8,99 €
Für alle, die nicht genug von den Nordmännern kriegen können - die faszinierende Romanbiographie über den legendären Wikinger von Bestsellerautor Tilman Röhrig Erik der Rote, der Wikinger – kraftvoll wie sein Name und seine Gestalt ist die Geschichte seines Lebens. Aus Norwegen verjagt, versucht er in Island heimisch zu werden, gründet eine Familie und muss erneut fliehen. Verleumdet und verfemt, lässt er doch nicht davon ab, an der Seite seiner Frau Thjodhild nach dem gemeinsamen Glück zu suchen ... "Tilman Röhrig ist ein Meister des geschliffenen Wortes und der präzisen Formulierung" Westfalenpost
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 608
Mehr über unsere Autoren und Bücher:
www.piper.de
Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, schreiben Sie uns unter Nennung des Titels »Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück« an [email protected], und wir empfehlen Ihnen gerne vergleichbare Bücher.
ISBN 978-3-492-98834-6
© Piper Verlag GmbH, München 2013, 2020 © 1999 Cecilie Dressler Verlag, Hamburg Covergestaltung: FAVORITBUERO, München Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt Landkarten: Lothar Meier, München Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence, München mit abavo vlow
Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.
SPITZKLIPP
Wie oft er den steinigen Pfad von der Wiese hinauf zum Gehöft und wieder zurück gegangen war, hatte er nicht gezählt, auch nicht, wie oft er den anderen Knechten und Erik begegnet war. Am Morgen hatten sie noch gescherzt, dann kämpfte jeder wortkarg gegen Schweiß und Müdigkeit. Wir sind zweibeinige Heukopfwesen, dachte er, und ich ersticke bald an dem Geruch.
Das Segeltuch, aufgebläht mit Heu, trug er auf Nacken und Schultern, die letzte Bürde für heute. In der Scheune entledigte sich Tyrkir seiner Last, faltete den Stoff, und während er über den Hof schlurfte, kratzte er nach Flöhen. Überall mussten neue Beißer sitzen, unter dem Kittel, am Hals und auf den Armen.
Bis auf die beiden senkrechten Stämme, den Querbalken und die aus Treibholz gezimmerte Tür war nichts vom Haupthaus zu erkennen: ein länglicher Erd- und Grashügel, aus dem Rauch aufstieg, nicht mehr.
Der schmächtige Siebzehnjährige trat ein. Dunkelheit empfing ihn, modrig rochen die Grassoden zwischen den Flurstützen, und nach drei Schritten öffnete er die Innentür.
»Trink was!« Gleich neben dem Eingang der Wohnhalle stand Erik am Fass. Das rote Haar verschwitzt, grinste er Tyrkir an, schöpfte Sauermilch und reichte dem Sklaven die Kelle. »Unsere erste Ernte. Den Göttern sei Dank! Sollst sehen, wenn wir unsern Stier und die Kühe über den Winter bringen, dann haben wir’s geschafft.«
Durstig leerte Tyrkir den Schöpfer, tauchte ihn nochmals ein und trank wieder. Trotz des Standesunterschiedes verband ihn eine enge Freundschaft mit dem drei Jahre älteren einzigen Sohn des Bauern Thorvald. »Schmeckt heute besser als jedes Bier bei uns zu Haus.«
»Wir sind jetzt hier zu Haus!« Erik ballte die Faust. »Vergiss endlich Norwegen. Hier ist Island! Und bei Thor, diese menschenleere, steinige Gegend wird uns nicht in die Knie zwingen. Niemals!«
»Schon gut. Ich glaub’s ja auch. Nur reicht das Heu bis jetzt vielleicht einen Monat.« Ehe Erik etwas einwenden konnte, setzte Tyrkir hinzu: »Ja, ich weiß, wir haben noch drei Weiden mit gutem Gras gefunden. Ich weiß.«
Der Rothaarige warf die langen, zottigen Strähnen zurück und wandte sich um. Durch die Halle rief er: »Besser wird’s, Vater! Unser kluger Deutscher meint es auch. Es wird gut gehen, du wirst schon sehen.«
Keine Antwort kam von der Hochbank mitten vor dem Langfeuer, das wie ein Glutband den Hauptteil der Halle durchzog. Der Schein huschte rechts und links über die Reihen der unbehauenen Stützstreben und verlor sich im Halbdunkel der beiden Seitenräume.
»Morgen sollten wir unser Schiff weiter auf den Strand ziehen, Vater. Wer weiß, wie viele Tage das gute Wetter noch anhält.«
Keine Antwort. Erik verengte die Augen. Kein Handzeichen? Kein Kopfnicken?
Tyrkir zuckte die Achsel. »Der Herr schläft.«
»Ach was, bei meiner Stimme wacht jeder auf, selbst wenn er keine Ohren hat.« Jäh erstarb Erik der Scherz auf den Lippen.
Die jungen Männer sahen sich an und zugleich hasteten sie zum Ehrenstuhl. Dort saß Thorvald, starr aufgerichtet, den grauhaarigen Kopf an der Rücklehne, seine Augen stierten blickleer ins Feuer.
»Vater!?«
Tyrkir legte dem Freund den Arm um die zitternden Schultern. So standen sie lange, als warteten sie noch, hofften, dass die Wahrheit nicht wahr wäre.
Lärm, Gelächter näherte sich von draußen, die übrigen fünf Knechte kamen mit den beiden Mägden in die Halle.
Schnell ging Tyrkir ihnen entgegen und hob warnend die Hände. »Still. Schweigt! Der Herr ist tot.« Erst ungläubig, doch als sie den harten Zug im schmalen, sommersprossigen Gesicht wahrnahmen, begriffen sie. Die Frauen pressten ihre Lippen aufeinander, die Leibeigenen nickten, einer von ihnen stöhnte auf.
»Geht wieder hinaus, bis ihr gebraucht werdet!«, sagte Tyrkir leise und kehrte um.
Der Sohn wartete bereits im Halbdunkel hinter seinem Vater. Langsam näherte sich Tyrkir, dabei blieb er eng an der rechten Reihe der Stützstreben; von eines Toten Blick getroffen zu werden brachte Unglück. Nur das nicht, dachte er, zu groß war die Gefahr, dass sich der letzte Gedanke des Bauern in ihm einbrannte und auf ewig Qual bereitete. Er schlüpfte in den Seitenraum, tastete auf Tischen und Bänken nach einem Wolllappen und riss ihn zu kleinen Fetzen.
Schweigend verständigten sich die beiden. Sie waren bereit. Erik trat von hinten auf den Hochsitz zu, umgriff die Rücklehne und schloss dem Vater die Lider. Aus den Augenhöhlen würde kein Gedanke mehr hinausdringen.
Jetzt wagten sie sich vor den Toten. Nur schnell. Sie stopften ihm einen Wollfetzen in den Mund, verschlossen mit Pfropfen seine Nasen- und Ohrlöcher. Durch keine Öffnung durfte der nie sterbende Geist aus der schützenden Hülle des Körpers entweichen, um dann befreit ein Eigenleben zu führen und womöglich furchtbare Untaten zu begehen. Erst als auch das Afterloch Thorvalds versiegelt war, traten sie zurück.
»Warum muss er so hinüberziehen? Als ein Strohtoter«, murmelte Erik und schlug die Fäuste gegeneinander. »Vater war ein tapferer Wikinger. Gerade er hätte seinen Platz in Walhall verdient …«
»Nicht jetzt, später«, unterbrach ihn Tyrkir und mahnte zur Eile. Die Mägde wurden hereingerufen, unter seiner strengen Aufsicht schnitten sie dem Leichnam Fuß- und Fingernägel aus dem Hautbett. Er selbst warf jedes Stück in die Glut, nichts durfte davon übrig bleiben, und bald mischte sich Gestank nach schmelzendem Horn in den Rauch des Holzfeuers.
Erik befahl die Knechte zu sich. Beim Schein der Tranlampen ließ er hinter dem Hochsitz die Tische, Bänke und Kästen zur Seite räumen, schritt in gerader Linie bis zur Außenwand und bezeichnete dort ein großes Viereck. »Fangt an!«
Zunächst entfernten die Männer Gras und Erde aus den Fugen, lösten behutsam Stein um Stein, dann stießen zwei von ihnen ihre Spaten durch das klaffende Mauerloch in die Schutzschicht, während die anderen das Haus verließen und ihnen von draußen auf Zuruf entgegenarbeiteten. Immer wieder stürzte Erde nach, keine Höhle mehr, nur mit Mühe gelang es, den Stichgang zur Wandöffnung so schmal wie möglich zu halten.
»Das wird genügen.« Der Zwanzigjährige hob den Vater aus dem Hochsitz. Tyrkir fasste die Füße und ging voran, so trugen sie den Toten durch die Öffnung ins Freie. Einen guten Steinwurf entfernt legten sie ihn auf einer Klippe nieder. »Es ist weit genug.«
Tyrkir verschränkte die Arme. Hinter ihnen begannen die Knechte im Innern sofort wieder das Mauerwerk zu schichten, die Bresche zu schließen, und ohne Pause würden sie die mannsdicke Schutzschicht auffüllen. »Wir wachen bei ihm, bis der Herr den Weg zurück ins Haus nicht mehr finden kann.«
Die Freunde starrten hinunter zum Schiff am Strand, hinaus aufs unruhige Meer und weiter bis zum Horizont. Auch wenn der Tag sich bald neigte, jetzt im Juli versank die Sonne zwar wieder, ihr fahles Licht aber würde die Nacht erhellen und entlang des Nordens zum Osten wandern, um dann erneut hinter dem Rand der Welt aufzusteigen.
