Der schmale Grat der Redlichkeit - Engelbert Huber - E-Book

Der schmale Grat der Redlichkeit E-Book

Engelbert Huber

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Beschreibung

Die Geschichte erzählt, wie ein politisches System der Bespitzelung und Denunziation wie in der ehemaligen DDR redliches Handeln und faires soziales Miteinander erschwert.

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Inhalt

Vorwort

Die Werbung

Erster IM- Bericht

Nachwirkung

Datscha in Großräschen

Der schmale Grat der Redlichkeit

Janusköpfigkeit des Glücks

Dagny Juel

Wo bleibt Kafka?

Vorwort

Wider das Vergessen und Bagatellisieren

Das 1996 erschienene Standardwerk über die Aktivitäten des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) mit dem Titel „Sicherungsbereich Literatur“ des 1943 in Chemnitz geborenen Schriftstellers Joachim Walther (2020 verstorben, ohne in den Feuilletons gebührend gewürdigt worden zu sein) deckt die skrupellosen, konspirativen Praktiken des perfiden Unterdrückungs- und Überwachungssystems der DDR auf wissenschaftlich akribische Weise auf. Joachim Walther hält in den Nachbemerkungen zu seiner mehr als 900 Seiten umfassenden Dokumentation seinen Kritikern, vorrangig entlarvten Stasi-Mitarbeitern, die ihn als „Stasi-Schnüffler“ und als einen nur nach Rache heischenden Ankläger und Nestbeschmutzer heftig beschimpft hatten, Folgendes entgegen: „So verständlich diese Befindlichkeiten auch sein mögen, so marginal sind sie angesichts des Untergangs eines Systems, dessen konstitutiven Kern der Verrat bildete, die Denunziation und die Pervertierung menschlicher Werte zum die Mittel heiligenden Zweck des Machterhaltes. Staatsformen jedoch, die diese niederen menschlichen Eigenschaften notwendig brauchen, um bestehen zu können, sind auf Untergang programmiert. Das trifft sowohl auf den Nationalsozialismus als auch auf den real existierenden Sozialismus zu. - An dieser Stelle höre ich den üblichen Aufschrei, dass man beides auf keinen Fall vergleichen dürfe. Selbstverständlich darf und muss man vergleichen, um unter anderem die Unterschiede festzustellen. Lediglich das Gleichsetzen ist von Übel. In beiden Systemen war die politische Denunziation ein zentrales Konstituens, ein wichtiger Pfeiler staatspolitischer Stabilität.

Allerdings hatte der Verrat in der nationalsozialistischen Diktatur eine andere Form und Bedeutung als in der kommunistischen. Vor 1945 denunzierten die Deutschen massenhaft und weitgehend freiwillig, spontan und unorganisiert, nach 1945 zunehmend organisiert, hochbürokratisiert und bis ins Detail geplant. Der „große Organisator“ oder „Big Brother“ war die Staatssicherheit, deren Größe und Organisationsgrad denen der Gestapo oder des Sicherheitsdienstes weit überlegen waren.

Vergleichbar sind allerdings die Motivationen der Denunzianten (einer vermeintlich richtigen und guten Sache und dem Wohl der Gemeinschaft zu dienen, Macht- und Karrierestreben, Sozialneid, persönliche Konfliktlösung, Berufsrivalität, Angst) und der Mangel an Schuldgefühlen danach.“

(Joachim Walther: Sicherungsbereich Literatur, Grünheide 1996, S. 981 f.)

