Die Tote in Kabine 8032 - Günter Fanghänel - E-Book

Die Tote in Kabine 8032 E-Book

Günter Fanghänel

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Beschreibung

Auf einer Kreuzfahrt in der Ostsee wird in Kabine 8032 eine tote Frau gefunden. Die Geraer Kommissare Schreiber und Richter sind mit ihren Frauen an Bord. Sie werden gebeten, die ersten Ermittlungen zu übernehmen. Unter dem Bett der Toten, die aus Gera stammt, wird eine Tasche mit Falschgeld gefunden. Die Spuren führen zum Vater der Toten, einem ehemaligen hochrangigen Sicherheitsoffizier der deutsch-sowjetischen Aktiengesellschaft, die unter den Namen AG Wismut in Thüringen Uran abgebaut hat. Unter Leitung von Hauptkommissar Günter Schreiber ermittelt eine Sonderkommission. Unterdessen geschieht ein zweiter Mord. Nach einer spektakulären Aktion in alten Stollen und Schächten der Wismut AG, bei der es einen weiteren Toten gibt, gelingt es schließlich, die Täter festzunehmen und ein kriminelles Netzwerk zu zerschlagen.

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Alle Personen- und Firmennamen sind

frei erfunden, etwaige Übereinstimmungen

mit real existierenden Personen oder

Firmen wären rein zufällig.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Epilog

Kapitel 1

Dienstag, 5. Juli, 19:30 Uhr.

Ein schöner Sommertag ging langsam zu Ende. Auf der spiegelglatten Ostsee war das stattliche Kreuzfahrtschiff Unser Schiff 3 unterwegs von Gdynia nach Rostock.

Auf Deck 12, dem Pooldeck, herrschte noch immer rege Betriebsamkeit. Auf vielen Liegen genossen leicht bekleidete Passagiere die letzten Sonnenstrahlen, hatten sich an der Bar mit Getränken versorgt oder am Eisstand aus dem vielfältigen Angebot eine Leckerei geholt.

Es war allerdings auch Zeit zum Abendessen. Das Buffetrestaurant achtern auf Deck 12 füllte sich zusehends. Hier wurde eine reiche Auswahl kalter und warmer Speisen, Suppen, Salate, Fisch, viele Sorten Fleisch und Geflügel, Pizza, verschiedenste Beilagen sowie leckerer Nachtisch in vielfältigen Varianten angeboten.

Auch das Hauptrestaurant Atlantis, das sich im Heck über die Decks 3 und 4 erstreckte, war schon gut gefüllt. Im Gegensatz zu vielen anderen Kreuzfahrtschiffen gab es auf der Unser Schiff 3 keine festgelegten Tischplätze und -zeiten. Man ging während der Öffnungszeiten ins Restaurant, suchte sich einen freien Platz, bzw. wurde vom Maitre empfangen und von einem Ober zum Tisch geleitet.

Dies traf auch auf vier Personen zu, die soeben am Fenster der Steuerbordseite Platz genommen hatten. „Da können Sie ja direkt noch den Sonnenuntergang sehen“, meinte der junge Ober, der sie zum Tisch geführt und ihnen die Speisekarten überreicht hatte.

Bei den vier Personen handelte es sich um Mitglieder einer Reisegruppe, die ihre Ostseereise alle bei dem auf Kreuzfahrten spezialisierten Reisebüro Martina in Gera gebucht hatten.

Es waren dies Günter Schreiber mit seiner Frau Christel sowie das Ehepaar Karl und Ilona Richter.

Die beiden Männer waren seit über 30 Jahren, seit Beginn ihrer Ausbildung zu Kriminalisten der Volkspolizei der DDR, eng befreundet. Beide waren 1990 übernommen und nach vielen gemeinsamen Erfolgen und auch manchen Enttäuschungen inzwischen zu Hauptkommissaren befördert worden. Schreiber war Leiter der Morduntersuchungskommmission (MUK) Gera und Richter oblag dort als Chef der Abteilung Kriminaltechnik alles, was mit Spurensicherung zu tun hatte1.

Ilona Richter war mit Leib und Seele Lehrerin und unterrichtete hauptsächlich Mathematik am Geraer Helmholtz-Gymnasium. Christel Schreiber war dort die Schulsekretärin. Beide Frauen waren gute Freundinnen und gemeinsam mit ihren Männern trafen sich regelmäßig zum Doppelkopfspiel. Die Gewinne kamen dann immer in ein Sparschwein, dass anlässlich dieser Kreuzfahrt „geschlachtet“ worden war.

