Der Sündenfresser: Alphas - Loki Feilon - E-Book

Der Sündenfresser: Alphas E-Book

Loki Feilon

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Beschreibung

Als Kain aus seiner persönlichen Hölle erwacht, scheint alles, was ihm am Herzen liegt, rettungslos verloren. Doch es gibt Hoffnung: Ein altes, kraftvolles Relikt ruht im Niemandsland verborgen. Eines, das der Blutkult noch nicht kontrolliert und das womöglich ihre letzte Chance ist, Ephraim die Stirn zu bieten. Leider kennt niemand den Preis und die Konsequenzen dieser Macht – was Kain sehr bald am eigenen Leib zu spüren bekommt. Wahrheiten werden zu Lügen, Freunde zu Feinden. Und Kains Existenz dient nur einem einzigen Zweck ...

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HYBRID VERLAG

Vollständige elektronische Ausgabe

11/2021

 

 

© by Loki Feilon

© by Hybrid Verlag

Westring 1

66424 Homburg

 

Umschlaggestaltung: © 2021 by Creativ Work Design, Homburg

Lektorat: Paul Lung

Korrektorat: Birgit van Troyen

Buchsatz: Paul Lung

Autorenfoto: privat

Illustrationen:

© by Freya Petersen

© by Kim

Karten Skelesh und Ashkanan © by Loki Feilon

 

Coverbild ›Wonders Macht‹

© 2018 by Creativ Work Design, Homburg

Coverbild ›Halbwesen‹

© 2018 by Creativ Work Design, Homburg

Coverbild ›Die Chroniken von Mytlaghyr‹

© 2021 by Magical Cover Design, Giuseppa Lo Coco

Coverbild ›Das Geheimnis von Talmi’il‹

© 2019 by Creativ Work Design, Homburg

Artwork by Mika Jänisen

 

ISBN 978-3-96741-142-3

 

www.hybridverlag.de

www.hybridverlagshop.de

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

 

Printed in Germany

 

Loki Feilon

 

Der Sündenfresser

 

Alphas

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dark Fantasy

[Traum]

[Split|ter]

[Kä|fig]

[Spiel]

[Ver|bin|dung]

[Zug|zwang]

[Asche]

[Leerlauf]

[Fun|ke]

[Feu|er]

[An|zie|hung]

[Geist]

[Fuck]

[Ab|lass]

[Pau|se]

[Lich|ter|fest]

[Kor|rup|ti|on]

[Er|schüt|te|rung]

[Le|thar|gie]

[Er|wa|chen]

[Ko|gna|ti|on]

[Feu|er|werk]

[Zu|hau|se]

[Wie|der|ho|lung]

[Bruch]

[Stein]

[Riss]

[Trieb]

[Me|ta|mor|pho|se]

[Wi|der|hall]

[Hin|weis]

[Ma|gie]

[Mut]

[Lü|gen]

[Up|grade]

[Lie|be]

[Göt|ter|däm|me|rung]

[Epi|log]

[En|de]

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für alle, die anders sind.

Für alle, die sich einsam fühlen.

Für Euch, an die niemand glaubt.

 

Seid mutig.

Ihr könnt alles schaffen.

 

 

 

 

 

[Traum]

Substantiv, maskulin.

[…] auftretende Abfolge von Vorstellungen, Bildern, Ereignissen, Erlebnissen.

 

 

Alter Keller

 

Blut und Fleisch. Hunger. Durst. Er brauchte Wasser, unbedingt. Zerfetzte Bilder zogen vorbei. Von Gewalt und Kampf. Er, ein Hund. Schnüffelnd und knurrend und zähnefletschend. Jagen. Hetzen. Töten.

Kain schlug die Augen auf. Er unterdrückte den Trieb, sich hinterm Ohr zu kratzen und sah sich hektisch um. Schummrige Dunkelheit. Staub. Stille. Ein Keller. Er konnte sich nicht bewegen, saß auf einem Stuhl, die Handgelenke mit Anima-Handschellen an den Lehnen fixiert.

Nur langsam drang diese Erkenntnis in seinen mürben Schädel.

Und mit ihr kam nichts als blanke Panik.

Mit einem kräftigen Ruck zuckte er vorwärts. Nichts zu machen. Die Schellen taten ihren Dienst und das verdammt gut. Knurrend riss er daran, rief nach der Finsternis in seinem Inneren, doch die Runen auf dem Metall glommen nur heller auf, je verzweifelter er es versuchte. Verfickt.

Kurz sah er sich noch einmal um. Raue, dunkle Steine an den Wänden, auf dem Boden. Ein bisschen modrig und alt und es gab nichts hier unten, außer ihm und seinem verdammten Stuhl. Und einer einzigen Tür.

Kain versuchte, mitsamt seiner unfreiwillig gewählten Sitzgelegenheit aufzustehen. Doch eine weitere Kette spannte sich um seine Brust, fesselte ihn an die Lehne und machte es unmöglich, sich im richtigen Winkel auszurichten. Ein paar Mal versuchte er es. Keine Chance. Mit einem frustrierten Schnauben wandte er den Kopf zur Tür. Vielleicht sollte er nach jemandem rufen. Aber er hatte keine scheiß Ahnung, was sich hinter der Tür befand.

Neue Taktik. Er testete seine Füße. Fühlte Ketten an den Knöcheln, entlang der Stuhlbeine. Fast schmeichelhaft, diese Vorsicht. Wenn seine Lage bloß nicht so verdammt beschissen wäre.

Na, gut geschlafen?

»Wo zur verfickten Hölle bin ich?«, zischte er in die Stille hinein.

Das fragst du mich?

Mit einem genervten Seufzen schloss Kain die Augen und atmete tief durch. Ruhig. Ganz ruhig, es war ja wirklich nicht das erste Mal, dass er gefesselt in komischen Kellern aufwachte. Langsam wich die Panik, und seine Gedanken flogen wieder produktiver durch seinen Schädel. Doch so sehr er auch versuchte, sich zu erinnern, es brachte nichts. Er sah nur Killian, der ihn mit sich schleifte, durch das brennende Labor, irgendwo im Niemandsland. Die Decke brach über ihnen zusammen. Schwarz. Ein paar letzte Bilder flackerten auf. Er lag auf einem Bett. Killian sah ihn erwartungsvoll aus nächster Nähe an. Und dann, keine Ahnung.

Langsam sah er an sich herunter. Er trug ein schwarzes Hemd, voller Blut und Erde, als hätte er sich über Leichen im Schlamm gerollt. Außerdem roch er wie ein Iltis zur Paarungszeit. Widerlich. Seine Haare sahen strohig aus und klebten an der Stirn. Ein Hemdärmel war abgerissen, seine Haut darunter fleckig von getrocknetem Blut und Dreck. Kurz probierte er die Finger seiner rechten Hand. Auf und zu. Alles noch intakt. Auch wenn es irgendwie aussah, als hätte er jemandem das Herz aus der Brust gerissen. Der dazu passende Geschmack von Eisen auf der Zunge sorgte nicht gerade dafür, dass seine Fantasie sich beruhigte.

Er rollte den Kopf auf die andere Seite, verzog missmutig das Gesicht, als die Haut um seinen Hals dabei unangenehm spannte. Der linke Hemdärmel war noch ganz. Nur der Knopf am unteren Ende war abgerissen. Darunter prangte die Unterarmschiene, die ziemlich verbeult aussah. Skeptisch drehte er seinen Arm, prüfte seine Finger. Irgendetwas fühlte sich komisch an. Langsam beugte er sich vor, bis die Ketten spannten. Dann sah er auf seine Hand.

Sein verfickter Ringfinger fehlte.

Sauber abgehackt, genau über dem Gelenkknochen der Mittelhand.

Ungläubig blinzelnd schloss Kain die Augen. Öffnete sie vorsichtig wieder. Trotzdem weg. Prüfend ballte er eine Faust, spreizte sie, immer wieder. Die Leere blieb. Zumindest optisch, denn er hatte verdammt noch mal das Gefühl, dass sein Finger noch da war.

Fassungslos betrachtete er eine Weile lang seine Hand. Drehte sie. Versuchte sich vorzustellen, was passiert sein musste. So eine Scheiße. Hoffentlich gab es nicht noch mehr üble Überraschungen. Unsicher warf er einen Blick in seinen Schritt. Bewegte seine Beine und seufzte erleichtert. Immerhin.

Plötzlich quietschte die Kellertür. Kain ließ sich abrupt hängen und mimte den Bewusstlosen. Leise Schritte hallten von den Wänden, hielten nicht weit von ihm. Jemand murrte. Vorsichtig öffnete Kain beide Augen einen Spalt breit.

Ianto.

Der Shintari, mit Putzlappen und Eimer bewaffnet, stellte letzteren neben der Tür ab, ehe er sich unzufrieden Luft zuwedelte. »Dieser Gestank. Wieso muss ich den Mist eigentlich wegmachen?« Einen Moment lang wirkte er zu trotzig, für was auch immer er vorhatte, doch schließlich gab er seufzend nach. Er packte den Lappen aus dem Eimer, wrang ihn aus und kam skeptisch auf ihn zu. Der Vizeoffizier beugte sich über ihn, er fühlte dessen Nähe, und kurz darauf traf ein warmer, nasser Lappen wenig liebevoll sein Gesicht. Noch ein Murren folgte. »Wenn die glauben, dass ich die Kotzpfütze wegwische, haben die sich geschnitten. Das kannst du schön selber machen, wenn du jemals wieder aufwachst, kapiert?« Wieder der Lappen, der in sein Gesicht klatschte.