»Ich trauere für ihn. Hätte er nur früh genug von seinem Ende gewusst, er hätte mich gebeten. Ich weiß es.« Tränen sickerten Erik in den roten Bart. »Ein kurzer Messerstich von mir hätte ihm zum Glück verholfen … So aber muss er ins Totenreich der Hel ziehen.«
Tyrkir verstand den Kummer. Was bedeutete das düstere Jenseitsreich unter der Erde, verglichen mit den Freuden und Gelagen der Götterwelt? Dort oben in Asgard ritten Morgen für Morgen die ehrenvoll aufgenommenen Wikinger zum Kampfplatz, traten mit Äxten und Schwertern gegeneinander an. Eisenfunken sprühten, das Blut floss in Strömen und nach dem Streiten schlössen sich wieder alle Wunden. Gemeinsam kehrten sie in die von goldenen Schilden überdachte Walhall zurück und speisten mit den Göttern. Täglich feiern sie dort oben rauschende Gelage, dachte Tyrkir, nie wird der Schöpfeimer mit süßem Met leer, nie gehen Speck und Fleisch des gesottenen Ebers aus.
Weil aber Thorvald nicht wie ein tapferer Krieger gefallen war oder selbst den Zeitpunkt des Todes bestimmt, sondern hier alle Lebenskraft verbraucht hatte, musste er durch Kälte und Dunkelheit ins Reich der Göttin Hel wandern. Sein Weg führte an wildreißenden Flüssen entlang, bis er den goldenen Steg, der sich über eine der zerklüfteten Schluchten spannte, endlich erreichte. Über ihn gelangte er zur Halle der Strohtoten.
Dort thronte Hel inmitten der Schattenwesen und bot einen Anblick des Grauens: Leib und Gesicht der unerbittlichen Göttin waren halb schwarz und halb blau, allein ihre Augen glühten. Sie würde Thorvald seinen Platz in der schweigenden Schar anweisen. Und dann gab es nichts mehr für ihn, nicht die kleinste Abwechslung, nur Langeweile bis ans Ende aller Zeiten.
»Der Herr war stets gut zu mir.« Tyrkir las einen Kiesel auf und drehte ihn in der Hand. »Damals, als er die Mutter und mich kaufte, da hatte ich große Angst vor ihm. So klein war ich und so mager.«
»Dafür bist du klug und geschickt, das hat den Vater beeindruckt.«
Die Knechte riefen. Allein die frisch angepresste Schicht aus Grassoden zeigte noch, wo die Öffnung gewesen war. Sie hatten schnelle Arbeit geleistet und kamen herüber.
»Da vorn, direkt am Rand der Klippe soll er liegen«, bestimmte Erik. »Mit Blick nach Osten übers Meer. Hebt das Grab aus, so tief es eben geht!«
Für einen Sarg hatten sie keine Bretter übrig, zu wertvoll war das Holz. Hier oben im sturmumtobten Norden Westislands wuchsen außer kleinen verkrüppelten Birken kaum Bäume, und das wenige angeschwemmte Treibholz benötigten sie dringend für den Hausbau oder zur Herstellung ihrer Werkzeuge.
Erik gürtete den Vater mit dem Schwert, gab Fleisch und Brot als Wegzehrung bei und wickelte den Leichnam in eine Segelplane. So ausgerüstet senkte er ihn in die knietiefe Grube. Ein letzter stiller Blick, dann schichtete er gemeinsam mit dem Freund aus Felsbrocken einen Grabhügel. Sie gaben ihm die Form eines Schiffes, dessen Bug hinaus aufs Meer gerichtet war.
»Es ist nicht genug«, sagte Tyrkir. »Jeder Fremde soll den Herrn erkennen.« Er hockte sich nieder und ritzte Runen in einen Stab, dabei summte er leise. Nachdem er das Holz oben auf dem Grab befestigt hatte, bat Erik: »Lies mir vor!«
»Zum Andenken an Thorvald den Mutigen.«
»Das ist wahr und gut.« Der Sohn nickte. »Nichts dürfen wir vergessen. Er soll in unserer Erinnerung weiterleben«, und er wandte sich an die Knechte und Mägde: »Kommt alle ins Haus, lasst uns den Herrn ehren!«
Die Hochbank zwischen den durch Ornamente, magische Zeichen und Figuren reich verzierten Stützpfosten blieb leer. Nach dem Mahl ließ Erik das einzige Fass mit Met anschlagen.
Seit sie von Norwegen abgesegelt waren, hatte der Vater die süße, berauschende Köstlichkeit wie seinen Augapfel gehütet, zum ersten Julfest im neuen Land, zur Wintersonnenwende, sollte sie getrunken werden. Nun füllte der Met die Becher bei seiner Totenfeier.
Erik stand dicht vor dem Langfeuer, er blickte über die Glut zu den beiden Mägden, dann auf seiner Seite zu den Männern. »Lasst mich die Ahnen herbeirufen!« Das Wichtigste, der einzige Hort war die Sippe. Ein freier Mann gehorchte keinem Fürsten, er war zuerst seiner Familie verantwortlich, hiernach den Nachbarn und dem Volk. Mit dem Namen wurde die Kette von den Urvorfahren bis zu den Kindeskindern geschmiedet. »Großvater Asvald! Hier steht der Sohn deines Sohnes. Hörst du mich? Bring deinen Vater Ulf und du, Ulf, bring deinen Vater Ochsenthorir zu uns!«
Er wartete. Nur das Knistern des Feuers unterbrach die Stille. Mit einem Mal stieg der Rauch nicht mehr zum Windauge über dem Hochsitz auf, sondern quoll in einer Wolke durch die Halle; nur einen Moment, schon bildete sich wieder eine Säule, die durch das runde Deckenloch abzog.
Tyrkir schloss die Augen. Flüchtig dachte er an seine Vorfahren im fernen Deutschland. Selbst wenn ich eure Namen wüsste, mich würdet ihr nicht erhören, nie würdet ihr euch zu mir, einem Sklaven, setzen.
»Heute gesellt sich Thorvald in euren Kreis. Er war aufrecht und stolz wie ihr.« Erik berichtete von den Heerfahrten und Kämpfen des Vaters, auch wie er sich später den großen Hof in Norwegen gebaut hatte und Bauer und Kaufmann wurde. »Er war beliebt und geachtet auf jedem Handelsplatz …«
Tyrkir fühlte einen Stich, er hörte nicht mehr auf die Rede. Seine Gedanken kehrten nach Haithabu am Ufer der Schlei zurück. Dorthin, zur großen Handelsniederlassung, hatten die Wikinger ihn und die Mutter nach dem Überfall auf ihr Dorf tief unten am Rhein verschleppt.
Damals hieß ich noch Thomas, überlegte er, und war gerade fünf Winter alt. Und die Mutter? Er erinnerte sich nicht an ihr Alter, wusste nur, wie schön und klug sie war. Und ihren Geruch, wenn er sich an sie schmiegte, ihn würde er nie vergessen. Sie diente im Haus des Sklavenhändlers, hütete ängstlich ihr Kind und erzog es nicht weiter nach der christlichen Lehre. »Du musst jetzt wie diese Menschen leben, musst denken wie sie, sonst kannst du nicht bestehen, falls man dich mir wegnimmt.«
Anfangs war es für ihn schwer, sich an den neuen Namen zu gewöhnen. Nicht länger Thomas, sie nannte ihn Tyrkir. »Kein anderer Gott im Himmel der Wikinger gleicht dem weisen und mutigen Tyr«, begann sie jede Geschichte über Walhall und lehrte ihn, diesen Namen mit Stolz zu tragen.
Während der folgenden Jahre sog er wissbegierig seine neue Umwelt in sich auf, sprach deutsch nur, wenn er mit der Mutter allein war, sonst aber nordisch wie alle Kinder in Haithabu, wusste bald um jeden Brauch, fühlte und glaubte wie sie. Die Zeit in Deutschland war in ihm nicht ausgelöscht, war aber zu einem fernen Geheimnis geworden, an das er nur selten rührte.
Tyrkir zählte elf Winter, als der reiche Thorvald mit seinem Schiff von Norden kam, die Sklavin sah und für sie und das Kind einen hohen Preis zahlte. Wie laut er lachen konnte, wie er die Mutter an sich presste! Ja, er flößte dem schmächtigen Jungen Angst ein.