Die Werbung

„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Unge-ziefer verwandelt, das ist der beste erste Satz in der deutschsprachigen Literatur“, sagte Friedrich Hähm, Deutschlehrer an der EOS in Cottbus zu seinen Schülern der Abschlussklasse. Hähm hatte den Mut, neben dem amtlich angeordneten Lektürekatalog langweiliger, parteifrommer Werke auch das, was offiziell verpönt war, was er aber für große Literatur hielt, seinen Schülern nicht vorzuenthalten. Dazu gehörten Erzählungen Franz Kafkas, zuweilen vom Lehrer rezitiert, gelegentlich auch auf selbst getippten, hektographierten Blättern an die Schüler ausgehändigt. Einige Schüler, vor allem die literarisch feinfühligen, spürten, wie sehr das Atmosphärische der Kafka- Texte ihre eigene bedrückende Situation im Land spiegelte. Hähm wollte dies zwar niemals zugeben, wiegelte ab, sagte notgedrungen, auch wenn er es anders meinte, dass dies doch nicht vergleichbar sei. Denn für das Kafkaeske sei doch typisch die Ausweg-losigkeit, das Ausgeliefertsein einer unmenschlichen, übermächtigen Behörde. Sie aber lebten in der DDR in einem Land mit Blick auf eine bessere sozialistische Zukunft. Hähm musste so argumentieren, musste sich dieser phrasenhaften Propagandavokabeln bedienen. Natürlich glaubte auch er, in der DDR in dem besseren, gerechteren System als im kapitalistischen Westen zu leben. Aber ihn störte als Literaturkenner und Liebhaber die rein ideologisch, nicht künstlerisch begründete Unterscheidung von unerwünschter und politisch genehmer Literatur. Eine seiner besten Schülerinnen sprach ihn einmal in der Pause darauf an und sagte: „Ich weiß, dass Sie vieles sagen müssen, was Sie so gar nicht meinen können. Sonst würden Sie uns keine Texte von Franz Kafka vorlegen. Ich bewundere Ihren Mut.“ Hähm musste natürlich widersprechen und stapelte tief. So mutig sei das doch nicht, wenn man einfach nur die besten deutschen Dichter im Literaturunterricht besprechen wolle. Er konnte vor den Schülern nicht zugeben, dass es tatsächlich einer Portion Courage bedurfte, um Erzählungen von Franz Kafka im Unterricht zu behandeln. Das warf er den Referenten für das Fach Deutsch in der Schulaufsichtsbehörde vor, dass sie sich allzu widerstandslos und feige den Lektürekanon von der SED aufzwingen ließen, das Primat des Politischen auf Kosten literarischer Kunst.

Bertolt Kötter, erst seit Kurzem mit dem Ehrentitel Oberstudienrat ausgezeichnet, gefiel sein Beruf als Oberstufen-Diplomlehrer für das Fach Deutsch an der EOS. Er hatte den Ehrgeiz, den Schülern verständlich zu machen, wie das Schöne und Großartige in der Dichtung vom Trivialen und vom Kitsch zu unterscheiden sei. Kötter besaß das pädagogische Geschick, anspruchsvollere literarische Texte selbst für uninteressierte Schüler so zum Leben zu erwecken, dass angeregte Diskussionen entstanden. Der Lehrer schaffte es, sogar bei vermeintlich altmodischen Texten des 18. und 19. Jahrhunderts, dass die Schüler deren Aktualität herausspürten.

Eines Montags war Kötter vom Direktor zu einem vertraulichen Gespräch gebeten worden. Er rätselte, was dieser von ihm wollte. In einer Mischung aus banger Neugier, auch mit einem Hauch von nicht näher begründbarem schlechten Gewissen, trat er in das Amtszimmer ein. Nach einer von Jovialität geprägten Begrüßung kam Dr. Schulze schnell zur Sache. Wie es denn mit einem Eintritt in die SED stünde, wollte der Schulleiter wissen. So etwas mache sich gut im Personalakt. Kötter schüttelte energisch den Kopf. Er sei zwar überzeugt, dass die Partei ihr Land in eine bessere und gerechtere sozialistische Zukunft führe. Aber er selbst fühle sich noch nicht so weit entwickelt, um Mitglied dieser Partei sein zu können. Wenn er sich für etwas engagiere, dann wolle er dies hundertprozentig richtig machen. Er sei jedoch mit seinem Beruf als Deutschlehrer so sehr ausgelastet, dass er sich keine zusätzliche Tätigkeit vorstellen könne. Dr. Schulze musterte ihn durchdringend mit seinen froschartigen Augen. „Ganz überzeugt mich das nicht. Das sind doch nur Ausreden.“ „Denken Sie, was Sie wollen, aber ich investiere immens viel Zeit für meine Vorbereitung auf den Literaturunterricht. Da kann ich mir am Abend eine Parteiversammlung, bei der etliche Tagesordnungspunkte abgearbeitet werden sollen, nicht leisten. Das schlüge durch auf die Qualität meines Unterrichts.“ „Nun ja“, erwiderte Dr. Schulze in barschem Ton, „das ist ganz allein Ihre Entscheidung“. Er wandte sich brüsk von Kötter ab und gab unmissverständlich zu erkennen, dass das Gespräch beendet sei, er mit dem Ergebnis dieser Unterredung aber nicht zufrieden war.

