Der Söldner - Jörg Olbrich - E-Book

Der Söldner E-Book

Jörg Olbrich

0,0
11,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

1635: Der Dreißigjährige Krieg tobt in Europa. Viele Menschen suchen ihren Weg in einer Zeit voller Umbrüche und Konflikte. Alle Hoffnungen liegen auf dem frisch als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönten Ferdinand III.. Nach dem Kriegseintritt Frankreichs auf Seiten der Protestanten scheint jedoch ein Sieg aussichtslos. Die größten Feinde des Söldners Peter Hagendorf und seiner Frau sind nicht die gegnerischen Soldaten, sondern Hunger, Kälte und die Pest. Ob sie überleben werden? Der kaiserliche Schreiber Anton sucht derweil mit seiner Gemahlin das Türkengold in den Katakomben Wiens. In Wittstock wird die Diebin Helena wegen Mordes an einem reichen Kaufmann gesucht. Als es vor den Toren der Stadt zu einer Schlacht kommt, nutzt sie mit ihrem stummen, starken Bruder die Gelegenheit zur Flucht. Sie schließen sich einer Gruppe von Spielleuten an und merken schnell, dass es neben Söldnern und Räubern noch viel schlimmere Gefahren gibt. Verwüstung, Hungersnöte, Armut und Pest kosteten zwischen 1618 und 1648 rund sechs Millionen Menschen das Leben. Die Romanreihe "Geschichten des Dreißigjährigen Krieges" überzeugt mit historischen Fakten und einer spannungsgeladenen Entwicklung.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 718

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jörg Olbrich

Der Söldner

Geschichten des Dreißigjährigen Krieges

Band 7

Roman

Inhalt

Impressum

Württemberg, 17. Mai 1635

Wien, 6. Juli 1635

Elsass, 8. Juli 1635

Torgau, 11. Juli 1635

Ostfrankreich, 15. September 1635

Wien, 14. Oktober 1635

Ostfrankreich, 18. Oktober 1635

Torgau 20. Oktober 1635

Wien, 17. November 1635

Elsass, 18. Dezember 1635

Wien, 24. Dezember 1635

Lüttich, 10. April 1636

Torgau, 17. April 1636

Wien, 20. Juni 1636

Frankreich, 30. Juni 1636

Wien, 7. Juli 1636

Frankreich, 2. August 1636

Torgau, 17. August 1636

Nordfrankreich, 18. September 1636

Regensburg 20. September 1636

Brandenburg, 2. Oktober 1636

Torgau, 7. Oktober 1636

Brandenburg, 14. Oktober 1636

Regensburg, 22. Dezember 1636

Torgau, 16. Januar 1637

Wien, 14. Februar 1637

Berlin, 17. Februar 1637

Koblenz, 5. Mai 1637

Brandenburg, 23. Mai 1637

Torgau, 2. Juni 1637

Wien, 30. Juni 1637

Sachsen, 1. Juli 1637

Offenburg, 29. September 1637

Thüringen, 7. Oktober 1637

Wien, 31. Oktober 1637

Rheintal, 25. Februar 1638

Wien, 2. April 1638

Thüringen, 13. April 1638

Wien, 17. Juli 1638

Baden, 14. Oktober 1638

Hessen, 17. Oktober 1638

Baden, 20. November 1638

Wien, 27. Dezember 1638

Baden, 17. Februar 1639

Wien, 28. März 1639

Württemberg, 16. Juli 1639

Wien, 20. August 1639

Bamberg, 2. Oktober 1639

Wien, 17. November 1639

Ingolstadt, 30. Januar 1640

Wien, 31. Mai 1640

Hessen, 25. Juli 1640

Wien, 19. August 1640

Hessen, 23. August 1640

Heidelberg, 2. September 1640

Hessen, 6. November 1640

Regensburg, 12. Januar 1641

Bayern, 4. März 1641

Oberpfalz, 9. April 1641

Heidelberg, 10. April 1641

Ingolstadt, 19. Mai 1641

Pfalz, 21. Mai 1641

Regensburg, 28. Mai 1641

Niedersachsen, 11. September 1641

Wien, 23. Oktober 1641

Wien, 22. Januar 1642

Thüringen, 23. Februar 1642

Paderborn, 16. April 1632

Hessen, 11. Mai 1642

Wien, 13. August 1642

Köln, 2. September 1642

Westfalen, 5. September 1642

Köln, 24.10.1642

Wien, 23. Dezember 1642

Historische Eckdaten

Impressum

Olbrich, Jörg: Der Söldner. Geschichten des Dreißigjährigen Krieges 7. Hamburg, acabus Verlag 2024

1. Auflage

ISBN: 978-3-86282-856-2

Dieses Buch ist auch als eBook erhältlich und kann über den

Handel oder den Verlag bezogen werden.

Pub-eBook: ISBN 978-3-86282-860-9

Lektorat/Korrektorat: Amandara M. Schulzke, acabus Verlag

Satz: Enrico Frehse, Phantasmal-Image

Cover: © Annelie Lamers

Covermotiv: Soldat: © tin soldier toy -

© agnormark/stock.adobe.com

© https://pixabay.com/de/weiß-stoff-vorhangtransparenz-2130332

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet über http://dnb.de abrufbar.

Der acabus Verlag ist ein Imprint der Bedey Media GmbH,

Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

_______________________________

© acabus Verlag, Hamburg 2024

Alle Rechte vorbehalten.

www.acabus-verlag.de

Gedruckt in Deutschland

Württemberg, 17. Mai 1635

»Ich habe Angst.«

»Wovor? Es sind keine Schweden in der Nähe.« Peter Hagendorf sah sein Weib überrascht an. »Andere Feinde auch nicht. Selbst Räuber trauen sich nicht, uns zu überfallen.«

»Es ist die Pest, die mir Angst macht«, antwortete Anna Maria. Ich treffe überall auf Kranke. Die Menschen sterben. Ich fürchte mich vor der Seuche.«

»Das Heerlager ist bisher verschont geblieben. Solange wir hier sind, wird uns nichts geschehen. Ich sorge mich eher vor einem Hinterhalt, wenn wir wieder losgezogen sind. Der Herzog von Sachsen-Weimar wird niemals aufge ben. Ich kenne ihn. Es ist eine Frage der Zeit, bis wir den schwedischen Truppen gegenüberstehen.«

»Den Feind könnt ihr besiegen. Die Pest ist heimtückisch. Wir können uns nicht gegen sie wehren.«

Peter nahm Anna Maria liebevoll in den Arm. »Es geht uns gut. Wir haben alles, was wir brauchen.«

»Vielleicht hast du recht. Ich wäre dennoch gerne in Pforzheim geblieben. Der Winter ging schnell vorüber.«

»Du hast einen Söldner geheiratet. Ich muss den Befehlen folgen.«

»Das weiß ich. Ich habe mein ganzes Leben im Tross verbracht.« Anna Marias Vater kämpfte in Peters Einheit, ihre Mutter arbeitete bei einem Koch. Sie wischte sich mit dem Ärmel eine Träne aus dem Auge. »Manchmal wünschte ich, wir wären Bauern.«

»Glaub mir, nirgendwo sind wir sicherer als hier. Du hast selbst erlebt, wie es dem Landvolk ergeht. Kein Mensch kann dem Krieg entkommen.«

»Der Pest ebenfalls nicht.«

»Nein.«

»Bleiben wir in Württemberg?«

»General von Werth will über den Schwarzwald ins Elsass ziehen. Wir folgen Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar, bis wir die schwedischen Truppen endgültig besiegen.«

»Ich habe eine Neuigkeit«, erklärte Anna Maria zu Peters Überraschung.

»Was ist geschehen?«

In diesem Moment störte Bartelt die Zweisamkeit des Paares. Er trat in das Zelt. Dort schüttelte er sich, zog die Jacke aus und warf sie auf sein Lager. »Ein Gewitter zieht auf«, erklärte der Bursche, der sich inzwischen fast drei Jahre in Peters Diensten befand. Er war in der Zeit zu dem Korporal gekommen, in der er während seiner Gefangenschaft für die Schweden ins Feld hatte ziehen müssen.

Anna Maria stand auf. »Draußen hängt Wäsche.«

»Ich hänge sie ab«, sagte Peter. Er ging ins Freie. Sofort wehte ihm eisiger Wind entgegen. Schwarze Wolken hingen am Himmel. An der Feuerstelle saßen drei Soldaten beim Würfelspiel. »Ihr solltet euch einen Unterschlupf suchen, wenn ihr keinen nassen Hintern bekommen wollt.«

»Ein bisschen Regen macht uns nichts aus«, tönte Hartmut Stiller.

»Passt auf die Blitze auf.« Der Korporal konnte die Männer schlecht zwingen, einen geschützten Bereich aufzusuchen. Sie selbst trugen die Verantwortung.

»Wir haben schon schlimmere Unwetter erlebt.«

Der Soldat hatte die Worte kaum ausgesprochen, da öffnete der Himmel seine Schleusen.

»Sucht euch einen sicheren Platz«, rief Peter, dem das Wasser über das Gesicht lief. Für die Wäsche war es zu spät.

Er wollte zurück zu Anna Maria und Bartelt eilen, als ein Donnerschlag die Luft erzittern ließ. Ein Blitz schlug im nahegelegenen Wald ein. Der Korporal schaute zu den Männern, die am mittlerweile erloschenen Feuer standen. Sie streckten die Fäuste in die Höhe und lachten.

Wieder donnerte es. Das Gewitter hing direkt über dem Heerlager. Ein Blitz blendete Peter. Darauf folgte ein Schrei. Er drehte sich um und sah die drei Söldner auf dem Boden liegen.

»Was ist geschehen?«, rief Anna Maria, die am Eingang des Zeltes stand.

