll, der Unheil verkündend über das ganze Schiff tönte.

Brinkley sprang jäh zurück, ließ das Glas fallen und rief erschrocken: „Heavens! Was ist das? Was für eine Bestie steckt in diesem Kasten? Ist das erlaubt? Man kann ja vor Schreck den Tod davontragen!“

Der Schreck hatte auch die anderen Fahrgäste ergriffen. Nur vier von ihnen hatten mit keiner Wimper gezuckt, nämlich der Schwarzbärtige, der jetzt ganz vorn am Bug saß, der Hüne, den der Cornel zum dritten Drink einladen wollte, und die beiden Indianer. Diese vier mussten eine ausgeprägte Selbstbeherrschung besitzen.

Das Gebrüll war auch in den Kajüten gehört worden. Mehrere Fahrgäste fragten ängstlich, was geschehen sei.

„Es ist nichts, Ladys und Gentlemen“, rief ein gut gekleideter Mann, der soeben aus seiner Kabine getreten war. „Nur ein Pantherchen, ein kleines Pantherchen, weiter gar nichts! Ein allerliebster Felis pardus, nur ein schwarzer, Mesch’schurs!“

„Was? Ein schwarzer Panther?“, heulte ein kleines, bebrilltes Männlein auf, dem man es ansah, dass es mehr in zoologischen Büchern als im praktischen Verkehr mit wilden Tieren bewandert sei. „Der schwarze Panther ist ja das allergefährlichste Viehzeug! Er ist verwegener und gewandter als der Löwe und der Tiger! Er mordet oft aus reiner Blutgier. Wie alt ist er denn?“

„Nur drei Jahre, Sir.“

„Nur? Das nennt Ihr ‚nur‘? Da ist er ja vollkommen ausgewachsen! Mein Gott! Und so eine Bestie befindet sich hier an Bord! Wer kann das verantworten?“

„Ich, Sir, ich“, versicherte der Fremde, indem er sich gegen die Damen und Herren verneigte. „Erlaubt mir, mich vorzustellen, Ladys und Gentlemen! Ich bin der berühmte Tierschaubesitzer Jonathan Boyler und befinde mich seit einiger Zeit mit meiner Truppe in Van Buren. Da dieser schwarze Panther in New Orleans für mich angekommen war, begab ich mich mit meinem erfahrensten Tierbändiger dorthin, um ihn abzuholen. Der Kapitän dieses guten Schiffes erteilte mir gegen hohes Entgelt die Erlaubnis, das Tier hier zu verladen. Er machte dabei die Bedingung, dass die Fahrgäste möglichst nicht erfahren sollten, in welcher Gesellschaft sie sich befinden. Darum fütterte ich den Panther nur des Nachts und habe ihm, by god, stets ein ganzes Kalb gegeben, damit er sich so voll fressen soll, dass er den ganzen Tag verschläft und sich kaum bewegen kann. Freilich, wenn man mit Fäusten an den Kasten schlägt, dann wacht er auf und lässt auch seine Stimme hören. Ich hoffe, dass die verehrten Damen und Herren nun die Anwesenheit des Pantherchens, das ja nicht die mindeste Störung bewirkt, nicht übel vermerken.“

„Was?“, entgegnete der mit der Brille, dessen Stimme fast überschnappte. „Keine Störung bewirkt? Nicht übel vermerken? Ich muss schon sagen, das ist ein unerhörtes Ansinnen. Ich soll dieses Schiff mit einem schwarzen Panther bewohnen? Ich will gehenkt sein, wenn ich das fertig bringe! Entweder muss er fort, oder ich gehe. Werft die Bestie ins Wasser! Oder schafft den Kasten ans Ufer!“

„Aber, Sir, es ist wirklich ganz und gar keine Gefahr vorhanden“, versicherte der Tierschaubesitzer. „Seht Euch nur den starken Kasten an, und...“

„Ach was Kasten!“, unterbrach ihn das Männchen. „Diesen Kasten kann ich zersprengen, um wie viel leichter der Panther!“

„Bitte, zu beachten, dass sich in dem Kasten erst der eiserne Käfig befindet, den selbst zehn Löwen und Panther nicht zu zertrümmern vermöchten.“

„Ist das wahr? Zeigt uns den Käfig! Ich muss mich überzeugen.“

„Ja, den Käfig zeigen, den Käfig zeigen! Wir müssen wissen, woran wir sind“, riefen zehn, zwanzig, dreißig Stimmen.

Der Tierbudenbesitzer war Yankee und ergriff die Gelegenheit beim Schopf, diesen allgemeinen Wunsch zu seinem Vorteil auszubeuten.

„Ganz gern!“, erwiderte er. „Aber Ladys und Gentlemen, es ist leicht einzusehen, dass man den Käfig nicht betrachten kann, ohne auch den Panther zu erblicken. Dies jedoch darf ich ohne eine gewisse Gegenleistung nicht gestatten. Um den Reiz des seltenen Schauspiels zu erhöhen, werde ich eine Fütterung des Tieres anbefehlen. Wir rechnen drei Plätze, den ersten zu einem Dollar, den zweiten zu einem halben und den dritten zu einem Vierteldollar. Da sich lauter Ladys und Gentlemen hier befinden, so bin ich überzeugt, dass wir den zweiten und dritten Platz gleich von vornherein weglassen können. Oder ist jemand da, der nur einen halben oder gar einen Vierteldollar zahlen will?“

Es meldete sich natürlich niemand.