Okay, Zeit herauszufinden, was hier abging.

Ruckartig schnellte Kain nach vorne. Die Ketten ächzten und hielten ihn zurück, gerade so, bevor er Iantos Nasenspitze mit seiner eigenen berühren konnte. Mit finsterem Blick starrte er direkt in die schreckgeweiteten blauen Augen des Shintari und verzog den Mund zu dem besten psychopathischen Lächeln, das er draufhatte. »Buh.«

Iantos Pupillen verengten sich in purem Stress. Ihm fiel wortwörtlich die Kinnlade herunter. Panik und Angst strahlten von ihm ab, mischten sich zu einem herrlichen Geruch, den Kain tief einsog. Sein Besucher ließ den Lappen fallen, zuckte zurück, stolperte, wedelte mit den Armen, fing sich gerade so und rannte nach draußen. Die Tür fiel lautstark hinter ihm zu.

Mit einem zufriedenen Grinsen lehnte Kain sich zurück und rollte den Kopf in den Nacken. Na, dann wollte er doch mal sehen, wer jetzt alles angerannt kam.

 

[Split|ter]

Substantiv, maskulin.

[…] als Fremdkörper in die Haut eingedrungener winziger Gegenstand.

 

 

Phexon. Nalarthier. Alter Keller. 901 n.K.

 

Sie alle standen da und starrten ihn an.

Ianto, der ihm die letzte Aktion offenbar nicht verziehen hatte. Mercutio, der skeptisch beide Brauen zusammenzog, als versuchte er, in sein Innerstes zu sehen. Und neben ihm Jasko, der sich aus Versehen einen Besenstil in den Arsch gerammt haben musste, denn anders war seine verkniffene Miene kaum zu erklären.

Kain legte den Kopf schief und sah zwischen ihnen hin und her. »Was glotzt ihr mich so blöd an?« Eigentlich wollte er noch fragen, ob er etwas im Gesicht hatte, aber der Geschmack von Blut in den Mundwinkeln und das Gefühl auf seiner Haut sprachen für sich.

Die Männer rührten sich nicht. Sie standen vor ihm wie steinerne Statuen. Keiner der Penner sagte ein Wort. Er kam sich verfickt noch mal vor wie die Hauptattraktion im valesischen Zoo extrem seltener Tierarten. Sündenfressus Kainus. Zwei Mal fast ausgestorben. »Wieso bin ich gefesselt? Ist das ein neuer Fetisch?«

Doch statt einer Antwort folgte nur Stille. Eine gefühlte Ewigkeit lang. Seine Besucher sahen sich an, schienen sich stumm zu beraten. Gerade als er glaubte, sie würden ihn weiter schweigend angaffen, trat Mercutio einen Schritt nach vorne. »Bist du es wirklich?«, wollte er leise wissen. Dabei betrachtete er ihn, als könnte irgendetwas an seinem Äußeren diese Frage wahrheitsgemäßer beantworten als er selbst.

Mit einem hämischen Mundwinkelzucken legte Kain den Kopf schief. »Nein, ich bin Bastus, der Mörderclown aus Fendrall.«

»Sehr witzig.« Sichtlich beleidigt verschränkte sein Freund beide Arme.

Kain sah ihn unbeeindruckt an. Dann wackelte er mit den Fingern seiner linken Hand, ließ sie eine astreine La Ola-Welle vollführen. Fast perfekt. Einen Ringfinger davon entfernt, um genau zu sein. »Was bitte ist das?«

»Eine Hand mit vier Fingern«, gab Ianto trocken zurück, ehe Mervhas Diva auch nur Luft holen konnte. Dann trat er einen Schritt vor und hob gereizt eine Braue. »Sonst noch blöde Fragen?«

»Ich erinnere mich, dass es mal fünf waren«, gab Kain mit einem scheinheiligen Lächeln zurück.

Der Shintari schnaubte nur. »Jetzt sind es halt noch vier, finde dich damit ab.«

»Ich soll mich damit abfinden?«

»Ja!«

»Komm her und mach mich los, du scheiß Pflaume!« Mit einem heftigen Knurren ruckelte Kain sich samt Stuhl ein paar Zentimeter vorwärts. »Ich breche dir gleich dein dummes Gesicht, mal sehen, wie du dich damit abfindest!«

»Beruhigt euch!«, fuhr Mercutio mit einem Mal dazwischen und packte den Vizeoffizier vorwurfsvoll an der Schulter, um ihn anzufunkeln. »Hör auf, dich von ihm provozieren zu lassen. Mal ehrlich, er sitzt in seinem eigenen Erbrochenen fest. Nichts, das er gerade sagt, sollte dich auf sein Niveau ziehen können. Meine Güte.« Kopfschüttelnd schob er sich dramatisch eine kurze Strähne der schulterlangen Haare hinters Ohr. Der Bart in seinem Gesicht war neu. Kurz, penibel geschnitten und gepflegt.

Mit einem finsteren Blick sah Kain an den Männern vorbei durch den offenen Türspalt. »Wo ist Killian?«, wollte er wissen und versuchte etwas zu erkennen. Aber es gab nichts zu sehen, außer noch mehr Keller. Irgendwie seltsam. Es fühlte sich nicht gerade an, als wäre der andere Sündenfresser auch nur in der Nähe.

Seine Besucher blieben eine Weile still. Ianto und Mercutio sahen sich an, als müssten sie erst einen wortlosen Kriegsrat halten, über den Jasko nur die Augen verdrehte. Schließlich hob der Schmuggler ohne ihren Zuspruch einen Arm und deutete auf die Wand zu seiner Rechten. »Er ist gleich nebenan.«

»Ja, aber leider empfängt er zurzeit keine Besucher.« Der Shintari warf dem Schmuggler einen warnenden Todesblick zu.

Kain drehte mechanisch den Kopf, starrte ungläubig auf die kahle, dunkle Mauer. Versuchte sich zu erinnern oder zu verstehen. Aber verdammt, er verstand absolut nichts. Kurz schloss er die Augen. Dachte nach. Unmöglich, bei dem Gezanke im Hintergrund. Mit einem Mal spannte er sich an und warf sich auf dem Stuhl herum. Versuchte, irgendwie freizukommen. Der Sitz wackelte, schwankte, drohte umzukippen. Es scherte ihn einen feuchten Dreck. Er wollte seinen Partner sehen und wenn es sein musste, würde er mit dem verfickten Möbel zusammen nach draußen robben.

»Was tust du denn da?« Mercutio trat näher zu ihm, wollte nach ihm greifen, doch er zog seine Hand zurück, als hätte er sich schlagartig an etwas erinnert. »Hör auf, dass macht alles nur schlimmer!«

Kain ignorierte ihn. Er knurrte verzweifelt und legte alle Kraft in seine Arme. Zog und riss an den Ketten, doch diese dachten nicht daran zu versagen. Wut kochte in ihm hoch. Schwappte ihm in die Kehle. Doch sie war trocken und haltlos ohne die Schatten, die sie nährten. »Verfickte Scheiße!« Mit aller Macht versuchte er, die Finsternis herauszuzwingen. Die Glyphen auf dem Metall leuchteten schlagartig gleißend hell auf und verschmolzen zu einer einzigen grauen Lichtquelle, die durch das Dunkel strahlte. Die Männer verstummten augenblicklich. Traten einen vorsichtigen Schritt zurück, doch egal, wie laut er die finstere Magie in seiner Seele anbrüllte, sie antwortete nicht. Sie flackerte nur kurz auf, wie eine Kerze, die sofort erstickte. Schnaufend gab er es schließlich auf und ließ sich frustriert tiefer in den Stuhl sinken. So eine blöde Kacke. Kurz schloss er die Augen und atmete ein paar Mal durch. »Welches Datum haben wir?«

Mercutio lugte unsicher zu Ianto, der den ihm zugeworfenen Blick mit einem ratlosen Schulterzucken erwiderte. Nach einigen schweigsam nachdenklichen Sekunden seufzte Mercutio leise. »Heute ist der 11. Dezin. 901 n.K.«

Kain starrte seinen Freund fassungslos an.

Dieser nickte bitter, wie um seine Gedanken zu bestätigen. »Du bist seit über einem Monat hier unten. Wie du dir bei der herben Duftnote vielleicht denken konntest. Es tut mir leid. Es ging nicht anders.«

Verwirrt zog Kain beide Brauen zusammen, wartete, dass sein Freund sich korrigierte oder Verarscht! schrie. Nichts kam. Scheiße. Er hatte einen verdammten Vier-Wochen-Blackout. Bald fand sogar das Lichterfest statt. Das Jahr neigte sich dem Ende zu. Dabei fühlte es sich eher an, als hätte er bloß ein Nickerchen gemacht. Schlecht geträumt. Von Hetzjagden und Blut. Alpträume eben. Augen zu, Augen auf, nächster Morgen.

Stumm senkte er den Blick.

Zumindest erklärte das, wieso sein Rücken sich anfühlte wie ein trockenes Stück Hartholz.

»Erinnerst du dich an irgendetwas?«, wollte Mercutio leise wissen und sah ziemlich besorgt aus. »Egal was?«

Eine Weile sah Kain ihn einfach nur an, grub sich noch einmal durch die losen Fetzen seiner Erinnerungen. Dann schüttelte er den Kopf.

»Oh Mann«, seufzte Jasko mit einem Mal genervt. »Wie soll ich ihn denn jetzt hassen, wenn er sich nicht erinnert?«

Mercutio warf dem Schmuggler einen finsteren Blick zu und dieser legte sich schuldabweisend eine Hand in den Nacken, ehe er ein leises, trotziges »Ist doch so« in den Saum seines Pullis murmelte.

