Die Tote im Abteiwald - Günter Fanghänel - E-Book

Die Tote im Abteiwald E-Book

Günter Fanghänel

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Beschreibung

Eine Spaziergängerin findet in dem zu Eppertshausen gehörigen Abteilwald eine weibliche Leiche. Es handelt sich um eine mehrfach behinderte junge Frau, die vor vier Monaten aus eine Behindertenwohnstätte in Babenhausen verschwunden war und trotz aufwändiger Suche bislang nicht gefunden werden konnte. Bei der Obduktion stellte sich heraus, dass die Frau erdrosselt wurde und schwanger war. Die Ermittlungen leitet Kriminalhauptkommissar Lutz Waski. In mühevoller Kleinarbeit gelingt es den Vater des ungeborenen Kindes zu ermitteln. Daneben werden auch andere Spuren verfolgt, wobei einem in Alters- und Pflegheimen sein Unwesen treibenden Serienmörder das Handwerk gelegt werden konnte. Zum Schluss gelingt es auch den Mord an der jungen Frau aufzuklären.

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Alle Personen- und Firmennamen sind

frei erfunden, etwaige Übereinstimmungen

mit real existierenden Personen oder

Firmen wären rein zufällig.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

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1.

Der kleine beschauliche hessische Ort Eppertshausen liegt inmitten des Dreieckes Aschaffenburg – Darmstadt – Frankfurt.

An drei Seiten von schönen Wäldern umgeben, öffnet sich nur nach Süden der Blick über die Nachbargemeinde Münster bis zu den Hängen des Odenwaldes.

Die Geschichte von Eppertshausen ist wechselvoll. Bei der vom 5. bis zum 8. Jahrhundert erfolgten Landnahme durch die Franken wurden nur Felder und Wiesen Privateigentum, Wälder, Weiden, Gewässer und Bodenschätze blieben gemeinsames Eigentum aller und wurden durch sogenannte Markgenossenschaften verwaltet.

Eppertshausen, das im Jahre 836 erstmals als Ecgiharteshuson in einer Zinsliste der Benediktinerabtei Seligenstadt erwähnt wurde, gehörte zur Mark Babenhausen, heute eine kleine Stadt mit sehenswerten Resten der ehemaligen Befestigung und alten Fachwerkhäusern. Diese, sowie das gesamte Waldgebiet, genannt DIE ABTEI, waren im frühen Mittelalter im Besitz der Grafen von Hanau. Nach Westen und Norden erstreckte sich der WILDBANN DREIEICH. Zu dessen Schutz wurde an der Südflanke eine Turmburg errichtet, um die herum sich der Ort Eppertshausen entwickelte.

Als Vögte waren die in Dieburg ansässigen Herren von Groschlag eingesetzt. Dieburg gehörte fast im gesamten Mittelalter zum Erzbistum bzw. Kurfürstentum Mainz und ist heute bekannt durch seine Wallfahrtskirche, durch viele schöne Fachwerkhäuser und durch seinen jedes Jahr am Fastnachtsdienstag stattfindenden Umzug, einen der größten in Hessen. Bis 1799 hatten die Herren von Groschlag in Eppertshausen das Sagen, wobei gegenseitige Ansprüche zwischen den Erzbischöfen von Mainz einerseits und den Grafen von Hanau andererseits der Entwicklung des Ortes keineswegs förderlich waren. Dieser Streit gipfelte in einer Entscheidung des Reichstages zu Konstanz von 1507, wonach die wirtschaftlichen Belange durch das Märkergericht Babenhausen, also den Hanauern, entschieden wurden, politische Belange aber durch das Zentgericht Dieburg, also den Mainzern.

Ab 1806 gehörte Eppertshausen dann zum Großherzogtum Hessen-Darmstadt und damit nach 1945 zum Bundesland Hessen.

