Der Tag, an dem ich mich betrank und einen Dämon rettete - Kimberly Lemming - E-Book

Der Tag, an dem ich mich betrank und einen Dämon rettete E-Book

Kimberly Lemming

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Beschreibung

Die TikTok-Sensation endlich auf Deutsch!

Alle fünfzehn Jahre wird die magische Barriere, die das Böse aus dem Reich Kinnamo fernhält, durchlässig. Die Göttin Myva erwählt dann Champions, strahlende Heldinnen und Helden, um die Monster zurückzuhalten und die Barriere zu erneuern. Gewürzhändlerin Cinnamon wurde auch diesmal nicht auserwählt, den Göttern sei Dank. Sie feiert in der Kneipe den Abschied der neuen Helden, und vielleicht hat sie dabei etwas zu tief ins Glas geschaut. Denn dass sie in dieser Nacht dem Dämon Fallon das Leben rettet, war ganz sicher nicht geplant. Der revanchiert sich, indem er Cin in seinen Rachefeldzug gegen eine böse Hexe mit hineinzieht. Dass Fallon regelmäßig in Flammen aufgeht und dabei sein Shirt verbrennt, macht es Cin nicht leichter, Nein zu sagen …

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Seitenzahl: 320

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Das Buch

Alle fünfzehn Jahre wird die magische Barriere, die das Böse aus dem Reich Kinnamo fernhält, durchlässig. Die Göttin Myva erwählt dann Champions, strahlende Heldinnen und Helden, um die Monster zurückzuhalten und die Barriere zu erneuern. Gewürzhändlerin Cinnamon wurde auch diesmal nicht auserwählt, den Göttern sei Dank. Zusammen mit ihrer Freundin Brie und den restlichen Dorfbewohnern feiert sie in der Kneipe den Abschied von den neuen Helden, allen voran von Priscilla, die ein bisschen zu eingebildet für Cins Geschmack ist. Zugegeben, vielleicht hat sie dabei etwas zu tief ins Glas geschaut. Denn dass sie in dieser Nacht dem Dämon Fallon das Leben rettet, war ganz sicher nicht geplant. Der revanchiert sich, indem er Cin in seinen Rachefeldzug gegen eine böse Hexe mit hineinzieht. Dass Fallon regelmäßig in Flammen aufgeht und dabei sein Shirt verbrennt, macht es Cin nicht leichter, Nein zu sagen …

Die Autorin

Kimberly Lemming versucht seit Jahren, vor ihrer Berufung als Hauptfigur zu fliehen. Wenn sie nicht gerade an ihren Fantasyromanen schreibt, entkommt sie dem sexy Werwolf, der neu in ihre Stadt gezogen ist, und vermeidet jeden Augenkontakt mit verführerischen Prinzen aus fernen Ländern. Und wenn sie doch mal eine freie Minute hat, sitzt sie am liebsten mit einer Tafel Schokolade auf ihrer Couch.

KIMBERLY LEMMING

DER TAG, AN DEM

ICH MICH BETRANK

UND EINEN DÄMON

RETTETE

Roman

Aus dem Amerikanischen von

Bettina Hengesbach

WILHELMHEYNEVERLAG

MÜNCHEN

Titel der Originalausgabe:

THE DAY I GOT DRUNK AND SAVED A DEMON

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Deutsche Erstausgabe 02/2024

Redaktion: Melike Karamustafa

Copyright © 2021 by Kimberly Lemming

Karte © by @Saumyasvision/Inkarnate

Copyright © 2024 dieser Ausgabe und der Übersetzung

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München,

unter Verwendung des Originalmotivs

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN 978-3-641-30946-6V002

www.heyne.de

Trigger-Warnung

Dieser Roman enthält leichte Formen von BDSM, Dub-con, Gewalt, Erwähnungen von sexueller Gewalt (es kommen weder Vergewaltigungen noch sexuelle Übergriffe vor, sie werden jedoch in Gesprächen erwähnt) und sexuell eindeutige Inhalte, die manche Personen triggern könnten.

1

Ich hatte nur zwei Dinge im Kopf – Käse und wie ich nach Hause kommen würde. Überall um mich herum tanzten und sangen die Leute zur Melodie des betrunkenen Dorfbäckers, der mit Herzblut auf seiner treuen Laute spielte, während ihn seine Frau auf der Flöte begleitete. Trommelschläge erklangen im Rhythmus stampfender Füße, während das Dorf anlässlich des Festes zur Ernennung der Champions zum Leben erwachte.

Es war lange her, seit die Göttin Myva sich an einen von uns niederen Menschen gewandt hatte, damit dieser sich dem nie enden wollenden Kampf gegen die Dämonen anschließen möge, die hinter dem Tor von Volsog eingesperrt waren. Alle fünfzehn Jahre verlor die magische Barriere an Kraft und alle Arten von Ungeheuern drangen daraus hervor, um von den glitzernden Küsten bis hin zu den hohen, rauen Gebirgen des Nordens, wo nur die Hartgesottenen lebten, Verwüstung anzurichten.

Doch das war nicht der Grund, aus dem wir feierten. Nein. Der Grund für den Aufruhr im ganzen Dorf war die Tatsache, dass wir uns endlich der aufgeblasenen Göre entledigen konnten, die als Heldin auserwählt worden war.

Priscilla war ein nettes Mädchen, wenn auch ein bisschen eingebildet. Zumindest war sie das gewesen, bis ihr Gesicht während der Großen Berufung in dem heiligen Kelch erschienen war. Jedes Mal, wenn sich das Tor von Volsog öffnete, erfüllte die Göttin jeden ihrer vier Tempel mit einem Licht, um ihre Heldinnen und Helden zu bestimmen, die gegen die Dämonen kämpfen und das Tor erneut schließen sollten. Auch wenn es eine große Ehre war, ignorierten alle gern das winzige Problem, dass unsere Champions nicht immer zurückkehrten.

Es war eine Ehre, die ich mir für mich selbst nicht wünschte. Mir war es nur recht, dass Priscilla und die anderen Narren ausziehen und sich in Lebensgefahr bringen würden. Ich war zufrieden damit, weiterhin meine Gewürze zu verkaufen.