„Nun also, nur erste Plätze. Bitte Ladys und Gentlemen, einen Dollar die Person.“

Er nahm seinen Hut ab und sammelte die Dollars ein, während sein Tierbändiger, den er rasch herbeigerufen hatte, die zu der Schaustellung nötigen Vorbereitungen traf.

Die Fahrgäste waren meist auch Yankees, und als solche erklärten sie sich mit der jetzigen Wendung der Angelegenheit durchaus einverstanden. Waren vorher die meisten von ihnen empört gewesen, so freuten sie sich jetzt der willkommenen Abwechslung in dem langweiligen Schiffsleben. Selbst der kleine Gelehrte hatte seine Angst überwunden und blickte der Schaustellung mit großer Spannung entgegen.

„Hört, Boys“, sagte der Cornel zu seinen Gefährten, „eine Wette habe ich gewonnen und die andre verloren, da der rote Halunke nicht getrunken hat! Das hebt sich auf. Die dritte machen wir nicht um drei Gläser Brandy, sondern um den Dollar Eintrittsgeld, den wir zahlen müssen. Seid ihr einverstanden?“

Die Genossen nahmen den Vorschlag an, denn der Riese sah nicht so aus, als werde er sich Angst einflößen lassen.

„Gut“, meinte der Cornel, den der Genuss des vielen Branntweins siegesgewiss machte. „Passt auf, wie gern und schnell dieser Goliath mit mir trinken wird!“

Brinkley ließ sich das Glas füllen und näherte sich dann dem Erwähnten. Die Körperformen dieses Mannes waren allerdings gewaltig. Er war noch höher und breiter gebaut als Großer und mochte etwa vierzig Jahre zählen. Sein glattrasiertes Gesicht war von der Sonne braun gebrannt. Die männlich schönen Züge besaßen einen kühnen Schnitt und seine blauen Augen hatten jenen eigentümlichen Blick, wodurch sich Menschen auszeichnen, die auf großen Flächen leben, wo das Blickfeld nicht eng begrenzt ist, also Seeleute, Wüstenbewohner und Prärieleute. Er trug einen feinen Reiseanzug, Waffen sah man nicht an ihm. Neben ihm stand der Kapitän, der vom Steuerhaus heruntergekommen war, um der Vorstellung mit dem Panther ebenfalls beizuwohnen.

Da stellte sich der Cornel breitspurig vor sein drittes vermeintliches Opfer hin und sagte: „Sir, ich biete Euch einen Drink an. Hoffentlich weigert Ihr Euch nicht.“

Der Angeredete warf ihm einen erstaunten Blick zu und wandte sich ab, um die durch den frechen Burschen unterbrochene Unterhaltung mit dem Kapitän fortzusetzen.

„Pooh!“, rief der Cornel aus. „Seid Ihr taub? Oder wollt Ihr mich nicht hören? Das möchte ich Euch nicht raten, da ich keinen Spaß verstehe, wenn mir ein Drink abgeschlagen wird. Ich gebe Euch den guten Rat, Euch ein Beispiel an dem Indsman zu nehmen!“

Der Belästigte zuckte leicht die Schultern und fragte den Kapitän: „Ihr habt gehört, was dieser Bursche da zu mir sagt?“

„Yes, Sir, jedes Wort“, nickte der Gefragte.

„Well, so seid Ihr Zeuge, dass ich ihn nicht hergerufen habe.“

„Was?“, brauste der Cornel auf. „Einen Burschen nennt Ihr mich? Und den Drink weist Ihr zurück? Soll es Euch wie dem Indianer ergehen, dem ich...“

Er kam nicht weiter, denn er hatte in diesem Augenblick eine so gewaltige Ohrfeige von dem Riesen erhalten, dass er niederstürzte, eine Strecke auf dem Deck dahinschoss und sich dann sogar noch überkugelte. Da lag er einen Augenblick wie erstarrt, raffte sich jedoch schnell auf, riss das Messer heraus, hob es zum Stoß und sprang auf den Riesen ein.

Der Hüne hatte beide Hände in die Hosentaschen gesteckt und stand so gemütlich da, als drohe ihm nicht die mindeste Gefahr, als sei der Cornel gar nicht vorhanden. Der aber brüllte: „Hund, mir eine Ohrfeige? Das kostet dein Blut!“

Der Kapitän wollte dazwischentreten, doch der Riese wies ihn mit einem Kopfschütteln zurück, hob, als der Cornel ihm bis auf zwei Schritt nahe gekommen war, das rechte Bein und empfing ihn mit einem solchen Fußtritt auf den Magen, dass der Angreifer abermals zu Boden flog und fortkollerte.

„Nun ist’s aber gut, sonst...“, rief der Hüne drohend.

Aber der Cornel sprang wieder auf, schob das Messer in den Gürtel und zog, vor Grimm brüllend, eine der Pistolen hervor, um sie auf den Gegner zu richten. Der jedoch nahm seine rechte Hand aus der Tasche, worin er einen Revolver stecken hatte.

„Fort mit der Pistole!“, gebot er, indem er auf die rechte Hand des Gegners zielte. Ein – zwei – drei dünne, scharfe Knalle – der Cornel schrie auf und ließ die Pistole fallen.