»Geh zurück! Im Freien ist es zu gefährlich. Schick Bartelt zu mir.«

Der Korporal lief zu den Soldaten. Bevor er sie erreichte, rutschte er auf der nassen Erde aus. Es gelang ihm im letzten Moment, den Sturz zu verhindern. Die Männer lagen mit verrenkten Gliedern neben der Feuerstelle. Peter ging auf die Knie und legte die Hand auf den Hals von Hartmut Stiller. Er atmete auf, als er einen schwachen Pulsschlag fühlte.

»Hol einen Feldscher«, wies er Bartelt an. »Schnell!«

Der Bursche rannte los, ohne Fragen zu stellen.

Der Korporal sah die starren, aufgerissenen Augen der beiden anderen Söldner. Ihnen konnte niemand mehr helfen.

»Was ist hier los?«, schrie der Hauptmann und lief auf Peter zu.

»Ein Blitz ist direkt zwischen den Männern eingeschlagen. Zwei sind tot. Stiller lebt noch.«

»Weiß der Feldscher Bescheid?«

»Ja. Ich habe meinen Burschen zu ihm geschickt.«

Nach wie vor goss es in Strömen. Peters durchnässte Kleidung klebte an seiner Haut. Fröstelnd schaute er zum Himmel. Er hatte große Angst davor, dass ein weiterer Blitz ins Lager fahren und ihn treffen könnte.

Soldaten liefen herbei, um zu sehen, was geschehen war. Reglos blieben sie vor ihren toten Kameraden stehen. Endlich kam Bartelt mit dem Feldscher. Der Mann kümmerte sich sofort um Stiller.

»Bringt ihn in das Lazarett! Die beiden anderen haben wir verloren.«

»Schafft sie fort«, befahl der Hauptmann. »Morgen begraben wir sie.«

»Siegfried!« Der verzweifelte Schrei übertönte das Getöse des Unwetters. Die Söldner versuchten, Barbara Rösel aufzuhalten, doch die dralle Köchin bahnte sich mit den Ellenbogen ihren Weg zwischen den Männern hindurch. Wie eine Furie stürmte sie zu ihrem toten Gemahl und warf sich auf ihn.

»Ich kümmere mich um sie«, sagte Anna Maria, die das Zelt entgegen der Weisung ihres Mannes ebenfalls verlassen hatte.

»Geh mit ihr zu den Geistlichen!«, bat Peter. Er sah seine Gemahlin dankbar an.

Vier Soldaten packten Hartmut Stiller, hoben ihn vorsichtig an und trugen ihn weg. Die anderen Männer brachten die Leichen fort. Der Hauptmann folgte dem Feldscher ins Lazarett. Peter kehrte mit Bartelt zum Zelt zurück. Auf der rutschigen Erde kamen sie nur langsam voran. Mittlerweile hatte sich eine Schlammschicht gebildet. Der trockene Boden konnte die Wassermassen nicht aufnehmen.

Drei Tage später starb Hartmut Stiller.

***

»Ich habe eine«, rief Bartelt und hielt Peter einen Stock vor die Nase. An der Spitze zappelte eine Forelle.

»Du hast gute Augen und bist schnell«, lobte der Korporal den Burschen. »Das ist der fünfte Fisch. Anna Maria wird zufrieden mit uns sein.«

»Gehen wir zurück?«

»Ja.«

Sie standen auf einem Stein in einem Gebirgsbach. Peters Gemahlin hatte sie losgeschickt, um Forellen für das Abendessen zu fangen. Er wollte sie nicht zu lange warten lassen. Sie gingen einen bewaldeten Hang hinab und erreichten an dessen Fuß das Heerlager der Kaiserlichen.

Bartelt nahm dem Korporal den Eimer ab. Dann lief er voraus. Peter hatte Zeit. Er genoss die Ruhe, die ihn umgab. Es gefiel ihm im Schwarzwald. Er konnte sich vorstellen, mit seiner Familie in dem Land voller Berge und Täler sesshaft zu werden, sollte der Krieg irgendwann einmal vorbei sein. Die Menschen in der Umgebung lebten von der Viehzucht. Es gab saftige Weiden und die Wälder waren voll mit Wild. Das war einer der Gründe, warum Johann von Werth die Truppen durch dieses Gebiet führte. Es gab für alle genügend Fleisch.

Der General hatte das Heer von Württemberg aus nach Neustadt geführt. Unterwegs waren sie überall auf Kranke gestoßen. Die Pest lag wie ein dunkler Schleier über dem Land. Überall waren Gruben ausgehoben worden, in denen man mehrere Tote gemeinsam bestattete. Dort, wo die Leichenberge zu groß geworden waren, um ausreichende Gräber zu schaufeln, wurden sie verbrannt. Das Heer blieb nie lange an einem Ort. Die Angst vor dem Schwarzen Tod war allgegenwärtig.

Peter erreichte das Lager. Dort wartete Anna Maria bereits mit ihren Eltern. Das Feuer war so weit heruntergebrannt, dass sie die Fische in einer Pfanne auf die Glut stellen konnten.

Kurz darauf saß der Korporal mit Martin Buchler vor dem Zelt. Er genoss den Duft der gebratenen Forellen, der ihm in die Nase zog.

»So kann man es aushalten«, meinte Anna Marias Vater.

»Wir sollten die Zeit genießen«, bestätigte Peter, »lange werden wir uns nicht mehr ausruhen können. Schon bald kämpfen wir gegen Franzosen und Schweden.«

»Dann wartet reiche Beute auf uns.«

»Oder der Tod.« Peter dachte an die drei Kameraden, die sie bei dem Unwetter verloren hatten. Sie führten ein gefährliches Leben. Im Elsass lauerte ein Feind, den sie nicht unterschätzen durften. Jede Schlacht konnte die letzte sein.

»Die Forellen sind fertig«, rief Monika Buchler.

Die Frauen hatten Brot gebacken, das sie zum Fisch aßen. Es dämmerte bereits, als sie das Mahl beendeten.

Eine Stunde später lagen Anna Maria und ihr Gemahl nackt nebeneinander. Bartelt kümmerte sich um die Pferde. Die Buchlers besaßen ein eigenes Zelt. Das Paar hatte die Gelegenheit genutzt, für einen Moment ungestört zu sein.

»Ich muss dir etwas Wichtiges sagen.«

»Was hast du?«

»Wir bekommen ein Kind.«

Peter erstarrte. Er fühlte das Glück, das die Nachricht in ihm auslöste. Aber auch die Angst. Vor der Ehe mit Anna Maria war er schon einmal verheiratet. Sie hatten einen Jungen und drei Mädchen bekommen. Alle waren gestorben. Seine Gemahlin ebenfalls. Jetzt fürchtete Peter, dass Gott ihn erneut prüfte. Einen weiteren Schicksalsschlag würde er nicht ertragen.

»Freust du dich nicht?«

»Doch.« Peter nahm seine Frau in den Arm und küsste sie auf die Stirn. »Natürlich tue ich das.«

Am nächsten Tag brachen sie das Heerlager ab und zogen zur kaiserlichen Festung nach Breisach. Von dort aus stand ihnen der Weg ins Elsass offen. Schon bald würden sie den feindlichen Soldaten gegenüberstehen.

Wien, 6. Juli 1635

Eintrag in die kaiserliche Chronik des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation:

Vertreter des Kaisers Ferdinand II. und des Kurfürsten Johann Georg von Sachsen haben am 30. Mai einen in Prag ausgehandelten Friedensvertrag unterzeichnet. Das kaiserliche Restitutionsedikt aus dem Jahre 1629 wird für vierzig Jahre ausgesetzt. Es werden die Besitzverhältnisse aus dem Jahr 1627 wiederhergestellt. Die gegenseitig geraubten und besetzten Gebiete werden zurückgegeben.

Die Oberlausitz und die Unterlausitz gehen in den Besitz des Kurfürsten von Sachsen über. Im Gegenzug verzichtet er zugunsten Herzog Maximilians von Bayern darauf, dass die Kurwürde über die Pfalz an die Erben Friedrichs V. übergeht.

Der Friedensschluss wurde mit einem feierlichen Akt besiegelt.

Prinz Ferdinand von Spanien hält mit seinen Truppen Trier besetzt. Nachdem über Kurfürst Christoph von Sötern bereits die Acht verhängt worden war, weil er sich mit den Franzosen verbündet hatte, wurde er nun festgenommen.

Der Kaiserhof in Wien zeigte sich sehr betroffen, als aus Trier die Botschaft übermittelt wurde, dass der Jesuit Friedrich Spee an der Pest erkrankt und verstorben sei. Der mutige Priester hatte mit seinen Schriften auf die furchtbaren Verbrechen hingewiesen, die von den Hexenkommissaren im Namen Gottes verübt wurden. Ihm ist es zu verdanken, dass diese Grausamkeiten in weiten Teilen des Reiches nun der Vergangenheit angehören.

Nachdem es den Kaiserlichen gelungen ist, die Franzosen aus Trier zu vertreiben, hat König Ludwig XIII. Spanien den Krieg erklärt. Gleichzeitig wurde das Bündnis zwischen Schweden und Frankreich gestärkt.

Octavio Piccolomini ist es gelungen, die Belagerung von Löwen zu sprengen und Franzosen und Niederländer gemeinsam mit den Spaniern aus der Stadt zu vertreiben.

Trotz des Friedensschlusses von Prag finden die Menschen im Heiligen Römischen Reich keine Ruhe.