Diese Art von Selbstschutz machte mich bei den anderen Mädchen im Ort zu einer Art Außenseiterin. »Wer bitte will sich nicht mit einer Gruppe heißer Champions, die von der Göttin auserwählt wurden, auf ein großes Abenteuer begeben?«

Ich, Mädels. Nein danke.

Ein trainierter Bizeps ist nett, aber genauso nett ist es, sich nicht die Gedärme von einem Ork herausreißen zu lassen.

Doch die Aussicht darauf, die große Liebe mit einem gut aussehenden Helden aus einem anderen Dorf zu finden, genügte vielen Frauen, um darauf zu hoffen, von Myva als »glückliche« Gewinnerin auserkoren zu werden. Vielleicht haben wir als Kinder einfach zu viele Märchen gelesen.

Priscilla war eine von ihnen. Bald nachdem die fröhliche Blondine ihre neue Rolle eingenommen hatte, hatte sie nicht mehr aufgehört, damit zu prahlen, bis es an der Zeit gewesen war, sie mit Schwertern bewaffnet aus dem Dorf zu vertreiben.

Und Tschüs.

Das rief in mir die Erinnerung an meinen Ex wach, der aus ähnlichen Gründen den Ort verlassen hatte. Mein Mangel an Begeisterung dafür, mich von einem Ork fressen zu lassen, hatte ihn abgetörnt, er brauchte eine abenteuerlustigere Frau. Nachdem ich wochenlang geweint hatte, kam eine gute Freundin vorbei, um mich aus meiner Selbstmitleidsroutine herauszureißen, indem sie mich daran erinnerte, »dass der Typ scheiße ist«.

Wer brauchte ihn schon? Oder irgendeinen Mann? Liebe ist etwas für Leute, die nicht genug Wein zur Verfügung haben.

Mit einem von meiner Liebe zum Wein beeinträchtigten Gleichgewichtssinn stolperte ich auf meiner Suche nach mehr Käse aus der tanzenden Menge zu den Imbissständen. Als mir der Duft von Cheddar in die Nase stieg, ging ich schneller. Mit einem großen Schritt über den schlafenden Schmied hinweg, gefolgt von einem wenig grazilen Vorbeistolpern an leeren Weinflaschen, befand ich mich endlich am Käsestand, der meiner besten Freundin und Käseherstellerin Brie gehörte. Genialer Name für jemanden, der Käse machte. Ihre Mutter brüstete sich immer noch damit.

»Brie!«, rief ich laut genug, um die Musik zu übertönen, und stützte mich mit dem Oberkörper auf der Theke ab. »Brie, meine Käsegöttin! Gib mir deinen Gouda!«

Die Plane, die ins Hinterzimmer des Standes führte, wurde zur Seite geschoben, woraufhin meine grinsende Freundin zum Vorschein kam und die Hände in die Hüften stemmte. Ihre rosafarbenen Haare fielen ihr offen über die Schultern.

Die Farbe ihrer Locken überraschte mich für einen Moment, doch dann entsann ich mich wieder, dass wir uns heute Morgen darauf geeinigt hatten, uns die Haare rosa zu färben.

»Cinnamon Hotpepper, du bist ganz schön betrunken.«

Okay, ich sollte vielleicht erwähnen, dass sich auch meine Mutter mit der Namensfindung brüstet.

»Pff, du siehst aus, als hättest du deinen Kopf in einen Haufen Löwenmäulchen gesteckt.« Lachend betrachtete ich ihr Haar.

Sie wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und bedachte mich mit einem wütenden Blick. »Sagt die Frau, die diese geniale Idee überhaupt erst hatte. Wie lauteten deine Worte gleich noch mal, weise Maid? Lass uns unsere Haare rosa färben, nun, da die Göttin endlich ihr Opferlamm erwählt hat?«

»So was in der Art.« Oder besser gesagt, es stimmt.

Brie umfasste eine meiner rosa Braids und schnipste sie mir aus dem Gesicht, um ihren Standpunkt zu untermauern.

»Aber du kannst nicht behaupten, es hätte nicht gewirkt. Keine von uns beiden ist auserwählt worden; jetzt können wir feiern.«

Meine Freundin war schon immer von der rationalen Sorte gewesen und genauso wenig an Gefahr und Tod interessiert wie ich. Wir kleideten uns schlicht und bemühten uns, im Dorf nicht aufzufallen, damit wir nicht auserwählt wurden.

Es war allgemein bekannt, dass Myva hübsche Dinge mochte. Das Heldengespann bestand immer aus zwei Männern und zwei Frauen. Alle waren schön, extravagant und ein wenig verrückt, also nicht unbedingt die am besten Geeigneten für den Job. Manchmal fragte ich mich, ob Myva sie nur zu ihrer eigenen Unterhaltung auswählte.

Aber hey, ich bin keine Göttin, also was weiß ich schon?

»Genug mit der grimmigen Miene. Gib mir Cheddar und trink Wein mit mir.« Zu ungeduldig, um mich um Manieren zu scheren, griff ich nach einer Scheibe Käse und biss ein großes Stück ab. Der würzige Geschmack tanzte im Takt der Laute des Bäckers auf meiner Zunge, ehe ich einen Schluck Wein trank, um den Bissen runterzuspülen.

»Cin, meine Süße, ich weiß ja, dass es dir schmeckt.« Brie schüttelte missbilligend den Kopf und nahm mir das Glas aus der Hand. »Aber du hattest genug.«

»Hey! Ich hab noch nicht mal richtig angefangen zu trinken.«

»Es sieht eher so aus, als hättest du schon vier Gläser gehabt. Geh nach Hause, Cin. Ich hab erst in ein paar Stunden Feierabend. Aber morgen ist mein Bruder dran. Wenn dich dein Kater nicht umbringt, verspreche ich dir, dass wir am letzten Tag des Festes richtig einen draufmachen.« Meine treue Gefährtin unterbrach ihre mütterliche Schelte, um ein paar Scheiben Gouda einzupacken und sie mit einem strahlenden Lächeln dem Kunden neben mir zu reichen.

