Der Tote in der Dreieichbahn - Günter Fanghänel - E-Book

Der Tote in der Dreieichbahn E-Book

Günter Fanghänel

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Beschreibung

An einem Sonntagnachmittag kam ein Zug der Dreieichbahn kurz vor Eppertshausen unvermittelt zum Stehen. Der Fahrer war plötzlich gestorben. Es war Mord. Sein Kollege wird zwei Tage später erschossen im Wald gefunden. Kriminalhauptkommissar Lutz Waski von der Regionalen Kriminalinspektion Darmstadt und seine Kollegen übernehmen die Ermittlungen. Bald stellen sie einen Zusammenhang zu einem vor zwanzig Jahren verübten, bisher nicht aufgeklärten Überfall auf einen Geldtransporter fest. Dieser ereignete sich auch in Eppertshausen und es gab damals einen Toten. Durch aufwändige und beharrliche Arbeit gelingt es, den Täter zu ermitteln und festzunehmen.

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Alle Personen- und Firmennamen sind

frei erfunden, etwaige Übereinstimmungen

mit real existierenden Personen oder

Firmen wären rein zufällig.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

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1.

Die kleine beschauliche hessische Gemeinde Eppertshausen liegt inmitten des Dreieckes Aschaffenburg – Darmstadt – Frankfurt.

An drei Seiten von schönen Wäldern umgeben, öffnet sich nur nach Süden der Blick über die Nachbargemeinde Münster bis zu den Hängen des Odenwaldes. Heute hat Eppertshausen etwa 6.500 Einwohner.

In den letzten Jahren hat dieser Ort, dem es gelungen war, bei der Hessischen Gebietsreform von 1974 seine Selbständigkeit zu bewahren, eine sehr positive Entwicklung genommen. Das ist vor allem einer klugen und vorausschauenden Kommunalpolitik, seit langem geführt von einem sehr engagierten Bürgermeister, zu danken. Die Vorteile, die sich aus der zentralen Lage im Rhein-Main-Gebiet ergaben, wurden konsequent genutzt.

Als Beispiele können das Gewerbegebiet Park 45, welches 2007 seiner Bestimmung übergeben wurde, sowie die Neubaugebiete Im Eichstumpf und Am Abteiwald genannt werden. Hier sind in den letzten Jahren zahlreiche Neubauten, meist Einfamilienhäuser, entstanden, womit die Lücke zum vorher etwas abseits gelegenen Ortsteil Failisch nahezu geschlossen wurde.

Natürlich spielte auch die sehr gute Verkehrsanbindung des Ortes über Straße und Schiene eine wichtige Rolle. So ist die jeweils zweispurig ausgebaute Autostraße B45 eine direkte Verbindung zum Autobahnnetz.

Die Dreieichbahn, die 1905 eröffnet und vor einigen Jahren modernisiert wurde, ist Teil des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV). Sie stellt im Süden, in Dieburg, den Anschluss an die Strecke Darmstadt – Aschaffenburg her. Im Norden kann man in Oberroden die S-Bahn nach Frankfurt über Offenbach und später in Buchschlag die S-Bahnen nach Frankfurt bzw. Darmstadt erreichen. Die Züge der Dreieichbahn (RB61) verkehren im Stundentakt, werktags in den Morgen- und Abendstunden sogar halbstündlich, wobei sehr viele von ihnen direkt nach bzw. von Frankfurt/Hauptbahnhof fahren.

Sonntag, der 23. August war ein wunderschöner Sommertag. Die Sonne strahlte und am blauen Himmel war kein Wölkchen zu sehen. In Dieburg war der Zug nach Buchschlag pünktlich um 13:13 Uhr abgefahren. In diesem Triebwagen saßen nur fünf Fahrgäste. Beim Halt in Münster waren noch zwei Personen zugestiegen.

