Der Sonnenfürst von Köln - Tilman Röhrig - E-Book

Der Sonnenfürst von Köln E-Book

Tilman Röhrig

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Beschreibung

Erstmals als E-Book erhältlich:
Tilman Röhrigs fulminanter Roman aus dem Rheinland des 18. Jahrhunderts


Brühl, vor dem Kölntor, 1733: Verängstigt kauert Margaretha im Gebüsch. Vor ihren Augen wurde gerade ein adliger Kavalier heimtückisch ermordet, und die Gänsemagd ahnt, dass sie besser nichts gesehen hätte. Zumal der Tote der Favorit des Kurfürsten Clemens August war, den fortan tiefe Trauer und Rachegedanken plagen. Doch wer agiert so infam gegen ihn und seine Vertrauten?

Als die Augenzeugin eine Anstellung am Bonner Hof findet, gerät sie in ein Netz aus Eitelkeiten, Raffgier und Intrigen, denen auch der Kurfürst hilflos ausgeliefert scheint. Will er seine Stellung und sein Reich schützen, muss er rasch gegen die verdeckten Widersacher vorgehen. Doch die Feinde im Rheinland wie auch in Bayern haben längst einen perfiden Plan ausgeheckt, um die Magd zum Schweigen zu bringen und den Sonnenfürsten zu stürzen.

Klappentext der Erstausgabe:
Er ist der Sonnenfürst vom Rhein, Kurfürst Clemens August, feinsinniger Kunstmäzen und verschwenderischer Bauherr. Als sein engster Vertrauter heimtückisch ermordet wird, übermannt ihn die Gewissheit, dass man auch ihm nach dem Leben trachtet. Nur zwei Menschen halten unbeirrbar zu ihm: der Hofzwerg Albert le Grand und die Harfenspielerin Mechthild Brion. Doch können sie ihn vor seinen machtgierigen Gegnern schützen?

Das Buch ist in vorherigen Auflagen unter dem Titel »Der Sonnenfürst« bei Pendo und bei Piper Taschenbuch erschienen.

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Seitenzahl: 653

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Der Sonnenfürst von Köln

Tilmann Röhrig

Impressum

Der Sonnenfürst von Köln · Tilman Röhrig

Copyright der Neuausgabe 2023: Tilman Röhrig

Die Veröffentlichung dieses Werkes erfolgt auf Vermittlung der Autoren- und Verlagsagentur Peter Molden, Köln.

Das Buch ist in vorherigen Auflagen unter dem Titel »Der Sonnenfürst« bei Pendo und bei Piper Taschenbuch erschienen..

Regionalia Verlag · Ein Imprint der Kraterleuchten GmbH, Gartenstraße 3, 54550 Daun

Verlagsleitung: Sven Nieder

Alle Rechte vorbehalten.

Gestaltung: Björn Pollmeyer

Titelabbildung: Johann Georg de Hamilton, Kaiserliche Wagenburg Wien – Kladruber Hengst »Cerbero« in der Kapriole [Wikimedia Commons]

Korrektorat: Victoria Hammes, Tim Becker

ISBN E-Book: 978-3-95540-513-7

ISBN Print: 978-3-95540-388-1

www.regionalia-verlag.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Personen

Eins

Unmerklich öffnete der Zwerg den Vorhang einen Spalt. Kerzenlicht flackerte in den Wandspiegeln. Er nahm das Gesicht etwas zurück, senkte die Lider, kein Widerschein seiner Augen durfte ihn verraten. Die Kerzen auf den Leuchtern waren fast niedergebrannt. Geruch nach Wachs, nach erloschenem Docht reizte, fest presste Albert die großen Nasenflügel zusammen. Nur keinen Laut. Erst als das Niesen ganz unterdrückt war, spähte der Bucklige wieder ins Vorzimmer zum Schlafgemach.

Sein Herr lehnte im Sessel, den hellen Hausmantel vor der Brust nur lose gebunden, das Rüschenhemd nicht mehr hochgeschlossen. Über den Rand des Weinglases lächelte er seinen Besucher an. »Ich bin müde und doch nicht müde. Johann, lieber, lieber Freund. Wenigstens zwei Tage für uns ...« Er nahm einen Schluck. »Jagen, Essen, etwas Musik. Seit Tagen sehne ich diesen Ausflug nach Brühl herbei.«

»Denke, das Wetter bleibt über die ganze Woche gut.« Johann Baptist von Roll schenkte sich aus der Karaffe nach, zu hastig, etwas vom schweren Roten schwappte ihm über den Handrücken. Für einen Moment starrte er auf die blutroten Spuren, dann wischte er sie mit einem Tuch weg. »Wünschte nur, wir wären wirklich allein.«

»Ärgere dich nicht. Die Jagdgesellschaft ist klein, wir sind neun ...«

»Verzeiht, mein Fürst. Auf mindestens vier von den Herren könnte ich gut verzichten. Würde ihnen gern das Fell abziehen.«

»Nicht Hasen, mein Johann. In Brühl jagen wir Reiher und die haben nun mal kein Fell.« Der Scherz erreichte den Freund nicht.

Clemens August sah die geballte Faust, das Zittern der breiten Schultern, sah in die funkelnden Augen. »Wie zornig du sein kannst. Ich wünschte, ich hätte etwas von deiner kraftvollen Energie.« Er räusperte sich, setzte den Pokal zurück auf den Marmortisch. »Du weißt genau, wie wichtig du mir bist. Wichtiger als alle Minister, Beamten und Gäste an meinem Hof. Aber ich muss auf der Hut sein, darf keinen meiner Höflinge vor den Kopf stoßen. Und gerade die engen Parteigänger meines Ersten Ministers Graf Plettenberg zählen genau und rechnen nach, wie oft sie zu einer Jagdpartie geladen werden.«

»Aber ich will verflucht sein, wenn ...« Johann wischte sich über die Stirn, sog den Atem durch die gespannten Lippen. »Verzeiht, mein Fürst. Es liegt am Wein.«

»Entschuldige dich nicht.« Clemens strich einige Mal mit der Handfläche über den hölzernen Knauf der Armlehne. »Alle müssen sich in der Wortwahl vorsehen, nur du allein sollst so mit mir sprechen, wie dein Herz es befiehlt.«

Hinter dem Vorhang zuckte der Zwerg zusammen. Ein leichtes Rascheln ließ ihn herumfahren und nach dem Dolch greifen. Kaum hatte er den Kammerdiener über sich im Halbdunkel erkannt, schüttelte er den Kopf und schob ihn zurück in den Audienzsaal. »Verdammt, Molitor«, zischte er. »Soll mich deinetwegen der Schlag treffen?«

»Schon gut, Buckel.« Der hagere Mann beugte sich zu ihm. »Wollte nur wissen – bleibt Freiherr von Roll? Benötigen sie noch Wein?«

»Sieht nicht danach aus. Unsere Durchlaucht ist müde. Könnte mir aber vorstellen, dass der Abend in Brühl morgen länger wird. So eine Mainacht ...«

Im Vorzimmer wurden die Stimmen lauter. Hart stieß Albert dem Diener in

die Seite. »Zurück auf deinen Stuhl!« Und huschte selbst gleich wieder zum

Vorhangspalt.

Die Männer hatten sich erhoben. Ein ungleiches Paar. Der Fürstbischof, schlank und hochgewachsen, trotz der zweiunddreißig Jahre noch jugendlich biegsam in der Bewegung, die Locken seiner dunklen Perücke lagen weich auf den Schultern. Der siebzehn Jahre ältere Freund und Komtur des Deutschen Ordens war kleiner und gedrungen, seine Gesten entschieden und das Haar kurz und schon angegraut.

Clemens streckte die Hand aus. Ehe von Roll sie ergreifen konnte, strich ihm der Fürst den Arm, tastete nach den Muskeln, streifte leicht den Hals. »Gute Nacht. Ich danke Gott, dass wir uns im letzten Jahr begegnet sind. Einen Freund zu haben, ist ein Geschenk. Mein Vertrauen, meine Zuneigung aber gehen noch darüber hinaus ...« Er senkte die Stimme. »Du darfst mich festhalten. Bitte!«

»Liebster Clemens.« Johann schloss die Arme um ihn und der Fürst senkte das Gesicht, für einen Moment berührten sich die Wangen. »Gute Nacht.«

Der Augenblick war vorüber, das Versteck der Sehnsucht wieder geschlossen. Sie lösten sich, sahen einander an, dann wandte sich Komtur von Roll zum Ausgang.

Schon wollte sich der Zwerg von seinem Beobachtungsposten zurückziehen, als Clemens den Freund aufhielt. »Ach, einen ... nein zwei Gefallen noch. Bitte! Ich werde morgen gleich in der Frühe aufbrechen. Allein. Ihr Herren aber werdet vor dem Jagdvergnügen noch eine Pflicht erfüllen müssen.« In die Augenwinkel stahl sich jungenhafte Schadenfreude. »Ihr werdet ohne mich an dem Requiem für die jüngst verstorbene Gräfin teilnehmen.«

Von Roll hob die Hand, wollte protestieren, doch der Fürst kam ihm zuvor. »Auch du, mein Freund. Wenn wir uns beide dieser lästigen Pflicht entziehen, schürt es die Eifersucht der Höflinge gegen dich nur unnötig weiter.«

Der Komtur zwang sich zu einem Lächeln. »Einer Laune füge ich mich nur ungern, aber wenn es Euer Wunsch ist, so soll er mir Befehl sein.«

»Rede nicht so galant!« Clemens drohte ihm mit dem Finger. »Sonst glaube ich wirklich, dass du verärgert bist.«

Von Roll dehnte die Brust. »Was ist die zweite Bitte?«

»So spät am Sonntagabend will ich den Hofmarschall nicht mehr herumschicken. Gib du morgen den Befehl rechtzeitig in meinem Namen an die übrigen Herren weiter. Niemand soll es wagen, sich zu weigern. Ohne Requiem keine Jagd. Dies ist eine Maßnahme, den höfischen Übermut der Parteigänger meines Ersten Ministers einzudämmen. Und du kannst mir dabei helfen.«

Im Vorhangversteck spitzte Albert die Lippen. Ob das so klug ist?, dachte er. Da soll ein Freiherr einem Grafen sagen, was zu tun ist? Er zog sich zurück, huschte zur Wandnische des Kammerdieners. Dort verneigten sich beide, als Johann Baptist von Roll ohne einen Blick zur Seite an ihnen vorbeischritt.