Anton von Rezi wischte sich mit einem Tuch die Schweißperlen von der Stirn. Obwohl die Mittagsstunde noch nicht erreicht war, hatte sich die Bibliothek im Kaiserhof in Wien bereits so stark aufgeheizt, dass es dort fast nicht auszuhalten war. Ihm missfiel die Vorstellung, die nächsten Stunden in den muffigen Räumen verbringen zu müssen. Vielleicht sollte er den Tag nutzen, um mit Isabella einen Spaziergang zu machen.

Isabella!

Seine Gemahlin war am Vorabend von einer Reise mit Anna Maria von Spanien aus Graz zurückgekehrt und so müde gewesen, dass sie sich sofort zu Bett begeben hatte. Sie hatte ihn auf den nächsten Tag vertröstet, an dem sie ihm alles berichten wollte, was sie unterwegs erlebt hatte. Am Morgen, als er aufgestanden war, um sich für die Arbeit fertigzumachen, hatte sie noch geschlafen. Jetzt freute sich Anton darauf, sie zu sehen.

Auf dem Weg zu den gemeinsamen Gemächern dachte der kaiserliche Schreiber daran, wie sich die Beziehung zwischen ihm und seiner Gemahlin verändert hatte. Ferdinand III. hatte ihn damals zur Heirat genötigt, damit die unadelige Zofe bei seiner Gemahlin Maria Anna von Spanien bleiben konnte. Anton hatte er den Titel Graf von Rezi verliehen, der allerdings mit keinerlei Reichtümern verbunden war. Das Verhältnis zwischen ihm und Isabella hatte man im besten Fall als kühl bezeichnen können. Erst als er sie während einer schweren Krankheit gepflegt hatte, war es ein wenig besser geworden. Mit einer Ehe hatte man ihr Verhältnis aber auch dann nicht vergleichen können.

Nachdem man den Bibliothekar zu Unrecht ins Gefängnis geworfen hatte, war es ausgerechnet Isabella gewesen, die seine Unschuld beweisen konnte, und sie hatte ihm in seiner düstersten Stunde zur Seite gestanden.

Noch immer richteten sich Antons Nackenhaare auf, wenn er an den Verrat seines Helfers dachte, der ihn in den Kerker gebracht hatte. Schuld an allem war ein Mann namens Gerhard gewesen. Der hatte in der Bibliothek einen Hinweis auf einen Goldschatz gesucht, der angeblich während der türkischen Belagerung versteckt worden war. Sie hatten Antons Hund Prinz getötet und auch der Bibliothekar selbst war nur knapp mit dem Leben davongekommen.

Die Liebe zwischen Anton und Isabella war seitdem stetig gewachsen. Eines Tages hatte sie ihn in der Bibliothek besucht und es war zum ersten Mal zum Beischlaf gekommen. Jetzt brannte er darauf, sie in seine Arme zu schließen.

So leise wie möglich öffnete Anton die Tür zu ihren Gemächern. Dann trat er ein.

»Bist du das, Anton?«

»Ja. Ich wollte sehen, ob du schon aufgestanden bist.«

»Ich nehme ein Bad. Komm zu mir!«

Anton wurde noch wärmer. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Isabella nach der anstrengenden Reise in derart guter Stimmung war. Er zog die Schuhe aus und ging zu ihr.

»Du bist heute Morgen sehr früh in die Bibliothek gegangen.«

»Ich wollte dich nicht wecken. Den Rest des Tages bleibe ich aber bei dir, wenn du das wünschst.«

»Und ob ich das wünsche!« Isabella stand auf. »Du darfst mir beim Abtrocknen helfen.«

Anton schluckte, als er den nackten Körper seiner Gemahlin sah, an dem das Wasser herunterlief. Er beeilte sich, ihrem Wunsch nachzukommen.

»Ich habe dich vermisst«, sagte sie, nachdem sie aus der Wanne gestiegen war. Sie drückte ihren Körper fest an den ihres Gemahls und schlang die Arme um seinen Hals. Dann küssten sie sich.

»Und ich habe sehnsüchtig auf dich gewartet.« Anton hob Isabella hoch, trug sie zum Bett und legte sie vorsichtig auf die Decke. Dann beeilte er sich, seine Kleidung auszuziehen.

»Ich trage ein Kind in mir«, verkündete Isabella, als sie einige Zeit später in Antons Armen lag.

Der Bibliothekar setzte sich auf. »Bist du sicher? Man kann noch gar nichts sehen.«

»Eine Frau weiß so etwas.«

»Damit machst du mich zum glücklichsten Mann am Kaiserhof.« Anton küsste Isabella zärtlich auf den Bauch. Tatsächlich hatte ihm seine Gemahlin bereits vor einem halben Jahr gesagt, dass sie sich ein Kind wünsche. Dass es nun bald so weit sein sollte, erfüllte ihn mit Freude und Stolz.

»Übertreibe nicht!«

»Das müssen wir feiern.«

»Haben wir das nicht gerade getan?«

Anton lachte auf. Dann dachte er daran, welch großes Glück er hatte, mit dieser Frau verheiratet zu sein. »Wollen wir einen Spaziergang im Schlosspark unternehmen?«

»Später vielleicht. Ich habe noch eine Überraschung für dich.«

»Was ist es?«

»Wir müssen in die Bibliothek gehen.«

»Da war ich heute schon. Mir ist nicht aufgefallen, dass etwas anders ist.«

»Wir sollten dort dennoch nach dem Rechten sehen.«

Anton sah seiner Gemahlin an, dass sie etwas im Schilde führte. Weitere Fragen waren aber zwecklos. Wenn sie ihm etwas zeigen wollte, würde er erst in der Bibliothek erfahren, um was es ging.

***

Isabella schob ihren Gemahl durch die Tür und schloss sie dann hastig hinter sich.

»Warum diese Geheimnistuerei?« Anton sah seine Gemahlin an. »Hast du etwa Angst, es könnte uns jemand gemeinsam in der Bibliothek sehen?«

»Du wirst mich gleich verstehen.«

Anton trat ein paar Schritte in den Raum und erstarrte.

»Warum gehst du nicht weiter?«

»Woher kommt dieser Hund?«

»Ich habe ihn für dich mitgebracht.«

Der Bibliothekar starrte seine Gemahlin ungläubig an. Im gleichen Moment wurde er von einem Sturm aus Gefühlen gepackt. Einen größeren Beweis für ihre Liebe konnte Isabella nicht erbringen. Anton wusste, dass sie keine Hunde mochte. Bei Prinz hatte sie sich immer wieder über den furchtbaren Gestank beschwert, der von dem Tier ausging. Jetzt war sie es, die einen Welpen mitbrachte.

Der Schäferhund hatte braunes, glänzendes Fell und sah Anton aus großen Augen an. Als er einen Schritt auf ihn zuging, wedelte das Tier mit dem Schwanz, kam aber nicht näher.

»Das werde ich dir niemals vergessen.«

»Ich habe gesehen, wie du unter dem Tod des Köters gelitten hast, und wollte dir eine Freude machen.«

Anton war so überwältigt, dass er es seiner Gemahlin sogar verzieh, Prinz einen Köter genannt zu haben. »Ich kann nicht glauben, dass du das getan hast.«

»Darf ich meinem Gemahl keine Freude machen?«

»Natürlich darfst du das.«

»Es muss dir aber klar sein, dass ich das Vieh nicht in unseren Gemächern sehen will.«

»Natürlich nicht.« Anton nahm seine Gemahlin in den Arm und küsste sie leidenschaftlich.

Ein kurzes Jaulen zog Antons Aufmerksamkeit wieder auf den Hund. Er hatte sich nicht von der Stelle bewegt und schien unsicher zu sein, was er von den beiden Menschen halten sollte. »Komm her«, sagte der Bibliothekar und streckte die Hand aus. Das Tier näherte sich vorsichtig und begann dann über Antons Finger zu lecken.

»Hat er schon einen Namen?«

»Er heißt Hektor.«

»Das passt zu ihm«, sagte Anton zufrieden. »Sicher hat er Hunger.«

»Er hat heute Morgen schon etwas bekommen. Nachdem du in die Bibliothek gegangen bist, habe ich ihn besucht. Der Stallmeister hat auf ihn aufgepasst, seitdem wir gestern in Wien angekommen sind. Er sollte ihn hierherbringen, sobald du diese Räume verlässt.«

»Danke!« Anton fehlten die Worte. Es war gerade einmal Mittag. Er würde Vater werden und hatte außerdem einen neuen Gefährten bekommen. An diesem Tag würde ihm keiner mehr die gute Stimmung verderben können.

Wieder jaulte Hektor auf. Dann ging er mit den Hinterläufen in die Hocke. Sekunden später bildete sich eine Lache auf dem Boden.

»Du wirst ihn noch erziehen müssen«. Isabella konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

»Das werde ich mit großer Freude tun.«

»Leider kann ich nicht bei dir bleiben«, sagte Isabella nach einer Weile. »Ich muss mich mit der Königin um die Hochzeit von Maria Anna kümmern.«

»Das weiß ich«, sagte Anton. »Ich werde in der Zwischenzeit mit Hektor nach draußen gehen.«

»Ich kann immer noch nicht glauben, dass die Schwester des Königs diesen Greis heiraten muss«, sagte Isabella.

»So alt ist Herzog Maximilian von Bayern nun auch wieder nicht.«

»Doch, Anton. Er ist zweiundsechzig geworden. Anna Maria gerade einmal fünfundzwanzig. Ich hätte ihr einen jüngeren Gemahl gewünscht, mit dem sie ein langes Leben teilen kann.«

»In München wird sie es guthaben. Herzog Maximilian verehrt sie.«

»Weil er einen Erben braucht. Du weißt, dass er bisher keine Nachkommen hat.«

»Genau deswegen wollte der Kaiser diese Hochzeit«, sagte Anton. »Er bindet Bayern damit noch stärker an das Reich. Wenn Maria Anna dem Kurfürsten keinen Sohn schenkt, wird sein Reich an Wien fallen.«

»Das meine ich ja«, regte sich Isabella auf. »Der Kaiser verheiratet seine älteste Tochter, weil er seine Macht festigen will.«

»Sie hat in die Heirat eingewilligt.«

»Ihr Vater hat ihr keine andere Wahl gelassen.«

Anton antwortete nicht. Im Grunde hatte Isabella recht. Außerdem wollte er sich nicht mit seiner Gemahlin streiten. Nicht heute und nicht, nachdem sie sich so lange nicht gesehen hatten. Der Tag war bisher vollkommen. Das wollte er jetzt nicht zerstören.