„Also, so schön hätte ich mir unsere Reise nicht vorgestellt“, begann Ilona die Unterhaltung. „Das ist ja ein wunderbarer Beginn der Sommerferien.“

„Ja, ich habe mich auch lange mit dem Chef des Reisebüros unterhalten“, antwortete Karl. „Er hat uns die Route Kiel – Riga – Tallin – Helsinki – St. Petersburg –Gdynia – Rostock – Kopenhagen – Kiel auch sehr empfohlen und auch das Schiff, zumal hier fast alle Getränke und auch die Trinkgelder schon im Reisepreis enthalten sind.“

„Ich freue mich, dass deine anfängliche Skepsis überwunden zu sein scheint“, wandte sich Günter an die Frau seines Kollegen. „Nun wollen wir aber erst einmal unser heutiges Menü zusammenstellen. „Ich nehme die Hummersuppe, kein Zwischengericht, dann die Entenbrust á l'orange und als Dessert Eis mit heißen Himbeeren.“

Die anderen drei wählten ebenfalls und als die freundliche Bedienung nach den Getränkewünschen fragte, bestellten die Männer Bier und die Frauen Weißwein, weil sie sich für Fisch entschieden hatten.

In diesem Moment kam ein junges Paar auf der Suche nach einem freien Platz vorbei und blieb kurz stehen.

„Hallo, Frau Dr. Berschot und Herr Dr. Weingart“, wurden sie von Günter Schreiber begrüßt. Wir hoffen, Sie und Ihr Verlobter hatten einen schönen Tag. Es folgte gegenseitiges Händeschütteln. Seit der gemeinsamen Busanreise kannten sich alle. Dabei hatte Karl Richter scherzhaft gemeint, dass ja nun das Ermittlungsteam fast vollzählig sei.

Dr. Hanna Berschot, eine zierliche, schwarzhaarige Person mit südländischem Aussehen, das sie ihrem italienischen Vater verdankte, war trotz ihrer erst 38 Jahre eine angesehene und geachtete Wissenschaftlerin am Institut für forensische Medizin der Universität Jena und dort die rechte Hand des Institutsdirektors Prof. Dr. Winfried Hensing.

Richter und Schreiber hatten schon in vielen Fällen erfolgreich mit ihr zusammengearbeitet. Dabei scherte es die beiden wenig, dass in Jena getuschelt wurde, Dr. Berschot hätte ein Verhältnis mit ihrem 25 Jahre älteren Chef. Den jungen Mann an ihrer Seite hatte sie jedenfalls als ihren künftigen Ehemann Dr. Hans Weingart, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Informatikbereich der Uni Jena, vorgestellt. Nachdem die beiden auf einen freien Tisch in der Mitte des Raumes zugesteuert waren, nahm Christel Schreiber die Unterhaltung wieder auf: „Ich finde unsere Reise einfach wundervoll und die Planung von Karl muss ich sehr loben. Es war gut, dass wir in Riga und Tallin auf eigene Faust losgezogen sind und in Helsinki an der Stadtrundfahrt teilgenommen haben. Einen ersten Eindruck von diesen Städten haben wir ja gewonnen, aber natürlich war die Zeit überall zu kurz.“

„Das gilt ganz besonders für St. Petersburg“, beteiligte sich Günter Schreiber am Gespräch. „Ich war ja vor Jahren, als die Stadt noch Leningrad hieß, einmal dienstlich dort, aber es hat sich sehr viel verändert.“

„Nur die Bürokratie ist geblieben“, wandte Karl Richter ein. „Es wäre sehr schwierig geworden, hier privat durch die Stadt zu streifen. Man hätte Monate vorher ein Visum beantragen müssen und das hätte pro Person mindestens 70 Euro gekostet.“

„Es war völlig richtig, die vom Schiff angebotenen Ausflüge zu buchen“, bestätigte seine Frau. „Das Bernsteinzimmer im Katharinenpalast und die Wasserspiele in Petershof haben mich sehr beeindruckt.“

„Es war schon gut, dass wir für St. Petersburg zwei Tage hatten“, meine Günter. „Und mit dem Ausflug zum Peterhof hatten wir auch Glück, weil dieser so zeitig begann. So waren wir dort, als die Wasserspiele losgingen, später kamen ja immer mehr Busse.