„So, Bursche!“, sagte der Riese. „Du wirst nicht gleich wieder Ohrfeigen geben, wenn man es verschmäht, aus dem Glase zu trinken, woran du vorher dein großes Maul abgewischt hast. Und wenn du nun noch wissen willst, wer ich bin, so...“

„Verdammt sei dein Name!“, schäumte der Cornel. „Ich mag ihn nicht hören. Dich selbst aber will ich und muss ich haben. Drauf! Auf ihn, Jungens, go on!“

Jetzt zeigte es sich, dass diese Kerle wirklich eine Bande bildeten, in der alle für einen standen. Sie rissen ihre Messer aus den Gürteln und warfen sich auf den Riesen. Der aber streckte einen Fuß vor, hob die Arme und rief: „So kommt heran, wenn ihr es wagt, mit Old Firehand anzubinden!“

Der Klang dieses Namens war von augenblicklicher Wirkung. Der Cornel, der sein Messer mit der unverletzten Linken wieder ergriffen hatte, erschrak. „Old Firehand? Zum Teufel, wer hätte das gedacht! Warum habt Ihr das nicht vorher gesagt?“

„Ist’s etwa nur der Name, der einen Gentleman vor euern Unverschämtheiten schützt? Macht euch von dannen, setzt euch ruhig in einen Winkel und kommt mir nicht wieder vor die Augen, sonst bringe ich euch Anstand bei!“

„Well, wir sprechen später weiter!“

Der Cornel drehte sich um und ging mit seiner blutenden Hand nach vorn. Die Seinen folgten ihm wie geprügelte Hunde. Sie setzten sich abseits nieder, verbanden ihrem Anführer die Hand, sprachen leise und angelegentlich miteinander und warfen dabei Blicke auf den berühmten Jäger, die zwar keineswegs freundlich waren, aber doch bewiesen, welche gewaltige Scheu sie vor ihm empfanden.

Und nicht allein auf sie hatte der weit bekannte Name gewirkt. Es gab unter den Fahrgästen wohl keinen, der nicht schon von diesem kühnen Mann, dessen ganzes Leben aus gefährlichen Taten und Abenteuern zusammengesetzt war, gehört hatte. Der Kapitän reichte ihm die Hand und sagte im liebenswürdigsten Ton, zu dem ein Yankee sich verstehen kann: „Aber, Sir, das hätte ich wissen sollen! Ich hätte Euch meine eigene Kajüte abgetreten. Warum habt Ihr Euch anders genannt?“

„Ich habe Euch meinen wirklichen Namen gesagt. Old Firehand heiße ich bei den Westmännern, weil meine Büchse jedem Feind Verderben bringt.“

„Ich hörte, Ihr schießt nie fehl?“

„Pshaw! Jeder gute Westmann kann das so wie ich. Aber Ihr seht, welchen Vorteil ein bekannter Kriegsname hat. Hätte sich der meinige nicht so weit herumgesprochen, so wäre es jetzt gewiss zum Kampf gekommen.“

„Und Ihr hättet gegen diese Übermacht unterliegen müssen!“

„Meint Ihr?“, fragte Old Firehand, indem ein Lächeln über sein Gesicht flog. „Solange mir nur solche Burschen gegenüberstehen, ist mir nicht bange. Ich hätte mich gewiss gehalten, bis Eure Leute zur Hand waren.“

„An denen hätte es freilich nicht gefehlt. Aber was tue ich nun mit den Halunken? Ich bin Herr und Richter auf meinem Schiff. Soll ich sie in Ketten legen?“ – „Nein.“ – „Oder soll ich sie an Land setzen?“ – „Auch nicht. Ihr wollt die Strecke mit Eurem Steamboat doch wohl nicht zum letzten Mal fahren?“ – „Fällt mir nicht ein! Ich gedenke noch lange Jahre auf dem alten Arkansas auf und ab zu schwimmen.“ – „Nun, so hütet Euch, die Rache dieser Menschen zu wecken! Sie sind im Stande, sich irgendwo am Ufer festzusetzen und Euch gelegentlich einen Streich zu spielen, der Euch nicht nur das Schiff, sondern auch das Leben kosten kann.“

Jetzt bemerkte Old Firehand den Schwarzbärtigen, der herbeigekommen und in der Nähe stehen geblieben war, den Blick in bescheidenem Verlangen auf den Jäger gerichtet. Old Firehand streckte ihm die Rechte entgegen und fragte: „Wie weit wollt Ihr mit diesem Schiff fahren?“

„Nur bis Fort Gibson, dann will ich mit dem Boot weiter. Ich fürchte, dass Ihr mich für furchtsam haltet, weil ich vorhin den Drink dieses so genannten Cornels angenommen habe.“

„O nein! Ich kann Euch nur loben, dass Ihr so besonnen wart. Freilich, als er dann den Indsman schlug, nahm ich mir vor, ihm eine scharfe Lehre zu erteilen.“

„Hoffentlich lässt er sie sich zur Warnung dienen. Übrigens, wenn Ihr ihm die Finger steif geschossen habt, so ist’s mit ihm als Westmann aus. Von dem Indianer aber weiß ich nicht, was ich denken soll. Er hat sich wie ein Feigling betragen und erschrak doch nicht im Mindesten, als das Brüllen des Panthers erscholl. Das kann ich mir nicht zusammenreimen.“

„Nun, den Reim will ich Euch machen. Kennt Ihr den Indianer?“

„Ich hörte den Namen, als er ihn aussprach. Es war ein Wort, bei dem die Zunge brechen kann.“

„Weil er sich seiner Muttersprache bediente, jedenfalls um den Cornel nicht merken zu lassen, mit wem er es zu tun hatte. Sein Name ist Nintropan-hauey und sein Sohn heißt Nintropan-homosch; das bedeutet der Große und der Kleine Bär.“

