Der Typ Nummer 1 - Nadine Trinkies - E-Book

Der Typ Nummer 1 E-Book

Nadine Trinkies

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Beschreibung

Der 18-jährige Jonah Spark lebt in Oxnard, im sonnigen US-Bundesstaat Kalifornien. Seit dem Schicksalsschlag, seine Eltern früh verloren zu haben, ist der intelligente Detective-Sohn ein wahrer Meister darin, alles andere als seine eigenen Gefühle und Schwächen aufzudecken. So trifft ihn die Diagnose Diabetes mellitus Typ 1 besonders schwer, und er sieht alles, was ihn letztlich ausmacht, in Frage gestellt. Als er sich mit der hübschen Jolene einlässt und ihm zeitgleich mysteriöse Hinweise zugespielt werden, steht sogar das Vertrauensverhältnis zu seinen beiden besten Freunden Max und Daniel auf der Probe, und er muss dringend erkennen, wer der echte Gegenspieler ist.

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Danke

für jeden Tropfen Herzblut, jeden Rat und guten Zuspruch, ganz besonders an meine liebe Familie

& bitte,

dieser Roman stellt keinen Therapie-Ratgeber dar! Sämtliche medizinischen Angaben basieren auf eigenen Erfahrungen und Recherchen und sollten nicht ohne ärztliche Rücksprache beherzigt werden.

INHALTSVERZEICHNIS

Zuckerwasser

In Hauch und Nebel

Gefallene Wand

Das Kaninchen mit dem Hinkebein

Kontrolle

Einen Moment gehalten werden

Der Löwe und die Scheißuhr

Raus ins Licht

Geheimnisse

Die Frau mit der Kiwi

Eine Frage der Resilienz

Kuchen ohne Feile

Die letzte Meile

Lasset den Tanz beginnen

Nur Papier

Hinter den Fassaden

Wenn Weiß selbst der Schatten ist

Die Macht des Gegenspielers

Was mit dir nicht stimmt

Ins Verhör

Allein die Dosis macht das Gift

So eine Tour wie Jonah

Give my gun away when it´s loaded

Monarch

Wenn der Sender an ist

Mission Seele

Die Tragpfeiler der Courage

Leben intravenös

Zuckerwasser

Jonah war fertig.

Seine letzte Anstrengung in einen befreienden Hustenstoß investierend trat er in den Schatten der etwas abseits vom Ladeneingang thronenden Pinie und blinzelte in Richtung der flimmernden Straße. Vom Pazifikwind, der die Palmenkronen ringsum sanft bewegte, war hier, wo er stand, kaum etwas zu spüren. Immerhin aber war das verdorrte Rasenstück direkt vor ihm, auf dem am Vormittag noch mächtige Pakete gestanden hatten, endlich leer. Er wischte sich eine besonders hartnäckige Strähne aus dem Gesicht und ließ sich am borkigen Stamm hinabsinken. Dabei griff er schon vor seiner unsanften Ankunft auf dem Boden in die Kühlbox neben sich, in der er in umsichtiger Planung seines heutigen Einsatzes gleich mehrere Flaschen Cola deponiert hatte. Denn zumindest die Kälte konnte noch etwas helfen.

Das nasse Zischen beim Öffnen steigerte die Erwartung seiner brennenden Zunge ins fast nicht mehr Aushaltbare. Gierig setzte er die Flasche an seine Lippen und leerte sie in der gerade nötigen Anzahl an Zügen, bei denen sein Magen noch mitspielte. Anschließend fuhr er sich mit der Zunge durch den Mund. Die Erleichterung war schon wieder vorbei. Wie auf einem zähen Film schien die prickelnde Flüssigkeit seine Kehle entlang gerauscht zu sein, ähnlich den wenigen kostbaren Regentropfen, die in der Savanne auf brüchige Erde fielen, um schon auf ihrem kurzen Weg in die tieferen Strukturen zu versiegen. Und der Boden einfach weiterglühte.

Ganz von allein wanderte sein Blick zu dem mannshohen Holzschiff hinüber, das leicht windschief und von der Sonne ausgeblichen neben der Promenadenmauer weilte, als wäre es dort vor langer Zeit gestrandet. Dabei war das kleine Kästchen an dessen Mast frisch mit Flyern bestückt, und das Schild, das darüber prangte, begrüßte die Kunden in gewohnt strahlendem Glanz. Die Aufschrift und das Symbol darauf konnte Jonah von seinem Platz aus nicht sehen, aber er hatte ihn auch so vor Augen; den strahlendweißen Funken im Feuer. Auf mattschwarzem Grund und dicht flankiert von einer orangefarbenen und einer roten Flamme schlängelte er sich aufwärts dem leuchtenden Punkt an seiner Spitze entgegen. Und gab damit dem symbolischen Funkenflug des ganzen Feuers seine Farbe. Darunter stand in ebenfalls weißen Lettern Spark‘s treasuries, der Name ihres Familienbetriebes, einer kleinen Konditorei im Hafenviertel der kalifornischen Küstenstadt Oxnard. Das Logo dafür hatte seine Mutter entworfen und eigenhändig auf das Eingangsschild gemalt. Mehr als sein halbes Leben war das jetzt her.

Jonah lehnte seine Arme auf die angezogenen Knie, senkte den Kopf und ließ die leere Flasche in seinen Händen baumeln.

„Danke, mein Großer, das soll es gewesen sein!“

Er hatte nicht bemerkt, dass sein Grandpa an ihn herangetreten war, bis dieser ihm jetzt auf die Schulter klopfte. „Ohne dich wäre das heute wirklich nichts geworden! Martha und Lilly waren ja tatsächlich durchweg an der Theke gefragt, und ich gebe zu, in unserer Schatzkiste mögen sie die fähigsten helfenden Hände sein, aber wenn es ums grobe Anpacken geht … Naja, und ich bin ja nun auch nicht mehr der Jüngste.“ Paul Spark hüstelte leise und wechselte lieber das Thema. „Und? Hast du noch was vor heute? Mit Max vielleicht? Oder kommt Danny vorbei? Ich habe beide ja schon ewig nicht mehr gesehen.“

Jonah vernahm den skeptischen Unterton, ohne dass er aufblicken musste. „Eine Woche, Grandpa! Das ist nicht ewig, und seitdem war keine Zeit.“

„Bestimmt, ja. Ich dachte nur.“ Paul zog geräuschvoll die Nase hoch. „Ob alles in Ordnung ist?“

„Natürlich ist alles in Ordnung.“

Leise seufzend entschied Jonah sich dafür, die mitschwingende Besorgnis einfach als schlechtes Gewissen seines Grandpas auszulegen. Dafür, dass der seinem geliebten Enkel durch unbelehrbare Unterschätzung der heutigen Aktion gar keine andere Wahl gelassen hatte, als ihm zur Hand zu gehen. Und eben dieser eigentlich so kräftig gebaute junge Kerl nun hier hockte und nicht länger verbergen konnte, wie schwer ihm die körperliche Arbeit zu schaffen gemacht hatte. Peinlich genug, aber so war es nun mal.

Dabei war die Bullenhitze, die dieser Samstagnachmittag mit sich brachte, nicht einmal unüblich für den Monat Mai in Kalifornien. Aber Jonah hatte gewusst, dass sein Grandpa sich die heutige Anlieferung des neuen Mobiliars für ihren kleinen Servicebereich trotz seines fortgeschrittenen Alters und entgegen jeden Rates auch ganz allein zugemutet hätte. Was nur wieder ein weiterer Beweis gewesen wäre für sein unermüdliches Bestreben, ihrem Familienlogo gerecht zu werden. Ihre nach eigenen Worten mit Zucker, Mehl und Herzblut geführte Backstube sollte immer mehr hergeben als alle anderen an der gesamten Westküste Nordamerikas.

Dem Blick nach, der sich nun in Jonahs Nacken bohrte, gab Paul sich ebenso wenig mit knappen Antworten zufrieden. Jonah rückte seine Sonnenbrille zurecht und schob noch etwas Informationsgehalt nach: „Max steckte die ganze Woche in familiären Verpflichtungen und Danny wieder mal tief in seinem Training. Es stehen aber schon einige Prüfungen an, deshalb kommt er gleich nochmal vorbei.“

„Soso. Motivationscoach Jonah im Einsatz, hm?“ Paul grinste anerkennend. „Finde ich großartig, dass du das machst! Er ist ja wirklich nicht dumm, der Junge. Es wäre schade, wenn …“ Er unterbrach sich, als Jonah an dieser Stelle zu husten begann, und hielt seinem Enkel die Hand hin. „Also gut, Feierabend! Die Damen kommen bis Ladenschluss allein zurecht, und wir zwei lassen uns von deiner Granny persönlich verwöhnen. Sie hat bestimmt wieder etwas Wunderbares gezaubert!“

Mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen ließ Jonah sich aufhelfen. Er schob die Flasche zurück in die Kühlbox, in der die sich zu ihren leeren Vorgängern gesellte, und folgte seinem Grandpa zum Chevrolet Pickup, mit dem es wieder zurückging zu ihrem weiter nördlich gelegenen Wohnhaus im Stadtviertel Via Marina.