Im 19. Jahrhundert waren Töpfereien, Ziegelhütten und später auch Lederwarenfabrikationen neben der nach wie vor dominierenden Landwirtschaft wichtige Erwerbsquellen für die Bevölkerung. Als dann 1905 die Dreieichbahn zwischen Dieburg und Dreieich-Buchschlag ihren Betrieb aufnahm, waren die Städte Darmstadt und Frankfurt leichter erreichbar. Viele Pendler nutzten nunmehr den Bahnhof Eppertshausen, was wesentlich zu einem weiteren Aufschwung des Ortes beitrug. Bei der 1974 in Hessen vorgenommenen Gebietsreform, die im Norden die künstliche Stadt Rödermark hervorbrachte und im Osten viele Dörfer nach Babenhausen eingemeindete, gelang es Eppertshausen, seine Selbständigkeit zu bewahren.

Dies, sowie die zentrale geografische Lage zusammen mit einer recht guten Verkehrsanbindung über Schiene und Straße, vor allem aber die sehr kluge und vorausschauende Kommunalpolitik der vergangenen 15 Jahre, geführt von einem jungen, sehr engagierten Bürgermeister, waren ursächlich, für die sehr positive Entwicklung des Ortes. So wurde 2007 das Gewerbegebiet Park 45 seiner Bestimmung übergeben und in den Neubaugebieten Im Eichstumpf und Am Abteiwald sind in den letzten Jahren zahlreiche Neubauten, meist Einfamilienhäuser, entstanden, womit die Lücke zum vorher etwas abseits gelegenen Ortsteil Failisch nahezu geschlossen wurde. Heute wohnen etwa 6.500 Frauen, Männer und Kinder in Eppertshausen.

Ursula Schreiner war eine von ihnen. Sie war mit ihren 67 Jahren immer noch eine sehr attraktive Frau. Vor sechs Jahren hatte sie über das Internet einen verwitweten ehemaligen Bauunternehmer kennengelernt und zwei Jahre später geheiratet. Ihr Mann verstarb allerdings wenig später an einem durch langjährigen starken Alkoholkonsum verursachten Leberversagen. Sein schönes Zweifamilienhaus in der im Ortsteil Failisch liegenden Vogelsbergstraße hatte er vorher seinen beiden Söhnen überschrieben. Die erste Etage wurde durch die Söhne vermietet. Für die Erdgeschosswohnung und den Garten hat aber Ursula Schreiner notariell beglaubigtes lebenslanges Wohnrecht.

Die ersten Jahre nach dem Tod ihres Mannes waren für sie recht einsam. Da sie aus Franken zugezogen war, hatte sie kaum Kontakte im Ort und nur ihre Labradorhündin Stella sorgte dafür, dass sie in Bewegung blieb. Dann engagierte sich Ursula in der Seniorenhilfe, einem 1998 gegründeten Verein, der nach dem Motto

Alt hilft Jung und Jung hilft Alt arbeitet und übernahm dort einmal wöchentlich Bürostunden. Auch wurde sie Mitglied im Seniorenturnverein und ging oft zu den immer dienstags stattfindenden Übungsstunden. Gut war auch, dass sie nach wie vor mit ihrem acht Jahre alten Golf unterwegs sein konnte. Stella fuhr gern mit im Auto und war schon immer ganz aufgeregt, wenn ihr Frauchen den Autoschlüssel vom Haken nahm.

Ein glücklicher Umstand war es, dass Ursula Schreiner vor drei Jahren ihre Nachbarin Else Niendorf, die zwei Häuser weiter wohnte, näher kennenlernte. Diese war mit ihrer Mischlingshündin unterwegs gewesen und es stellte sich schnell heraus, dass beide Frauen in nahezu gleichen Verhältnissen lebten. Else Niendorf war ebenfalls verwitwet und wohnte in ihrem Einfamilienhaus allein. Ihr Auto war ein Opel Corsa. Beide Frauen wurden rasch gute Freundinnen und gingen bei fast jeder Wetterlage dreimal täglich mit ihren Hunden spazieren. Meist führte sie ihr Weg in den Abteiwald, der gleich hinter dem Failisch begann und sich bis zum östlichen Nachbarort Hergershausen erstreckte. Da der gesamte Wald Wassereinzugsgebiet ist, führen zahlreiche, gut begehbare Wege hindurch und an vielen Stellen sind Brunnen zu sehen, die alle eine Nummer tragen.