Während der Rückfahrt nach Norwegen erkrankte die Mutter, und kaum war der Hof in Jaedern erreicht, lag sie blass und elend auf der Trage. Nach wenigen Tagen schon starb sie und Tyrkir hörte den Bauern fluchen: »Ein schlechtes Geschäft. Nicht ein einziges Mal hat sie mir Mannesfreuden bereitet, keinen Handgriff hat sie im Haus getan. Und dafür hab ich gutes Hacksilber hergegeben.«
Er sah den weinenden Jungen. »Dich will ich nicht, so mager, wie du bist. Esser hab ich genug. Dich überlasse ich den Wölfen.«
Der Kleine wischte sich die Augen. »Nicht wegjagen, bitte«, flüsterte er. »Ich habe viel gelernt, Herr«, und zeigte, wie geschickt er mit dem Messer schnitzen konnte, zeigte, wie rasch er Feuer schlug, rannte quer über den Hof und kam zurück. »So schnell bin ich.«
Der Herr brummte nur in seinen Bart: »Was kannst du noch?«
Über Kräuter und Heilwurzeln wusste der kleine, braunhaarige Deutsche mit den Sommersprossen Bescheid. »Meine Mutter hat es mir beigebracht. Außerdem war ich bei uns im Dorf mit auf dem Weinberg …«
»Wein?« Thorvald leckte nachdenklich die Lippen. »Du Knirps weißt, wie Wein gekeltert wird?«
»Ja, alles weiß ich von meiner Mutter«, log er. »Glaub mir, Herr. Ich bin nützlich.« In seiner Not breitete er die Arme aus: »Auch kenne ich die Götter, alle: Odin, Freyr, Thor und ganz bestimmt den weisen Gott Tyr. Er hat den wilden Fenrisswolf angekettet bis zum Ende aller Zeiten. Na ja, die rechte Hand hat er dabei verloren. Aber ich hab noch zwei. Tyr ist der beste Krieger und der klügste Gelehrte. Deshalb hat mich Mutter nach seinem Namen genannt, weil ich werden soll wie Gott Tyr …«
»Nun halt’s Maul, Knirps! Keiner von uns wird wie ein Gott.« Thorvald grinste breit. »Dein Alles, Alles, Alles verstopft mir noch die Ohren. Na gut, darfst bleiben. Ich gebe dich meinem Sohn Erik. Und wehe, du hältst ihn von der Arbeit ab.«
Im Verlauf von drei Jahren war eine Freundschaft zwischen den beiden gewachsen. Erik, der starke, leicht aufbrausende Erbsohn, und der wendige, klar und scharf denkende, schmalbrüstige Sklave hatten Vertrauen zueinander gefunden. Und heute? Sie teilten Freude und Leid, konnten selbst heftige Meinungsverschiedenheiten miteinander austragen, ohne dass sie sich entzweiten. So wird es bleiben, dachte Tyrkir und kehrte aus seinen Gedanken zurück.
»… Es kam zum Kampf!« Der Freund erinnerte gerade an den Streit des Vaters mit den Nachbarn in Jaedern. Eine Beleidigung, die Thorvald nicht ungerächt hinnehmen konnte, hatte den Anlass gegeben. »Bei Thor, unser Kampf war ehrenhaft. Kein Hinterhalt, offen stellten wir uns den Feinden. Aber die Zeugen auf dem Gerichtstag sagten gegen uns aus. Sie waren bestochen.«
Die Thingversammlung hatte Thorvald des heimtückischen Mordes für schuldig befunden und das Urteil lautete: Ehrverlust und Verbannung. Nur wenig Zeit blieb dem Bauern, ehe er von jedermann gejagt und getötet werden durfte.
Überhastet verkaufte Thorvald den Hof, rüstete sein Schiff aus und stach mit dem Sohn, einigen Knechten und Mägden, wenigem Vieh und den notwendigsten Habseligkeiten in See.
Sein Ziel war Island, das gelobte Land der Auswanderer. Sieben Tage westwärts im Auf und Ab der stürmischen Wellen, der Drache am Bug trotzte dem Meer.
Aber sie kamen Jahre zu spät, um auf Island noch guten, fruchtbaren Boden zu erhalten. »Kein Platz für euch!« Erik ballte die Faust. »Ihr, meine Freunde, habt es selbst immer wieder gehört. Kein Platz! Wir wurden weiter und weiter nach Norden abgedrängt. Erst hier auf Spitzklipp am Hornstrand konnten wir endlich den Hof errichten.«
Schwer hatten sie gearbeitet, auch der Vater, bis ihn vor Wochen Müdigkeit überfiel, und weil die Glieder nicht mehr gehorchten, war er im Haus geblieben.
»Nehmt Abschied, Freunde! Trinkt mit mir auf Thorvald!«
Ein jeder in der Halle setzte den Becher an und leerte ihn bis auf den Grund.
Fragend sah Erik auf den Deutschen, sie verständigten sich mit einem Nicken, und gefasst schritt er zum Ehrensitz. Kein Gemurmel, kein Laut mehr in der Halle, angespannt begleiteten ihn alle Blicke.
Er strich mit der Hand langsam über die Schnitzerei der Zierpfosten. Fast wie ein Heiligtum wurden diese Stützen vom Ältesten einer Sippe gehütet und jeder, dem neu die Pflichten und Rechte zufielen, der fügte irgendwann ein Ornament oder ein magisches Zeichen hinzu. Erik dehnte die Brust und nahm den erhöhten Platz ein.
Tyrkir winkte die Knechte und Mägde näher, ließ nachschenken und rief: »Hoch lebe unser Herr, Erik, den man den Roten nennt, er soll leben und uns beschützen. Mögen die Götter ihm nie ihre Gunst entziehen!«
Das Gesinde fiel mit ein. Ja, ein Hoch dem neuen Herrn. Immer wieder wurden die Becher gefüllt und Schluck für Schluck verwandelte der süße Met die Trauer der letzten Stunden in die Freude, nun Erik dienen zu dürfen.
Den Hünen hielt es nicht lange auf der Ehrenbank. »Was die Götter sich erlauben, können wir auch. Lasst uns feiern!« In der linken Hand schwenkte er den Becher und mit dem freien Arm umfasste er die Hüfte einer der beiden Mägde, presste sie an sich, drehte sich langsam mit ihr im Kreis und küsste sie. Atemlos gab er sie frei und griff nach dem prallen Busen der zweiten Sklavin. »Zeig sie uns, Katla. Zeig uns deine Titten!«
Ohne Zögern gehorchte sie und löste die Kittelschlaufen. Beim Anblick der weißen, leicht schwingenden Brüste ließen einige der Knechte den Becher sinken.
Tyrkir bemerkte den gierigen Hunger in ihren Blicken sofort. Gefahr drohte. Wie leicht konnten sie, angeheizt durch den Met, vergessen, dass nur der Herr sich der Frauen bedienen durfte. Mit drei Schritten war er bei der Magd und zog sie beiseite. »Lass gut sein, Katla!«, mahnte er leise. Sein zorniger Blick ernüchterte Erik für einen Moment.
»Ja, Tyrkir hat Recht«, lenkte er ein. »Zwei Weiber sind zu wenig für alle! Lasst uns saufen, vom Met haben wir genug!« Sein Lachen steckte an, und bald erfüllte ausgelassener Lärm die Wohnhalle, bis nach und nach die Köpfe schwer wurden.
Spät in der Nacht zog Erik den Freund hinter sich her. »Komm mit!« Schweren Schritts verließen sie die Halle und stapften im fahlen Zwielicht hinüber zum Grabhügel auf der Klippe. Lange Zeit stand der Hüne da, schließlich fragte er mit schwerer Zunge: »Was jetzt? Ich bin der Herr, aber du bist so gescheit. Was jetzt?«
Tyrkir trat dicht an ihn heran. »Heiraten!«
»Was?«
»Ich sagte, du musst heiraten. Nicht nur, weil der Hof eine Herrin braucht. Du bist der Letzte deiner Sippe. Ich mein, Kinder brauchst du, damit es weitergeht.«
Erik schüttelte den Kopf, sein Blick verlor etwas von der Trunkenheit. »Einfach so? Heiraten? Dazu gehören zwei, hast du das vergessen? Wen soll ich denn …«
Ausgiebig kratzte Tyrkir die Flohstiche. Trotz des Mets gelang es ihm, seine Gedanken zu ordnen. Lange genug hatte er diesen Plan durchdacht, jedoch bisher nicht gewagt, ihn dem Freund zu unterbreiten. Jetzt aber war die Gelegenheit günstig. »Unten am Hvammsfjord, als wir da nach Land fragten«, begann er vorsichtig, »da hast du die Tochter des alten Thorbjörn angesehen.« Er tat so, als wisse er den Namen der jungen Frau nicht mehr. »Wie hieß sie noch?«
»Thjodhild«, murmelte Erik nachdenklich. »Thjodhild aus dem Habichtstal.«
Die Erinnerung schien ihr Bild in ihm zu malen. »Keine schlechte Frau. Und frei war sie noch im Frühjahr. Blond ist sie und gerade gewachsen. Ja, keine schlechte Frau.«
Mit einem Mal stieß er dem Freund leicht gegen die Brust. »Wir brechen auf, gleich morgen. Warum sollte Bauer Thorbjörn was gegen mich haben? Sieh mich doch an! Ich bin ein Schwiegersohn. Einen besseren kann er sich gar nicht wünschen.«
»Nur waschen müsstest du dich«, bemerkte Tyrkir, »sonst erkennt niemand deine Schönheit.«
»Wag es nicht!« Halb im Zorn hob Erik die Faust. »Du sprichst mit deinem Herrn.«
Als er den unerschrockenen Blick sah, umarmte er leidenschaftlich seinen Sklaven. »Uns trennt nichts, auch nicht eine Frau. Niemals. Das schwöre ich!«
THJODHILD
Eine Abwechslung, endlich, seit zwei Wochen hatte Thjodhild diesen Tag herbeigesehnt. Im Sommer wurde in der Mitte der ersten Woche eines neuen Monats unten am Fjord ein Markt abgehalten. Kein Vergleich mit dem großen Markt beim Allthing im Herbst, aber ihr genügte er. An diesem Markttag maß sie die Zeit: War er vorbei, so lebte sie eine Weile von der Erinnerung und bis zum nächsten Besuch dann in der Vorfreude.
Das grobe Kittelkleid hatte Thjodhild mit dem Untergewand und ihrem von Schulterfibeln gehaltenen Trägerrock getauscht, darüber ihr großes grünes Schaltuch geschlungen und es vor der Brust mit einer silbernen Spange zusammengesteckt. Die Kette aus Bronzemedaillons schmiegte sich kühl um den Hals der Achtzehnjährigen. Sorgfältig hatte sie ihr langes blondes Haar gekämmt, es fiel unter dem Kopftuch offen bis weit über den Rücken.
