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Bei dieser Ausgabe handelt es sich um Band 3 des sechsteiligen Orientzykluses mit dem Titel "Von Bagdad nach Stambul". Der sogenannte Orientzyklus ist eine Serie von Romanen des Schriftstellers Karl May. Die zugrundeliegenden Erzählungen erschienen, teils mit Unterbrechungen, zwischen 1881 und 1888 in der Zeitschrift "Deutscher Hausschatz in Wort und Bild" bei Friedrich Pustet in Regensburg.
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Seitenzahl: 736
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Im Süden von den großen syrischen und mesopotamischen Wüsteneinöden liegt, vom rothen Meere und von dem persischen Golfe umgeben, die Halbinsel Arabien, welche ihre äußerste Kante weit in das stürmereiche arabisch-indische Meer hinein erstreckt.
An drei Seiten ist dieses Land von einem zwar schmalen, aber außerordentlich fruchtbaren Küstensaume eingefaßt, welcher nach innen zu einer weiten, wüsten Hochebene emporsteigt, deren theils trübselige, theils groteske Landschaftsbilder besonders im Osten durch hohe, unwegsame Gebirgsstöcke abgeschlossen werden, zu denen ganz hauptsächlich die öden Berge von Schammar zu zählen sind.
Dieses Land, dessen Quadratmeilenzahl man heut noch nicht genau anzugeben vermag, wurde im Alterthum eingetheilt in Arabia peträa, in Arabia deserta und in Arabia felix, zu Deutsch: in das peträische, wüste und glückliche Arabien. Wenn noch öfters jetzt gewisse Geographen der Ansicht sind, daß der Ausdruck peträa abzuleiten sei von dem griechisch-lateinischen Worte, das ›Stein, Fels‹ bedeutet, und deßhalb diesen Theil des Landes das ›steinichte‹ Arabien nennen, so beruht das auf einer irrthümlichen Auffassung; dieser Name ist vielmehr zurückzuführen auf das alte Petra, welches die Hauptstadt dieser nördlichsten Provinz des Landes war. Der Araber nennt seine Heimat Dschesirat el Arab, während sie bei den Türken und Persern Arabistan geheißen wird. Die jetzige Eintheilung wird verschieden angegeben; die nomadisirenden Einwohner lassen jedoch nur den einzigen Unterschied der Stämme gelten.
Über diesem Lande wölbt sich ein ewig heiterer Himmel, von welchem des Nachts die Sterne rein und klar herniederblicken; durch die Bergschluchten und über die zum großen Theile noch unerforschten Wüsten-Ebenen schweift der halbwilde Sohn der Steppe auf prachtvollem Pferde oder auf unermüdlichem Kameele. Sein Auge ist überall, denn er lebt mit aller Welt in Streit und Unfrieden, nur mit den Angehörigen seines Stammes nicht. Von einer Grenze bis zur anderen zieht bald der sanfte Hauch einer reinen, milden, bald der rauschende Odem einer trüben, wilden Poesie, welcher den Wanderer überall umweht, wo er nur immer weilen mag. So kommt es, daß man bereits vor langen Jahrhunderten Hunderte von arabischen Dichtern und Dichterinnen kannte, deren Lieder im Munde des Volkes lebten und die mit Hilfe des Griffels für spätere Zeiten festgehalten wurden.
Als Stammvater der echten Araber oder Joktaniden gilt Joktan, der Sohn Hud's, welcher ein Abkömmling Sem's im fünften Gliede war, und dessen Nachkommen das glückliche Arabien und die Küste Tehama bis hinab zum persischen Meerbusen bewohnten. Jetzt suchen viele Stämme eine Ehre darin, von Ismaël, dem Sohne Hagar's, abzustammen.
Dieser Ismaël soll, wie die Sage berichtet, mit seinem Vater Abraham nach Mekka gekommen sein und dort die heilige Kaaba errichtet haben. Das Wahre aber ist, daß die Kaaba von dem Stamme der Koreïschiten gestiftet oder wenigstens ausgebaut wurde. Unter den Heiligthümern, die sie besaß, waren der Brunnen Zem-Zem und der angeblich vom Himmel gefallene schwarze Stein die berühmtesten.
Hierher pilgerten die verschiedenen Stämme der Araber, um da ihre Stamm- oder auch wohl Haus-Götzen aufzustellen und ihnen ihre Opfer und Gebete darzubringen. Daher war Mekka den Arabern das, was Delphi den Griechen und Jerusalem den Juden gewesen ist; es bildete den Mittelpunkt für die weithin zerstreuten Nomaden, die sich ohne denselben in allen Richtungen verloren hätten.
Da sich dieser hochwichtige Punkt im Besitze der Koreïschiten befand, so war dieser Stamm der mächtigste und angesehenste Arabien's und in Folge dessen auch der reichste, weil die von allen Seiten herbeikommenden Pilger nie ohne Geschenke oder werthvolle Handelswaaren anzulangen pflegten.
Ein armer Angehöriger dieses Stammes, Namens Abd Allah, starb im Jahre 570 nach Christus, und einige Monate später, am 20. April 571, der auf einen Montag fiel, gebar seine Witwe Amina einen Knaben, welcher später Mohammed genannt wurde. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der Knabe vorher einen andern Namen getragen hat und erst dann, als seine prophetische Wirksamkeit ihn zu einem hervorragenden Manne machte, den Ehrennamen Mohammed erhielt. Dieser Name wird auch Muhammed, Mohammad und Muhammad geschrieben, und aus Ehrfurcht vor dem Propheten wagt es nie ein Gläubiger, ihn in dieser Fassung zu tragen; das Wort wird dann meist in Mehemmed verwandelt.
Dem Knaben waren von seinem Vater nur zwei Kameele, fünf Schafe und eine abyssinische Sklavin hinterlassen worden, weßhalb er sich zunächst auf den Schutz seines Großvaters Abd-al-Mokalib und nach dessen Tode auf die Unterstützung seiner beiden Oheime Zuheir und Abu Taleb angewiesen sah. Da diese Männer aber nicht viel für ihn thun konnten, so mußte er sich sein Brod als Schafhirtenjunge verdienen. Später wurde er Kameeltreiber und Bogen- und Köcherträger, wobei sich wahrscheinlich sein kriegerischer Sinn entwickelt hat.
Als er fünfundzwanzig Jahre zählte, trat er in den Dienst der reichen Kaufmannswitwe Chadidscha, der er mit solcher Treue und Aufopferung diente, daß sie ihn lieb gewann und ihn zu ihrem Gemahl machte. Das große Vermögen seiner Frau ging ihm aber später verloren. Er lebte nun bis zu seinem vierzigsten Jahre als Kaufmann und Händler. Er kam auf seinen weiten Reisen mit Juden und Christen, mit Bramahnen und Feueranbetern zusammen und gab sich Mühe, ihre Religionen kennen zu lernen. Er litt an der Epilepsie und in Folge dessen an einer Verstimmung des Nervensystems, welche ihn sehr zu Halluzinationen geneigt machte. Seine religiösen Grübeleien waren der Heilung dieser Krankheit nicht sehr förderlich. Er zog sich schließlich gar in eine Höhle zurück, welche in der Nähe von Mekka auf dem Berge Hara lag. Hier hatte er seine ersten Visionen.
Der Kreis der Gläubigen, welcher sich um ihn versammelte, bestand zunächst nur aus seiner Frau Chadidscha, aus seinem Sklaven Zaïd, aus den beiden Mekkanern Othman und Abu Bekr und aus seinem jungen Vetter Ali, der später den Ehrennamen Areth-Allah erhielt und zu den unglücklichsten Helden des Islam gehört.
Dieser Ali, dessen Name auf Deutsch »der Hohe, der Erhabene« bedeutet, war im Jahre 602 geboren und stand bei Muhammed in solchem Ansehen, daß er dessen Tochter Fatime zur Gemahlin erhielt. Als der Prophet im Kreise seiner Familie zum ersten Male seine neuen Glaubenssatzungen vortrug und dann fragte: »Wer unter Euch will mein Anhänger sein?« da schwiegen Alle; nur der junge Ali, begeistert von der gewaltigen Poesie des soeben gehörten Vortrages, rief in lautem, entschlossenem Tone: »Ich will es sein und nimmer von Dir lassen!« Das hat ihm Muhammed niemals vergessen.
Er war ein tapferer, verwegener Kämpfer und hatte großen Theil an der so ungemein schnellen Ausbreitung des Islam. Dennoch wurde er, als Muhammed ohne letztwillige Verfügung starb, übergangen, und man wählte Abu Bekr, den Schwiegervater Mohammed's, zum Khalifen. Diesem folgte im Jahre 634 ein zweiter Schwiegervater des Propheten, Namens Omar, welchem wieder Othman, ein Schwiegersohn Muhammed's, nachfolgte. Dieser wurde im Jahre 656 von einem Sohne Abu Bekr's erstochen. Man beschuldigte Ali der Anstiftung dieses Mordes, und als er von seiner Partei erwählt wurde, verweigerten ihm viele von den Statthaltern die Huldigung. Er kämpfte vier Jahre lang um das Khalifat und wurde im Jahre 660 von Abd-er-Rahmann erstochen. Er liegt in Kufa begraben, wo ihm auch ein Denkmal errichtet worden ist.
Von hier an datirt sich die Spaltung, welche die Muhammedaner in zwei gegnerische Heerlager, in die Sunniten und die Schiiten, theilt. Diese Spaltung bezieht sich weniger auf die islamitischen Glaubenssätze als vielmehr auf die Personalfrage der Nachfolgerschaft. Die Anhänger der Schia behaupten nämlich, daß nicht Abu Bekr, Omar und Othman, sondern nur allein Ali das Recht gehabt hätte, der erste Stellvertreter des Propheten zu sein. Die zwischen den beiden Parteien dann ausgebrochenen Streitigkeiten über die Attribute Gottes, das Fatum, die Ewigkeit des Kuran und die einstige Vergeltung sind nicht als so wesentlich zu betrachten.
Ali hinterließ zwei Söhne, Hassan und Hosseïn. Der Erstere wurde von den Schiiten zum Khalifen erwählt, während die Anhänger der Sunna Muawijah I., den Gründer der Ommajjaden-Dynastie, erkoren. Dieser Letztere verlegte seine Residenz nach Damaskus, machte das Khalifat erblich und erzwang bereits zu seinen Lebzeiten die Anerkennung seines Sohnes Dschezid, der sich später als ein solcher Wütherich zeigte, daß sein Andenken selbst von den Sunniten mit Fluch belegt wird. Hassan konnte sich gegen Muawijah nicht behaupten und starb im Jahre 670 in Medinah an Gift.