Einen Atemzug später schlug die kleine Glocke über ihnen an, und ehe sie verklungen war, eilten die Diener bereits ins Vorzimmer.

»Bringt mich zu Bett!«

Jeder kannte seine Aufgabe. Während Molitor den Fürsten vor den Spiegel geleitete, begann Albert die allabendliche Durchsuchung des Schlafgemachs. Er raffte die schweren Bettvorhänge zu den hölzernen Eckpfeilern und hob Kissen und Decken an. Er fiel auf die Knie, kroch um den hohen Kasten herum. Dann ein Blick hinter den Paravent. Kurz horchte Albert an der Seidentapete, ehe er mit einem Ruck die Geheimtür öffnete und in den schmalen Gang spähte. Zum Schluss noch sorgsam jede Fensternische. »Euer Durchlaucht ...« Er trippelte auf Zehenspitzen bis zum zierlichen Tisch, auf dem Kämme und Bürsten und Scheren neben Onduliereisen und Puderdosen lagen. »Die Inspektion ist abgeschlossen. Kein Unbefugter hat sich hereingeschlichen. Ihr werdet ungefährdet schlafen können.«

»Danke, Spürhund.« Clemens wartete, bis der Kammerdiener ihm die Perücke abgenommen hatte. Dann betrachtete er den Zwerg, wie sich dieser

immer noch auf Zehenspitzen hielt, und schmunzelte.

»Ohne dich wäre ich sicher längst im Schlaf stranguliert oder erstochen worden. Du bist mein ...« Er zögerte absichtlich, runzelte die hohe Stirn.

»Bitte sagt es, Herr!« Nur mühevoll gelang es dem Buckligen, mit dem großen Kopf auf dem schmächtigen Leib, nicht zu schwanken.

»Bitte!«

»Tu es mon Albert le Grand.«

»Merci.« Der Zwerg verneigte sich feierlich. Aus keinem anderen Munde klang sein Name so elegant. Selbst als Clemens anfänglich nur seinen Spottnamen »Der Bucklige« ins Französische übersetzt und ihn »Albert le Bossu« genannt hatte, war es für ihn schon ein Ehrentitel gewesen. Und dann war der Tag der verdorbenen Fischsuppe gekommen. Albert hatte vorgekostet und seinen Herrn rechtzeitig gewarnt. Dankbar wurde ihm von Clemens ein Silberstück überreicht. »Mon Albert le Grand.«

Nach kurzem Verwundern gab der Zwerg ihm die Münze zurück. »Stattdessen behalte ich den Namen. Wenn Ihr erlaubt, Herr.«

Dabei war es geblieben. Albert war nicht der Hofnarr – diesen Posten hatte ein studierter Zwerg mit Doktortitel inne –, auch war er nicht der kleinwüchsige Krüppel für die Späße bei Gesellschaften.

»Ich bin mehr«, sagte sich Albert nicht ohne Stolz. Denn ausgerechnet ihn, den Niemand, den kurzbeinigen Buckel aus Köln, hatte der Fürstbischof hinauf zu sich, ganz in seine Nähe erhoben. Und Albert wachte über seinen Herrn bei allen Mahlzeiten und in den Privatgemächern, war aufmerksam, verschwiegen und liebte es, hin und wieder das »Albert le Grand« aus dem Mund des Herrn zu hören.

Längst war Clemens August entkleidet. Im knielangen Nachtgewand saß er vor dem Frisiertisch. Seine Perücke lüftete auf der Drahtkugel und Molitor löste die Spangen aus dem Kopfhaar, kämmte die verschwitzten Strähnen und scheitelte sie. »Wie scheußlich«, seufzte Clemens. »Warum nur konnte ich meine Locken nicht behalten? Bis weit über den Rücken fielen sie. Du kennst sie noch. Sag es!«

»Sie waren wirklich eine Pracht, Euer Gnaden.«

»Das will ich meinen. Und dann musste ich diese stolze Schönheit der Bischofswürde opfern. Abgeschnitten. Habt ihr beide eine Vorstellung, wie schrecklich es ist, wenn kraftvolles langes Haar einer Schere zum Opfer fällt?«

Die allabendliche Klage. Und wie stets schüttelten die Diener nachfühlend den Kopf.

Clemens erhob sich. Auf sein Schnippen hinüber zum Paravent brachte Molitor den mit kämpfenden Hirschen bemalten Porzellantopf. Der Fürstbischof schürzte selbst das Hemd bis hoch zum Nabel, und während sein Diener ihm das Geschirr, an beiden Henkeln gefasst, an die Mitte hielt, erkundigte er sich: »Hast du die blaue Kluft für morgen bereitgehängt?« Der volle Strahl tönte ins Porzellan. »Wir beizenden Reiher ...« Clemens senkte den Blick und schrie im selben Moment auf. »Da! O mein Gott!« Ohne das Wasserlassen zu unterbrechen, wandte er sich zur Seite. Urin spritzte in Richtung des Zwerges. »Ich verblute! Sieh doch!« Er lenkte den Strahl wieder ins Gefäß. Albert sprang hinzu. Auch Molitor beugte sich über den Topf, seine Hände zitterten. Dunkelrot strömte der Saft, schäumte im rötlichen See. Clemens rang nach Atem. »Gift. Es hat schon die Eingeweide zerfressen.« Sein Gesicht war erblasst. »Ein Anschlag. Nun ist es den heimlichen Feinden doch gelungen.« Der Strahl ebbte ab, vertropfte. Reglos starrte der Fürst nach unten. »Großer Gott.« Seine Stimme sank ins Düstere. »Ich werde ausbluten.«

Albert hob die Hand. »Wenn Ihr erlaubt, Euer Gnaden.« Er wartete nicht ab, tauchte einen Finger ins warme Nass, roch daran, leckte schließlich und schmeckte nach. Einen Moment lang wiegte er den Kopf, dann sah er zu seinem Herrn auf. »Es ist kein Blut, Durchlaucht.«

»Du willst mich nur schonen.«

»Verzeiht. Ich bin mir ganz sicher.«

Die verkrallten Hände lösten sich und das Hemd sank, verhüllte die Blöße. »Aber was ... Warum?«

Albert wagte ein zuversichtliches Lächeln. »Die Mahlzeit heute Mittag. Zum Rebhuhn gab es ein Gemüse aus der roten Rübe. Davon habt Ihr mit Genuss und herzhaft viel gegessen. Erinnert Euch!«

Clemens rieb sich die Stirn, atmete aus. »Und du meinst ...?«

»Meine Nase und meine Zunge täuschen mich nicht. Die Färbung rührt daher.«

Der Fürstbischof nickte. »Warne mich beim nächsten Mal vor. Auch ein Schreck kann der Gesundheit Schaden zufügen.« Damit stieg er ins Bett und sank mit tiefem Seufzer in die Kissen.

Das letzte Brausen der Orgel war noch nicht verklungen, als das Portal der Schlosskirche aufgestoßen wurde. Vier Männer drängten gleichzeitig ins Freie, behinderten sich gegenseitig. Die Mienen noch von der Andacht für die verstorbene Gräfin gesammelt, kein Wort, dafür sprachen Ellbogen und Schultern umso deutlicher.

Den Sieg errang Leutnant Freiherr Hubert von Burgau, schmal, spitzgesichtig zwängte er sich nach vorn, sein Schritt wurde schneller, nach wenigen Metern schon hastete er zu den mit den Pferden wartenden Knechten hinüber. Ihm dicht auf den Fersen folgte im Sturm Baron Friedrich Christian von Beverförde. Als ein Verwandter und Ziehsohn des allmächtigen Ersten Ministers genoss er die besten Beziehungen und war zum Vizeobriststallmeister aufgestiegen. Jetzt aber hieb er sich mit dem schwarzen Dreispitz in der Faust wie einem Gaul an die Rockseite. Dahinter eilten auf gleicher Höhe drei weitere Herren des Bonner Hofstaates zum Unterstand jenseits des Ehrenhofes. Ihnen nach, zwar auch schon im bequemen Reitzeug und mit Sporen an den Stiefeln, aber in angemessener Haltung schritten die beiden älteren Teilnehmer der Jagdgesellschaft: der fünfundvierzigjährige Generalleutnant August Wolfart von der Lippe mit dem frisch ernannten Minister für die Angelegenheiten des Deutschen Ordens, Johann Baptist von Roll.

»Wie losgelassene Hunde.« Der General bellte ein Lachen. »Wenn man sie so sieht, sollte man nicht glauben, dass bis auf den jungen von Zweiffel und unsern Domherrn Wolff-Metternich jeder schon das dreißigste Jahr überschritten hat. Aber ...« Wieder das Lachen.

»Aber die Kerle gefallen mir.« Ein Blick zur Seite. Vergorener Geruch nach übermäßigen Saufgelagen am Wochenende begleitete die Frage: »Wie steht's mit Euch, werter Freund?«

»Etwas mehr Disziplin könnte nicht schaden. Die Abstammung aus gutem Haus rechtfertigt keine schlechten Manieren.«

»Wie wahr. Und das aus Eurem Mund ...« Der Graf brach den Scherz ab, immer noch nicht ganz ausgenüchtert, wurde er vorsichtiger. »Ich verstehe. Ihr Ritter des Deutschen Ordens lebt nach strengen Regeln. Es zieren Euch Anstand, Treue, Sitte und vieles Gute mehr.« Ein anerkennendes Zungenschnalzen. »Deshalb steht Euch auch manch sonst verschlossene Tür mit einem Mal weit offen.«

»Was denkt Ihr von mir?« Komtur von Roll gab sich leicht. »Wenn Euch etwas drückt, nur heraus damit!«

»Nichts, werter Freund. Es wird ein schöner Tag heute.«

»Lenkt nicht ab, General! Wir waren beide damals in der Schlacht bei Malplaquet. Rückzug bedeutet Feigheit vor dem Feind. Und seit damals in Frankreich seid Ihr bekannt für Euren Mut.«

»Es sollte doch nur ein Geplauder ... Also gut. Ich bewundere Eure Karriere hier bei Hof. So rasch kann beim Militär selbst der Tüchtigste nicht aufsteigen. Vor wenigen Monaten noch wart Ihr in der Bonner Residenz ein Unbekannter und nun seid Ihr schon ganz in der Nähe unseres Fürsten, gehört zu seinen engsten Vertrauten.«

»Worauf zielt Ihr ab?« Der Ton schnitt die Luft.

