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Ich bin des Kindleins Rettung in seiner Not. Ich bin die Stille. Ich bin der Tod. Ein kaltblütiger Mörder erdrosselt Frauen in ihren Wohnungen. Ein mögliches Motiv: der anzügliche Lebenswandel der Opfer. Unbarmherzig schlägt der Täter in kurzen Zeitabständen zu und bringt die Berliner Mordkommission für besonders grausame Gewaltverbrechen unter Leitung der Hauptkommissare Bogner und Speer an ihre Grenzen. Doch dann glaubt der neu zum Ermittlerteam gestoßene Ex-Profiler Lander, in einem Stoffhasen eine Verbindung zu einem früheren Mordfall in Hamburg zu erkennen. Die Nachforschungen fördern Schreckliches zutage. Gleichzeitig mehren sich Hinweise, dass Lander in die Morde verstrickt sein könnte. Dabei verfolgt der Täter einen perfiden Plan, bei dem jeder seine tödliche Strafe erhalten soll. Und ihn aufzuhalten scheint unmöglich.
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Über den Autor
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Nachwort
Weitere Bücher
Psychothriller
Der Stillmacher
Copyright © 2022 by Chris Karlden
Alle Rechte vorbehalten
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Lektorat: Philip Anton
Lektorat & Korrektorat: Heidemarie Rabe
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jedwede Verwendung des Werkes darf nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors erfolgen. Dies betrifft insbesondere die Vervielfältigung, Verbreitung und Übersetzung.
Dies ist ein fiktiver Roman. Die Figuren und Ereignisse darin sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, wäre zufällig und nicht beabsichtigt.
Ich bin des Kindleins Rettung in seiner Not.Ich bin die Stille. Ich bin der Tod.
Ein kaltblütiger Mörder erdrosselt Frauen in ihren Wohnungen. Unbarmherzig schlägt er zu und bringt die Berliner Mordkommission für besonders grausame Gewaltverbrechen an ihre Grenzen.Dann glaubt Ex-Profiler Lander, in einem Stoffhasen eine Verbindung zu einem früheren Mordfall zu erkennen. Die Nachforschungen ergeben Schreckliches. Und den Täter aufzuhalten scheint unmöglich.
Chris Karlden, geb. 1971, studierte Rechtswissenschaften. Seine Bücher steigen regelmäßig auf Spitzenpositionen in den Bestsellerlisten und begeistern hundertausende LeserInnen. Insbesondere seine Erfolgsreihe um die Kommissare Speer und Bogner, zuständig für besonders grausame Gewaltverbrechen und ungelöste Fälle, erfreut sich großer Beliebtheit und einer stetig wachsenden Fangemeinschaft. Seine LeserInnen hält er auf Facebook, Instagram und mit seinem Newsletter auf dem Laufenden.
Mehr unter : https://www.chriskarlden.de
Für
Jutta Frings
Heiko Früh
Sylke Ilga
Ramona Michaelis
und
Tanja Pechtl
stellvertretend
für alle Leserinnen und Leser,
ohne die es meine Bücher nicht gäbe.
Montag
Seine Unterkunft für die nächsten paar Tage bestand aus einer kleinen Privatwohnung. Die Eigentümer befanden sich im Sommerurlaub und hatten ihre Räumlichkeiten zur Untervermietung in einem Onlineportal angeboten.
Die Bäckerei, in der er sich einen Tisch am Fenster ausgesucht hatte, lag drei Blocks entfernt und der Kaffee war nicht so herausragend, als dass er sich unter anderen Umständen deswegen extra herbemüht hätte. Als Beobachtungsposten war sie allerdings bestens geeignet.
Draußen war es seit Tagen so heiß, dass die Luft über dem Asphalt flimmerte. Aber hier drinnen surrte die oben an der Seitenwand angebrachte Klimaanlage unüberhörbar laut und sorgte für angenehme Temperaturen.
Außer ihm saßen nur noch zwei ältere Damen an einem der Tische und unterhielten sich bei Kaffee und Kuchen.
Die Verkäuferin hinter der Theke, die zugleich als Kellnerin fungierte, blickte gelangweilt auf ihr Handy. Nur vereinzelt betrat jemand den Laden, um frisches Brot, Brötchen oder süße Teilchen zu kaufen. Viel Betrieb herrschte also nicht. Offensichtlich saßen die Menschen zurzeit lieber draußen vor den Eisdielen, am Wasser an der Spree oder einem der Berliner Seen statt in einem Bäckerei-Café mit dunklen schweren Holzmöbeln und Wandverkleidungen.