Ganz bestimmt hatte seine Granny zuhause wieder gezaubert. Ungestört, nur mit etwas Musik, entsprangen ihr in der heimatlichen Küche immer die besten Ideen. Eigentlich hieß sie Ruth, aber so nannte Paul sie nie. Für ihn war sie die Zaubermaus, die sich vor fast fünfzig Jahren in sein Marine-Soldatenherz gebacken hatte. Mit seinem Eintritt in den Ruhestand hatten sie ihr gemeinsames Lebenswerk aufgebaut, das sich durch besondere Kreativität und Handwerkskunst auszeichnete.

Bei dem Gedanken an cremige Sahnetorten spürte Jonah nun jedoch eher wieder ein Unwohlsein in seiner Magengegend. Tatsächlich hatte er seit einiger Zeit festgestellt, dass sich seine Lust auf sündhafte Kostproben ziemlich in Grenzen hielt. Mysteriös, aber nicht ohne Erfolg, und eben den hatte er erst neulich seinen beiden besten Freunden offiziell verkündet.

„Jetzt dürft ihr staunen!“, hatte er gesagt, kaum dass die beiden zur Tür hereingekommen waren. „Die Ausgangssituation meiner Gewichtsentwicklung will ich euch aus Gründen der Diskretion mal verschweigen, aber ihr müsst zugeben, dass der optische Effekt nicht mehr von der Hand zu weisen ist! Mein Erfolg beziffert sich bereits deutlich im zweistelligen Bereich!“ Um das Gesagte zu unterstreichen, hatte er an seinem locker hinabfallenden T-Shirt gelupft, das seinen Körper sonst hauteng umspannt hatte.

Und seine Freunde hatten gestaunt. Über die tatsächlichen Ausmaße seines Erfolges, aber nicht über die Art, wie Jonah seine Worte wählte. Wie er in beeindruckender Perfektion und Leichtigkeit mit ihnen jonglieren konnte, um manch anderes eben galant nicht zur Sprache kommen zu lassen. Sie kannten ihn so. Und das schon ziemlich lange. Die Freundschaft zwischen Max und Jonah reichte sogar zurück bis in die Grundschulzeit, und schon da hatte Jonah nicht mehr wirklich wie ein Kind gewirkt.

Daniel hatte applaudiert: „Gratuliere! Wenn deine jetzige Diät tatsächlich bei dir in deinem Zuhause wirkt, dann stürmt der Erfinder wohl bald die Liste der reichsten Leute der Welt!“ Es waren noch ein paar weitere solcher Lobausschmückungen gefolgt, denn so war eben Daniel. Komplex athletisch und damit auch seine Worte grundsätzlich schneller als seine Gedanken.

Max, ein eher schmächtiger Junge mit dunkelbraunen, kinnlangen Locken, hatte Jonah hingegen mit einem Anflug von Sorge betrachtet. Das stolze Leuchten in Jonahs Augen hatte ihn die aber sogleich wieder von sich schieben und ihm voller Anerkennung auf die Schulter klopfen lassen. Max hatte ohnehin nie gemeint, dass ihr Freund irgendetwas an sich ändern müsste. Seine vielleicht etwas stämmige Figur machte Jonah für ihn genauso aus wie seine außergewöhnliche Intelligenz oder seine widerspenstigen schwarzen Haare, die ihm ständig einen ungewollt verwegenen Ausdruck verliehen. Im markanten Kontrast zum souveränen Stahlblau seiner Augen, in denen Max in all den Jahren ihrer Freundschaft viele Nuancen zwischen strahlendem Azur und melancholischem Grau gesehen hatte.

Wenn Jonah nun also tatsächlich abgenommen hatte, wäre Max der Letzte gewesen, der sich nicht mit ihm gefreut hätte. Und doch war ihm das nicht ganz gelungen. Vielleicht, weil Jonah in letzter Zeit immer so erschöpft wirkte, oder weil die Konversationen mit ihm zunehmend kurzatmig ausfallen konnten. Vielleicht auch deshalb, weil er sich einfach nicht erklären konnte, wie denn bloß ein derart drastischer Gewichtsverlust ohne einschlagende Veränderungen im sportlichen oder ernährungstechnischen Verhalten zustande kommen sollte. Am Ende war das bohrende Gefühl geblieben, dass irgendetwas nicht stimmte.

Diese Gedanken schwirrten längst Jonah selbst durch den Kopf. Wie auch jetzt, als er zuhause angekommen die Badezimmertür hinter sich schloss. Durst … Er drehte den Hahn auf, hängte sich kopfüber darunter und ließ sich das Wasser in den brennenden Mund laufen. Anschließend ging er zur Toilette. Mal wieder. Wer viel trinkt, muss halt oft. Er seufzte tief, doch dieser Atemstoß bescherte ihm nur wieder einen weiteren Hustenanfall. Als der Reiz endlich nachließ, lehnte er seinen Kopf gegen die kalten Kacheln der Wand und schloss die Augen. In diesem kurzen Moment im Bad konnte er sich gehen lassen. Vor niemandem musste er Haltung bewahren, um bloß keine besorgten Blicke auf sich zu ziehen.

Er konnte sich ganz im Stillen eingestehen, dass seine Gewichtsabnahme nichts mit Eigenverdienst zu tun hatte und dass er nicht länger drum herumkommen würde, seinen körperlichen Zustand einer eingehenden Analyse zu unterziehen. Dieses Gefühl des Abbauens war sicher nicht normal. Zugegeben, er hatte nie exzessiven Sport getrieben, aber eben solche, die es taten, zutiefst bewundert für ihre Fitness, mit der sie so unbeschwert durchs Leben sprangen. Eine derartige Fitness fühlte er nun jedoch keineswegs, im Gegenteil. Mit seinen paar Kilo mehr hatte er sich körperlich weitaus besser gefühlt als jetzt. Er war so unendlich müde. Ein kurzes Nickerchen würde sicher helfen, einfach hier und jetzt. Vielleicht drehte Danny noch eine Extrarunde …

„Ja, hallo, junger Mann! Schön, dich wiederzusehen! Jonah ist noch im Bad, aber setz dich doch schon mal raus, ich bringe euch gleich was.“

Die dumpf durch die Tür dringenden Worte seiner Granny machten Jonahs Hoffnung schlagartig zunichte. Stöhnend begab er sich wieder zum Waschbecken, klatschte sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht und nahm ein paar letzte Züge aus dem Hahn. Dann trat er wieder zur Tür hinaus.

„Gott, Junge, wie siehst du denn bloß aus?“ Beinahe wäre er in seine entgeistert dreinblickende Grandma hineingelaufen, die dem Anschein nach vor der Tür gewartet hatte. „Dein Husten klingt ja grauenhaft! Du solltest jetzt aber wirklich zu Dr. Weddington gehen! Dass Pauly dich auch so hat schuften lassen. Na, der kriegt was zu hören!“

„Es lief alles auf freiwilliger Basis ab, Granny“, merkte er sofort an, „und ja, der Husten ist wirklich hartnäckig. Aber er bedarf bestimmt keiner forensischen Abklärung, sondern lediglich weiter deiner hervorragenden Medizin.“ Er versuchte es mit einem schuldbefreiten Augenaufschlag, den die kleine, leicht rundliche Frau jedoch geflissentlich zu ignorieren wusste.

„Ach, der müsste doch schon längst weg sein! Und ich hätte es wirklich sehr begrüßt, wenn Pauly dich zum Wohle deiner Gesundheit heute gar nicht um Hilfe gebeten hätte! Musste ihm doch klar sein, dass du nicht nein sagst, egal wie …, sag mal, hast du Fieber?“ Mit sorgenvoller Miene fasste sie ihrem Enkel an die erhitzten Wangen und anschließend an die Stirn.

„Alles gut, Granny, wirklich! Es ist eben heiß draußen, und wir haben gearbeitet.“ Energisch nahm er ihre Hand aus seinem Gesicht, um sich gleich wieder die Sonnenbrille auf die Nase zu schieben. Er wusste es doch selbst nicht genau. Ein Gefühl, das er hasste.

„Also schön“, sagte sie in merklich besänftigtem Tonfall. „Wenn dein Husten aber bis übermorgen nicht deutlich besser sein sollte, werde ich dich höchstpersönlich zu Dr. Weddington schleifen, hörst du? Und nun geh schon, Danny wartet draußen auf dich!“

Eilig schob Jonah sich an ihr vorbei und trat hinaus in die gleißende Sonne. Über die bunt umpflanzte Veranda hinweg erkannte er auf der Auffahrt seinen blonden Freund, im typischen Sportoutfit und an seinem Rennrad hantierend, mit dem er gerade gekommen war. Als Daniel ihn sah, sprang er auf ihn zu und begrüßte ihn mit lässigem Handschlag.