»V-Versprochen?«, stieß ich zusammen mit einem Schluckauf hervor.

»Ich schwöre auf den Tempel. Also geh nach Hause und schlaf deinen Rausch aus.« Ein strenger Ausdruck legte sich auf ihr herzförmiges Gesicht, aber ihre kohlschwarzen Augen funkelten amüsiert. »Denn morgen gibt es zwei Dinge zu feiern: Wir wurden nicht auserwählt, und wir sind endlich von Priscillas … Priscillahaftigkeit befreit.«

Ein Becher wurde krachend neben uns auf den Tisch gestellt, und wir zuckten beide zusammen. »Darauf trinke ich«, polterte der Schmied John, der auch eine Menge von Priscillas wichtigtuerischem Gehabe abbekommen haben musste, denn er hatte den Auftrag erhalten, ihr eine geeignete Waffe für ihre Reise anzufertigen. »Wenn noch mal jemand ein veilchenblaues Schwert bei mir in Auftrag gibt, das ›nicht zu schwer, aber auch nicht zu filigran‹ ist, setze ich mich umgehend zur Ruhe.«

Vielleicht hatte John sogar noch mehr abbekommen als wir.

Ich klopfte dem älteren Mann auf den Rücken. »Aber was für ein hübsches Schwert es geworden ist. Ich bin mir sicher, es wird unsere Heldin sicher nach Goldcrest City bringen.«

John lächelte und nickte stolz. »Es ist ein gutes Schwert, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Ich habe zwei ganze Monate gebraucht, um es herzustellen.« Der Schmied war ein ruppiger Kerl, ließ sich aber nie eine Chance entgehen, über seine Kreationen zu sprechen.

So nervtötend unsere kleine Heldin auch sein konnte, alle wollten, dass sie am Ende wieder nach Hause zurückkehrte. Vielleicht mit einem gut aussehenden Helden im Schlepptau. Sich vorzustellen, dass sie ein Happy End bekam, war leichter zu ertragen als der Gedanke, dass sie überhaupt nicht wiederkommen würde. Die auserwählten Helden waren noch nie gescheitert. Am Ende waren die meisten der Dämonen getötet oder wieder hinter das Tor zurückgedrängt worden.

Eine Frage ging mir jedoch nicht aus dem Kopf: Wenn die Göttin mächtig genug war, um alle Dämonen zu vertreiben, als sie damals in diesem Land eingetroffen war, warum brauchte sie dann alle fünfzehn Jahre Helden, um dies zu wiederholen?

Auf einmal brachte ein lauter Knall die Erde zum Beben und riss uns alle zu Boden. In der Nähe der Farm meiner Familie stieg eine gigantische Rauchwolke in Richtung Osten in die Luft.

Abgesehen von ein paar vereinzelten erschrockenen Schreien herrschte absolute Stille in der Menge.

»Was zur Hölle war das?«, lallte John.

Ich rappelte mich hoch und schaute mich panisch um.

»Sind alle okay?«, schrie ich.

»Alles g-gut«, stammelte Brie.

Die Dorfbewohner schauten sich besorgt um, während sie sich den Staub abklopften.

Das schallende Lachen des Bäckers, der gerade seiner Frau auf die Füße half, durchbrach die Stille. »Wo ist die gute Stimmung hin?« Er klopfte auf seine Laute und begann wieder zu spielen. »Versteht ihr denn nicht? Das ist unsere mächtige Heldin, die ihre Pflicht erfüllt. Tod den Dämonen! Zu dem Zeitpunkt, zu dem dieser Böller das Schloss erreicht, sind keine Dämonen mehr für die anderen Helden übrig.«

»Ja, das wird es sein. Zeig es ihnen, Priscilla!«, rief ein anderer Mann in dem Versuch, rasch jede Sorge bezüglich einer drohenden Gefahr zu vertreiben.

Im nächsten Moment brach die Menge in Jubelrufe aus und der aufgewirbelte Staub setzte sich langsam wieder am Boden ab. Jegliche Furcht schien verflogen, als erneut Musik einsetzte.

Brie schaute mich besorgt an. »Ich hoffe, dass es wirklich nur ein Böller war. Es sah aus, als sei die Rauchwolke in der Nähe eurer Farm aufgestiegen. Was ist mit eurer Ernte?«

Ich winkte grinsend ab. »Mach dir keine Sorgen um uns. Wir haben den Großteil der Herbsternte schon hinter uns. Falls unsere Felder getroffen wurden, gab es ohnehin nicht mehr viel zu zerstören.«

»Das ist gut.« Sie seufzte. »Aber dennoch. Ich glaube, du solltest nach Hause gehen. Du siehst immer noch ziemlich betrunken aus.«

»Ja, Mutter«, scherzte ich, verabschiedete mich nach einem letzten Bissen Käse von den anderen und verließ das Fest, um mich auf den Heimweg zu machen.

Heute schien der Mond nur schwach, aber zum Glück befand sich die Farm meiner Familie so nahe am Ortskern, dass ich auch nach Hause stolpern konnte, wenn ich genügend Alkohol im Blut hatte, um einen Elch zu töten. Das wusste ich, weil ich es schon ein Dutzend Mal getan hatte.

Ich ließ die Imbissstände und Laternenlichter hinter mir und bahnte mir unter dem funkelnden Sternenhimmel meinen Weg zwischen den Bäumen hindurch. Die beschwingte Musik hinter mir verklang in der Ferne. Ehrlich gesagt war es ein bisschen gruselig. Alles, was an mein Ohr drang, waren meine Schritte, die knirschenden Blätter unter meinen Füßen und das leise Knistern der Fackel. Es war so leise, dass ich meine eigenen Gedanken hören konnte. Was nicht optimal war. Gedanken führten zu Sorgen, und Sorgen führten zu …

Was war das für ein Geräusch?