Frei sein von allen Pflichten! Kein mühevolles Schlagen der Salzbutter heute, keine Arbeit im Haus oder Stall! Dafür andere Menschen sehen und den eintönigen Alltag für ein paar Stunden vergessen.
Die kränkelnde Mutter war auf dem Hof geblieben, weil ihr Bein wieder schmerzte, nur der Stiefvater und sie hatten in der Frühe die Pferde gesattelt und waren durchs obere Habichtstal den Bach entlang, am See und Wald vorbei hinunter zum Strand geritten. Unterwegs hatten sich einige Nachbarn angeschlossen, Neuigkeiten wurden ausgetauscht und schnell war die Zeit vergangen.
Selbst das Wetter hat ein Einsehen, dachte sie. Bis auf wenige, schnell ziehende Wolkenschatten strahlte die Augustsonne vom glasblauen Himmel auf Buden und Verkaufsstände nieder. Gelächter, Rufen und Feilschen erfüllten den kleinen Handelsplatz. Das klare Licht und die wohltuende Wärme beschwingten die Leute.
Inzwischen wartete Thjodhild schon eine Weile auf den Vater. Er stand mit befreundeten Großbauern beim Rosshändler und begutachtete die kleinen kraftvollen Tiere, griff in die üppigen Mähnen wie in Frauenhaar, prüfte das Gebiss, strich den Bauch und die Sehnen der Vorderhufe. »Und ich sage, diese Stute ist kräftiger!«
»Wenn du dich nicht irrst, Thorbjörn.«
»Sag das nicht! Von Pferden verstehe ich mehr als du.«
Eine hitzige Auseinandersetzung kündigte sich an. Dieses Hin und Her kannte Thjodhild nur zu gut, und bis die Männer sich einigten, würde noch viel Zeit vergehen. Sie schlenderte weiter durchs Gedränge. Ohne es sich anmerken zu lassen, nur aus den Augenwinkeln, genoss sie die hungrigen Blicke der jungen Bauern.
Die unverheirateten Söhne der reichen Grundbesitzer waren nicht bloß der Geschäfte wegen gekommen, sondern zeigten sich in Festkleidung und hofften, endlich eine Braut zu finden. Einige hatten schon um Thjodhild angehalten, bisher aber war ihr keiner recht gewesen. Und da Thorbjörn selbst Nachwuchs versagt geblieben war, er dafür aber die einzige Tochter seiner Frau wie sein eigen Blut liebte und sie nicht ohne ihre Einwilligung verheiraten wollte, war Thjodhild immer noch ledig.
»Ich warte, bis mir einer gefällt«, sagte sie oft zur Mutter, wenn sie gemeinsam im Saunahaus den Dampf und die Wärme genossen.
»Warte nicht zu lange, Mädchen!«, hatte die alte Frau erst vor wenigen Tagen gewarnt. Ihren ersten Mann Jorund hatte sie früh verloren und war froh gewesen, in Thorbjörn wieder einen tüchtigen, gutherzigen Bauern für den Habichtshof gefunden zu haben. »Blumen sind schön, wenn sie gerade aufblühen. Schnell aber beginnen sie zu welken.« Sie strich über ihre ausladenden Brüste und wog sie in den Händen, dieses Busens wegen wurde sie Thorbjörg Schiffsbrust genannt. »Früher waren sie fest und straff. Und heute?«
»Sorg dich nicht! Ich weiß, was ich will.«
»Nein, hör auf mich! Der jüngere Bruder des Herrn vom Valtjofshof. Dieser Ejolf, das wäre ein …«
»Bitte schweig!«, war die Tochter aufgefahren, um sofort einzulenken: »Verzeih, Mutter!« Liebevoll hatte sie ihr den Rücken gerieben. »Bitte, versteh doch, ganz gleich, wie reich seine Familie ist, mich friert schon bei dem Namen.«
Thjodhild schüttelte den Kopf. Nie werde ich Ejolf Dreck heiraten. Obwohl er jetzt als Mann stets aufgeputzt daherkam, war ihm der Beiname Dreck geblieben, weil er sich als Kind stets mit dem eigenen Kot besudelt hatte. Sicher würde er ihr heute auf dem Markt über den Weg laufen. Sie sah schon sein Grinsen, hörte sein prahlerisches Gerede. Und wie jedes Mal würde sie sich abwenden, bis er es endlich begriffen hätte.
Duft nach gebratenem Seehundfleisch stieg ihr in die Nase. Nein, nicht gleich, später wollte sie mit dem Vater gemeinsam etwas essen, zunächst aber in aller Ruhe die Auslagen betrachten.
Ja, ein schöner Tag! Neben Fischern und Handwerkern boten hier einige Nachbarn an, was sie entbehren konnten, tauschten da einen Spaten gegen eine Kette für den Kochtiegel, gaben dort zwei Messer für eine Schere.
Nach Hausrat stand Thjodhild heute nicht der Sinn, sie zog es zu den Buden, an denen verzierte Schulterspangen, Schmuck und andere Kostbarkeiten angeboten wurden, bestaunte die Auslage kleiner geschnitzter Figuren aus Walrosszahn und ging weiter. Beim Kunstschmied blieb sie länger stehen. Dieses Glitzern und Blinken. Wenn ich nicht so vernünftig wäre, würde ich ihm alle Armreifen und Broschen abkaufen, seufzte sie und drehte sich um.
Sie blickte in ein Gesicht, übersät mit Sommersprossen, die dunklen Augen lächelten ihr einen Moment zu, dann gab der schmächtige Bursche den Weg frei.
Wer war das? Er muss fremd hier sein. Nein, irgendwann bin ich ihm schon mal begegnet. Dem Kittel und seinen kurz geschorenen Haaren nach muss er ein Sklave sein. Thjodhild reckte das Kinn. Was dieser Kerl sich herausnimmt! Wenig später, am Karren des Topfhändlers, stand er unvermittelt wieder neben ihr.
»Du versperrst mir die Sicht!«, fuhr sie ihn an.
»Nicht zornig werden, schöne Frau!«
Die warme Stimme ließ sie stutzen. »Was willst du von mir? Wie ist dein Name?«
»Tyrkir, der von Gott Tyr Erwählte.« Er lächelte entwaffnend. »Nein, nein, ich bin kein Götterbote. Ich will nichts und doch will ich etwas. Besser gesagt, mein Herr möchte dir etwas zeigen.«
Ein Leibeigener, der auf sonderbare Art nach Kunden Ausschau hielt, mehr nicht. Halb belustigt nickte Thjodhild. »Also gut, wo ist sein Stand. Führe mich hin!«
Die kräftige Stimme war das Erste, was sie vernahm. »Den Bären hab ich selbst in Norwegen erlegt. Und glaubt mir, es war ein Kampf auf Leben und Tod!« Dann sah Thjodhild die leuchtend rote Mähne über den Köpfen dreier Frauen, die den Jäger umlagerten und feilschten. Jedes ihrer Gebote schlug er mit den gleichen Worten aus: »Zu wenig! Bei Thor, dieses Fell verkaufe ich nicht so billig.«
Schließlich gaben die Kundinnen enttäuscht auf und gingen zum nächsten Stand.
Langsam näherte sich Tyrkir mit der schlank gewachsenen Frau. Kaum entdeckte Erik die beiden, wischte er sich übers Gesicht und fuhr mit den Händen durch seine Haare. »Ein schöner Tag heute.« Mehr fiel ihm nicht ein.
Sie nickte flüchtig, und als sie sich über die weiche braun-schwarze Bärendecke beugte, gab er dem Freund heimlich Handzeichen, erwartete Hilfe von ihm. Jedoch Tyrkir lächelte nur.
»Wie viel willst du für dein Fell haben?«
»Mein Fell? Für alles, was du bist, geb ich’s dir.« Röte schoss Erik ins Gesicht, dunkler noch als sein Bart und die wilde Mähne.
Sie sah ihn überrascht an. Seine bernsteingelben Augen hielten ihrem Blick stand. »Das ist mein Preis, schöne Thjodhild. Und ich handle nicht, damit du’s weißt.«
»Du kennst meinen Namen?« Ehe er antworten konnte, erinnerte sie sich an ihn, an die Augen. »Warst du nicht im Frühjahr bei uns auf dem Gut?« Natürlich, mit seinem Vater hatte er überall an der Küste des Hvammsfjords, im Lachstal und auch im Habichtstal nach Land gefragt. »Du bist Erik der Rote, der aus Norwegen herübergekommen ist.«
»Genau der bin ich. Wir haben oben am Hornstrand gesiedelt. Einen großen Hof besitzen wir jetzt da im Norden. Gutes Gras. Sogar Ackerland genug. Ja, wir haben’s gut getroffen.«
Kurz blickte sie zu Tyrkir, dann wieder auf den breitschultrigen Burschen und ärgerte sich, weil ihr Herz heftiger schlug. Du bist nie Bärenjäger gewesen. Aber mich hast du von deinem Knecht anlocken lassen. Glaub nur nicht, dass ich dir in die Falle gehe!
Indes, das Spiel reizte sie. Mal sehen, wie geschickt er es anstellt. »Ein ziemlich weiter Weg von da oben bis zum Hvammsfjord.« Sie hob spöttisch die Brauen. »Kein kluger Bauer unternimmt während der Erntezeit solch eine Reise, nur um unseren kleinen Markt zu besuchen.«
»Ich schon«, schnappte er, »auch wenn du mich beleidigst.«
Tyrkir hielt den Atem an. Bleibe höflich, mein Freund!, flehte er stumm, verdirb jetzt nicht alles, ehe es begonnen hat!