„Hey, DJ! Du hast heute ordentlich Gewichte gestemmt, hat Paul mir erzählt!“

„Zumindest gibt er jetzt zu, dass Stühle und Tische ein Gewicht haben!“, erwiderte Jonah und ließ sich in einen der schattigen Liegestühle unter der Markise sinken. „Bis heute Morgen klang er noch so, als käme alles angeschwebt und würde sich von allein aufbauen. Es war sogar eine Gusseisenstatue vom kalifornischen Bären dabei. Er sagt, der wird diese Saison nochmal einen besonderen Trend setzen!“

„Glaubst du nicht?“

Jonah zuckte mit den Schultern. „Er wird es schon wissen.“

Daniel grinste. Umso mehr, als Ruth ein Tablett mit zuckersüß dekoriertem Brownie-Gebäck und zwei Flaschen Grapefruit-Limonade herantrug. „So, ihr beiden, lasst euch meine kleine Horde frischer Bärenköpfe schmecken, und sagt mir, welche eure Favoriten sind! Seid ihr denn gleich noch drüben in der Laube?“

„Nein, wir gehen hoch in mein Zimmer“, antwortete Jonah.

„Ach, schade, sonst hättet ihr Mr Fields welche mitbringen können.“

„Nächstes Mal, Granny, okay?“

Ruth seufzte und Jonah nickte, wenn auch nicht ganz erleichtert. Zu gern hätte er dem kauzigen, alten Mann von nebenan die kleine Freude überbracht, doch gerade war er einfach nur dankbar für jeden Schritt, den er nicht machen musste. Dabei mochte er Elmo Fields sehr. Alle mochten ihn. Er hatte weder Frau noch eigene Kinder, war schon über achtzig, aber noch sehr rüstig und immer freundlich. Er lebte nur zusammen mit seiner dreifarbigen Katze auf einem viel zu großen Grundstück und hatte sich schon früher daran erfreut, wenn die Nachbarskinder den naturbelassenen Garten beim Spielen zum Leben erweckt hatten. Dabei hatte es Jonah die alte Gartenlaube im hinteren Abschnitt von Anfang an besonders angetan. Nach dem tragischen Tod seiner Eltern war es daher Mr Fields‘ Idee gewesen, sie Jonah zur freien Verfügung zu überlassen. Alle Schlüssel und damit absolute Privatsphäre für sich und seine Freunde. Im Austausch gegen das gute Gefühl, diesen Teil seines Grundstücks in vertrauenswürdigen Händen zu wissen und eben ab und zu besucht zu werden. Heute jedoch nicht.

Etwas reumütig machte sich Jonah mit Daniel über ihren kleinen Imbiss her. Wobei er nicht in gewohnter Selbstverständlichkeit nach dem Gebäck griff, sondern nach der Limonadenflasche, die er ohne einmal abzusetzen leerte. Daniel schürzte beeindruckt die Lippen.

„Wow, das nenn ich mal Durst!“

„Wie war dein Training, Danny?“, fragte Jonah, kaum dass er hinuntergeschluckt hatte. Zu seiner Erleichterung sprang sein Freund sofort auf die Ablenkung an.

„Oh, es war super! Das Schwimmen war hart, Milo war in Topform, aber konditionell reicht er nicht an mich ran. Auf dem Rad waren wir dann ziemlich ausgeglichen.“ Mit kauendem Mund schwelgte der Blonde in den ihn sichtlich erfüllenden Trainingserlebnissen des heutigen Tages, unterstrich seine Erzählungen mit Bewegungen seiner Arme und Beine und vertilgte dabei einen Bären nach dem anderen.

Daniel war ein Bewegling, wie er sich selbst gern nannte. Der geborene Athlet und mit einem beneidenswert fähigen Stoffwechsel gesegnet, ohne ein Gramm zu viel auf den Rippen. Er liebte den Ausdauersport, mischte in hiesigen Triathlon-Wettkämpfen schon ziemlich vorne mit und hatte mit seinem errungenen Sportstipendium fürs College das unbescheidene Ziel vor Augen, irgendwann einmal den Iron Man zu gewinnen. Jonah glaubte daran, denn, so unterschiedlich Daniel und er auf den ersten Blick auch sein mochten, im Verfolgen ihrer Ziele hatten sie denselben Biss.

Doch jetzt schweifte Jonah ab. Während er den Ausführungen seines Freundes immer weniger zuhörte, fuhr er sich immer öfter mit der Zunge über die Lippen. Sie brannten furchtbar. Sein ganzer Mund brannte. Er hatte das Gefühl, in jeder einzelnen Zelle seines Körpers ein unaufhörliches, heißes Kribbeln zu spüren, und kämpfte mit dem Gedanken, einfach auch Daniels Flasche hinunterzuspülen. Wobei er den Verdacht hegte, dass die Kohlensäure das Brennen noch verstärkte. Oder der Zucker darin, der ihm so zäh im Mund kleben blieb. Cola, Limonade … Gott, sehnte er sich schon wieder nach dem Wasserhahn im Bad! Vor allem, weil ihm allein beim Anblick der schwarzbraunen Bären speiübel wurde. Wie sie dalagen, unter ihrer dicken Zuckerkruste und den langsam anschwellenden, schmierig vor sich hin glänzenden Schwitztropfen … Jonah musste den Blick abwenden. Hastig hielt er sich die zusammengepresste Faust vor den Mund.

„Alles okay mit dir?“ Daniel hielt inne, um ihn über seine Sonnenbrille hinweg genauer zu beäugen.

„Ja. Nur die Hitze. Aber lass uns jetzt mit deinem Stoff anfangen!“ Jonah stand auf. „Geh schon mal hoch, ich komme gleich nach!“

„Okay, und was machst du?“

„Kurz auf die Toilette.“

Als Jonah im Haus verschwand, spürte er, wie sich die Irritation von hinten in seinen Rücken bohrte. Weil er von dort doch gerade erst gekommen war.

„Ich fass es nicht! Wozu zum Teufel soll man denn bloß alle diese bescheuerten Aminosäuren wissen, wenn die meisten sowieso schon nicht essentiell heißen? Ich will doch kein Arzt werden, verdammt!“

Daniel warf sich rückwärts aufs Bett. Direkt neben Jonah, der die letzten zwei Stunden darauf überwiegend in der Waagerechten verbracht und sich in leidgeprüfter Geduld geübt hatte. Denn so leichtfüßig Daniel in sportlichen Dingen unterwegs war, so schwer tat er sich mit solchen, die ihn gefühlt nicht unmittelbar voranbrachten. Keineswegs unintelligent und ohne, dass es ihm je als Schwäche diagnostiziert worden wäre, gehörte konsequentes Lernen nicht zu den Herausforderungen, bei denen sein Ehrgeiz einen langen Atem bewies. Seine Eltern hatten ihn deshalb verschiedenen Ärzten vorgestellt und sogar zweimal die Schule wechseln lassen. Bis er schließlich auf die Highschool von Max und Jonah gekommen war und es in dieser Konstellation von Anfang an gepasst hatte. Zusammen mit dem Sohn eines Investmentbankers und dem eines Police-Detectives, obwohl oder gerade weil dieser sogar noch suspekter klingende Ambitionen verfolgte als ihr eigener Nachwuchs.

Niemand fragte, solange es lief. Und das tat es. Dazu gehörte eben auch, dass Daniel sich kurz vor den entscheidenden Abschlussprüfungen händeringend an Jonah wandte. Weil er wusste, auf ihn war Verlass.

„Damit du eine Ahnung hast, was dein Körper von extern benötigt und was er allein hinkriegt“, stöhnte Jonah nun, ohne dabei die Augen zu öffnen.

„Das weiß ich auch so! Ernsthaft, dieser ganze Transaminierungs-Mist hängt mir echt zum Hals raus!“ Daniel sah links neben sich. „Und du pennst hier gleich ein, oder was?“ Entrüstet boxte er ihm in die Seite, worauf Jonah sich hustend aufraffte.

„Okay, zeig nochmal her!“ Mit einem bösen Blick nach rechts schnappte Jonah sich das Buch über biochemische Prozesse, um gleich beim ersten Blättern noch angestrengter die Augen zusammenzukneifen.