»Ihr ... Ihr gebt Befehle weiter«, haspelte der General und war erleichtert, diese Antwort gefunden zu haben. »Heute in der Frühe ... Erinnert Euch. Das war schon ungewöhnlich.«

Von Roll atmete aus, nestelte am Halssaum des Schultermantels. »Der Beschluss wurde erst sehr spät gefasst«, murmelte er. »Die Zeit für den üblichen Weg war zu knapp.«

»Genau das meine ich.« Von der Lippe versuchte die Heiterkeit zurückzugewinnen. »Und alle haben wir die Exequien für die Gräfin gut überstanden. Und nun geht's nach Brühl: zur Falkenjagd.«

Kaum hatte sein Stallbursche ihm in den Sattel geholfen, wartete er nicht, ließ das Pferd traben und schloss sich der vorderen Gruppe mit Beverförde und Leutnant Burgau an. Weil die Breite der Straße in Richtung Brühl nicht mehr Platz bot, ritten nur Wolff-Metternich und Zweiffel gemeinsam mit dem Komtur an der Spitze der Dienerschaft mit den Ersatzpferden.

Bonn blieb zurück. In voller Blütenpracht standen die Obstbäume rechts und links. Auf den Wiesen grasten Kühe und Schafe. Ein heller, sonniger Maimorgen.

Nur mit halbem Ohr hörte Johann den Gesprächen der beiden jungen Herren zu, gab einsilbig Antwort auf ihre Fragen. Seit gut einer Stunde starrte er unverwandt nach vorn zur führenden Gruppe. Dort wurde palavert, übertrieben gestikuliert, und blickten einige kurz über die Schulter zurück, dann brach sogleich allgemeines Gelächter aus.

Sie meinten ihn! Nein, kein Zweifel: Sie spotteten über ihn. »Wartet nur«, flüsterte er. »Es kommt der Tag, da wird Kerlen wie euch das lose Maul

gestopft.«

Nicht weit vor Brühl, in Höhe von Bornheim, war unvermittelt ein Wortgefecht zwischen dem General und Friedrich Christian von Beverförde entstanden. Beide stammten aus dem Münsterland. Mit deutlichen Handgesten versuchte von der Lippe den dickschädeligen Vizeobriststallmeister zu mäßigen, bewirkte aber nur das Gegenteil. Schließlich zügelte Beverförde den Gaul, ließ die zweite Gruppe näherkommen.

»Komtur von Roll, ist eine Frage erlaubt?« Das Schweigen deutete er als Einwilligung. »Damals bei Malplaquet. Ich hab da unterschiedliche Meinungen gehört. Und weil die Schlacht schon über zwanzig Jahre her ist, kann sich unser General auch nicht mehr so genau an den Hergang erinnern. Sagt, seid Ihr gleich in der Frühe beim ersten Angriff verwundet worden? Und sofort in Gefangenschaft geraten? Wie man weiß, war die Schlacht sehr blutig, und Ihr seid nicht besonders groß? Und da ist es ja verständlich, dass in dem Gedränge so ein Kleiner ...« Er hob entschuldigend die Hand. »Aber Ihr wisst ja selbst am besten, wie es war.«

Von Roll hielt die Zügel in beiden Fäusten, die Knöchel weiß. »Erst nachdem wir in die Stellungen der Franzosen eingedrungen waren, erlitt ich die Verwundung am rechten Arm. Das war gegen zwei Uhr nachmittags. Aber ich kämpfte weiter, bis ich zusammenbrach, und bin dann vom Feind weggeschleppt worden.«

Ein breites Grinsen. »Oh! Also doch ein Held. Ich sagte gleich zu meinen Freunden: In dem ehrenwerten Freiherrn von Roll muss etwas Besonderes stecken, sonst hätte ihn unser Fürst nicht sofort mit solch einem hohen Amt bedacht.«

Der Zorn schnürte dem Verspotteten die Kehle, blutleer war das Gesicht. Beverförde bedachte ihn noch mit einem gespielt ehrfürchtigen Kopfneigen und ließ sein Pferd auf die Hinterhand steigen, ehe er wieder zur vorderen Gruppe aufschloss.

Weiß und blau. Sonnenlicht flutete durch den Saal im ersten Stock des Jagd-schlösschens Falkenlust. Ein Edelstein, geborgen im maigrünen Wald. Wie klobig wirkte dagegen die eine knappe Wegstunde entfernte große Schlossbaustelle am Rande von Brühl. In den Wandspiegeln vermehrte sich das Blau des Raums, erstrahlte das Weiß, mit dem die Rahmen eingefasst waren.

An der schlicht gedeckten Tafel nahmen die geladenen Herren das Mittagsmahl ein. Vorfreude auf das Jagdwochenende hob die Stimmung. Die Männer waren unter sich. Bier schäumte in den Krügen, Bratenduft verlockte, zwischen Geschmatze und Rülpsen ertönte zufriedenes Gelächter. Jeder schon bekleidet mit der für die Falkenjagd vorgeschriebenen Uniform: leuchtend blau der Stoff, silbern und weiß der Besatz. Als Spross der bayerischen Herrscherdynastie hatte Clemens August die Hausfarben der Wittelsbacher nicht nur als Grundton von Falkenlust bestimmt, sondern verlangte auch, sie in den Uniformen dieser höchsten Jagdkunst zu sehen.

»Meine Freunde!« Er hob den Krug. »Ein besonderer Tag verdient einen außergewöhnlichen Platz. Selbst wenn die Bauarbeiten an diesem Hause noch nicht abgeschlossen sind und die Fertigstellung gewiss noch Monate auf sich warten lässt, so freue ich mich, in Eurem Kreise heute diesen Salon vorab einzuweihen.« Er wartete das beifällige Klopfen auf den Tisch ab, lächelte zunächst Johann Baptist von Roll an seiner Rechten zu, dann erst bedachte er General von der Lippe zur Linken mit einem Nicken.

Der Graf hob die Brauen. Als Stellvertreter des Ersten Ministers hätte ihm heute diese erste Aufmerksamkeit zugestanden. Rasch wurden auch an der Tafel empörte Blicke getauscht. War dies erneut ein bewusster Verstoß gegen die Rangfolge? Eine Ehrung dieses Emporkömmlings aus dem Deutschen Orden?

Clemens schien nichts vom Unmut zu bemerken und grüßte die übrigen Herren besonders herzlich. Mit kurzem fragendem Blick nur streifte er seinen Zwerg Albert, der, ohne gerufen zu sein, mit dem Kammerdiener an der Saaltür erschien.

Erst als die Schüsseln abgetragen waren und private Gespräche einsetzten, kam Molitor unauffällig herein und beugte sich zu Komtur von Roll. »Verzeiht! Euer Stallbursche möchte Euch unbedingt sprechen.«

»Hat das nicht Zeit bis später?«

»Seiner Miene nach scheint es unaufschiebbar.«

»Ist etwas geschehen?«

»Ich fürchte ...« Molitor sprach nicht weiter. Von Roll wandte sich an den Fürsten, suchte nach einer Entschuldigung, doch Clemens August hatte die Szene verfolgt und gab ihm mit einem Handzeichen die Erlaubnis, sich zu entfernen.

Draußen auf dem Treppenabsatz wartete sein Reitknecht, die Kappe zwischen den Händen zerknautscht.

»Was störst du mich?«

»Herr, das Pferd ...«

Gleich fasste ihn von Roll am Kittel. »Ist etwas mit meiner Stute?«

»Nein, Gott bewahre.« Der Mann wischte sich mit der Kappe den Nacken. »Aber dieses Pferd ist kein Pferd, was Ihr da geschenkt bekommen habt.«

»Wovon redest du?«

»Na, von dem polnischen Schimmel. Der lohnt das Futter nicht.«

Verunsichert sah sich von Roll nach dem Zwerg um. »Verstehst du, was er meint?«

Albert nickte unmerklich. Leider nur zu gut, dachte er und versuchte zu beschwichtigen: »Ich halte den Vorfall für unbedeutend. Sicher nur ein Versehen.«

»Rede nicht so ... Verflucht.« Der Komtur stieß dem Stallknecht den Finger gegen die Brust. »Raus damit!«

»Wie befohlen hab ich gleich nach unserer Ankunft Eure Pferde drüben in den Marstall vom großen Schloss gestellt. Zu den Pferden unserer Eminenz, wie es seine Eminenz erlaubt hat.«

»Weiter. Schweif nicht ab!«

»Mit einem Mal kam Unterbereiter Varro mit dem abgemagerten polnischen Klepper. Ich sage: ,So einer kommt mir nicht zu unsern Pferden. Bring den Gaul zum Abdecker.’ Da sagt der Varro: ,Der hier ist ein Geschenk vom Geheimrat von Satzhofen an den Komtur. Der gehört jetzt euch.’«

Von Roll furchte die Stirn. »Ich kenne keinen Satzhofen ... Nein, nein.« Langsam hob er den Finger. »Dahinter steckt eine infame Gemeinheit. Wer mir den Gaul geschickt hat, der führt etwas gegen mich im Schilde.«

Sein Stallbursche strich die Mütze glatt. »Ich sag's ja nur, weil der Schimmel frisst und frisst. Und ich hab Angst, weil mit dem zusammen das mitgebrachte Futter für unsere Pferde nicht ausreicht. Was soll ich denn machen, Herr?«

»Lass ihn saufen und dann raus damit. Bind ihn irgendwo an.« Die Stimme grollte. »Ich kläre die Sache.«