Sein Bruder Hosseïn widersetzte sich der Anerkennung Dschezid's. Er ist der Held einer der tragischsten Episoden aus der Geschichte des Islam.
Die Hand des Khalifen Muawijah ruhte schwer auf den Provinzen, und seine Statthalter unterstützten ihn dabei aus allen Kräften. So befahl zum Beispiel Zijad, der Statthalter zu Basra, daß nach Sonnenuntergang sich bei Todesstrafe Niemand auf der Straße sehen lassen dürfe. Am Abend nach der Bekanntmachung dieses Befehles wurden über zweihundert Personen außerhalb ihrer Wohnungen angetroffen und unverzüglich geköpft; am nächsten Tage war die Ziffer schon weit geringer, und am dritten Abend war kein einziger Mensch zu sehen. Der grimmigste aller Ommajjaden war Hadjasch, der Statthalter von Kufa, dessen Tyrannei 120,000 Menschen das Leben kostete.
Noch schlimmer als Muawijah zeigte sich sein Sohn Dschezid. Zur Zeit dieses Scheusales hielt sich Hosseïn in Mekka auf, wo er aus Kufa Boten empfing, welche ihn aufforderten, zu ihnen zu kommen, da sie ihn als Khalifen anerkennen wollten. Er folgte dem Rufe – zu seinem Verderben.
Mit kaum hundert Getreuen langte er vor Kufa an, fand aber die Stadt bereits von seinen Feinden besetzt. Er verlegte sich auf erfolgloses Unterhandeln. Die Lebensmittel gingen ihm aus; das Wasser vertrocknete in dem Sonnenbrande; seine Thiere stürzten, und seinen Begleitern schaute der blasse Tod aus den eingesunkenen fieberfunkelnden Augen. Er rief vergebens Allah und den Propheten um Hülfe und Rettung an; sein Untergang stand ›im Buche verzeichnet‹. Obeïd 'Allah, ein Heerführer Dschezid's, drang bei Kerbela auf ihn ein, massakrirte seine ganze Begleitung und ließ auch ihn selbst umbringen. Man fand ihn aus Mangel an Wasser bereits dem Tode nahe; aber man hatte kein Mitleid mit ihm, und er wehrte sich vergebens mit der letzten Kraft seines schwindenden Lebens – man schnitt ihm den Kopf ab, der auf eine Lanze gesteckt und im Triumphe herumgetragen wurde.
Dies geschah am 10. Muharrem, und bis auf heute ist dieser Tag bei den Schiiten ein Tag der Trauer. In Hindostan trägt man ein Bild von Hosseïn's Kopf auf einer Lanze herum, wie es nach seinem Tode geschah, und ahmt mit einem aus edlen Metallen gefertigten Hufeisen den Lauf seines Renners nach. Am 10. Muharrem ertönt ein Weheschrei von Borneo und Celebes über Indien und Persien bis zum Mogreb Asien's, wo die Schia nur noch zerstreute Anhänger hat, und dann gibt es in Kerbela eine dramatische Vorstellung, welche an Scenen der wildesten Verzweiflung seines Gleichen sucht. Wehe dem Sunniten, wehe dem Giaur, welcher an diesem Tage sich in Kerbela unter der bis zur Tobsucht aufgeregten Rotte der Schiiten sehen lassen wollte! Er würde in Stücke zerrissen! – – –
Diese historische Einleitung mag zum besseren Verständniß des Nachfolgenden dienen.
Wir hatten am Zab den Entschluß gefaßt, den Fluß entlang bis zu den Schirban- und dann den Zibar-Kurden zu reiten. Bis zu den Schirbani hatten wir Empfehlungen vom Bey zu Gumri und von dem Melek in Lizan erhalten, und von da aus hofften wir auf weitere Unterstützung. Die Schirbani nahmen uns gastfreundlich auf, von den Zibari aber wurden wir sehr feindselig empfangen; doch gelang es mir später, mich ihrer Theilnahme zu versichern. Wir kamen glücklich bis zum Akrafluß, stießen aber hier bei der wilden Bergbevölkerung auf eine so große Böswilligkeit, daß wir nach verschiedenen schlimmen Erfahrungen uns nach Südost wenden mußten. Wir überschritten den Zab östlich des Ghara Surgh, ließen Pir Hasan links liegen und sahen uns genöthigt, da wir den dortigen Kurden keineswegs trauen durften, längs des Dschebel Pir Mam nach Südost zu halten, um dann nach rechts umzubiegen und irgendwo zwischen dem Diyaleh und kleinen Zab den Tigris zu erreichen. Wir hofften, bei den Dscherboa-Arabern gastlich aufgenommen zu werden und sichere Wegweiser zu finden, erfuhren aber zu unserem Leidwesen, daß dieselben sich mit den Obeïde und Beni-Lam verbündet hatten, um alle Stämme zwischen dem Tigris und Thathar die Spitzen ihrer Speere fühlen zu lassen. Nun waren die Schammar zwar mit dem einen Ferkah der Obeïde, dessen Scheik Eslah al Mahem[1] war, befreundet, aber dieser Mann konnte seine Gesinnung geändert haben, und von den andern Ferkah wußte Mohammed Emin genau, daß sie den Haddedihn feindlich gesinnt seien. Unter diesen Umständen war es am gerathensten, unsere Richtung zuerst nach Sulimania zu nehmen und uns dann weiter zu entscheiden. Hatten wir Amad el Ghandur befreit und glücklich bis hierher gebracht, so wollten wir nun lieber einen Umweg einschlagen, als uns wieder in neue Gefahren begeben.
So gelangten wir nach längerer Zeit und mancherlei Anstrengungen und Entbehrungen glücklich an das nördliche Zagrosgebirge.
Es war Abend, und wir lagerten am Rande eines Tschimarwaldes. Über uns wölbte sich ein Firmament, dessen Glanz nur in diesen Gegenden in solcher Reinheit und Kraft zu beobachten ist. Wir befanden uns in der Nähe der persischen Grenze, und die Luft Persien's ist ja wegen ihrer Klarheit berühmt. Das Licht des Planeten war so stark, daß ich, trotzdem der Mond weder im Kalender noch am Himmel stand, die Zeiger meiner Taschenuhr auf drei Schritte Entfernung ganz deutlich erkennen konnte. Lesen hätte ich, selbst bei kleiner Schrift, ganz gut vermocht. Die Strahlen des Jupiter waren so stark, daß seine Trabanten selbst dann mit einem Fernrohre mit ausgeschraubten Gläsern wohl schwerlich zu entdecken gewesen wären, wenn man den Körper des Planeten mit dem Rande des Rohres zu bedecken versucht hätte. Sogar teleskopische Gestirne kamen zum Vorscheine. Der siebente Stern des Siebengestirnes war ohne bedeutende Anstrengung des Auges zu erkennen. Die Klarheit eines solchen Firmamentes macht einen tiefen Eindruck auf das Gemüth, und ich lernte einsehen, warum Persien die Heimat der Astrologie ist, dieser unfrei geborenen Mutter der edlen Tochter, welche uns die leuchtenden Welten des Himmels kennen lehrt.
Unsere Lage ließ uns vorziehen, im Freien zu übernachten. Wir hatten uns im Laufe des Tages von einem Hirten ein Lamm gekauft und brannten uns jetzt ein Feuer an, um das Lamm gleich in der Haut zu braten, nachdem wir es ausgenommen und mit dem Messer geschoren hatten.
Unsere Pferde grasten in der Nähe. Sie waren in der letzten Zeit ganz ungewöhnlich angestrengt worden, und es wäre ihnen eine mehrtägige Ruhe zu gönnen gewesen, was sich leider aber nicht ermöglichen ließ. Wir selbst befanden uns alle wohl, mit Ausnahme eines Einzigen. Dies war Sir David, welcher unter einem großen Ärger zu leiden hatte.
Er war nämlich vor einigen Tagen von einem Fieber befallen worden, welches ungefähr vierundzwanzig Stunden lang anhielt. Dann war es wieder verschwunden, aber mit diesem Verschwinden hatte sich bei ihm jenes schaudervolle Geschenk des Orientes entwickelt, welches der Lateiner Febris Aleppensis, der Franzose aber Mal d'Aleppo oder Bouton d'Alep nennt. Diese ›Aleppobeule‹, welche nicht nur Menschen, sondern auch gewisse Thiere z.B. Hunde und Katzen heimsucht, wird stets von einem kurzen Fieber eingeleitet, nach welchem sich entweder im Gesicht oder auch auf der Brust, an den Armen und Beinen eine große Beule bildet, welche unter Aussickern einer Feuchtigkeit fast ein ganzes Jahr steht und beim Verschwinden eine tiefe, nie wieder verschwindende Narbe hinterläßt. Der Name dieser Beule ist übrigens nicht zutreffend, da die Krankheit nicht nur in Aleppo, sondern auch in der Gegend von Antiochia, Mossul, Diarbekr, Bagdad und in einigen Gegenden Persien's auftritt.
Ich hatte diese verunstaltende Beule schon öfters gesehen, noch niemals aber in der ungewöhnlichen Größe, wie bei unserm guten Master Lindsay. Nicht genug, daß bei ihm die außerordentliche Anschwellung im dunkelsten Roth erglänzte, war sie auch noch so impertinent gewesen, sich just die Nase zu ihrem Sitze auszuwählen – diese arme Nase, welche so schon an einer ganz abnormen Dimension zu leiden hatte. Unser Englishman trug das Übel nicht etwa mit Ergebenheit, wie es seine Pflicht als Gentleman und Vertreter der very great and excellent nation gewesen wäre, sondern er verrieth einen Ärger und eine Ungeduld, deren Ausbrüche oft das Zwergfell der Zuhörer in Mitleidenschaft zog.
Auch jetzt saß er am Feuer und befühlte fortwährend mit beiden Händen die unverschämte Pustel.