Es war dann genau 13:18 Uhr, als der Zug plötzlich stark bremste und direkt auf einem unbewachten Bahnübergang kurz vor dem Bahnhof Eppertshausen stehen blieb. Die Fahrgäste schauten nach vorn zum Fahrer und sahen, dass dieser auf seinem Sitz zusammengesunken war und mit dem Kopf auf dem Armaturenbrett lag. Er schien ohnmächtig zu sein und die Sicherheitsfahrschaltung (Sifa) hatte die Vollbremsung ausgelöst.

Bei der Sifa muss der Fahrzeugführer spätestens nach 30 Sekunden ein Bedienelement kurz loslassen. Damit signalisiert er, dass er sich noch wachsam auf dem Führerstand befindet. Bleibt diese Aktion aus, erfolgt nach einem Warnsignal automatisch eine Zwangsbremsung.

Ein junger Mann fasste sich als erster und eilte nach vorn zum Fahrer. Er rief nach hinten: „Ich bin Rettungssanitäter und beginne mit der ersten Hilfe. Bitte ruft die 112 an!“ Dann legte er den Fahrer auf den Boden, begann mit Herzmassage und Atemspende.

Eine junge Frau hatte die Rettungskräfte alarmiert und nach knapp fünf Minuten war ein Krankenwagen zur Stelle und der Notarzt kam wenig später. Ein Funkstreifenwagen mit zwei Polizisten von der Polizeistation Dieburg kam unmittelbar nach dem Notarzt. Dieser übernahm die weitere Behandlung. Die Beatmung wurde fortgesetzt, ein rasch angesetztes EKG-Gerät zeigte aber keine Herztätigkeit an. Man versuchte mit einem Defibrillator das Herz wieder zum Schlagen zu bringen, hatte aber keinen Erfolg. Der Notarzt konnte schließlich nur noch den Tod des Fahrers, bei dem es sich um einen relativ jungen Mann handelte, feststellen. Er sagte dann zu den beiden Streifenpolizisten: „Die Todesursache könnte ein Herzinfarkt sein, es gibt aber auch Anzeichen für eine Vergiftung. Da eine Obduktion sowieso erfolgt, wird man das sicher feststellen. Sie sollten aber vorsorglich von einer unnatürlichen Todesursache ausgehen.“

Der Streifenführer, Polizeiobermeister Philipp Martin, ein im Dienst ergrauter, erfahrener Polizist bat seinen jungen Kollegen, die Dienststelle zu informieren und einen zweiten Streifenwagen anzufordern, um die Neugierigen fernzuhalten, die sich schon zu beiden Seiten des Bahnübergangs angesammelt hatten. Dann telefonierte er mit der Leitstelle der Bahn. Dort hatte der Dispatcher natürlich bereits bemerkt, dass der Zug stehen geblieben war und teilte mit, dass man einen Kleinbus schicken würde, mit dem die Fahrgäste weiterkommen könnten. Außerdem käme ein Mitarbeiter, der Auskunft zu dem toten Triebwagenführer geben könne. Philipp Martin wandte sich dann wieder seinen Kollegen zu: „Wir werden von allen Fahrgästen die Personalien aufnehmen und sie vorher fragen, ob sie etwas Ungewöhnliches bemerkt haben. Dann liegt die ganze Sache bei den Kollegen von der Kripo. Wenn wir die Daten des Triebwagenführers haben, müssen ja dann auch die Angehörigen verständigt werden. Der Zug wird hier wohl noch ein Weilchen stehen bleiben müssen.“

Die Besatzung des Rettungswagens und der Notarzt verabschiedeten sich und die Polizisten begannen, die Personalien der Fahrgäste aufzunehmen und sie zu befragen.