»Nur ein Vorschlag.« Albert trat hinzu. »Wenn der Schimmel entfernt ist, so richtet er keinen Schaden mehr an. Verehrter Komtur von Roll, könnte die Nachforschung dann nicht Zeit bis nach dem Jagdausflug haben?«

»Nein, nein, mein Bester. Das ist keine Bagatelle, das ist blanker Hohn. So lange ertrag ich die Schande nicht.«

Im Saal wurden die Stühle gerückt. Grimmig nickte von Roll. »Und ich kann mir schon denken, wer der Übeltäter ist.« An seinen Knecht gewandt befahl er: »Reite zurück und tue, was ich dir gesagt habe!«

Die Herren näherten sich der Flügeltür. Noch einmal versuchte Albert zu vermitteln. »Ein schlechter Scherz stirbt rasch, wenn ihn keiner beachtet.«

»Lass gut sein, Kleiner.« Von Roll schob ihn sanft, aber entschieden zur Seite. Kaum hatte Beverförde den Saal verlassen, rief er ihn mit klarer Stimme an: »Vizeobriststallmeister! Seit wann gebt Ihr Euch mit Schindmähren ab?«

Der Münsteraner vergewisserte sich rasch nach rechts und links, ob die Freunde nah genug waren. »Für Eure Pferde bin ich nicht zuständig.«

Von Roll nahm den Hieb mit regloser Miene hin. »Und warum habt Ihr Unterbereiter Varro befohlen, mir einen abgehalfterten polnischen Schimmel in den Stall zu führen?«

»Sehe ich danach aus? Sicher habt Ihr selbst nach dem Tier verlangt.«

Von Roll verschärfte die Stimme: »Wagt es nicht ...«

»Herr! Ihr wisst wohl nicht, mit wem Ihr redet?«, fuhr Beverförde ebenso laut dazwischen.

Der Kammerdiener hob beide Hände. »Bitte, werte Herren. Nicht hier.

Bitte!«

Sofort schwieg Johann Baptist von Roll und stürmte die Treppe hinunter, die Locken der schwarzen Perücke flogen, mit der Faust schlug er immer wieder gegen die bis hoch hinauf weiß-blau gekachelte Wand.

Beverförde gab von der Lippe und Burgau ein Zeichen, in seinen Augen glitzerte Vergnügen, gemächlich folgten die drei dem Zornigen. Unten im Hof breitete der Münsteraner die Arme aus. »Aber, Komtur, warum die Erregung?

Entweder ist der Gaul wirklich das Geschenk eines Freundes. Oder Ihr habt Euch beim Kauf übers Ohr hauen lassen.«

»Nichts, nichts davon ist wahr.«

Beverförde ließ sich nicht unterbrechen, nahm sogar den Hut, um die Gesten noch wirkungsvoller zu unterstreichen. »Über Eure Freunde will ich nicht urteilen. Und ob Ihr etwas von Pferden versteht, weiß ich nicht. Eins aber ist sicher, ich habe mit dem Klepper nichts zu tun.«

»Infam! Ich habe Euer Spiel durchschaut!« Von Roll trat einen Schritt auf ihn zu. »Alles, was Ihr sagt …« Das Kinn bebte im Zorn. Scharf sog er die Luft ein, dann schrie er: »Alles ist erstunken und erlogen!«

»Herr!«, brüllte der Münsteraner zurück und drohte mit dem Hut. »Wer mich einen Lügner schimpft, den nenne ich einen elenden Hundsfott!«

Kaum noch vermochte von Roll die Fassung zu bewahren. »Bärenhäuter!«

Beide Männer hielten den Atem an.

Diese Worte! Die schlimmsten Beleidigungen für einen Ehrenmann waren gefallen, schallten an der Fassade von Falkenlust hinauf.

»Satisfaktion«, hechelten sie beinah gleichzeitig.

»Dafür sollt Ihr mir büßen.« Von Roll griff zum Gürtel, doch er hatte keinen Degen umgeschnallt.

»Stellt Euch, wenn Ihr auch nur einen Funken Mut im Herzen habt.« Auch Beverfördes Rechte blieb leer. Nicht einmal einen Hirschfänger trugen sie bei sich. Das Tragen jeglicher Waffe war an der Tafel des Fürsten bei Strafe untersagt.

»Ich schwöre bei Gott«, Johann Baptist von Roll hob die Faust, »diese Sache ist noch lange nicht zu Ende.« Erhobenen Hauptes schritt er zu seinem Pferd, stieg auf und lenkte es langsam zum Gittertor hinaus.

»Der Herr glaubt wohl, etwas Besseres zu sein? Euch wird der Hochmut noch vergehen!«, rief ihm der Vizeobriststallmeister nach. »Auch ich habe einflussreiche Freunde. Wartet nur ab!«

Bis zur Rückkehr nach Schloss Augustusburg bei Sonnenuntergang waren sich die Streitenden aus dem Weg gegangen. Während des Abendtrunkes in der Halle, vor der Flurtreppe zum gelben Appartement des Kurfürsten hinauf, standen sie zwar weit voneinander entfernt, warfen sich aber Blicke zu, die, wären sie Speerspitzen gewesen, den anderen niedergestreckt hätten. Selbst die vergnügten Melodien der Musikanten vermochten ihre Mienen nicht aufzuheitern.

Nahe dem Fass unterhielt sich General Lippe leise mit Hubert von Burgau. Es schien ein gutes Gespräch, denn immer wieder tranken sie einander zu. Von der Lippe genoss das Bier, nahm große Schlucke. Er ließ sich den Krug bereits erneut füllen, als der spitzgesichtige Leutnant den seinen nicht einmal halb geleert hatte.

Diener steckten Fackeln in die Wandhalter. Mitten im Lied setzten die Musikanten ihre Instrumente ab. Clemens August hüstelte und die Gespräche verstummten, alle Augen richteten sich auf ihn.

»Freunde. Wir sind gesättigt, unsere Falken aber bleiben die Nacht über hungrig ... Wir freuen uns auf die Reiherbeize, sie aber werden im Morgengrauen nach Futter gieren.« Die Stimme begann zu vibrieren. »Endlich, meine Freunde, endlich ist es wieder so weit. Die Brutzeit unserer Reiher ist zu Ende. Hoch oben auf den Bäumen stehen die Jungtiere schon in den Horsten, davon habe ich mich heute Nachmittag mit eigenen Augen im Tiergarten überzeugt.« Clemens hob das Gesicht. Im Fackellicht glich der ausgeprägte lange Nasenrücken für einen Augenblick dem Schnabel eines seiner geliebten Raubvögel. »Und wenn die Elterntiere morgen von der Futtersuche aus den Rheinsümpfen zurückkehren und unser Falkenlust überfliegen, dann werden wir sie in der Passage mit den Wanderfalken erwarten.«

»Bravo.« Graf von der Lippe schwenkte seinen Krug in Bierlaune und die übrigen Herren der Jagdgesellschaft stimmten mit ein.

Der Fürst hob den Finger. »Deshalb, Freunde, lasst den Abend nicht zu lang werden! Ich erwarte bei Tagesanbruch ausgeruhte und vergnügte Jäger an meiner Seite. Gute Nacht.«

Er schritt durch die Halle, zwei Diener geleiteten ihn. Clemens lächelte jedem seiner Gäste zu. Von Roll stand mit Wolff-Metternich und dem jungen von Zweiffel zusammen. Als der Fürst an dem Freund vorbeiging, stockte sein Fuß einen Moment; die Blicke begegneten, verabredeten sich, dann eilte er die Treppe hinauf.

Allein dieser Nebentrakt des Schlosses war schon bewohnbar. Hier befanden sich im ersten Stock die Zimmerfluchten des Kurfürsten, dazu gab es im Erdgeschoss noch einige wenige, behaglich ausstaffierte Räumlichkeiten für auserwählte Gäste. Dort logierten heute nur Komtur von Roll und Graf von der Lippe. Nicht als General, in seiner Eigenschaft als Stellvertreter des Ersten Ministers stand dem Grafen diese Ehre zu. Die übrigen Herren waren in den umliegenden Häusern der in Brühl arbeitenden Hofbeamten untergebracht.

Erst nach einer Weile entzog sich von Roll dem Gespräch. »Ich will etwas frische Luft atmen, ehe ich zu Bett gehe«, murmelte er. »Wir sehen uns morgen.« Langsam schlenderte er nach draußen.

Kaum hatte er den Saal verlassen, als Beverförde zu den jungen Männern trat und von Zweiffel leicht die Faust gegen die Schulter stieß. »Du weißt, was heute Mittag vorgefallen ist?«

»Ich ...« Der junge Novize des Deutschen Ordens schluckte. »Ich habe davon gehört.«

»Genügt. Das genügt.« Ein. kameradschaftlicher Schlag auf die Schulter. »Du gehst dem sauberen Herrn nach und erfragst in meinem Namen, was dieser Emporkömmling nun zu tun gedenkt. Der ,Hundsfott’ von mir hängt immer noch an ihm. Die zwischen uns vorgefallene Affäre muss bereinigt werden.«

»Bittet nicht mich. Bitte!« Die Wangen röteten sich. »Ich will den Komtur ... ich darf ihn nicht verärgern. Meine Laufbahn ... Er hat Einfluss beim Orden. Bitte versteht ...«

»Was verstehen?« In Begleitung des Freiherrn von Burgau trat der General hinzu, fragte mit breiter, bierlauniger Stimme: »Verstehen? Was verstehst du schon, mein Sohn?«

»Er weigert sich.« Beverförde winkte den Grafen näher. »Dabei hab ich ihn nur gebeten, den Roll zu fragen, ob er die schwere Beleidigung gegen mich zurücknimmt. Wollt Ihr für mich hingehen?«

»Ich? Also, ich würde nichts ...« Unbemerkt von den anderen schlug ihm der Vizeobriststallmeister den Ellbogen in die Seite. Von der Lippe beendete den Satz nicht, er schien sich an etwas zu erinnern, nahm einen tiefen Schluck und nickte. »Also gut. Ich werde für Frieden sorgen.« Ohne Eile wandte er sich dem Ausgang zu.