»Master!« sagte er zu mir. »Hersehen!«
»Wohin?«
»Hm! Dumme Frage! Auf mein Gesicht natürlich! Yes! Ist wieder gewachsen?«
»Was? Wer?«
»'s death! Diese Beule hier! Viel gewachsen?«
»Sehr! Sieht grad wie eine Gurke.«
»All devils! Schauderhaft! Entsetzlich! Yes!«
»Vielleicht wird's mit der Zeit ein Fowling-bull, Sir!«
»Wollt Ihr eine Ohrfeige haben, Master? Stehe sofort zu Diensten! Wollte, Ihr selbst hättet dieses armselige Swelling auf Eurer Nase!«
»Habt Ihr Schmerzen?«
»Nein.«
»So seid froh!«
»Froh? Zounds! Wie kann ich froh sein, wenn die Leute denken, meine Nase hätte die Snuff-box gleich mit auf die Welt gebracht! Wie lange werde ich dieses Ding haben?«
»Ziemlich ein Jahr, Sir!«
Er machte ein Paar Augen, daß ich vor Schreck beinahe zurückgewichen wäre, zumal das Entsetzen ihm den Mund so weit aufriß, daß die Nase mit sammt der Snuff-box (Schnupftabaksdose) geradewegs hätte hineinspazieren können.
»Ein Jahr? Ein ganzes Jahr? Zwölf ganze Monate?«
»So ungefähr.«
»Oh! Ah! Horrible! Fürchterlich, entsetzlich! Gibt es kein Mittel? Pflaster? Salbe? Brei auflegen? Wegschneiden?«
»Nichts, gar nichts.«
»Aber jede Krankheit hat ihr Mittel!«
»Diese nicht, Sir. Diese Beule ist nicht im Mindesten gefährlich; aber wenn man sie zu zertheilen sucht oder gar ritzt und schneidet, dann kann sie sehr schlimm werden.«
»Hm! Was dann, wenn sie fort ist? Sieht man es noch?«
»Das ist verschieden. Je größer die Beule, desto größer auch das Loch, welches zurückbleibt.«
»My sky! Ein Loch?«
»Leider!«
»O weh! Schauderhaftes Land hier! Miserable Gegend! Werde machen, daß ich nach Old England komme! Well!«
»Nehmt Euch Zeit, Sir!«
»Warum?«
»Was würde man in Altengland sagen, wenn Sir David Lindsay seiner Nase erlaubt, sich eine Filiale anzulegen!«
»Hm! Habt recht, Master! Die Straßenjungen würden mir nachtrollen. Werde also hier bleiben und mich – – –«
»Sihdi!« unterbrach ihn Halef. »Blicke nicht um!«
Ich saß mit dem Rücken gegen den Waldesrand und dachte mir natürlich sofort, daß der kleine Hadschi hinter mir etwas Verdächtiges bemerkt habe.
»Was siehst Du?« frug ich ihn darum.
»Ein Paar Augen. Grad hinter Dir stehen zwei Tschimars, und zwischen ihnen gibt es einen wilden Birnbusch. Dort steckt der Mann, dessen Augen ich gesehen habe.«
»Siehst Du sie noch?«
»Warte!«
Er beobachtete so unauffällig wie möglich den Busch, und ich instruirte unterdessen die Anderen, sich ganz so unbefangen wie vorher zu verhalten.
»Jetzt!« sagte Halef.
Ich erhob mich und gab mir den Anschein, als ob ich dürres Holz für das Feuer suchen wolle. Dabei entfernte ich mich so weit von dem Lager, daß ich nicht mehr gesehen werden konnte. Dann drang ich in den Waldsaum ein und schlich mich zwischen den Bäumen wieder zurück. Es waren nicht fünf Minuten vergangen, so befand ich mich hinter den beiden Tschimarbäumen und fand da allerdings Gelegenheit, das scharfe Auge Halef's zu bewundern. Zwischen den Bäumen und dem Busche kauerte eine menschliche Gestalt, welche unser Treiben am Lagerfeuer beobachtete.
Weßhalb geschah dies? Wir befanden uns hier in einer Gegend, wo in meilenweitem Umkreise kein Dorf zu finden war. Allerdings gab es rund umher verschiedene kleine kurdische Stämme, welche sich bekämpften, und es mochte wohl auch zuweilen geschehen, daß irgend ein persischer Nomadenstamm über die Grenze kam, um einen Raub auszuführen. Dabei gab es genug Umhertreiber, Überreste von vernichteten Stämmen, welche Gelegenheit suchten, sich einem andern Stamme anzuschließen.
Ich durfte nicht trauen; daher schob ich mich ganz leise an den Mann heran und faßte ihn dann rasch bei der Kehle. Er erschrak so sehr, daß er ganz steif wurde und sich auch gar nicht wehrte, als ich ihn in die Höhe nahm und an das Feuer trug.
Dort legte ich ihn nieder und zog den Dolch.
»Mann, rühre Dich nicht, sonst ersteche ich Dich!«
Es war mir gar nicht so grimmig um das Herz, aber der Fremde nahm meine Drohung ernst auf und faltete bittend die Hände.
»Herr, Gnade!«
»Das soll auf Dich ankommen. Belügst Du mich, so bist Du verloren. Wer bist Du?«
»Ich bin ein Turkomane vom Stamme der Bejat.«
Ein Turkomane? Hier? Seiner Kleidung nach konnte er allerdings die Wahrheit gesagt haben. Auch wußte ich, daß es früher Turkomanen zwischen dem Tigris und der persischen Grenze gegeben hatte, und es stimmte, daß es der Stamm Bejat gewesen war. Die lurische Wüste und die Ebene Tapespi waren der Schauplatz ihrer Umherschweifereien gewesen. Aber als Nadir-Schah in das Ejalet Bagdad einfiel, schleppte er die Bejat nach Khorassan. Er nannte diese Provinz wegen ihrer Lage und Beschaffenheit ›das Schwert Persien's‹ und bemühte sich, sie mit tapferen, kriegerischen Bewohnern zu bevölkern.
»Ein Bejat?« frug ich. »Du lügst!«
»Ich sage die Wahrheit, Herr.«
»Die Bejat wohnen nicht hier, sondern im fernen Khorassan.«
»Du hast Recht; aber als sie einst diese Gegend verlassen mußten, so blieben doch Einige zurück, deren Nachkommen sich jetzt so vermehrt haben, daß sie über tausend Krieger zählen. Wir haben unsere Sommerplätze in der Gegend von den Ruinen von Kizzel-Karaba und an den Ufern des Kuru-Tschai.«
Es fiel mir ein, davon gehört zu haben.
»Jetzt befindet Ihr Euch hier in der Nähe?«
»Ja, Herr.«
»Wie viele Zelte zählt Ihr?«
»Wir haben keine Zelte.«
Das mußte mir auffallen. Wenn ein Nomadenstamm sein Lager verläßt, ohne seine Zelte mitzunehmen, so deutet dies gewöhnlich auf einen Raub- oder Kriegszug. Ich frug weiter:
»Wie viele Männer seid Ihr heute?«
»Zweihundert!«
»Und Frauen?«
»Wir haben sie nicht bei uns.«
»Wo lagert Ihr?«
»Nicht weit von hier. Wenn Du dort um die Ecke des Waldes gehest, so bist Du bei uns.«
»So habt Ihr hier unser Feuer bemerkt?«
»Wir sahen es, und der Khan schickte mich ab, um zu erfahren, was für Männer sich hier befinden.«
»Wohin gehet Ihr?«
»Wir gehen nach dem Süden.«
»Welcher Ort ist Euer Ziel?«
»Wir wollen in die Gegend von Sinna.«
»Das ist ja persisch!«
»Ja. Unsere Freunde dort geben ein großes Fest, zu welchem wir geladen sind.«
Das fiel mir auf. Diese Bejat hatten ihren Wohnsitz an den Ufern des Kuru-Tschai und bei den Ruinen von Kizzel-Karaba, also in der Nähe von Kifri; diese Stadt aber lag weit im Südwesten von unserem heutigen Lagerplatz, während Sinna zwei Drittheile derselben Entfernung im Südosten von uns lag. Warum waren die Bejat nicht direkt von Kifri nach Sinna gegangen? Warum hatten sie einen so bedeutenden Umweg gemacht?
»Was thut Ihr hier oben?« frug ich daher. »Warum habt Ihr Euren Weg um das Doppelte verlängert?«
»Weil wir durch das Gebiet des Pascha von Sulimania hätten ziehen müssen, und er ist unser Feind.«
»Aber Ihr befindet Euch hier doch ebenso auf seinem Gebiete!«
»Hier oben sucht er uns nicht. Er weiß, daß wir ausgezogen sind, und glaubt, uns im Süden von seiner Residenz zu finden.«
Dies klang wahrscheinlich, obgleich ich noch immer kein rechtes Vertrauen zu dem Manne hatte. Ich sagte mir jedoch, daß die Anwesenheit dieser Bejat uns nur von Vortheil sein könne. Unter ihrem Schutze konnten wir unangefochten bis nach Sinna kommen, und dann war für uns keine Gefahr mehr zu befürchten. Der Turkomane kam meiner darauf bezüglichen Frage entgegen:
»Herr, Du wirst mich wieder freilassen? Ich habe Euch ja nichts gethan!«
»Du hast nur gethan, was Dir befohlen war; Du bist frei.«
Er athmete erleichtert auf.
»Ich danke Dir, Herr! Wohin sind die Köpfe Eurer Pferde gerichtet?«
»Nach Süden.«
»Ihr kommt von Mitternacht herunter?«
»Ja. Wir kommen aus dem Lande der Tijari, Berwari und Chaldani.«
»So seid Ihr sehr muthige und tapfere Männer. Welchem Stamme gehört Ihr an?«
»Dieser Mann und ich, wir sind Emire aus Frankhistan, und die Andern sind unsere Freunde.«
»Aus Frankhistan! Herr, wollt Ihr mit uns ziehen?«
»Wird Dein Khan mir seine Hand öffnen?«
»Er wird es. Wir wissen, daß die Franken große Krieger sind. Soll ich gehen und ihm von Euch sagen?«
»Gehe und frage ihn, ob er uns empfangen will!«
Er stand auf und eilte davon. Die Andern zeigten sich mit dem, was ich gethan hatte, einverstanden, und besonders Mohammed Emin freute sich darüber.
»Effendi,« sagte er, »ich habe von den Bejat oft gehört. Sie leben mit den Dscherboa, Obeïde und Beni-Lam in immerwährendem Unfrieden, und darum werden sie uns nützlich sein. Dennoch aber wollen wir nicht sagen, daß wir Haddedihn sind; es ist besser, sie wissen es nicht.«
»Auch jetzt müssen wir vorsichtig sein, denn noch wissen wir nicht, ob der Khan uns freundlich aufnehmen wird. Holt die Pferde herbei, und legt Euch die Waffen bereit, um für alle Fälle gerüstet zu sein!«
Die Bejat schienen unsertwegen eine ungewöhnlich lange Berathung zu halten, denn ehe sie ein Lebenszeichen von sich gaben, war unser Lamm gebraten und auch verzehrt. Endlich hörten wir Schritte. Der Turkomane, welcher bei uns gewesen war, erschien mit noch drei Kameraden.