Außerdem konnten wir uns so auch noch an der Abendfahrt beteiligen und an der Newa eine der weißen Nächte erleben.“

„Aber anstrengend war das Ganze auch“, meinte seine Frau. „Unsere Entscheidung, gestern auf dem Schiff zu bleiben, fand ich gut, zumal wir ja schon gemeinsam in Danzig waren. So hatten wir einen gemütlichen Sonnentag an Bord. Die Ausflügler sind ja vorhin recht spät zurückgekommen.“

Dann kam das Gespräch auf die Kinder. Schreibers hatten einen Sohn, Heiko, der gerade am Helmholtz-Gymnasium das Abitur mit sehr guten Noten bestanden hatte. Die Tochter von Richters, Claudia, besuchte die gleiche Schule und war in der 11. Klasse.

„Ich habe ja gedacht, aus den beiden wird vielleicht einmal ein Paar“, meinte Günter Schreiber, „aber mehr als eine gute Freundschaft ist da ja wohl nicht.“

„Da stimme ich dir zu“, antwortete Claudias Mutter. „Einen festen Freund hat unser Mädchen wohl noch nicht, obwohl wir uns – sie wird ja bald Neunzehn – langsam daran gewöhnen müssen. Aber manchmal gehen die beiden zusammen in die Disco und zum Abiball war sie ja auch von Heiko eingeladen worden.“

„Na, die jungen Leute haben sich doch gut amüsiert“, nahm Christel Schreiber das Wort. „Heiko wollte, dass wir dabei sind. Die meisten Eltern waren auch gekommen. Günter hatte vorher allerdings wenig Lust.“

„Na, da Heiko es so wollte, hatte ich mich eben aufgerafft und es war ja dann auch recht nett“, erwiderte Günter Schreiber.

„Was will denn Heiko nun machen?“, erkundigte sich Karl Richter.

„Er möchte in Ilmenau Elektrotechnik studieren“, antwortete Heikos Vater. „Aber zuvor will er noch ein freiwilliges soziales Jahr im Ausland absolvieren. Wir haben uns schon darauf eingestellt, dass wir noch ein paar Jährchen für seinen Unterhalt zuständig sind.“

„Na, das werdet ihr doch wohl schaffen“, lachte ihm Karl ins Gesicht.

Schmunzelnd antwortete Günter: „So war meine Bemerkung nicht gemeint. Das Wichtigste, was wir den Kindern mitgeben können, ist doch eine gute Ausbildung.“

„Neben der Vermittlung von Werten und einer vernünftigen Erziehung“, ergänzte Ilona, die ihren Beruf nicht verleugnen konnte.

Mit solchen Gesprächen verging die Zeit und die Frauen fragten ihre Männer, ob sie mit ins Theater kommen wollten.

Im Bug des Schiffes gab es ein über drei Decks reichendes Theater mit über tausend Plätzen. Hier fanden jeden Abend sehr schöne Show-Aufführungen statt.

Günter und Karl lehnten aber ab und erklärten, dass sie eine Verabredung in der Panorama-Bar im Heck von Deck 14 hätten. Auf die verwunderten Blicke der Frauen erklärte Günter Schreiber. „Ich wollte es Euch schon vorhin sagen, Karl und ich haben einen alten Bekannten getroffen. Gestern lief uns einer der Sicherheitsoffiziere des Schiffes über den Weg. Wir haben uns erst lange angeguckt und dann fiel der Groschen. Herbert Langfeld hat mit uns von 1985 bis 1987 die Polizeischule besucht und war dann in Karl-Marx-Stadt, wie Chemnitz vor der Wende hieß. Was dann nach 1990 aus ihm wurde und wieso er jetzt hier auf dem Schiff ist, werden wir sicher nachher von ihm erfahren.“

Mit den Worten: „Na, da wünschen wir Euch einen schönen Abend“, zogen die beiden Frauen los.

„Sehr begeistert klang das eben nicht“, schmunzelte Karl Richter. Damit brachen die beiden Männer Richtung Deck 14 auf.

1 Siehe auch von Günter Fanghänel:

Der Tote vom Teufelstal

;

ISBN 9783844812299

und

Der Tote auf Gleis 2

;

ISBN 9783732284986

Kapitel 2

Dienstag, 5. Juli, 21:30 Uhr.