Isabella küsste ihren Gemahl zum Abschied. Dann verließ sie die Bibliothek. Jetzt hatte der Schreiber die Zeit, sich mit Hektor zu befassen. Als er ins Freie trat und die Mittagssonne auf seiner Haut brannte, entschloss sich Anton, mit Hektor in den Park zu gehen. Dort konnte er sich im Schatten der Bäume aufhalten und den Hund rennen lassen. Während Hektor auf der Wiese umhertollte, hing der kaiserliche Schreiber seinen Gedanken nach.

Die Nachrichten vom Friedensschluss in Prag und der Kriegserklärung Frankreichs gegen Spanien waren innerhalb weniger Tage in Wien angekommen. Auch wenn die Hochzeit des bayrischen Kurfürsten mit der Kaisertochter das bestimmende Thema im Wiener Adel war, blieb die Frage, ob der Frieden Bestand haben konnte, allgegenwärtig.

Die Zukunft würde zeigen, ob Johann Georg von Sachsen zu seinem Wort stehen und dem Pakt mit dem Kaiser und der Katholischen Liga treu bleiben würde. Nur dann war es möglich, einen Frieden für das Heilige Römische Reich zu erwirken. Je mehr protestantische Reichsfürsten sich dem Vertrag anschlossen, umso stärker konnte das Bündnis gefestigt werden. Vor allem war es wichtig, Georg Wilhelm von Brandenburg für die Sache zu gewinnen. Der Kurfürst musste sich endgültig von den Schweden lossagen und auf die Seite des Kaisers stellen.

Solange sich die schwedischen und französischen Truppen im Reich befanden, würde der Krieg weitergehen. Anton dachte an den böhmischen und ungarischen König. Ferdinand III. konnte nicht an der Hochzeit seiner Schwester teilnehmen, weil er sich gemeinsam mit General von Gallas auf einem Feldzug in Prag befand. Dabei war ungewiss, ob die Kaiserlichen ihren Feinden würden trotzen können.

Elsass, 8. Juli 1635

»Was wir hier tun, ist unrecht«, sagte Bartelt ärgerlich.

»Wir befinden uns im Krieg und müssen unser eigenes Überleben sichern«, entgegnete Anna Maria.

»Die Bauern sind aber nicht der Feind. Wir verderben ihnen die Ernte. Unseretwegen leiden sie im Winter Hunger. Viele von ihnen werden sterben.«

»Daran können wir nichts ändern. Wir nehmen den Soldaten das Essen. So schwächen wir den Gegner.«

Anna Maria und Bartelt standen gemeinsam mit Monika Buchler auf einem Feld und schnitten Getreide. Andere Frauen standen bereit, es zu binden. Der Bäcker war mit seinem Fuhrwerk unterwegs, um es abzutransportieren.

Herzog Karl IV. von Lothringen hatte die Armee ins Elsass geführt und belagerte die Stadt Colmar, die von einer französischen Einheit besetzt war. Den Menschen aus dem Tross kam die Aufgabe zu, so viel zu ernten, wie sie mitnehmen konnten. Den Rest sollten die Reiter vernichten. Peter ritt mit seinen Kameraden über die Äcker und zog dort tiefe Furchen.

Überall brannten Feuer. Sie hinterließen nichts als schwarze Erde. Der Rauch war mittlerweile so dicht, dass Bartelt kaum etwas sah. Trotz der feindlichen Übermacht versuchten die Bürger von Colmar, ihre Felder zu verteidigen. Einige von ihnen würden ihren Mut mit dem Leben bezahlen. Aus der Ferne hörte er das Krachen der abgefeuerten Geschütze.

»Jetzt zerstören sie ihre eigene Ernte«, sagte Anna Maria spöttisch.

»Nicht mit Absicht. Wir sind das Ziel der Kanonen.«

»Das mag sein, Bartelt. Wenn sie uns aber nicht sehen, wie wollen sie uns dann treffen?«

Der Bursche schwieg und setzte seine Arbeit fort. Peter hatte ihm oft erklärt, wie grausam die Schweden mit dem Landvolk umsprangen. Als er selbst noch auf der anderen Seite gekämpft hatte, war der Korporal immer wütend geworden, wenn es zu Übergriffen auf die Bauern gekommen war. Jetzt erkannte Bartelt, dass die Kaiserlichen um keinen Deut besser waren.

»Das genügt«, sagte Monika. »Wir kehren ins Lager zurück.«

Anna Maria nickte ihrer Mutter zu. »Du hast Recht. Die Kanonenkugeln kommen näher. Wir sollten uns vom Acker machen.«

Aus der Ferne hörten sie Schreie. Dann fielen Schüsse. Bartelt wusste, dass etwa einhundert Männer am Rand der Felder lagen. Sie sollten die Bauern aufhalten, wenn sie einen Versuch unternahmen, ihre Ernte zu retten. Kurz darauf kam der Peter mit seiner Einheit zu ihnen. Die Söldner johlten und lachten.

Angewidert wandte Bartelt den Blick ab und schaute zur Stadt. In Colmar feuerten die Geschütze eine Salve ab. Der Bursche erkannte, dass die Kugeln in ihre Richtung flogen. Eine davon schoss direkt auf Anne Maria zu.

»Runter!« Nach dem Warnruf rannte Bartelt auf die Frau zu, sprang sie an und stieß sie zur Seite. Keine Sekunde später krachte das Geschoss direkt an der Stelle in den Boden, an der Anna Maria gestanden hatte. Sie war kreidebleich, als sie Bartelt dankbar zunickte.

Peter sah, wie knapp seine Gemahlin mit dem Leben davongekommen war. Er ritt zu ihr, stieg vom Pferd, nahm sie in die Arme und drückte sie fest an sich. Dann drehte er sich zu Bartelt um.

»Das werde ich dir niemals vergessen.«

Kurz darauf befahl der Hauptmann den Rückzug. Sie kehrten erleichtert ins Lager zurück. Am Abend gab Peter ein Fass Bier aus. An diesem Tag hatte er nichts dagegen, dass auch Bartelt einen Krug mit den Männern trank.

Am nächsten Morgen ergab sich die Stadt. Die französischen Soldaten waren im Schutz der Rauchwolken geflohen.

***

Von Colmar aus zog das bayrische Heer weiter nach Rufach.

»Im Schloss gibt es mehr Fenster als Tage im Jahr«, staunte Anna Maria, die gemeinsam mit ihrem Gemahl durch die Straßen ging und die Sonne genoss.

»Hier hält Erzherzog Leopold Wilhelm von Österreich Hof, wenn er in der Stadt ist.«

»Du meinst den Sohn von Kaiser Ferdinand II.?«

»Ja. Er ist außerdem Bischof von Straßburg. Daher reist er gelegentlich ins Elsass.«

»Sind wir hier vor einem Angriff der Franzosen sicher?«

»Ich denke schon, meine Liebe. Das wird sich aber ändern, wenn wir die Mosel erreichen.«

»Wann wird das sein?«

»In wenigen Tagen.«

Der Herzog von Lothringen wollte den Feind aus seinem Gebiet vertreiben und später weiter gegen Bernhard von Sachsen-Weimar vorgehen. Der schwedische Heerführer kämpfte derzeit im Dienst des französischen Königs. Nach der Niederlage in Nördlingen war er mit dem Rest seiner Truppen nach Frankreich gezogen und hatte sich dort anwerben lassen.

»Müssen wir uns dann trennen?«

Peter sah den ängstlichen Blick seiner Gemahlin. »Wir ziehen über Sulz nach Thann. Von dort aus führt ein schmaler Pass über den Berg nach Lothringen. Der Tross wird diesen Weg nicht nehmen können und deshalb um das Gebirge herumziehen.«

»Wäre es nicht besser, das Heer ebenfalls den Umweg nehmen zu lassen, wenn der Pfad so gefährlich ist?«

»Nein.« Dem Korporal gefiel es selbst nicht, sich von Anna Maria trennen zu müssen. An der Stelle des Herzogs hätte er nicht anders gehandelt. Karl IV. von Lothringen wollte die Franzosen in Remiremont an der Mosel angreifen. Sicher wusste man dort bereits, dass sich der Feind auf dem Weg befand. Jetzt war Eile geboten. Ihr Gegner durfte nicht zu viel Zeit bekommen, die Stadt zu befestigen. Sie gehörte zum Gebiet des Herzogs und der wollte sie zurück in seine Gewalt bringen.

»Bartelt wird bei dir bleiben.«

»Das wird ihm nicht gefallen.«

»Das ist mir gleich. Er wird tun, was ich ihm befehle.«

»Der Bursche spricht seit Wochen davon, mit dir in den Kampf zu ziehen.« Anna Maria hakte sich bei ihrem Mann ein. »Erfülle ihm diesen Wunsch. Er hat es verdient.«

»Darum geht es nicht. Es ist zu gefährlich für ihn. Bartelt hat so gut wie keine Kampferfahrung.«

»Er hat mir das Leben gerettet.«

»Dafür bin ich ihm dankbar. Trotzdem. Ich bin für den Knaben verantwortlich. Ich will nicht, dass ihm etwas geschieht.« Noch größer als die Angst um den Burschen waren Peters Sorgen um sein Weib. Bartelt musste ihr die anstrengenden Arbeiten abnehmen. Der Gedanke, dass ihr oder dem Kind etwas geschehen könnte, war unerträglich. Er hatte sich geschworen, alles dafür zu tun, Anna Maria zu schützen.