„Was ist?“, fragte Daniel. „Kannst du das nicht lesen?“

„Doch!“ Er wischte sich fahrig übers Gesicht. „Ich habe nur Kopfschmerzen.“

„Kopfschmerzen“, wiederholte Daniel mit hochgezogener Augenbraue. „Kann es nicht einfach sein, dass du eine Brille brauchst? Du schaust in letzter Zeit auch ständig so verkniffen auf dein Handy!“ Dem Gesagten folgte eine entsprechend mimische Darstellung, welche Jonah nur mit einem Brummen kommentierte. „Ist doch nicht schlimm! Kannst dann bestimmt auch Kontaktlinsen kriegen, wie Max!“

„Alles klar, schon gut!“ Jonah rieb sich die Schläfen. Ja, es war ihm selbst schon aufgefallen, dass er beim Lesen echte Schwierigkeiten hatte, die Buchstaben zu entziffern. Mehrmals hatte er deshalb schon an der Schrifteinstellung seines Laptops herumprobiert, um den vermeintlich technisch bedingten Schleier zu entfernen. Ohne Erfolg. Seine Zweifel hatten nur noch mehr zugenommen, da er offenbar der Einzige war, der dieses Problem überhaupt bemerkte!

„Ich glaube, es reicht für heute. Du hast den Sinn dieser Umbauvorgänge doch schon verstanden.“

„Sinn? Welchen Sinn?“, frotzelte Daniel. Als Jonahs entnervtes Schnauben prompt in einem nächsten Hustenanfall endete, hob er jedoch einsichtig die Hände. „Okay, okay! Ich denke, wir sollten sowohl dir als auch meinem geplagten Hirn eine Pause gönnen. Ich drehe noch eine Extraschleife auf dem Heimweg und bin dann herrlich entspannt und frisch geduscht, wenn es nachher losgeht.“

Jonah riss erschrocken die Augen auf. Verdammt! Sandys Geburtstagsparty! Sie waren heute Abend bei Daniels Freundin eingeladen. Auch er, wobei er sich erspart hatte, darüber nachzudenken, ob sie ihn wirklich aus freien Stücken eingeladen hatte. So dicke waren sie nicht miteinander, weshalb es ihm eigentlich auch egal war. Aber nun sträubte sich jede Faser seines Körpers gegen diesen Abend. „Danny, ich …“

„Keine Widerrede, DJ“, unterbrach Daniel ihn sofort. „Du brauchst auch nicht zu fahren, ich sammle Max und dich mit dem Bulli ein. Um acht sind wir hier! Es wird ein unvergesslicher Abend, glaub mir!“

Punktgenau um viertel vor acht brachte Daniel seinen geliebten 65er VW Bus vor Max‘ Füßen zum Stehen. Die seitliche Schiebetür ging auf und Max stieg ein, auf seinen persönlichen Lieblingsplatz hinten im geräumigen Bulli-Bauch. Er sah wie immer gekonnt partytauglich aus. Seine dunklen Locken fielen ihm lässig ins Gesicht und über einem blassroten Vintage-Shirt trug er ein offenes, dunkelgraues Hemd, dazu schwarze Jeans.

„Mann, freu ich mich auf die Party, sage ich dir“, begrüßte er Daniel, „die Woche war echt zum Abgewöhnen!“

„Oh ja, ich mich auch! Und wenn du erst siehst, was ich im Kofferraum geladen habe!“ Daniel grinste verschwörerisch in den Rückspiegel. Max ließ ihn noch einen Moment in Ungeduld baden, bevor er pflichtbewusst nachfragte: „Und? Was hast du im Kofferraum geladen?“

„Was Gutes für die Stimmung, du wirst schon sehen!“

Über diese geizige Auskunft konnte Max nur mit den Augen rollen. „Schon klar. Für weitere Details warte ich einfach, bis der Detective einsteigt.“

„Nein, nein, ich mache dich hier und jetzt zum Mitwissenden! Sandys Cousin arbeitet doch in diesem Liquor Store an der Sullivan Road, und neulich sind bei einer Lieferung ein paar Flaschen kaputt gegangen. Ein undefinierbarer Scherbenhaufen, wenn du verstehst, was ich meine?!“

Spitzbübisches Kichern auf dem Fahrersitz.

„Tja, dann denk dir schon mal eine gute Geschichte aus!“

„Ach, DJ soll einfach froh sein, dass er nicht selbst fahren muss und seinen Mustang mal wieder im Stall lassen kann“, gab Daniel zurück und drehte die Musik aus dem Autoradio lauter.

Der Anblick, wie der blonde Haarschopf seines Freundes im Beat der Musik umherwippte und dessen Finger aufs Lenkrad eintrommelten, entlockte Max ein amüsiertes Kopfschütteln. Mit dem sah er hinaus aus dem Fenster und den Palmen dabei zu, wie sie den Straßenrand in einen grünlichen Schleier tauchten. Bis er merkte, dass seine Gedanken an irgendetwas hängen geblieben waren. Er beugte sich nach vorn.

„Sag mal, Danny?“

„Was?“ Daniel sah sich nicht um, er reckte nur den Kopf nach hinten.

„Mach mal leiser!“, brüllte Max gegen die Musik an, die daraufhin unter nicht minder lautem Murren heruntergedreht wurde. Max überhörte das, obwohl er selbst wusste, dass mitten auf der Fahrt nicht unbedingt der ideale Zeitpunkt war, um tiefgründige Themen anzusprechen. In wenigen Minuten würde er aber noch weniger geeignet sein.

„Ist dir eigentlich auch was aufgefallen an Jonah?“, fragte er.

„Ja. Er hat abgenommen!“

„Das weiß ich auch!“ Max hatte mit dieser Antwort schon gerechnet. „Ich meine, sonst so. Wie er sich verhält.“

Daniel dachte noch einmal nach. „Hm, ja, ich glaube, er könnte eine Brille gebrauchen! Oder wohl besser einen Tipp von dir, wie man gleich an Kontaktlinsen kommt!“

Max lachte nicht mit. „Ich meine es ernst, Danny! Er ist doch irgendwie anders als sonst, oder? Er ist so …“, er suchte nach einem Attribut, das ausdrücken konnte, was er meinte, „ruhig. Oder gleichgültig? So lustlos irgendwie.“ So ganz fand er es nicht. „Ich glaube, ihm geht es nicht gut!“ Das traf es deutlich besser.

Daniel machte ein grübelndes Gesicht. „Hm, kann schon sein. Er ist erkältet, oder nicht? Er hustet doch schon länger. Und er trinkt ganz schön viel! Also, keinen Alkohol, meine ich, denn dann hätte er definitiv ein Problem, sag ich dir!“ Er lachte, aber nur kurz. „Aber, ja, heute auch wieder: Eine ganze Flasche auf Ex! Und stell dir vor, keinen einzigen Brownie-Bären von Ruth! Er meinte, er hätte vorher schon welche gehabt, aber die Dinger waren backfrisch!“

„Klingt suspekt! Und das mit dem Trinken ist mir auch aufgefallen, vor allem so viel Zuckerwasser! Ist doch merkwürdig, dass er trotzdem so stark abgenommen hat, meinst du nicht?“

Daniel nahm seinen Blick nun doch kurz von der Straße. Ein Schrecken zog sich über sein Gesicht. „Wie meinst du? Dass er wirklich krank ist?“ Dieser Gedanke kam ihm tatsächlich erst jetzt. Er machte ihm Angst.

„Ich weiß es nicht“, erwiderte Max. „Ist schwierig zu sagen bei ihm. Du kennst ihn doch.“

In Daniel arbeitete es. Max war eindeutig der mit den sensiblen Antennen von ihnen und machte sich sehr schnell Gedanken über vieles, aber nun kramte auch er seine Erinnerungen der letzten Tage hervor. War ihm tatsächlich entgangen, dass sein bester Freund ein ernstes Problem hatte? War er so unaufmerksam, dass jemand, der ihm so nahestand, erst fett mit dem Zaunpfahl winken musste, damit er überhaupt mitbekam, dass eventuell seine Hilfe gebraucht würde? Dass Jonah viel mehr trank in letzter Zeit, hätte er vor diesem Gespräch nicht als bedeutsam oder gar krankhaft eingestuft. Von ihm als Sportler, der immer auf den Ausgleich seines Flüssigkeitsverlustes bedacht war, konnte man so eine Schlussfolgerung doch auch nicht erwarten, oder? Und Jonahs vermeintliche Sporteinheiten hatte er nun auch nicht akribisch im Blick. Aber spätestens bei den Bären hätte er doch stutzig werden müssen! Daniel biss sich auf die Lippe. Ein toller Freund war er.

„Ich glaube, wir sollten ihn gut im Auge behalten“, holte Max ihn aus seinen Reuegedanken, „und einfach sehen, was sich so herausfinden lässt über solche … Symptome.“

Nachdem sein Freund nach ihrer gemeinsamen Lernsession davongeradelt war, hatte Jonah sich mühsam aufgerafft, seinen Laptop aufgeklappt und eine Weile auf den Sperrbildschirm gestarrt. Und kaum war ihm auf Knopfdruck die erleuchtende Allwissenheit erschienen, hatte die sich auch schon wieder in ihren nervenraubenden Schleier gehüllt. Daraufhin hatte er die Augen einfach geschlossen und sich blind seinem Spürsinn hingegeben. Seinem Durst nach Wissen.