Die Panorama-Bar war schon gut besucht, als Günter Schreiber und Karl Richter eintrafen. Die beiden Männer zogen die Blicke mancher anwesenden Gäste auf sich, boten sie doch mit ihren sportlichen, etwa 1,80 m großen Figuren und ihrer saloppen Sommerkleidung ein attraktives Bild.

An einem Tisch in der Nähe der Tür zum Außenbereich saßen vier Frauen mittleren Alters, die offensichtlich in guter Stimmung waren. „Der Blonde mit dem kleinen Bärtchen (gemeint war Günter Schreiber) wäre doch was für dich“, sagte die Älteste zu ihrer Nachbarin. „Dann musst du aber den anderen nehmen, den mit den grauen Haaren, von denen aber nicht mehr viele da sind“, entgegnete diese lachend. „Und wir?“, fragten die anderen beiden und alle vier kicherten munter weiter.

„Na, da haben wir ja noch Chancen“, sagte Günter, der die Bemerkungen der Frauen verstanden hatte, zu seinem Freund. Beide lachten und gingen in den Außenbereich der Bar, wo sie noch einen freien Tisch fanden.

Sie hatten kaum Platz genommen, als auch schon Herbert Langfeld zu ihnen kam. Er war nicht ganz so schlank wie die beiden und auch etwas kleiner, sah aber in seiner Offiziersuniform ausgesprochen gut aus.

Man begrüßte sich und beim herbeigeeilten Ober wurden Whisky und Bier für die beiden Kommissare bestellt, Langfeld orderte, da er im Dienst war, eine Cola. Danach ging das Erzählen los.

Günter und Karl berichteten von ihrem Werdegang bei der Geraer Kriminalpolizei und wollten natürlich wissen, wie es Herbert in den letzten Jahren so ergangen sei.

„Dass ich nach unserer gemeinsamen Ausbildung zur Kripo nach Karl-Marx-Stadt kam, wisst ihr ja“, begann dieser seinen Bericht. „Ich hatte eine nette Frau kennengelernt, wir haben 1988 geheiratet und kurze Zeit später wurde unsere Tochter Anna geboren. Dann habe ich dummerweise etwas mit einer Kollegin aus Rostock angefangen. Meine Frau kam dahinter und ließ sich scheiden. Ich bin dann nach Rostock gegangen, kam aber dort überhaupt nicht klar. Die neue Beziehung hat auch nicht gehalten und ich hatte anschließend eine echt schwierige Zeit. Der Alkohol und ein paar Weibergeschichten haben mir ziemlich zugesetzt. Für kurze Zeit hatte ich sogar eine eigene Firma für Wachschutz. Nach kurzer Zeit musste ich aber Insolvenz anmelden. Letztlich habe ich die Kurve aber gekriegt. Einem Freund, der früher bei der Seereederei der DDR gearbeitet hatte, habe ich es zu verdanken, dass ich auf dem Gebiet der Schiffssicherheit gelandet bin. Und nun bin ich als

Vize von Letkow, dem 1. Sicherheitsoffizier, hier an Bord.“

Die Männer hatten inzwischen Nachschub an Getränken geordert und unterhielten sich angeregt über frühere Zeiten. Da ging eine junge Frau, sie mochte etwa 30 Jahre alt sein, vorbei und winkte ihnen kurz zu. Die drei sahen sich an. „Wem von uns hat denn dieser Gruß gegolten?“, wollte Günter wissen. „Ich kenne dieses hübsche Kind jedenfalls nicht.“

„Ich auch nicht“, betonte Herbert. Alle Augen richteten sich nun auf Karl. „Bis heute morgen wusste ich von der Dame auch nichts“, erklärte dieser. „Kurz vor dem Mittagessen sprach sie mich an und fragte, ob ich nicht Kommissar Richter aus Gera sei. Als ich dies bejahte, sagte sie, dass sie auch aus Gera sei und Ludmilla Germer heiße. Sie bat mich um ein Gespräch, sie würde unbedingt meinen Rat brauchen. Ich sagte, dass ich im Urlaub sei, aber sie machte das Ganze ziemlich dringend. So habe ich mich schließlich breitschlagen lassen und morgen um zehn werde ich Frau

Germer in der Bar auf Deck 6 treffen. Danach wissen wir mehr.“

Es dauerte dann nicht mehr lange, bis Christel und Ilona aus dem Theater kamen und sich zu ihnen setzten. Günter machte sie mit Herbert Langfeld bekannt. Dieser musste aber kurz danach die Runde verlassen, weil der Dienst auf ihn warte, wie er sagte.