»Herr,« sagte er, »der Khan sendet mich. Ihr sollt zu ihm kommen und uns willkommen sein.«
»So geht voran und führt uns!«
Wir stiegen zu Pferde und folgten ihnen, die Gewehre in der Hand. Als wir die Waldecke hinter uns hatten, war von keinem Lagerplatze etwas zu bemerken; nachdem wir aber einen dichten Gebüschstreifen durchschnitten hatten, erreichten wir einen rings von Sträuchern eingefaßten Platz, auf welchem ein mächtiges Feuer brannte. Dieser Lagerort war sehr gut gewählt, da er von außen her nicht leicht bemerkt werden konnte.
Das Feuer diente nicht zum Erwärmen der Leute, sondern zur Bereitung des Nachtmahles. Zweihundert dunkle Gestalten lagen im Grase umher, und etwas abseits der flackernden Flamme saß der Khan, welcher sich bei unserm Erscheinen langsam erhob. Wir ritten hart an ihn heran und sprangen von den Pferden.
»Friede sei mit Dir!« grüßte ich ihn.
»Mi newahet kjerdem – ich mache mein Kompliment!« antwortete er, indem er sich verbeugte.
Das war persisch. Vielleicht wollte er mir damit beweisen, daß er wirklich ein Bejat sei, dessen Hauptstamm man in Khorassan suchen müsse. Der Perser ist der orientalische Franzose. Seine Sprache ist biegsam und wohlklingend, weßhalb sie auch die Hofsprache der meisten asiatischen Fürsten geworden ist. Aber das höfliche, schmeichelnde und oft kriechende Wesen des Persers hat nie einen vortheilhaften Eindruck auf mich gemacht; die gerade, rauhe Ehrlichkeit des Arabers that mir wohler.
Auch die Andern waren aufgesprungen, und alle Hände streckten sich dienstfertig aus, um sich unserer Pferde zu bemächtigen; doch hielten wir die Zügel fest, da wir noch keineswegs wußten, ob dies gastfreundlich oder hinterlistig gemeint sei.
»Gib ihnen immerhin die Pferde! Sie sollen für dieselben sorgen,« sagte der Khan.
Ich wollte mir gleich Gewißheit verschaffen; darum frug ich, nun auch in persischer Sprache:
»Hesti irschad engiz – gewährst Du uns Sicherheit?«
Er verneigte sich zustimmend und erhob die Hand.
»Mi saukend chordem – ich beschwöre es! Setzt Euch zu mir, und laßt uns reden!«
Die Bejat nahmen die Pferde; nur das meinige blieb in der Hand Halef's, der recht gut wußte, was mir lieb und angenehm war. Wir Andern nahmen bei dem Khan Platz. Die Flamme leuchtete hell auf uns herüber, so daß wir einander ganz genau erkennen konnten. Der Bejat war ein in den mittleren Jahren stehender Mann von sehr kriegerischem Aussehen. Seine Züge waren offen und Vertrauen erweckend, und die achtungsvolle Entfernung, in welcher sich seine Untergebenen von ihm hielten, ließ auf einen ehrliebenden und selbstbewußten Charakter schließen.
»Kennst Du bereits meinen Namen?« erkundigte er sich.
»Nein,« antwortete ich.
»Ich bin Heider Mirlam, der Neffe des berühmten Hassan Kerkusch-Bey. Hast Du von ihm gehört?«
»Ja. Er residirte in der Nähe des Dorfes Dschenijah, welches an der Poststraße von Bagdad nach Tauk liegt. Er war ein sehr tapferer Krieger, aber er liebte dennoch den Frieden, und jeder Verlassene fand guten Schutz bei ihm.«
Er hatte mir seinen Namen gesagt, und nun erforderte es natürlich die Höflichkeit, ihm auch den meinigen zu nennen. Darum fuhr ich fort:
»Dein Kundschafter wird Dir bereits gesagt haben, daß ich ein Franke bin. Man nennt mich Kara Ben Nemsi – – –«
Er konnte trotz der bekannten orientalischen Selbstbeherrschung einen Ausruf des Erstaunens nicht unterdrücken:
»Ajah – oh! Kara Ben Nemsi! So ist dieser andere Mann, der eine rothe Nase hat, der Emir aus Inglistan, welcher Steine und Schriften ausgraben will?«
»Hast Du von ihm gehört?«
»Ja, Herr; Du hast mir nur Deinen Namen genannt, aber ich kenne Dich und ihn. Der kleine Mann, welcher Dein Pferd hält, ist Hadschi Halef Omar, vor dem sich so viele Große fürchten?«
»Du hast es errathen.«
»Und wer sind die beiden Andern?«
»Das sind Freunde von mir, welche ihre Namen in den Kuran legten. Wer hat Dir von uns erzählt?«
»Du kennst Ibn Zedar Ben Huli, den Scheik der Abu Hammed?«
»Ja. Er ist Dein Freund?«
»Er ist nicht mein Freund und nicht mein Feind. Du brauchst Dich nicht zu sorgen; ich habe ihn nicht an Dir zu rächen.«
»Ich fürchte mich nicht!«
»Das glaube ich. Ich traf mit ihm bei Eski Kifri zusammen, und da erzählte er mir, daß Du Schuld bist, daß er Tribut zu zahlen hat. Sei vorsichtig, Herr! Er wird Dich tödten, wenn Du in seine Hände fällst.«
»Ich befand mich in seiner Hand, ohne daß er mich getödtet hat. Ich war Gefangener; aber er konnte mich nicht festhalten.«
»Ich habe es gehört. Du hast den Löwen getödtet, ganz allein und in der Dunkelheit, und bist dann mit der Haut desselben davongeritten. Glaubst Du, daß auch ich Dich nicht halten könnte, wenn Du mein Gefangener wärest?«
Dies klang verdächtig, doch ich antwortete ruhig:
»Du könntest mich nicht halten, und ich wüßte auch nicht, wie Du es anfangen solltest, um mich gefangen zu nehmen.«
»Herr, wir sind Zweihundert, Ihr aber seid nur Fünf!«
»Khan, vergiß nicht, daß zwei Emire aus Frankhistan unter diesen Fünf sind, und daß diese Zwei so viel zählen wie zweihundert Bejat!«
»Du sprichst sehr stolz!«
»Und Du fragst sehr ungastlich! Soll ich an der Wahrheit Deines Wortes zweifeln, Heider Mirlam?«
»Ihr seid meine Gäste, obgleich ich die Namen dieser beiden Männer nicht kenne, und sollt Brod und Fleisch mit mir essen.«
Ein rücksichtsvolles Lächeln umspielte seine Lippen, und der Blick, welchen er auf die beiden Haddedihn warf, sagte mir genug. Mohammed Emin war infolge seines prachtvollen, schneeweißen Bartes unter Tausenden zu erkennen.
Auf einen Wink des Khan wurden einige viereckige Lederstücke herbeigebracht. Auf diesen servirte man uns Brod, Fleisch und Datteln, und als wir ein Weniges davon genossen hatten, wurde uns für unsere Pfeifen Tabak gereicht, für welchen uns der Khan eigenhändig Feuer gab.
Jetzt erst konnten wir uns als seine Gäste betrachten, und ich gab Halef einen Wink, mein Pferd zu den übrigen Rossen zu bringen. Er that dies und nahm dann auch bei uns Platz.
»Welches ist das Ziel Eurer Wanderungen?« erkundigte sich der Khan.
»Wir reiten nach Bagdad zu,« antwortete ich vorsichtig.
»Wir ziehen nach Sinna,« hob er wieder an. »Wollt Ihr mit uns reiten?«
»Wirst Du es erlauben?«
»Ich werde mich freuen, Euch bei mir zu sehen. Komm, reiche mir Deine Hand, Kara Ben Nemsi! Meine Brüder sollen Deine Brüder sein und meine Feinde Deine Feinde!«
Er reichte mir seine Hand entgegen, und ich schlug ein. Er that dasselbe auch mit den Andern, die sich mit mir herzlich freuten, hier so ganz unerwartet einen Freund und Beschützer gefunden zu haben. Wir sollten es später zu bereuen haben. Der Bejat meinte es nicht böse mit uns; aber er glaubte, an uns eine gute Erwerbung gemacht zu haben, die ihm großen Nutzen bringen werde.
»Welche Stämme trifft man von hier bis Sinna?« erkundigte ich mich.
»Hier ist ein freies Land, wo bald dieser und bald jener Stamm seine Heerden weidet; wer der Stärkere ist, der bleibt.«
»Zu welchem Stamme seid Ihr geladen?«
»Zu dem der Dschiaf.«
»So freue Dich Deiner Freunde; denn der Stamm der Dschiaf ist der mächtigste des ganzen Landes! Die Scheik-Ismael, Zengeneh, Kelogawani, Kelhore und sogar die Schenki und Hollali fürchten ihn.«
»Emir, warst Du bereits einmal hier?«
»Noch niemals.«
»Aber Du kennst ja alle Stämme dieser Gegend!«
»Vergiß nicht, daß ich ein Franke bin!«
»Ja, die Franken wissen Alles, selbst das, was sie nicht gesehen haben. Hast Du auch vom Stamme der Bebbeh gehört?«
»Ja. Er ist der reichste Stamm weit und breit und hat seine Dörfer und Zelte in der Umgebung von Sulimania.«
»Du bist recht berichtet. Hast Du Freunde oder Feinde unter ihnen?«
»Nein. Ich bin noch nie mit einem Bebbeh zusammengetroffen. «
»Vielleicht werdet Ihr sie kennen lernen.«
»Werdet Ihr ihnen begegnen?«
»Vielleicht, obgleich wir gern ein Zusammentreffen vermeiden.«
»Kennst Du den Weg nach Sinna ganz genau?«
»Ganz genau.«
»Wie weit ist es von hier bis dahin?«
»Wer ein gutes Pferd hat, der reitet in drei Tagen hin.«
»Und wie weit ist es bis Sulimania?«
»Du kannst es schon in zwei Tagen erreichen.«
»Wann brecht Ihr morgen auf?«
»Sobald die Sonne erscheint. Wünschest Du, zur Ruhe zu gehen?«
»Wie es Dir angenehm ist.«
»Der Wille des Gastes ist Gesetz im Lager, und Ihr seid müde, denn Du hast die Pfeife bereits fortgelegt. Auch der Amasdar macht schon seine Augen zu. Ich gönne Euch die Ruhe.«
»Bejatend schirinkar – die Bejat haben angenehme Sitten. Erlaube, daß wir unsere Decken ausbreiten!«
»Thut es. Allah aramed schumara – Gott gebe Euch Schlaf!«
Auf einen Wink von ihm wurden ihm Teppiche gebracht, aus denen er sich ein Ruhelager bereitete. Meine Gefährten machten es sich so bequem wie möglich; ich aber verlängerte die Zügel meines Pferdes durch den Lasso, dessen Ende ich mir um das Handgelenk band, und legte mich dann außerhalb des Lagerkreises nieder. So konnte der Rappe weiden, und ich war seiner sicher, zumal der Hund an meiner Seite wachte.