Mühsam kämpfte Erik gegen den aufsteigenden Zorn. »Vielleicht bin ich nicht so gescheit wie du. Mag sein. Aber ich weiß genau, was ich will.«
»So? Und was?«
»Mein Fell«, knurrte er. »Das will ich dir verkaufen.«
Thjodhild trieb ihn weiter und fuhr mit den Fingern durch die Bärendecke auf dem Holzbock: »Du meinst dieses Fell hier?«
»Ja, verflucht. Und bei Thors Hammer, mein Fell auch. Deshalb bin ich hier.« Die Wut war stärker und platzte aus ihm heraus. »Aber bei deiner spitzen Zunge weiß ich nicht mehr, ob du die Richtige bist.«
»Schade. So schnell gibst du auf?« Thjodhild wandte sich ab. Nach wenigen Schritten rief sie über die Schulter: »Vielleicht komme ich später mit dem Vater vorbei. Wenn die Bärendecke noch zu haben ist, wer weiß, vielleicht kauft er sie mir.«
Erik starrte ihr nach und hieb die Faust in seine linke Hand. »Weibsstück!«, murmelte er. »Verflucht. Besser, du kommst nicht zurück.« Kaum sah er die vergnügte Miene des Deutschen, drohte er: »Hör auf zu grinsen, Sklave! Es war dein sauberer Plan. Ach, ich sollte dir …«
»Warum regst du dich auf?« Ruhig trat Tyrkir auf ihn zu. »Sie hat angebissen, glaub mir.«
»Dieses stolze Weib? Niemals!«
Gerade wollte der Freund dem Enttäuschten erklären, als unvermittelt ein Jungbauer vor ihnen auftauchte. »Fremde seid ihr?« Ein kantiges Gesicht mit zornigen Augen. Die engen Hosen und das Hemd waren aus feinstem Leinen, der an der linken Schulter gehaltene braune Umhang verdeckte den Schwertknauf, rechts trug der Mann neben Messer und Münzbeutel eine Streitaxt im Gürtel. »Was treibt euch in unsere Gegend?«
»Wer will das wissen?« Breit richtete sich Erik auf. Ihm war anzusehen, dass er in diesem Moment nichts gegen eine Rauferei einzuwenden hätte.
»Kerl, vor dir steht Ejolf vom Valtjofshof. Jeder kennt mich hier!«
Sie maßen einander mit Blicken, schließlich senkte der herausgeputzte Bursche als Erster die Augen. »Na gut, nicht heute.« Unter halb geschlossenen Lidern lauerte er den Roten an. »Ich hab beobachtet, wie du mit meiner Thjodhild gesprochen hast. Und lange. Worüber?«
»Nichts, was dich angeht.«
Rasch wies Tyrkir auf die Felldecke. »Der schönen Frau gefiel sie. Mein Herr hat ihr den Preis genannt, das war alles.«
Die Antwort befriedigte Ejolf nicht, aber er ließ es dabei. »Du hast Glück, wenn sie das Fell will, dann kauf ich es. Wird ein feines Geschenk. Sag deinen Preis!«
Über den Kopf des Jungbauern hinweg entdeckte Erik die blonde Frau in Begleitung ihres Vaters, zielstrebig kamen sie näher, und er verschränkte die Arme vor der Brust. »Zu spät. Kein Geschäft mit dir. Entweder verkaufe ich das Fell der Tochter vom Habichtshof selbst oder ich behalte es.« Er verengte die Brauen, betont laut fragte er: »Wieso sagst du: deine Thjodhild? Bist du mit ihr im Wort?«
»Zum Winteranfang feiern wir Hochzeit.« Ejolf bemerkte nicht, wer fast schon hinter ihm stand. »Und dann gehört sie mir. Mit dem Bauern bin ich längst einig.«
»Lügner!«
Beim Klang der Stimme zuckte er zusammen und fuhr herum. »Nichts ist wahr davon!«, zischte ihn die junge Frau an. »Wage es nicht, solche Lügen zu verbreiten. Hörst du? Nie mehr!«
»Thorbjörn, wie redet deine Tochter mit mir?«, presste er heraus. »Dachte, wir wären gute, friedvolle Nachbarn? Da, das Fell wollte ich ihr schenken. Nur so, aus Freude. Aber zum Dank beleidigt sie mich sogar vor Fremden.«
Der graubärtige Großbauer versuchte zu beschwichtigen, doch Thjodhild unterbrach ihn: »Lass nur, Vater! Ich spreche für mich allein.« Sie stemmte die Fäuste in die Hüften. »Mit nichts kannst du mir Freude bereiten, Ejolf Dreck. Als Nachbar ertrage ich dich, aber niemals als Bräutigam.«
»Warte ab!« Er grinste verschlagen. »Kein anderer am Hvammsfjord wagt es, mir in die Quere zu kommen. Du wirst nicht jünger, und irgendwann ist der Tag da, an dem du froh sein wirst, wenn ich dich nehme. Anbetteln wirst du mich.«
Jäh hob sie die Hand, rechtzeitig wich er aus, und weil der Schlag ins Leere gegangen war, fauchte sie außer sich: »Weg! Verschwinde! Geh zu deinen sauberen Freunden, diesen Nichtstuern, und lass mich in Ruhe!«
Ejolf grinste immer noch. »Bis bald.« Scharf sah er den Fremden und dessen Knecht an. »Ihr vergesst, was ihr gehört habt! Verstanden? Nicht ein Wort darüber, sonst lernt ihr mich kennen.«
Erik verzog keine Miene und kaum war der Herausgeputzte außer Hörweite, murmelte er Tyrkir zu: »Diese Frau. Leicht wird’s nicht mit ihr, glaub ich.«
Immer noch erregt trat Thjodhild vor den Roten hin. »Und jetzt zu dir. Stehst du zu dem, was du vorhin gemeint hast?«
»Was hab ich denn …?« Erik runzelte die Stirn, kurz stieß ihm Tyrkir den Ellbogen in die Seite und er begriff. »Ja, bei Thor, jedes Wort ist wahr.«
»Also gut.« Sie wandte sich an den Stiefvater. »Ich nehme das Fell.« Nein, das Silber sollte er im Beutel lassen, über den Preis wären sie sich einig. »Bitte, lade ihn und den Sklaven ein, als Gäste zu uns auf den Hof. Da habt ihr Männer Zeit, euch zu besprechen.« Thjodhild drehte sich um und ging davon.
Thorbjörn wiegte beinah entschuldigend den Kopf. »Meine Tochter ist etwas heftig.«
»Schon recht«, antwortete Erik und schnaufte.
Früher als gewöhnlich verließ der Großbauer mit seiner Tochter den Handelsplatz am Strand. Seine Gäste ritten ein Stück hinter ihnen. Die Nachmittagssonne ließ die Weiden rechts und links des Baches leuchten und brach sich im Weiß der Birkenstämme. Eine Zeit lang beobachtete Thorbjörn die junge Frau, sie saß aufrecht im Sattel und sah zu den schwarzen Bergrücken im Osten. Schließlich unterbrach er das Schweigen. »So schnell? Bist du sicher, Mädchen, dass du keinen Fehler begehst?«
Sie kehrte aus ihren Gedanken zurück. »Er ist anders als die Männer, die ich bisher kennen gelernt habe.«
»Und es ist nicht, weil du den jungen Ejolf bestrafen möchtest? Ach, Kind, keiner weiß etwas über diesen Erik.«
Offen blickte sie den besorgten Vater an. »Aber ich fühle etwas Neues, hier drinnen. Nein, nein, vertrau mir, nicht mein Herz allein soll bestimmen. Wir haben ja Zeit genug, ehe wir uns entscheiden.«
Drei Pferdelängen hinter ihnen zerknautschte Erik unentwegt das Halfter in der Faust. Tyrkir wartete geduldig.
»Dein Plan war es nicht allein«, brummte der Hüne vor sich hin. »So gescheit bist du nicht. Muss eine Fügung sein. Was meinst du, welcher Gott hat die Hand im Spiel?«
»Tyr war es nicht, da gebe ich dir Recht, in diese Dinge mischt er sich nicht ein. Aber vielleicht hat er Gott Freyr einen Wink gegeben, der versteht was von Fruchtbarkeit, weil wir’s doch eilig haben.«
»Kann schon sein.« Erik strich dem Pferd über die Mähne und tätschelte den Hals. Nach einer Weile lächelte er vor sich hin.
Thorbjörn vom Habichtshof verstand zwar die Ungeduld des Rothaarigen, nicht allzu lange durften seine Knechte während der Erntezeit oben im Norden allein bleiben, jedoch eine Heirat war eine Heirat und die Bedingungen mussten vorher in Ruhe verhandelt werden. Es hatte den gutmütigen Großbauern schon viel Überwindung gekostet, auf Bitten Thjodhilds seiner Frau zu erklären, dass die geliebte Tochter sich nicht für einen der benachbarten Jungbauern entschieden hatte, sondern allen Ernstes mit dem Fremden weggehen wollte. Seit dem Frühstück saßen die Männer allein in der großräumigen, mit Wandteppichen geschmückten Wohnhalle.
Die Ahnenreihe Eriks wies keinen Makel auf, auch als er freimütig von der Verurteilung in Norwegen und der Flucht berichtete, zuckte Thorbjörn nur bedauernd die Achsel. Gekaufte Zeugen! Wie schnell konnte jedem von ihnen das gleiche Unglück widerfahren. »Wir sind alle den Launen des Schicksals unterworfen.« Nein, die Gerichtssache war ausgestanden und zählte nicht mehr.