Die vier Zurückgebliebenen überlegten, ob sie noch eine der vielen anderen Bars aufsuchen sollten, entschlossen sich dann aber, den Abend in der Panorama-Bar ausklingen zu lassen. Bei einem guten Glas Wein und dezenter Musik berichteten die Frauen von der Show und von einer Artistin, die mit einer langen, von der Decke herabhängenden Stoffbahn waghalsige Übungen gezeigt hätte. Die Männer erzählten von ihrer Unterhaltung mit ihrem früheren Mitstreiter und der Bitte der jungen Frau. „Wie war ihr Name“, wollte Ilona Richter wissen. Als Karl diesen nannte, meinte sie: „Ich glaube, dass ich den Namen Ludmilla Germer vor einigen Jahren im Zusammenhang mit einem unschönen Vorfall an unserer Schule schon einmal gehört habe. Da ging es doch um diese Geschichte mit den Ecstasy-Tabletten. Karl, du müsstest dich eigentlich auch erinnern können.“

„Jetzt, wo du es sagst, kommt mir der Name Germer auch irgendwie bekannt vor“, antwortete dieser. Dann drehte sich das Gespräch wieder um Herbert Langfeld.

„Ich weiß nicht“, warf Christel Schreiber ein, „besonders sympathisch finde ich den Mann nicht. Ich kenne ihn ja überhaupt nicht und tue ihm vielleicht Unrecht, aber die Geschichten mit seinen Frauen tragen kaum dazu bei, ihn in einem besseren Licht zu sehen.“

„Na ja“, entgegnete Karl. „Er hat es aber offensichtlich beruflich zu etwas gebracht und bei dem damit verbundenen unsteten Leben sind Beziehungsprobleme wohl nicht auszuschließen.“

Seine Frau setzte das Gespräch fort: „Und wir haben schon gedacht, dass wir unter euren unregelmäßigen Dienstzeiten und den vielen Überstunden leiden müssen. Aber da können wir ja direkt noch zufrieden sein.“

„Das hätten wir aber gern schriftlich“, beendete Karl lachend die Diskussion.

Kapitel 3

Mittwoch, 6. Juli, 09:45 Uhr.

Die Ehepaare Schreiber und Richter saßen gemütlich beim Frühstück in der zweiten Etage des Hauptrestaurants auf Deck 4. Sie hatten freie Sicht nach hinten und die Frauen beobachteten einen Frachter, den die Unser Schiff 3 vor kurzem überholt hatte.

Die beiden Männer hatten soeben Sekt vom Buffet geholt, der Ober hatte Kaffee eingeschenkt und brachte die bestellten Omeletts. Der Kapitän hatte sich wie üblich von der Brücke gemeldet, über den Kurs und das Wetter informiert und allen einen schönen Tag gewünscht. Die danach leise zu hörende Unterhaltungsmusik wurde jäh durch eine Durchsage unterbrochen:

„Die Herren Günter Schreiber und Karl Richter werden dringend gebeten sich möglichst rasch bei der Rezeption auf Deck 3 zu melden.“

Karl und Günter sahen sich verständnislos an und auf die Fragen ihrer Frauen, was das denn solle, zuckten sie nur mit den Schultern. Dann machten sie sich auf den Weg zur Rezeption.

Dort wurden sie von der Hotelmanagerin mit den Worten empfangen: „Schön, dass sie so schnell gekommen sind. Wir haben ein ziemliches Problem und ich soll sie sofort zu unseren Kapitän bringen. Bitte folgen sie mir.“

In der geräumigen Kajüte des Kapitäns waren vier Männer anwesend. Herbert Langfeld stellte den Kapitän Peer Holmes, den ersten Offizier sowie Fred Zabel, der auch ein Stellvertreter von Lew Letkow war, vor.

