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Durch das Land der Skipetaren folgen Kara Ben Nemsi und seine Gefährten den Spuren der Verbrecher. Dabei begegnen sie unversehens den beiden gefürchteten "Aladschy", gelangen zur "Schluchthütte", die ihnen zur Falle werden soll, und erleben eine ebenso dramatische wie lustige Episode im "Turm der alten Mutter". Die vorliegende Erzählung spielt in den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts. "Durch das Land der Skipetaren" ist Band 5 des sechsteiligen "Orientzyklus". "Durch die Wüste" (Band 1) "Durchs wilde Kurdistan" (Band 2) "Von Bagdad nach Stambul" (Band 3) "In den Schluchten des Balkan" (Band 4) "Der Schut" (Band 6)
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Seitenzahl: 710
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KARL MAY’s
GESAMMELTE WERKE
BAND 5
DURCH DAS LAND
DER SKIPETAREN
REISEERZÄHLUNG
VON
KARL MAY
Nach der Fassung von 1962 neu herausgegeben
von Lothar und Bernhard Schmid
© 2002 Karl-May-Verlag
ISBN 978-3-7802-1505-5
KARL-MAY-VERLAG
BAMBERG • RADEBEUL
Die türkische Rechtspflege hat bekanntlich ihre Eigentümlichkeiten, sagen wir geradezu: ihre Schattenseiten, die umso deutlicher hervortreten, je entlegener die Gegend ist, um die es sich handelt. Unter den dortigen Verhältnissen ist es nicht zu verwundern, dass da, wo die verschiedenen zuchtlosen, sich ewig befehdenden Stämme der Skipetaren ihre Wohnsitze haben, von einem wirklichen ‚Recht‘ fast gar nicht gesprochen werden kann.
Bei Ostromdscha beginnt das Gebiet dieser Skipetaren, die nur das eine Gesetz kennen, dass der Schwächere dem Stärkeren zu weichen hat. Wollten wir nicht den Kürzeren ziehen, so mussten wir dieses Gesetz auch für uns in Anspruch nehmen. Wir hatten dies schon am Nachmittag, und zwar mit Erfolg, getan und waren entschlossen, bei der Sitzung, der wir nun jetzt entgegengingen, in derselben kräftigen Weise aufzutreten.
Als wir nach dem ‚Gerichtsgebäude‘ aufbrachen, war die Dämmerung eingetreten. Wir sahen unterwegs viele Menschen stehen, die im Hof keinen Platz gefunden und sich hier aufgestellt hatten, um uns wenigstens kommen zu sehen.
Als wir im Hof ankamen, wurde das Tor hinter uns verschlossen. Das war für uns kein gutes Zeichen. Der Mübarek hatte seinen Einfluss aufgeboten, und zwar nicht ohne Erfolg, wie es schien. Wir konnten kaum durch die Menge bis an den Platz des Verhörs gelangen. Wo vorher nur ein Stuhl gestanden hatte, war jetzt noch eine lange Bank aufgestellt. Der Apparat zur Bastonade lag noch an derselben Stelle.
Man hatte Öl in Gefäße gegossen, Werg hineingetan und es angebrannt. Diese Flammen ließen alles in einem abenteuerlichen Licht erscheinen.
Die Herren vom Gericht befanden sich im Innern des Hauses. Unsere Ankunft wurde ihnen gemeldet. Die Saptijeler postierten sich so um uns, dass sie den Weg nach dem Tor versperrten. Da dieses verschlossen war, ließ sich dies Verhalten der Polizisten doppelt bedenklich für uns deuten.
Lautlose Stille herrschte rundum. Jetzt erschienen die fünf Herren und sofort zogen die Saptijeler blank.
„O Allah!“, meinte Halef in ironischem Ton. „Wie wird es uns ergehen, Sihdi! Ich zittere vor Angst.“
„Ich ebenso.“
„Soll ich diese dummen Menschen, die da glauben, uns mit ihren Säbeln Bange zu machen, meine Peitsche schmecken lassen?“
„Keine Dummheit! Du warst heute schon einmal voreilig und trägst die Schuld, dass wir uns überhaupt hier befinden.“
Die fünf Richter hatten Platz genommen: der Kodschabaschy auf dem Stuhl und die anderen auf der Bank. Ein Frauenzimmer drängte sich aus der Menge herbei und nahm hinter dem Stellvertreter Stellung. Ich erkannte Nohuda, die ‚Erbse‘, die ihrer Schönheit mit Eisenocker nachhalf. Der Stellvertreter war also wohl ihr glücklicher Ehemann. Er hatte nichts sagende Gesichtszüge. Zunächst dem Kodschabaschy saß der Mübarek. Er hatte ein Papier quer über das Knie gelegt. Zwischen ihm und seinem Nachbarn stand ein kleiner Topf. Da eine Gänsefeder darin steckte, vermutete ich, dass er die Tinte enthalte.
Der Kodschabaschy wackelte mit dem Kopf und räusperte sich auffällig. Dies war das Zeichen, dass die Verhandlung beginnen sollte. Er begann mit krähender, weithin schallender Stimme:
„Im Namen des Propheten und im Namen des Padischah, dem Allah tausend Jahre verleihen wolle! Wir haben diese Machkeme zusammenberufen, um über zwei Verbrechen zu urteilen, die sich heute in unserer Stadt und in deren Nähe ereignet haben. Selim, tritt vor! Du bist der Ankläger. Erzähle, was mit dir geschehen ist.“
Der Saptije trat in die Nähe seines Herrn und erzählte. Was wir zu hören bekamen, war geradezu lächerlich. Er hatte sich in der angestrengtesten amtlichen Tätigkeit befunden und war von uns mörderisch überfallen worden. Nur durch Unerschrockenheit und durch die tapferste Gegenwehr war es ihm gelungen, sein Leben zu retten!