»Irgendwann musst du ihm die Möglichkeit geben, sich zu beweisen.«

»Aber noch nicht jetzt. Ich habe schon Knaben ihm Kampf fallen sehen, die älter waren als Bartelt. Mein Entschluss steht fest. Er wird bei dir im Tross bleiben.«

***

»Pass auf, Johann!« Peters Warnruf hallte durch das Gebirge. Aber er kam zu spät. Der Söldner, der etwa zwanzig Meter vor dem Korporal lief, trat in den Morast und verlor das Gleichgewicht. Dann fiel er in den zähen Schlamm.

»Zieht ihn raus«, befahl Peter. Weil zwischen ihm und Johann mindestens zwei Dutzend Soldaten auf dem schmalen Pfad standen, konnte er selbst nicht eingreifen. Er sah, wie der Söldner verzweifelt versuchte, sich aufzurichten. Aus eigener Kraft konnte er sich aber nicht aus dem Sumpf befreien und sank immer tiefer ein. Endlich kamen ihm zwei Kameraden zu Hilfe und versuchten, den Mann an den Stiefeln zu packen.

Peter hörte die verzweifelten Rufe vor sich, war aber weiter zur Untätigkeit verdammt. Wenn er versuchte, sich einen Weg nach vorne zu bahnen, gerieten weitere Männer in Gefahr. Auch so wurden die Soldaten auf dem Pfad nun unruhiger und kämpften gegen ihre Panik an.

Der Korporal wurde von hinten angestoßen und drehte sich ärgerlich um. »Haltet still. Dann wird keinem von euch etwas geschehen.« Peter schaute wieder zu Johann. Der geriet jetzt in Panik und versuchte verzweifelt, sich an der Oberfläche zu halten. Einer der Männer, die ihn herausziehen wollten, hielt so stark dagegen, dass er ihm den Stiefel vom Fuß riss. Der Schwung ließ ihn nach hinten taumeln. Seine Kameraden schafften es ihm letzten Moment, ihn festzuhalten, bevor auch er in den Morast fiel.

Auch der zweite Soldat konnte Johann nicht mehr festhalten. Weitere Männer wollten helfen, griffen aber ins Leere. Es kam Peter so vor, als wollte der Morast seine Beute nicht mehr hergeben. Der Söldner war jetzt so weit vom rettenden Pfad entfernt, dass ihn seine Kameraden nicht mehr erreichten. Dann sank er mit dem Kopf ein.

Hilflos mussten die Soldaten Johanns Todeskampf mit ansehen. Einer warf ihm das Ende eines Seiles zu, das der Mann aber nicht mehr greifen konnte. Der Sumpf kannte keine Gnade. Wieder sank der Söldner mit dem Kopf ein und versank schließlich ganz in dem Morast. Luftblasen stiegen auf. Dann wurde es ruhig. Den Söldnern stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Keiner sagte auch nur ein Wort.

»Passt auf, wohin ihr tretet«, befahl Peter. »Johann war unvorsichtig. Das ist ihm zum Verhängnis geworden. Bleibt dicht hintereinander und weicht kein Stück vom Pfad ab. Ich möchte nicht noch einen Mann verlieren.« Den Korporal hatten die Ereignisse stärker beeindruckt, als er vor den anderen zugeben wollte. Johanns Todeskampf hatte allen vor Augen geführt, wie gefährlich der Weg war, den der Herzog von Lothringen eingeschlagen hatte.

Kurz darauf setzte sich das Heer wieder in Bewegung. Jetzt achteten die Männer noch stärker darauf, wohin sie ihre Füße setzten. Die Männer mussten hintereinandergehen. Jeder wusste, dass ein falscher Schritt den sicheren Tod bedeutete. Dennoch starben drei weitere Söldner, bis sie endlich felsigen Untergrund erreichten.

Nachdem sie die höchste Stelle des Passes überwunden hatten, konnten sie unter sich den Ort sehen. In Remiremont schien man noch nichts von der anrückenden Bedrohung bemerkt zu haben. Eine Stadtmauer gab es nicht und die wenigen Geschütze, über die die Franzosen verfügten, würden das Heer des Herzogs von Lothringen nicht aufhalten können. Der Sieg war ihnen gewiss. Und die Beute.

***

»Treibt die Dreckskerle aus ihren Löchern!« Gemeinsam mit seiner Einheit stürmte Peter auf Remiremont zu. Nach dem Angriffsbefehl des Herzogs von Lothringen waren die Männer fest entschlossen, die Stadt schnell einzunehmen. Sie freuten sich bereits auf die gut gefüllten Bierkrüge, mit denen sie den Sieg am Abend feiern würden.

Die Franzosen lagen in den Häusern verschanzt und feuerten ihre Musketen ab. Der Korporal sah, dass in den vorderen Reihen der Kaiserlichen einige Soldaten fielen. Jetzt mussten sie die Zeit nutzen, die der Feind zum Nachladen brauchte.

Peter zögerte, seine eigene Waffe abzufeuern. Die gegnerischen Soldaten lagen gut versteckt in den Gebäuden. Solange er kein Ziel fand, würde er nur unnötig eine Kugel verschwenden. Sie mussten in den Ort hinein. Dann konnten sie die Franzosen aus den Häusern treiben.

Er war nur noch wenige Meter von Remiremont entfernt, als er den Lauf einer Muskete in einem Fenster sah. »Runter!«

Genau wie seine Männer warf sich Peter auf den Boden und entging der Kugel knapp. Martin Buchler lag direkt neben ihm und nickte ihm dankbar zu. Peter dachte an Anna Maria. Sie würde ihm große Vorwürfe machen, wenn ihr Vater auf dem Schlachtfeld zurückblieb. Er sprang auf und führte seine Männer auf das Gebäude zu. Sie rannten auf die andere Seite. Dort blieben sie vor dem Eingang stehen.

Der Korporal nahm sich die Zeit, einen kurzen Blick in die Straßen von Remiremont zu werfen. Überall kämpften die Kaiserlichen nun gegen die Franzosen. Schüsse und die Schreie von Soldaten und fliehenden Bürgern mischten sich zu einem Getöse, in dem es unmöglich wurde, die Befehle seines Hauptmannes zu verstehen. Peter wusste auch so, was er als Nächstes zu tun hatte.

Er hob seine Muskete an, zündete die Lunte und gab Martin ein Zeichen. Der trat mit aller Wucht gegen das Türblatt und schleuderte es so in den Raum. Peter schob seinen Schwiegervater zur Seite, richtete die Waffe nach innen, sah den Franzosen vor dem Fenster liegen und drückte ab. Zufrieden sah er, wie der Kopf des Mannes zurückgeschleudert wurde und gegen die Wand schlug. Dann drehte er sich zu seinen Männern um.

»Schaut überall nach, ob sich hier noch mehr von denen verstecken!«

Peter lud seine Waffe nach und beobachtete die Straße. Sollte einer der Franzosen auf ihn zulaufen, wollte er ihn erwischen. Schnell erkannte er, dass das kurze Gefecht bereits entschieden war. Die Truppen des Herzogs von Lothringen hatten den Ort inzwischen regelrecht überschwemmt. Die Feinde merkten, dass sie sich hoffnungslos in der Unterzahl befanden. Viele von ihnen suchten ihr Heil in der Flucht.

»Wir haben lediglich zwei Frauen gefunden«, berichtete Martin Buchler kurz darauf. Peter trat in den Raum und sah, dass eine der beiden noch fast ein Mädchen war. »Ihnen darf nichts geschehen«, sagte Peter energisch, »wir kämpfen nicht gegen die Bürger von Remiremont. Sie sind nicht unsere Feinde.«

Der Korporal sah die Enttäuschung im Blick seiner Männer und schüttelte den Kopf. Der Herzog von Lothringen hatte den Söldnern ausdrücklich verboten, in seinen Ländereien zu plündern. Peter würde dafür sorgen, dass seine Kameraden sich daran hielten.

Nachdem auch der letzte Franzose entweder tot oder aus Remiremont vertrieben war, schlugen die Kaiserlichen vor dem Ort ihr Heerlager auf. Zwei Tage später kam der Tross ebenfalls auf den Feldern an. Erleichtert nahm Peter Anna Maria in den Arm und drückte sie fest an sich. Bartelts vorwurfsvollen Blick ignorierte er.

Torgau, 11. Juli 1635

Das Knurren in seinem Magen war stärker als die Angst. Er hatte seit zwei Tagen nichts gegessen. Das Loch in seinem Bauch tat weh. Er konnte nicht länger warten.

Hugo griff blitzschnell nach dem Brot und versteckte es unter seinem Hemd. Der Zehnjährige wollte gerade davonlaufen, als er im Nacken gepackt, zurückgezogen und auf den Boden geschleudert wurde.

»Habe ich dich endlich, du miese, kleine Ratte.«

Voller Furcht drehte er sich auf den Rücken. Zunächst konnte er nichts sehen, weil er von der Sonne geblendet wurde. Dann fiel ein endlos erscheinender Schatten über ihn.

»Ich beobachte dich schon lange«, sagte die rundliche Frau zornig.

Hugo wusste, dass es sich um die Köchin im Torgauer Schloss handelte. Bisher war es ihm immer gelungen, rechtzeitig zu fliehen, wenn er sie sah. Heute musste sie ihm aufgelauert haben. Verzweifelt dachte der Knabe darüber nach, wie er dem Koloss entkommen konnte. Wenn sie ihn einmal in ihren dicken Pranken hatte, würde sie ihn verprügeln, bis ihm Hören und Sehen verging.