Beide Frauen hatten es sich zur Angewohnheit gemacht, nach der Nachmittagsrunde noch bei einer Tasse Kaffee zusammen zu sitzen.

Auch übernahm jede gern den Hund der anderen, wenn diese Dinge zu erledigen hatte, bei denen ein solches Tier nicht erwünscht war.

Am 29. März, einem Freitag, musste Ursula Schreiner den Nachmittagsspaziergang allein mit ihrer Stella unternehmen, da ihre Freundin mit ihrem Hund einen Tierarzttermin hatte.

Es war ein schöner Frühlingstag. Das erste Grün zeigte sich an den Büschen, die das Unterholz im Abteiwald bildeten. Ursula ging einen gewohnten Weg und Stella, die recht gut erzogen war, lief bei Fuß. Plötzlich aber rannte sie davon, sprang über einen kleinen Graben am Wegesrand, blieb vor einer kleinen Kuhle neben dem Brunnen 25 stehen und bellte lauthals. Ihr Frauchen, der ein solches Verhalten völlig unerklärlich war, eilte herbei, um zu sehen, was der Hund entdeckt hatte. Sie sah sich die Kuhle genauer an und ihr Herz stockte. Seitlich aus dem Erdreich ragte deutlich das Skelett einer Hand hervor. Ursula Schreiner rief ihren Hund, leinte ihn an und griff zum Handy, das als Uhrzeit 13:37 Uhr anzeigte. Der Notruf 110 wurde sofort entgegen genommen. Ursula schilderte ihren Fund und konnte dank der am Brunnen angebrachten Bezeichnung auch eine genaue Lagebeschreibung geben. Man bat sie um ihre Personalien und forderte sie auf, das Eintreffen eines Streifenwagens abzuwarten.

Polizeiobermeister Philip Martin von der Polizeistation Dieburg war mit seiner Kollegin gerade auf routinemäßiger Streifenfahrt im östlichen Teil des Landkreises Darmstadt/Dieburg unterwegs. Die beiden hatten gerade Münster passiert als sie der Anruf der Zentrale zum Brunnen 25 im Abteiwald beorderte. Eine Eingabe in ihr Navi zeigte den beiden Polizisten, dass sie die von Eppertshausen nach Hergershausen führende L 3095 kurz nach dem linker Hand liegenden Waldfriedhof nach links verlassen und den Waldweg noch etwa 400 Meter folgen mussten.

Ursula Schreiner hatte etwa 10 Minuten gewartet, als der Streifenwagen bei ihr eintraf. Sie schilderte, wie ihr Hund plötzlich losgelaufen sei und seinen Fund lauthals verbellt habe. Philip Martin sprang über den kleinen Graben und sah sich die Sache genauer an, während seine Kollegin inzwischen die Personalien der Hundebesitzerin aufnahm. Polizeiobermeister Martin kam zurück und wollte wissen, ob Ursula Schreiner irgendwas am Fundort verändert habe oder ob ihr Hund vielleicht dort gescharrt haben könnte. Erleichtert nahm er zur Kenntnis, dass Frau Schreiner den Graben überhaupt nicht überquert habe und ihr Hund so erzogen sei, dass er Funde lediglich verbelle. „Ich denke, hier liegt nicht nur das Skelett einer Hand“, sagte er zu seiner Kollegin. „Wir müssen hier absperren und die Zentrale verständigen. Fährst du bitte zur L 3095 zurück, rufe die Zentrale an und sorge dafür, dass niemand den Waldweg nach hier befahren oder betreten kann. Ich warte solange hier.“