Als er geendet hatte, fragte ihn der Kodschabaschy.
„Und welcher Mann ist es, der dich schlug?“
„Dieser hier ist es“, antwortete er, auf Halef deutend.
„So kennen wir nun ihn und seine Tat und werden zur Beratung schreiten.“
Er begann, mit seinen Beisitzern zu flüstern und erklärte nach einer Weile mit lauter Stimme:
„Die Machkeme hat beschlossen, dass der Verbrecher auf jede Fußsohle vierzig Hiebe erhalten und dann vier volle Wochen eingesperrt werden soll. Das verkündigen wir im Namen des Padischah. Allah segne ihn!“
Halefs Hand fuhr an den Griff seiner Peitsche. Ich musste mir Mühe geben, nicht laut aufzulachen.
„Jetzt kommt das zweite Verbrechen“, verkündete der Beamte. „Mahonadschy, tritt vor und erzähle!“
Der Fährmann gehorchte dieser Aufforderung. Er hatte jedenfalls mehr Angst als ich. Aber ehe er seinen Bericht beginnen konnte, wandte ich mich in sehr höflichem Ton an den Kodschabaschy.
„Willst du vielleicht die Gnade haben, dich einmal zu erheben?“
Er stand ahnungslos von seinem Stuhl auf. Ich schob ihn zur Seite und setzte mich nieder.
„Ich danke dir“, sagte ich. „Es ziemt dem Niedrigen, dem Hohen Ehrerbietung zu erweisen. Du hast ganz recht getan.“
Jammerschade, dass es unmöglich ist, sein Gesicht zu beschreiben! Der Kopf geriet in ein gefährliches Pendeln. Er wollte reden, brachte aber vor Entsetzen kein Wort hervor. Darum streckte er, um wenigstens durch eine Pantomime seine Entrüstung auszudrücken, die dürren Arme aus und schlug die Hände über dem wackelnden Kopf zusammen.
Kein Mensch sagte ein Wort. Kein Saptije rührte sich. Man wartete auf den Zornesausbruch des Gebieters. Dieser fand glücklicherweise die Sprache wieder. Er brach in eine Reihe unbeschreiblicher Laute aus und schrie mich dann an:
„Was fällt dir ein! Wie kannst du eine solche Unverschämtheit begehen und...“
„Hadschi Halef Omar!“, unterbrach ich ihn laut. „Nimm deine Peitsche. Wer noch ein einziges unhöfliches Wort zu mir sagt, den beschenkst du mit Hieben, bis ihm die Haut zerplatzt, mag er sein, wer er will!“
Der kleine Hadschi hatte sofort die Peitsche in der Hand.
„Sihdi, ich gehorche“, sagte er entschlossen. „Gib mir nur einen Wink.“
Es fehlte leider die Beleuchtung, sonst hätte man erstaunte Gesichter sehen können. Der Kodschabaschy wusste offenbar gar nicht, wie er sich verhalten sollte. Da flüsterte ihm der Mübarek einige Worte zu, worauf er den Saptijelern befahl:
„Nehmt ihn gefangen! Schafft ihn in den Keller!“
Er deutete auf mich.
Die Polizisten traten herbei, mit blanken Säbeln in den Händen.
„Zurück!“, rief ich ihnen zu. „Wer mich anrührt, den schieße ich nieder!“
Ich hielt ihnen die beiden Revolver entgegen und im nächsten Augenblick sah ich keinen einzigen Polizisten mehr. Sie hatten sich ins Publikum zurückgezogen.
„Was erregt deinen Zorn?“, fragte ich den Kodschabaschy. „Warum stehst du? Warum setzt du dich nicht? Lass den Mübarek aufstehen und setze dich an seinen Platz.“
Jetzt ging ein Gemurmel durch die Menge. Dass ich den Kodschabaschy beleidigen konnte, hatte ihnen im Bereich der Möglichkeit gelegen; aber dass ich nun auch den Heiligen angriff, das war denn doch zu viel gewagt. Man begann zu murren.
Das gab dem Kodschabaschy eine bedeutende Energie. Er rief mir zornig zu:
„Mensch, sei du, wer du willst, aber für eine solche Frechheit werde ich dich auf das Allerstrengste bestrafen. Der Mübarek ist ein Heiliger, ein Liebling Allahs, ein Wundertäter. Wenn er will, kann er Feuer vom Himmel auf dich fallen lassen!“
„Schweig, Kodschabaschy! Wenn du reden willst, so halte eine klügere Rede. Der Mübarek ist weder ein Heiliger noch ein Wundertäter. Er ist vielmehr ein Verbrecher, ein Schwindler und Bösewicht!“
Da wurden im Publikum drohende Stimmen laut. Noch lauter aber wurde die Stimme des Mübarek selbst. Er hatte sich erhoben, streckte die Hand gegen mich aus und rief:
„Er ist ein Giaur, ein ungläubiger Hund. Ich verfluche ihn. Möge sich die Hölle unter ihm öffnen und die Verdammnis ihn verschlingen. Die bösen Geister werden...“
Weiter kam er nicht. Mein kleiner Hadschi hatte ausgeholt und ihm mit der Peitsche einen solchen Jagdhieb versetzt, dass der alte Sünder sich unterbrach und einen gewaltigen Luftsprung machte.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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