Durst. Müdigkeit. Mangelnder Appetit, Husten, … Ein Infekt eben. Fieber? Hatte er sowieso nie, und wirklich heiß war seine Stirn nicht gewesen, auch wenn es sich von innen ganz anders anfühlte. Die Finger auf der Tastatur, hatte er seinen Kopf auf die kühle Tischkante sinken lassen, bevor seine große Recherche überhaupt begonnen hatte.

Eigentlich war doch alles ein einziger Hohn. Als würden die einzelnen Puzzleteile um ihn herumschwirren und ihn schon bei seinen ersten Greifversuchen nach ihnen ahnen lassen, dass das fertige Bild ihm nicht gefallen würde.

Erschrocken fuhr er hoch. Er war tatsächlich eingenickt. Wie spät war es? Kurz nach sieben. Zu spät für seine Spurensuche, er musste dringend duschen gehen. Am besten kalt und mit offenem Mund. Er klappte den Laptop zu und machte sich auf ins Bad.

Nur unwesentlich erfrischter stand er kurz darauf im Flur vor dem großen Wandspiegel. Daneben hing dasselbe Bild, das auch bei ihm im Zimmer an der Wand hing. Ein Bild von seinem Vater. Mit einem einnehmenden Lächeln auf den Lippen und in glänzender Uniform. Wie Jonah wieder einmal zuerst ihn und dann sich selbst betrachtete, hoben sich seine Mundwinkel nun doch ein bisschen. Die dunkelverwaschene Slim-Jeans an seinen Beinen hatte er vor einer gefühlten Ewigkeit gemeinsam mit seinen Freunden gekauft, im Auftrag einer positiven Verstärkung, jene damals verfolgte Diät bis zum Wirkungsziel durchzuziehen. Welche sich dann aber in solch eine Länge gezogen hatte, dass die Hose irgendwann in der hintersten Frustrationsecke seines Schrankes gelandet war.

Jetzt aber saß sie. Verdammt gut sogar. Ebenso das schwarze Hemd, das er noch nie getragen hatte. Ein warmes Gefühl von Stolz durchflutete ihn. Ein kleiner großer Sieg. Jonah atmete tief durch. Und fluchte gleichzeitig in sich hinein, wie unmöglich es war, den so herausgeforderten Reiz in seiner Brust zu unterdrücken. Kaum war der wieder im Griff, hörte er schon Schritte die Treppe hinaufkommen. Wie ein ertappter Junge wandte er sich ihnen zu, um die erwartete Woge Fürsorge über sich ergehen zu lassen. Doch die kam ins Stocken, als Ruth ihn sah.

„Mein Junge“, begann sie, „du bist so dünn geworden. Da stimmt doch irgendetwas nicht! Findest du nicht auch, dass du wirklich viel trinkst in letzter Zeit? Also, ich meine jetzt Cola und so ein Zeug?“

Jonah sackte ein Stück in sich zusammen. Sein kleiner großer Sieg war schon wieder verflogen. Stattdessen versuchte sich jetzt sogar seine Granny an der Lösung dieses verflucht verwaschenen Rätsels. Seines Rätsels!

„Weißt du, eine Freundin von mir hat auch so viel getrunken, und die war am Ende zuckerkrank“, setzte sie fort. Jonah presste die Lippen aufeinander. Ja, natürlich. Zuckerkrank! Noch so eine Dosis Schwarzmalerei, und er würde hier auch gleich am Ende sein.

„Ich werde mir gleich am Montag einen Termin bei Dr. Weddington besorgen, Granny“, war sein Versuch, ihr den schlimmsten Wind aus den Segeln zu nehmen.

„Ich mache mir doch nur Sorgen um dich.“ Sie strich ihm versöhnlich durch die Haare. „Nimm bitte nochmal den Hustensaft! Dein Atem riecht schon richtig entzündlich. Hast du denn auch Halsschmerzen? Himmel, mir gefällt das überhaupt nicht, dass du heute zu dieser Party gehst, Jonah Spark!“

Diesmal verkniff er sich sein Seufzen. Ohne weiteren Widerspruch nahm er ihr den hingehaltenen Becher aus der Hand und kippte den Saft hinunter, der nur eine weitere brennende Spur auf seiner Zunge hinterließ.

„Das Tiramisu ist fertig“, sagte Ruth und beäugte ihn argwöhnisch. „Ich habe es auf den Küchentisch gestellt. Vergiss nicht, es mitzunehmen!“

Damit drehte sie sich um und ging die Treppe wieder hinunter. Schweigend sah Jonah ihr nach. Er wollte niemandem Sorgen machen, schon gar nicht seiner geliebten Granny. Sie war es gewesen, die ihn aufgefangen hatte, damals, nach dem Tod seiner Eltern. Sie hatte ihm die Tränen getrocknet, die Nacht für Nacht über seine Wangen und ihre Schultern gelaufen waren, und ihm die kindlichen Flausen ausgeredet, noch als Siebenjähriger jenen Autounfall aufklären zu wollen. Doch Beweise zu finden, dass die beiden durch initiiertes Fremdverschulden ums Leben gekommen waren. Einen Jemand zu finden, der sie ihm weggenommen hatte. Seine Mutter Joyce und seinen Vater David. Letztlich hatte Ruth ihm beigebracht damit zu leben, dass es niemandem gelungen war, einen Jemand zu finden. Keinem der Kollegen seines Vaters im Los Angeles Police Department und niemandem sonst. Irgendwann hatte sie ihn nicht mehr trösten müssen in der Nacht, aber ihn jedes Mal wieder gesund gepflegt, was immer ihn an Kinderkrankheiten geplagt hatte. Das war nicht oft gewesen, und je älter er geworden war, desto schwerer war es ihm gefallen, eine Schwachstelle zu zeigen, bei der er auf Hilfe angewiesen war.

Genau das aber war seine größte Schwäche.

Die Wanduhr schlug Punkt acht und er beschloss, noch ein letztes Mal auf die Toilette zu gehen. Vor dem Spiegel im Bad tauchte er erneut in ein stummes Zwiegespräch mit sich selbst. Seine Zunge wollte nicht aufhören zu brennen. Er streckte sie seinem Spiegelbild entgegen und betrachtete sie. Alles an ihm war wie wundgetrunken. Immerhin für seine Lippen fand er etwas Balsam. Vorsichtig strich er sich eine kleine Portion davon auf die lechzende Haut, steckte die Tube in seine Hosentasche und sah sich wieder an. Was war bloß los mit ihm? Er konnte doch nicht plötzlich alle Krankheiten auf einmal haben, verdammt!

Als er von draußen das Geräusch von Daniels Bulli vernahm, drehte er ein letztes Mal den Wasserhahn auf und unternahm einen weiteren, sinnlosen Löschversuch. Dann ging er hinunter.

Die letzten Fahrminuten hatte im Bulli Schweigen geherrscht. Auch jetzt, als Daniel auf die Auffahrt fuhr, sich die Tür des Wohnhauses Spark öffnete und ihr Freund erschien. In kurzärmeligem, schwarzen Hemd und nie zuvor an ihm gesehenen Jeans. Er war noch immer kein dünner Hering, aber wenn man ihn kannte, war der Unterschied nicht zu übersehen.

Jonah. Für Daniel verkörperte er Scharfsinn, Mut, Gelassenheit. Irgendwie Geborgenheit. Er war der große Bruder für ihn. Der Gedanke, dass wirklich etwas Ernstes mit ihm nicht stimmen könnte, wollte sich schon eiskalt an Daniels Brust krallen, als er ihn zur Begrüßung den Arm heben sah. Die gewohnte Geste beruhigte ihn augenblicklich wieder. Jonah haute doch so schnell nichts um!

Er wäre nur beinahe gestolpert, als Ruth ihm mit lautem Rufen und einer flachen Schüssel in der Hand die Stufen nachgeeilt kam. Daniel konnte es nicht lassen, diese Beobachtung sofort mit einer nicht einmal groß gespielten Schreckensmiene anzumerken.

„Sag bloß, du hättest das Tiramisu vergessen!“, begrüßte er ihn und bekam im Gegenzug nur die kalte Schale in die Hand gedrückt. „Okay, schon gut, ich hätte dich auch ohne mitgenommen; so cool, wie du heute aussiehst!“

„Absolut!“, versicherte Max von hinten und streckte die Hände nach dem Tiramisu aus. „Und das gib mal gleich her! Das ist bei mir ganz bestimmt am besten aufgehoben!“

„Danke“, murmelte Jonah und ließ ein müdes Lächeln über sein Gesicht huschen. Die kleine Provokation dagegen versackte stumm im Bauch des Bullis. Er sah Daniel nur auffordernd an. „Fährst du?“

„Äh, klar.“ Daniel trat wieder aufs Gas, und noch bevor sie die breite Hemlock Street in Richtung Osten der Stadt erreicht hatten, drehte er die Musik wieder auf. Seine überschwellende Laune von vorhin kam jedoch nicht zurück.