So verging eine Weile.
Ich hatte die Augen noch nicht geschlossen, so näherte sich mir Jemand. Es war der Engländer, der seine beiden Decken neben mir niederlegte.
»Schöne Freundschaft das,« brummte er. »Sitze da, verstehe kein Wort! Denke, es soll mir erklärt werden! Da aber macht sich der Kerl aus dem Staube. Hm! Danke sehr!«
»Verzeiht, Sir! Euch hatte ich wahrhaftig vergessen!«
»Mich vergessen! Seid Ihr blind, oder bin ich nicht groß genug?«
»Na, in die Augen fallt Ihr schon, besonders seit Ihr den Leuchtthurm im Gesichte habt. Also was wollt Ihr wissen?«
»Alles! Übrigens mit dem Leuchtthurme, das laßt sein, Master! Was habt Ihr denn mit diesem Scheik oder Khan besprochen?«
Ich erklärte es ihm.
»Well, das ist günstig. Nicht?«
»Ja. Drei Tage lang sicher sein oder nicht, das ist ein Unterschied.«
»Ihr habt also gesagt: nach Bagdad? Meint Ihr das wirklich, Master?«
»Es wäre mir allerdings das Liebste, aber es geht nicht.«
»Warum nicht?«
»Wir müssen zu den Haddedihn zurück, denn Ihr habt Eure Diener noch dort, und sodann fällt es mir auch sehr schwer, mich von Halef zu trennen. Wenigstens verlasse ich ihn nicht eher, als bis ich ihn gesund und sicher bei seinem jungen Weibe weiß.«
»Richtig! Yes! Braver Kerl! Zehntausend Pfund werth. Well! Möchte auch sonst gern wieder hin.«
»Warum?«
»Wegen Fowling-bulls.«
»Oh, Alterthümer sind in der Nähe von Bagdad auch zu finden; zum Beispiel in den Ruinen bei Hillah. Dort hat Babylon gestanden, und es gibt da Trümmerfelder von einem Umkreise von mehreren geographischen Meilen, obgleich Babylon nicht so groß gewesen ist, wie Niniveh.«
»Oh! Ah! Hinreiten! Nach Hillah! Nicht?«
»Darüber läßt sich noch nichts sagen. Die Hauptsache ist zunächst, daß wir den Tigris glücklich erreichen. Das Weitere wird sich dann finden.«
»Schön! Wir gehen aber hin! Yes! Well! Good night!«
»Gute Nacht!«
Der gute Lindsay dachte heute nicht, daß wir eher und unter ganz andern Umständen, als er jetzt meinte, nach jenen Gegenden kommen würden. Er wickelte sich in seine Decke und ließ bald ein lautes Schnarchen vernehmen. Auch ich schlief ein, gewahrte aber vorher, daß vier Männer von den Bejat sich zu Pferde setzten und fortritten.
Als ich erwachte, graute der Tag, und einzelne der Turkomanen waren bereits mit ihren Pferden beschäftigt. Halef, der auch schon munter war, hatte gleichfalls am Abend das Wegreiten der vier Bejat bemerkt und meldete es mir nun. Dann frug er:
»Sihdi, warum senden sie Boten fort, wenn sie es ehrlich mit uns meinen?«
»Ich glaube nicht, daß diese Vier just unsertwegen fortgeritten sind. Wir wären ja auch so schon vollständig in der Gewalt des Khan, wenn er Übles gegen uns vorhätte. Sorge Dich nicht, Halef!«
Ich dachte mir, daß die Reiter wegen der Gefährlichkeit der Gegend als Kundschafter vorausgeschickt worden seien, und hatte damit auch wirklich das Richtige getroffen, wie ich auf meine Erkundigung von Heider Mirlam selbst erfuhr.
Nach einem sehr schmalen Frühstück, welches nur aus einigen Datteln bestand, brachen wir auf. Der Khan hatte seine Leute in einzelne Trupps getheilt, welche sich in Abständen von einer Viertelstunde folgten. Er war ein kluger, vorsichtiger Mann, der für die Sicherheit der Seinen nach besten Kräften sorgte.
Wir ritten ohne Rast bis Mittag. Als die Sonne am höchsten stand, machten wir Halt, um unsern Pferden die nöthige Ruhe zu gönnen. Wir waren während unseres Rittes auf keinen einzigen Menschen gestoßen und hatten an gewissen Stellen, an Büschen, Bäumen oder am Boden Zeichen der vier vorausgesandten Reiter gefunden, welche uns dadurch die Richtung angaben, der wir folgen mußten.
Diese Richtung war mir räthselhaft. Von unserm gestrigen Ruheplatze aus hatte Sinna im Südosten gelegen, aber anstatt in Folge dessen diese Richtung einzuhalten, waren wir fast ganz genau noch Süd geritten.
»Du wolltest zu den Dschiaf?« erinnerte ich den Khan.
»Ja.«
»Dieser wandernde Stamm befindet sich jetzt in der Gegend von Sinna?«
»Ja.«
»Aber wenn wir so fortreiten, kommen wir nie nach Sinna, sondern nach Banna oder gar Nweizgieh!«
»Willst Du sicher reisen, Herr?«
»Das versteht sich!«
»Wir auch. Und aus diesem Grunde ist es gerathen, daß wir die feindlichen Stämme umgehen. Wir werden noch bis heut Abend sehr scharf zu reiten haben und dann können wir uns ausruhen; denn wir müssen morgen erwarten, daß der Weg nach Ost frei wird.«
Diese Erklärung wollte mir nicht ganz einleuchten; aber es war mir nicht möglich, seine Gründe zu widerlegen, und so schwieg ich.
Nach einer zweistündigen Ruhe brachen wir wieder auf. Unser Ritt war ein sehr scharfer, und ich bemerkte, daß er uns oft im Zickzack führte; es hatte also viele Punkte gegeben, von denen uns die vier Kundschafter fernhalten wollten.
Gegen Abend mußten wir eine hohlwegähnliche Tiefung durchreiten. Ich befand mich an der Seite des Khans, welcher bei der vordersten Abtheilung war. Wir hatten diese Stelle fast zurückgelegt, als wir auf einen Reiter trafen, dessen bestürztes Gesicht uns verrieth, daß er nicht gedacht hatte, hier an diesem Orte Fremden zu begegnen. Er drängte sein Pferd zur Seite, senkte die lange Lanze und grüßte:
»Sallam!«
»Sallam!« antwortete der Khan. »Wohin geht Dein Weg?«
»In den Wald. Ich will mir ein Berg-Schaf erjagen.«
»Zu welchem Stamme gehörst Du?«
»Ich bin ein Bebbeh.«
»Wohnest Du, oder wanderst Du?«
»Wir wohnen zur Zeit des Winters; im Sommer aber führen wir unsere Heerden zur Weide.«
»Wo wohnest Du im Winter?«
»In Nweizgieh. Im Südost von hier. In einer Stunde kannst Du es erreichen. Meine Gefährten werden Euch gern willkommen heißen.«
»Wie viel Männer seid Ihr?«
»Vierzig, und bei andern Heerden sind noch mehr.«
»Gib mir Deine Lanze!«
»Warum?« frug der Mann erstaunt.
»Und Deine Flinte!«
»Warum?«
»Und Dein Messer! Du bist mein Gefangener!«
»Maschallah!«
Dieses Wort war ein Ausruf des Schreckens. Sogleich aber blitzte es in seinen scharfen Zügen auf; er riß sein Pferd empor, warf es herum und sprengte zurück.
»Fange mich!« hörten wir noch den Ruf des schnell handelnden Mannes.
Da nahm der Khan seine Flinte zur Hand und legte auf den Fliehenden an. Ich hatte kaum Zeit, den Lauf zur Seite zu schlagen, so krachte der Schuß. Natürlich ging die Kugel an ihrem Ziele vorüber. Der Khan hob die Faust gegen mich, besann sich aber sofort eines Besseren.
»Khyjangar! Was thust Du?« rief er zornig.
»Ich bin kein Verräther,« antwortete ich ruhig. »Ich will nicht haben, daß Du eine Blutschuld auf Dich ladest.«
»Aber er mußte sterben! Wenn er uns entkommt, so müssen wir es büßen.«
»Lässest Du ihm das Leben, wenn ich ihn Dir bringe?«
»Ja. Aber Du wirst ihn nicht fangen!«
»Warte!«
Ich ritt dem Flüchtigen nach. Er war nicht mehr zu sehen; aber als ich die Schlucht hinter mir hatte, bemerkte ich ihn. Vor mir lag eine mit weißem Crocus und wilden Nelken bewachsene Ebene, jenseits welcher die dunkle Linie eines Waldes sichtbar wurde. Wenn ich ihn den Wald erreichen ließ, so war er wohl für mich verloren.
»Rih!« rief ich, indem ich meinem Rappen die Hand zwischen die Ohren legte. Das brave Thier war längst nicht mehr bei vollen Kräften; auf dieses Zeichen hin aber flog es über den Boden, als ob es Wochenlang ausgeruht habe. In zwei Minuten war ich dem Bebbeh um zwanzig Pferdelängen nahe gekommen.
»Halt!« rief ich ihm zu.