Ich wirbelte herum und sah ein Eichhörnchen an einem Baum hinaufhuschen. Das kleine Tier hielt für einen Moment inne, um mich anzusehen, ehe es in der Baumkrone verschwand. Oh. Natürlich war es nur ein Eichhörnchen. Was hätte es sonst sein sollen? Das allgegenwärtige Rascheln der Blätter war wieder zu hören, als ich meine Angst verdrängt hatte und weiterging. Bis nach Hause waren es lediglich zwei Meilen. Es waren sicherlich nur meine Nerven, die noch immer von dem Knall blank lagen.

Als wollte er mich vom Gegenteil überzeugen, sprang plötzlich ein ganz in Schwarz gekleideter Typ mit dazu passendem Schal, der sein Gesicht bedeckte, vor mir auf den Weg.

Die Götter hatten eindeutig Lieblinge, und ich gehörte nicht dazu.

Er schwang einen kleinen Hammer und deutete damit auf mich.

Ich legte den Kopf in den Nacken und seufzte schwer.

»Gib mir deine Wertsachen, holde Maid, dann tue ich dir nichts«, sagte der Bandit.

»Holde Maid? Halt die Klappe. Wer bist du, mein Großvater? So redet doch niemand.«

Der maskierte Mann war nur wenig größer als ich, besaß aber dennoch die Frechheit, ungeduldig mit dem Fuß aufzustampfen und seinen Hammer höher zu heben. »Okay, na schön«, murrte er. »Gib mir einfach dein Geld, bevor ich wütend werde.«

»Welches Geld? Ich habe keines. Ich sollte dich ausrauben. Ich bin Farmerin, du Arschloch. Alle in der Gegend sind Farmer!« Das stimmte nicht ganz; meine Familie hatte gutes Geld mit unserer Zimternte verdient. Hauptsächlich weil wir die Einzigen waren, die Zimt anbauten … und weil wir niemandem verrieten, wie man ihn anbaute. Aber hey, man musste sich auf dieser Welt schließlich irgendwie durchschlagen.

Auch wenn das keinen Dieb etwas anging.

»Mir gefällt dein Umhang. Zieh ihn aus«, forderte er.

»Du trägst doch selbst einen Umhang. Warum willst du meinen? Du meinst diesen grünen mit den gelben Sonnenblumen am Saum?« Ich drehte mich im Kreis, um ihm das hübsche Muster zu zeigen, das meine Cousine Angelica im letzten Herbst für mich daraufgestickt hatte. »Meinst du wirklich, du kannst so was tragen? Ich weiß nicht recht.«

»Gib mir einfach den Umhang, Frau.«

»Macht ihr verfluchten Banditen das eigentlich nur zum Spaß? Ist euch so langweilig? Geh zum Fest und betrink dich, so wie jede andere normale Person.«

»Gib mir den verdammten Umhang, Frau.«

»Er wird dir nicht stehen. Selbst der zerfledderte Schal, der dir übrigens gerade vom Gesicht fällt, ist grenzwertig.«

Eilig zog der Bandit den Schal höher, um sein Gesicht zu verbergen, doch ich konnte einen kurzen Blick auf rotes Haar und sommersprossige Wangen erhaschen.

Hm, das ist keine Überraschung. War ja klar, dass es einer von den Huckabee-Jungs ist.

Mr. Huckabee war ein Fischer, der fünf Söhne hatte, aber keine Frau, die ihnen Manieren beibrachte. So blieb es an allen im Dorf und an mir hängen, sie ab und zu in ihre Schranken zu weisen. Sonst hätten uns ihre Streiche in den Wahnsinn getrieben.

»Vielleicht will ich ihn ja nicht selbst tragen – mal drüber nachgedacht? Ich gebe ihn … äh, meiner Freundin.«

»Harper.« Ich stemmte eine Hand in die Hüfte. »Sieh mich an. Du hast keine Freundin. Ich weiß nicht, wem du hier was vormachen willst.«

Seine Augen weiteten sich, und ich konnte mir genau vorstellen, wie lächerlich er mit offenem Mund unter dem Schal aussehen musste. »Ich bin nicht Harper. Ich bin nur ein Straßenräuber. Wie kannst du es wagen?«

»Du versuchst, mich auszurauben.« Das Metall des Hammers in seiner Hand funkelte im Mondlicht. »Harper, ich schwöre dir bei der Göttin, dass ich dir diese Fackel in den Hintern schiebe.« Ich umfasste die Fackel mit beiden Händen und schwang sie drohend in seine Richtung.

Harper ließ den Hammer sinken und legte den Kopf schief, um die Situation zu analysieren. Dann hob er langsam die Hände und wich leicht zurück. »Weißt du was, du hast Glück. Diesmal lasse ich dich entkommen. Lass uns die Sache einfach vergessen.«

»Lieber nicht, Fischjunge. Wie wär’s, wenn du mir deinen Umhang gibst?« Ich trat einen Schritt auf ihn zu und hob die Fackel höher.

»Nee, Cin, das alte Ding brauchst du nicht. Geh einfach nach Hause.«

»Aaaa-ha!« Mein Schrei hätte Tote wecken können, aber ich war viel zu betrunken, um mich darum zu scheren. »Woher weißt du, dass mein Name Cin ist, wenn du ein Straßenräuber bist?«

»Scheiße.«

»Jep, erwischt. Gib mir den Umhang.« Ich schoss auf ihn zu, doch er wirbelte herum und rannte in den Wald.

Ohne nachzudenken, jagte ich ihm hinterher. Warum, wusste ich selbst nicht genau. Ich wollte seinen Umhang nicht, aber ich hatte genug von seinen Streichen. Mit den Jungs gab es ständig irgendwelchen Ärger. Indem ich ihm den Umhang stahl, könnte ich mich zumindest dafür rächen, dass sie meine Pfefferschotenfelder platt getrampelt hatten, ohne sich darum zu kümmern, wie lange es gedauert hatte, sie wachsen zu lassen. Über so etwas konnte man nicht einfach hinwegsehen.

Harper war schon immer schnell gewesen, aber der Alkohol machte mich offenbar rachedurstig und trieb mich an, obwohl ich so ziemlich über jeden Stein und Ast stolperte, der im Weg lag.