Beverförde wartete nicht, er trat dicht neben Burgau, kaum bewegte er die Lippen: »Alles vorbereitet?«

Ein Grinsen huschte über das Gesicht des Freiherrn. »Selbst erjagt und eigenhändig erschlagen.«

»Gut so. Dann jetzt, ehe alle aufbrechen.«

Und ohne aufzufallen, zog sich Leutnant Burgau langsam zurück und verschwand im düsteren Flur zu den Gästezimmern.

Die Nacht war mild. Ein breiter Lichtschein fiel aus der geöffneten Hallentür in den Innenhof des Schlosses. Nahe dem hellen Streifen stand Johann Baptist von Roll mit fest verschränkten Armen. Kaum hörte er dem General zu. Er starrte zum Firmament hinauf. Der Mond war nicht mehr voll und rund, die Sterne blinkten.

»Werter Freund, so antwortet doch.« Nun hustete von der Lippe ausgiebig und tippte ihm gegen den Arm. »Was gedenkt Ihr zu unternehmen? Ich meine, das ist doch eine Frage der verletzten Ehre. Aber wenn Ihr die Beleidigung nicht für so schwer erachtet ...«

»Sagt dem Vizeobriststallmeister«, unterbrach Johann ihn. »Wenn er den ,Bärenhäuter’ auf dem Buckel behalten will, so kann ich die ganze Sache auf sich beruhen lassen.«

»Ihr meint vergessen?«, staunte der Haudegen.

»Wenn er zugibt, dass er mir den Schimmel untergeschoben hat, von mir aus.«

Ein Hoflakai trat zu den Herren. »Verzeiht. Seine Durchlaucht verlangt den Komtur zu sehen. Sehr bald.«

Ein Befehl. Im Fortgehen versicherte Johann dem General noch rasch: »Wir werden die Sache morgen weiter verhandeln. Eins noch: Ich habe einen Boten nach Bonn geschickt, um mir Degen und Pistolen zu bringen. Für alle Fälle.«

Auf das Pochen hin öffnete Molitor und legte gleich warnend den Finger auf die Lippen. Aus dem Audienzzimmer der fürstlichen Wohnung drang Musik. Nur kurz blickte Johann Baptist von Roll im Vorbeigehen zu dem großen Gemälde, das den Freund als stolzen Falkner zeigte, und blieb mitten im Raum stehen.

Clemens August hatte die Jagduniform gegen den hellblauen Seidenhausmantel getauscht. Kopf und Oberkörper leicht geneigt, saß er auf dem Hocker, die Viola da Gamba zwischen den Knien, seine Wange berührte beinahe den Hals der Schoßgeige, das Zusammenspiel von Finger und Bogen entlockte den Saiten eine schwermütige Melodie. Endlich bemerkte der Fürst den Freund und gleich eilten die Töne rascher, wuchsen heiter und hell hinauf und endeten in furios gestrichenen Akkorden. »Meine Variationen zu einer Komposition unseres Hofkapellmeisters. Gefallen sie dir?«

Johann öffnete den Mund. Ehe er etwas erwidern konnte, lachte Clemens leise. »Gut, gut. Ich habe versprochen, dich nicht mehr zu fragen. Was solltest du Ärmster auch antworten, selbst wenn das Stück langweilig und mein Spiel verheerend wäre.«

»Ich verstehe zu wenig von Musik«, versuchte Johann dennoch sein Glück. »Aber was ich gehört habe, gefiel mir.«

»Schmeichler«, drohte der Fürst im Scherz, setzte fast übermütig den Bogen an und zog ihn quietschend über die Saiten. »Und was ist hiermit? Meine Minister und die Hofschranzen würden über solches Gejaule in Lobeshymnen ausbrechen.«

»Weil Ihr keine Kritik duldet, weder beim Gambenspiel noch bei Euren Schlossbauten.« Unvermittelt nahm der Ton an Schärfe zu.

»Das betrifft auch das Theaterspielen oder die Jagd.«

»Nicht weiter«, bat Clemens betroffen und sah den Freund an.

»Ich dachte, wir haben uns auf diesen Abend gefreut. Beide. Stattdessen ...?« Er lehnte das Instrument an den Hocker und erhob sich.

»Wenn ich dich verletzt habe, so geschah es ohne Absicht.« Johann schüttelte nur den Kopf.

»Aber warum bist du so schroff zu mir? Was quält dich?«

»Ich kann nicht.«

Clemens nahm die Hand des Freundes, streichelte, drückte sie. »Vielleicht sollten wir uns ablenken? Molitor hat drüben im Schlafgemach den Tisch gedeckt. Kleine Köstlichkeiten, und als Krönung gibt es in heiße Schokolade getauchte Erdbeeren. Dazu trinken wir Honiglikör.«

»Nicht heute Abend ...« Kaum gelang es dem Komtur zu sprechen. »Ein Vorfall, eine Ehrensache beschäftigt mich. Ich kann mich nicht davon befreien, möchte auch nicht darüber reden.«

»Vertrauen?« Die Nasenflügel des Fürsten bebten. »Ich habe mich dir geöffnet wie bisher noch keinem Menschen. Und du willst mich an deinen Sorgen nicht teilhaben lassen?«

»Sie sind zu unwichtig, ich will Euch nicht mit ihnen belästigen.« Von Roll lächelte dünn. »Vielleicht können wir unsern Abend auf morgen verschieben. Dann ist die Sache aus der Welt. Ganz sicher.« Er neigte den Kopf. »Bitte erlaubt, dass ich mich zurückziehe.«

Clemens wandte sich abrupt zur Seite. »Ich halte dich nicht. Wenn du meine Gesellschaft nicht erträgst, so geh nur.«

»Zürnt nicht.« Aus einer Regung heraus wollte von Roll ihn umarmen, ließ es aber, sagte nur erstickt: »Auch wenn um uns herum nur Lügen sind, so weiß ich, dass mein Gefühl zu Euch wahrhaftig ist.«

Da ihm der Freund auch nach einer Weile keinen Blick schenkte, verneigte sich von Roll und verließ das gelbe Appartement. Auf dem Flur nahmen die beiden Leibwächter Haltung an, er bemerkte es nicht, stürmte die Treppe hinunter, durch die Gänge, vorbei am Zimmer des Generals, erst nahe seiner eigenen Tür verlangsamte er den Schritt. Immer noch in Gedanken griff Johann nach der Klinke und fuhr zusammen. Seine Finger fassten in etwas Pelziges. Er beugte sich vor. »Verflucht.« Eine tote Katze war über den Türgriff genagelt. Mit einem Ruck riss er den Kadaver ab und schleuderte ihn durch den Gang. »Ihr verdammten Bastarde. Irgendwann erwische ich einen von euch. Und dann gnade ihm Gott!« Er stieß die Tür auf und schlug sie hinter sich zu.

Clemens August hatte sich wieder umkleiden lassen, er trug jetzt den schweren, brokatbesetzten Hausmantel. Die Viola da Gamba war aus dem Audienzzimmer verschwunden. Eine Karaffe mit Wasser stand auf dem Tisch. Keine Kerzen. Die hochgedrehten Öllampen rechts und links der Vorhänge und Gemälde gaben ein unpersönliches Licht.

Nach dem abrupten Weggang des geliebten Freundes, nach der Kühle zwischen ihnen hatte der Kurfürst zunächst benommen dagestanden. Als die Enttäuschung verebbt war, hatte er Molitor befohlen, alle Gemütlichkeit zu entfernen, und seinen Zwerg hinter den Fenstervorhang geschickt. »Achte auf jedes Wort.«

Dann war der Leutnant seiner berittenen Leibgarde, Hubert von Burgau, zum Rapport zitiert worden. Nach dessen Bericht sah ihn der Kurfürst scharf an. »Und du weißt nicht, wer den Klepper in den Stall gestellt hat?«

»Aber, gnädiger Herr, sonst hätte ich den Übeltäter sofort benannt.« Der Brustton der Überzeugung gelang nicht ganz. »Ich bin dem ehrenwerten Komtur wahrhaftig näher als dem Vizeobriststallmeister. Schon weil wir beide aus dem Süden kommen. Ich aus Eurer Heimat, dem geliebten Bayern. Und von Roll wohl aus dem Badischen. Wenn ich so kühn sein darf: Wir sind doch von ganz anderem Menschenschlag als diese Westfalen.«

»Gut aufgesagt. Du weißt, was ich gerne höre. Dabei bin ich umgeben von Männern aus Westfalen. Mein Erster Minister, auch mein höchster General. Und selbst du hast deine ersten Sporen in meinem Fürstbistum Münster beim Regiment des Grafen von der Lippe verdient.«

»Hier bei Hofe aber fühle ich mich wohl und, wenn ich so kühn sein darf, so ganz in Eurer Nähe Euch dienen zu dürfen, beglückt mich Tag für Tag.«

»Das freut mich zu hören. Doch nun ...« Ein leichtes Handwedeln schickte den Leutnant fort. Noch ehe die Tür sich geschlossen hatte, verlangte Clemens, als nächsten Kavalier Graf von der Lippe zu sehen. Molitor huschte hinaus. Ohne Zögern näherte sich der Fürst dem Fenstervorhang. »Was hältst du von der Sache? Nein, bleib im Versteck. Sagt Burgau die Wahrheit?«

»Wahrheit?« Leises Lachen. »Kennt irgendeiner an Eurem Hof die Bedeutung dieses Wortes?«

Eine scharfe Falte sprang auf die hohe Stirn. »Keine Scherze jetzt. Antworte!«

»Auch wenn Johann Baptist von Roll darin verwickelt ist, der ganze Vorfall scheint mir so lächerlich durchschaubar.«

»Antworte!« Die Faust drohte zu den Spionlöchern im Stoff. »Ehe ich dir ...«

»Soweit ich den Streit heute nach dem Essen miterlebt habe, trifft es zu, was der Leutnant berichtet. Aber ansonsten halte ich ihn für ...«

»Genug«, raunte der Fürst, wandte sich um und ging dem General einige Schritte entgegen. »Verzeiht, dass ich Euch so spät noch herbitten musste.«

In der Eile hatte von der Lippe die Uniformjacke falsch geknöpft, schwerfällig nahm er Haltung an. »Jederzeit, Hoheit. Für Euch ...«

»Keine Förmlichkeiten! In der Angelegenheit zwischen Eurem Freund von Beverförde und dem Komtur des Deutschen Ordens, Minister von Roll, muss eine Eskalation verhindert werden.«

»Lasst mich nachdenken ...« Der Blick aus den wässrigen Augen wurde schärfer. »Also, dieser Streit scheint mir nicht so gefährlich ...«

»Umso besser«, schnitt ihm Clemens das Wort ab, »dann wird er auch leichter aus der Welt zu schaffen sein. Um ein Unglück zu vermeiden, schlage ich vor, beiden Gegnern Arrest anzudrohen.«

»Verzeiht, Durchlaucht. Solch eine Drohung schafft keine Klärung. Über kurz oder lang geraten die beiden doch wieder deswegen aneinander.«

»Aber es geht doch um nichts, nur um einen Klepper.«

Bei von der Lippe lichtete sich der Bierschleier mehr und mehr.