Keiner von ihnen hatte etwas Außergewöhnliches bemerkt, sie hatten entweder gelesen oder mit ihren Smartphones hantiert. Lediglich die junge Frau, die den Notarzt angerufen hatte, meinte, dass der Fahrer kurz nach der Abfahrt in Münster sich aus seiner Thermoskanne etwas in einen Becher eingegossen und dann daraus getrunken habe. Kanne und Becher standen noch auf der Ablage am Armaturenbrett. Polizeiobermeister Martin nahm sich vor, diesen Sachverhalt gleich seinen Kollegen von der Kripo mitzuteilen. Inzwischen sorgte er dafür, dass sich niemand den eventuell wichtigen Beweisstücken nähern konnte.

Es dauerte dann etwa dreißig Minuten bis nahezu gleichzeitig ein Leichenwagen und der avisierte Kleinbus mit einem Mitarbeiter des RMV ankamen. Mit dem Bus konnten dann die Fahrgäste ihre Reise fortsetzen. Der Eisenbahner konnte den Polizisten sagen, dass es sich bei dem Toten um Friedhelm Obermann handelt. Er wäre 45 Jahre alt, sei verheiratet und wohne in der Leipziger Straße in Eppertshausen. Dann wusste er noch zu berichten, dass seines Wissens nach Obermann seit etwa fünf Jahren beim RMV beschäftigt war. Zuvor sei er bei der Bundeswehr gewesen. Nachdem er seine Ausbildung als Triebwagenführer erfolgreich abgeschlossen habe, sei er meist auf der Dreieichbahn eingesetzt worden. Er galt als zuverlässig und freundlich. Genauere Angaben könne selbstverständlich die Personalabteilung liefern.

Philipp Martin bedankte sich bei dem Eisenbahner. Er hatte dessen Aussagen notiert und ihn gebeten, noch auf das Eintreffen der Kripo zu warten.

Der Leichnam von Friedhelm Obermann war inzwischen auf dem Weg nach Frankfurt zur Gerichtmedizin.

2.

Sonntag, 13:30 Uhr

In der Eppertshausener Straße Am Kreuzfeld, die in einem nach Norden offenen Halbkreis verläuft, steht an der südlichsten Stelle ein sehr schönes Zweifamilienhaus. Es gehört Werner und Liselotte Brenner.

Beide waren, bevor sie in den Ruhestand gingen, bei der Lufthansa beschäftigt, er als Pilot, sie als Stewardess. Werner Brenner, Jahrgang 1947, war in Eppertshausen geboren und groß geworden, seine Frau Lieselotte stammt aus dem Nachbarort Münster. Das Haus hatten sie 1986 bezogen. Ursprünglich wollten Werners Eltern mit einziehen, sie unten, die jungen Leute oben. Allerdings hat Werners Vater die Fertigstellung des Neubaus nicht mehr erlebt, da er kurz zuvor einem Herzinfarkt erlag. Aber Werners Mutter wohnte bis zu ihrem Tod im Herbst 2007 in ihrer eigenen Wohnung im Erdgeschoss. Für ihre Enkelin Steffi, die 1987 zu Welt kam, war es gut, dass die Oma im Haus war und die beiden hatten ein sehr inniges Verhältnis. Die Oma erlebte noch, dass ihre einzige Enkeltochter die Schule mit einem sehr guten Abitur abschloss und ein Studium an der Verwaltungsfachhochschule Leipzig begann.

2010 schloss Steffi Brenner ihr Studium als Bachelor ab und bewarb sich beim Polizeipräsidium in Gera. Sie wurde angenommen und als Assistentin von Hauptkommissar Günter Schreiber, dem Leiter der Mordkommission (MUK), eingestellt.

Dort lernte sie Lutz Waski, der 2012 als Kommissaranwärter zur MUK kam, kennen und lieben. 2015 heirateten die beiden und im Mai 2018 wurde ihr Sohn Tobias geboren.

Im vergangenen Jahr zog die junge Familie von Gera nach Eppertshausen. Steffis Eltern hatten in ihrem Haus extra die erste Etage großzügig modernisiert.