Dieser Mann war sehr muthig. Statt weiter zu fliehen oder zu halten, warf er sein Pferd auf den Häcksen herum und kam mir entgegen. Im nächsten Augenblick mußten wir zusammenprallen. Ich sah ihn die Lanze heben und griff zu dem leichten Stutzen. Da nahm er sein Pferd um einige Zoll nur auf die Seite. Wir sausten an einander vorüber; die Spitze seines Speeres war auf meine Brust gerichtet; ich parirte glücklich, nahm aber sofort mein Pferd herum. Er hatte eine andere Richtung eingeschlagen und suchte zu entkommen. Warum bediente er sich nicht seiner Flinte? Auch war sein Pferd zu wenig schlecht, als daß ich es unter ihm hätte erschießen mögen. Ich nahm den Lasso von der Hüfte, befestigte das eine Ende desselben am Sattelknopfe und legte dann den langen, unzerreißbaren Riemen in die Schlingen. Er blickte sich um und sah mich näher kommen. Er hatte wohl noch nie von einem Lasso gehört und wußte also auch nicht, wie man dieser so gefährlichen Waffe entgehen kann. Zur Lanze schien er kein Vertrauen mehr zu haben, denn er nahm sein langes Gewehr, dessen Kugel ja nicht zu pariren war. Ich maß die Entfernung scharf mit dem Auge, und grad, als er den Lauf erhob, schwirrte der Riemen durch die Luft. Kaum hatte ich mein Pferd zur Seite genommen, so fühlte ich einen Ruck: ein Schrei erscholl, und ich hielt an – der Bebbeh lag mit umschlungenen Armen am Boden. Einen Augenblick später stand ich bei ihm.
»Hast Du Dir wehe gethan?«
Diese meine Frage mußte unter den gegenwärtigen Umständen allerdings wie Hohn klingen. Er suchte seine Arme zu befreien und knirschte:
»Räuber!«
»Du irrst! Ich bin kein Räuber; aber ich wünsche, daß Du mit mir reitest.«
»Wohin?«
»Zum Khan der Bejat, dem Du entflohen bist.«
»Der Bejat? Also gehören die Männer, welche ich traf, zu diesem Stamme! Und wie heißt der Khan?«
»Heider Mirlam.«
»Oh, nun weiß ich Alles. Allah möge Euch verderben, die Ihr doch nur Diebe und Schufte seid!«
»Schimpfe nicht! Ich verspreche Dir bei Allah, daß Dir nichts geschehen soll!«
»Ich bin in Deiner Gewalt und muß Dir folgen.«
Ich nahm ihm das Messer aus dem Gürtel und hob die Lanze und die Flinte vom Boden; sie waren ihm beim Sturze entfallen. Dann löste ich den Riemen und stieg schnell zu Pferde, um auf Alles gefaßt zu sein. Er schien keinen Gedanken an Flucht zu hegen, sondern pfiff seinem Pferde und schwang sich auf.
»Ich traue Deinem Worte,« sagte er. »Komm!«
Wir galoppirten neben einander zurück und fanden die Bejat am Ausgange der Vertiefung auf uns warten. Als Heider Mirlam den Gefangenen erblickte, klärte sich sein finsteres Gesicht auf.
»Herr, Du bringst ihn wirklich!« rief er.
»Ja, denn ich habe es Dir versprochen. Aber ich habe ihm mein Wort gegeben, daß ihm nichts geschehen soll. Hier sind seine Waffen!«
»Er soll später Alles wieder haben, jetzt aber bindet ihn, damit er nicht entfliehen kann!«
Diesem Befehle wurde sogleich Gehorsam geleistet. Unterdessen war die zweite unserer Abtheilungen herangekommen, und ihr wurde der Gefangene mit dem Bedeuten übergeben, ihn zwar gut zu behandeln, ihn aber ebenso gut zu bewachen. Dann wurde der unterbrochene Ritt fortgesetzt.
»Wie ist er in Deine Gewalt gekommen?« frug der Khan.
»Ich habe ihn gefangen,« antwortete ich kurz; denn ich war verstimmt über sein Verhalten.
»Herr, Du zürnst,« meinte er; »Du wirst aber noch erkennen, daß ich so handeln mußte.«
»Ich hoffe es!«
»Dieser Mann darf nicht ausplaudern, daß die Bejat in der Nähe sind.«
»Wann wirst Du ihn entlassen?«
»Sobald es ohne Gefahr geschehen kann.«
»Bedenke, daß er eigentlich mir gehört. Ich hoffe, daß mein ihm gegebenes Wort nicht zu Schanden werde!«
»Was würdest Du thun, wenn das Gegentheil geschähe?«
»Ich würde einfach Dich –«
»Tödten?« fiel er mir in die Rede.
»Nein. Ich bin ein Franke, das heißt, ich bin ein Christ; ich tödte nur dann einen Menschen, wenn ich mein Leben gegen ihn vertheidigen muß. Ich würde Dich also nicht tödten, aber ich würde die Hand, mit welcher Du Dein Versprechen mir bekräftigt hast, zu Schanden schießen. Der Emir der Bejat wäre dann wie ein Knabe, der kein Messer zu führen versteht, oder wie ein altes Weib, auf dessen Stimme nichts gegeben wird.«
»Herr, wenn mir das ein Anderer sagte, so würde ich lachen; Euch aber traue ich es zu, daß Ihr mich mitten unter meinen Kriegern angreifen würdet.«
»Allerdings thäten wir das! Es ist Keiner unter uns, der sich vor Deinen Bejat fürchten möchte.«
»Auch Mohammed Emin nicht?« erwiederte er lächelnd.
Ich sah mein Geheimniß verrathen, aber ich antwortete gleichmüthig:
»Auch er nicht.«
»Und Amad el Ghandur, sein Sohn?«
»Hast Du jemals vernommen, daß er ein Feigling sei?«
»Nie! Herr, wäret Ihr nicht Männer, so hätte ich Euch nicht bei uns aufgenommen; denn wir reiten auf Wegen, welche gefährlich sind. Ich wünsche, daß wir sie glücklich vollenden!«
Der Abend brach herein, und eben, als es so dunkel wurde, daß es die höchste Zeit zum Lagern war, gelangten wir an einen Bach, welcher aus einem Labyrinth von Felsen in das Freie sich ergoß. Dort lagerten die vier Bejat, welche uns vorausgeritten waren. Der Khan stieg ab und trat zu ihnen, um sich längere Zeit leise mit ihnen zu unterhalten.
Warum that er so heimlich? Hatte er etwas vor, was nur sie allein wissen durften? Endlich gebot er seinen Leuten, abzusteigen. Einer der Vier schritt uns voran, in das Felsengewirr hinein. Wir führten die Pferde hinter uns und gelangten nach einiger Zeit in eine große, ganz von Felsen eingeschlossene freie Rundung. Dieser Ort war das sicherste Versteck, welches jemals gefunden werden konnte, freilich viel zu klein für zweihundert Mann und deren Pferde.
»Bleiben wir hier?« frug ich.
»Ja,« antwortete Heider Mirlam.
»Aber nicht Alle!«
»Nur vierzig; die Andern werden in der Nähe lagern.«
Diese Antwort mußte mich zufrieden stellen; nur wunderte es mich, daß trotz der Sicherheit unserer Lage kein Feuer angebrannt wurde. Dies fiel auch den Gefährten auf.
»Schöner Platz!« sagte Lindsay. »Kleine Arena. Nicht?«
»Allerdings.«
»Aber feucht und kalt hier am Wasser. Warum nicht Feuer anmachen?«
»Weiß es nicht. Vielleicht sind feindliche Kurden in der Nähe.«
»Was aus ihnen machen? Niemand kann uns sehen. Hm! Gefällt mir nicht!«
Er warf einen zweifelhaften Blick auf den Khan, welcher mit dem sichtlichen Bestreben, von uns nicht gehört zu werden, zu seinen Leuten redete. Ich setzte mich zu Mohammed Emin, welcher auf diese Gelegenheit gewartet zu haben schien, denn er frug mich sofort:
»Emir, wie lange bleiben wir bei diesen Bejat?«
»So lange es Dir beliebt.«
»Ist es Dir recht, so trennen wir uns morgen von ihnen.«
»Warum?«
»Ein Mann, der die Wahrheit verschweigt, ist kein guter Freund.«
»Hältst Du den Khan für einen Lügner?«
»Nein; aber ich halte ihn für einen Mann, der nicht Alles sagt, was er denkt.«
»Er hat Dich erkannt.«
»Ich weiß es; ich habe es an seinen Augen gesehen.«
»Nicht bloß Dich, sondern auch Amad el Ghandur.«
»Das ist leicht zu denken, da mein Sohn die Züge seines Vaters trägt.«
»Macht Dir dies vielleicht Sorgen?«
»Nein. Wir sind Gäste der Bejat geworden, und sie werden uns nicht verrathen. Aber warum haben sie diesen Bebbeh gefangen genommen?«
»Damit er unsere Anwesenheit nicht verrathen kann.«
»Warum soll sie nicht verrathen werden, Emir? Was haben zweihundert bewaffnete und gut berittene Reiter zu fürchten, wenn sie keinen Troß bei sich haben, weder Weib noch Kind, weder Kranke noch Greise, weder Zelte noch Heerden? In welcher Gegend befinden wir uns, Effendi?«
»Wir sind inmitten des Gebietes der Bebbeh.«
»Und er wollte zu den Dschiaf? Ich habe wohl bemerkt, daß wir immer gegen Mittag ritten. Warum theilt er heute die Leute in zwei Lager? Emir, dieser Heider Mirlam hat zwei Zungen, obgleich er es ehrlich mit uns meint. Wenn wir uns morgen von ihm trennen wollen, welchen Weg schlagen wir dann ein?«
»Wir haben die Berge des Zagros zu unserer Linken. Die Distriktshauptstadt Banna liegt ganz in unserer Nähe, wie ich vermuthe. Geht man an ihr vorüber, so kommt man nach Amehdabad, Bija, Surene und Bayendereh. Hinter Amehdabad öffnet sich ein Paß, welcher durch einsame Schluchten und Täler nach Kizzelzieh führt. Dort hat man die Hügel von Girzeh und Sersir zur Rechten, ebenso die kahlen Berge von Kurri-Kazhaf; man gelangt an die beiden Wasserläufe Bistan und Karadscholan, welche sich mit dem Kizzelzieh vereinigen und in den Kiuprisee fallen. Haben wir diesen erreicht, so sind wir geborgen. Dieser Weg ist freilich beschwerlich.«
»Woher weißt Du dies?«
»Ich habe in Bagdad mit einem Bulbassi-Kurden gesprochen, welcher mir diese Gegend so gut beschrieb, daß ich mir eine kleine Karte anfertigen konnte. Ich glaubte nicht, sie brauchen zu können, habe sie aber doch hier in mein Günteste gezeichnet.«
»Und Du meinst, daß es gut sei, diesen Weg einzuschlagen?«
»Ich habe mir auch andere Orte, Berge und Flüsse aufgezeichnet, halte diesen Weg aber für den besten. Wir könnten entweder nach Sulimania oder über Mik und Doweiza nach Sinna reiten, wissen aber nicht, welche Aufnahme wir dort finden.«
»So bleibt es dabei: – wir trennen uns morgen von den Bejat und ziehen über die Berge nach dem See von Kiupri. Wird Dich Deine Karte nicht täuschen?«
»Nein, wenn mich der Bulbassi nicht getäuscht hat.«
»So laß uns ruhen und schlafen! Die Bejat mögen thun, was ihnen beliebt.«
Wir tränkten unsere Pferde am Bache und sorgten für das nothwendige Futter. Dann legten sich die Andern gleich zur Ruhe, während ich den Khan aufsuchte.