Von seinem Platz aus blickte er auf eine endlos erscheinende Reihe Mietshäuser auf der anderen Straßenseite. Diese ragten so hoch empor, dass er nur noch einen schmalen Streifen des wolkenlosen Himmels ausmachen konnte. Die Fassaden der Betonklötze waren von einem grauen Schmutzschleier überzogen.
Er hatte sein Stück Kuchen bereits vor fünf Minuten aufgegessen. Den Teller hatte die Bedienung soeben abgeräumt und vor ihm stand sein zweiter Latte macchiato.
Er seufzte und nahm einen winzigen Schluck von dem Getränk, das bereits nicht mehr sonderlich warm war, und tippte auf seinem Laptop herum, um vorzutäuschen, dass er daran arbeitete. Die hölzerne Eingangstür des Wohnhauses schräg gegenüber ließ er dabei nicht aus den Augen. Sie verfügte im oberen Bereich über eine Milchglasscheibe, die eingeworfen und notdürftig mit Panzerband wieder zusammengeklebt worden war. Vor einer halben Stunde hatte ein Mann das Gebäude betreten, ohne vorher die Tür aufzuschließen. Daraus schloss er, dass der Eingang bei Tag nicht abgeschlossen war.
Er sah auf die Uhr. Es war fünf nach vier Uhr nachmittags. Er beschloss, sich noch zwei Minuten zu geben. Wenn seine Zielperson dann nicht herauskam, würde er sich einen anderen Platz suchen, um das Haus im Auge zu behalten. Keinesfalls wollte er als Gast, der bei dem herrlichen Wetter auffällig lange in dem Café verweilte, in besonderer Erinnerung bleiben.
Als die Zeit um war, verstaute er seinen Laptop in seinem Rucksack und erhob sich, um zu bezahlen. Währenddessen registrierte er eine Bewegung auf der anderen Straßenseite und wandte seinen Blick unauffällig wieder dorthin.
Gegenüber zog jemand die Haustür auf und kam heraus. Das Warten hatte sich gelohnt. Er erkannte sie sofort trotz ihrer Sonnenbrille und ihres Outfits, das nicht zu der Person passen wollte, die ihm bislang lediglich von Bildern auf seinem Laptop bekannt war.
Sie trug ein übergroßes T-Shirt, eine kurze weite Hose, die ihre grazile Figur kaum erahnen ließ und ging in Richtung der U-Bahnstation, die nur etwa zweihundert Meter entfernt lag.
Nachdem er bezahlt hatte, verließ er das Café und schlenderte fünf Minuten durch die Gegend. In einer schmalen menschenleeren Gasse tauschte er im Schatten eines Hauseingangs sein grünes T-Shirt gegen ein graues aus seinem Rucksack und setzte sich eine Baseballkappe auf. Zuletzt zückte er die transparenten Einweghandschuhe aus der Gesäßtasche seiner Jeans und streifte sie über.
Während er auf das Haus zuhielt, verbarg er seine Hände in den Hosentaschen. Als er noch wenige Meter entfernt war, sah er sich verstohlen in alle Richtungen um. Es waren ein paar Menschen auf den Gehwegen unterwegs, aber niemand schien Notiz von ihm zu nehmen. Der Berufsverkehr schob sich gemächlich vorbei.
Er drückte die Klinke hinunter und betrat den Hausflur, der ihn mit kühler muffiger Luft empfing. Zahlreiche der schwarz-weißen Fliesen, die in einem Schachbrettmuster verlegt waren, wiesen Risse auf, aus denen der Schmutz nicht mehr wegzubekommen war.
Schnell schloss er die Tür hinter sich. Der Straßenlärm drang nur noch gedämpft ins Innere. Im Treppenhaus hörte er weder Stimmen noch eine Wohnungstür, die sich öffnete. Nichts, das darauf hindeutete, ihm könnte in den nächsten Sekunden jemand auf den Stufen begegnen.
Im Vorfeld hatte er ausgekundschaftet, dass sie in der ersten Etage wohnte. Er atmete tief durch. Ab jetzt hieß es, sich zu beeilen und weiter auf das nötige Quäntchen Glück zu hoffen. Wenn ihn einer der anderen Mieter bemerkte, war sein Plan gescheitert und er musste sein Vorhaben abbrechen.