Es dauerte dann auch nicht lange, bis von der Dieburger Polizeistation Oberkommissar Uwe Krause eintraf. Er ließ sich von Ursula Schreiner die Situation nochmals schildern und schaute dann in die Kuhle. An seinen Kollegen Martin gewandt sagte er: „Das hier ist sicher eine Sache für die MUK“, ich werde Darmstadt verständigen“, und griff zum Handy. Dann wandte er sich Frau Schreiner zu: „Sie werden sicher gern nach Hause wollen. Aus meiner Sicht spricht nichts dagegen. Ihre Adresse haben wir. Aber bleiben Sie bitte zuhause, wir oder Kollegen von uns werden nachher sicher noch mal bei Ihnen vorbei kommen und bitte bewahren Sie über die Sache hier vorerst Stillschweigen.“

Mit den Worten: „Komm Stella, wir gehen heim“, verabschiedete sich Ursula Schreiner und dachte so bei sich: „Das mit dem Stillschweigen ist ja gut und schön, wenn aber nachher Else vom Tierarzt zurück ist und wie verabredet zum Kaffeetrinken kommt, werde ich ihr natürlich alles erzählen.“

2.

Freitag; 13:00 Uhr

Im geräumigen Beratungsraum der Regionalen Kriminalinspektion Darmstadt (RKI) gleich neben dem Büro der Leiterin, Polizeioberrätin Juliane Weißgerber, hatten sich, wie an jedem Freitag um diese Zeit die Leiterinnen bzw. Leiter der einzelnen Kommissariate versammelt. Es galt, sich gegenseitig über die Ergebnisse der vergangenen Woche zu informieren und die Planungen für die nächsten Tage abzustimmen.

Abweichend von der üblichen Reihenfolge forderte Juliane Weißgerber zuerst Markus Borgert, den Leiter des Kommissariates K 21/22 Bandenmäßige Eigentumskriminalität, Kraftfahrzeugdiebstahl, Wohnungseinbruch mit folgen Worten zu einem Lagebericht auf: „Markus, ich weiß, dass ihr an einer ziemlichen großen Sache dran seid, würden Sie uns bitte alle auf den neuesten Stand bringen.“

Hauptkommissar Borgert nahm das Wort. „Ihr wisst, dass wir es in der letzten Zeit mit einer Serie von Wohnungseinbrüchen zu tun hatten, bei denen mit außerordentlicher Dreistigkeit nicht nur einzelne Wohnungen das Ziel waren, sondern meist alleinstehende Häuser, besser sollte ich wohl sagen Villen, regelrecht leer geräumt wurden. Bisher waren es fünf Objekte im westlichen Kreisgebiet, die alle von ihren jeweiligen, stets ziemlich gut betuchten, Besitzern durch recht moderne Alarmsysteme geschützt waren – oder besser – sein sollten. Interessant ist, dass diese alle von der gleichen Firma konzipiert und eingebaut wurden.

Wir vermuten, dass hinter dieser Einbruchserie eine gut organisierte Bande steckt und arbeiten deshalb ganz eng mit Hauptkommissar Volker Matthes zusammen, der ja die Abteilung Bandenmäßige Eigentumskriminalität leitet. Volker, vielleicht kannst du jetzt weiterreden.“