Er sprang auf und wollte mit gesenktem Kopf losrennen. Die Köchin ging zwei Schritte vor. Dabei stieß sie ihn einfach mit ihrem Körper weg, sodass er erneut zu Boden fiel. Hinter sich sah er den Dienstboteneingang des Schlosses. Vermutlich hatte sie sich dort versteckt, als sie Hugo gesehen hatte. Zweimal in der Woche brachte sie immer zur gleichen Zeit mehrere frisch gebackene Brote nach draußen, damit sie abkühlen konnten. Der Knabe hatte sich dort bereits oft bedient, aber immer nur einen kleinen Laib genommen.

»So einfach entkommst du mir nicht.« Die Köchin warf Hugo einen hasserfüllten Blick zu. Sie trug ein Tuch um den Kopf, das ihre Haare komplett verdeckte. Ihre nackten Oberarme waren gespannt, die Hände zu Fäusten geballt. »Du hast mich heute zum letzten Mal bestohlen. Ich werde dich so verprügeln, dass dich deine eigene Mutter nicht mehr erkennt.«

»Mach doch«, erwiderte Hugo trotzig, »sie will mich sowieso nicht.«

»Danach übergebe ich dich an die Wachen«, schimpfte die Köchin weiter, ohne auf die Erwiderung einzugehen. »Du hast sicher schon gehört, welche Strafe auf Diebstahl ausgeschrieben ist. Sie werden dir die rechte Hand abhacken. Dann kannst du den Rest deines Lebens als Bettler verbringen.«

»Das ändert überhaupt nichts“, fuhr Hugo die Frau an. Er verspürte Todesangst, war aber gleichzeitig so wütend darüber, erwischt worden zu sein, dass er nicht mehr darüber nachdachte, was er sagte. »Bring mich doch gleich um!«

»Werd’ nicht auch noch frech, du kleine Missgeburt!«

»Wieso nicht? Das ändert jetzt auch nichts mehr.«

»Du scheinst nicht sehr an deinem Leben zu hängen«, sagte die Köchin misstrauisch. Dann zog sie ihre Stirn in Falten. »Was hast du eben gesagt? Was ist mit deiner Mutter?«

»Sie hat mich fortgeschickt.«

»Wie meinst du das?«

»Sie hat mir gesagt, dass sie sich nicht mehr um mich kümmern kann und ich mich nie mehr bei ihr blicken lassen soll.«

»Wann war das?«

»Vor einigen Wochen.«

Die Köchin erschrak kurz, hatte sich dann aber schnell wieder in der Gewalt. »Was hast du angestellt? Warum hat sie dich weggeschickt?«

»Ich habe gar nichts angestellt«, erwiderte Hugo trotzig, »sie hat nicht genug Geld, um mich durchzufüttern. Das hat sie gesagt.«

»Was macht sie denn?«

»Sie ist eine Hübschnerin. In letzter Zeit kommen aber kaum noch Männer zu ihr.«

»Und dein Vater?«

»Den kenne ich nicht.«

»Ich verstehe.«

Hugo sah, wie die Gesichtszüge der Frau weicher wurden. Sie schaute schon seit einer Weile nicht mehr so zornig drein. Der Knabe schöpfte Hoffnung, dass die Strafe vielleicht doch nicht so schlimm werden würde.

»Wo hältst du dich in Torgau versteckt? Wo schläfst du?«

»Meistens außerhalb der Stadt am Fluss. Wenn es regnet, gehe ich in eine der Scheunen. Dort hat mich bisher noch nie jemand erwischt.«

»Dafür kannst du Gott danken.« Mittlerweile war der Blick der Köchin fast freundlich.

»Du hast die Wahl«, sagte die Frau schließlich. »Du kannst jetzt mit mir kommen und ich gebe dir Essen und einen Platz zum Schlafen. Dann verlange ich aber absoluten Gehorsam von dir. Ich werde mir von dir keine weiteren Frechheiten gefallen lassen. Falls du nicht tust, was ich dir sage, bringe ich dich zu den Wachen.«

»Was geschieht, wenn ich das nicht will?« Hugo hätte sich für diese Frage am liebsten selbst geohrfeigt. Er hatte es bisher nicht oft erlebt, so nett behandelt zu werden, wie es gerade die Köchin tat. Und das, obwohl er sie bereits mehrfach bestohlen hatte.

»Lasse ich dich gehen. Du kannst weiterhin dein Glück als Dieb versuchen. Ich garantiere dir aber, dass du dann nicht lange überleben wirst.«

Hugo sah die Köchin Zeit schweigend an.

»Was ist nun?«, fragte sie nach einer Weile.

»Ich komme mit dir.«

***

Eine Stunde später saß Hugo in der Küche des Schlosses und hatte eine dampfende Schüssel Eintopf vor sich. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so etwas Gutes gegessen hatte. Die Köchin, die sich ihm als Hiltrud vorgestellt hatte, saß ihm gegenüber und sah ihm zu.

»Du bist ja völlig ausgehungert«, sagte sie lachend, als der Knabe um einen Nachschlag bat.

»Danke, dass du mich nicht bestraft, sondern mir etwas zu essen gegeben hast.«

»Sei froh, dass ich so ein weiches Herz habe«, erwiderte Hiltrud lachend. »Trotzdem musst du lernen, dass du nicht stehlen darfst.«

»Was geschieht jetzt mit mir?« Auch wenn die Köchin ihn offensichtlich nicht mehr bestrafen wollte, fühlte sich Hugo ratlos. Das Leben in der Gosse von Torgau war hart. Er hatte nicht mehr als das, was er am Leib trug. Überall wurde er fortgeschickt. Er konnte nur überleben, wenn er das Nötigste stahl. Hiltrud schien ihm helfen zu wollen. Konnte er ihr vertrauen? Bisher war noch nie ein Mensch gut zu ihm gewesen. Nicht einmal seine Mutter.

»Ich muss gestehen, dass ich das noch nicht weiß.« Die Köchin sah den Knaben nachdenklich an. »Wenn du willst, kannst du heute Nacht in der Küche schlafen. Morgen überlegen wir uns, wie es weitergeht.«

***

»Du bist noch hier?«, fragte Hiltrud am nächsten Morgen und sah Hugo überrascht an.

»Du hast gesagt, dass ich hier schlafen kann.«

»Ich habe befürchtet, du würdest in der Nacht verschwinden. Ich bin froh, dass du es nicht getan hast.«

»Was hast du jetzt mit mir vor?«

»Zunächst einmal werden wir frühstücken. Du bist viel zu dünn. Das ändern wir.«

Hugo sah der Köchin zu, wie sie ein Feuer im Ofen entfachte und einen Topf mit Wasser aufsetzte. Als es kochte, schütte sie eine Tasse voll Gries hinein, rührte kräftig um und zog ihn von der heißen Platte. »Jetzt warten wir, bis der Brei abgekühlt ist«, sagte sie dann. »Wir werden eine Wurst dazu essen.«

Hugos Gesicht hellte sich auf. In diesem Moment entschied er für sich, dass er so lange bei Hiltrud bleiben würde, wie er durfte.

»Warum stellst du das Brot nach draußen, wo es jeder sehen kann? Hier ist doch Platz genug.« Hugo hatte die ganze Zeit darüber nachgedacht, ob er es wagen konnte, diese Frage zu stellen. Das Blech mit dem frisch duftenden Brot hatte ihn überhaupt erst zur Schlossküche gelockt.

»Warum fragst du das?«, gab die Köchin erstaunt zurück.

»Weil es im Freien jeder wegnehmen kann.«

»Es gibt da draußen nicht nur solche Strolche wie dich«, sagte Hiltrud vorwurfsvoll.

»Sagst du mir es trotzdem?«

»Was meinst du?«

»Warum du das Brot rausbringst.«

»Du bist ein neugieriger Bursche«, sagte Hiltrud lachend. »Ich will es dir erklären. Das Brot muss nach dem Backen abkühlen. In der Küche würde es den Geschmack von dem Rauch annehmen, der hier überall in der Luft liegt. Deshalb bringe ich es raus.«

Die Köchin stand auf, nahm eine Kelle und füllte zwei Schüsseln mit dem Brei, der mittlerweile nicht mehr ganz so heiß war. Dann nahm sie eine Wurst aus dem Räucherschrank und brach sie in der Mitte durch. »Iss jetzt«, sagte sie freundlich und reichte dem Knaben seine Portion.

Das ließ sich Hugo nicht zweimal sagen.

»Wir gehen jetzt zu Herbert«, sagte Hiltrud. »Vielleicht kann er dir Arbeit geben.«

»Wer ist das?«

»Der Bärenwärter.«

»Wir gehen zu den Bären?« Für einen kurzen Moment glaubte Hugo, sich verhört zu haben. Er kannte die prächtigen Tiere, die in einem Graben um das Schloss herum gehalten wurden. Er hatte sie schon oft aus der Ferne beobachtet. Sein Herz machte einen Sprung, als er daran dachte, sie aus der Nähe zu sehen.

»Ja. Herbert hat mir einmal gesagt, dass die Arbeit zu viel wird und er einen Helfer braucht. Wenn wir zu ihm gehen, musst du dich gut benehmen. Sprich nur, wenn er dich etwas fragt, und sei nicht vorlaut!«

Die Köchin führte den Jungen an der Mauer des Schlosses entlang zu einem Gewölbe. Dort sahen sie einen älteren Mann, der mit einem Stock in einem Bottich rührte. Als Hiltrud in ansprach, fuhr er ärgerlich herum.