Er eilte die knarrende Holztreppe nach oben, indem er zwei Stufen auf einmal nahm. Gleichzeitig griff er nach dem Dietrichset in seiner Gesäßtasche. Vor ihrer Wohnung nahm er das Türschloss in Augenschein und wählte den ihm passend scheinenden Sperrhaken aus. Irgendwo oben hörte er jemanden in den Flur treten. Kurz darauf ächzte eine Treppenstufe.
Einen Moment zögerte er. Dann steckte er das Werkzeug ins Schloss. Die Verriegelung war simpel. Aber die Schritte der Person, die die Treppe herunterkam, wurden lauter. Kurz schaute er sich nach oben um. Noch war niemand zu sehen. Das Schloss knackte, das Hindernis war überwunden. Er ging in die Wohnung und machte die Tür leise wieder zu. Sekunden später sah er durch den Spion einen korpulenten Mann behäbig die Stufen hinuntergehen.
Er wandte sich der Wohnung zu. Ein schmaler Flur mit Garderobe, Spiegel und zahlreichen auf dem Laminatboden verteilten Schuhen. Rechts neben der Eingangstür ein winziges Bad ohne Fenster, links das Schlafzimmer. Er zog den Einwegoverall aus seinem Rucksack an und stülpte sich die Füßlinge über seine Schuhe. Dann ging er in den vor ihm liegenden Wohnbereich. Dort sah es wüst aus. Decken und Kleider lagen auf dem Boden. Auf den Arbeitsplatten der Küchenzeile stapelte sich schmutziges Geschirr.
Sie hatte auf Instagram für 18:30 Uhr einen Livestream angekündigt. Lange würde er also nicht auf sie warten müssen. Er stellte sich an die Wand neben der Wohnzimmertür. In seinen Händen hielt er die Hölzer, an denen die Enden des dünnen Drahtes befestigt waren.
* * *
Marina schlenderte den Gehweg entlang, eine leichte Brise wehte durch ihr Haar. Sie lächelte und schwang ausgelassen die Einkaufstüte mit dem neuen Sommerkleid in ihrer Hand hin und her.
Im Anschluss an ihre kleine Shoppingtour hatte sie einen Platz unter einem Sonnenschirm vor ihrer Lieblingsbar ergattert. Sie hatte sich zwei Aperol Spritz gegönnt und verspürte einen leichten Schwips. Für ihren Auftritt vor der Webcam, der in einer halben Stunde begann, war die mit dem Alkohol verbundene Lockerheit nicht von Schaden. Sie genoss es, sich vor den Augen ihrer Zuschauer im Netz möglichst lasziv auszuziehen. Das war weitaus weniger stressig und zudem besser bezahlt als der Kassiererjob im Supermarkt, den sie davor ausgeübt hatte. Auch wenn es den meisten Menschen, denen sie davon erzählte, nicht gefiel. Es war ihr Leben und sie konnte damit machen, was sie wollte.
Als Kind hatte sie davon geträumt, Schauspielerin zu werden. In gewisser Weise kam das, was sie tat, ihrem Traum sehr nahe. Ihr Bett war ihre Bühne und hinter der Linse ihres Laptops saß ihr Publikum. Und sie hatte viele Fans, glühende Verehrer, die gerne für das bezahlten, was sie ihnen bot.
Als Marina in den Hausflur trat, kam gerade Frau Meier mit ihrem Dackel aus der Wohnung. Die Alte blieb wie angewurzelt vor ihrer Tür stehen und schaute zu Boden.
Jedem sonst wünschte die Meier einen guten Tag, nur ihr nicht. Marina wohnte über der alten Hexe und war sich sicher, dass diese sie für eine ausgemachte Schlampe hielt.
Sie reckte das Kinn vor und hastete an der Alten vorbei. Ihre gute Laune war erst einmal weg. Absichtlich laut polterte sie die Holzstufen hinauf. Sie wusste, dass die Meier das nicht leiden konnte. Schon wegen ihres Hundes, der sich verängstigt duckte.
Nachdem Marina hier eingezogen war, hatte ihre Nachbarin sich noch bei ihr wegen des Lärms beschwert, den sie beim Treppensteigen angeblich verursachte. Mittlerweile sah sie davon ab. Allerdings hatte die Frau noch nicht aufgehört, mit dem Stiel ihres Besens gegen die Decke zu trommeln, wenn Marina für ihren Geschmack zu laut Musik hörte und dazu tanzte.