„Ist’s möglich? Von diesen beiden habe ich freilich schon oft gehört. Die Tonkawa sind entartet. Nur diese beiden haben die Kriegslust ihrer Ahnen geerbt und streifen noch frei im Gebirge und in der Prärie umher.“

„Ja, sie sind zwei tüchtige Kerle. Habt Ihr nicht gesehen, dass der Sohn unter seine Decke nach dem Messer oder dem Tomahawk griff? Nur als er das regungslose Gesicht seines Vaters bemerkte, verzichtete er darauf, die Tat des Cornel augenblicklich zu rächen. Ich sage Euch, bei diesen Indsmen genügt ein kurzer Blick, wo es bei uns Weißen oft einer langen Rede bedarf. Seit dem Augenblick, da der Cornel den Indianer ins Gesicht schlug, ist sein Tod eine beschlossene Sache. Die beiden ‚Bären‘ werden nicht eher von seiner Fährte lassen, bis sie ihn ausgelöscht haben. Aber Ihr nanntet ihm Euren Namen, den ich als einen deutschen erkannte. Wir sind also Landsleute.“

„Wie, Sir, auch Ihr seid ein Deutscher?“, fragte Großer erstaunt.

„Allerdings. Mein eigentlicher Name ist Winter. Auch ich fahre noch eine gute Strecke mit diesem Schiff und da findet sich für uns beide jedenfalls Gelegenheit, uns wieder zu sprechen. Seid Ihr erst kurze Zeit im Westen?“

„Nun“, meinte der Bärtige bescheiden, „etwas länger bin ich doch schon da. Ich heiße Thomas Großer. Den Familiennamen lässt man hier weg, aus dem Thomas macht man Tom und weil ich einen so gewaltigen schwarzen Bart trage, nennt man mich den Schwarzen Tom.“

„Wie?“, rief Old Firehand aus, „Ihr seid der Schwarze Tom, der bekannte Rafter[4]?“

„Tom heiße ich, Rafter bin ich, ob bekannt, das bezweifle ich. Aber Sir, der Colonel dort soll meinen Namen nicht hören, weil er mich daran wieder erkennen würde.“

„So habt Ihr schon mit ihm zu tun gehabt?“

„Ein wenig. Ich erzähle es Euch noch. Ihr kennt ihn nicht?“

„Ich sah ihn heute zum ersten Mal, werde ihm aber, wenn er länger an Bord bleibt, etwas schärfer auf die Finger passen. Und Euch muss ich näher kennenlernen. Ihr seid der Mann, der für mich passt. Wenn Ihr Euch nicht bereits anderweit versprochen habt, könnte ich Euch brauchen.“

„Nun“, meinte Tom, indem er nachdenklich zu Boden blickte, „die Ehre, bei Euch sein zu können, ist mehr wert als vieles andere. Ich bin zwar einen Bund mit andern Rafters eingegangen; sie haben mich sogar zu ihrem Anführer gemacht, aber wenn Ihr mir Zeit gebt, sie zu benachrichtigen, so lässt sich das leicht lösen. – Doch seht! Mir scheint, die Vorstellung soll jetzt beginnen.“

Der Schaubudenbesitzer hatte aus Kisten und Paketen mehrere Sitzreihen hergestellt und lud nun in schwülstigen Worten die Zuschauer ein, Platz zu nehmen. Dies geschah. Auch die Schiffsmannschaft durfte, so weit sie nicht beschäftigt war, zuschauen. Der Cornel kam mit seinen Leuten nicht herbei. Er hatte die Lust dazu verloren.

Die beiden Indianer waren nicht gefragt worden, ob sie teilnehmen wollten. Zwei Indsmen bei Ladys und Gentlemen, die je einen Dollar bezahlt hatten, das wollte sich der Besitzer des Tieres nicht vorwerfen lassen. Sie standen also von ferne und schienen weder dem Käfig noch der Zuschauergruppe irgendwelche Aufmerksamkeit zu schenken, während jedoch ihren scharfen, verstohlenen Blicken nicht das Geringste entging.

Nun saßen die Zuschauer vor dem noch geschlossenen Kasten. Die meisten von ihnen hatten keinen richtigen Begriff von einem schwarzen Panther. Von den katzenartigen Raubtieren der Neuen Welt ist der Puma oder Silberlöwe bedeutend kleiner und ungefährlicher als der Löwe der alten Welt und flieht vor den Menschen, selbst wenn er vom Hunger gepeinigt wird. Den Jaguar aber, den man als amerikanischen Tiger bezeichnet, fängt der Gaucho mit dem Lasso und schleift ihn hinter sich her. Das dürfte er beim bengalischen Königstiger nicht wagen. So erwarteten die meisten Zuschauer ein nicht gerade furchtbares Raubtier zu sehen. Wie aber fühlten sie sich betroffen, als jetzt die Vorderwand des Kastens entfernt und der Panther sichtbar wurde.

Er hatte seit New Orleans im Dunkeln gelegen. Der Kasten war nur des Nachts geöffnet worden. Jetzt erblickte das Tier erstmals wieder das Tageslicht, das seine Augen blendete. Es schloss sie und blieb zunächst noch lang ausgestreckt liegen.

Dann blinzelte es. Dabei bemerkte es die vor ihm sitzenden Menschen. Im Nu war das Raubtier auf und stieß ein Fauchen aus, sodass die Mehrzahl der Zuschauer aufsprang, um zu flüchten.