»Was bietest du unserer Tochter?«
»Nun ja, viel kommt da zusammen.« Diese Frage hatte Erik befürchtet und bedauerte jetzt, dass der Freund nicht bei dem Gespräch anwesend war. Wie gern hätte er sich auf dessen Zeichen und Blicke verlassen. »Also gut. Zehn Kühe stehen im Stall. Mein Stier hat heißes Blut, das versichere ich dir. Dann Pferde für jeden Knecht. Ja, und gut vierzig Schafe. Das Land …« Erik dehnte sich und berichtete von genügend fruchtbaren Wiesen, sogar Lauch, Zwiebeln und Erbsen hätte er reichlich auf dem Acker. Je länger er sprach, umso prächtiger malte er seinen Besitz aus und war im Stillen überzeugt, ihn durch viel Arbeit irgendwann auch zu dieser Größe entfalten zu können.
»Wusste ich gar nicht«, der Großbauer kratzte sich nachdenklich im Kinnbart, »wusste nicht, dass es sich oben am Hornstrand so gut wirtschaften lässt. Nur schade, wir können unsere Höfe nicht zusammenlegen. Das würde meiner Thorbjörg gefallen. Nicht allein wegen der Ländereien, davon haben wir selbst genug, sondern weil sie das Mädchen dann häufiger sehen könnte.«
»Wir kommen euch besuchen«, versicherte Erik hastig.
»Und du besitzt ein Schiff?«
Erleichtert, nun endlich von etwas zu berichten, das der Wahrheit entsprach, schwärmte er von seinem hochseetüchtigen Knorr, nannte ihn stolz: Reittier des Meeres. Vierzig Knechte fänden darauf bequem Platz. Er sprach vom roten Segel, vom Drachenkopf am Bug und dem geräumigen Frachtraum. »Wenn ich achtern an der Pinne stehe, sind Wind, Sonne und Polarstern meine Freunde …«
»Das genügt«, unterbrach ihn Thorbjörn. »Du gefällst mir, ja ich glaube, du bist ein Mann voller Tatkraft. Nachdem ich nun dein Vermögen kenne, will ich dir ebenso viel als Gegenwert bieten.« Thjodhild sollten zehn Knechte und drei Mägde nach Hornstrand folgen.
»An Frauen fehlt es bei mir«, warf Erik bittend ein.
Großzügig erhöhte der Gutsherr das Gesinde um weitere vier Sklavinnen. Außerdem stellte er Bauholz zur Verfügung, genug für ein Frauenhaus, dazu Wolle, zwei Webstühle und anderen Hausrat. Lange zählte er auf und Erik staunte stumm, welch eine reiche Frau ihm gegeben werden sollte.
»Bist du einverstanden, entspricht die Mitgift deinem Besitz, wenn wir den Wert des Schiffes nicht berechnen?«
»Ich hätte sie auch für weniger genommen.«
Da schmunzelte Thorbjörn. »Wie verliebt und unerfahren du bist. Würde an deiner statt ein geschickter Brautwerber mit mir verhandeln, niemals würde ihm solch ein Geständnis über die Lippen kommen.« Die Verabredung einer Heirat sei ein nüchterner Handel, mahnte er. Denn bei einer Scheidung oder Trennung stehe der Frau nach dem Gesetz die Hälfte des gemeinsamen Vermögens zu. »Befolge meinen Rat, Junge: Wenn wir morgen unser Abkommen vor Zeugen wiederholen und sie den Mundschatz in Silber für Thjodhild festlegen, so schweige über deine Gefühle. Sie kosten dich nur mehr Silber.«
Erik schluckte; sollte dies eine Maßregelung oder gar eine Kränkung sein? Erst nach einigem Grübeln war er sicher: Der Großbauer wollte ihn nicht beleidigen, sondern meinte es wirklich gut mit ihm. »Merk ich mir fürs nächste Mal.«
»Untersteh dich! Ich gebe dir meine Tochter, damit du mit ihr einzig und allein das Glück deiner Sippe vermehrst.«
Auch das begriff der breitschultrige Rote und war froh, endlich die Wohnhalle verlassen zu können.
In den zwei Wochen nach dem Verlobungsbier sah er Thjodhild kaum. Ohnehin hatte Erik auch vorher wenig mit ihr sprechen können und allein waren sie nie gewesen. Stets wachte Frau Thorbjörg Schiffsbrust über ihre Tochter.
Wenn ihn des Nachts die steigende Unruhe in seinen Lenden nicht schlafen ließ, beschwerte er sich bei dem Freund: »Wie soll ich denn wissen, wer meine Frau wird?«
»Du musst dich gedulden, bis sie neben dir liegt.« Tyrkir gähnte ausgiebig. »Die Überraschung gibt’s erst zum Fest.«
Die alte Bäuerin hatte sich mit dem künftigen Schwiegersohn abgefunden, war aber voll neuer Sorge, denn selbst die gebührende Wartezeit von mindestens zwei Monaten bis zur Hochzeit sollte nicht eingehalten werden. Sie hätte sich die große Feier während der drei heiligen Nächte gewünscht, die den Winter einleiten. »Das wäre der günstigste Augenblick für das Glück meines Kindes.«
Stattdessen hatte sie jetzt im August schon alle Hände voll zu tun, um die Vorbereitungen zu treffen. Neue Kochgruben wurden ausgehoben, Ziegen und Schafe geschlachtet und das frisch angesetzte Festbier gärte in den Fässern.
Die Braut half unermüdlich, und während der Mußestunden wurde sie mit Ratschlägen überhäuft. »Viel Zeit bleibt nicht, Kind.« Die Mutter hob den Busen. »Aber ich will dir an Wissen mitgeben, was ich nur kann, damit du eine gute Hausherrin wirst.«
Geduldig hörte Thjodhild zu. Sie lachte wenig in diesen Wochen, aber ihr Schritt war beschwingter als gewöhnlich.
Der festgesetzte Termin rückte näher, die Gäste waren geladen und am Vortag trafen die unverheirateten Töchter der wohlhabenden Nachbarn ein. Da es an heißen Quellen, ausgespuckt vom unterirdischen Feuer, im Habichtstal fehlte, nahmen sie mit Gekicher, Tuscheln und Schwatzen das Saunahaus in Beschlag. Für gewöhnlich diente es Herrschaft und Gesinde jeden Samstag zur gemeinsamen Erholung oder beizeiten als warmer Hort einer Schwangeren, um ihr Kind zu gebären.
Heute aber durfte kein Mann diesen Bereich hinter dem Hauptgebäude betreten. Die erste Aufgabe war es, das Bad für die Braut vorzubereiten. Bald schon rückten die Jungfern im Vorraum zusammen, naschten honiggesüßte Beeren, und mit Neuigkeiten über die Burschen auf Freiersfüßen im Allgemeinen begannen sie, doch nach und nach wurden anzüglich lustvolle Einzelheiten ausgetauscht, dass sich ihre Wangen röteten, während in der Badestube hinter ihnen die Wassertiegel siedeten.
»Sie kommt!«
Thjodhild ließ die freudige Begrüßung wortkarg über sich ergehen. Ihre Miene blieb angespannt. Sie trug nur ein schlichtes Untergewand. Kaum hatte sie es abgestreift, als sich die Freundinnen auch entkleideten. Ohne Scheu zeigte jede ihren Körper, nahm Bewunderung oder spöttischen Trost vergnügt hin und nackt führten sie die Braut in die Stube. Wohlige Hitze umfing die jungen Frauen. Das Los entschied, und zwei durften sich zu Thjodhild in den großen Bottich setzen, während die anderen sie bedienten.
Erst zischte Wasser auf den heißen Steinen, schnell füllte sich der Raum mit Dampf, und danach wurde hautwarmes Wasser in den Zuber gegeben. Heute fühlte Thjodhild zum ersten Mal schmerzhaft, dass sie Abschied nehmen musste, Abschied vom Kindsein und von ihren Träumen.
Wie oft habe ich selbst eine Braut gewaschen, dachte sie, war manchmal sogar neidisch, und heute bin ich selbst an der Reihe. Abschied von den Eltern, von ihrem behüteten Zuhause! Was erwartet mich da oben im Norden, so weit entfernt vom Habichtstal? Wie einsam wird es dort sein?
»Warum freust du dich nicht?« Das Mädchen neben Thjodhild schöpfte Wasser mit der Handmulde und ließ es ihr über Hals und Brüste laufen. »Morgen bekommst du einen Mann. Also, ich an deiner Stelle könnte es kaum abwarten …«
»Du hast Recht.« Thjodhild wischte die Sorgen weg. Sie klatschte in die Hände: »Erik ist ein starker Kerl, damit ihr es alle wisst!«, und spritzte die Umstehenden nass. »Und er wird mein Mann!« Endlich, wie erlöst, jubelten die jungen Frauen, schütteten der Braut Wasser über den Kopf, kitzelten sie, bis sie um Gnade flehte und sich mit hochgereckten Armen im Zuber aufstellte; gründlich schlugen und rieben die Dienerinnen mit frischen Birkenzweigen ihren Rücken, den Po und die Beine und reinigten sie von Kopf bis Fuß.
Vor dem Saunahaus wartete das kalte Wasser. Thjodhild tauchte aus dem Fass auf, schnappte nach Luft und schrie, gleich darauf folgte das erschreckte Kreischen der Freundinnen.
Später saßen sie in Tücher gehüllt zusammen. »Wisst ihr noch …?« Geschichten von früher lebten auf, während der Brautkranz aus Blumen und Blättern gewunden wurde. Gegen Abend brachte Frau Thorbjörg mit zwei Mägden die Fleischsuppe und einen Krug Met. Ihr Gang war schwer, die Anstrengung der letzten Tage hatte das Beinleiden wieder verschlimmert.