Kommissar Matthes übernahm: „Ich will mich kurz fassen. Wir haben einen Tipp erhalten von einem Mitglied der Bande, die hauptsächlich aus Osteuropäern, vorwiegend Russen, besteht, aber höchstwahrscheinlich von Deutschen geführt wird. Nach dessen Aussage, die natürlich mit aller Vorsicht bewertet werden muss, ist in den nächsten Tagen ein Einbruch in die Villa des Unternehmerehepaares Reutersheim in Eberstadt geplant. Wir haben uns mal ein bisschen schlau gemacht. Die Villa liegt in einem kleinen Park und wird nur vom Ehepaar Reutersheim bewohnt. Die Kinder sind aus dem Haus, die Tochter arbeitet als Ärztin in Hamburg, der Sohn ist Mitinhaber einer Rechtsanwaltskanzlei in Konstanz. Beide haben Familie und Kinder. Im Haus gibt es zwei Angestellte, die auch zeitweise dort wohnen, aber auch eigene Wohnungen hier in der Stadt haben. Am Eingang des Parks steht ein kleines Häuschen. In dem lebt seit langem ein älteres Ehepaar. Er ist so um die sechzig und als Hausmeister, Gärtner und Fahrer bei den Reutersheims beschäftigt. Sie ist etwas jünger und fungiert praktisch als Mädchen für alles. Gestern nun hatten Maria und Egon Reutersheim Goldene Hochzeit. Ihre Anteile an einer gut gehenden Firma für Autoteile hatten sie gewinnbringend verkauft und derzeit ist die ganze Familie auf einem Kreuzfahrtschiff in der Karibik. Die Kinder fliegen von dort zurück. Das goldene Hochzeitspaar wird aber noch mindestens ein halbes Jahr auf Weltreise bleiben. Die Villa steht also leer. Den beiden Angestellten wurde für diese Zeit bezahlter Urlaub gewährt, eine Security-Firma schaut zweimal täglich nach dem Rechten. Die Alarmanlage ist mit der Zentrale dieser Firma verbunden. Bei Alarm wird von dort die Polizei informiert und spätestens nach 10 Minuten sind Securitymitarbeiter sowie ein Streifenwagen von uns vor Ort. Weil die Einbrecherbande aber den Alarm bisher jedes Mal umgehen konnte, denke ich, dass sie dieses Objekt ideal findet. Wir sollten unserem Informanten glauben und dort eine Falle aufbauen. Bisher sind nur wenige Kollegen informiert und das sollte bis auf weiteres auch so bleiben, damit keine Warnung herausgehen kann, falls wir irgendwo einen Maulwurf haben. Dennoch müssen wir umfangreiche Vorbereitungen treffen und brauchen dazu natürlich auch Leute von anderen Abteilungen. Als Ort des Einsatzes sollte aber vorerst Weiterstadt genannt werden. Soweit die Überlegungen von Markus und mir“, schloss Hauptkommissar Matthes seine Rede ab.

„Das klingt ja alles viel versprechend“, stellte Polizeioberrätin Weißgerber fest. „Markus und Torsten, Sie beide beginnen anschließend gleich mit der Ausarbeitung der konkreten Einsatzplanung. Verschaffen Sie sich eine Übersicht, welche Kolleginnen und Kollegen aus ihren und den anderen Abteilungen insgesamt zur Verfügung stehen könnten und denken sie dabei – aber das brauche ich so erfahrenen Leuten eigentlich nicht zu sagen – auch in Varianten. Es ist ja auch möglich, dass die Bande schon heute zuschlägt, was ich allerdings für wenig wahrscheinlich halte. Wenn die Planung steht, kommen Sie damit zu mir. Die Information der Staatsanwaltschaft sowie die Vorbereitung des sicher notwendigen Einsatzes eines SEK übernehme ich dann. Ein Problem scheint mir noch zu sein, wie wir das Hausmeisterehepaar vom Grundstück kriegen.“

„Ich hätte da vielleicht eine Idee“, meldete sich Hauptkommissarin Isabelle Cramer, die das Kommissariat K 24 Straftaten zum Nachteil älterer Menschen, Trick- und Taschendiebstahl leitet, zu Wort: „Wenn dieses Ehepaar Kinder oder Enkel hat, könnten sie ja dorthin zu Besuch fahren oder wegen einer dringenden Erkrankung oder Ähnlichem hin gerufen werden.“

„Gute Idee“, wurde sie von der Chefin gelobt. Diese wollte dann wissen, was es aus den anderen Kommissariaten zu berichten gäbe.

Kriminalrat Torsten Haase, der Leiter des K 10 Gewaltverbrechen, Vermisstenstelle, Raubstraftaten und Brandursachenermittlung, Waffendelikte, Sexualverbrechen/Kinderpornographie machte den Anfang, übergab aber nach wenigen Worten an Oberkommissarin Melanie Forstmann, die ab Januar die für Delikte gegen Leib und Leben zuständige Abteilung des K 10, intern nur MUK (Morduntersuchungskommission) genannt, kommissarisch geleitet hatte. Diese sagte: „Wir hatten zwei Todesfälle, beides aber ganz eindeutig Suizide, sowie eine größere Schlägerei unter Jugendlichen, bei der es Verletzte gab, weil ein asylsuchender Syrer, der inzwischen in U-Haft sitzt, mit einem Messer auf die anderen losgegangen war.“