Der Ortswechsel wurde möglich, weil Lutz die Stelle des Leiters der Abteilung Gewaltverbrechen im Kommissariat K 10 der Regionalen Kriminalinspektion (RKI) Darmstadt erhalten hatte und zum Kriminalhauptkommissar befördert worden war.

Noch während des Umzuges wurde ihm sein erster Fall übertragen, den er mit seinem neuen Team bravourös löste.1

Nun saß Lutz seinem Schwiegervater in dessen Arbeitszimmer an einem kleinen runden Tisch bei einer Partie Schach gegenüber. Es waren erst wenige Figuren bewegt worden. Werner Brenner hatte Weiß und die Spanische Eröffnung gewählt. Er hatte gerade den 3. Zug (Läufer von f1 nach b5) ausgeführt, als Tobias ins Zimmer gestürmt kam. Er rief: „Ich habe ausgeschlafen!“, lief auf seinen Papa zu und wischte dabei die Schachfiguren vom Tisch.

Die beiden Männer lachten. Lutz nahm seinen Sohn in die Arme, warf ihn in die Luft und fing ihn wieder auf. Das Kind jauchzte vor Vergnügen und der Opa schmunzelte.

Da kam auch Steffi ins Zimmer, „Na, hat euch Tobi die Stellung ruiniert?“, wollte sie wissen.

„Kein Problem“, antwortete ihr Vater. „Wir wollten gerade erst beginnen und hatten noch nicht einmal drei Züge gemacht.“

„Ich hatte wieder einmal Streit mit Mama“, setzte Steffi das Gespräch fort. „Ihr wisst ja, dass ich im Kirchenchor Stankt Valentin mitsinge, was mir viel Spaß macht, vor allem weil wir in Claudia, also Frau Grün, eine so tolle Leiterin haben. Schade, dass derzeit wegen Corona alle Singstunden ausfallen. Claudia arbeitet hier im Kindergarten und da haben wir Tobias angemeldet. Nachdem die durch Corona bedingten Einschränkungen aufgehoben wurden, ist ab 1. September ein Platz für ihn frei und ich kann vielleicht bei der Gemeinde als Schwangerschaftsvertretung für Heidrun anfangen. Die Arbeitszeit wäre an vier Tagen in der Woche jeweils vier Stunden. Nun meint Mama, deswegen müsse Tobias ja nicht in den Kindergarten gehen. Das sei zu früh für ihn und sie sei ja auch noch da. Ich wäre doch auch viel bei Oma gewesen. Dass damals andere Zeiten waren, wollte sie nicht gelten lassen und auch nicht mein Argument, dass es für die Entwicklung von Tobias gut ist, wenn er Umgang mit Gleichaltrigen hat. Es tut mir leid, dass Mama so uneinsichtig ist, aber wir werden bei unserer Entscheidung bleiben, zumal Tobias ja auch nur vier Stunden am Tag und auch nur viermal in der Woche den Kindergarten besuchen soll.“

Werner Brenner antwortete seiner Tochter: „Steffi, im Prinzip gebe ich dir recht und werde nachher mal mit Lilo, wie Liselotte Brenner in der Familie und von Freunden genannt wird, in aller Ruhe reden. Aber vielleicht machen wir uns langsam fertig, wir wollen doch zum Kaffeetrinken nach Heimbuchenthal fahren. Es ist jetzt gleich halb drei, ich denke in etwa zehn Minuten sollten wir losfahren.“

In dem Moment klingelte das Telefon. Werner nahm ab, hörte kurz zu und gab den Hörer mit den Worten: „Lutz, für dich“, an seinen Schwiegersohn weiter.

„Waski“, meldete sich dieser.