Umso überraschter war Kötter, als er nur eine Woche danach wieder ins Direktorat gebeten worden war. Dr. Schulze begrüßte ihn ungewohnt herzlich. Es sei ihm zwar nicht gelungen, Kötter zu einem Partei-Eintritt zu bewegen, was er sehr bedauere, dennoch wolle er Kötter die Leitung der Fachschaft Deutsch anvertrauen. Er sei überzeugt, dass Kötter engagiert und im Bewusstsein seiner Verantwortung als Deutschlehrer am Aufbau unserer sozialistischen Zukunft mitwirken wolle. Denn er brauche es einem erfahrenen Lehrer nicht zu sagen, dass gerade der Literaturunterricht ein wichtiger Baustein für die Erziehung zum sozialistischen Menschentum sei. Dr. Schulze gehe davon aus, dass er mit Kötter die richtige Wahl getroffen habe. Umso irritierter war der Schulleiter, dass Kötter auch diesmal zögerte, ja um Bedenkzeit erbat. Dr. Schulze brachte seine Verwunderung und seinen Unmut zum Ausdruck. Ein solcher Posten, um den sich etliche andere an dieser Anstalt beworben hätten, sei eine besondere Auszeichnung. So etwas könne man nicht ohne triftigen Grund, den er hier nicht finden könne, ablehnen. So blieb Kötter nichts anderes übrig als zuzusagen, zumal er damit verhindern konnte, dass Lothar Werlitz, ein verbissener Hardliner und SED- Parteifunktionär, der sich bestimmt für diesen Posten beworben hatte, dieses Amt übernehmen würde.