»Hier geht es um die Ehre. Und über diesen Punkt müssen sich die Herren aussprechen. Das halte ich fürs Beste.«

»Sprechen?« Clemens presste beide Handflächen an Wangen und Mund und zog sie langsam hinunter zum Kinn. »Sprechen heißt so viel wie Schlagen. Und das verbiete ich mit aller Strenge.«

»So hitzig wird's zwischen den beiden nicht zugehen.« Der General blähte den Brustkorb. »Vertraut meiner Erfahrung.«

Voller Unruhe ging Clemens August auf und ab, näherte sich einige Schritte dem Fenstervorhang und starrte die Falten an, als fände er dort Rat. Schließlich wandte er sich um. Die Farbe war aus dem Gesicht gewichen. »Also gut, ich will Euch vertrauen. Ihr werdet vorher mit jeder Partei einzeln sprechen. Teilt den Herren mit, dass ich, Kurfürst Clemens August, ihnen bei meiner höchsten Ungnade die Unterlassung jeglicher Tätlichkeit befehle. Außerdem befehle ich, dass die Herren umgehend zu einem gütlichen Vergleich kommen müssen. Sagt dies den Herren!«

»Ist schon erledigt.« August Wolfart von der Lippe verströmte väterliche Selbstsicherheit. »Sorgt Euch ...«

»Und bei der gemeinsamen Aussprache seid Ihr anwesend, unbedingt. Mit einem Zeugen. Nehmt Baron von Zweiffel dazu. Nicht ein Fausthieb darf ausgeteilt werden.«

»Sorgt Euch nicht länger!« Der Graf wagte nun sogar einen hörbaren Schnaufer. »Es wird schon zu keiner Rauferei kommen. Ich sorge dafür, dass sich die Hitzköpfe abkühlen.«

»Und zwar rasch, hörst du!«

»Jetzt gleich, Durchlaucht. Noch heute Nacht. Ihr könnt Euch ganz auf Euren General verlassen.«

Zwei

Leise schnaubten die Pferde, neben ihnen lauerten die Windhunde im Gras. Verteilt entlang des Waldrandes nahe Falkenlust warteten die drei Reitergruppen. Und noch mit ihren Hauben versehen, hockten die Falken unbeweglich auf den Fäusten der Reiter, stille Majestäten, von Anmut eingehüllte Kraft.

Die Jagdmeister zogen sich mit den Knechten und Laufjungen zurück. Etwas abseits des Proviantplatzes setzten sie die tragbaren Falkenrecke in einer Mulde ab. Gleich nach dem Überflug der Reiher zu den Sümpfen hatten sie ihre Schützlinge den Herren übergeben.

Weit dehnte sich die Ebene. Nebelschleier zogen bis hinüber zum Rhein. Vereinzelt ragten Baumkronen und Buschwerk aus dem weichen Grau. Und darüber färbte sich im Osten der Morgenhimmel.

»Wir müssen uns gedulden.« Um das Falkenweibchen auf dem Fausthandschuh nicht zu beunruhigen, sprach Clemens August mit verhaltener Stimme: »Der Dunst behindert die Reiher beim Fischfang.« Er nickte seinen beiden Jagdpartnern zu. »Aber ich denke, noch vor Sonnenaufgang werden sie genug erbeutet haben und zu ihren Jungen zurückkehren.« Nach den gestrigen Vorfällen hatte er sich bewusst heute Morgen die Freiherren von Beverförde und von Wolff-Metternich als Partner gewählt und überdies dafür gesorgt, dass sich General von der Lippe mit seiner Gruppe noch zwischen von Roll, Burgau und Zweiffel positionierte. So wusste er die Streithähne sicher voneinander getrennt und hoffte, dass die Beizjagd sie ablenken und wieder zur Vernunft bringen würde.

Er wandte sich an den Münsteraner, der Ton blieb verhalten: »Wie mir berichtet wurde, seid Ihr mit Komtur von Roll aneinandergeraten? Ich ermahne Euch ausdrücklich: Lasst es nicht zu einer Tätlichkeit kommen.«

»Durchlaucht«, raunte Beverförde. »Es liegt nicht an mir ...«

»Genug«, schnitt ihm sein Herr das Wort ab, schnalzte dem Windhund und lenkte sein Pferd etwas tiefer in die Ebene hinein, um den Himmel besser beobachten zu können.

»Aber ich habe nicht den Anfang ...« Der Vizeobriststallmeister brach die Verteidigung ab, sah zu seinem Nachbarn. »Meine Schuld ist es nicht.«

Von Wolff-Metternich hob unmerklich die Achseln. »Ich hörte nur, dass etwas vorgefallen ist, weiß aber nicht genau, worum es geht.«

»Völlig verrückt, sag ich Euch ...« Halblaut berichtete Beverförde, stellte sich als den nicht nachtragenden, friedvollen Kavalier dar, von Roll aber als den Überempfindlichen und Reizbaren. »Dabei geht der ganze Streit nur um eine Bagatelle.«

Vor ihnen deutete der Kirchenfürst nach Osten: Reiher. Sie kehrten zurück. Hinter dem ersten folgten weitere – zwei, nein drei. Sie näherten sich im niedrigen Flug mit schwerem Flügelschlag. Clemens August ließ das Pferd antraben, bestimmte für seine Helfer die Richtung.

Sofort riss das Gespräch ab. Beverförde und Wolff-Metternich folgten. Schneller. Im Ritt haubten sie ihre Falken ab. Unterhalb der Flugbahn wies der Jagdherr zum vordersten der Reiher hinauf.

Nacheinander warfen die Freiherren ihre Raubvögel. Sie mussten die ersten Angriffe fliegen. In ungeahnter Geschwindigkeit stiegen die Falken, bedrängten den Reiher, von oben, von der Seite, immer wieder. Das Opfer wand sich, schlug mit den Flügeln. Schließlich spie es die erbeuteten Fische aus, wehrte sich nun mit dem langen, spitzen Schnabel, versuchte Höhe zu gewinnen.

Da warf der Kurfürst seine Königin ... Sie, als genieße sie das Spiel, flog eine weite Spirale, stellte sich im Wind, dann fuhr sie auf den Reiher nieder, ihre Klauen griffen Hals und Kopf, verkrallten sich. Ein Federwirbel, Flügelschlagen, Beute und Jägerin überschlugen sich, sanken tiefer, Sieg und Niederlage waren unzertrennlich. Am Boden aber triumphierte die Königin, schlug wild mit den Schwingen, beherrschte ihr Opfer.

In scharfem Galopp näherte sich Clemens August, ihm nach hetzten die Freiherren, vor allen aber erreichte sein Windhund die Stelle, hielt den Reiher nieder, ohne ihn zu zerreißen. Das Gesicht des Fürsten glühte, die Augen strahlten. »Das ist Freiheit.«

Er sprang ab, zog ein blutiges Fleischstück aus der Jagdtasche und lockte damit seine Königin zurück auf den Lederhandschuh, ein zweites Stück zur Belohnung, dabei befestigte er die Lederschnüre, und ohne Gegenwehr ließ sich die Königin wieder die Haube aufsetzen. »Beringt den Reiher!«, befahl er den Jagdmeistern. »Und lasst ihn frei!«

Inzwischen hatten auch seine Begleiter ihre Falken wieder aufgenommen. »Das war ein guter Anfang.« Clemens August spähte über die Ebene zu den beiden anderen Gruppen. »Bisher scheint uns allen das Glück hold zu sein. Und der Morgen ist noch jung. Auf, Freunde, lasst uns die anderen treffen. Nur eine kurze Erfrischung, dann soll meine Königin mir den zweiten Fang bescheren.«

Graf von der Lippe wandte sich angeekelt ab, als ihm der Diener kühles Wasser anbot. »Schäm dich!« Der Becher mit Rotem aber versöhnte ihn wieder. Nach einem tiefen Schluck suchte er den Vizeobriststallmeister und fand ihn mit Bertram Ludwig von Zweiffel jenseits des Proviantplatzes. Beide starrten zum Brühler Wald. »Wen sucht ihr da? Die Vögel kommen aus der anderen Richtung.«

Der Cousin und Ziehsohn des Ersten Ministers wandte den Kopf, und ohne dass der Deutschordensnovize es bemerkte, tauschten sie einen langen Blick, dann erst antwortete Beverförde betont zornig.

»Ich bin fertig mit dem Hundsfott. Sag ihm, dass ich auf ihn warte. Und mein Freund Bertram wird mich begleiten.«

»Du willst eine Aussprache? Das ist gut. Und sollte es Gewitter geben ...« Kurz bellte das Lachen. »Dann klart die Luft endlich wieder auf.« Der Graf schlug dem jungen von Zweiffel auf die Schulter. »Verstehst du, mein Junge?«

»Man sagt so.« Sichtlich unbehaglich blickte der Freiherr zu Boden. »Nur weiß ich den Zusammenhang mit dieser Sache nicht.«

»Nicht nötig«, übernahm Beverförde. »Nach dem Willen unseres Fürsten sollst du als Beobachter dabei sein. Mehr nicht.«

»Ich hoffe, dass ich der Aufgabe genüge.«

Von der Lippe gab sich väterlich: »Nur weiter so, Junge. Und nach dieser Sache wirst du viel Lob einstreichen.« Er nahm einen Schluck.

