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Der Leser erfährt, wie der Ich-Erzähler zum berühmten Westmann Old Shatterhand wird und die Freundschaft des edlen Apatschen Winnetou erringt. Das tragische Schicksal Nscho-tschis verleiht dieser Geschichte jenen Hauch von Schwermut, der über dem verzweifelten Todesringen der roten Rasse liegt. Die vorliegende Erzählung spielt zu Beginn der 60er-Jahre des 19. Jahrhunderts. Nach der revidierten Fassung von Hans Wollschläger. Fortsetzungen mit "Winnetou. Zweiter Band" (Band 8) und "Winnetou. Dritter Band" (Band 9).
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Seitenzahl: 757
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KARL MAY’s
GESAMMELTE WERKE
BAND 7
WINNETOU
ERSTER BAND
REISEERZÄHLUNG
VON
KARL MAY
Nach der 1960 von Hans Wollschläger
revidierten Fassung neu herausgegeben
von Lothar Schmid
© 1992 Karl-May-Verlag
ISBN 978-3-7802-1507-9
Immer fällt mir, wenn ich an den Indianer denke, der Türke ein. Das hat, so sonderbar es scheinen mag, doch seine Berechtigung. Mag es zwischen beiden noch so wenig Vergleichsmöglichkeiten geben, sie sind einander dennoch in gewissem Sinne ähnlich, in dem einen Punkt nämlich, dass die Weltmeinung mit ihnen beiden so gut wie abgeschlossen hat, wenn auch mit dem einen weniger stark als mit dem anderen: Man spricht von dem Türken kaum anders als vom ,kranken Mann‘, während jeder, der die Verhältnisse kennt, den Indianer als den ,sterbenden Mann‘ bezeichnen muss.
Ja, die rote Rasse liegt im Sterben! Von Feuerland bis weit über die nordamerikanischen Seen hinauf liegt der kranke Riese ausgestreckt, niedergestreckt, niedergeworfen von einem unerbittlichen Schicksal, das kein Erbarmen kennt. Er hat sich mit allen Kräften dagegen gewehrt, doch vergeblich. Seine Kräfte sind mehr und mehr geschwunden. Er hat noch wenige Atemzüge zu tun und die Zuckungen, die von Zeit zu Zeit seinen nackten Körper bewegen, verkünden die Nähe des Todes.
Ist er schuld an seinem frühen Ende? Hat er es verdient?
Wenn es richtig ist, dass alles, was lebt, zum Leben berechtigt ist, und wenn sich das ebenso auf die Gesamtheit wie auf das Einzelwesen bezieht, so besitzt der Rote das Recht zum Dasein nicht weniger als der Weiße und darf wohl Anspruch erheben auf die Möglichkeit, sich in sozialer, in staatlicher Beziehung nach seiner Eigenart zu entwickeln. Da behauptet man nun freilich, der Indianer besäße nicht die notwendigen Staaten bildenden Eigenschaften. Ist das wahr? Ich sage nein, will aber keine starren Behauptungen aufstellen, da es nicht meine Absicht ist, eine gelehrte Abhandlung zu schreiben. Der Weiße fand Zeit, sich fortlaufend zu entwickeln. Er ist nach und nach vom Jäger zum Hirten und von da zum Ackerbauer und Gewerbetreibenden fortgeschritten. Darüber sind viele Jahrhunderte vergangen. Der Rote aber hat diese Zeit nicht gefunden, denn sie wurde ihm nicht gewährt. Er sollte von der ersten und untersten Stufe einen Riesensprung zur obersten tun und man hat, als man dieses Verlangen an ihn stellte, nicht bedacht, dass er dabei zu Fall kommen und sich lebensgefährlich verletzen musste.
Es ist ein grausames Gesetz, dass der Schwächere dem Stärkeren weichen muss. Aber da es durch die ganze Schöpfung geht und in der ganzen irdischen Natur Geltung hat, müssen wir wohl annehmen, dass diese Grausamkeit entweder nur scheinbar oder einer christlichen Milderung fähig ist, weil die ewige Weisheit, die dieses Gesetz gegeben hat, zugleich die ewige Liebe ist. Dürfen wir nun behaupten, dass in Beziehung auf die aussterbende indianische Rasse eine solche Milderung stattgefunden hat?
Es war nicht nur eine gastliche Aufnahme, sondern eine beinahe göttliche Verehrung, die die ersten ,Bleichgesichter‘ bei den Indsmen fanden. Welcher Lohn ist den Roten dafür geworden? Ganz unstreitig gehörte ihnen das Land, das sie bewohnten. Es wurde ihnen genommen. Welche Ströme Bluts dabei geflossen und welche Grausamkeiten vorgekommen sind, das weiß jeder, der die Geschichte der ,berühmten‘ Conquistadores[1] gelesen hat. Nach ihrem Vorbild ist man dann später weiter verfahren. Der Weiße kam mit süßen Worten auf den Lippen, aber zugleich mit dem scharfen Messer im Gürtel und dem geladenen Gewehr in der Hand. Er versprach Liebe und Frieden und gab Hass und Kampf. Der Rote musste weichen, Schritt um Schritt, immer weiter zurück. Von Zeit zu Zeit gewährleistete man ihm ,ewige‘ Rechte auf ,sein Territorium‘, jagte ihn aber schon nach kurzer Zeit wieder von dort hinaus, immer weiter. Man ,kaufte‘ ihm das Land ab, bezahlte ihn jedoch entweder gar nicht oder mit wertlosen Tauschwaren, die er nicht gebrauchen konnte. Aber das schleichende Gift des ,Feuerwassers‘ brachte man ihm umso sorgfältiger bei, dazu die Blattern und andere, noch schlimmere Krankheiten, die ganze Stämme lichteten und ganze Dörfer entvölkerten. Wollte der Rote nun sein gutes Recht geltend machen, so antwortete man ihm mit Pulver und Blei und er musste den überlegenen Waffen der Weißen wieder weichen. Darüber erbittert, rächte er sich an dem einzelnen Bleichgesicht, das ihm begegnete, und die Folgen davon waren dann stets grausame Metzeleien, die unter den Roten angerichtet wurden. Dadurch ist er, ursprünglich ein stolzer, kühner, tapferer, wahrheitsliebender, aufrichtiger und seinen Freunden stets treuer Jägersmann, ein heimlich schleichender, misstrauischer, lügnerischer Mensch geworden, ohne dass er dafür kann, denn nicht er, sondern der Weiße ist schuld daran.
Die wilden Mustangherden, aus deren Mitte er sich einst kühn sein Reitpferd holte, wohin sind sie gekommen? Wo sieht man noch die Büffel, die ihn ernährten, als sie zu Millionen die Prärien bevölkerten? Wovon lebt er heute? Von dem Mehl und Fleisch, das man ihm liefert? Das würde er wohl tun, wenn sich nicht Gips und andere schöne Dinge in diesem Mehl befänden; meist ist es ungenießbar. Und werden einem Stamm einmal hundert ,extra fette‘ Ochsen zugesprochen, so haben sie sich unterwegs in zwei oder drei alte, abgemagerte Kühe verwandelt, von denen kaum ein Aasgeier einen Bissen herunterreißen könnte. Kann er auf eine Ernte rechnen, er, der Rechtlose, den man immer von neuem verdrängt, dem man keine bleibende Stätte lässt?
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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