»Was habe ich denn getan?«, wollte Kain misstrauisch wissen. Die Gesichter der Männer waren nämlich so angespannt und verkniffen, sie mussten die Verstopfung ihres Lebens haben. Und verdammt, er selbst war voller Blut, das nicht seines war und ihm trotzdem in der Nase stand. Als hätte er die rote Suppe statt einer ordentlichen Linie Koksarin durchgezogen.

»Da bin ich mal raus«, meinte Jasko knapp, hob eine Hand zum Abschied und schlenderte davon, als würde er sich kein Stück dafür schämen, sang- und klanglos zu verschwinden.

Mercutio sah ihm unzufrieden nach, dann schüttelte er den Kopf und drehte sich zu Ianto um. »Du hast heute beim Stöckchenziehen verloren. Du erzählst ihm die Geschichte. Ich muss nämlich dringend zurück nach oben.« Er tippte dem Shintari mit einem Finger gegen die Brust und reckte das Kinn. Der Widerworte-Abprall-Modus.

»Ja klar.« Ianto verschränkte beide Arme vor der Brust. »Verschwindet ruhig alle. Ich wusste, dass heute ein Scheißtag werden würde. Spätestens als ich mir den kleinen Zeh zum zweiten Mal an der Kommode gestoßen habe.«

»Zwei Mal? Du hast mein Mitleid.« Mercutio tätschelte ihm beiläufig die Schulter, obwohl er aussah, als hätte er gar nicht zugehört. Dann hob er ebenfalls kurz eine Hand, winkte ihnen beiden zu und flüchtete regelrecht aus dem Keller.

Kain kniff beide Augen zusammen und sah verständnislos zu, wie die Tür quietschend ins Schloss fiel. Diese Penner. Behandelten ihn wie einen Alchemie-Sprengsatz mit viel zu kurzer Zündschnur und keiner rückte mit der verdammten Sprache heraus. Erwartungsvoll blieb sein Blick an dem Vizeoffizier hängen.

Dieser griff nach dem Putzeimer, kippte ihn in den Abfluss aus, drehte ihn schwungvoll um und setzte sich drauf. Mit einem schweren Seufzen, das einen deutlichen Hauch gereizter Energie besaß, stützte er den Kopf lustlos mit einer Hand. »Also, was willst du wissen?«

Kain hob eine Braue. »Habe ich jemandem den Schädel abgeschlagen?« Schließlich musste das ganze Blut irgendwo herkommen.

Ianto wiegelte den Kopf hin und her. »Eher nicht.«

»Jemandem das Herz rausgerissen?«

»Definitiv.«

Er hatte es verdammt noch mal gewusst. »Habe ich es etwa …« Kain hielt inne und verzog den Mund.

»Jupp«, gab der Shintari gelangweilt zurück. »Hast du. Ich hätte fast gekotzt.« Er schüttelte sich, als könnte er die Erinnerung damit abstreifen. Dann fuhr er sich durch die schwarzen Haare, die frisch in alle Richtungen standen, ohne dabei unsortiert zu wirken. »Ich erzähle dir jetzt die ganze Geschichte und ich werde mich nicht wiederholen, also halt die Klappe. Erinnerst du dich, dass du mit Killian im Niemandsland warst?«

»Ja.«

»Nach eurer Rückkehr hast du ein paar Tage ohnmächtig im Bett gelegen. Fieber, Schüttelfrost. Wir dachten, du wärst krank oder hättest dir die Wintergrippe eingefangen, aber dann wieder bist du ein Sündenfresser. Keine Ahnung, ob ihr überhaupt so etwas wie Schnupfen kriegen könnt.«

»Können wir, glaub mir.«

»Wie auch immer. Dann bist du irgendwann doch aufgewacht. Leider nur kurz.«

»Nur kurz?« Kain ballte beide Hände zu Fäusten. »Mir fehlen über vier verdammte Wochen! Fühlt sich nicht gerade kurz an.«

Der Vizeoffizier zuckte mit den Schultern. »Wir alle kamen zu dir ins Zimmer, als du aufgewacht bist. Aber nach ein paar normalen Minuten hast du angefangen, dich wie ein sabbernder Bluthund zu verhalten. Du hast total herumgeknurrt, geschnüffelt und ich dachte ehrlich, gleich sprießt dir Fell aus dem Rücken. Du bist mit Schaum vor der Fresse auf alles losgegangen, das sich bewegt.«

Kain öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Aber scheiße, er hatte Sprache verlernt. Iantos Worte sickerten zäh in seinen Verstand und kurz flammte ein Bild vor seinem inneren Auge auf. Wie er im Fieber zitterte. Wie er in saftiges, rotes Fleisch biss. Es hinunterschlang. Es war noch warm.

Mit einem Mal kippte er nach vorne und kotzte zwischen seine Stiefel. Widerlich. Er würgte erneut, doch nichts kam mehr. Schließlich ließ er sich mit einem elendigen Stöhnen wieder gegen die Lehne sinken.

»Ja, kotz dich ruhig aus. Muss ja nur ich wegwischen.« Der Shintari rümpfte die Nase.

Kain warf ihm einen finsteren Blick zu. »Der Mod-Wolf in Ragesh hat mich gebissen, kurz bevor wir das Labor erreicht haben. Ist es deswegen passiert?«

»Ja, das hat dieser komische Magier zumindest gesagt.«

»Wer?«

Ianto deutete nach oben. »Dieser durchgeknallte Typ, der vor ein paar Tagen hier ankam. Offenbar kennt ihr euch. Er hat uns erklärt, dass du so etwas wie Tollwut hast. Sieh mich nicht so an, ich habe keine Ahnung. Mercutio holt ihn sicher gerade, dann kannst du ihn selbst fragen.«

Stumm erwiderte Kain seinen Blick. »Bin ich jetzt geheilt?«

Sein Gegenüber schwieg und zuckte mit den Schultern.

»Was habe ich noch getan?«, wollte er weiter misstrauisch wissen. Er konnte sich kaum vorstellen, dass sie alle so viel Geschiss machten, weil er ein Herz gegessen und jemandem beinahe den Kopf abgerissen hatte. »Sind die anderen noch hier?«

»Immer der Reihe nach.« Der Vizeoffizier hob eine Hand, um ihn zu bremsen und benutzte sie auch gleich, um an seinen Fingern abzuzählen. »Zuerst hast du Killian durch das Dach auf die Straße geschmissen, als er dich ruhigstellen wollte.«

»Ich?«

Der Shintari winkte vehement ab. »Keine Ahnung, wie du das geschafft hast. Der Kerl wiegt Tonnen, obwohl er aussieht wie ein Katalogmodel.« Einen Moment lang schien er daran zu denken, ehe er den Kopf schüttelte. »Wie auch immer. Rengo wollte dich mit dem Hammer aufhalten, da hast du ihn aufgeschlitzt. Er hatte Glück, dass John da war, um ihn zurückzuziehen. Sonst hätte er seinem eigenen Darm beim Rauslaufen zusehen können. Was noch? Ach ja, richtig. Du wolltest mir den Fuß abreißen, als ich vor dir geflohen bin und hast es fast geschafft – dem Licht sei Dank hatte ich Schlappen an. Dann bist du völlig durchgedreht und hast sämtliche Gäste des Hauses umgelegt, ehe du rausgerannt bist, um einen bellenden Hund zu zerfleischen. Ja, den hast du auch gegessen. Killian kam wieder zu sich und hat dich zurück ins Gasthaus getrieben. Irgendwann konnten wir dich endlich aufhalten.«

»Moment.« Blinzelnd versuchte Kain das alles zu rekonstruieren. »Alle Gäste?«

»Alle dreizehn. Du hast keinen vergessen.«, gab Ianto mit einem sarkastischen Lächeln zurück. »Du hast dabei fast sämtliche Möbel zertrümmert und wäre Killian nicht so schnell eingeschritten, hätte es wohl ganz Phexon erwischt. Dankbarerweise besitzt Jasko ziemlich starke Beruhigungsmittel, die wir dir mit einem provisorischen Blasrohr ins Gesicht gejagt haben. Daraufhin hast du versucht, dir selbst den Kopf abzureißen und als das nicht funktionierte, hast du dir den Hals aufgeschlitzt, mit deinen eigenen Klingen.«

Verstört sah Kain ihn an. »Das ist ein Scherz, oder?«

»Leider nicht. Auch wenn es klingt wie ein verdammt gutes Bühnenstück.«

Kain schloss die Augen. Versuchte sich vorzustellen, wie er die anderen durch das Gasthaus jagte, völlig weggetreten, knurrend. Er erinnerte sich nicht. Nicht wirklich. Keine Ahnung, ob das besser war als anders. Aber allein die Vorstellung machte ihn rasend. Er fühlte sich so verdammt machtlos. Wie zu Beginn seiner Reise, als die Schatten noch dauernd unkontrolliert aus ihm herausgebrochen waren.

Mittlerweile ging immerhin das besser.

Und was tat er mit seiner neu gewonnenen Selbstkontrolle? Einen scharfkantigen toten Baum begrabschen, sich in die Hand stechen und ein Rudel veränderter Wölfe anziehen. »Wie geht es Kill?«, wollte er nach einer Weile leise wissen. Jeder Gedanke an den Mod-Wolf-Zwischenfall fuhr mit der Geschwindigkeit eines MTeck-Rads gegen die frisch hochgezogene Wand aus Scham und Selbsthass in seinem Inneren und er hoffte einfach nur, dass es wenigstens seinem Partner besser ging.