„Halbach vom KDD“ (Kriminaldauerdienst), meldete sich eine Kollegin der RKI Darmstadt: „Kommissar Waski, wir haben eben einen Anruf der Dieburger Kollegen erhalten. Kurz vor den Bahnhof Eppertshausen ist ein Zug der Dreieichbahn stehen geblieben, weil der Triebwagenführer plötzlich verstorben ist. Eine unnatürliche Todesursache kann nicht ausgeschlossen werden. Außerdem müssen Angehörige verständigt werden. Wir bitten Sie, hinzufahren und sich der Sache anzunehmen. Der Zug kam von Dieburg und steht auf dem unbewachten Bahnübergang kurz vor dem Bahnhof Eppertshausen. Polizeiobermeister Martin und ein Kollege vom RMV sind vor Ort.“

„Gut, ich fahre gleich hin“, beendete Lutz das Gespräch. Zu Steffi und Werner sagte er: „Ihr werdet wohl ohne mich nach Heimbuchenthal fahren müssen. Hier geht wieder einmal der Dienst vor und ich werde mich um den Tod eines Triebwagenführers kümmern müssen.“

Werner schmunzelte und sagte zu seiner Tochter: „Warum hast du auch einen Kriminalkommissar geheiratet?“ Steffi lachte: „Weil ich ihn liebe und du hast ja auch immer gesagt: Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps.“

Lutz hatte inzwischen eine leichte Jacke angezogen, nahm die Autoschlüssel, gab Steffi einen Kuss und verabschiedete sich mit den Worten: Ich wünsche Euch einen schönen Nachmittag.“

1 Siehe: Günter Fanghänel: Die Tote im Abteiwald. BoD 2019 ISBN 9783739249032

3.

Sonntag, 14:50 Uhr

Kriminalhauptkommissar Lutz Waski war mit seinem Auto über die Babenhäuser Straße in den Kreisel an der Kirche gefahren, hatte diesen Richtung Dieburg verlassen und war gleich hinter dem Hotel Alte Krone in die Straße Im Müllersgrund eingebogen. Nach wenigen Metern begann links ein für normale Kraftfahrzeuge gesperrter Feldweg, der zum Bahnübergang führte. Dort angekommen wurde er vom Polizeiobermeister Philipp Martin begrüßt: „Hallo Kollege Waski, schön, dass Sie so schnell kommen konnten. Wir hatten hier einen Toten und es ist unklar, ob eine natürliche Todesursache vorliegt.“ Dann schilderte er, dass der tote Triebwagenführer Friedhelm Obermann auf den Weg zur Gerichtmedizin nach Frankfurt sei. Man habe alle sieben Fahrgäste befragt, diese hätten inzwischen, nachdem man ihre Personalien aufgenommen habe, mit einem von der Bahn gestellten Kleinbus die Weiterfahrt angetreten. Polizeiobermeister Martin berichtete dann von der Aussage der Zeugin, die gesehen hätte, wie der Fahrer etwas aus seiner Thermoskanne in einen Becher gegossen und dann davon getrunken habe. Er setzte fort: „Die Kanne und den Becher habe ich sichergestellt. Seit wir hier sind, wurden diese Dinge nicht von Fahrgästen oder uns berührt. Ich habe beim Eintüten darauf geachtet, dass auch nicht aus Versehen meine Fingerabdrücke darauf kamen“.

Lutz Waski lobte seinen Dieburger Kollegen, und bat, die in Plastiktüten verstauten Gegenstände zur KTU nach Darmstadt zu bringen, damit diese untersucht werden können, falls bei Obermann keine natürliche Todesursache vorliegen würde.