Genervt steckte Marina ihren Wohnungsschlüssel ins Schloss. Sie stieß die Tür auf und warf sie hinter sich zu, sodass sie schallend ins Schloss fiel. Ihre Einkaufstasche pfefferte sie in eine Ecke im Flur und schlüpfte aus ihren Schuhen. Dann blickte sie auf ihr Handy und checkte ihre Nachrichten. Ein paar Fans hatten unter ihren Beitrag bei Instagram geschrieben, dass sie sich auf sie freuten. Auf ihrem Weg ins Wohnzimmer schenkte sie jedem dieser Kommentare ein Herz.
Aus den Augenwinkeln nahm sie unmittelbar neben sich eine schnelle Bewegung wahr. Da war jemand. Reflexartig drehte sie sich in die Richtung und bekam sofort einen Schlag ins Gesicht. Sie hatte keine Zeit zu denken. Der Schmerz explodierte in ihrem Kopf. Augenblicklich schossen ihr die Tränen in die Augen. Sie taumelte rückwärts und fiel zu Boden. Verschwommen nahm sie einen Fremden in einem weißen Overall wahr. Blut schoss aus ihrer Nase. Dann war der Kerl auch schon über ihr und drehte sie auf den Bauch. Alles ging rasend schnell. Der Schock saß zu tief, als dass sie sich zur Wehr hätte setzen können. Gerade als sie einen Schrei ausstoßen wollte, legte sich etwas um ihren Hals und schnürte ihr die Luft zum Atmen ab. Sie röchelte, würgte, bäumte sich auf. Der schreckliche Schmerz war mit nichts vergleichbar, das sie bisher gespürt hatte. Ebenso die Todespanik, die sie ergriff. Sie wollte nicht sterben. Sie hatte ihr Leben noch vor sich und war dazu nicht bereit. Dennoch war ihr instinktiv klar, dass sie diese Situation nicht überleben konnte.
Mit ihren Händen fasste sie sich an ihre Kehle. Sie spürte, dass es ein Draht war, der in ihr Fleisch schnitt, zu tief in ihren Hals eingegraben, um ihn mit den Fingern zu umgreifen und wegreißen zu können. Erbarmungslos zog der Mann fester und fester, bis ihre Luftröhre vollständig gequetscht war. Ihre Augen traten hervor. Ihr Blick trübte sich, ihr wurde schwarz vor Augen. Dann verlor sie das Bewusstsein.
Dienstag
Nachdem er Tina Jeschke und sich eingeschenkt hatte, schob Kriminalhauptkommissar Cornelius Lander die Thermoskanne über den Tisch zu Bogner. Der beugte sich vor und zog sie zu sich heran. Dabei spannte sein Jackett. Er hatte in den letzten Monaten ein paar Kilo zugelegt.
»Ich gehe davon aus, dass du nichts dagegen hast?«, erkundigte sich Bogner an Speer gewandt, der neben ihm saß, als er wiederum dessen Tasse heranzog und ihm einschenkte.
»Danke, da liegst du ausnahmsweise mal goldrichtig«, feixte Speer und verzog die Lippen zu einem angedeuteten Lächeln.
Seit heute Morgen hatte die achte Mordkommission, die von Robert Bogner und Adrian Speer geleitet wurde, einen neuen Fall. Außer den beiden gehörten noch Tina Jeschke und erst seit gut einem halben Jahr Cornelius Lander zum Team.
Eine erste Besprechung war für elf Uhr anberaumt. Speer und Bogner hatten sich den Tatort, eine kleine Wohnung in Charlottenburg, am Morgen angesehen. Danach hatten sie noch das Ergebnis der Obduktion abgewartet, die in den frühen Morgenstunden stattgefunden hatte.
Was sich aus der bisherigen Akte, die der Kriminaldauerdienst angelegt hatte, ergab, hatten alle gelesen. Jetzt ging es darum, erste Schlüsse daraus zu ziehen und das weitere Vorgehen zu koordinieren.
Bogner trommelte mit seinem Kugelschreiber auf den vor sich liegenden Notizblock. Tina Jeschke hatte die Augen auf den vor ihr liegenden Obduktionsbericht des rechtsmedizinischen Instituts gerichtet. Sie war dabei gewesen, als Dr. Eisenbeiß und zwei weitere Rechtsmediziner die Leiche der jungen Frau untersucht hatten.