Ianto verschränkte beide Hände und legte seinen Kopf darauf ab. »Ich weiß nicht, wie viele schlechte Neuigkeiten du noch hören willst.«

»Raus damit, oder ich wische den Boden dieses Scheißkellers mit deinem Gesicht.« Unnachgiebig starrte Kain ihn an. Keine Ahnung, wieso niemand mit ihm über Killian reden wollte, aber es ging ihm mächtig auf den Sack. Er fühlte ihn nicht. Er wusste nicht, wie es ihm ging. Es machte ihn wahnsinnig.

Der Shintari linste unbeeindruckt auf die Anima-Fesseln, die wieder flackernd grau glühten. »Du kannst nie wirklich aus deiner Haut, was? Gut.« Seufzend überlegte er einen Moment. »Nun, bevor du zum Sabberwolf wurdest, hast du Killian ins Handgelenk gebissen. Als er dich außerdem festgehalten hat, damit wir dich überhaupt betäuben konnten, bist du völlig durchgedreht. Hast dieses Ding benutzt«, meinte er und nickte zu der Unterarmklinge, »und na ja, du hast gut getroffen.«

»Ich habe ihn gebissen?«

»Und damit infiziert.«

Kain drehte den Kopf zu der Wand, die ihn von seinem Partner trennte. Super. Er hatte ihn also mit der Wolfseuche angesteckt. Nervös auf der Unterlippe kauend sah er zurück zu seinem Gegenüber. »Aber, wenn ich geheilt bin, geht es ihm doch auch besser?«

Der Vizeoffizier schüttelte kaum merklich den Kopf. »Leider nicht. Schau mich nicht so blöd an, ich weiß nicht genau, wieso. Das ist mir zu hoch. Frag diesen komischen Magier. Jedenfalls hat Killian darauf bestanden, dass wir ihn anketten. Als er merkte, dass er bald nicht mehr Herr seiner Sinne sein würde.«

»Ich will wissen, wie es ihm geht«, gab Kain mit einem leisen Knurren zurück. »Ich will ihn sehen.«

Ianto rührte sich nicht. »Es ist nicht gerade ein netter Anblick.«

»Ich will ihn sehen.«

»Das geht nicht.«

»Mach mich los, sofort!« Fauchend zappelte Kain auf dem Stuhl in alle Richtungen. Er warf sich nach links, rechts, versuchte irgendein Körperteil aus den Fesseln zu ziehen, was nur dazu führte, dass eines der Stuhlbeine knarzend nachgab und er sich samt angekettetem Möbel auf die Fresse legte. Doch anstatt zu verharren, nahm er alle Kraft zusammen und warf sich vorwärts in Richtung Tür. Er würde jetzt aus diesem scheiß Keller verschwinden und nach Killian sehen und der Giftzwerg konnte ihn verdammt noch mal am Arsch lecken!

Sein Aufpasser fuhr alarmiert von dem Eimer hoch und öffnete die Tür. »Leute, er dreht durch!«, rief er in einen spärlich beleuchteten Gang hinein und kurz darauf erklangen hastige Schritte.

»Wir sind ja schon da!« Mercutios Stimme. Kain erstarrte in der Bewegung und sah auf. Beobachtete, wie sein Freund in den Kellerraum trat, dahinter verdammt noch mal Dezmael. »Meine Güte, was tust du schon wieder?«, wollte Mercutio tadelnd wissen und sah zu ihm herunter, vor allem zu dem kaputten Stuhlbein und seiner verkniffenen Miene. »Und?«, wandte er sich zurück an Dezmael, der sich skeptisch auf seinen Stock stützte. »Ist er wieder in Ordnung? Können wir ihn endlich losmachen?« Seine Stimme klang so hoffnungsvoll, dass Kain sich augenblicklich schlecht fühlte, eine Stuhlrebellion gestartet zu haben. Stattdessen kam er sich vor wie ein zum Einschläfern verurteilter Bluthund, der in letzter Sekunde von seinem fanatisch vernarrten Herrchen abgeholt wurde.

»Das sehen wir gleich.« Der Magier stellte seinen Gehstock an der Wand ab, kam näher, packte die Stuhllehne an den Fesseln und drehte ihn einmal samt Möbel so, dass er auf dem Rücken lag und nur nach oben sehen konnte. Dann hielt Dezmael ihm prüfend eine helle Lampe vors Gesicht und schwenkte sie hin und her. Kain blinzelte heftig und kniff die Augen zusammen. Mann, er hatte ewig kein Licht mehr gesehen. Der Schein verschwand und das Gesicht des Magiers tauchte wieder in seinem Sichtfeld auf. »867 n.K. Die Räuberbande der Kilishari. Sie haben dich ausgetrickst und du musstest durch die ganze Stadt laufen, bevor du zurück zur Hütte konntest. Was hast du getragen?«

Verwirrt sah Kain seinen alten Freund an. »Was soll das?«

»Antworte.«

»Ich will zu Kill.« Trotzig blickte er Dezmael entgegen.

Dieser schien darüber nachzudenken. Risiken abzuwägen. Nach einer Weile nickte er schließlich. »In Ordnung.«

Seufzend schloss Kain die Augen und atmete tief durch. »Ich habe einen Blümchenkranz, Blätterschurz und eine beschissene, rosa Girlande getragen.«

»Und sonst?«

»Nichts.«

Ianto prustete los und Kain warf den Kopf gereizt herum. »Hör auf zu lachen, du blöder Wichser! Und wenn du das irgendjemandem erzählst, bringe ich dich um, kapiert? Ich ersticke dich mit deinem eigenen blöden Grinsen, das ich dir vorher aus dem Gesicht schneide!«

»Ganz der Alte«, stellte Dezmael zufrieden fest und mit einem Fingerschnippen sprangen die Anima-Fesseln auf. Kain rutschte von dem Stuhl herunter, sein Kopf wurde unangenehm gegen den Boden gedrückt und sein Körper stauchte sich zusammen. Scheiße. Er konnte definitiv nie wieder aufstehen. Alles steif. Wie ein rostiges Kugelgelenk. Keine Ahnung, ob er sein eigenes Gewicht überhaupt noch tragen konnte.

Doch er kam nicht einmal dazu, es zu versuchen. Mercutio warf sich einfach auf ihn. Schlang ihm schluchzend beide Arme um den Hals. Er heulte. Und wie. Er bekam kaum Luft und heiße Tränen liefen von seinen Wangen, benetzten seinen Hals und das Hemd an seiner Schulter. Völlig überfordert schluckte Kain den Kloß in seinem Hals herunter, wusste nicht wohin mit sich, seinen Armen. Hilfesuchend schielte er zu Dezmael und Ianto.

Letzterer schüttelte nur den Kopf, während der Magier ihm recht bildhaft vorgestikulierte, dass man Arme offenbar um andere Leute legen konnte, ohne dass sie abfielen. Kain rollte ausgiebig mit den Augen und starrte zur Decke. Ach, scheiß drauf. Vorsichtig legte er beide Arme um seinen Freund, der ihm mit einem Mal irgendwie schmal und zerbrechlich vorkam, ehe er ihn leicht an sich drückte. Dann schwiegen sie. Der Boden strahlte eisig in seinen Rücken. Er spürte ihn kaum noch, aber, wenn er ehrlich war, tat er das sowieso nie. Langsam gewöhnte er sich an das rhythmische Schluchzen in seiner Halsbeuge, an die Wärme, die auf seinen Körper überging.

Seltsam. Fühlte sich nur ein bisschen peinlich an.

Mercutios Schluchzer ebbten immer weiter ab. Dann, ganz leise und gedämpft, erklang seine Stimme. »Ich dachte, ich hätte dich auch verloren.«

Mit einem seichten Lächeln schloss Kain die Augen. Es fühlte sich so verdammt gut an, am Leben zu sein.

Und doch klaffte da ein unfassbar großes Loch. So schwarz und tief, keine Ahnung, ob er einen Blick hineinwerfen konnte, ohne zu fallen. Ohne für immer darin zu verschwinden.

Er drehte den Kopf zur Seite und starrte auf die kahle Wand.

 

[Kä|fig]

Substantiv, maskulin.

[…] ein allseitig geschlossenes Behältnis, dessen Seiten mehr oder weniger perforiert sind.

 

 

Phexon. Nalarthier. Keller. 901 n.K.

 

»Sicher, dass du das willst?« Dezmael sah ihn eine Weile durch das Halbdunkel an. »Du bist erst seit einer Stunde wieder wach und ich weiß nicht, ob dein Kopf langfristig etwas abbekommen hat. Du könntest einen Schock erleiden.«

»Mach die scheiß Tür auf.« Kain verdrehte die Augen und trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Mercutio war zurück nach oben gegangen, um ihm ein Zimmer zu richten. Ianto hatte die Arschkarte erwischt und schrubbte wohl gerade Kotze weg. Alles wie immer. Irgendwie beruhigend.

Dezmael trat näher an die Stahltür, schloss auf, packte den Griff und zog. Die Tür quietschte und kratzte unheilvoll über den Boden, als wollte sie ihr Geheimnis nur widerwillig preisgeben. Der Magier machte einen Schritt zur Seite und bedeutete ihm, voranzugehen.

Langsam trat Kain ein. Völlige Dunkelheit. Nur ein winziger Spalt flackernden Lampenscheins fiel vom Gang in den kargen Kellerraum. Es roch klamm und modrig und ein bisschen nach Hund. Er zwang sich weiter. Schritt für Schritt.