Dann wandte er sich dem Eisenbahner zu, der die ganze Zeit neben den beiden gestanden hatte. Dieser war zwar nicht in Uniform, hatte sich aber als Mitarbeiter bei der Betriebsleitung der Dreieichbahn vorgestellt. Er war mittelgroß, hager, hatte dunkelblondes schütteres Haar und war mit Jeans, einem Freizeithemd und Turnschuhen salopp gekleidet. Lutz schätzte ihn auf Anfang sechzig und stellte sich vor: „Kommissar Waski von der RKI Darmstadt. Was können Sie uns über den Verstorbenen sagen?“

Der Mitarbeiter des RMV antworte: „Ich heiße Ingo Kreis und arbeite in der Zentrale des RMV. Heute habe ich eigentlich frei, wurde dann aber von unserem diensthabenden Dispatcher informiert, dass es diesen Zwischenfall hier gegeben hat. Alles was ich über meinen toten Kollegen weiß, habe ich schon gesagt. Er heißt Friedhelm Obermann, ist 45 Jahre alt, verheiratet und wohnt hier in Eppertshausen.“ Ingo Kreis machte eine Pause. „Ich kann mich nicht daran gewöhnen, vom Kollegen Obermann in der Vergangenheitsform zu sprechen.

Na, was soll’s. Er war seit etwa fünf Jahren bei uns und kam vom Bund, also der Bundeswehr. Wir haben ihn zum Triebwagenführer ausgebildet und dann war er nahezu ausschließlich hier auf der Dreieichbahn eingesetzt. Er war zuverlässig und meines Erachtens bei den Kollegen beliebt. Um mehr zu erfahren, müssten Sie seine Personalakte einsehen.“

Kommissar Waski bedankte sich und meinte, dass letzteres vielleicht nicht nötig sei, wenn bei der Obduktion eine natürliche Todesursache festgestellt würde. Dann erklärte er, dass der Zug seine Fahrt fortsetzen und den Bahnübergang frei machen könne, wenn er sich zuvor kurz noch den Arbeitsplatz von Obermann angesehen habe.

Danach ließ er sich die genaue Anschrift des Verstorbenen geben und verabschiedete sich von Ingo Kreis und seinem Kollegen Martin mit den Worten: „Es gibt Angenehmeres, als am Sonntagnachmittag eine Todesnachricht zu überbringen. Aber das gehört nun mal zu unserem Beruf“.

4.

Sonntag, 15:45 Uhr

Lutz Waski war mit seinem Opel Insignia innerhalb von fünf Minuten bei der angegebenen Wohnadresse von Friedhelm Obermann und hielt vor einem hübschen Einfamilienhaus. Die Tür zu einem gepflegten Vorgarten stand offen, innen neben der Haustür befand sich ein Klingelknopf, darunter war zu lesen: Carola und Friedhelm Obermann.

Waski klingelte. Eine schlanke, attraktive Frau, Lutz schätzte sie auf Mitte 40, öffnete die Haustür einen Spalt und fragte, was es gäbe.

Der Kommissar zeigte seinen Dienstausweis und sagte: „Frau Obermann, ich komme von der Kriminalpolizei Darmstadt, es geht um ihren Mann. Kann ich bitte hereinkommen?“

Carola Obermann schloss die Tür, man hörte, wie sie die Sicherheitskette abnahm, dann öffnete sie und bat Lutz Waski, ihr in ein recht geräumiges und gut eingerichtetes Wohnzimmer zu folgen.

„Was ist mit meinem Mann?“, wollte sie wissen. „Er ist nicht zuhause, wahrscheinlich treibt er sich bei seiner Geliebten herum. Selbst wenn er sonntags frei hat, er ist beim RMV beschäftigt, bleibt er meist nicht bei mir. Ich arbeite beim REWE, da habe ich auch Schichtdienst, oft auch am Sonnabend und unsere gemeinsame Zeit ist sowieso begrenzt. Aber seitdem er diesem Flittchen nachläuft, sehe ich ihn kaum noch. Ich fürchte, unsere Ehe ist am Ende. Aber was ist nun mit ihm?“

„Setzen wir uns erst einmal“, meinte der Kommissar. Beide nahmen an einem kleinen Couchtisch Platz, er auf einem Sessel, sie auf dem Sofa. Dann sagte Waski: „Frau Obermann, ich habe leider eine ganz schlechte Nachricht für Sie.