Ja, dieser Panther war ein ausgewachsenes, prächtiges Tier, gewiss über sechzig Zentimeter hoch und zwei Meter lang. Er fasste die Stäbe des eisernen Käfigs mit den Vordertatzen und schüttelte sie, dass der Kasten in Bewegung kam. Dabei zeigte er das fürchterliche Gebiss.

„Ladys und Gentlemen“, sagte der Tierbudenbesitzer erklärend, „die schwarze Abart des Leoparden oder Panthers ist auf den Sundainseln daheim, wird aber auch in Nordafrika, an der Grenze der Sahara und in Abessinien gefunden. Diese Raubkatze ist behänder und gefährlicher als der Löwe und kann ein junges Rind im Rachen forttragen. Was ihre Zähne vermögen, werdet ihr gleich sehen, da die Fütterung beginnt.“

Der Bändiger brachte die Hälfte eines Schafes herbei und legte sie vor dem Käfig nieder. Als der Panther das Fleisch erblickte, gebärdete er sich wie unsinnig.

Ein an der Schiffsmaschine beschäftigter Neger hatte der Neugierde nicht widerstehen können und sich herbeigeschlichen. Der Kapitän befahl ihm, sofort an seine Arbeit zurückzukehren. Als der Schwarze nicht gleich gehorchte, ergriff der Kapitän ein Tauende und versetzte ihm damit einige Hiebe. Nun zog sich der Gezüchtigte schnell zurück, blieb aber in einiger Entfernung wieder stehen, zog eine drohende Grimasse und schüttelte die Fäuste gegen den Kapitän. Da die Zuschauer nur auf den Panther achteten, hatten sie das nicht bemerkt. Nur der Cornel sah es und sagte zu seinen Gefährten: „Dieser Nigger ist dem Kapitän nicht hold, wie es scheint. Wollen uns an ihn machen. Einige Dollars wirken bei einem Schwarzen Wunder.“

Jetzt schob der starkknochige Tierbändiger das Fleisch zwischen den Eisenstäben hindurch in den Käfig, musterte die Zuschauer mit prüfendem Blick und flüsterte dann seinem Herrn etwas zu. Der schüttelte bedenklich den Kopf. Der andere redete weiter auf ihn ein und schien seine Besorgnis zu zerstreuen, denn der Besitzer nickte endlich und erklärte laut: „Ladys und Gentlemen, ich sage euch, dass ihr ungeheures Glück habt. Ein gebändigter schwarzer Panther ist noch nie gesehen worden, wenigstens hier in den Staaten nicht. Während des dreiwöchigen Aufenthalts in New Orleans hat nun mein Bändiger den Panther in die Schule genommen und erklärt jetzt, zum ersten Mal öffentlich zu ihm in den Käfig gehen und sich neben ihm niedersetzen zu wollen, falls ihr ihm eine entsprechende Vergütung zusagt.“

Der Panther hatte sich über seine Mahlzeit hergemacht, deren Knochen zwischen seinen Zähnen zermalmt wurden. Er schien nur auf seinen Fraß zu achten und so konnte man wohl der Ansicht sein, dass es keine große Gefahr bedeute, gerade jetzt den Käfig zu betreten.

Ausgerechnet der vorhin so ängstliche kleine Gelehrte rief begeistert: „Das wäre herrlich, Sir! Eine Leistung, wofür man schon etwas zahlen kann. Wie viel will der Mann haben?“

„Hundert Dollar, Sir. Die Gefahr, in die er sich begibt, ist nicht gering, da er des Tieres noch nicht ganz sicher ist.“

„Nun, ich bin nicht reich. Fünf Dollar aber steure ich bei. Gentlemen, wer zahlt noch etwas?“

Es meldeten sich so viele, dass die Summe zusammenkommen musste. Das Schauspiel sollte völlig ausgekostet werden. Selbst der Kapitän wurde erregt und bot Wetten an.

„Sir“, warnte ihn Old Firehand, „seid vorsichtig! Ich bitte Euch, das Wagnis nicht zu dulden. Da der Mann des Tieres noch nicht ganz sicher ist, habt Ihr die Verpflichtung, Einspruch zu erheben.“

„Einspruch?“, lachte der Kapitän. „Pshaw! Bin ich etwa der Vater oder die Mutter des Bändigers? Hier in diesem gesegneten Land hat jedermann das Recht, seine Haut zu Markte zu tragen, wie es ihm beliebt. Wird er von dem Panther gefressen, so ist das seine und des Panthers Sache. Also, Gentlemen, ich behaupte, dass der Mann aus dem Käfig nicht so heil wieder herauskommt, wie er hineingeht, und setze hundert Dollar. Wer setzt dagegen? Zehn Prozent der Gewinne soll der Bändiger erhalten.“

Dieses Beispiel machte Schule. Es wurden Wetten zu bedeutenden Beträgen abgeschlossen, und es stellte sich heraus, dass sie dem Bändiger, falls sein Wagnis gelang, gegen dreihundert Dollar einbringen mussten.

Der Tierbändiger holte jetzt seinen Totschläger, eine Peitsche, deren Knauf eine Explosionskugel enthielt. Griff das Tier ihn an, so bedurfte es nur eines kräftigen Hiebes, den Panther abzuwehren.