An der gegenüberliegenden Wand erkannte er Umrisse. Einen Stuhl, umschlungen von Ketten, genau wie seiner zuvor. Eine Silhouette bildete sich darauf ab. Dunkel. Leblos. Atemzüge drangen durch die Stille, ganz leise und flach. Kain hielt inne und schloss die Augen. Ja, hier drin konnte er ihn wieder fühlen. Schwach, wie ein Flüstern von Intuition, das durch die Luft wehte und vom nächsten Hauch wieder davongetragen wurde. Schmerzhaft und erleichternd zugleich. Irgendwo da drin saß der Killian fest, den er kannte.

»Nicht so nah«, ermahnte ihn Dezmael.

Kain ignorierte seine Warnung und setzte einen Fuß vor den anderen. Ein Knurren drang durch die Dunkelheit, schwoll kurz an, und verebbte zu einem undeutlichen Grummeln. Einen Schritt von dem Stuhl entfernt hielt Kain inne. Es war viel zu dunkel, um etwas zu erkennen und seine Beine fühlten sich kritisch instabil an. Er lugte über die Schulter zu seinem alten Freund und bedeutete ihm mit einer Hand, die Tür weiter zu öffnen.

Der Magier erwiderte seinen Blick unentschlossen. Er schien nicht gerade begeistert von seiner Bitte, doch schließlich schob er die Stahltür weiter zur Seite und endlich fiel genug fahler Laternenschein in den Raum.

Killian kauerte in sich zusammengesunken auf dem Stuhl, halbwegs aufrecht gehalten von schweren Ketten. Seine Haare standen struppig in alle Richtungen ab, der sonst ordentliche Zopf fiel ihm teilweise lose auf die Schulter, das Gesicht lag von matten, staubigen Strähnen verdeckt im Schatten. Sein Mantel stand vor Blut und Dreck. Es stank absolut widerlich nach Pennergasse und nassem Hund. Einen Moment lang war Kain versucht, ihm die Haare aus dem Gesicht streichen, ihn ganz zu betrachten, doch blanke Angst lähmte seine Arme. Vielleicht lag darunter etwas, das er nie wieder vergessen konnte. Etwas, an dem er schuld war. Er ließ seine Hand wieder sinken, richtete den Blick auf Killians Körper. Sein Partner sah abgemagert aus, seine Hände waren ebenfalls an den Lehnen fixiert, doch keine Anima Glyphen prangten auf dem Metall.

Seltsam. Fragend wandte er sich zu Dezmael um.

»Es ist kompliziert«, meinte dieser knapp und lehnte sich abwartend in den Türrahmen.

Kain rührte sich nicht. »Ich will es wissen.«

Sein alter Freund nickte und wirkte seltsam zufrieden über seine Antwort. »Die Mod-Wölfe haben eine Art Virus übertragen. Am ehesten zu vergleichen mit Tollwut, nur eben mit magisch modifizierten Komponenten. Eigentlich medizinisch-alchemistischen Komponenten, aber das versteht heutzutage niemand mehr.« Er zuckte mit den Schultern.

Kain sah zurück zu seinem Partner. »Wieso bin ich wach und er nicht?«

»Als ich vor ein paar Tagen hier ankam, warst du bereits seit einer Weile an den Stuhl gekettet, genau wie Killian. Ich habe euch gründlich untersucht und das Virus identifiziert. Es ist ein Überbleibsel aus der alten Welt und wurde eigentlich entworfen, um illegalen Hundekämpfen mehr Biss zu verleihen. Man nannte es WV 15 – das Werwolfvirus.«

»Werwolf?«

Dezmael winkte ab. »Es wurde nach alten Legenden benannt. Vor Ewigkeiten, als die Magie und Wissenschaft in der alten Welt noch nicht so weit waren, glaubten die Leute, dass sich manche Menschen bei Vollmond in blutrünstige Wölfe verwandelten. Erst später fand man heraus, dass es sich um ein Virus handelt, das durch Mondschein begünstigt wird. Allerdings führt dieses Virus über längere Zeit tatsächlich dazu, dass die Infizierten sich verändern und zu einer Art Hybridwolf werden.«

Einige Augenblicke lang betrachtete Kain seinen gefesselten Partner stumm. Sog tief Luft ein. Schmeckte die einzelnen Gerüche auf der Zunge und verzog schließlich das Gesicht. »Er stinkt nach Köter.«

»Wirklich?« Der Magier richtete sich leicht auf. »Das riechst du?«

»Kannst du ihn heilen?«, fuhr Kain dazwischen, ohne den Blick von dem anderen Sündenfresser abzuwenden.

Dezmael seufzte und klang ziemlich erschöpft, als hätte er den folgenden Gedanken bereits tausende Male durchgekaut. »Mit den richtigen Medikamenten, ja. Aber dazu fehlen mir die Mittel. Es wird wohl noch ein paar hundert Jahre dauern, bis die Herstellung von Viruzid wiederentdeckt wird. Ich wüsste nicht einmal, wo ich die Komponenten herbekommen soll.«

»Wie hast du es dann bei mir gemacht?« Missmutig verzog Kain das Gesicht. Keine verdammte Ahnung, was ein Virudingsda sein sollte, aber schließlich stand er selbst hier und verspürte keinerlei Bedürfnis, sich an den Eiern zu lecken oder Stöckchen zu holen.

»Mit Nachdenken.« Sein alter Freund tippte sich gegen die Schläfe und lächelte leicht. »Das Virus ist tückisch. Erst gaukelt es deinem Körper vor, harmlos zu sein wie eine Erkältung. Aber bricht es aus, blockiert es sämtliche rationalen Handlungen. Deine Kräfte hätten dich sofort heilen können, aber du konntest deine Kräfte nicht benutzen. Du vergisst praktisch, wer du bist. Also musste ich dafür sorgen, dass dein Körper sich an die finstere Magie darin erinnert, damit sie dich heilen kann.«

»Ihr habt die Schatten herausgelockt?«

Dezmael nickte. »Ganz genau. Bei dir war das leicht. Wir mussten dich nur ein bisschen in die Badewanne tunken und schon hast du dich instinktiv komplett verflüchtigt. Die Schatten haben das Virus binnen Sekunden vernichtet und du bist bewusstlos wiederaufgetaucht.«

Nachdenklich sah Kain über die Schulter. Kurz versuchte er sich vorzustellen, wie sie ihn in der Badewanne ertränkten, aber es gab dringendere Fragen, die sich durch seinen Schädel bis auf seine Zunge drängten. »Trägt er deswegen Handschellen ohne Glyphen? Du willst, dass er sich teleportiert, oder?«

Mit einem schweren Atemzug stützte Dezmael sich auf seinen Stock. »Richtig. Aber ein Teleport erfordert Konzentration. Die Methode würde sehr wahrscheinlich genauso gut helfen wie bei dir, aber wir kriegen ihn einfach nicht dazu, sich zu porten. Das Virus sorgt dafür, dass er sich wie ein Tier verhält. Es gibt nur Instinkte, Blut und Fressen. Er kann sich nicht fokussieren. Und ich bin ehrlich, ich habe keine Ahnung, was wir tun können.«

Stumm wandte Kain sich zurück zu seinem Partner. Er ging näher heran, beugte sich über ihn, diesmal entschlossen, und streifte ihm die wirren Strähnen aus dem Gesicht.

Scheiße.

Eine tiefe Narbe zog sich durch Killians perfekte Züge. Sie begann am Kinn, verlief kerzengerade über seine linke Gesichtshälfte. Teilte sein Augenlid wenige Millimeter tief und endete über seiner Braue. Die Wunde war längst verheilt, aber die Narbe noch immer zu sehen.

»Weihwasser«, ergänzte sein alter Freund, als hätte er seine Gedanken gelesen.

Langsam senkte Kain den Blick zu seiner linken Hand. Betrachtete die Lücke zwischen seinen Fingern, dann die verbeulte Unterarmschiene. Die Länge der Klinge passte. Der fehlende Finger auch. Es gab keine andere Erklärung. »Ich habe sein Gesicht zerschnitten und dabei meinen Finger abgetrennt.«

Der Magier schwieg. Betrachtete ihn aus dem Türrahmen, beinahe mitleidig. Kain erwiderte seinen Blick kalt. Er hasste Mitleid. Vor allem, wenn er es verfickt noch mal nicht verdiente. »Woher hatte ich bitte Weihwasser?«

Dezmael zuckte ratlos mit den Schultern. »Ich war nicht dabei. Aber die anderen sagten, dass Killian wohl etwas davon bei sich trug.«

Das letzte Mal hat er es gegen dich benutzt.

Richtig, der geweihte Schlagring. Den sein Partner nach Ciscos erstem Auftauchen benutzt hatte, um ihm die Fresse zu polieren und ihn aus der Schattengestalt zu zwingen. Killian hatte mal erwähnt, dass er den Rest behielt, um ihm im Notfall die Lichter auspusten zu können. Kain zuckte bitter mit den Mundwinkeln. Tja, jetzt waren sie wohl quitt.

Langsam ließ er seinen Blick schweifen. Neben dunklen, eingefallenen Augenrändern bemerkte er lauter kleinere Schnitte an den Wangen und am Hals, wie von Splittern. Offenbar hatte er seinem Partner das Fläschchen Weihwasser aus nächster Nähe ins Gesicht geschmettert. Fast sah es aus, als wollten die Blessuren die größere Narbe verzieren. Aber das war nicht nötig. Killians Gesicht war noch immer perfekt und verdammt noch mal nichts auf dieser Welt konnte etwas daran ändern. Nie.