»Komm, setz dich!«, lud ihre Tochter sie ein. »Ruh dich ein wenig bei uns aus.«
»Danke, mein Kind.« Als Thorbjörg die leicht enttäuschten Gesichter ringsum bemerkte, musste sie schmunzeln. »Nein, keine Angst, ihr aufgeregten Schafe. Die Alte geht gleich wieder. Ich werde euch die Jungfernnacht nicht verderben.«
Sie blickte Thjodhild lange an, dann strich sie ihr übers Knie und war zufrieden. Ehe sie ging, ermahnte sie die jungen Frauen: »Dass ihr mir morgen mein Kind herausputzt. Wenn ich meine Tochter schon hergeben muss, so soll sie die schönste Braut des Habichtstals sein.«
Erik war mit dem Freund auf die nahen Hügel geritten, sie hatten die Pferde am Rand eines Wäldchens zurückgelassen und sahen der untergehenden Sonne zu.
»Diese Gegend muss ein Garten der Götter sein.« Der Zwanzigjährige riss ein Büschel Gras und Erde aus und sog den Geruch in sich auf. »Hätte ich hier siedeln dürfen, wäre mein Glück vollständig.«
»So kenne ich dich gar nicht«, spottete Tyrkir. »Hat dir Gottvater Odin, der einäugige Beschützer der Dichter, mit einem Mal schöne Worte ins Ohr geblasen?«
Nachdenklich zerrieb Erik das Büschel zwischen den Fingern. »Heut ist mir eben so.«
Beide starrten auf den sinkenden Glutball am westlichen Horizont. »Wovor fürchtest du dich?«, begann der Deutsche leise, und da er nicht an Eriks Lügen über den Hof auf Spitzklipp rühren wollte, setzte er hinzu: »Wer weiß schon, was unsere Zukunft bringt? Aber ich bin sicher, dass wir zu guter Letzt das Glück gewinnen.« Er wollte den Freund aufmuntern. »Du bekommst ein schönes, stolzes Weib. Und nur gut, dass wir bald nach Norden aufbrechen. Denn hier im Habichtstal gibt es ab morgen einen Feind, der dir nachstellen wird.«
»Ejolf, der Bruder des Herrn vom Valtjofshof?« Erik schüttelte den Kopf. Keinen Grund zur Fehde habe er ihm gegeben. Thjodhild sei diesem Aufschneider nie versprochen worden.
»Trotzdem wird er alles versuchen, um dir zu schaden. Und wir wissen beide, wie sehr dich Unrecht in Zorn versetzt.«
»Warum bist du nur so gescheit?«, grinste der Rote und das Jungenhafte kehrte zurück. »Ich frage mich, wieso du noch keine Frau gefunden hast?«
»Das liegt an dir«, gab Tyrkir zurück, »du bist der Herr, also gib mir eine!« Gleich hob er abwehrend die Hände. »Nein, besser nicht. Bei deinem Geschmack legst du mir sicher eine Kuh ins Bett. Nein, gnädiger Herr, lass mich selbst eine Braut finden, um die ich dich dann bitten darf.«
»Blöder Kerl!« Erik lachte und stieß ihn leicht gegen die Brust. »Keine Kuh! Aber wir nehmen fünf neue Mägde mit. Vielleicht gefällt dir ja eine von denen.«
»Heirate du! Ich hab noch Zeit.«
Sie liefen um die Wette zu ihren Pferden. Tyrkir schwang sich als Erster in den Sattel und Erik galoppierte ihm nach, am Birkenwäldchen vorbei und den Wiesenhügel hinunter.
Die Blutopfer waren dargebracht. Vor allem war die Muttergöttin Frigg um Wohlergehen, Kindersegen und ein friedvolles Zusammenleben angefleht worden, außerdem hatte Thorbjörg Schiffsbrust darauf bestanden, dass auch der kleinen Göttin War gedacht wurde, die jedes Versprechen erhört und auch erfüllt. Geruch nach verbranntem Wacholder zog durch die geräumige Wohnhalle; weil das Herdfeuer in Thjodhilds neuem Zuhause heute nicht geweiht werden konnte, würde sie etwas von der heiligen Asche in einem Lederbeutel mitnehmen und die Handlung später auf Spitzklipp nachvollziehen.
Alle Gäste hatten ihre Plätze eingenommen; die engsten Verwandten saßen dicht gedrängt neben den Ehrenstühlen, dann schlossen sich Freunde und Nachbarn an.
Peinlich musste der Gastgeber auf die Sitzordnung achten, denn Nähe und Ferne zeigten, welche Achtung er den Geladenen entgegenbrachte. Kein Fehler war Thorbjörn unterlaufen, das bewiesen die zufriedenen Mienen. Und nachdem er die Brautleute zusammengeführt hatte, brandeten Jubel und Hochrufe im Saal auf. Nur mit Mühe gelang es ihm jetzt, die Begeisterung wieder zu dämpfen: »Freunde! Freunde, so hört mich an!« Es dauerte, bis er fortfahren konnte: »Lasst uns den Eid leisten!«
Die Gesellschaft schwieg. »Ein jeder in dieser Halle schwört bei seiner Ehre, dass er dem anderen kein Wort übel nimmt, solange wir trinken und das Fest andauert. Ganz gleich, wie hart unsere Köpfe werden, keine Fehde darf durch den Rausch entstehen!«
Frauen und Männer hoben feierlich die rechte Hand.
»Damit eröffne ich das Hochzeitsfest. Trinkt und esst, tanzt und lacht, seid für drei Tage und zwei Nächte meine Gäste!«
Dampfende Schüsseln wurden von den Mägden hereingebracht, aus Krügen schenkten Knechte die Becher voll.
»Wo ist dein Sklave?« Thjodhild saß neben Erik auf der zweiten, etwas niedrigeren Ehrenbank den Eltern gegenüber. Zum Zeichen ihres neuen Standes hatte sie das blonde Haar zum Knoten im Nacken hochgesteckt, und am Gürtel ihres hellblauen Kleides hing der große Ring. An Schlüsseln fehlte es noch, aber die würden ihr im neuen Zuhause übergeben werden. »Ich möchte mit ihm und dir zuerst trinken. Weil ich den Verdacht nicht loswerde, dass er es war, der uns zusammengeführt hat.«
»So ist es nun auch nicht«, widersprach Erik lahm. »Aber wenn du’s sagst. Na ja, kann schon was dran sein.« Er stieß einen Pfiff aus. Am Ausgang der Halle hob Tyrkir sofort den Kopf, verstand das Handzeichen und zwängte sich durch die Reihen zum Brautpaar. Fragend blickte er den Roten an.
»Nein, nicht ich, deine Herrin hat dir etwas zu sagen.«
Thjodhild reichte dem Sklaven ihren Krug voll Met. »Wie ich weiß, bist du der Freund meines Mannes. Und ich wünsche sehr, dass du mir nicht nur dienst, sondern auch in Freude und Leid zu mir stehst, so treu wie ihm.«
Offen sah Tyrkir sie an. »Es ist schwer, Liebe zu teilen, Herrin. Aber gleich nach Erik gebe ich dir einen Ehrenplatz in meinem Herzen.« Er nahm einen Schluck und reichte ihr den Krug zurück, sie stieß mit Erik an und beide leerten die Gefäße bis auf den Grund.
Jäh entstand Lärm draußen. Ein Mann schrie, fluchte, seine Worte waren nicht zu verstehen. Nach und nach wurde die Gesellschaft aufmerksam und das unbeschwerte Gelächter wich einer wachsamen Spannung.
»… Komm raus! Du hast mir die Braut gestohlen! Hörst du mich, du Feigling? Stell dich zum Kampf!«
Thjodhild verkrampfte die Hände in ihrem Hochzeitsschal. »Es ist Ejolf Dreck«, flüsterte sie, »höre nicht hin, bitte!«
Weiter schrie und höhnte draußen der Eifersüchtige. Die Gäste wurden unruhig, einige Männer tasteten nach den Dolchen.
Besorgt blickte Tyrkir auf den Freund, sah, wie der Zorn in ihm wuchs. Hilf, großer Tyr, flehte er stumm, und schenke ihm Mäßigung! Lass diesen Tag nicht im Blut ersticken!
»Was wagt der Kerl?«, knurrte Erik. »Kommt einfach daher …« Er stierte auf den Deutschen. »Wo ist mein Schwert? Bring es her, auch die Axt. Ich will diesem Kerl zeigen, dass Erik Thorvaldsson kein feiger Hase ist.«
»Gleich, Herr«, sagte Tyrkir und blieb unbeweglich stehen. »Irrst du dich nicht? Ich höre den Kerl zwar, aber deinen Namen hat er nicht genannt. Vielleicht meint er einen anderen der Gäste.«
Der Hüne ballte die Faust. »Du sollst gehorchen oder ich …«
»Ja, es ist besser, wenn du mich schlägst.« Langsam verschränkte der Schmächtige die Arme hinter dem Rücken. »Nur zu, kühle dich an deinem Sklaven ab! Damit ersparst du dir alle Folgen.«
Erik schnaufte und warf sich zurück, dass die Lehne des Hochsitzes ächzte.
Immer noch gellten Ejolfs Schmähungen in die Halle.