»Heider Mirlam, wo sind die andern Bejat?«
»In der Nähe. Warum fragest Du?«
»Bei ihnen ist der gefangene Bebbeh, den ich sehen möchte.«
»Warum willst Du ihn sehen?«
»Es ist meine Pflicht, weil er mein Gefangener ist.«
»Er ist nicht Dein, sondern mein Gefangener; denn Du hast ihn mir übergeben.«
»Darüber wollen wir uns nicht streiten; aber ich möchte doch nachsehen, wie er sich befindet.«
»Er befindet sich gut. Wenn Heider Mirlam dies sagt, so ist es wahr. Sorge Dich nicht um ihn, Herr, sondern setze Dich zu mir und laß uns eine Pfeife Tabak rauchen!«
Ich folgte seinem Worte, um ihn nicht zu erzürnen, verließ ihn aber sehr bald wieder, um mich niederzulegen. Warum sollte ich den Bebbeh nicht sehen? Schlecht behandelt wurde er nicht; dafür bürgte mir das Wort des Khan. Dieser aber wurde jedenfalls von einem Grunde geleitet, den mein mangelhafter Scharfsinn nicht zu entdecken vermochte. Ich beschloß, morgen in aller Frühe den Bebbeh auf meine eigene Gefahr hin frei zu lassen und dann mich von den Bejat zu trennen. So schlief ich ein.
Wenn man vom Morgengrauen bis zum späten Abend auf dem Pferde hängt, so wird man selbst als Gewohnheitsreiter müde. Das war auch bei mir der Fall. Ich schlief gut und fest, und ich wäre sicher vor dem Morgen nicht aufgewacht, wenn nicht das Murren meines Hundes mich geweckt hätte. Als ich die Augen aufschlug, war es sehr dunkel; dennoch erkannte ich einen Mann, welcher aufrecht in meiner Nähe stand.
Ich griff zum Messer.
»Wer bist Du?«
Bei dieser Frage erwachten auch die Gefährten und nahmen die Waffen zur Hand.
»Kennst Du mich nicht, Herr?« erklang die Antwort. »Ich bin einer der Bejat.«
»Was willst Du?«
»Herr, hilf uns! Der Bebbeh ist entflohen!«
Ich sprang sofort auf und die Andern mit.
»Der Bebbeh? Wann?«
»Ich weiß es nicht. Wir haben geschlafen.«
»Ah! Hundertundsechzig Mann haben ihn bewacht, und er ist entflohen?«
»Sie sind ja nicht da!«
»Diese Hundertundsechzig sind fort?«
»Sie kommen wieder, Herr.«
»Wohin sind sie?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wo ist der Khan?«
»Auch mit fort.«
Da faßte ich den Mann bei der Brust.
»Mensch, habt Ihr vielleicht eine Schurkerei gegen uns vor? Das sollte Euch schlecht bekommen!«
»Laß mich, Herr! Wie können wir Dir Schlimmes thun! Du bist ja unser Gast!«
»Halef, untersuche, wie viele Bejat sich noch hier befinden!«
Es war so dunkel, daß man den Platz nicht zu überblicken vermochte. Der kleine Hadschi erhob sich, um meinen Befehl auszuführen.
»Es sind noch Vier hier,« erklärte sogleich der Bejat, »und Einer steht draußen am Eingang, um ihn zu bewachen. Drüben aber im andern Lager waren wir unser Zehn, um den Gefangenen zu bewachen.«
»Wie ist er Euch entkommen? Zu Fuße?«
»Nein. Er hat sein Pferd mitgenommen, nebst einigen Waffen von uns.«
»Das ist ein Beweis, daß Ihr sehr kluge und aufmerksame Wächter seid. Aber warum kommt Ihr da zu mir?«
»Herr, fange ihn wieder!«
Beinahe hätte ich laut aufgelacht. Eine naivere Zumuthung konnte mir ja gar nicht gestellt werden. Ich ließ diese Aufforderung ganz unbeachtet und erkundigte mich nur weiter:
»Ihr wißt also nicht, wo der Khan mit den Andern ist?«
»Wir wissen es wirklich nicht.«
»Aber er muß doch einen Grund haben, fortzugehen!«
»Den hat er.«
»Welcher ist es?«
»Herr, wir sollen ihn Dir nicht sagen.«
»Gut. Wir wollen einmal sehen, wer jetzt zu befehlen hat, der Khan oder ich – – –«
Halef unterbrach mich, indem er meldete, daß wirklich nur noch vier Bejat zu bemerken seien.
»Sie stehen dort in der Ecke und hören uns zu, Sihdi!« sagte er.
»Laß sie stehen! Aber sag, sind Deine Pistolen geladen, Hadschi Halef Omar?«
»Hast Du sie jemals ungeladen gesehen, Sihdi?«
»Nimm sie heraus, und wenn dieser Mann die Frage, welche ich ihm jetzt zum letzten Male vorlegen werde, nicht beantwortet, so jagst Du ihm eine Kugel durch den Kopf. Verstanden?«
»Habe keine Sorge, Sihdi; er soll zwei Kugeln erhalten anstatt eine!«
Er nahm die Waffen aus dem Gürtel und ließ die vier Hähne spielen. Ich frug den Bejat abermals:
»Weßhalb hat sich der Khan entfernt?«
Die Antwort ließ nicht einen Augenblick auf sich warten.
»Um die Bebbeh zu überfallen.«
»Die Bebbeh? So hat er mich also belogen! Er sagte, daß er die Dschiaf besuchen wolle.«
»Herr, Khan Heider Mirlam sagt nie eine Lüge! Er will wirklich zu den Dschiaf, wenn ihm der Überfall gelungen ist.«
Jetzt fiel mir ein, daß er mich gefragt hatte, ob ich mit den Bebbeh Freund oder Feind sei. Er hatte mir seinen Schutz angedeihen lassen und mir doch auch meine Unbefangenheit bewahren wollen.
»Lebt Ihr mit den Bebbeh in Unfrieden?« frug ich weiter.
»Sie mit uns, Herr. Wir werden ihnen dafür heut ihre Heerden, ihre Teppiche und Waffen wegnehmen. Hundertundfünfzig Männer werden diese Beute heimschaffen, und fünfzig werden mit dem Khan zu den Dschiaf gehen.«
»Wenn die Bebbeh es erlauben,« fügte ich hinzu.
Trotz der Dunkelheit bemerkte ich, daß er den Kopf stolz emporwarf. »Diese? Die Bebbeh sind Feiglinge! Hast Du nicht gesehen, daß dieser Mann heut vor uns geflohen ist?«
»Einer vor Zweihundert!«
»Und Du allein hast ihn gefangen!«
»Bah! Ich fange unter Umständen ebenso gut zehn Bejat. Zum Beispiele: Du und diese Vier, die Wache draußen und die Neun drüben im andern Lager, Ihr seid jetzt meine Gefangenen. Halef, bewache den Ausgang. Wer diesen Platz ohne meine Erlaubniß betreten oder verlassen will, den erschießest Du!«
Der wackere Hadschi verschwand sofort nach dem Ausgange hin; der Bejat sagte ängstlich: »Herr, Du scherzest!«
»Ich scherze nicht. Der Khan hat mir das Wichtigste verschwiegen, und auch Du hast nur darum gesprochen, weil ich Dich gezwungen habe. Darum sollt Ihr mir dafür bürgen, daß ich hier sicher bin. Kommt herbei, Ihr Viere!«
Sie folgten meinem Befehle.
»Legt Eure Waffen hier zu meinen Füßen nieder!« – Und als sie zögerten, fügte ich hinzu: »Ihr habt von uns gehört! Meint Ihr es ehrlich mit uns, so geschieht Euch nichts und Ihr erhaltet Eure Waffen wieder; weigert Ihr Euch aber, mir zu gehorchen, so kann Euch kein Dschinn und Scheïtan helfen!«
Jetzt thaten sie, was ich von ihnen verlangt hatte. Ich übergab die Gewehre den Gefährten und instruirte Mohammed Emin, wie er sich nun weiter zu verhalten habe. Dann verließ ich den Platz, um dem Laufe des Baches in das Freie hinaus zu folgen.
Draußen fand ich zwischen Steinen die Wache, welche mich gleich erkannte.
»Wer hat Dich hergestellt?« frug ich.
»Der Khan.«
»Wozu?«
»Damit er, wenn er kommt, gleich weiß, daß Alles in Ordnung ist.«
»Sehr gut! Gehe einmal hinein und sage meinen Gefährten, daß ich gleich wieder kommen werde.«
»Ich darf diese Stelle nicht verlassen.«
»Der Khan weiß nichts davon.«
»Er wird es erfahren.«
»Das ist möglich; aber ich werde ihm sagen, daß ich es Dir befohlen habe.«
Jetzt ging der Mann. Ich wußte, daß er von Mohammed zurückbehalten und entwaffnet werden würde. Nun hatte ich mich zwar nicht erkundigt, wo das zweite Lager sei; aber ich hatte am Abend in der Nähe des unserigen Stimmen vernommen und glaubte daher, die Stelle leicht finden zu können. So geschah es auch; ich hörte ein Pferd stampfen, und als ich dem Laute nachging, fand ich die neun am Boden sitzenden Bejat, die mich in der Dunkelheit für ihren Kameraden hielten, denn der Eine rief:
»Was sagte er?«
»Wer?«
»Der fremde Emir!«
»Hier steht er selbst,« antwortete ich.