Plötzlich zuckte der andere Sündenfresser hoch. Knurrte, schwang den Kopf desorientiert umher, als wäre er aus einem schlimmen Traum erwacht. Mit einem wütenden, bellenden Laut schnellte er vor, schnappte blindlings durch die Luft und fletschte die Zähne. Die Ketten spannten sich um seine Brust und hielten ihn an Ort und Stelle, während er verkrampft gegen die Fesseln ankämpfte. Seine Mundwinkel strotzten vor getrocknetem Blut, und unweigerlich fragte Kain sich, was sie ihm zu essen gaben.

Er konnte den Anblick kaum ertragen. Vor allem tat es weh. An Stellen, die ein Leben lang nicht einmal gezuckt hatten. Sein Herz verkrampfte sich und stach ihm gegen die Rippen, als wollte es ihn von innen zerreißen. Kain fasste sich mit einer Hand an die Brust und drückte dagegen. Das Ziehen verstärkte sich. Er schloss die Augen und ertrug es hilflos. Sicher, er hatte schon wesentlich Schlimmeres gesehen. Schlimmere Dinge selbst getan, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber das hier war Killian. Stolz und eitel und klug. Und es war verdammt noch mal seine beschissene Schuld, dass er sabbernd und zähnefletschend auf dem Stuhl kauerte. Vielleicht für immer.

Keuchend schnappte Kain nach Luft. Das Stechen schwoll an. Er sackte in sich zusammen. Er hielt sich gerade so auf den Beinen, konnte kaum atmen und jeder Zug tat so unendlich weh, als würde er Nadeln einatmen.

Hinter ihm klackerte der Gehstock. »Alles in Ordnung? Du solltest dich ausruhen. So ein Virus ist kein Spaß und belastet vor allem deine Organe …«

Mit einem Mal wandte Kain sich ab. Beide Lippen vor Schmerzen aufeinandergepresst torkelte er zielsicher an Dezmael vorbei aus dem modrigen Raum.

»Was ist los?«, wollte der Magier verdutzt wissen.

»Ich gehe eine verfickte Lösung suchen.« Er humpelte zur Treppe, schleppte sich nach oben, riss mit einer Hand die Tür auf, presste die andere weiter gegen den Schmerz und drückte sich durch den Spalt.

»Und was bitte hast du vor? Du kannst ja kaum laufen!«

»Keine Ahnung.« Die Tür zum Keller des Nalarthier fiel hinter ihm ins Schloss und Kain schleppte sich weiter vorwärts. Sein linker Arm kribbelte unangenehm, fühlte sich taub an. Licht. Zu grell für seine Augen. Die knarzenden Dielen des Gasthauses. Zu laut für seine Ohren. Einen Moment hielt er inne und stützte sich an einer Kommode. Scheiße, hörte dieses Ziehen auch irgendwann wieder auf? Trotzig presste er beide Hände auf das Holz unter seinen Fingern und schloss die Augen. Atmete ein paar Mal tief durch. Es half zumindest ein bisschen.

Kurz darauf schwang die Kellertür erneut auf. Dezmaels Gehstock klackerte über das Holz, bis der Magier neben ihm zum Stehen kam. »Versteh mich nicht falsch, aber deine Ideen sind in der Regel ziemlich fragwürdig. Würdest du mich einweihen?«

»Es gibt nichts einzuweihen, ich muss nachdenken.« Kain schob sich an seinem alten Freund vorbei in den Gastraum und knallte fast mit Jasko zusammen, der mit Bettwäsche beladen fluchend zur Seite torkelte.

Ungerührt marschierte Kain an ihm vorbei, spürte die fragenden Blicke in seinem Rücken, doch er ignorierte sie. Er nahm die Treppe zum ersten Geschoss, ständig begleitet von dem Klackern von Dezmaels Gehstock. Es machte ihn wahnsinnig. Er konnte so nicht denken. Das Stechen wurde wieder schlimmer und für die letzten Stufen musste er sich am Geländer hochziehen.

»Kain, das ist keine Lösung. Du musst dich ausruhen und klarkommen, dann können wir versuchen, etwas zu unternehmen.«

»Ich bin klar. So scheiße klar war ich selten«, gab er knurrend zurück und betrat den Gang mit ihren Zimmern. Eines davon stand offen und er hörte Mercutios Stimme. Dieser redete offenbar mit der hübschen Kellnerin, zumindest hörte er sie über Bettwäsche diskutieren. Auch ein Teil der Diebesgilde schien anwesend, denn er hörte Pamela und Sima ein paar Türen weiter anzüglich lachen. Schwungvoll nahm er die letzten Meter und platzte regelrecht in sein Zimmer, was die Diva und die Kellnerin dazu brachte, ihn verdutzt anzusehen. Kain hob einen Arm und zuckte nur schmerzverzerrt mit dem Mundwinkel. »Raus. Sofort.«

Von einer Sekunde auf die andere ließen die beiden alles stehen und liegen und schlichen sich regelrecht an ihm vorbei nach draußen. Kurz darauf tauchte Dezmael im Türrahmen auf und sah ihn ernst an. Mit diesem beschissenen, mitleidigen Blick. »Du solltest jetzt nicht alleine sein.«

»Ich brauche dein Mitleid nicht.«

»Ich will nur …«

»Willst du mit mir duschen?«, fuhr Kain gleichgültig dazwischen und lächelte den Magier süffisant an, bis dieser die Augen verdrehte.

»Du bist wirklich ein nerviges Miststück.« Sein alter Freund sah ihn an, als wollte er seinen Kopf mit bloßen Blicken explodieren lassen, doch schließlich umfasste er seinen Gehstock fester und klackerte mit gerecktem Kinn und einem ziemlich vehementen Fuck davon.

Kain schlug die Tür ins Schloss und drehte den Schlüssel um. Er verharrte reglos, fuhr sich über die Stirn, spürte die trockenen, klumpigen Blutreste unter seinen Fingern.

Dieses Bild. Killian auf dem Stuhl, kauernd, schmutzig, verwahrlost, völlig irre. Es passte nicht zu ihm. Er war ein verdammter Prinz. Und auch wenn diese Tatsache sowas von keine verfickte Rolle spielte, krampfte sie seine Eingeweide zusammen. Er ertrug es kaum. Erst Cisco. Jetzt Killian. Ilyor war verschwunden. Und er ganz alleine.

Mit einem Mal stieß er sich von der Tür ab. Er wankte durch den Raum, durchwühlte ein paar Schränke, ignorierte das Stechen in seiner Brust und warf Shirts und Hosen wenig rücksichtsvoll aus Schubladen. Endlich fand er Handtücher. Auf dem einzigen Bett stapelte sich außerdem typisch ashkanische Kleidung, eine schwarze Jeans und ein ebenso dunkles, langarmiges Hemd mit Knöpfen und Kragen. Ein graues Shirt ohne Ärmel für darunter. Auf dem Boden lagen ein paar knöchelhöhe Stiefel übereinander, die ungefähr seine Größe haben mussten.

Er lud sich alles auf den Arm und verschwand im Bad, legte sein Zeug auf eine hölzerne Ablage und warf einen Blick in den Spiegel über dem Waschbecken. Kontrollierte die Haut in seinem Gesicht, prüfte seine Zähne. Alles heil und noch da. Ungelenk ließ er sich auf dem zugeklappten Toilettendeckel nieder und schnürte seine Stiefel auf. Sie standen vor getrocknetem Blut und Dreck. Er musste ziemlich fest an den Senkeln reißen, um sie aufzubekommen und es dauerte eine ganze Weile, bis er die Teile ausziehen konnte. Seine Füße pochten erleichtert, als er sie auf die kalten Fliesen stellte und einen Moment lang genoss er die Kälte. Dann machte er sich an die Hose. Fummelte den Knopf auf, der dabei einfach abriss. Nach einigen Minuten schaffte er es, sich herauszuschälen und warf das Leder auf einen Haufen zu seinen Schuhen. Selbst seine verfickte Unterhose stand vor Blut, Schweiß und Pisse. Angewidert warf er sie zu dem Rest. Dieser Geruch nach nassem, stinkendem Hund. Widerlich.

Er knöpfte sein Hemd auf, streifte es über den Kopf. Sah zurück zum Spiegel, fuhr sich mit einer Hand über den Rippenbogen, weiter über die nackte Brust. Bis auf ein paar ältere Narben, die einfach nicht verschwanden, war alles nahezu makellos. Aber scheiße, sein Hals sah aus, als hätte jemand versucht, ihn mit Stacheldraht zu erwürgen. Vorsichtig zog er die dunkelrote Blessur mit einem Finger nach. Er spürte den feinen Schnitt in der Haut, der an der linken Seite tiefer prangte und eine Kerbe bildete. Er hatte offenbar wirklich versucht, sich mit seinen Schwertern den Kopf abzuschneiden. Und wenn er das Ergebnis so betrachtete, hatte er bei seinem hirnlosen Weihwasserangriff auf Killian wohl einiges selbst abbekommen. Anders konnte er sich jedenfalls nicht erklären, wieso diese Wunde eine der wenigen war, die noch immer bei jedem Kopfdrehen unangenehm zog und kribbelte.