Lander gähnte zum wiederholten Mal. Unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab.
Bogners Blick zu Lander sprach Bände. Speer ahnte, dass sein Freund und Kollege sich einen spitzen Kommentar darüber verkneifen musste, dass Lander wieder einmal völlig fertig aussah. Von Jeschke, die zu Lander eine fast freundschaftliche Beziehung aufgebaut hatte, wussten sie, dass er unter erheblichen Schlafstörungen litt, seit seine Frau sich vor einem Jahr das Leben genommen hatte.
Kurz vor elf Uhr trafen Hans Lauer vom Kriminaldauerdienst und Martin Klamm von der Spurensicherung ein. Unmittelbar hinter den beiden tauchten Paul Breitnach und André Slibow im Türrahmen auf. Beide waren Ermittler aus anderen Mordkommissionen.
»Habt ihr euch im Raum geirrt?«, fragte Bogner, als er die zwei erblickte.
»Keineswegs, wir haben euch inzwischen einfach nur lieb gewonnen«, frotzelte Breitnach, der mit seinem dicken Schnauzbart und den wenigen langen Haaren auf dem Schädel an einen Seehund erinnerte.
Slibow rückte einen Stuhl zurecht und ließ sich ächzend darauf nieder. »Die Chefin meinte, wir hätten bei euren letzten Fällen gut mit euch harmoniert, und es könnte nicht schaden, wenn wir bei der Besprechung dabei wären. Nur falls ihr anschließend wieder unsere Hilfe brauchen solltet.«
Bogner schnaufte und verzog missbilligend das Gesicht. Begeisterung sah anders aus.
»Ich finde, Verstärkung ist nie verkehrt«, versuchte sich Speer als Vermittler.
Breitnach schloss die Tür hinter sich und setzte sich neben Slibow. »Wir haben uns nicht darum gerissen, euch unter die Arme zu greifen. Aber das hat man eben davon, wenn man ein ausgezeichneter Ermittler ist. Unser Typ ist überall begehrt«, ließ er mit seinen Sticheleien an Bogners Adresse nicht locker und zog eine seiner buschigen Brauen nach oben.
Bogners Kopf wurde rot. Breitnachs Anspielung hatte gesessen. Jeder im Raum wusste, dass diese eine offene Provokation darstellte, da die Mitarbeiter der achten Mordkommission keinen sonderlich guten Ruf innerhalb des Berliner Landeskriminalamtes genossen.
Dabei hätte anfangs niemand gedacht, dass diese neue Kommission unter Robert Bogner mit den anderen mithalten konnte. Sie war personell unterbesetzt und man hatte sie abseits in einem gesonderten Trakt unter dem Dach untergebracht.
Bogner vermutete, dass die Achte als Abstellgleis für unliebsame Kollegen eingerichtet worden war. Auf dem Papier besaß sie eine Sonderzuständigkeit für ungelöste Fälle und besonders brutale Gewaltverbrechen. Doch Fernanda Gomez als Leiterin des Morddezernats oblag es, diese Zuständigkeit nach Belieben mit Aufgaben zu füllen. Jedenfalls hatten die jüngsten Ermittlungserfolge die Achte in ein anderes Licht gerückt. Sie ließ sich nun bei anspruchsvollen Fällen nicht mehr ohne Weiteres übergehen.
Freiwillig wollte aber bis heute kein LKA-Beamter zu dieser Truppe vermeintlich schräger Vögel dazugehören.
Jeschke mit ihren unzähligen Piercings, Tätowierungen an den Armen und ausschließlich schwarzen Klamotten galt schon aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes als dubios. Hinzu kam, dass sie in ihren früheren Abteilungen Kollegen als frauenfeindlich und des Mobbings bezichtigt hatte. Ihre fachlichen Qualitäten als Internet- und Computerfachfrau waren allerdings unbestritten.
Speer galt von jeher als ein Außenseiter, da er sich als Einzelgänger von den Kollegen fernhielt und zudem noch von der Drogenfahndung zur Mordkommission gewechselt war. Auch dass er bei der Suche nach seiner entführten Tochter die Grenzen der Legalität überschritten hatte, blieb unvergessen und hatte ihm keine Freunde eingebracht.