Jetzt erkannten sie mich und standen auf.
»Oh, Emir, hilf uns!« bat der Eine. »Der Bebbeh ist uns entflohen, und wenn der Khan zurückkehrt, so wird es uns sehr schlimm ergehen.«
»Wie ist er entkommen? Hattet Ihr ihn denn nicht gebunden?«
»Er war gebunden, aber er muß seine Bande nach und nach gelockert haben, und als wir schliefen, hat er sein Pferd nebst unsern Gewehren genommen und ist entwischt.«
»Nehmt Eure Pferde, und folgt mir!«
Sie gehorchten sofort, und ich führte sie nach unserm Lagerplatz. Als wir denselben erreichten, hatte der Haddedihn bereits ein kleines Feuer angebrannt, um die Umgebung zu erleuchten. Die Wache saß bereits waffenlos bei den andern Bejat. Die neun Männer, welche ich jetzt brachte, waren von dem ihnen widerfahrenen Unfalle so niedergeschmettert, daß sie mir ohne Widerrede ihre Messer und Lanzen übergaben. Ich erklärte den fünfzehn Männern, daß sie nur dann von uns etwas zu fürchten hätten, wenn es ihrem Khan einfallen sollte, einen Verrath an uns zu begehen; den entflohenen Bebbeh aber könne ich ihnen unmöglich wieder bringen.
Master Lindsay hatte sich während meiner Abwesenheit, so gut es bei seinem Mangel an Sprachkenntniß möglich war, von Halef das ihm noch Unverständliche erklären lassen. Jetzt trat er zu mir.
»Sir, was thun mit diesen Kerls?«
»Das soll sich erst finden, wenn der Khan zurückkehrt.«
»Wenn sie aber ausreißen?«
»Das gelingt ihnen nicht. Wir überwachen sie ja, und übrigens werde ich unsern Hadschi Halef Omar an den Ausgang stellen.«
»Dorthin?« – Er deutete nach dem Gange, der in das Freie führte. Als ich nickte, fügte er bei: »Ist nicht genug! – Gibt noch einen zweiten Ausgang. Da hinten! Yes!«
Ich sah nach der Richtung, welche mir seine Hand andeutete, und gewahrte beim Scheine der Flamme ein hohes Felsenstück, vor welchem ein Busch stand.
»Ihr scherzt, Sir!« sagte ich. »Wer kann über diesen Stein kommen! Er ist wenigstens fünf Meter hoch.«
Er lachte mit dem ganzen Gesichte, so daß sein Mund das berühmte Trapezoid bildete, innerhalb dessen Linien die großen, gelben Zähne sichtbar wurden.
»Hm! Seid ein gescheidter Kerl, Master! Aber David Lindsay ist doch noch klüger. Well!«
»Erklärt Euch, Sir!«
»Geht einmal hin und seht Euch den Stein und den Busch an!«
»Also wirklich? Aber hingehen kann ich nicht, denn ich würde die Bejat auf diesen Ausgang aufmerksam machen, wenn er wirklich vorhanden ist.«
»Er ist da, wirklich da, Master! Yes!«
»In wie fern?«
»Das ist nicht ein Stein, sondern es sind zwei Steine, und zwischen der schmalen Lücke steht der Busch. Verstanden?«
»Ah, das kann für uns von großem Vortheile sein. Wissen die Bejat etwas davon?«
»Glaube nicht; denn als ich dort war, haben sie nicht auf mich geachtet.«
»Ist die Lücke sehr schmal?«
»Man kann mit einem Pferde hindurch.«
»Und wie ist das Terrain dann hinter ihr?«
»Weiß nicht. Konnte es nicht sehen.«
Das war so wichtig, daß ich es gleich untersuchen mußte. Ich machte die Gefährten auf mein Vorhaben aufmerksam und verließ den Lagerplatz. Draußen umging ich das Felsengewirr und fand wegen der Dunkelheit nur mit vieler Mühe endlich den Ort, wo der Busch zwischen den beiden Felsen stand. Die Öffnung, welche er maskirte, war etwas über zwei Meter breit. Hinter ihr gab es zwar auch noch eine Menge bunt durch einander geworfenes Gestein, aber es war wenigstens beim Lichte des Tages nicht schwer, ein Pferd hindurch zu lenken.
Da ich nicht wußte, was uns begegnen konnte, so zog ich mein Messer, trat an den Busch heran und machte so tiefe Einschnitte in einige der Stämmchen, daß sie nach außen fallen mußten, falls man mit dem Pferde darüber hinwegstrich. Natürlich geschah dies so vorsichtig, daß die dahinter lagernden Bejat nichts davon merkten. Dann kehrte ich zu dem Lagerplatze zurück und stellte Halef am Eingange desselben auf. Er erhielt die Weisung, uns jede Annäherung sofort zu melden.
»Was hast Du gefunden, Effendi?« frug Mohammed Emin.
»Einen prachtvollen Ausweg für den Fall, daß wir uns ohne ›Sallam‹ entfernen müßten.«
»Durch den Busch hinaus?«
»Ja. Ich habe ihn durchschnitten. Sobald ein Reiter hindurchbricht, wird der Strauch mit umgerissen und die Folgenden haben dann freie Bahn.«
»Gibt es dann noch Gestein?«
»Ja, große Steinbrocken mit Dorn und Pflanzenwerk dazwischen; aber wenn es hell ist, kommt man recht gut hindurch.«
»Meinst Du denn, daß wir diesen Weg gebrauchen werden?«
»Ich weiß es nicht, aber ich ahne es. Lache nicht über mich, Mohammed Emin; aber bereits seit meiner Kindheit habe ich ein gewisses Ahnungsvermögen besessen, welches mich oft auf noch entfernte Dinge aufmerksam machte.«
»Ich glaube Dir. Allah ist groß!«
»Freudige Dinge ahne ich nie vorher. Aber zuweilen erfaßt mich eine Unruhe, eine Angst, als hätte ich etwas Böses begangen, dessen Folgen ich nun fürchten müsse. Dann ist sicher und regelmäßig irgend Etwas geschehen, was mir Schaden bringt. Und wenn ich später die Zeit vergleiche, so stimmt es ganz genau: die Gefahr hat in demselben Augenblick begonnen, an welchem mich die Angst überfiel.«
»So wollen wir auf die Warnung achten, welche Dir Allah sendet.«
Meine Besorgniß äußerte ihre Wirkung auch auf die Gefährten. Das Gespräch stockte, und wir lagen wortlos bei einander, bis der Tag anbrach. Kaum aber war es möglich, den Blick in die Ferne zu richten, so kam Halef hereingeeilt und meldete, daß er viele Reiter gesehen habe. Ihre genaue Zahl hatte er nicht unterscheiden können.
Ich trat zum Pferde, nahm das Fernrohr aus der Satteltasche und folgte Halef. Man erkannte mit dem bloßen Auge draußen auf der Ebene eine Menge dunkler Gestalten; durch das Rohr konnte ich sie deutlicher unterscheiden.
»Sihdi, wer ist es?« frug Halef.
»Die Bejat sind es.«
»Aber ihrer sind nicht so Viele!«
»Sie kehren mit ihrem Raube zurück. Sie führen die Heerden der Bebbeh bei sich. Wie es scheint, reitet der Khan mit einer Schaar schnell voran. Er wird also eher da sein, als die Andern.«
»Was thun wir?«
»Hm! Warte! Ich werde Dir Nachricht geben.«
Ich kehrte zu den Gefährten zurück und unterrichtete sie von dem, was ich gesehen hatte. Sie waren gleich mir überzeugt, wir hätten von dem Khan nichts zu befürchten. Wir konnten ihm keinen andern Vorwurf machen, als daß er uns von seinem Vorhaben keine Mittheilung gemacht hatte. Wäre dies geschehen, so hätten wir uns ihm nicht angeschlossen; denn es lag ja sicher eine Gefahr für uns darin, in der Gesellschaft eines Heerdenräubers gesehen zu werden. Wir kamen überein, ihn zwar vorsichtig, aber doch höflich zu empfangen.
Nun kehrte ich, vollständig bewaffnet, zu Halef zurück.
Der Khan kam mit seinem Trupp im Galopp herbei, und ehe fünf Minuten vergangen waren, hielt er sein Pferd vor mir an.
»Sallam, Emir!« grüßte er. »Du hast Dich wohl gewundert, mich nicht bei Euch zu sehen, als Du erwachtest. Aber ich hatte ein dringliches Geschäft zu besorgen. Es ist gelungen. Blicke hinter Dich!«
Ich sah nur ihm in's Gesicht.
»Du hast gestohlen, Khan Heider Mirlam!«
»Gestohlen?« frug er mit ganz erstaunter Miene. »Wer seinen Feinden nimmt, was er ihnen nehmen kann, ist der ein Dieb?«
»Die Christen sagen: ja, er ist ein Dieb, und Du weißt, daß ich ein Christ bin. Warum aber hast Du gegen uns geschwiegen?«
»Weil wir dann Feinde geworden wären. Du hättest uns verlassen?«
»Allerdings.«
»Und die Bebbeh gewarnt?«
»Ich hätte sie nicht aufgesucht, und ich wußte ja auch nicht, welches Lager oder welchen Ort Du überfallen wolltest. Aber wäre mir ein Bebbeh begegnet, so hätte ich ihn von der Gefahr benachrichtigt, die ihm drohte.«
»Siehest Du, Emir, daß ich Recht habe! Ich konnte nur Zweierlei thun: – entweder mußte ich Dir mein Vorhaben verschweigen, oder ich mußte Dich gefangen nehmen und mit Gewalt bei mir behalten, bis Alles vorüber war. Da ich Dein Freund war, so habe ich das Erstere gethan.«
»Ich aber bin in der Nacht in das Lager zu den zehn Männern gegangen, die Du dort zurückgelassen hattest,« lautete meine ruhige Antwort.
»Was wolltest Du bei ihnen?« frug der Khan.
»Sie gefangen nehmen.«
»Allah! Warum?«
»Weil ich erfuhr, daß Du uns verlassen hattest. Ich wußte nicht, was mir geschehen könnte; darum nahm ich alle da gebliebenen Bejat gefangen, um sie als Bürgschaft meiner Sicherheit zu gebrauchen.«
»Herr, Du bist ein sehr vorsichtiger Mann; aber Du konntest mir trauen. Was hast Du mit dem Bebbeh gethan?«
»Nichts. Ich bekam ihn gar nicht zu sehen, denn er war entflohen.«