Holmes ergriff das Wort; „Danke meine Herren, dass Sie gekommen sind. Von Langfeld weiß ich, dass Sie erfahrene Kriminalbeamte sind. Es gibt folgende Situation: Vor etwa einer halben Stunde hat der zuständige Steward in der Kabine 8032 eine tote Frau gefunden, die offensichtlich ermordet worden ist. Er hat sofort unseren Sicherheitschef Letkow sowie unseren Schiffsarzt informiert. Dieser hat den Tod der Frau festgestellt und befindet sich gemeinsam mit Letkow und dem Steward, der die Tote gefunden hat, derzeit noch vor Ort. Als Kapitän habe ich die Polizeigewalt hier an Bord und ich bitte Sie, uns bei der Aufklärung dieses Falles zu unterstützen. Befehlen kann ich Ihnen natürlich gar nichts, Sie sind schließlich im Urlaub, aber es wäre schön, wenn Sie meine Bitte nicht abschlagen würden.“ Karl und Günter sahen sich an. „Gut“, antwortete Günter. „Wir können uns ja den Tatort, oder besser gesagt den Fundort der Toten einmal ansehen und dann gemeinsam beraten, wie weiter vorzugehen ist.“

„Aber von dem, was für eine gründliche Untersuchung nötig ist, wird wohl an Bord wenig vorhanden sein“ kam ein Einwand von Karl Richter.

„Wir legen morgen früh in Rostock an“, antwortete der Kapitän. „Kurz bevor sie kamen, habe ich mit dem LKA in Schwerin telefoniert. Der Chef dort, Kriminalrat Uhlmann, kennt Sie übrigens“, sagte er zu Günter Schreiber. „Er ist sehr einverstanden, dass wir sie beide hinzuziehen. Er wird veranlassen, dass ein Team der Spurensicherung von Rostock per Hubschrauber zu uns kommt. Er meint, in etwa vier Stunden könnten diese hier sein. Morgen in Rostock sind dann weitere Polizisten vor Ort. Ich möchte natürlich vermeiden, dass unsere Passagiere von dem Ganzen etwas

mitbekommen und ihre Kreuzfahrt weiter unbeschwert genießen können.“ „Na ja“, wandte Schreiber ein. „Unter den auf dem Schiff befindlichen Personen ist ja wohl der Täter. Da können wir keinen der Passagiere ausschließen. Aber wir wollen uns erst einmal die Kabine 8032 ansehen, dann sehen wir weiter.“ Karl Richter bemerkte: „Ich muss nur noch schnell dieser Frau Germer sagen, dass wir unser Gespräch verschieben müssen.“

„Das ist nicht nötig“, entgegnete Herbert Langfeld: „Sie ist die Tote!“

Kapitel 4

Mittwoch, 6. Juli, 10:30 Uhr.

Die Kabine 8032 lag mittschiffs auf der Steuerbordseite von Deck 8. Der lange Gang vor den Kabinen war leer, nur vor 8032 wartete der Steward. Er war ganz verstört und wollte gleich berichten, wie er die Tote gefunden hatte. Günter Schreiber ließ ihn aber vorerst nicht zu Wort kommen. „Wir wollen uns zunächst die Kabine ansehen. Halten Sie sich bitte zur Verfügung“, beschied er dem jungen Filipino.

Dann betraten die drei die geräumige Kabine.

Rechter Hand stand die Tür zum Bad offen, das Licht brannte, der Raum war leer.

In der Kabine wurde die Rückseite des Bades von Schränken eingenommen.

Davor stand ein Doppelbett, auf dem die Tote lag. Vor dem Bett gab es einen schmalen Bord, der rechts und links mit Fächern und Schubladen versehen war. Darüber hing ein großer Flachbildschirm. Der Gang zwischen Bett und Bord führte zur Balkontür, die geschlossen war, die Vorhänge waren aufgezogen. Der Raum zwischen Bett und Balkontür wurde auf der einen Seite von einem kleinen Schreibtisch eingenommen. Auf der anderen Seite standen eine zweisitzige Couch und ein kleiner Sessel. Hier saßen zwei Männer, die aufstanden, als Kommissar Schreiber, der Kapitän und die anderen die Kabine betraten. Der eine stellte sich als Lew Letkow vor, der andere sagte: „Ich bin Dr. Kreis, der Schiffsarzt. Für die junge Frau dort“, er zeigte auf das Bett, „konnte ich leider nichts mehr tun. Es liegt aber offensichtlich ein Tötungsdelikt vor, bitte sehen Sie selbst.“

Die Tote lag auf dem Rücken mitten auf dem Doppelbett. Sie war nackt, ihre Arme waren seitlich ausgestreckt, die Beine gespreizt. Die Augen waren mit einer schmalen schwarzen Binde verbunden. Unter dem Nacken lag quer zum Körper ein etwa anderthalb Meter langer runder Metallstab, an dessen Enden Stoffschlaufen befestigt waren. An diese waren die Hände gefesselt. Am Hals waren schwache Flecken, vielleicht Würgemale, zu erkennen.