Der neu hinzugekommene Cornelius Lander bildete in ihrem kleinen Team keine Ausnahme. Lander hatte in der Abteilung für operative Fallanalyse beim LKA Hamburg gearbeitet. Nachdem er seine Frau verloren hatte, hatte er sich für einen Ortswechsel entschieden. Zudem wollte er von der reinen Aktenarbeit als Fallanalyst künftig Abstand nehmen. Lander hatte die Hoffnung geäußert, durch die Außeneinsätze als regulärer Ermittler eine bessere Ablenkung von seinem persönlichen Schicksal zu finden. Gomez hatte daher seinem Wunsch entsprochen, in Berlin wieder als Kriminalkommissar in einer Mordkommission eingesetzt zu werden. Dabei kam es Speer und Bogner nicht ungelegen, auf die Fähigkeiten eines langjährig ausgebildeten und erfahrenen Profilers zurückgreifen zu können.
Jedoch wurde Landers Werdegang hinter vorgehaltener Hand von vielen Kollegen aus dem Kommissariat mit Argwohn betrachtet. Personalstellen als Profiler waren rar gesät. Warum also sollte jemand diesem begehrten Job die Versetzung in eine Mordkommission vorziehen? Schließlich hatte Lander nach seinem Studium zum Kriminalhauptkommissar beim BKA in Wiesbaden und einer anschließenden siebenjährigen Tätigkeit in der Abteilung für Tötungsdelikte in Hamburg fünf Jahre Sonderausbildung hinter sich gebracht.
Kaum jemand in Berlin kannte aber den wahren Grund des Wechsels sowohl seines Jobs als auch der Stadt. Deshalb kursierten Gerüchte, Lander habe sich in Hamburg etwas zuschulden kommen lassen.
»Scheint mir eher so, dass eure Kollegen ganz froh sind, euch los zu sein und ob ausgerechnet ihr zwei uns eine Hilfe sein werdet, muss sich erst noch zeigen«, konterte Bogner, wobei er das Wort Hilfe so betonte, dass klar war, dass er eher vom Gegenteil ausging. Er und Breitnach konnten sich nicht leiden und machten keinen Hehl daraus, obwohl die beiden ähnlich tickten. Vermutlich war genau dieser Umstand das Problem. Zwei Hähne im selben Stall, das konnte nicht gut gehen.
»Bis jetzt gab es an unserer Arbeit noch nie etwas auszusetzen«, gab Breitnach zurück. Sein Tonfall war dabei nun hörbar strenger.
»Tut mir einen Gefallen«, mischte Jeschke sich ein und hob sichtlich genervt die Hände. »Schaltet einen Gang runter und lasst uns mit der Besprechung beginnen. Zum gegenseitigen Zerfleischen bleibt im Verlauf der Ermittlungen sicher noch genug Zeit.«
»Wo sie recht hat, hat sie recht«, pflichtete Speer seiner Kollegin bei.
»An mir soll es nicht liegen«, meinte Breitnach, der nie um eine Antwort oder einen derben Spruch verlegen war, und verschränkte grinsend die Arme vor der Brust. »Aber eine nette Begrüßung war das trotzdem nicht.«
»Ich gebe euch beiden nach Feierabend einen aus und wir vergessen den Einstieg, okay?«, lenkte auch Bogner ein.
»Mit einem Bier kommst du aber nicht davon«, erwiderte Breitnach und nickte.
Speer glaubte zu wissen, dass Bogner, ohne es jemals zugegeben zu haben, Breitnach und Slibow als Ermittler schätzte. Doch es steckte ein Alphatier in seinem Kollegen, das bei einem direkten Aufeinandertreffen mit einem Kontrahenten zuerst mit den Muskeln spielte und die Zähne fletschte, damit von Anfang an klar war, wer das Sagen hatte.
Bogner hatte zudem den Ruf, ein Hitzkopf zu sein, der sich allzu leicht reizen und aus der Fassung bringen ließ. Leider platzte ihm tatsächlich schnell der Kragen und dann ließ er sich zu einem unüberlegten Handeln hinreißen. Aber gegenüber Menschen, die ihm nahestanden, verhielt sich Speers Ermittlungspartner äußerst fair und loyal.
Bei ihrem ersten Fall, der nun schon gut fünf Jahre zurücklag, hatten er und Bogner sich gegenseitig mit dem gebührenden Respekt beschnuppert.
Bogner hatte auch damals zunächst den starken Mann gespielt. Mittlerweile pflegten sie ein freundschaftliches Verhältnis. Obwohl es bis heute immer wieder Reibereien gab, wenn sie an einem ihrer Fälle arbeiteten. Jedoch ergänzten sie sich mit ihren unterschiedlichen Charakterzügen zu einem guten und erfolgreichen Team.