„Ich traue selbst einem Totschläger nicht“, meinte Old Firehand zu dem Schwarzen Tom. „Ich will das Wagnis erst dann loben, wenn es gelungen ist.“

Der Bändiger hielt eine kurze Ansprache an die Zuschauer, öffnete dann die schweren Riegel des Käfigs und schob das schmale Gitter, das die Tür bildete, zur Seite. Um einzutreten, musste er sich bücken. Dabei brauchte er beide Hände, um die Tür zu halten und sie dann, wenn er sich im Käfig befand, wieder zu schließen. Deshalb hatte er den Totschläger zwischen die Zähne genommen, war also, wenn auch nur für diesen kurzen Augenblick, wehrlos. Zwar war er schon oft bei dem Panther im Käfig gewesen, aber unter ganz anderen Umständen. Da war das Tier nicht tagelang im Dunkeln gewesen, es hatten sich nicht so viele Menschen in der Nähe befunden und es hatte auch nicht das Stampfen der Maschine gegeben. Diese Umstände waren weder von dem Tierbudenbesitzer noch von dem Bändiger in Betracht gezogen worden und nun zeigten sich die Folgen.

Als der Panther das Geräusch des rasselnden Gitters hörte, blickte er auf. Soeben schob der Bändiger den gesenkten Kopf hinein – eine gedankenschnelle Bewegung des Raubtiers und es hatte den Kopf, aus dessen Mund der Totschläger herabfiel, im Rachen und zerkrachte ihn mit einem einzigen Biss zu Splittern und Brei.

Das Geschrei, das sich jetzt vor dem Käfig erhob, spottete jeder Beschreibung. Alles sprang auf und rannte zeternd davon. Nur drei blieben, der Schaubudenbesitzer, Old Firehand und der Schwarze Tom. Der Erste wollte die Tür des Käfigs zuschieben, aber das war unmöglich, da sich die Leiche halb drinnen, halb draußen befand. Dann wollte er den Toten bei den Beinen fassen und herausziehen.

„Um Gottes willen, das nicht!“, rief Old Firehand. „Der Panther käme hinterdrein. Schiebt den Körper vollends hinein. Es lässt sich nicht vermeiden. Dann geht die Tür zu!“

Der Panther lag vor der kopflosen Leiche. Die Knochensplitter im blutig geifernden Rachen, hielt er die funkelnden Augen auf den Schaubudenbesitzer gerichtet. Er schien dessen Absicht zu erraten, denn er fauchte zornig und kroch auf der Leiche vor. Sein Kopf war jetzt nur noch wenige Zentimeter von der Türöffnung entfernt.

„Fort, fort! Er kommt heraus!“, rief Old Firehand. „Tom, Euer Gewehr! Ein Revolver würde das Übel nur ärger machen!“

Seit dem Augenblick, da der Bändiger den Kopf in den Käfig gesteckt hatte, waren kaum zehn Sekunden vergangen. Der gesamte untere Schiffsraum bildete einen Wirrwarr von fliehenden und vor Angst schreienden Menschen. Die Gänge zwischen den Maschinen, Kesseln und Frachten waren verstopft. Man duckte sich hinter Fässern und Kisten nieder und sprang doch wieder auf, weil man sich da nicht sicher fühlte.

Der Kapitän eilte zur Treppe und drängte sich hinauf, um Ordnung zu schaffen. Old Firehand folgte ihm. Der Tierbudenbesitzer flüchtete nach der Hinterwand des Käfigs. Der Schwarze Tom rannte nach seinem Gewehr. Unterwegs fiel ihm ein, dass er es mit dem Beil zusammengebunden hatte, es also nicht augenblicklich gebrauchen konnte. Er riss dem alten Indsman das Gewehr aus der Hand.

„Selbst schießen“, sagte der Rote, seine Hand nach der Waffe ausstreckend.

„Lass mich!“, herrschte ihn der Bärtige an. „Ich schieße jedenfalls besser als du!“

Er drehte sich zu dem Panther um. Das Tier hatte den Käfig soeben verlassen, hob den Kopf und brüllte. Der Schwarze Tom legte an und drückte ab. Der Schuss krachte, aber die Kugel traf nicht. Hastig riss er nun auch dem jungen Indianer das Gewehr aus der Hand und gab die Ladung auf das Tier ab – leider mit demselben Misserfolg.

„Schlecht schießen. Gewehr nicht kennen“, sagte der Große Bär so ruhig, als säße er in seinem sicheren Wigwam.

Der Deutsche beachtete diese Worte nicht. Er warf das Gewehr weg und eilte weiter nach vorn, wo die Gewehre der Leute des Cornel lagen. Diese Gentlemen hatten keine Lust gehabt, den Kampf mit dem Tier aufzunehmen, und hatten sich schleunigst versteckt.

Da ertönte in der Nähe der Treppe ein entsetzlicher Schrei. Eine Dame wollte sich dort hinauf retten. Der Panther sah sie. Er duckte sich und sprang in langen, weiten Sätzen auf sie zu. Sie befand sich noch unten, während Old Firehand auf der fünften oder sechsten Stufe stand. Im Nu hatte er sie erfasst, schwang sie zu sich empor und hob sie mit starken Armen über sich hinweg, wo sie der Kapitän in Empfang nahm. Das war das Werk eines Augenblicks gewesen und nun war der Panther an der Treppe. Er setzte die beiden Vordertatzen auf eine der Stufen und zog schon den Körper zusammen, um sich zu Old Firehand hinaufzuschnellen. Der versetzte ihm einen gewaltigen Fußtritt auf die Nase und feuerte ihm dann die restlichen Kugeln seines Revolvers gegen den Kopf.