„Das Ganze sieht wie ein aus dem Ruder gelaufenes Sexspiel aus“, meinte Kommissar Schreiber. „Die Fesselung ist auch nur leicht“, ergänzte Karl Richter. „Sie hätte die Hände ohne größere Anstrengung aus den Schlaufen lösen können. Hier hat sich der Liebhaber wohl nicht mehr unter Kontrolle gehabt.“

„Das alles habe ich zuerst auch gedacht“, entgegnete Dr. Kreis. „Aber ich habe keinerlei Anzeichen für einen vor kurzem erfolgten Geschlechtsverkehr gefunden und die Male am Hals erscheinen mir recht schwach. Ich bin allerdings kein Gerichtsmediziner und habe mit solchen Dingen keinerlei Erfahrung.“

„Können Sie uns dennoch etwas zum Todeszeitpunkt sagen?“ fragte Schreiber den Schiffsarzt.

„Die Klimaanlage läuft und ist auf 20 Grad eingestellt“, antwortete dieser. „Wir haben hier nichts verändert und nur das Nötigste angefasst. Die Totenflecken lassen sich noch wegdrücken und die Leichenstarre ist noch nicht voll ausgeprägt. Ich würde ich mit aller Vorsicht schließen, dass der Tod vor 6 bis 10 Stunden eingetreten sein dürfte.“

Günter Schreiber bedanke sich und wandte sich an den Kapitän. „Herr Holmes, in unserer Reisegruppe ist Frau Dr. Berschot. Sie ist eine erfahrene Rechtsmedizinerin der Uni Jena, wir haben oft mit ihr zusammengearbeitet. Ich schlage vor, wir bitten sie hierher.“ Peer Holmes nickte und beauftragte Herbert Langfeld, Frau Dr. Berschot zu holen

Kommissar Richter wandte sich dann an

Letkow: „Schildern sie bitte den Vorgang aus ihrer Sicht.“

Dieser antwortete: „Es war 9:25 Uhr als mich der Kabinensteward anrief und sagte, dass in 8032 eine tote Frau liege. Ich bin sofort hierher gelaufen und habe gesehen, was los war-Über unser internes Rufsystem“, er zeigte auf sein Handy, „habe ich gleich den Kapitän und Dr. Kreis informiert. Beide kamen nach wenigen Minuten. Kapitän Holmes warf einen kurzen Blick auf die Tote, griff zu seinem Funkgerät und bestellte meine beiden Stellvertreter in seine Kabine. Dann bat er mich, noch hier vor Ort zu bleiben und eilte davon.

Dr. Kreis hat die Tote kurz untersucht, sonst haben wir nichts angerührt. Die Schranktür dort und der Safe waren offen.“ Dabei zeigte er über die Tote hinweg zum Kleiderschrank und den dort eingebauten Tresor.

Richter ließ sich von Dr. Kreis ein Paar Einmalhandschuhe geben und ging zum Safe.

Darin lagen der Reisepass, das Schiffsticket, sowie eine Brieftasche mit ziemlich viel Geld sowie ein Etui mit Schmuck. Der Kommissar reichte nur den Pass an Schreiber und bemerkte: „Einen Raubmord können wir mit Sicherheit ausschließen. Ich vermisse aber die Bordkarte, mit der man ja die Kabine öffnen und alle Leistungen an Bord bezahlen kann. Na, da muss nachher gründlich gesucht werden.“

Kommissar Schreiber schaute in den Pass und las vor: „Ludmilla Germer, geboren am 23.5.1986 in Ronneburg. Sie hatte die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Pass ist in Gera ausgestellt und bis zum 30.11.2022 gültig.“ Dann blätterte er weiter und stellt fest: „Das hier ist interessant. Frau Germer hatte ein Visum für Russland vom 15.6. bis 15.7. Am 2.7. ist sie nach St. Petersburg ein- und erst am 3.7. wieder ausgereist. Sie hat also die Nacht in der Stadt verbracht. Die genauen Zeiten sind doch sicher hier im Schiff gespeichert?“, sah er Letkow an. Dieser nickte und machte sich eine entsprechende Notiz.