Auf dem Beifahrersitz lehnte Jonah sich ans offene Fenster. Ihm war nicht gut. Um nicht zu sagen speiübel, was das Rumpeln des alten Autos noch verschlimmerte. Sein Wunsch, doch zuhause geblieben zu sein, war jedoch keine Option gewesen. Der Aufwand, annehmbare Gründe für sein Fernbleiben zu liefern, wäre um Längen anstrengender gewesen, als sich diesen Abend einfach anzutun. Schließlich hatte Daniel ihn gebeten mitzukommen. Deshalb war er hier. Nur kurz, dann ein Taxi und ab ins Bett ... Ein Stoß an seine Schulter ließ ihn aufschrecken.

„DJ, wir sind da!“

Seine Augen waren ihm eigenmächtig zugefallen. Umso schwerer fiel es ihm jetzt, sie offenzuhalten, während er sich umständlich aus seinem Gurt befreite und in die schwüle Abendluft hinabgleiten ließ. Ein nachschwappender Schwindel stieß ihn dabei halb gegen die Wagentür, halb gegen Max, der bereits draußen stand und sofort nach ihm greifen wollte. Jonah schüttelte den Kopf, um das wabernde Gefühl loszuwerden, das darin herrschte.

„Bin zu schnell aufgestanden“, murmelte er, in jeglicher Hinsicht um Haltung bemüht. „Geht gleich wieder.“

„Klar!“, meinte Max und blieb dennoch dicht neben ihm. Auch die Schale Tiramisu behielt er vorsorglich in seiner Hand. Als ihnen auch schon eine grelle Stimme entgegenhallte, die eindeutig Daniels Freundin Sandy zuzuordnen war. Im Gefolge von zwei ähnlich aufgestylten Mädchen tippelte sie ihrem Freund im wallenden, schwarzen Kleid und auf goldenen High Heels entgegen.

„Endlich! Wir warten schon alle sehnsüchtig auf euch!“

„Auf uns, oder …?“

Sandy erstickte Daniels Nachfrage in einem ungestümen Kuss, um gleich darauf an ihm vorbei in den Bus zu spähen. „Hast du sie dabei?“

„Sicher!“, sagte er, doch sein Grinsen weilte nur kurz. In gespannter Erwartung der nun folgenden Szene warf er einen verstohlenen Blick auf Jonah, der neben ihm stand. Und wie es aussah, ebenso neben sich selbst. Doch spätestens, als die lautstarke Begrüßungsrunde bei ihm angekommen war, schien er sich wieder gefangen zu haben. Jedenfalls übernahm Jonah die Tiramisu-Schüssel, überreichte sie Sandy und wünschte dem strahlenden Geburtstagskind alles Gute.

„Wow, Tiramisu! Ich liebe Tiramisu!“, quiekte sie und lehnte sich vor, um Jonah ihren Dank auf die Wange zu drücken. Kurz vor seinem Gesicht stockte sie jedoch.

„Sag mal, habt ihr schon vorgeglüht? Aber nicht mit meiner Geburtstagsbestellung, oder?!“ In theatralischer Gestik wedelte sie vor ihrem Gesicht herum und funkelte erst Daniel und Max an und schließlich wieder Jonah, doch keiner der Neuankömmlinge begriff so schnell.

„Du hast eine Fahne, mein Lieber, die riecht schlimmer als mein Nagellackentferner!“

„Wir haben mit nix vorgeglüht!“, übernahm Daniel die Antwort. Derart forsch, dass Sandy ihn entgeistert anstarrte, doch das war ihm egal. Ihm gefiel es nicht, wie sie mit Jonah redete. Irgendwie hatte er das Gefühl, seinen Freund beschützen zu müssen. Spätestens jetzt.

Vor wem oder was auch immer.

In Hauch und Nebel

„War doch nicht ernst gemeint!“ Eilig streifte Sandy mit ihrer freien Hand Jonahs Arm und in derselben beschwichtigenden Absicht anschließend das Kinn ihres kritisch dreinblickenden Freundes. „Sorry. Zeigst du mir jetzt, was ihr Schönes mitgebracht habt?“

Daniel war im Zwiespalt. Einerseits hatte er auf diesen Auftritt nur gewartet, andererseits zündelte der jetzt gehörig an seinem Nervenkostüm. Er wagte ein scheues Grinsen und öffnete die große Heckklappe des Bullis, womit die Blicke aller auf drei sorgsam mit Decken abgepolsterte Papiertüten fielen. Als er die erste hervorzog und es in ihrem Inneren gläsern klimperte, war es um Sandy geschehen. Händeklatschend fiel sie ihm um den Hals und ihre Euphorie schwappte unweigerlich auf ihn über.

„Du bist doch der beste, coolste Schatz der Welt!“, klang ziemlich vielversprechend, was den Abend anging, und „Lass sie uns gleich auf die Veranda bringen!“ nach einem guten Plan.

Dem er sofort folgen und mitsamt seiner klimpernden Fracht an Jonah vorbeirauschen wollte, doch der machte, bis eben noch scheinbar völlig in Gedanken versunken, unversehens einen Schritt mitten in seinen Weg. „Wo hast du das her, Danny?“

Daniel ließ ergeben die Schultern sinken. Offensichtlich musste er seinem Freund, dem unverkennbaren Nachwuchs-Detective, nun doch Rede und Antwort stehen. Damit hatte er gerechnet, und zugegebenermaßen spürte er auch eine gewisse Erleichterung, dass es so war. Es hätte ihm nur verdammt gut in den Kram gepasst, wenn Jonah hier jetzt keinen künstlichen Aufstand wegen ein paar Partydrinks machen würde.

„Ich bin eigentlich nur der Überbringer, DJ!“, begann er zu erklären. „Für Isaac, Sandys Cousin, dem bei der letzten Lieferung ein kleines Malheur passiert ist. Ein Bruchschaden, der …“

Hilfesuchend sah er zu Max, der unverzüglich nickte, und dadurch bestärkt wieder zurück zu Jonah, der immer noch vor ihm stand. Jedoch schien Jonah die Entschlossenheit, der Herkunft dieser nicht jugendfrei verkäuflichen Getränke auf den Grund gehen zu wollen, gerade vollkommen zu entweichen. „Schon okay.“

„… nicht weiter registriert ist“, brachte Daniel seinen Satz zu Ende. Ernsthaft irritiert, und dennoch, seine Erleichterung überwog für den Moment. Und schon im nächsten setzte er seinen Weg schleunigst fort zum Wohnhaus von Sandys Familie, aus der bereits laute Musik und ein unverständliches Stimmengewirr ertönten.

In Max‘ Stirn grub sich ein unsichtbares Fragezeichen. Schon okay? Unter welchen Drogen stand ihr Freund denn gerade bloß? Das war doch nicht Jonah! Nicht, dass Max für seinen Teil Lust auf eine Szene zwischen seinen beiden Freunden gehabt hätte. Schon gar nicht vor Sandy samt Gefolgschaft hier auf der Auffahrt. In diesem Augenblick aber sprang ihm der Gedanke geradezu an den Hals, dass Daniel und er ihre geplante Symptomforschung doch deutlich kurzfristiger angehen sollten.

„Dann wollen wir mal sehen, wo hier die große Party stattfindet!“ Mit diesen lauter als nötig verkündeten Worten stapfte auch er an Jonah vorbei. Und Jonah folgte ihm. Die gepflasterte Auffahrt entlang und um das hell gestrichene Haus herum in den großen Garten, in dem schon ein buntes Treiben herrschte. Ein schlaksiger Kerl in Hawaiihemd und mit hochgeschobener Sonnenbrille in seinem zurückgegelten, gelbblonden Haar kam auf sie zu.

„Hey, super, da kommt ja endlich die heilige Fracht!“ Die Stimme war so dünn wie der Junge selbst, und er musste krächzen, um gegen den Bass aus der offenen Verandatür anzukommen. „Zeigt mal her, was ihr mitgebracht habt!“ Er langte mit seinen grätigen Fingern nach der Papiertüte, doch Sandys Hand war schneller.