Von den übrigen Kommissariaten gab es auch noch Informationen über alltägliches Geschehen. Lediglich Hauptkommissar Ewald Winter, der innerhalb des Kommissariates K 21/22 die Abteilung Verkehrsdelikte leitet, informierte über die Suche nach einem blauen oder grauen PKW, wahrscheinlich einem neueren Audi A6. Dessen Fahrer hatte in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag einen Radfahrer auf der Landstraße zwischen Roßdorf und Ober-Ramstadt angefahren und den Schwerverletzten ohne anzuhalten liegen gelassen. Ein nachfolgender LKW Fahrer steht als Zeuge zur Verfügung, der Radfahrer ist inzwischen außer Lebensgefahr.“

Polizeioberrätin Juliane Weißgerber bedankte sich bei ihren Mitstreitern und fuhr dann fort: „Bevor wir auseinander gehen, noch folgendes: Am Montag beginnt ein neuer Kollege seinen Dienst bei uns. Hauptkommissar Lutz Waski übernimmt ab 1. April in der K 10 die Leitung des Bereichs Gewaltverbrechen. Ich bitte sie alle, um 9:00 Uhr hier zu sein, damit ich ihn offiziell vorstellen und Oberkommissarin Melanie Forstmann für ihre Arbeit als kommissarische Leiterin dieses Bereiches danken kann. Da das am Montag sicher eine kurze Veranstaltung wird, möchte ich Kriminalrat Torsten Haase, der als Kommissariatsleiter von K 10 ein gewichtiges Wort bei der Stellenbesetzung mitzusprechen hatte, bitten, uns einige Informationen zu dem Neuen geben.

Der so Angesprochene führte aus: „Lutz Waski wurde 1983 in einem kleinen thüringischen Dorf bei Jena geboren und hat dort 2002 das Carl-Zeiss-Gymnasium mit einem sehr guten Abitur abgeschlossen. Schon während seiner Schulzeit hat er sich für die Arbeit der Polizei interessiert und zweimal ein einwöchiges Praktikum absolviert, das die thüringer Kollegen u. a. in Saalfeld anbieten. Nach einem freiwilligen sozialen Jahr, in dem er beim DRK Jena als Helfer von Rettungssanitätern auch an einigen dramatischen Einsätzen beteiligt war, hat er auf Wunsch seiner Eltern noch eine Lehre als KfZ-Mechatroniker begonnen. Diese hat er 2007 mit sehr guten Ergebnissen abgeschlossen. Danach bewarb er sich bei der in Meiningen ansässigen Thüringer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung die auch an für den Fachbereich Polizei ausbildet. Das für den gehobenen Polizeidienst erforderliche dreijährige Studium schloss er 2012 mit dem Bachelor of Arts ab und zwar als Jahrgangsbester.

Danach trat er seinen aktiven Dienst als Kommissaranwärter im Polizeipräsidium Gera an. Von Beginn an war dort Kriminalrat Günter Schreiber sein Chef, den ich übrigens von vielen Weiterbildungskursen, die Hessen und Thüringen seit langem gemeinsam durchführen, ganz gut kenne. Schreiber leitet dort die MUK. Mancher von Euch wird sich vielleicht an den Fall erinnern, bei dem es den Geraer Kollegen gelang, ausgehend von einem Tötungsdelikt und einem Falschgeldfund auf einem Kreuzfahrtschiff, ein kriminelles Netzwerkes zu zerschlagen, das sich aus alten Stasi-Seilschaften rekrutiert hatte. Bei der spektakulären Schlussaktion unter Tage, in Schachtanlagen der ehemaligen AG WISMUT, die über lange Jahre radioaktives Uran für die Sowjetunion förderte, hat sich Lutz Waski besonders bewährt.1 Übrigens ist der entsprechende Abschlussbericht bei uns im System gespeichert.