Da es schwer war, ihn in seiner schwarzen Kleidung zu sehen, konnte ich bald nicht mehr ausmachen, wohin er gelaufen war. Meinem Instinkt folgend, bog ich an einer riesigen Eiche links ab und hoffte, dass ich ihn einholen würde.

Als ein leises Ächzen die Stille der Nacht durchbrach, lief ich eilig in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Mittlerweile rauschte mir das Blut in den Ohren. Doch statt des Möchtegern-Banditen entdeckte ich eine Stelle, an der es offenbar einen Felsrutsch gegeben hatte. Bäume waren zersplittert, und riesige Hügel aus Steinen hatten sich angesammelt. Das erklärte wohl den lauten Knall von vorhin. Der Dämon, der Priscilla vermutlich begegnet war, musste dieses Unheil angerichtet haben. Hoffentlich war unsere Heldin unbeschadet davongekommen.

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als ein weiteres leises Ächzen erklang. Panik machte sich in meiner Brust breit. Was, wenn eine Person aus dem Dorf bei dem Erdrutsch verletzt worden war?

»Wo bist du?«, rief ich. »Gib einen Laut von dir, damit ich dich finden kann.« Ich schaute mich nach Harper um. Wenn ich erst zurück ins Dorf lief, um Hilfe zu holen, könnte die verletzte Person längst zerquetscht worden sein, bis ich zurückkäme.

Als ich rechts von mir ein Husten hörte, kletterte ich vorsichtig über die Felsen und das Geröll, bis ich mich dem Geräusch näherte.

»Ich bin hier«, rief eine schwache Stimme.

Mehrere Äste bedeckten eine zusammengekauerte Gestalt, aber ich sah eine blasse Hand daraus hervorragen. Wer auch immer es sein mochte, die Person konnte sich glücklich schätzen, dass sie nur von Ästen getroffen worden war und nicht von dem Gestein. Ich war nicht schwach, aber ich war auch kein Ochse.

»Keine Sorge, Fremder, ich rette dich.« Als ich an seiner Seite angekommen war, stellte ich meine flackernde Fackel zwischen zwei Felsen, um beide Hände frei zu haben.

Vorsichtig begann ich, die Äste wegzuräumen. Das Gesicht des Mannes war von seinen Haaren bedeckt, die ihm bis zur Mitte des Rückens reichten, und er wirkte viel kräftiger als alle Menschen, die ich aus dem Dorf kannte. Er musste ein Vagabund sein. Niemand in Boohail hatte so lange Haare. Es verirrten sich nicht allzu viele Reisende hierher, aber vielleicht war sein Heimatort von Dämonen eingenommen worden, und er war hier, um Hilfe zu holen. Ich hoffte nur, dass das, wovor er davonrannte, nicht nach Boohail kommen würde – obwohl wir uns hier, in der Nähe des Dorfes, keine Sorgen um Dämonen machen mussten. Myvas Tempel war von einem mächtigen Schutzschild umgeben, den Monster nicht durchdringen konnten. Es umfasste eine so große Fläche außerhalb unseres Dorfes, dass wir selbst dann, wenn sich das Tor von Volsog öffnete, keine Gefahr fürchten mussten.

Langsam fuhr ich mit den Händen über den Körper des Fremden, um zu überprüfen, ob er Knochenbrüche oder irgendwelche größeren Wunden davongetragen hatte. Sein Umhang war zerfetzt. Aber abgesehen davon schien es, als würde er überleben. »Bist du verletzt? Kannst du aufstehen?«

»Ich bin total erschöpft.«

Die tiefe Stimme des Fremden sandte ein angenehmes Kribbeln meine Wirbelsäule hinab.

Er setzte sich auf, und ich kniete mich neben ihn, um ihn zu stützen. Wow, dieser Mann war riesig. Selbst im Sitzen überragte er mich. Ich strich ihm das lange Haar aus dem Gesicht, wobei mir auffiel, dass seine blasse Haut in einem starken Kontrast zu meinem dunkelbraunen Teint stand. Hier in Kinnamo brannte die Sonne auf uns herab, als würden wir ihr Geld schulden. Es war überraschend, dass der Mann nicht so rot war wie ein Krebs. Als ich mit dem Handgelenk seinen Mund streifte, seufzte er leise. Vielleicht lag es am Alkohol, oder möglicherweise war ich einfach paranoid, aber ich hätte schwören können, dass ich zwei Reißzähne zwischen seinen Lippen hervorblitzen sah.

Ich räusperte mich, um meine rasenden Gedanken zu verdrängen. »Du hast ganz schönes Pech gehabt, mitten in dieses Chaos hineingeraten zu sein. Hast du gesehen, was passiert ist?«

Der Mann gab einen erstickten Laut von sich, und sein Körper begann zu zittern. »Ja, das habe ich. Leider bist du aber diejenige, die in diesem Fall Pech hat. Ich fürchte, du musst deine Fackel nehmen und weglaufen. Es wäre mies, meine Retterin sterben zu lassen.«

»Was?«

Gelbe Augen, umgeben von seinen tintenschwarzen Haaren, glühten mich an. Der Fremde begann nun, stärker zu zittern, und ein tiefes Knurren kam ihm über die Lippen. »Lauf!«, brüllte er und riss seinen Kopf herum. Im schwachen Licht der Fackel verengten sich seine Pupillen zu katzenhaften Schlitzen, sein Körper bebte mittlerweile.

Mit einem Mal wich mir die Luft aus der Lunge, und im nächsten Moment erkannte ich, dass der Grund dafür die Hand war, die sich um meine Kehle gelegt hatte.

Der Mann, der ein Dämon war, wie mir mit einem Schlag klar wurde, riss mich vom Boden hoch.

Ich trat um mich, versuchte, mich aus seinem Griff zu befreien, aber genauso gut hätte ich probieren können, einen Felsblock von mir zu stoßen.

Als mich ein Knacken dazu veranlasste aufzuschauen, sah ich, dass Hörner aus dem Kopf meines Angreifers sprossen. Sie bogen sich nach hinten und zeigten am unteren Ende mit den Spitzen wieder nach vorn. Sie waren geformt wie ein S, das am Ansatz breit war und zu einem spitzen Dolch zulief. Gezackt und boshaft. Wahrscheinlich konnte er einem Menschen damit die Haut vom Körper reißen.