»Ich sehe jetzt nach dem zweiten Streithahn. Frage, ob der auch bereit ist zu verhandeln. Danach gebe ich Bescheid.«

Clemens August hielt es nicht länger. Er saß schon wieder auf. »Meine Freunde!« Dieses Mal schloss sein Blick auch alle Jagdknechte mit ein. »Wertvolle Zeit verstreicht. Bis die Sonne höher steigt, werden die Eltern vielleicht noch zweimal in den Rheinsümpfen Futter für ihre Jungtiere beschaffen. Lasst unsere Falken beweisen, dass sie in der langen Winterpause nicht träge geworden sind. Wer schnell ist, darf sich mir anschließen.« Er trabte zu den Falken hinüber.

Keine Einteilung mehr nach Rang und Würde. Die Jagdmeister und Tragejungen eilten ihm als Erste nach. Auch Wolff-Metternich folgte mit zwei

Herren ohne Zögern. Wem es jetzt gelang, in der Nähe des Fürsten zu bleiben, dem winkte ganz sicher eine Belohnung, wenn nicht gar eine nächste Sprosse auf der Leiter zum Glück.

Von der Lippe trat Roll und Burgau in den Weg. »Werte Freunde, welch ein freudiger Anblick, wenigstens Ihr seid Euch nicht mehr gram. Und Ihr wollt Euch ganz gewiss nicht an dem Wettlauf beteiligen? Oder?« Er wandte sich direkt an den Komtur. »Euch ist die Gunst seiner Hoheit ohnehin sicher.«

»Mir steht nicht der Sinn nach Geplänkel, General.«

»Das ist gut so.« Von der Lippe leerte seinen Becher und warf ihn einem Bediensteten zu. »Wann seid Ihr zu einer Aussprache bereit?«

»Ich sage Euch etwas.« Von Roll trat dicht vor ihn hin. »Bestellt dem Bärenhäuter, es ist so weit. Ich bin nicht länger auf den Boten aus Bonn mit meinen Waffen angewiesen.«

»Ich ...« Spitzgesichtig schob sich Leutnant von Burgau dazwischen. »Ich bin für Gerechtigkeit, und in der Not unterstütze ich die Männer aus dem

Süden. Das habe ich gestern schon vor unserm Fürsten erwähnt. Und deshalb leihe ich dem Komtur meinen Degen.«

»Aber die leidige Angelegenheit beruht auf einem Missverständnis«, gab Graf von der Lippe ohne Nachdruck zu bedenken.

»Schluss mit dem Gerede.« Johann Baptist von Roll rückte seine schwarze Perücke aus der Stirn. »Ich werde nun ausreiten, sagt das dem Bärenhäuter. Um genauer zu sein: In zwei Stunden werde ich drüben in Brühl vor dem Kölntor sein. Für eine Stunde werde ich dort in den Gärten spazieren. Wenn der Bärenhäuter mich treffen will, so weiß er jetzt, wo ich zu finden bin.«

Er stieg auf sein Pferd. Von Burgau hob den Finger und ergänzte: »Wir warten. Sagt ihm das, General!« Dann schwang auch er sich in den Sattel.

Junge Brennnesseln und Blätter vom Löwenzahn. Margaretha kauerte nahe dem Zaun, rupfte mit beiden Händen nach dem jungen Grün und stopfte es in den Leinensack. Hier entlang der Gärten gab es genug davon. »Geh, Grete«, ahmte sie die Mutter nach. »Heute soll's was Gutes für die Gänse geben.« Ein heftiges Kopfnicken. »Na, wartet nur, ihr Viecher. Irgendwann kommt eine von euch in den Tiegel. Vielleicht schon zu Mariä Himmelfahrt. Dann bekomm ich auch mal was Gutes.«

Margaretha hatte den Kittelrock bis übers Knie gerafft, so konnte sie sich ohne Aufrichten zur nächsten Stelle weiterbewegen. »Dass dich nicht einer so sieht«, warnte sie sich. »Du watschelst hier rum. Auch wenn du das Zeug nicht selbst frisst, denkt sich jeder gleich, was du bist.« Sie schob die Unterlippe vor und blies eine blonde Locke von den Augen. Gleich fiel sie wieder zurück. »Verflucht ...« Margaretha richtete sich nun doch auf und stopfte das Geringel fest unters Kopftuch. Mit einem Stirnband allein war ihr Haar kaum zu bändigen und ein Tuch half wenigstens, das Gesicht freizuhalten, im Nacken aber quollen die Locken und bedeckten die Schultern.

Stimmen. Margaretha fuhr herum. Von der Straße her näherten sich zwei Männer. Sie trugen die Uniform des Fürsten. Die blaue, die für die Falken. »Also ganz Vornehme«, flüsterte Margaretha. »Und wütend sind sie. Wenigstens der Kleinere mit der schwarzen Perücke. Vielleicht ist ihm einer von den Vögeln entwischt? Also ich hab keinen gesehen.« Bei den Vornehmen vom Schloss wusste man nie so genau – mal waren sie freundlich und dann wieder gab's ohne Grund einen Tritt. »Am besten ich drück mich vorbei und verschwinde.« Aber der Sack für die Gänse war nicht einmal halb gefüllt.

Da die beiden Männer auf dem Weg zwischen den Gärten stehen geblieben waren und zurück zur Straße schauten, beschloss die Siebzehnjährige zu bleiben. Sie sprang über einen kleinen Graben und ging in die große Obstwiese hinein. Am Rande wucherten genug Brennnesseln zwischen den Holundersträuchern und überall unter den blühenden Bäumen leuchtete der Löwenzahn. »Und wenn ich einen Falken sehe«, Margaretha blickte über die Schulter zu den Herren, »dann scheuch ich ihn weg.«

Sie krauste die Stirn. »Noch mehr Blaue?« Weiter vorn waren weitere drei Reiter mit ihren Pferdeknechten angekommen und stiegen am großen steinernen Kreuz aus dem Sattel. »Scheint ja wirklich was Wichtiges zu sein. Meinetwegen.«

Margaretha kümmerte sich nicht länger um die Reiter – bis in die Obstwiese würde schon keiner kommen – und bückte sich zwischen dem Holunder nach jungen Brennnesselblättern.

Vor dem steinernen Kreuz winkte Vizeobriststallmeister Beverförde seinem Knecht. »Bring den Degen!« Er schnallte den Gürtel mit dem Hirschfänger ab und hängte sich die Waffe um, zurrte den Gurt fest. »Du bist Zeuge, dass ich keinen Dolch heimlich unterm Rock habe. Auch keine Pistole.« Er rief General von der Lippe und dem jungen Freiherrn zu: »Ihr, Freunde, habt es auch gesehen? Nur den Degen.«

»Aber soweit ...« Bertram von Zweiffel hob den Finger. »Eine Aussprache. Warum jetzt der Degen? Bei dem Treffen hier sollte doch nur eine Aussprache stattfinden?«

»Kann auch sein.« Beverförde wandte ihm den Rücken zu und forderte den General auf: »Bestell dem Hundsfott, dass ich da bin.« Von der Lippe

beschwichtigte erst noch den Freiherrn: »Es ist alles in bester Ordnung.« Dann schritt er auf die Gärten zu.

Ehe er in den Weg einbog, galoppierte ein Reiter aus dem Kölntor, hielt direkt auf ihn zu. »Halt. Wartet!« Domherr August Wilhelm von Wolff-Metternich zur Gracht sprang aus dem Sattel und riss den dreispitzigen Hut mit dem Federbüschel herunter. »Dringende Order. Vom Kurfürsten höchstpersönlich.« Hastig blickte er über die Schulter zu Beverförde, danach zwischen den Gärten hinüber zu von Roll. »Unter allen Umständen muss ein Duell verhindert werden. Ich soll Euch an die strengste Befolgung des kurfürstlichen Befehls erinnern. Zur Durchsetzung seid Ihr ermächtigt, die Hilfe von zwei Wachoffizieren anzufordern.«

»Nicht nötig.« Husten unterbrach den General, er keuchte und spuckte zur Seite. »Ich habe die Situation voll im Griff.«

»Seid Ihr sicher?«

»Wird alles zum Besten geregelt.« Der General deutete auf den Vizeobriststallmeister. »Da steht kein Hitzkopf. Überzeugt Euch selbst. Und dann kommt nach zum Komtur.« Ohne ein weiteres Wort schritt er in die Kamesgasse zwischen den Gärten hinein.

Der Domherr eilte zum steinernen Kreuz. »Wie ist die Lage?« Sein Blick fiel auf den Degen. »Wozu …? O Gott, nein.« Er trat zu Bertram von Zweiffel. »Ihr seid verantwortlich. Nichts darf geschehen.«

»Die Waffe soll nur der Abschreckung dienen.« Heftig zuckte das Gesicht. »Ich hoffe es.«

Wolff-Metternich sah Beverförde an. »Was habt Ihr vor? Unser gnädiger Fürst hat jede Tätlichkeit ...«

»Schon gut. Alles gut.« Ein breites Lachen. »Nur Spiel, mehr nicht.«

»Also keine Rauferei?«

»An mir soll's nicht liegen. Der Herr vom Deutschen Orden muss nur lernen, das Maul nicht zu weit aufzureißen.«

Wolff-Metternich nickte, beschwichtigte mit beiden Händen und hastete zur Gruppe am Ende der Gärten.