In Gera hat sich nun Lutz Waski in die Assistentin von Schreiber, Steffi Brenner, verliebt und die beiden haben 2015 geheiratet. Im Mai vergangenen Jahres wurde ihr Sohn geboren. Waskis Frau stammt aus unserem Landkreis, nämlich aus Eppertshausen. Ihre beidem Eltern sind ehemalige Lufthanseaten, die dort Mitte der 80iger Jahre ein sehr schönes Zweifamilienhaus gebaut haben. Steffi ist ihr einziges Kind und die junge Familie wird nach Eppertshausen umziehen. Wenn ich richtig informiert bin, findet der Umzug heute statt. Hier liegt also der Grund, weshalb sich Lutz Waski auf die Stelle bei uns beworben hat. Diese war ja nach dem altersbedingten Ausscheiden von Kriminalrat Karlheinz Schwarz in Hessen und Thüringen ausgeschrieben worden. Karlheinz war übrigens bei den Vorstellungsgesprächen, die wir im vergangenem Dezember mit mehreren Bewerbern geführt hatten, immer dabei.

Bei dieser Gelegenheit habe ich Lutz Waski erstmals erlebt. Vor uns saß ein etwa 1,80 m großer, schlanker junger Mann, der ob seiner durchtrainierten Figur hätte auch als Fußballprofi durchgehen können. Er war mit Jeans und einem recht sportlichen T-Shirt bekleidet, an den Füßen trug er recht teuer wirkende Turnschuhe. Waski machte einen sehr gepflegten Eindruck und hatte dem Anlass entsprechend auch einen Sakko angezogen, auf eine Krawatte aber verzichtet. Sein gesamtes Auftreten, seine ausgezeichneten Beurteilungen und vielleicht auch sein Einsatz bei dem vorhin geschilderten Fall, haben uns, also die Kommission, die über die Stellenvergabe zu entscheiden hatte, überzeugt und so wird Lutz Waski der neue Leiter des Bereiches Gewaltverbrechen bei mir im K 10.

Günter Schreiber, Karlheinz und ich haben uns übrigens kurz vor Weihnachten, da war die Sache aber schon entschieden, in Wiesbaden bei einer Veranstaltung des LKA getroffen. Karlheinz und Günter kennen sich auch seit längerem und letzter bedauerte außerordentlich, dass er einen sehr guten Mann und eine tüchtige Sekretärin ziehen lassen muss. Er wünscht den beiden aber natürlich alles Gute, zumal er als Patenonkel ihres Sohnes sicher weiterhin Kontakt behält. Beim Einstellungsgespräch vor vier Wochen hat sich übrigens der gute Eindruck, den ich von Waski hatte, bestätigt. Ich erwarte von Ihnen allen, dass sie dem Neuen ohne Vorbehalte, die es geben könnte, weil er aus dem Osten kommt, begegnen und ihm die Eingewöhnung leicht machen.“

Danach beendete Juliane Weißgerber die Beratung und meinte zu Haase: „Torsten, Ihre Ausführungen werden Sie wohl wiederholen müssen, wenn sie am Montag nach der kurzen Vorstellung des Neuen hier diesen dann in ihr Kommissariat einführen.“ „Geht klar“, lautete die Antwort und schon auf dem Weg zu seinem Büro wandte er sich an Oberkommissarin Forstmann: „Melanie, ich bitte Sie nachher noch auf einen Sprung zu mir herein zu kommen.“ Dann ging er in sein Büro.

Etwa 10 später Minuten klopfte es und die Oberkommissarin steckte ihren Kopf durch die Tür. „Kommen Sie herein, Melanie und nehmen Sie Platz“, wurde sie von Torsten Haase aufgefordert, „ich möchte noch ein paar persönliche Worte mit Ihnen reden.“

Mit Wohlwollen schaute der Kriminalrat auf seine Mitarbeiterin, die sich inzwischen auf dem Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch niedergelassen hatte. Er sah eine junge Frau, die – wie er wusste – 34 Jahre alt war. Sie wirkte wesentlich jünger, war etwa 1,75 groß und ziemlich schlank. Trotz ihrer relativ kurz geschnittenen blonden Haare, welche das insgesamt sehr sportliche Aussehen noch unterstrichen, wirkte sie fraulich. Ihre gesamte Körpersprache zeugte von einem gesunden Selbstbewusstsein.