»Oh … verflucht, nein!« Für eine Sekunde war ich zwischen meinem Kampf- und Fluchtinstinkt hin- und hergerissen. Ich würde auf keinen Fall hier sterben. Ich packte die Fackel fester und rammte ihm das feurige Ende ins Gesicht.

Er brüllte und ließ mich fallen, um sich die Hände vor das brennende Gesicht zu schlagen.

In derselben Sekunde spurtete ich los. Ich bezweifelte zwar, dass ich jemals schneller sein würde als ein verdammter Dämon, aber ich hatte den Vorteil, mich hier auszukennen. Die Zimtfelder meiner Familie wirkten auf andere wie ein Labyrinth, und das war meine einzige Hoffnung. Mein Atem war nur noch ein abgehacktes Hecheln, doch ich zwang mich dazu, beim Rennen tief Luft zu holen. Hinter mir hörte ich, wie der Dämon ein zorniges Brüllen ausstieß, das durch das Geäst zu mir drang. Ich sprang zwischen zwei eng stehenden Bäumen hindurch, hoffte, dass dies sein Tempo verlangsamen würde, und bog nach rechts ab. Dabei betete ich, dass ich die Felder rechtzeitig erreichen würde.

Zu meinem Entsetzen erklang hinter mir ein lauter Knall, gefolgt von einem Knacken und Ächzen umfallender Bäume. Hatte dieser Narr tatsächlich gerade Bäume umgeworfen?

»Ich bin geliefert«, murmelte ich in die kühle Nacht hinein. Dann legte ich all meine Hoffnungen und Träume in meine Beine und rannte schneller.

Der rettende Geruch von Zimt stieg mir in die Nase, als ich die Felder erreichte. Ich duckte mich unter ein paar kleinen Bäumen hindurch und lief im Zickzack durch das Labyrinth.

Endlich verklangen die wütenden Schreie des Dämons.

Hat er mich aus den Augen verloren?

Da ich viel zu feige war, um über die Schulter zu schauen, lief ich weiter, bis ich die Mitte des Feldes erreicht hatte. In der Ferne hörte ich ihn knurren und umherhuschen – er hatte sich eindeutig verlaufen. So leise wie möglich ließ ich mich inmitten einer Gruppe von Zimtbäumen nieder. Mein Körper zitterte wie Espenlaub, während ich versuchte, meine Atmung unter Kontrolle zu bringen.

Fuck, Fuck, Fuck, Fuck! Warum passiert mir das nur?

Schließlich hatten wir die Prahlerei von Priscilla nur ertragen, damit sich die Auserwählte mit diesen Kreaturen herumschlug, bevor sie zum Rest von uns vordringen konnten.

Okay. Das war ihr gegenüber wahrscheinlich nicht fair, aber dennoch: Wie stark musste dieser Freak sein, um Myvas Barriere durchdringen zu können?

Nach ein paar Minuten konnte ich den Dämon nicht mehr herumschleichen hören.

Hat er aufgegeben? Oder – und das wäre noch besser – ist das Arschloch vielleicht seinen Verletzungen erlegen?

Man durfte ja wohl noch hoffen.

Langsam ließ ich mich auf den Bauch sinken und kroch dem Haus meiner Eltern entgegen. Unsere Ländereien umfassten rund hundertsechzig Hektar und waren in fünf Bereiche für meine zwei Brüder, mich, meine Mom und meinen Pa aufgegliedert. Leider befand sich mein Teil von hier aus betrachtet auf der anderen Seite des Grundstücks. Die beste Lösung war also das, was jede erwachsene Frau in der Not tun sollte: nach Hause zu Mommy und Daddy laufen.

Die Rinde der Zimtbäume kratzte über meine Tunika, während ich langsam weiterkroch. Ein Zweig verfing sich im Saum meines Umhangs, und ich hätte bei der Göttin geschworen, dass das Reißen das lauteste Geräusch auf dieser Seite des Landes war.

Ich erstarrte. Mein Herz klang wie tausend Trommelschläge in meinen Ohren, aber ich hörte nichts anderes. Grillen zirpten, und Glühwürmchen flogen umher.

»Ist er weg?« Ich erhob mich und sprintete in Richtung Haus, wobei ich genau wusste, wo es langging, wann ich links oder rechts abbiegen musste. Je weiter ich vordrang, desto mehr Hoffnung schöpfte ich. Ich riskierte einen Blick nach hinten, wobei ich beinahe damit rechnete, dass eine Krallenhand nach mir greifen und mich packen würde. Doch ich sah nichts als Zimtbäume.

Ein hysterisches Kichern kam mir über die Lippen, als ich mich meinem Ziel näherte. Ohne anzuhalten, schlug ich mir die Hände vor den Mund, um mein aufgeregtes Lachen zu unterdrücken. Das grüne Dach meines Elternhauses kam im gleichen Moment in Sicht, in dem mir ein Gedanke durch den Kopf schoss: Wann hatten die Grillen aufgehört zu zirpen?

Plötzlich traf mich ein Gewicht von der Seite, und im nächsten Moment schlug ich mit dem Kopf auf die Erde. Über mir sah ich die durchdringenden gelben Augen meines Angreifers. Mit seinen großen Händen drückte er meine Schultern auf den Boden und fletschte seine scharfen Raubtierzähne.

»Können wir …«, stieß ich hervor und versuchte, wieder Luft in meine Lunge zu bekommen. »Können wir uns nicht vernünftig unterhalten? Ich kann dir einen guten Rabatt auf Gewürze geben. Die Farm meiner Familie ist erstklassig.«

Knurrend legte der Dämon eine Hand um meinen Hals und drückte zu.

»Okay, du stehst nicht auf Gewürze, schon verstanden.« Ich wusste, dass alles, was ich noch hervorbrachte, nervöses Gestammel war, aber ich konnte einfach nicht damit aufhören.