„Pfoten weg, Luke, ich bin hier die Gastgeberin!“

Unübersehbar, wie sehr sie ihre heutige Sonderstellung genoss, steckte Sandy ihre Nase in die Tüten, die Daniel zu der aufgereihten Vielfalt an Süßgetränken auf den langen Gartentisch gestellt hatte. „Also, Kinder, womit kann ich euch etwas Gutes tun? Wir haben zum Mixen im Angebot: Wodka, Rum …“

Nacheinander zog sie die verschiedenen Flaschen heraus, während sich ihre Gäste in großer Erwartung um sie scharten. Allen voran der dünne Luke, der sich dieses Mal bereits deutlich besser zu verkaufen wusste. „Ich mache den Barkeeper für dich, Prinzessin! Also, wer will was? Erstmal das Geburtstagskind: Liebe Sandy, was trinkst du?“

Sandy zeigte sich entsprechend entzückt und wünschte einen Wodka-Energy-Shot, woraufhin Luke begann, die erste Flasche großzügig auf die bereitgestellten Gläser zu verteilen. Bald schon stand Max vor ihm. Er bestellte eine Bacardi-Cola und bekam ein Glas in verdächtig hellem Bronzeschimmer ausgehändigt. Damit trat er zur Seite, um den nächsten durstigen Gästen Platz zu machen. Für seinen Geschmack war der Kerl schon jetzt eine Spur zu weit in Fahrt und er wollte gar nicht wissen, wie es in ein paar Stunden um ihn stehen würde. Noch weniger, nachdem er den ersten Schluck von dessen fraglichen Mischkünsten genommen hatte. Max musste husten, so daneben war das Verhältnis.

„Und für dich, Buddy?“

Jetzt war Jonah an der Reihe. „Cola pur, bitte“, hörte Max ihn sagen, doch der aufgesetzten Gestik nach schien der dünne Luke auf diesem Ohr schlecht zu hören.

„Cola!“, antwortete Jonah nun lauter.

Der selbsternannte Barkeeper grinste hämisch. „Cola pur gibt‘s heute nicht. Hier! Gönn dir mal was Gutes und mach dich locker!“ Damit drückte er ihm ein ebenso bronzefarben schimmerndes Glas in die Hand und widmete sich seinen nächsten Abnehmern. Bevor Jonah seine Fassungslosigkeit gänzlich aus dem Gesicht fiel, zog Max ihn zur Seite.

„Ich weiß, was du denkst, aber ich kenne den auch nicht. Der soll wohl zu einem der Mädchen hier gehören“, raunte er ihm ins Ohr. Jonah schien die Information zu genügen, denn er nickte. Sagte aber nichts. Einmal mehr fiel Max auf, dass er bis jetzt wirklich ungewöhnlich wenig von sich gegeben hatte. Nicht einmal großes Murren darüber, dass er eigentlich viel Sinnvolleres mit seiner Zeit anfangen könnte, als auf einer Party kreischender Hühner mit Anwesenheit glänzen zu müssen. Stattdessen stand er da und starrte in sein Glas.

Jonah trank keinen Alkohol, das wusste Max. Er mochte den Gedanken nicht, dass ihm irgendetwas seine Sinne vernebelte und darüber hinaus weder im Sinne des Gesetzes noch in dem seines Vaters gewesen wäre. Und doch hatte er sich dieses Glas geben lassen, ohne ein einziges Widerwort!? Gleich würde Max sich seinen Freund vorknöpfen, ihn zur Rede stellen! Wobei … nein, so lieber nicht. So würde er gegen die Wand fahren. Und hier war es ohnehin zu laut für tiefergehende Gespräche.

Bedacht an seinem Glas nippend schaute Max in die Runde. Unerwartet viele junge Leute waren da, von denen er die wenigsten zuvor schon einmal gesehen hatte. Mehrere Mädchen standen aufgebracht kichernd um die Bar herum, während andere in fast demonstrativer Weise den Körperkontakt zu ihren jeweiligen Partnern zelebrierten. Daniel stand neben Sandy auf der Veranda und beobachtete sie dabei, wie sie sich von ihren Freundinnen für ihren neuen Halsschmuck bewundern ließ. Nach Daniels Erzählungen hatte er ihr zum Geburtstag einen kleinen, goldenen Muschel-Anhänger schenken wollen. Offensichtlich wurde sein Geschenk gebührend angenommen.

In diesem Moment kamen noch weitere Partygäste ums Haus herum und die allgemeine Geräuschkulisse schnellte unvermittelt wieder ein paar Oktaven höher. Jonahs verzerrten Gesichtszügen nach wohl auch für ihn im grenzwertig schmerzlichen Bereich. Max verkniff sich ein Grinsen.

„Lass uns mal von den Verstärkern hier weg!“ Energisch in Richtung des Gartens weisend, schob er Jonah vor sich her. In der Hoffnung, nun endlich auch einen passenden Moment anzusteuern, dirigierte er seinen Freund in den hinteren Bereich des blütenreich gestalteten Anwesens. Bis zu einem kleinen Mauervorsprung, der sich in Gestalt einer Kräuterschnecke ins Gras hinabsenkte. Dessen schmale Randsteine machten jedoch nicht den Eindruck, dass sie als robuste Sitzgelegenheit herhalten könnten, und so blieb Max einfach stehen. Zwar war es hier nicht weniger schwül, doch zumindest drang die Musik etwas gedämpfter herüber. Wie auch die ersten rauchigen Schwaden der angeworfenen Grillkohlen. Jonah lehnte sich mit dem Rücken an die Mauer, die die Gartenbegrenzung zum Nachbargrundstück ausmachte, und rieb sich leise stöhnend über den Bauch.

„Ganz schön heftig, was?“ Max hob sein Glas und Jonah daraufhin seinen Blick, im Ansatz eines Schulterzuckens.

„Habe ich so nicht bestellt.“

„Schon klar.“

Nach diesem erstickten Dialog sah Max dabei zu, wie Jonah wieder geistig abzudriften schien. Seine eigene Verwirrung darüber war hier fehl am Platz, und auch das andere in ihm aufflackernde Gefühl verbannte er sofort wieder. Mitleid, das wusste Max, würde das Letzte sein, was sein Freund gebrauchen konnte. Wohl aber alles andere, und der Geruch von brennenden Kohlen gab ihm jetzt den finalen Anstoß.

„Ist alles klar bei dir, DJ?“ Er fand dennoch keinen geschickteren Anfang als geradeheraus.

Dementsprechend wenig überrascht war er über Jonahs abfertigende Antwort: „Geht schon. Mich hat nur irgendetwas erwischt. Deshalb werde ich auch nicht lange bleiben und besser niemandem …“ Wie zur Beipflichtung seiner Worte ging Jonahs Arm hoch und er hustete sich ein hässliches Rasseln von der Brust.

„Meinst du denn, dass es etwas Ansteckendes ist?“

Zu spät. Die Frage war draußen. Und Jonah hatte sie gehört, ganz eindeutig. Dem Blick nach, mit dem er ihn anfunkelte. Es kostete Max einiges, ihm standzuhalten, und doch erschrak er fast, als dieser plötzlich zu Boden ging. An ihm vorbei erblickte er zwei Mädchen, die mit ihrem Glas in der Hand langsam durch den Garten in ihre Richtung schlenderten.

„Wenn wir dir irgendwie helfen können …“ Ein letztes verbales Handreichen.

„Ich werde am Montag zum Doc gehen. Danke, Max!“

„Okay.“ Wenigstens etwas. Aber damit war das Thema jetzt offensichtlich für beendet erklärt. Warum auch sollte Jonah mit ihm Indizien besprechen, bevor er nicht selbst alle erdenklichen Fakten in Reih und Glied aufgestellt hatte? Warum sollte es diesmal anders sein? Nur weil sie schon eine gefühlte Ewigkeit dickste Freunde waren? Wann, wenn nicht jetzt, war denn jener hoch beschworene Moment, in dem es genau darauf ankam? Wenn der eine bereit war, den anderen aus den Flammen herauszuholen, musste der andere den einen auch lassen! Jedenfalls hatte Max an sowas immer geglaubt. Und er war schließlich nicht blöd. Er sah doch, wie dreckig es seinem Freund ging! Er presste die Lippen aufeinander, um Jonah nicht all diese Gedanken lauthals um die Ohren zu schlagen. Was auch nicht helfen würde. Verdammter Sturkopf, dachte er, dann mach doch …

„Hi, Ihr zwei! Ist es euch da vorne auch zu laut?“

Max blickte auf und direkt in das unbestreitbar hübsche Gesicht eines der beiden Mädchen. Smaragdfarbene Augen lächelten ihm aufgeweckt entgegen, woraufhin seine unwillkürlich an ihr hinabwanderten. Passend zu ihrer Augenfarbe umspielte ein dunkelgrünes Minikleid ihre schlanken Hüften. Ihre dunklen, langen Haare waren zu einer eleganten Hochsteckfrisur zusammengefasst. Max lächelte zurück.

„Oh ja, deutlich zu laut“, sagte er, dankbar für diese erfrischende Wendung. „Hi! Ich bin Max.“

„Freut mich sehr, Max. Mein Name ist Mel.“

„Also, Mel? Cheers!“ Ihre Gläser klirrten aneinander, während das zweite Mädchen an Jonah herantrat.