Diese Art der Abwehr war eigentlich lächerlich. Mit einem Fußtritt und einigen Revolverkugeln schreckt man keinen schwarzen Panther zurück. Doch Old Firehand besaß kein wirksameres Verteidigungsmittel. Er war überzeugt, dass das Tier ihn nun packen werde. Aber das geschah nicht, sondern der Panther drehte langsam den Kopf zur Seite, als wollte er sich besinnen. Hatten ihn die aus solcher Nähe abgeschossenen Kugeln, die freilich kaum millimetertief in seine harte Schädeldecke eingedrungen sein konnten, in eine Art Betäubung versetzt? Oder war ihm der Tritt auf die empfindliche Nase zu schmerzhaft gewesen? Kurz und gut, er richtete die Augen nicht mehr auf Old Firehand, sondern nach vorn, wo jetzt ein etwa dreizehnjähriges Mädchen stand, unbeweglich, wie vom Schreck gelähmt, beide Arme nach der Treppe ausgestreckt. Sein helles, weithin leuchtendes Gewand fiel dem Panther auf. Er ließ die Tatzen von der Treppe, wendete sich ab und schnellte sich mit langen Sätzen auf das Mädchen zu.

Alle, die den Vorgang beobachteten, schrien auf, aber niemand konnte helfen. Niemand? Doch, einer! Und zwar derjenige, dem man eine solche Kühnheit und Geistesgegenwart wohl am allerwenigsten zugetraut hatte, nämlich der junge Indianer.

Er stand mit seinem Vater ungefähr zehn Schritt von dem Mädchen entfernt. Als er die furchtbare Gefahr bemerkte, blitzten seine Augen auf. Er sah nach rechts und links, wie nach einem Rettungsweg suchend. Dann ließ er die Zuñidecke von den Schultern fallen und rief seinem Vater in der Sprache der Tonkawa zu: „Tschauál aina; schai schoyana – tritt zurück; ich werde schwimmen!“

Der Tonkawa sprang mit zwei Sätzen auf das Mädchen zu, ergriff es am Gürtel, schnellte mit ihm auf die Reling[5] zu und schwang sich hinauf. Dort blieb er stehen, um zurückzublicken. Der Panther war hinter ihm und setzte soeben zum letzten Sprung an. Kaum hatten die Pranken des Tieres den Boden verlassen, so flog der junge Indianer in seitlicher Richtung, um nicht in Reichweite des Tieres ins Wasser zu kommen, von der Reling in den Fluss hinab. Das Wasser schlug über ihm und seiner Last zusammen. Zugleich schoss der Panther, dessen Sprungkraft so groß war, dass er sich nicht zu halten vermochte, über das Geländer hinaus und hinunter in den Strom.

„Stopp, stopp auf der Stelle!“, befahl der Kapitän geistesgegenwärtig.

Der Maschinist hatte den Ruf aufgefangen und gab Gegendampf. Der Steamer stoppte und lag still, indem die Räder nur so viel Wasser griffen, wie nötig war, die Rücktrift zu vermeiden.

Da die Gefahr für die Fahrgäste jetzt vorüber war, eilten alle aus den verschiedenen Verstecken hervor und an das Geländer. Der Vater des Kindes aber schrie mit überlauter Stimme: „Tausend Dollar für die Rettung meiner Tochter, zweitausend, dreitausend, fünftausend Dollar!“

Niemand hörte auf ihn. Alle beugten sich über die Reling, um in den Fluss hinabzusehen. Da lag der Panther auf dem Wasser und spähte nach der Beute aus – vergeblich.

„Sie sind ertrunken, in die Räder gekommen!“, jammerte der Vater.

Gleich darauf aber tönte vom andern Bord die schallende Stimme des alten Indianers herüber: „Nintropan-homosch klug gewesen. Unter Schiff wegschwimmen, damit Panther nicht sehen. Hier unten sein!“

Alles rannte nun nach Steuerbord und der Kapitän befahl, Taue auszuwerfen. Ja wirklich, da unten, hart an der Schiffswand, schwamm langsam auf dem Rücken, um nicht abgetrieben zu werden, der Kleine Bär und hatte sich das bewusstlose Mädchen quer über den Leib gelegt. Taue waren schnell zur Hand; sie wurden hinabgelassen. Der Knabe befestigte eines unter den Armen des Mädchens und schwang sich selbst an einem zweiten behänd an Bord.

Er wurde mit brausendem Jubel begrüßt, schritt jedoch stolz davon, ohne ein Wort zu verlieren. Aber als er an dem Cornel, der auch mit zugesehen hatte, vorüberkam, blieb er stehen und sagte so laut, dass jedermann es hörte: „Nun, fürchtet sich Tonkawa vor kleiner, räudiger Katze? Cornel ist ausgerissen mit all seinen Helden. Tonkawa aber hat Panther auf sich gelenkt, um Mädchen und Fahrgäste zu retten. Cornel bald noch mehr von Tonkawa hören!“

Die Gerettete war am Seil heraufgezogen worden und wurde in ihre Kabine getragen. Da streckte der Lotse die Hand nach Backbord aus und rief herunter: „Seht den Panther, seht das Floß!“

Jetzt sprangen alle wieder auf die andere Seite hinüber, wo sich ihnen ein neues, aufregendes Schauspiel bot. Ein kleines, aus Strauchwerk und Schilf gefertigtes Floß, worauf zwei Gestalten saßen, hielt da vom rechten Flussufer gerade auf den Steamer zu. Die zwei arbeiteten mit Rudern, die aus Zweigen notdürftig hergestellt waren. Die eine Person war ein Knabe, die andre schien ein eigenartig gekleidetes Frauenzimmer zu sein. Man sah eine Kopfbedeckung, ähnlich einer altertümlichen Haube, und darunter ein volles, rotwangiges Gesicht mit kleinen Äuglein. Die übrige Gestalt steckte in einem weiten Sack, dessen Schnitt und Form nicht zu bestimmen war. Der Schwarze Tom stand neben Old Firehand und fragte ihn: „Sir, kennt Ihr diese Frau?“