Ich tastete nach irgendetwas, das ich als Waffe gebrauchen könnte. Meine Finger streiften einen heruntergefallenen Ast, der sich gerade so in Reichweite befand. Verzweifelt streckte ich meinen Arm aus und versuchte, danach zu greifen. »Hör zu, wir produzieren nicht viel Fleisch, aber ich kann dir ein paar Ziegen anbieten, wenn das mehr nach deinem Geschmack ist.« Vor meinen Augen wurde es schwarz, doch mit letzter Kraft gelang es mir, den Ast vom Boden aufzuheben und ihn dem Dämon so fest, wie ich konnte, ins Gesicht zu schlagen. Als das Holz zerbrach, brannte der überwältigende Geruch von Zimt in meiner Nase.

Ich rappelte mich hoch und raste zur Haustür. Ohne mich noch einmal umzudrehen, stürmte ich ins Haus meiner Eltern und schloss die Tür hinter mir ab. Dann stolperte ich zum Küchentisch und zog ihn vor die Tür, um sie zu versperren.

Schließlich ließ ich mich gegen die behelfsmäßige Barrikade sinken und versuchte, wieder zu Atem zu kommen.

»Fffffuck!«

2

Ich muss wohl nicht erwähnen, dass ich in dieser Nacht nicht viel schlief.

Meine Eltern wachten davon auf, wie ich die Hälfte ihrer Habseligkeiten vor der Tür aufstapelte. Sie kamen aber aufgrund des Weingeruchs zu dem Schluss, dass ihre Tochter einfach nur betrunken war, und rieten mir, schlafen zu gehen.

Stunden, in denen ich durch alle Fenster hinausschaute, mussten vergangen sein, bevor Ma aufgab, mir ein Kissen an den Kopf warf und wieder ins Bett ging. Die Nacht verging ohne eine Spur von meinem Angreifer, und schließlich schien die Sonne durch die tadellos geputzten Fenster meiner Mutter. Die mit Äpfeln bestickten Vorhänge erhellten sich im Morgenlicht, und Singvögel verhöhnten mich mit ihrer optimistischen Begrüßung des Tages. Ein verfluchter Dämon hatte mich gestern Nacht angegriffen, und die Sonne besaß die Frechheit zu scheinen, als wäre nichts passiert?

Meine Lider waren so schwer, dass ich Mühe hatte, die Augen offen zu halten. Sosehr ich auch dagegen ankämpfte, sackte mein Kopf irgendwann nach unten. Vielleicht hatte Ma doch recht gehabt? Möglicherweise hatte ich mich einfach nur zu sehr betrunken. Ächzend erhob ich mich von meinem Wachposten am Fenster und bahnte mir meinen Weg zum Gästebett. Falls der Dämon tatsächlich existierte, so schien er jedenfalls nicht vorzuhaben wiederzukommen. Sofort sank mein Kopf auf das Kissen, als wäre es ein lange verloren geglaubter Freund. Ärger mit Dämonen und der Göttin sollte den Auserwählten überlassen bleiben. Ich war einfach zu müde.

»Ooh, pass auf, Cin! Ich bin ein gefährlicher Dämon«, rief mein älterer Bruder Cumin und trat gegen die Tür des Gästezimmers.

Mit einem schweren Seufzen drehte ich mich auf die Seite und drückte mir das Kissen auf den Kopf. »Lass mich in Ruhe, Cu«, murmelte ich.

Das plötzliche Gewicht auf dem Bett verriet mir, dass meine Bitte ignoriert worden war. »Auf keinen Fall, mein kleiner Feigling.«

»Feigling?« Ich schlug ihm ein Kissen gegen den Kopf. Seine langen Locken flogen nach hinten, und das dumpfe Geräusch des Schlags verschaffte mir Genugtuung.

Cumin hob verteidigend einen Arm und grinste. »Gnade, du Moorhexe!« Schnell sprang er auf, um weiteren Schlägen auszuweichen.

Er trug seine alltägliche Feldkleidung, eine einfache eierschalenfarbene Tunika und eine schlammbefleckte braune Hose. Das musste bedeuten, dass er heute nicht vorhatte, unsere Ware zum Markt zu bringen, was merkwürdig war, da er das für gewöhnlich an jedem Wochenende tat.

Wie spät war es überhaupt? Ich war so müde. Träge hob ich eine Hand, um mir die brennenden Augen zu reiben.

»Übrigens glaube ich, dass Pa deine betrunkene Geschichte ein bisschen zu ernst nimmt. Er hat Chili und mich zu Myvas Tempel geschickt, damit wir um Schutz beten.«

Ich ächzte. Zumindest einer war so vernünftig, mir zu glauben. Unser Pa war schon immer übervorsichtig gewesen.

Der Tempel der Göttin befand sich am Stadtrand von Boohail. Eigentlich war das, was den Heiligen Gral der Göttin Myva beherbergte, eher eine Höhle, aber sie erfüllte ihren Zweck. Die heilige Macht, die aus dieser Höhle drang, genügte, um Dämonen fernzuhalten – die Göttin um Hilfe zu bitten, war also keine schlechte Idee. Ich zog in Erwägung, ein paar Süßigkeiten als Gabe dorthin mitzunehmen. Es kam – abgesehen von bestimmten Feiertagen – nicht oft vor, dass meine Familie den Tempel besuchte, daher brachten wir für gewöhnlich etwas mit, um die Göttin milde zu stimmen.

»Kann das warten, bis ich geschlafen habe?«, fragte ich.

»Klar«, sagte er in seinem typisch gelassenen Tonfall. »Ich kann das Dorf ohnehin nicht verlassen. Nach dem Erdbeben gestern Abend sind ein paar Bäume auf die Hauptstraße gefallen, also kann ich erst wieder zum Markt, wenn alles geräumt wurde.«

»Deswegen trägst du deine Arbeitskleidung«, erwiderte ich.

»Da du ja offenbar den ganzen Tag schlafen willst, esse ich deine Zimtschnecken.« Cumin riss den Bezug vom Kissen, als ich aufsprang, stülpte ihn mir über den Kopf und schoss aus dem Zimmer in Richtung Küche.