Hugo erschrak. Herbert war der größte Mensch, den er je gesehen hatte. Seine Statur glich der eines Bären. Er schaute seinen Besuchern finster entgegen.

»Was willst du?«, wandte er sich dann direkt an die Köchin.

»Ich habe etwas mit dir zu besprechen.«

»Hat das nicht Zeit? Ich muss die Tiere füttern.«

»Es dauert nicht lange.«

»Also gut.«

»Du wartest hier«, sagte Hiltrud zu dem Jungen und trat in das Gewölbe.

Hugo konnte nicht verstehen, was die beiden miteinander sprachen, erkannte aber, dass es um ihn ging. Herbert schien nicht zu gefallen, was ihm die Köchin sagte. Er warf dem Jungen einen geringschätzigen Blick zu. Dann schüttelte er den Kopf. Hiltruds Stimme wurde schärfer, war aber immer noch zu leise, um sie zu verstehen. Endlich nickte der Bärenwärter und ging ein paar Schritte auf Hugo zu.

»Komm her!«, befahl Herbert und winkte den Jungen zu sich. »Du bist also der Tagedieb, den Hiltrud gestern aufgegriffen hat.«

»Ja«, antwortete Hugo kleinlaut.

»Man sollte dir die Finger abhacken.« Der Blick des Bärenwärters wurde noch finsterer. »Sei froh, dass du an die Köchin geraten bist. Sie ist viel zu barmherzig. Jede andere hätte dich zu den Wachen gebracht.«

Hugo antwortete nicht. Was hätte er in diesem Moment auch zu seiner Verteidigung vorbringen sollen? Mit einem Mal kam es ihm nicht mehr so schlau vor, im Schloss geblieben zu sein. Er hätte fliehen sollen, als er die Gelegenheit dazu hatte.

Herbert betrachtete sich den Burschen genauer. »Wie siehst du überhaupt aus? Hast du keine Schuhe?«

»Ich habe noch nie welche besessen«, antwortete Hugo und sah verlegen auf seine schmutzigen, nackten Füße. Seine Mutter hatte ihm nie etwas gekauft. Die Hose reichte ihm nur knapp über die Knie und war genauso löchrig wie sein Hemd. Er trug die Sachen bereits seit einigen Jahren.

»Ich werde ihm welche besorgen«, sagte Hiltrud mit sanfter Stimme. »Ebenso neue Kleidung. Außerdem wird er baden.«

Hugo sah die Köchin dankbar an.

»Komm morgen bei Sonnenaufgang wieder«, sagte der Bärenwärter schließlich.

»Du lässt ihn bei dir arbeiten?«, fragte Hiltrud.

»Ich werde es mit ihm versuchen, ja. Wenngleich ich das vermutlich bald bereuen werde.«

Hugo konnte kaum glauben, dass er tatsächlich mit Herbert bei den Bären arbeiten durfte. Er schwor sich, den Mann niemals zu enttäuschen.

Ostfrankreich, 15. September 1635

»Wird uns der König von Frankreich angreifen?« Martin Buchler beobachtete neben Peter Hagendorf das freie Feld. Von Lothringen aus waren sie nach Rambervillers gezogen, hatten die feindlichen Soldaten aus dem Ort vertrieben und so viele Schanzen ausgehoben, dass alle Männer Schutz fanden. Es lag eine brütende Hitze über dem Land. Den Soldaten liefen die Schweißtropfen über die verschmutzten Gesichter. Vielen von ihnen hatte die Sonne an den freiliegenden Stellen die Haut verbrannt.

»General von Werth und der Herzog von Lothringen vertrauen darauf. Nur aus diesem Grund haben sie die Befestigungen errichten lassen. Wir werden den Franzosen einen gebührenden Empfang bereiten.«

»Was, wenn nicht?«

»Wie meinst du das?«

»Sollte der König mit seinen Truppen abziehen, war die Arbeit der letzten Wochen vergebens.« Martin deutete auf die Felder, die sich vor der Verteidigungsanlage ausbreiteten. »In den letzten Tagen hat sich bei den Froschfressern nicht das Geringste getan. Vielleicht wollen sie nur verhindern, dass wir weiter in ihr Land vordringen, und warten ab, was wir tun.«

Peter schüttelte den Kopf. »Die Franzosen müssen etwas tun. Wir sind mit einem großen Heer in ihr Land eingedrungen. Das können sie nicht hinnehmen.«

»So, wie du sprichst, wäre dir ein Angriff recht.«

»Natürlich wäre er das. Der Winter ist nicht mehr weit. Ich möchte die Zeit bis dahin nicht in dieser Schanze verbringen.«

»Warum? Es fehlt uns hier an nichts. In den letzten Jahren habe ich kein Land mit so großen Viehbeständen gesehen. Wir würden auch im Winter versorgt sein.«

»Das mag sein. Dennoch bevorzuge ich ein festes Quartier. Auch für deine Tochter.«

»Anna Maria ist es gewohnt, die kalten Monate im Heerlager zu verbringen.«

»Aber nicht in ihrem Zustand. Möchtest du, dass sie unser Kind hier im Feld zur Welt bringt.«

»Natürlich nicht.«

»Und deshalb sollen uns die Franzosen ruhig angreifen. In Rambervillers liegen alle Vorteile auf unserer Seite.« Peter schätzte seinen Schwiegervater sehr. Manchmal dachte er aber einfach zu kurz. Auch wenn es ihnen im Moment gut ging, konnte sich das schnell ändern. Niemand konnte sagen, wohin sie der Krieg führen würde. Das Eingreifen der Franzosen hatte vieles verändert. Nach Nördlingen hatte Peter geglaubt, dass sie die Schweden besiegen und vertreiben konnten. Jetzt war der Friede in weite Ferne gerückt.

»Wie ich hörte, ist uns das feindliche Heer überlegen«, sagte Martin.

»Das ist es nicht.«

»Angeblich sind es mehr als dreißigtausend Mann.«

»Selbst wenn. Viel weniger sind wir auch nicht. Wir können sie einen nach dem anderen aus der Deckung abschießen. Lass die Franzosen nur kommen!« Peter lachte auf. »Die Soldaten, gegen die wir bisher gekämpft haben, waren schwach. Sie sind es nicht gewohnt, in die Schlacht zu ziehen. Wir dagegen tun seit Jahren nichts anderes.«

»Wenn das alles so stimmt, wäre es dumm vom König, uns anzugreifen.«

»Er kann unmöglich wissen, wie gut wir uns verschanzt haben. Außerdem verfügt er über wenig Kriegserfahrung. Ich bin davon überzeugt, dass er uns in die Falle laufen wird.«

Martin wollte etwas erwidern, wurde aber von Schreien aus dem Heerlager abgelenkt. Dann trieben die Reiter ihre Pferde zwischen den Schanzen hindurch aufs offene Feld.

»General von Werth scheint ebenfalls nicht länger warten zu wollen«, sagte Peter, als die Kavallerie in einer Staubwolke verschwand. »Die Kavallerie unternimmt einen Ausfall, um den Feind zu locken. Bald werden wir wissen, ob sich der französische König zum Kampf stellt.«

***

Es dauerte bis zum Abend, bis General Johann von Werth mit der Kavallerie zurückkehrte. Peter schickte Bartelt zu den Pferden. Dort sollte er herausfinden, was es Neues zu berichten gab. In der Zwischenzeit saß der Korporal mit Anna Maria und ihren Eltern am Feuer. Es dauerte nicht lange, bis der Knabe aufgeregt zurückkehrte.

»Die Franzosen stellen uns ein gewaltiges Heer entgegen«, berichtete Bartelt atemlos. »Es sollen über dreißigtausend Soldaten sein.«

»Das wussten wir schon, bevor die Kavallerie aufgebrochen ist.« Peter warf ein Stück Holz ins Feuer. »Wie weit ist der Feind noch entfernt.«

» Etwa drei Stunden. Wie es heißt, bereiten sie sich auf einen längeren Aufenthalt vor.«

»Das ist zu weit für einen Überraschungsangriff. Sie werden uns nur belauern.«

Peter sah seinen Schwiegervater überrascht an. So einfältig Martin manchmal auch war: Es gab Momente, da erkannte er das Wesentliche schneller als alle anderen. »Kam es zum Gefecht?«

»Nein. Die Kavallerie hat den Feind nur beobachtet. Es sind Späher zurückgeblieben. Sie werden uns rechtzeitig vor dem Angriff warnen.«

Es wird keinen Angriff geben, dachte Peter. Er vermutete, dass der französische König auf weitere Truppen wartete und die bayrische Armee nur beobachtete. Im Stillen leistete er seinem Schwiegervater Abbitte, der mit seinen Vermutungen recht behalten hatte.

»Was bedeutet das für uns?«, fragte Anna Maria und sah ihren Gemahl besorgt an.

»Zunächst nur, dass wir weiter warten müssen. Die Schanzen sind fertig. Im Augenblick können wir nicht viel tun.«

»Ihr müsst den Feind nicht angreifen?«

»Nein, Anna Maria. Es wäre töricht, den ersten Schritt zu gehen. Hier liegen alle Vorteile in unserer Hand. Zögen wir den Franzosen jetzt entgegen, wäre es genau umgekehrt. Die beiden Armeen sind sich in der Anzahl der Soldaten ebenbürtig. Der Ort der Schlacht wird ihren Ausgang bestimmen. Wenn es überhaupt dazu kommt.«

»Wenigstens haben wir genug zu essen«, sagte Martin Buchler.

Peter stand auf und klopfte sich den Staub von den Hosen.

»Wohin willst du?«, fragte Anna Maria.