„Nein. Ist sie denn so berühmt, dass ich sie kennen müsste?“

„Allerdings. Sie ist nämlich gar keine Frau, sondern ein Mann, ein Präriejäger und Fallensteller. Und da kommt der Panther! Nun werdet Ihr sehen, was eine Frau, die ein Mann ist, zu leisten vermag.“

Er beugte sich über die Reling und rief hinüber: „Hallo, Tante Droll, aufgepasst! Der will Euch fressen.“

Das Floß war ungefähr noch fünfzig Schritt vom Steamer entfernt. Der Panther war, nach seiner Beute suchend, immer an der Seite des Schiffes hin und her geschwommen. Jetzt sah er das Floß und hielt darauf zu. Die auf dem Fahrzeug sitzende Frau blickte zum Deck empor, erkannte den, der sie angerufen hatte, und antwortete mit hoher Fistelstimme:

„Good luck, Ihr seid es, Tom? Freue mich sehr, Euch zu treffen, wenn es nötig ist! Was für ein Tier ist das?“ – „Ein schwarzer Panther, der von Bord gesprungen ist. Macht Euch davon! Schnell, schnell!“ – „Oho! Tante Droll reißt vor niemand aus, auch nicht vor einem Panther, mag er schwarz, blau oder grün aussehen. Darf man das Vieh erschießen?“ – „Natürlich! Aber Ihr bringt es wohl kaum fertig. Es gehört einem Tierbändiger, ist jedoch wieder wild geworden. Flieht auf die andre Seite des Schiffes!“

Die närrische Gestalt schien einen Spaß daran zu finden, mit dem Panther Haschen zu spielen. Sie führte das zerbrechliche Ruder mit wahrer Meisterschaft und wusste dem Tier mit erstaunlicher Geschicklichkeit auszuweichen. Dabei rief sie mit ihrer Fistelstimme herauf: „Werde es schon fertig bringen, alter Tom!“

Der Mann, der aussah wie eine Frau, zog das Ruder ein und griff zur Büchse, die neben ihm lag. Floß und Panther näherten sich einander schnell. Das Raubtier blickte mit weit offenen, starren Augen auf den Feind, der das Gewehr hob, kurz zielte und zweimal abdrückte. Das Gewehr weglegen, zum Ruder greifen und das Floß zurücktreiben, war das Werk eines Augenblicks. Der Panther war verschwunden. Ein Strudel bezeichnete den Ort seines Todeskampfes. Dann sah man ihn weiter abwärts wieder an der Oberfläche erscheinen, regungslos und tot. Dort trieb er einige Sekunden lang und wurde abermals in die Tiefe gezogen.

„Ein Meisterschuss!“, rief Tom erfreut aus und die Fahrgäste stimmten begeistert bei, nur der Schaubudenbesitzer nicht, der den teuren Panther und seinen Tierbändiger betrauerte.

„Wohin geht dieser Steamer, wenn es nötig ist?“, fragte die abenteuerliche Gestalt vom Fluss herauf.

„So weit, wie er genug Wasser findet“, erwiderte der Kapitän. – „Wir wollen an Bord und haben uns deshalb drüben am Ufer dieses Floß gebaut. Wollt Ihr uns aufnehmen?“ – „Könnt Ihr die Fahrt zahlen, Ma’am[6] oder Sir? Ich weiß wirklich nicht, ob ich Euch als Mann oder als Frau heraufbefördern soll.“ – „Als Tante, Sir. Ich bin nämlich Tante Droll, wenn es nötig ist. Und was den Fahrpreis betrifft, so pflege ich mit gutem Geld oder auch mit Nuggets zu bezahlen.“ – „So kommt an Bord! Wir müssen machen, dass wir von dieser unglückseligen Stelle fortkommen.“

Ein Matrose reichte seinen Arm zum Floß hinüber. Der Knabe, der gleichfalls mit einer Büchse bewaffnet war, erfasste ihn und schwang sich an Bord. Dann warf der andere sein Gewehr über, erhob sich, ergriff ebenfalls die dargebotene Hand, stieß das Floß unter sich fort und turnte flink an Deck, wo er mit großen, erstaunten Blicken empfangen wurde.

2. Die Tramps

„Die Vereinigten Staaten von Nordamerika sind trotz oder vielmehr infolge ihrer demokratischen Einrichtungen der Herd ganz eigenartiger sozialer Landplagen.“

Der Kenner der Zustände dort drüben wird zugeben, dass diese Behauptung eines erfahrenen Geografen berechtigt ist. Man denke nur an die händelsuchenden Loafers und Rowdys und an die so genannten Runners, die es vorzugsweise auf die Einwanderer abgesehen haben. Das Runner-, Loafer- und Rowdytum ist in Amerika sesshaft und wird da, wie es den Anschein hat, auch sesshaft bleiben, allem Vordringen der Zivilisation zum Trotz. Der geeignetste Nährboden aber für Landplagen der genannten Art ist der Wilde Westen mit seinen rechtlosen Zuständen. Hier entwickelte sich das Unwesen der Tramps, der Vertreter des rohesten und brutalsten Vagabundentums.

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