Ich rappelte mich auf, stolperte in meiner Eile über die Decke und rannte ihm hinterher. »Die gehören mir!«

Sein Gelächter schallte durch das ganze Haus.

»Ich hoffe, du erstickst daran«, murmelte ich und schlitterte in die Küche.

»Junge Dame, wünsche deinen Brüdern nicht den Tod«, tadelte Ma, als wären wir nach wie vor Kinder, die an ihrem Rockzipfel hingen. Ihre mit Äpfeln bestickte Schürze hatte zerfledderte Rüschen und schon seit Tagen Flecken, aber Ma wollte sie nie ausziehen.

Als meine Geschwister und ich noch klein gewesen waren, hatten wir alle dabei geholfen, den einfachen weißen Stoff mit ihren geliebten Äpfeln zu besticken. Die meisten waren schief und verrieten schon auf den ersten Blick, dass es das Werk kleiner Kinder war, doch Ma liebte ihre Schürze. Oft fragte ich mich, ob ein Grund dafür war, dass sie sie an Cherry erinnerte. Der leere Platz meiner Schwester neben mir am Tisch fühlte sich immer noch an wie ein schweres Gewicht, das auf mir lastete, selbst nach vier Jahren. Sosehr ich auch versuchte, es zu verdrängen, der Platz war wie eine ständige Mahnung, was passieren konnte, wenn man sich aus der geschützten Zone der Göttin entfernte.

Mas Haar war erst vor Kurzem rasiert worden, sodass die scharfen Linien der Stammestätowierungen auf ihrer Kopfhaut zu sehen waren. Sie waren ein wunderschönes Andenken an den Scarlet-Thorn-Stamm, aus dem sie kam. Die auffällige rote Farbe verlieh ihrer sonst so freundlichen Ausstrahlung einen kühnen Unterton. Spitze Dornen rankten sich um ihren Kopf wie ein Bilderrahmen, und das Muster in der Mitte erzählte die Legende einer wagemutigen Kriegerin und eines Werwolfs, die zusammen einen Kraken bezwangen.

Meine Schwester und ich hatten sie oft angebettelt, uns Geschichten aus ihrer Heimat im fernen Westen zu erzählen. Sie handelten stets von Alten Göttern in einem Land voller Abenteuer und Monster. Manchmal kämpften die Helden an der Seite der Monster, manchmal gegen sie. Die Erzählungen stammten aus einer Zeit, in der die Dämonen noch nicht vom Wahnsinn ergriffen worden waren. Bevor Myva aufbegehrt hatte, um uns mit ihrem Tor zu retten. Cherry und ich hatten oft von dem Tag geträumt, an dem wir jenseits des Bayous unserer Heimat selbst Abenteuer erleben würden. Doch das war ein naiver Kindertraum gewesen, der tödliche Konsequenzen gehabt hatte.

Ich schüttelte den Kopf, um meine deprimierenden Gedanken zu vertreiben.

Ein Blick auf das üppige Frühstück ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Es hatte keinen Sinn, schlecht drauf zu sein, wenn sich Essen auf dem Tisch befand. Frische Zimtschnecken, Pfannkuchen, Eier und Bacon standen für die ganze Familie bereit. Dass Ma diesen Aufwand betrieben hatte, überraschte mich nicht, denn schließlich kam es, seitdem meine Geschwister und ich erwachsen waren, nicht mehr oft vor, dass wir alle zusammen waren.

»Ich bin ohnehin zu müde, um Cumins Untergang zu planen.« Der Geruch von Backwaren stieg verführerisch von meinem Teller auf, und ich war nur allzu bereit, mich davon aufheitern zu lassen. Und als hätte sich die Zeit plötzlich beschleunigt, waren die Zimtschnecken auf einmal verschwunden. Der einzige Beweis dafür, dass sie existiert hatten, war der Zuckerguss um meinen Mund herum.

Cumin blinzelte mich an. »Cin«, begann er, legte eine Hand auf meine und schaute mir besorgt in die Augen. »Du musst das Essen nicht mehr in dich hineinschaufeln. Wir haben dich von den Waschbären adoptiert, als du noch ein Bab…«

Mein Schlag an seine Stirn unterbrach ihn.

Am anderen Ende des Tisches unterdrückte Pa ein Lachen und verschluckte sich dabei fast an seinem Kaffee. Er sprach nie viel, sondern war zufrieden damit, einfach dazusitzen und seine chaotische Familie zu beobachten. Wahrscheinlich war das ein guter Ausgleich zu seiner lebhaften Frau. Mein Bruder Chili war ihm von uns allen am ähnlichsten. Die beiden hochgewachsenen, stillen Männer hatten eine beruhigende Wirkung, wenn der Rest der Familie zu laut und zu nervig wurde. Und Cumin war meistens nervig.

»Wohin ist dein Dämon eigentlich verschwunden?«, fragte Chili, der vor einem Teller mit Bacon und Eiern saß.

»Vorausgesetzt, er existiert überhaupt, und sie war nicht einfach zu betrunken«, rief Cumin, woraufhin ich ihm einen weiteren Schlag versetzte.

Ich stieß meine Gabel in ein großes Stück Bacon auf seinem Teller und schob mir den Bissen in den Mund. »Ich war nicht betrunken genug, um mir einen ganzen Angriff auszudenken.«

»Also nur einen halben Angriff?«

Ma fluchte und zeigte mit ihrem Holzspatel auf uns wie mit einem Schwert. »Chili! Ich meine, Cumin! Ich meine, Cinnamon! Verdammt, das mittlere Kind! Hör auf, deine Schwester zu ärgern!«

Pa verschüttete ein wenig von seinem Kaffee auf seinem Hemd und krümmte sich vor Lachen.

Meine Brüder und ich schauten sie ungläubig an, bevor wir in das Gelächter einstimmten.

»Habt ihr bemerkt, dass sie beim zweiten Versuch richtiglag, aber immer noch weitergestottert hat?«, rief ich kichernd.

»Und dann hat sie uns der Reihenfolge nach benannt«, brüllte Cumin und fiel dabei vor Lachen fast vom Stuhl.