Genervt riss er sich von dem Anblick los, lief über die Fliesen in eine Ecke mit steinernem Boden, in der die Wasserbrause hing. Stumm betrachtete er das Metall einen Moment lang. In Skelesh gab es solche Duschen selten. Höchstens in teuren Bordellen oder in den Villen des Adels. Doch hier schien es völlig normal zu sein, dass es sie gab. Die Herstellung und der Anschluss konnten also nicht so super kompliziert sein, wie die wenigen Händler in Skelesh behaupteten.

Vorsichtig nahm er etwas Abstand zur Brause und legte einen kleinen Hebel um. Dann drehte er den metallischen Knopf mit der Gravur warm auf. Über der Armatur leuchtete schwach ein fingernagelgroßer Kristall rot auf, dann begann das Wasser zu fließen. Prüfend hob er eine Hand darunter. Viel zu heiß. Er fasste den Knopf daneben, drehte ihn und ein blauer Kristall bestätigte, dass es funktionierte. Nach einigen Versuchen bekam er eine angenehme Temperatur hin und stellte sich mit einem tiefen Atemzug unter die Brause.

Unzählige Tropfen prasselten auf seinen Körper. Es hätten ebenso Steine sein können, oder Vorwürfe. Es machte keinen Unterschied. Er legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Spürte den Tropfen nach, die über sein Gesicht flossen. Das Wasser tat gut. Aber es konnte den Schmerz nicht abwaschen. Weil dieser verdammt noch mal nicht auf seiner Haut lag, sondern darunter. Langsam öffnete er die Augen und starrte die Brause an. Musste blinzeln und senkte den Kopf. Vorsichtig wusch er die schwarzen Strähnen aus. Sie waren länger geworden. War ihm kaum aufgefallen. Blut tropfte auf seine Finger, wässrig, verlief sich und plätscherte auf den Steinboden, bevor es in den Abfluss sickerte. Eine Weile lang folgte er dem Farbenspiel mit seinem Blick, dann betrachtete er seine linke Hand. Bewegte seine Finger, ballte sie zur Faust. Fühlte sich nicht an, als würde der fehlende Teil wieder nachwachsen. Er musste wohl damit leben. Verdammt, er hatte es verdient. Es war besser, wenn er sich jede Sekunde daran erinnerte.

Am liebsten hätte er sich für immer in die Ecke der Dusche gesetzt. In den warmen, behaglichen Dunst, der die heißen Tropfen auf seinen Wangen verwässerte, bevor sie kaum mehr salzig auf seine Lippen trafen. Er wollte nicht zurück in die Welt. Dort gab es nichts als Probleme und die Hälfte davon war seine Schuld. Und er zu ausgebrannt und zu müde, sie zu lösen.

Wassernebel stieg immer dichter auf, hing schwer in dem kleinen, fensterlosen Raum. Jeder Atemzug fühlte sich klamm und mühselig an. Keine Ahnung, wie lange er schon duschte. Aber er musste langsam nach draußen, wenn er nicht ersticken wollte. Trotzdem konnte er sich einfach nicht dazu bringen, die Brause abzustellen. Nur noch fünf Minuten, nahm er sich fest vor. Keine Sekunde später schenkte er sich selbst ein amüsiertes, leeres Lächeln. Ja klar. Als würde er in fünf verfickten Minuten auch nur ein Stückchen mehr bereit sein.

Widerwillig wandte er sich um und stellte die Brause ab, bedauerte die fehlende Hitze auf seiner Haut, während die letzten Tropfen auf seine Schultern rieselten. Er packte das Handtuch, trocknete sich ab, fischte die saubere Kleidung von der Ablage. Zog sie an, obwohl sie sich feucht anfühlte. Die Sachen passten erstaunlich gut, waren minimal zu groß. Am meisten überraschten ihn in die Stiefel, die sich nahezu perfekt um seine Füße schmiegten. Es gab echt kaum etwas, das er mehr hasste als schlecht sitzende Schuhe.

Er stieß die Tür auf, verließ das Bad. Dunst schwappte in das Zimmer wie eine Welle aus Wolken. Er öffnete eines der Fenster im Vorbeilaufen und sofort strömte kalte Luft herein. Beißend und trocken. Der Winter erhielt eindeutig Einzug. Zwar gab es keinen Schnee, wie er mit einem Blick nach draußen feststellte, aber Frost krallte sich in die kargen Bäume im Park, den er von hier aus betrachten konnte. Nur ein paar Hecken trotzten der Jahreszeit mit ihrem grünen Kleid und brachten etwas Farbe zwischen die Häuser, die ohne Sonne irgendwie trist wirkten. In Skelesh war es um diese Zeit noch etwas wärmer. Zumindest in der Regel. Der Schnee kam erst im Janus oder Februs und meistens gab es nicht viel. Doch hier war es jetzt schon so verdammt kalt und vielleicht würde es in den nächsten Tagen wirklich schneien. Der Himmel sah danach aus.

Sieh mal, auf dem Tisch.

Widerwillig wandte er den Kopf vom Fenster ab und lief durch den Raum. Tatsächlich lag ein gekritzelter Zettel auf dem kleinen Beistelltisch, direkt neben einer Flasche Whiskey und zwei bauchigen, dicken Gläsern. Wir müssen sprechen. Dringend. Komm, wenn du fertig bist. Dezmaels Handschrift. Wie auch immer zur Hölle der Penner hier reingekommen war, obwohl er abgeschlossen hatte.

Kain knüllte den Zettel zusammen und warf ihn durch den halben Raum in den Mülleimer. Was für ein Treffer, mitten rein. Noch während er sich über den perfekten Wurf freute, bemerkte er einen schwarzen Ledermantel, der über einer Stuhllehne hing. Auch davor lag ein Zettel auf der Sitzfläche. Langsam schlenderte er darauf zu und hob das Papier auf. Leider nicht verstärkt. Mercutios schnörkelhafte, beinahe niedliche Handschrift. Besaß hier eigentlich jeder verfickte Idiot einen Schlüssel zu seinem Zimmer?

Seufzend warf Kain den Zettel hinter dem ersten her und traf wieder auf Anhieb. Na toll. Einmal war echt okay, aber ein zweites Mal sprach bloß dafür, dass er sein ohnehin spärliches Glück gerade mit Papierknöllchen aufbrauchte. Murrend fummelte er seine nassen Haare mit dem Haarband halbwegs zurecht und griff den Mantel von der Lehne.

Dann verließ er das Zimmer.

 

[Spiel]

Substantiv, Neutrum.

[…] etwas, das nach festgelegten Regeln durchgeführt wird.

 

 

Phexon. Nalarthier. 901 n.K.

 

Dezmael saß in dem kleinen Zimmer an einem Tisch am Fenster und sah irgendwie müder aus als sonst. Kain stand stumm im Türrahmen, beide Arme verschränkt. Er lungerte seit Minuten hier, betrachtete seinen alten Freund, wie er dasaß, sinnierte und ihn anscheinend nicht bemerkte. Gut, dann wollte er doch mal auf sich aufmerksam machen, bevor ihm der Kragen platzte. »Was soll der ganze Scheiß?«, wollte er schließlich wissen.

Der Magier sah aus Gedanken gerissen zu ihm auf und rieb sich über die Augen, als hätte er in seinem Tagtraum jemand völlig anderen erwartet. »Das ist wirklich deine erste Frage? Und geht das auch etwas präziser?«

Schulterzuckend warf Kain ihm einen spöttischen Blick zu. »Sicher. Du sagtest immer, du darfst Skelesh nicht verlassen, nicht eingreifen … und jetzt sitzt du hier. Kommt mir etwas scheinheilig vor.«

»Ich hatte keine andere Wahl.« Mit einem fahlen Lächeln musterte Dezmael ihn von oben bis unten. »Außerdem musste ich noch etwas erledigen. Ich konnte nicht früher kommen.«

»Ach, was denn?«

»Etwas«, wehrte der Magier seine Frage kühl ab.

Kain schüttelte den Kopf, doch er sparte sich auszusprechen, was ihm auf der Zunge lag. Es brachte ja doch nichts. »Warum bist du hier?«

»Ich habe Nachforschungen angestellt und muss dir dringend etwas sagen.«

»Nein, wer hätte das gedacht.« Vorwurfsvoll sah er seinem alten Freund in die Augen. »Jetzt bin ich aber gespannt. Übrigens, eine Ausrede, warum du nicht früher aufgetaucht bist, wäre auch nicht schlecht, wenn ich jemals wieder mit dir reden soll.«

»Es hat alles ... etwas gedauert.« Dezmael fuhr sich mit einer Hand durchs Gesicht und wirkte ziemlich gequält. Auffordernd sah er ihn dabei an, als wollte er das nicht zwischen Tür und Angel klären.

Einen Moment lang erwiderte Kain seinen Blick einfach nur. Dann gab er seine verschränkte Haltung seufzend auf, schloss die Tür hinter sich und trat näher an den Tisch, an dem der Magier ihm bedeutete, Platz zu nehmen. Eine kleine Kanne dampfenden Tees stand darauf, dazu nur eine Tasse. Es roch nach Kräutern. Dezmael machte einen verspannten Eindruck, fast, als hätte er Angst oder als fühlte er sich nicht sicher. Seine Hände machten diese leichten Bewegungen, sein Blick glitt immer wieder nervös aus dem Fenster.