Ihr Mann ist tot. Er hatte heute doch Dienst und ist kurz vor der Einfahrt in Eppertshausen am Steuerpult seines Triebwagens zusammengesunken, worauf der Zug stehen blieb. Fahrgäste haben sofort die 112 gewählt. Rettungssanitäter und Notarzt waren sehr schnell zur Stelle, konnten aber nur den Tod Ihres Mannes feststellen. Wahrscheinlich hat er einen Herzinfarkt erlitten, aber das muss noch geklärt werden. Mein aufrichtiges Beileid.“

Fassungslos starrte Carola Obermann den Kommissar an. „Das kann gar nicht sein, mein Mann hatte heute doch gar keinen Dienst. Hier liegt sicher eine Verwechslung vor.“

„Ich fürchte nicht“, erhielt sie zur Antwort. „Es ist nahezu sicher, dass es sich bei dem Toten um Ihren Mann handelt. Er hatte seinen Ausweis und auch den Dienstausweis bei sich und Herr Kreis vom RMV hat seine Identität bestätigt. Aber natürlich müssen auch Sie Ihren Mann identifizieren.“

„Können wir das gleich erledigen, kann ich meinen Mann sehen?“, wollte Frau Obermann wissen.

Lutz Waski entgegnete: „Das ist leider nicht möglich. Der Leichnam Ihres Mannes wurde in die Gerichtsmedizin nach Frankfurt gebracht. Das ist bei allen derartigen Todesfällen die Vorschrift. Ich denke aber, dass es morgen im Laufe des Tages einen Termin gibt. Wir rufen Sie an und lassen Sie auch abholen.“

Nach einer geraumen Weile, in der Carola Obermann gedankenverloren vor sich hinsah, hob sie ihren Blick und fragte: „Herr Kommissar, kann ich Ihnen etwas anbieten?“

„Danke, ein Glas Wasser wäre nicht schlecht“, lautete die Antwort.

Frau Obermann stand auf, verließ den Raum und kam nach kurzer Zeit mit einer Flasche Mineralwasser und zwei Gläsern zurück.

Lutz Waski öffnete die Flasche, goss in beide Gläser ein und reichte eines der Witwe, die inzwischen wieder auf dem Sofa Platz genommen hatte, mit den Worten: „Frau Obermann, haben Sie jemand, der sich jetzt um Sie kümmern kann? Soll ich einen Arzt oder einen Seelsorger rufen? Leben Ihre Eltern und die Ihres Mannes noch? Können wir diese eventuell erreichen?“

Die so Angesprochene antwortete: „Danke, ich komme schon allein zurecht. Meine Eltern sind seit zwei bzw. drei Jahren tot. Sie haben mir dieses Haus hier vermacht. Geschwister habe ich nicht. Aber ich rufe nachher gleich meine Freundin an, die ein paar Häuser weiter wohnt. Sie wird dann sicher sofort kommen.

Friedhelm ist allein bei seiner Mutter aufgewachsen, seinen Vater habe ich nie kennengelernt, ich glaube, er auch nicht. Karoline, also seine Mutter, ist ziemlich dement und lebt jetzt in einem Pflegeheim in Heusenstamm. Wir hatten nie ein besonders gutes Verhältnis, weil sie meinte, dass ich ihr den Sohn, der bis zu unserer Hochzeit bei ihr gelebt hatte, weggenommen habe. Ich fahre aber nachher zu ihr. Mal sehen, ob sie die Nachricht begreifen kann, dass ihr Sohn tot ist.“

Kommissar Waski war froh, dass er keine weiteren Angehörigen informieren musste und verabschiedete sich von Carola Obermann mit dem Hinweis, dass man sie am kommenden Tag abholen und zum gerichtsmedizinischen Institut nach Frankfurt begleiten würde. Er gab ihr auch noch den Rat, sich von ihrem Hausarzt ein paar Tage krankschreiben zu lassen. Das sei bei einem plötzlichen Tod eines Angehörigen absolut üblich.