„Melanie, ich habe Sie hergebeten“, begann Haase das Gespräch, „weil ich weiß, dass Sie sich auch auf die Stelle, die nun Waski erhalten hat, beworben und durchaus gute Chancen ausgerechnet hatten, zumal da ja auch eine Beförderung drin gewesen wäre.“

Melanie Forstmann konnte nur nicken.

Torsten Hasse redete weiter: „Dennoch muss ich Sie bitten, den Kollegen Waski unvoreingenommen als Ihren neuen Vorgesetzten anzuerkennen, ihn mit alle Ihren Kräften zu unterstützen und ihm das Einarbeiten leicht zu machen. Ich denke, da kann ich mich auf Sie verlassen.“

„Ich werde mir alle Mühe geben“, erhielt er zur Antwort und sagte daraufhin: „Ohne Ihnen hier etwas versprechen zu wollen, möchte ich bemerken, dass die Sache mit einer Beförderung ja nicht an die Stelle gebunden ist. Haben Sie am Wochenende Bereitschaft?“ wollte der Chef noch wissen. Melanie schüttelte den Kopf und war schon an der Tür, als das Telefon vom Kriminalrat klingelte. Er nahm kurz ab, sagte „ja wir veranlassen das Nötige“ und winkte die Oberkommissarin zurück. „Melanie, es gibt Arbeit“, sagte er zu ihr. „Damit ich nicht alles doppelt erzählen muss, bitte ich noch Hauptkommissar Goebel zu uns.

Es dauerte nicht lange, bis Daniel Goebel, der Leiter der Abteilung Kriminaltechnik, zu der auch alles was mit Spurensicherung zusammenhängt gehört, den Raum betrat und wissen wollte, was los sei.

Torsten Haase erklärte: „Ich bin eben von Oberkommissar Krause von der Polizeistation Dieburg angerufen worden. Im Abteiwald, der gleich hinter Eppertshausen beginnt, wurde wahrscheinlich eine Leiche gefunden. Bisher hat man nur eine skelettierte Hand aus einer Kuhle herausragen sehen und außer Absperrmaßnahmen noch nichts weiter unternommen. Ich bitte Sie, Melanie, zusammen mit einem Kollegen von der Spurensicherung (Spusi), den Daniel beauftragen wird, hinzufahren und sich die Sache genauer anzusehen. Wenn es tatsächlich ein Leichenfund ist, läuft natürlich das volle Programm an. Übrigens werde ich auch Lutz Waski bitten, zum Fundort zu kommen, seine neue Wohnung ist ja nicht mal einen Kilometer davon entfernt. Da könnt Ihr euch gleich bei der Arbeit kennen lernen.“

„Chef“, meldete sich Frau Forstmann zu Wort: „Ich muss jetzt spontan an unsere große, bisher erfolglose Suchaktion von 2018 denken, wo es um das urplötzlich verschwundene mehrfach behinderte Mädchen ging. Ich weiß, dass diese Sache meinen Vorgänger Karlheinz Schwarz auch nach seiner Versetzung in den Ruhestand noch stark beschäftigt, sollten wir ihn nicht informieren?“ „Warten wir erst einmal ab, was Ihr dort im Abteiwald vorfindet“, entschied der Kriminalrat. „Wenn da tatsächlich eine Frauenleiche liegt, habe ich nichts dagegen, Karlheinz einzubeziehen, im Gegenteil, sein Wissen von den damaligen Vorgängen dürfte äußerst nützlich sein. Seine Reaktivierung halte ich aber vorerst noch nicht für nötig.“

Damit gingen alle an die Arbeit.

1 Siehe: Günter Fanghänel: Die Tote in Kabine 8032: BoD 2016; ISBN 9783839147641

3.

RÜCKBLENDE

Freitag, 10:00 Uhr

In Eppertshausen verläuft die Straße Am Kreuzfeld