»Ich gehe zum Hauptmann. Wenn es neue Befehle gibt, wird er darüber Bescheid wissen.«

Wie der Korporal vermutet hatte, planten der Herzog von Lothringen und General von Werth keinen Angriff auf das französische Heerlager. Stattdessen wollten sie den Feind in den Schanzen erwarten.

Die Söldner im Heer reagierten sehr unterschiedlich auf die Nachrichten. Viele waren froh, dass sie weiterhin faul in der Sonne liegen konnten. Es gab aber auch Männer, die sich danach sehnten, in den Kampf zu ziehen. Im Heerlager konnten sie keine Beute machen.

Peter sorgte sich vor allem um seine Gemahlin. In wenigen Wochen stand ihre Niederkunft bevor. Wenn sie sich dann noch im Heerlager befanden oder kurz davor mit dem Tross aufbrachen, wurde es gefährlich für Anna Maria. Der Korporal hätte sie gerne schnell in ein sicheres Winterquartier geschickt. Ohne ihn würde sie aber niemals fortgehen.

In den folgenden zwei Wochen geschah wenig. Die Soldaten versahen ihren Wachdienst in den Schanzen und warteten darauf, dass der König von Frankreich seine Truppen in Bewegung setzte. Unterdessen kehrte der schlimmste Feind der Menschen in das Heerlager zurück. Dutzende steckten sich mit der Pest an. Die Heerführer ließen die Kranken zusammentragen, konnten aber nicht verhindern, dass sich die Seuche weiter ausbreitete.

***

»Wo ist Bartelt?«, fragte Peter, als er gemeinsam mit Martin Buchler nach dem Wachdienst bei seiner Gemahlin und deren Mutter, die vor dem Zelt an ihrer Feuerstelle saßen, eintraf.

»Ich habe ihn Holz holen geschickt«, antwortete Anna Maria. »Er müsste bald zurück sein.«

»Gut.« Der Bursche vollendete an diesem Tag sein dreizehntes Lebensjahr. Peter hatte ihm versprochen, dass er ihm eine eigene Muskete schenken würde und er dann am Wachdienst teilnehmen durfte. In den letzten Wochen war Bartelt immer unzufriedener geworden. Der Korporal musste ihm eine Aufgabe geben. Die meiste Zeit über hatte er bisher bei Anna Maria bleiben müssen. Peter war es wichtig, dass seine Gemahlin einen Beschützer hatte, wenn er nicht bei ihr sein konnte. Er sah aber auch ein, dass Bartelt das nicht mehr reichte.

»Ihr kommt gerade zur rechten Zeit«, sagte Barbara Buchler und lächelte die Männer an. »Das Fleisch ist gleich gar.«

»Hast du auch Brot?« Martin ging zu seiner Gemahlin und küsste sie auf die Wange.

»Nur wenig. Ein Pfund kostete heute fünfundvierzig Kreuzer. Ein Pfund Fleisch dagegen nur zwei. Der Bäcker sagt, dass er kaum noch Mehl hat.«

»Zumindest werden wir nicht verhungern, solange es Fleisch im Überfluss gibt. Wir haben schon wesentlich schlechtere Zeiten erlebt.«

»Das haben wir«, gab Barbara ihrem Gemahl recht.

»Peter!«

Der Schrei ließ den Korporal herumfahren. Dann sah er Bartelt auf sich zu rennen. Der trug mehrere Holzscheite auf den Armen und stand kurz davor, über seine eigenen Füße zu stolpern.

»Was ist mit dir?«, fragte Peter und musste sich ein Lachen verkneifen, als der Bursche der Länge nach hinschlug, nachdem er das Brennmaterial neben der Feuerstelle auf den Boden fallengelassen hatte.

Bartelt stieß einen Fluch aus und rappelte sich auf. »Die Franzosen haben ihr Lager verlassen.«

»In welche Richtung? Greifen sie uns an?«

»Nein. Sie ziehen ab.«

»Warum hältst du dann so ein Geschrei?«

»Wir werden ihnen folgen.«

»Woher weißt du das?«

»Der Herzog von Lothringen versammelt gerade die Offiziere in seinem Zelt.«

»Das kann viele Gründe haben«, entgegnete Peter. Insgeheim ging aber auch er davon aus, dass die Zeit des Müßigganges endlich vorbei war. »Hilf Anna Maria beim Packen.«

»Ja, Herr.« In seiner Aufregung vergaß Bartelt, dass er noch länger auf eine eigene Muskete warten musste.

Wien, 14. Oktober 1635

Eintrag in die kaiserliche Chronik des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation:

Nachdem bayrische und kaiserliche Truppen bereits ins Elsass vorgedrungen sind, hat Frankreich nun auch Kaiser Ferdinand II. den Krieg erklärt und sich mit Schweden gegen das Heilige Römische Reich verbündet.

Herzog Karl IV. von Lothringen ist es gelungen, gemeinsam mit General Johann von Werth auf französischem Boden Fuß zu fassen. Bisher konnte König Ludwig XIII. allerdings nicht zur Schlacht gezwungen werden.

Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar ist mit den verbliebenen Gruppen in französischen Dienst eingetreten. Unter General von Gallas folgte ihm ein kaiserliches Heer nach Lothringen. In Wallerfangen kam es schließlich zum Gefecht, in dem die Franzosen die Armee des Heiligen Römischen Reichs zurückschlug.

Matthias von Gallas führte seine Truppen über Saarbrücken nach Frankreich. König Ludwig XIII. gab daraufhin sein Heerlager vor Rambervillers auf, um den Vormarsch der Kaiserlichen zu stoppen.

Kurfürst Georg Wilhelm von Brandenburg und Herzog Georg von Braunschweig sind dem Prager Friedensschluss nach zähen Verhandlungen beigetreten. Landgraf Wilhelm V. von Hessen-Kassel zeigte sich nicht zu einer Einigung mit Ferdinand II. bereit. Er befindet sich weiterhin mit der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt im Streit. Zudem eroberte er mit seinen Truppen Teile Kurkölns.

Ein kurzes Bellen ließ Anton in seiner Arbeit innehalten. Er schaute zu Hektor, der vor seinem Schreibtisch stand und freudig mit dem Schwanz wedelte.

»Du hast recht, mein Junge. Lass uns nach draußen gehen!« In den letzten Wochen war es dem Bibliothekar gelungen, seinen Hund so zu erziehen, dass er sich meldete, wenn er musste. Das Tier hatte seinen Platz neben Antons Schreibtisch und schlief auch dort. Er genoss die Spaziergänge mit Hektor. Gelegentlich wurden sie sogar von Isabella begleitet. Anton vermutete, dass seine Gemahlin den Hund ebenfalls in ihr Herz geschlossen hatte. Zugeben würde sie dies freilich nicht.

Ohne ein bestimmtes Ziel schlenderte der Bibliothekar mit dem Hund durch die Straßen Wiens. Es waren nur wenige Leute in der Stadt unterwegs. Es war für die Jahreszeit recht kalt. Anton machte das nichts aus. Er war froh, dass es nicht regnete. Die Bewegung tat ihm gut und er genoss die frische Luft.

Hektor lief meist ein Stück voraus, entfernte sich aber nie mehr als zwanzig Meter von seinem Herrn. Anton musste nur pfeifen, dann war er sofort an seiner Seite. Nach etwa einer halben Stunde stellte er fest, dass er sich nur noch eine Straße von seinem Elternhaus befand. Ohne es zu wollen, war er fast den direkten Weg zu dem Gebäude gegangen. Sollte er es besuchen?

Es fiel ihm schwer, eine Entscheidung zu treffen. Er blieb an der Kreuzung stehen und rief Hektor zu sich. Der zögerte nicht und rannte zu seinem Herrn. »Du bist ein guter Junge«, sagte Anton. Auch wenn Hund noch zu jung war, um ihn zu beschützen, fühlte er sich sicherer, wenn er ihn bei sich hatte. Er glaubte nicht daran, dass ihn bei seinem Elternhaus eine Gefahr erwartete. Dennoch erweckte der Gedanke, dorthin zu gehen, ein ungutes Gefühl.

Antons Vater lebte schon lange nicht mehr, und nachdem auch seine Mutter gestorben war, hatte das Gebäude einige Jahre leer gestanden. Der Bibliothekar hatte es schließlich seinem Helfer Peter Heinlein und dessen Weib geschenkt. Zum Dank war er von den beiden verraten worden. Ferdinand II. hatte ihn in den Kerker werfen lassen. Isabella war es, die den Betrug schließlich hatte aufklären können. Daraufhin hatte der Kaiser Peter Heinlein verurteilt und hinrichten lassen. Sein Weib hatte man tot in der Gosse gefunden.

Über die Schenkung hatte es keinerlei Dokumente gegeben. So war das Haus wieder in Antons Besitz übergegangen. Isabella hatte ihm unmissverständlich gesagt, dass sie nicht aus dem Kaiserhof ausziehen würde und ihm geraten, das Haus zu verkaufen. Bisher hatte er sich nicht zu diesem Schritt durchringen können. Vielleicht würde sich das heute ändern. Er konnte es nicht ewig leer stehen lassen.

»Wir gehen einen anderen Weg.« Anton wechselte die Straßenseite und bog in die Straße ein, in der sein Elternhaus stand. Hektor folgte ihm freudig. Schon von Weitem erkannte er, dass sich kaum etwas verändert hatte. Der Bibliothekar hatte einen Nachbarn gebeten, sich um das Gebäude zu kümmern. Er selbst war seit dem Tod der Heinleins nicht mehr dort gewesen.

Am Haus widerstand Anton dem ersten Impuls, der ihn dazu drängte, umzukehren. Als er die Hand auf die Türklinke legte, bellte Hektor freudig.

»Du meinst, wir sollen in das Haus gehen?«

Wieder bellte der Hund und wedelte mit dem Schwanz.