Günter Schreiber fuhr fort: „Ich schlage folgendes Vorgehen vor: Dr. Kreis und Karl Richter warten hier auf Frau Dr. Berschot. Dann bringen sie die Tote weg und bereiten sie für den Transport vor. Ich denke, der Hubschrauber sollte sie schnellstmöglich in die Gerichtsmedizin nach Rostock bringen. Wir anderen treffen uns in einem Beratungsraum, den uns Kapitän Holmes sicher zu Verfügung stellen kann. Dort hören wir uns zuerst an, was der Steward zu sagen hat und beraten dann das weitere Vorgehen. Karl versiegelt dann hier die Kabine, weil wir ohne seine Kollegen von der Rostocker Kriminaltechnik nichts ausrichten können, und kommt zu uns.“ Mit den Worten: „Gibt es Einwände oder andere Vorschläge?“ beendete der Kommissar seine Rede. Er sah er in die Runde. Alle schüttelten die Köpfe.

Kapitel 5

Mittwoch, 6. Juli, 11:10 Uhr.

Im dem von der Schiffsleitung bereitgestellten Beratungsraum auf Deck 10 waren die Sicherheitsleute Letkow, Langfeld und Zabel sowie, der junge Steward und Kriminalkommissar Günter Schreiber anwesend.

Kapitän Holmes und der 1. Offizier hatten sich vorerst verabschiedet, weil dringliche Aufgaben auf sie warteten. Günter Schreiber hatte seine Frau und Ilona Richter verständigt, dass er und Karl noch aufgehalten würden.

Nachdem alle Platz genommen hatten, wandte er sich an den jungen, sehr verängstigt wirkenden, Steward und sagte: „Schildern Sie uns bitte, wie sie die Tote gefunden haben.“

Mit leiser Stimme kamen die Antworten:

„Ich kommen aus Cebu, das sein auf die Philippinen. Ich arbeiten gern hier auf Schiff. Frau Germar war gute Frau, sie hat mir schon fünf Euro Trinkgeld gegibt, nein gegeben.“

Schreiber wollte ihn etwas aufmuntern: „Sie sprechen aber schon gut deutsch.“

„Ja“, kam es strahlend zurück. „Auf Schiff gibt es Deutschunterricht, ich nehmen immer teil.“

„Und wie war das nun heute früh?“, wollte Schreiber wissen.

Etwas umständlich erzählte der junge Filipino schließlich, dass er von Anfang an für die Kabine 8032 zuständig gewesen sei. Zu seinen Aufgaben gehöre es, früh die Kabinen zu reinigen, die Betten zu machen, für frische Wäsche zu sorgen und zu überprüfen, ob alles in Ordnung sei. Am Abend, wenn die Gäste zum Essen seien, habe er dann die Kabinen für die Nacht zu richten. Heute sei er so gegen 9:30 Uhr an der Kabine 8032 gewesen. Das Schild, BITTE NICHT STÖREN, habe nicht an der Tür gehangen. Er habe mehrmals geklopft und als niemand geantwortet hat, habe er mit seiner Karte die Tür geöffnet. Nach den ersten Schritten sah er Frau Germer auf dem Bett liegen. Er habe gleich gedacht, dass sie tot sei und sofort die Kabine verlassen. Die Tür habe er wieder zugemacht und wie es die Vorschrift erforderte die Nummer des Sicherheitsdienstes angerufen. Herr Letkow habe sich gemeldet und gesagt, er wolle sofort kommen. Auf diesen habe er dann vor der Tür gewartet.

„Ist Ihnen heute, oder auch an den vergangenen Tagen irgendetwas Besonderes im Zusammenhang mit Frau Germer aufgefallen?“, wollte Kommissar Schreiber von dem jungen Mann wissen.

„Nein, eigentlich wohl nicht“, antwortete dieser sehr zögerlich.

Schreiber hakte nach und erfuhr schließlich, dass der Filipino seinen Chef, Laszlo Vargas, mehrmals zu verschieden Tageszeiten aus der Kabine 8032 hatte kommen sehen.

„Ich haben gedacht, die beiden seien gute Freunde oder so“, sagte der junge Steward.

Der Kommissar bedankte sich bei ihm und meinte, dass er nun wieder an seine Arbeit gehen könne. Lew Letkow schärfte ihm nochmals ein, dass er vorerst mit niemandem über diese Geschichte reden dürfe.