»Gibt´s noch Kaffee?«, fragte Hans Lauer an Speer gewandt, offensichtlich, um die Stimmung weiter zu versachlichen. Er zeigte auf die Kanne, die außerhalb seiner Reichweite stand. Speer schob sie dem Kollegen entgegen. »Sicher, da sollte noch was drin sein.«
Bogners Gesicht hatte wieder eine normale Färbung angenommen. Er erhob sich und ging nach vorne an das Whiteboard, an dem mehrere Fotos hingen, die das Opfer und den Tatort zeigten.
»Bei der Toten handelt es sich um die vierundzwanzigjährige Marina Fritsch.« Er zeigte auf ein Foto, das ihren Kopf bis zum Brustbein zeigte. Ihr Hals wies einen deutlichen roten Striemen auf.
»Sie wohnte allein, hat aber einen fünfjährigen Sohn, der im Kinderheim lebt. Der Vater sitzt wegen Betrügereien noch für mindestens zwei Jahre im Gefängnis. Das Opfer wurde im Wohnzimmer erdrosselt. Vermutlich mit einem Draht. Es gibt keine Einbruchsspuren. Ihr Freund Felix Lemmer hat sie nach eigener Aussage um halb acht gestern Abend tot aufgefunden. Marina Fritsch hat ihr Geld als Webcam-Stripperin verdient. Näheres kann Hans Lauer vom KDD berichten, der gestern Abend zusammen mit der Spurensicherung vor Ort war.«
Lauer zupfte seinen wie immer auffällig zerknitterten Anzug zurecht. »Wir haben die Nachbarn befragt. Niemandem ist etwas Ungewöhnliches aufgefallen. Eine Nachbarin aus dem Erdgeschoss hat das Opfer um kurz vor sechs nach Hause kommen sehen. Die Tote hatte eine Stripshow im Livestream für 18:30 Uhr auf Instagram angekündigt. Die fand aber nicht statt. Wir gehen deshalb davon aus, dass der Todeszeitpunkt zwischen sechs und halb sieben liegt.«
»Dieser Zeitpunkt deckt sich mit dem, was die Obduktion ergeben hat«, bestätigte Jeschke.
»Was steht sonst noch im Bericht?«, erkundigte sich Speer.
»Der Täter hat das Opfer vermutlich zunächst niedergeschlagen«, trug Jeschke vor. »Der Tod wurde durch eine anschließende Strangulation mittels eines dünnen Seils, wahrscheinlich aber eines Drahtes herbeigeführt. Durch die Stauung des aus dem Kopfbereich abfließenden Blutes kam es im Gehirn zu einem Sauerstoffmangel, der binnen weniger Sekunden zur Bewusstlosigkeit geführt hat. Zudem wurde die Luftröhre zerquetscht. Der Täter hat viel Kraft aufgewendet.«
»Den Freund des Opfers haben wir vorläufig festgenommen«, teilte Lauer mit.
»Aus welchem Grund?«, wollte Slibow wissen.
»Das Handy des Opfers haben wir unter dem Sofa gefunden. Vermutlich hatte sie es in der Hand, als der Täter sie angriff, und es ist dorthin gefallen. Es gab keine Bildschirmsperre. Wir haben mehrere Sprachnachrichten von Lemmer gefunden. Darin droht er, sie umzubringen, wenn sie nicht mit dem Strippen vor der Kamera aufhört.«
»Er könnte sie getötet und lediglich vorgegeben haben, sie später gefunden zu haben«, meinte Bogner.
»Es gibt keine Einbruchsspuren. Das spricht dafür, dass Täter und Opfer sich kannten«, ergänzte Jeschke. »Zudem stammt bei einer Tötung der Täter meistens aus dem sozialen Umfeld des Opfers, wie wir alle wissen.«
»Deshalb haben wir den Kerl eingebuchtet«, resümierte Lauer und nickte. »Ein Alibi hat er auch nicht. Angeblich ist er gegen neunzehn Uhr von zu Hause aufgebrochen, weil er seiner Freundin danken wollte, dass sie, wie von ihm gefordert, den Webauftritt gecancelt hatte. Er besaß einen Wohnungsschlüssel. Als sie auf sein Klingeln nicht reagierte, hat er sich selbst reingelassen.