Kain ließ sich auf den Stuhl vor die Tasse sinken. »Schön. Leg los. Ich bin ganz Ohr.«

Der Magier lehnte sich auf dem Stuhl zurück und zog seinen Stock so, dass er sich darauf stützen konnte, obwohl er saß. »Was ich dir jetzt sage, ist wirklich wichtig, also hör mir gut zu. Shikhu, Nazreth, …«

»Zhekiel und Aineo waren nicht nur irgendwelche Sündenfresser, sondern Alphas?«, ergänzte Kain trocken und ignorierte den schockierten Blick seines Gegenübers. »Hat mir mein toter Ex erzählt. Leider kam er nicht besonders weit in seinen Ausführungen, weil er mich dringend wieder sitzenlassen musste. Er hat auch gesagt, wir wären verfickte, leckere Kirschen auf einem Sahnekuchen. Also, wenn du schon so in Plauderlaune bist, kannst du mir das ja vielleicht erklären«, fügte er mit einem süffisanten Lächeln hinzu.

Mit offenem Mund sah Dezmael ihn an. Er zog beide Brauen zusammen, als hätte ihm der Gesprächston kein bisschen geschmeckt, aber als wäre er zu überrascht, gleich dagegen zu wettern. »Hör mal, ich weiß, dass du wütend auf mich bist, aber ich weiß auch nicht viel mehr als du, niemand tut das! Ja, ich hätte dir vielleicht von der alten Welt erzählen können, aber du hast ja keine Vorstellung davon, wie das Leben dort war. Du kannst es dir nicht einmal im Ansatz ausmalen, ohne es gesehen zu haben, und ich weiß das, weil ich dort verdammt noch mal gelebt habe!«

»Du hättest es versuchen können.«

»Ach ja? Erinnere dich. Als du mit Cisco in meiner Hütte aufgeschlagen bist, warst du am Ende. Du bist gestorben. Du hast erfahren, was du bist und verdammt, hätte ich dir da noch von Flugzeugen, Fernsehern und dem Internet erzählen sollen? Oder davon, wie Plastik uns alle beinahe ausgelöscht hätte, lange bevor Mithor überhaupt geboren wurde?«

Stumm presste Kain beide Lippen aufeinander.

Dezmael seufzte gedehnt. »Ich habe versucht, dir zu erklären, was du wissen musst, um zu überleben.«

»Hat super funktioniert«, gab Kain mit einem trockenen Lächeln zurück.

»Du bist unfair.«

»Und du glaubst immer zu wissen, was für alle das Beste ist, mit deinen blöden Geschichten und Sprüchen.« Schnaubend sah er den Magier an und deutete mit einer Hand durch den Raum. »Ist es überhaupt wahr, was du mir damals erzählt hast? Immerhin scheint dir plötzlich eine Menge mehr dazu einzufallen.«

»Was soll das jetzt?«, verteidigte Dezmael sich sofort, machte eine harsche Geste in seine Richtung und stieß dabei den Stock um. »Ich bin nicht dein Feind«, setzte er zickig hinterher, ehe er aufstand und sich auf den Tisch stützte, als hätte er das Bedürfnis, seine Verteidigung auszubauen. »Außerdem bin ich jetzt hier und ich kann helfen.«

Gereizt biss Kain sich auf die Unterlippe. Er wollte über den Tisch stürzen und seinen alten Freund am Kragen packen, doch er schluckte die Schatten herunter, die aus ihm auszubrechen drohten wie eine tödliche Wolke. »Hoffentlich ist deine Hilfe dieses Mal wirklich nützlich.«

»Es tut mir leid, okay? Ich weiß auch nicht immer alles und selbst jemand wie ich macht Fehler. Ich mache andauernd Fehler.« Mit einem genervten Brummen ließ Dezmael sich regelrecht zurück in den Stuhl fallen und starrte aus dem Fenster, während er sich nervös über das Kinn rieb.

Stumm folgte Kain seinem Blick. Draußen hatte es zu regnen begonnen. Nieselregen. Oder feiner Schnee, schwer zu sagen. Langsam atmete er tief durch, leerte seinen Tee, schenkte sich beiläufig neuen ein. Hauptsache er musste seinen alten Freund nicht ansehen. Er tat ihm nämlich leid, irgendwie, und er brachte ihn verfickt noch mal auf die Palme. Gleichzeitig.

Seufzend schüttelte Dezmael schließlich den Kopf. »Können wir jetzt also bitte mit den Vorwürfen aufhören und reden? Es ist wichtig.« Er musterte ihn eindringlich und schien auf seine Zustimmung zu warten.

Kain verdrehte die Augen, doch er nickte schwach.

Sichtlich zufrieden bückte Dezmael sich unter den Tisch, um seinen Stock aufzuheben, auf dem er kurz darauf wieder beide Hände ablegte. »Du weißt über die Alphas Bescheid, gut, dann kann ich mir das ja sparen. Das Problem an der Sache ist: Der Ritus zum Aufstieg, von dem ich damals gesprochen habe … es erfordert vier Opfer dafür. Ihr, als Alphas, seid diese Tribute.« Er wandte seinen Blick zurück und sah ihn mitleidig an.

Verwirrt zog Kain beide Brauen zusammen. »Wir sollen Ephraim also nicht helfen, zum Blutgott zu werden, sondern … einfach nur für ihn draufgehen?« Super. Das hatte Ilyor wohl mit den leckeren Kirschen gemeint. Ephraim würde sie einfach schlucken.

»Eure Kraft und Lebenszeit wird beim Aufstiegsritual irgendwie auf ihn übertragen. Deswegen braucht er euch wohl so dringend lebend.«

»Und wie genau soll das funktionieren?«

»Tut mir leid, das weiß ich nicht. Ich musste das Buch der Vier Zeiten zu ein paar sehr alten Freunden bringen, um überhaupt an diese Informationen zu kommen.« Zerknirscht biss Dezmael sich auf die Zunge. Er machte tatsächlich den Eindruck, eine Menge Strapazen durchgestanden zu haben und kurz fragte Kain sich, ob er dafür getötet hatte. »Aber es ist wohl besser als nichts. So wissen wir wenigstens, was auf euch zukommt und was Ephraim im Schilde führt.«

»Besser als nichts. Wow«, wiederholte Kain trocken und nippte an seinem Tee. Er sollte also für den kranken Magier geopfert werden, genau wie die anderen drei. Was für Neuigkeiten und das vor dem Frühstück. Trotzdem ließen sie ihn kalt. Vielleicht, weil er seit über vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen hatte. Vielleicht, weil er es längst vermutet und sich damit abgefunden hatte, dass es an ihrer Geschichte absolut nichts Gutes gab. Aber auch wenn Dezmael glaubte, Antworten gefunden zu haben, warfen diese wieder nur mehr Fragen auf. »Du weißt schon, dass uns das genau gar nicht weiterhilft?«

»Oh doch, denn es sagt uns, dass er euch alle vier braucht. Lebend und an einem Ort. Das kann ein Vorteil für uns sein.«

»Toller Vorteil. Wir wissen nicht einmal, wer oder wo alle Alphas sind. Und wenn ich das richtig verstehe, gab es in der alten Welt auch einen Shikhu.« Als sein Gegenüber nickte, fuhr er fort. »Was ist mit ihm? Mit den anderen? Sind sie tot?«

»Ich gehe davon aus.« Dezmael nickte nachdenklich. »Ephraim geht sehr effizient vor, er hätte keine neuen Opfer erschaffen, wenn es die alten noch gäbe.«

»Und nach welchen supertollen Gründen hat er uns ausgesucht?«

»Ich weiß es nicht.«

»Komm schon Dez, es muss etwas geben! Wieso verdammt noch mal Killian? Oder ich?«

»Ich weiß es wirklich nicht, verflucht noch mal!«, fuhr der Magier ihn regelrecht an, ehe er sich offensichtlich mit Mühe beruhigte. »Das kann wohl nur Ephraim beantworten. Aber … es gibt da noch etwas, das ich dir sagen muss.« Er fuhr sich nervös durch die Haare, als suchte er möglichst einfache Worte für seine nächste Erklärung. »Unsere Karten stehen nicht so schlecht, wie du vielleicht denkst. Ephraim mag vor einem halben Jahr Mithors Körper aus dem Aethernitum gestohlen haben, aber Mithor ist nicht vollständig. Er kann ihn so nicht opfern oder benutzen.«

Kain zog die Stirn in Falten. »Was meinst du mit Mithor istnicht vollständig?«

»Na ja, die Ältesten haben seine Seele getrennt von seinem Körper verwahrt, als sie ihn damals fanden. Sie wollten nicht, dass jemand in Zukunft versuchen könnte, ihn für seine Zwecke zu missbrauchen und töten konnten sie ihn auch nicht.«

Kain starrte ihn einfach nur an. »Eph hat also bloß Mithors Körper aus dem Aeternitum geklaut, als er dort eingebrochen ist?«

»Ja, und ich bin mir ziemlich sicher, dass er deswegen mächtig wütend ist.«

Kopfschüttelnd senkte Kain den Blick in seinen Tee, ehe er sich mit einer Hand langsam, geduldsuchend über die Schläfe rieb. Mann, wie sehr er sich an all diese verrückten, magischen Dinge gewöhnt hatte. In seinen eigenen Ohren klang es nicht einmal mehr anders, als hätte Mithor Khazik seinen verfickten Schuh verloren, statt seiner Seele. »Also ist Mithor, oder vielmehr Aineo, noch als Trumpf im Spiel. Was ist mit Zhekiel?«

Dezmael zuckte mit den Schultern. »Tot, oder versteckt.«

»Schön.« Kain nippte mit einem spöttischen Lächeln an seinem Tee. »Hätte wirklich geholfen, all das früher zu wissen.«

»Kain …«, erwiderte Dezmael genervt. »Es ging nicht früher, tut mir leid, und ich sage das zum letzten Mal. Nimm es an oder nicht.«