Schon von weitem hörte er die laute Stimme des Grafen: »... und ich wiederhole. Nach Aussage von Unterbereiter Varro hat Beverförde nichts mit dem Klepper zu tun. Der Streit beruht auf einem verdammten Missverständnis.« Er stieß Leutnant Burgau in die Seite. »Nun helft doch. Sagt ihm, dass ich recht habe.«

»Nicht nötig.« Johann Baptist von Roll reckte dem General das Kinn entgegen. »Dies ist ein Komplott gegen mich.«

»Nein, verflucht. Nehmt doch Vernunft an!« Im Angesicht des herbeigeeilten Domherrn rang von der Lippe jetzt übertrieben die Hände. »Ich bitte, nein, ich flehe Euch an: Vergesst die Beleidigung!«

»Vergessen? Nur wenn der Kerl den Bärenhäuter auf dem Buckel behält, soll's mir recht sein.«

»Himmel, Herrgott!«, fluchte der General. »Beide. Ihr müsst beide den Bärenhäuter tragen. Sonst soll doch der Teufel drauf scheißen!«

»Niemals. Ich habe den Kerl zuerst gefordert. Er findet mich hier.« Fest verschränkte von Roll die Arme vor der Brust. »Ich suche ihn nicht. Ich gehe hier nur spazieren.«

Wolff-Metternich bemühte sich um einen sanften Ton. »Keine Auseinandersetzung. Das ist der dringende Wunsch Seiner Durchlaucht. Außerdem war der Fürst verwundert, dass gerade Ihr vorzeitig die Jagd verlassen habt ...«

Mit unerwarteter Schnelligkeit schlug ihm der Komtur den Dreispitz aus der Hand. »Unser Herr weiß nicht, was für ein infames Spiel hier mit mir getrieben wird. Sie drehen mir die Worte so lange im Mund herum, bis es dem Beverförde in den Kram passt.«

Der Blick war endgültig.

Wolff-Metternich bückte sich nach seiner Kopfbedeckung und rannte durch die Gärten zurück. Während er in den Sattel stieg, rief er dem Vizeobriststallmeister zu: »Lasst es nicht zum Schlimmsten kommen!«

Von der Lippe hatte inzwischen fast wieder das steinerne Kreuz erreicht, ihn beschwor der Domherr. »Ihr müsst sie zurückhalten. Wartet. Ich verständige unseren Fürsten. Wartet noch!« Er gab dem Pferd die Sporen.

Der General spuckte aus. »Das sind keine Weiber«, brummte er. »Hier geht es um die Ehre.« Und laut forderte er den Münsteraner auf: »Der Komtur ist zur Aussprache bereit. Und ... du hast es ja gehört, es soll nicht zum Äußersten kommen. Also vorwärts.«

Der Alte voran, hinter ihm stolperte der Novize des Deutschen Ordens zweimal, und den beiden nach schritt wiegend der Vizeobriststallmeister.

Bertram von Zweiffel nahm allen Mut zusammen und trat vor den Komtur: »Herr, es ist mir aufgetragen, Euch um Mäßigung in dieser Sache zu bitten, nein, sie zu verlangen. Ich meine, sie ...«

»Spar dir die Worte«, wischte ihn von Roll beiseite und starrte seinen Gegner an. »Ich hätte nicht geglaubt, dass ein Bärenhäuter sich bei Tageslicht ins Freie wagt.«

»Hundsfott. So einem Arschkriecher wie dir, dem sollte man mit einem Knüppel die Knochen zu Brei schlagen.«

»Selbst ein Hühnerdieb hat mehr Ehrgefühl im Leib als ein Bärenhäuter.«

»Schluss damit.« Beverförde umschloss den Degengriff. »Fangen wir an!«

Er zückte die Waffe. Zur selben Zeit zog auch Roll den Degen. Jeder für sich ließ die Klinge im Kreuz durch die Luft peitschen.

»Ich gehe voraus.« Der Komtur sprang vom Weg über den Graben. »Wenn der Herr Mut hat, so möge er mich angreifen.« Mit schnellen Schritten strebte er auf die Mitte der Obstwiese zu.

»Soll mir ein Vergnügen sein«, stieß Beverförde hervor und setzte ihm nach. In gebührendem Abstand folgten die Sekundanten Zweiffel und Burgau.

Zu Beginn hatte Margaretha die Männer nur hin und wieder beobachtet, als die Auseinandersetzung lauter, drohender wurde, hatte sie sich halb hinter einen Holunderstrauch gedrückt. Jetzt aber duckte sie sich, beugte das Gesicht tief über die Knie. »Heilige Maria, die meinen es ernst.« Nur nicht auffallen. »O Himmel, wäre ich doch bloß woanders.«

Nahe ihrem Versteck schlug Eisen gegen Eisen. Rufe. Fordernde Schreie. Und immer wieder das Klirren. Margarethas Neugierde siegte über die Angst. Sie wagte es, den Kopf zu heben, schob behutsam einige Zweige beiseite, spähte durch die Blätter.

Hart bedrängten sich die Kämpfenden, jeder versuchte den Stich ... oben ... unten ..., wurde von der Klinge des Gegners abgefangen. Gleichzeitig sprangen beide zurück, belauerten einander, dabei liefen sie im Kreis, die Degenspitze auf den Feind gerichtet. Ihre Sekundanten beobachteten nur den Kampf. Für Vereinbarungen wie die Zusicherung von Ritterlichkeit war ihnen keine Zeit geblieben.

Unvermittelt trat der Komtur, den linken Arm zur Fahne hinter dem Kopf angewinkelt, direkt auf Beverförde zu, seine Rechte ließ die Klinge wippen. »Nun zeig, wie schnell du bist!« Er wartete, lockte.

Der Vizeobriststallmeister sprang vor, brüllte, stach zu ...

Doch längst war Roll mit leichtem Schritt ausgewichen, dann Schlag und Stich im Wirbel und gleich zwei Schritt zurück. Verblüfft starrte Beverförde auf den geschlitzten Ärmel seiner Uniformjacke. »Bastard!« Er stürzte nach vorn.

Schneller Abtausch, vor und hinter einem Baumstamm, blühende Zweige wurden abgeschlagen, wirbelten zu Boden, dann kreuzten sich die Klingen über dem Handschutz. Jeder stemmte sich gegen den anderen. Beverförde war größer, kräftiger, er drängte den Gegner, und Schritt für Schritt musste der Komtur weichen. Dazu hieb ihm der Münsteraner noch die linke Faust ins Gesicht. Von Roll taumelte, tauchte weg, nur mit einem Sprung zur Seite konnte er dem Stoß im letzten Moment ausweichen.

»Das war der Anfang«, knurrte der Vizeobriststallmeister und ging zum nächsten Angriff über. Von Roll tänzelte vor und zurück, bot dem Gegner kein Ziel, dann näherte er sich mit unerwarteter Schnelligkeit, führte den Ausfall gegen das Gesicht.

Beverförde stieß einen erschreckten Fluch aus. Quer über seiner Stirn klaffte ein Schnitt, Blut quoll. Schon war von Roll wieder außer Reichweite. »Genug?«, bot er an. »Ich denke, jetzt ist es genug.«

Der Vizeobriststallmeister schnaufte, nickte schließlich.

Beide Männer suchten mit der Degenspitze den Scheidemund an ihrem Gurt. Dabei drehte von Roll den Oberkörper leicht und ließ die Waffe mit nachdrücklichem Schwung eintauchen.

Jäh zückte Beverförde erneut seine Waffe, keine Warnung, er stieß zu, stieß die Klinge dem Verhassten von unten hinauf tief in die linke Brustseite und riss sie wieder heraus.

Mit verwundertem Blick wandte sich von Roll ihm zu. »Was …? O Gott. Ist es genug?« Die Knie versagten, langsam sank er zu Boden.

Stille. Nichts, niemand rührte sich. Eine Ewigkeit lang.

Dann blickte Beverförde zu den Sekundanten. »Er ist mir reingelaufen, einfach so.«

Die Begleiter bewegten sich vorsichtig, tasteten mit den Füßen vor, als drohe an der Unglücksstelle ein Abgrund. Sie starrten auf den Reglosen. Leutnant Burgau nickte, fasste von Zweiffel am Ärmel. »So war es doch? Oder?«

»In den Degen gelaufen?« Der junge Freiherr rang nach Atem, da riss ihn Burgau herum. »Der Vizeobriststallmeister lügt nicht. Oder wollt auch Ihr ihn beleidigen? Wollt Ihr der Nächste sein?«

»Nein ...« Nur ein Flüstern. »Gott bewahre, nein.«

Graf von der Lippe erreichte den Tatort, beugte sich außer Atem über von Roll, keuchte und betastete den Hals. »Da lebt noch was.« Er richtete sich auf, blickte von einem zum anderen, als wolle er warnen: »Der Komtur ist nicht tot.«

»Noch nicht«, murmelte Beverförde. »Warte ab!«

»Dafür ist keine Zeit. Wir müssen uns in Sicherheit bringen. Wenigstens über die Grenze nach Köln. Komm!« Die Stimme wurde hart. »Sofort. Hast du mich verstanden? Jetzt sofort.« Der General zerrte den Cousin des Ersten Ministers an der Uniformjacke, der geschlitzte Ärmel riss weiter auf, dabei beschwor er die Sekundanten, auch mitzukommen.

»Ich bleibe«, flüsterte von Zweiffel. Und Leutnant Burgau rief Beverförde und dem General nach: »Sorgt Euch nicht. Ich kümmere mich schon um ihn.«

Auf dem Weg durch die Gärten kam den beiden Herren der Pferdeknecht von Rolls entgegengelaufen. »Was ist geschehen?«

»Ein Unglück«, rief von der Lippe, ohne stehen zu bleiben. »Dein Herr ist verletzt. Los, Kerl, hole einen Arzt. Beeil dich!«

Er selbst stieg mit ungeahntem Schwung in den Sattel und preschte dem Vizeobriststallmeister voran in Richtung Köln davon.

Margaretha wagte nicht, sich zu bewegen: Wenn der eine Herr sagt, dass der andere ihm ins Messer gelaufen ist ... Und dann der mit dem spitzen Gesicht jetzt auch sagt, dass es so war ... Und aber in Wirklichkeit es anders war. Dann halte dich nur still, Mädchen, sonst passiert dir auch noch was.

Von ihrem Platz aus sah sie, wie der Verletzte mit einem Mal den Kopf hin und her rollte. Gleich presste sie die Hand vor den Mund.

Burgau kniete nieder. »He, Freund, könnt Ihr mich verstehen?«

»Freund? Wer sagt das?« Aus dem Mundwinkel quoll Blut. Von Roll öffnete die Lider. »Ihr seid es ... Es war ... ich hatte den Degen schon ... eingesteckt ...« Ein neuer Blutschwall. Mühsam hob Johann den Arm an. »So war es doch ...?«