Nachdem sich Lutz Waski nochmals überzeugt hatte, dass Frau Obermann ganz gut allein zurechtzukommen schien, setze er sich in sein Auto und fuhr heim.

Da seine Frau, sein Sohn Tobias und die Schwiegereltern noch unterwegs waren, ging er in sein Arbeitszimmer, informierte zunächst telefonisch den Diensthabenden in der RKI über den Sachverhalt und nahm seinen Laptop, um das Protokoll zu schreiben.

Es war dann fast halb sechs, als seine Frau, sein Sohn und die Schwiegereltern von ihrem Nachmittagsausflug zurückkamen. Tobias, der die Rückfahrt im Auto verschlafen hatte, war putzmunter, stürmte auf seinen Vater zu und plapperte los: „Papa, ich habe Ziegen gestreichelt und gefüttert und hatte gar keine Angst.“

Lutz nahm den Kleinen auf den Arm und schäkerte mit ihm. Seine Frau berichtete, dass sie erst schön Kaffee getrunken hätten und dann auf einem Spielplatz und in einem kleinen Streichelzoo waren.

Von Werner Bremer kam dann der Vorschlag, dass man doch gemeinsam zum Abendessen in die Krone gehen könnte, Tobias habe ja im Auto geschlafen und würde sicher durchhalten. Bis zur Übertragung des Finales der Champions-league um 21:00 Uhr sei man sicher wieder zuhause.

Alle waren einverstanden und Steffi meinte, wenn es mit dem Kleinen Probleme gäbe, könne sie ja mit ihm vorzeitig heimfahren.

Ihre Mutter rief gleich im Restaurant an und reservierte einen Tisch für fünf Personen.

Die Alte Krone, ein renommiertes Hotel und Restaurant steht rechts am Ortsausgang von Eppertshausen in Richtung Münster und war, nachdem die durch Corona bedingten Einschränkungen gelockert werden konnten, sehr gut besucht.

Werner Brenner und die Seinen hatten sich an einem Tisch am Fenster niedergelassen, nicht ohne vorher zahlreichen Bekannten freundlich zuzuwinken. An einem der Nachbartische saß Skatbruder Uwe mit Frau und Schwiegereltern. Er kam auf Lutz zu und fragte: „Lutz, stimmt es, dass Ihr heute Friedhelm Obermann tot im Zug aufgefunden habt und dass er erschossen wurde? Hier kursieren die tollsten Gerüchte.“

Lutz schüttelte den Kopf: “Es ist richtig, Herr Obermann ist im Führerstand seines Zuges verstorben. Alles andere ist totaler Quatsch. Wahrscheinlich war es ein Herzinfarkt, aber das wird natürlich noch untersucht. Kanntest du ihn denn näher?“

„Das kann man wohl sagen“, erhielt er zur Antwort. „Friedel und ich waren Schulkameraden, gemeinsam auch Kerbburschen und haben manchen Blödsinn verzapft. Dann ging er zum Bund und wurde auch in Afghanistan eingesetzt. Er kam verwundet und völlig verändert zurück. Wir haben uns aber dennoch öfters getroffen. Vorige Woche haben wir in der TAV-Gaststätte gewürfelt, da hat er erzählt, dass ihm sein Afghanistaneinsatz bis nach Eppertshausen nachgelaufen sei. Einer der dortigen Zivilangestellten sei plötzlich bei ihm aufgetaucht und habe verlangt, dass er seinen Asylantrag befürworten solle. Friedel habe ihn dann an die zuständigen Stellen verwiesen, meinte aber, dass der Antrag wenig Aussicht auf Erfolg haben würde. Der Asylant habe aber nicht einsehen wollen, dass Friedel nichts machen könne. Im Standort Kunduz habe er doch auch das Sagen gehabt. Verärgert und Verwünschungen murmelnd sei er schließlich abgezogen.“