Mehrere Wochen später wurde Kötter ein drittes Mal ins Direktorat gebeten. Dort begrüßten ihn zwei ihm unbekannte Männer, der eine in Offiziers-Uniform nannte sich Major Bielagk, der andere, mindestens einen Kopf größer als der Offizier, hager, mit markanten Gesichtszügen, aber verschmitzt lächelnd, Wohlwollen heischend in salopper Kleidung mit ultramarinblauem Pullover und grauer Cordhose, stellte sich als Olaf Gresko vor. Sie gaben sich kumpelhaft, waren zu Scherzen bereit. Der Lange versuchte sogar mit einem DDR-Witz, der für Erich Mielkes Ohren besser nicht geeignet sei, für Erheiterung zu sorgen. „Kennse den?“, fragte er Kötter. „In welcher Stadt der DDR gibt es alles?“ Kötter sagte nichts, zuckte mit den Achseln, verwirrt, besorgt darüber, was die Beiden im Schilde führten. „Na, in Kürze“, sagte Gresko. Kötter verstand nicht, wollte auch nicht verstehen. „Wollen Sie wissen, warum? Na, Erich Honecker sagt doch immer: In Kürze gibt es alles.“ Beide Männer wieherten los. „Sie dürfen schon auch mitlachen, Herr Kötter, wir sind nich so, wie die Leute oft glooben, wir sorgen ooch gerne für gute Laune.“ Doch dann redeten sie nicht länger um den heißen Brei herum. Sie wollten nämlich Kötter anwerben, als Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit für das Wohl des Staates zu arbeiten. Kötter habe als Fachschaftsleiter Deutsch eine so wichtige und wertvolle Position inne für die Gestaltung ihres friedliebenden sozialistischen Landes. Doch es gebe gerade unter den Lehrern etliche Miesmacher und Querulanten. Diese hätten im Schuldienst eigentlich nichts zu suchen. Insbesondere ein Deutschlehrer an dieser Schule stünde im Verdacht, seinen Erziehungsauftrag zu missbrauchen. Sie benötigten deshalb Beweise, um den Verirrten wieder auf den richtigen Weg zu führen. Kötter sollte regelmäßig Berichte über den Kollegen Friedrich Hähm liefern. Kötter erschrak. Doch er durfte sich nichts anmerken lassen. Er rang nach Luft. Er sollte ausgerechnet den Kollegen bespitzeln, der zu seinen engeren Freunden zählte und dessen Ansichten und systemkritische Analysen sich weitgehend mit seiner eigenen Meinung deckten. Kötter schüttelte den Kopf. Er müsse erst nachdenken, ob er für so etwas zu gebrauchen sei. Er glaube nicht, dass er so einfach Kollegen denunzieren könne. Dazu bräuchte man wohl ganz bestimmte Gene, die er nicht besitze. Er sei nicht zum Verräter geboren. „Du sollst nicht petzen“, lehre er seinen Schülern, und als Germanist habe er die Verse, die irrtümlicherweise dem großen Heinrich von Fallersleben zugeschrieben werden, im Kopf: Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.“ Kötter sah die beiden Stasi-Werber durchdringend an. Seine Stimme hatte etwas von verzweifelter Ratlosigkeit, aber gepaart mit einem Hauch von Rebellion. Gresko reagierte ungehalten und herrschte Kötter mit scharfer Stimme an: „Sie verkennen offensichtlich unser Anliegen, unseren Staat vor subversiven Angriffen des Feindes zu schützen. Das ist etwas anderes als jemanden aus niederen Motiven auszuhorchen. Spitzel, Denunziant, Verräter, das sind ehrenrührige, verleumderische Schimpfwörter für eine gute Sache, für eine patriotische Aufgabe, die Auskundschaftung von Systemfeinden.“ Gresko schob Kötter einen Muster-Entwurf für eine Verpflichtungserklärung zur Stasi-Mitarbeit zu. Diese war unabdingbar und Voraussetzung für die Arbeit als IM. „Überlegen Sie es sich gut! Wir kommen wieder!“, sagte der Major, bevor die Beiden grußlos das Zimmer verließen.

Am darauffolgenden Montag tauchten die Stasi-Männer erneut in der Schule auf. Dr. Schulze flüsterte Kötter zu, er solle zur Vernunft kommen und nicht den Helden spielen wollen. Kötters Weigerung würde ein verheerendes Bild auf die gesamte Schule werfen, auch Dr. Schulzes Reputation stünde auf dem Prüfstand.

Die Zwei waren nicht mehr die freundlichen, zu Scherzen aufgelegten Männer. Der Major wurde deutlich und sagte mit scharfer, eloquent formulierter Stimme: „Ihr Herr Sohn gedenkt Mathematik zu studieren. Seine Bewerbung liegt vor. Sie mögen allerdings bedenken, dass die Aufnahmekapazitäten an den Universitäten begrenzt sind. Vorrang haben natürlich unsere Arbeiterkinder und die Akademikerkinder, von denen man erwarten kann, dass sie sich vorbildlich für die sozialistische Zukunft einsetzen. Sie werden doch nicht die Karriere Ihres Sohnes verbauen wollen!“ Kötter knirschte mit den Zähnen. „Fiese Metho-den“, dachte er sich. Aber er wagte es nicht, dies laut zu sagen. Der Major sah Kötter musternd an. Er hatte dick aufgetragen. So plump sollten die Anwerbeaktionen eigentlich nicht verlaufen, aber Bielagks Bauchgefühl sagte ihm, dass er damit Erfolg haben würde.

„Geben Sie mir noch Zeit“, sagte Kötter, „um die Erklärung abzufassen.“ Diese musste handgeschrieben sein. Die beiden Männer nickten. Sie waren sichtlich zufrieden, da es den Anschein hatte, dass die Verhandlungen zu einem Abschluss gebracht werden konnten. Sie wollten jedoch nicht erneut im Schulgebäude auftauchen. Dies sei zu auffällig. Kötter sollte