Der Brautvater hatte den Schwiegersohn scharf beobachtet, wie es schien, siegte dessen Vernunft, und er erhob sich. »Niemand darf den Festtag meiner Tochter stören.« Er rief zur Bankreihe der benachbarten Großbauern hinüber. »Valtjof vom Valtjofshof. Dein Bruder war nicht geladen. Ohne Erlaubnis hat er mein Gut betreten. Um des Friedens willen sorge dafür, dass der Hitzkopf uns nicht länger belästigt!«
Hochrot verließ der rundliche Bauer seinen Platz, unter den Blicken aller schritt er entlang des Feuers zum Ausgang. Ein einziger scharfer Befehl und das Geschrei riss ab, wenig später kehrte Valtjof zurück. Vor den Ehrenbänken hob er die Hand. »Verzeih, Nachbar! Der Bursche ist noch jung und haltlos.« Er wandte sich an Erik. »Mögen die Götter dich und deine Frau mit vielen Kindern segnen!«
Atemlose Stille. Nach einer Weile presste Erik zwischen den Zähnen hervor: »Vergessen. Jedes Wort deines Bruders. Er konnte Thor in mir nicht beleidigen.«
Die Männer im Saal sahen sich verblüfft an. Jeder von ihnen hatte sich schon als Kind aus dem Kreis der Götter einen zum Schutzgott erkoren, der seitdem in ihm wohnte. Diesem schenkte er sein größtes Vertrauen und nannte ihn »meinen lieben Freund«. Eine Beleidigung oder jegliche Art von Kränkung verletzte vor allem den eigenen Gott und nur Rache vermochte dessen Zorn wieder zu besänftigen.
Ein Raunen ging durch die Tischreihen: Der Bräutigam fühlte sich nicht von einem gleichwertigen Mann angegriffen. Ejolf Dreck war für ihn nur ein dummer Rüpel, der die Ehre nicht verletzen konnte. Welch eine edle Geste!
Tief verneigte sich Valtjof. »Durch deinen Großmut stehe ich in deiner Schuld. Nimm einen Stier als Sühne von mir!«
Kaum hatte Erik die Gegenleistung angenommen, als ihm von allen Seiten begeisterte Glückwünsche dargebracht wurden. Das Fest lebte wieder auf, unbeschwerter noch und ausgelassener. Viel zu früh griffen die Spielleute zur Trommel, zauberten Wellenwogen mit der Harfe und bliesen auf der Lure, bis der Hunger sie zurück an die Fleischplatten trieb.
Mit schweißnassem Gesicht saß Erik neben seiner Braut. Tyrkir wusste, welch einen Kampf der Freund mit sich hatte ausfechten müssen. »Dieser Sieg war hart erkämpft«, sagte er leise.
»Halt’s Maul!«, brummte der Rote. »Hab ich dich nicht nach Bier geschickt?«
»Verzeih, wie dumm von mir. Gleich das ganze Fass, Herr?«
Sie blickten sich an und beiden zuckte es in den Mundwinkeln.
»Egal, nur Bier. Ich hab Durst.«
Tyrkir nahm den Becher entgegen und drängte sich durch die Tischreihen.
Leicht berührte Thjodhild den Arm ihres Mannes. »Ich bin stolz.«
Da dehnte der Rote die Brust. Hochzeit sei gut, meinte er unbeholfen, aber erst in der Nacht würde es ein richtiges Fest geben. »Wenn du weißt, was ich meine.«
Und ihr Blick zeigte ihm, wie genau sie ihn verstanden hatte.
Den ersten Rausch hatte Erik bis zum Abend beinah überwunden. Ehe er und Thjodhild ins Nebenhaus geführt wurden, bestand Tyrkir darauf, ihm einen Kübel mit kaltem Wasser über den Kopf zu gießen. »Sonst verschläfst du die Überraschung.«
»Was du denkst. So betrunken kann ich gar nicht werden.«
Von den Jungfern waren die Decken aufgeschüttelt und die Bettpfosten mit Blumensträußen geschmückt worden. Glut knisterte im Feuertiegel. Jetzt standen sie tuschelnd und kichernd vor dem Hochzeitszimmer beieinander. Kaum näherten sich die Brauteltern mit dem Paar, verstummten sie und nur die glänzenden Augen verrieten, worum ihre Gedanken kreisten.
Thorbjörg drückte die Tochter an den mächtigen Busen. Wie beim Abschied vor einer Fahrt ins Ungewisse legte der Großbauer dem Bräutigam seine Hand auf die Schulter. Weit öffneten die jungen Frauen das Zimmer und schlossen die Tür gleich wieder leise hinter den beiden.
Sie waren allein. Keiner sagte etwas, und weil Erik nur vor sich hin starrte, fürchtete Thjodhild einen Atemzug lang, dass er ebenso unerfahren sei wie sie selbst. Entschlossen legte sie ihre Kleider ab. »Gefalle ich dir nicht?«
Der Rote hob ehrfürchtig den Blick. »Ein Geschenk.« Die Stimme gehorchte ihm kaum. »Weiber kenn ich genug. Aber du bist ein Geschenk.«
So viel Schmeichelei hatte sie nicht erwartet, schlüpfte unters Federbett und blieb dicht an der linken Bettkante liegen. Erik riss das Hemd über den Kopf, hastig entledigte er sich der Hose und bestieg das Lager von der anderen Seite.
»Sollst es immer gut bei mir haben«, sagte er, bewegte sich aber nicht.
»Ich vertraue dir.«
Langsam rutschten sie aufeinander zu. Kaum hatten sie sich erreicht, als Thjodhild mit dem Oberschenkel an etwas hartes Kaltes stieß. Erschreckt schleuderte sie das Federbett beiseite.
»Was ist?«, fragte Erik.
Sie hielt einen bronzenen Thorshammer in der Hand und lachte. So oft hatte sie ihn selbst schon Brautleuten ins Bett gelegt. »Und ausgerechnet heute habe ich nicht an ihn gedacht.« Sie sah an Erik hinunter. Ihr Blick verweilte bei seiner Mitte. »Ich glaube auch«, flüsterte sie, »dass solch ein …, dass er die Männlichkeit fördert. Verstehst du?«
Die Fahrt verlief gut. Es regnete zwar, aber der Wind war günstig und nur selten mussten die Knechte nach den Rudern greifen. Tyrkir stand vorn am Drachenkopf, ein wachsamer Lotse, dessen Rufe oder Handzeichen sofort achtern auf dem Steuerdeck vom Freund umgesetzt wurden.
Mehr und mehr entschwand während des zweiten Tages die sanfte grüne Küste und zerklüftete, schroffe Felshöhen wechselten sich mit engen, tief eingeschnittenen Buchten ab.
Bald nach dem Hochzeitsfest waren sie aufgebrochen, ausgerüstet und überladen wie ein Siedlertreck. Thorbjörn hatte es sich nicht nehmen lassen, die Brautleute und ihr Gesinde aus dem Habichtstal über den Pass bis zum Bocksfjord im Osten zu geleiten. Vornweg zog der Stier des Valtjofs den Karren mit Bauholz, und jedes Packpferd ging schwer unter der Last an Geschenken, neuem Hausrat und Kleidungsstücken.
»Du hast nicht übertrieben.« Kaum sah der Großbauer das Schiff des Schwiegersohns, als er einen anerkennenden Pfiff ausstieß. »Dein Knorr ist wirklich ein Reittier des Meeres.«
»Ich kenne kein besseres!« Erik streichelte den schlanken Bug wie eine Liebste und Thjodhild knuffte ihn halb ernst, halb im Spaß: »Erst komme ich, du Wikinger!«
Nachdem die gesamte Mitgift und das Holz vertäut waren, befahl Erik seinen Knechten, dem Stier und den Pferden im Laderaum die Beine zu fesseln. So auf der Seite liegend würden sie die Fahrt hinauf in den Norden gut überstehen.
Der Abschied war kurz gewesen, die Tochter hatte dem Vater am Strand gewinkt, bis das Schiff aus der Ankerbucht geglitten war.
Seit einer Stunde blies der Wind heftiger, die Wogen trugen Gischtkronen und Erik fuhr noch dichter am Ufer entlang. Wegen der gefährlichen Riffe gab Tyrkir vom Bugdeck aus Warnzeichen. Die Geschwindigkeit musste verringert werden und Erik ließ von den Leinenwachen das Segel halb reffen. »Bald sind wir da!«, rief er Thjodhild zu.
Sie stand neben ihm, schirmte die Augen gegen den Regen und sah steinige Strände und dahinter abweisende, schwarze Steilküsten vorbeiziehen, selbst die kleinen Fjorde vom Vormittag gab es nicht mehr. Wenn wir um die nächste Gebirgszunge herum sind, öffnet sich die Gegend wieder, besänftigte sie ihre zunehmende Unruhe. Doch auch nach dem nächsten und übernächsten Felsrücken entdeckte sie kein Land, das einen Bauern einlud, dort zu siedeln.
»Da, siehst du?«
»Wo?«, fragte sie.
»Da oben!« Erik wies hinauf zum Grat einer Klippe.
»Ich kann nichts erkennen.« Sie zuckte die Achsel. »Was soll da sein?«
Mit einem Mal war der Hüne zu beschäftigt und gab keine Antwort.
Sie ging durchs Schiff nach vorn zu Tyrkir. »Sag du es mir. Was befindet sich dort oben? Und wieso landen wir gerade hier?«
Umständlich wischte er sich über das nasse Gesicht. »Also, dies hier ist Hornstrand. Dort oben, das ist Spitzklipp.«
Weil sie schwieg, fügte er lahm hinzu: »Na ja, wenn es nicht regnet, sieht alles besser aus.«
Erik überließ es den Knechten und Mägden, die Pferde eins nach dem anderen von den Fesseln zu befreien und die Fracht an Land zu schaffen. Mit Tyrkir begleitete er seine Frau den steilen Pfad hinauf. Zweimal rutschte sie im Geröll aus, raffte sich jedoch, ohne zu klagen, wieder auf. Ihr Blick blieb fest nach oben gerichtet. Endlich war die Höhe erreicht.