Jonah ließ seinen Blick über die volle Veranda schweifen. Sandy hatte wirklich viele Leute eingeladen. Es war laut. Der dröhnende Bass bohrte sich rhythmisch bis an seine Magenwände. Dabei hatte er vor allem Max‘ Stimme in den Ohren. Nur die von Sandy hallte immer wieder markant auf. Anstrengend aufgeregt, und doch irgendwie gedämpft. Wie durch eine Nebelwand.

Seitdem er im Auto eingenickt war, schienen seine Sinne festzuhängen in einem wabernden Dunst, der die Eindrücke verschluckte und miteinander verschwimmen ließ. Die Geräusche. Das Quietschen der hochgehenden Kofferraumklappe, verschwörerisches Kichern, klimperndes Glas … Die ganze Szene am Bus schwappte vor seinem inneren Auge nach. Wie daraus in Zeitlupe eine Art Bild geworden war, mit irgendetwas Bedrohlichem an sich. Wie das beunruhigende Gefühl, in beschützender Mission gefordert zu sein, kurz seinen Höhepunkt erreicht hatte und dann ebenso schnell ins Bodenlose versackt war, als er Dannys Erklärungen zugehört hatte.

Immerhin, beim Anblick der aufgebauten Theke hatten sich seine Sinne etwas aufgerafft. Um wie elende Aasgeier nur wieder um dieses eine, völlig triviale Grundbedürfnis zu kreisen.

Trinken.

Wenn man sich an diesen Zustand schon fast gewöhnt hatte, war es wohl nicht mehr ganz so trivial. Seine Zunge klebte ihm wie angebrannt am Gaumen, und auch, wenn er aus Erfahrung wusste, wie kurzlebig die Erleichterung sein würde, seinem Bauchgefühl nach hatte jeder einzelne Schluck seine lebenserhaltende Berechtigung.

Er starrte auf das Glas in seiner Hand. Das er von diesem aufgedrehten Kerl an der Bar bekommen hatte, den er nicht kannte. Und irgendwie auch nicht mochte. Der aber nun mal das Trinken gehabt hatte. Das ganze aufgereihte Zeug, von dem er sich am liebsten alles seinen lodernden Hals hinabgekippt hätte. Ohne Erinnerung, wie oft er tatsächlich um ein schlichtes Glas Cola gebeten hatte. Und warum er das hier einfach so hingenommen hatte … Jonah starrte immer noch in sein Glas, bis tief auf den Grund seiner unbestimmbaren Mischung. Da war ein Hauch von Wut, aber viel zu schwach. Sowieso nicht gut. Nur ein Zeichen, mit einer Situation nicht umgehen zu können. Und das konnte er noch, davon war er überzeugt, während er einen stillen Kampf mit sich ausfocht, die mitschwimmenden Promille als nötiges Übel zu akzeptieren.

Wildes Geschrei riss ihn aus seinen Gedanken, und er ließ sich von Max in die abgewandte Richtung schieben. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, sich hinzusetzen, denn so herumzustehen würde er nicht den ganzen Abend aushalten. Er merkte, dass die Musik in seinen Ohren nachgelassen hatte, der bohrende Druck in seinem Magen blieb jedoch. Mit wachsender Verzweiflung stellte er fest, dass es auch hier nichts Standhaftes zum Sitzen gab. Nur diese eine Wand. Am liebsten wäre er einfach an ihr hinuntergerutscht. Und sein Magen, verdammt, der raubte ihm fast den Verstand. Was machte er bloß hier?

„Ganz schön heftig, was?“

Er blinzelte auf. Max. Er musste das Glas meinen, das er hochhielt. Oder? Mit dem Schuss darin, und wie zum Teufel der auch in seins gekommen war. Ohne eine Ahnung, wie lange er selbst darüber nachgedacht hatte, hörte er: „Ist alles klar bei dir, DJ?“

Die Rebellion kam ganz automatisch. Weil es das von außen längst zu sein schien. Klar erkennbar, dass es eben nicht so war. Aber nichts von alledem hier hatte er bestellt! Das gehörte alles nicht zu ihm! Schon gar nicht dieser elende Reiz in seinem Hals, der ihm schon wieder das Wort abschneiden wollte.

Es war nichts Ansteckendes, nein.

Max‘ Frage riss ihm die letzte Fassade weg. Dahinter drehten sich seine eigenen im Kreis und um sein dunkles Bauchgefühl, dass dies hier kein Schnupfen war. Keine Lappalie, die einfach wieder verschwinden würde, die jeder andere genauso haben könnte. Auch nicht die Schussverletzung eines tapferen Helden oder ein dramatisch gebrochenes Bein. Es fühlte sich an wie ein Fehler, tief in ihm drin. Und alle konnten ihn sehen.

Um Beherrschung ringend sah er zu Boden. Zumindest das hatte er endlich begriffen.

„Wenn wir dir irgendwie helfen können …“

Und auch, dass sein Freund eben das wohl leider nicht konnte. Etwas Herunterspielendes brachte er noch heraus, als von irgendwoher plötzlich Mädchen aufgetaucht waren. Nicht verwunderlich, dass sogleich Max ihre Aufmerksamkeit hatte. Nicht schlimm.

„Hi! Ich hoffe, wir haben euch nicht bei wichtigen Gesprächen gestört? Ich bin Jolene.“

Mit einem Atemzug roch der Nebel anders. Vergessen war der Schwelbrand. Ein frischer, blumiger Hauch umgab ihn, wie vom Meer über eine wilde Sommerwiese herangeweht, und mischte sich unter das pulsierende Rauschen in seinem Kopf. War etwa er gemeint?

Er blinzelte einem fremden Mädchen entgegen. Sah in ein von der Sonne leicht gerötetes Gesicht, geziert von verschwommenen Sommersprossen und in weichen Wellen eingerahmt von langen, blonden Haaren. Bei ihrem Anblick wusste Jonah das Gefühl, das ihn überkam, nicht einzuordnen. Als könnte er dem hier nicht gewachsen sein.

„Ähm, nein, nicht wichtig.“ Er räusperte sich. „Hi. Jonah Spark.“ Es gab ihm jedes Mal etwas wieder, sich mit seinem vollen Namen vorzustellen. Und wenn es hier und jetzt ein zierliches Stutzen war.

„Spark?“, wiederholte das Mädchen. Gleich darauf breitete sich ein Lächeln auf ihren Wangen aus. „Ich glaube, dann weiß ich, wer du bist! Zumindest habe ich schon von dir gehört.“

„Tatsächlich?“ Der Blick ihrer blauen Augen verwirbelte sich in seinem Magen. Himmel, war sie schön. Wie sie redete und dabei klang und wie sie roch! Während er sich entsetzlich schwertat, aus seinem eingesandeten Wortschatz irgendetwas auszugraben, um diese Begegnung am Leben zu erhalten.

„Ja! Dein Vater war Detective beim LAPD, oder? Sogar Sergeant.“

Jonah blinzelte überrascht. „Das stimmt.“ Leise fügte er hinzu: „Er war. Das ist lange her.“

Nickend, dass sie auch sein Flüstern vernommen hatte, hielt Jolene sich auf ihrer eigentlichen Spur: „Sein Name war David, richtig?“

„Ja …“

„Und ebenso wie er gehörst du zu Spark‘s treasuries.“

„Woher …?“

Etwas verlegen zuckte sie mit den Schultern. „Ich weiß, das stand alles nicht in den Zeitungsartikeln“, sagte sie. „Es war lediglich von einem jungen Mann namens J.S. die Rede, wohnhaft in Oxnard und dort eigentlich in den Handwerksbetrieb der Familie eingebunden, aber mit einem ganz besonderen, familiären Spürsinn gesegnet. Ich habe daraus eben meine eigenen Schlüsse gezogen.“

Jonah war sprachlos. Jolene schenkte ihm einen provokanten Augenaufschlag. „Du bist zudem äußerst redegewandt, habe ich gehört.“

Das saß. Spätestens jetzt musste ihm doch etwas einfallen! Tat es nicht. Als tauchte er in einer trüben Suppe aus Müdigkeit und Schwindel auf der Suche nach demjenigen, der er gar nicht mehr war. Er stemmte seine Füße noch fester in den Boden, damit ihm die weichen Knie darüber nicht gleich wegknickten, und hörte sich noch irgendwas dahinhaspeln, als es plötzlich laut von der Veranda her hallte. Dort stand Sandy und winkte ihre Gäste von allen Ecken heran.

„Das Buffet ist eröffnet!“

Jolene lächelte und hob ihr Glas. „Okay, dann später. Cheers! Auf eine schöne Party!“

Jonah glaubte, alle um ihn herum könnten den dicken Felsbrocken hören, der ihm vom Herzen fiel. Später klang gut und Anstoßen war leicht. Ohne weiter zu zögern, setzte auch er im Anschluss sein Glas an die Lippen und trank, erst einen Schluck, dann zwei … Der Reflex seines Kehlkopfes verselbständigte sich. Gerade eben vor dem letzten Rest konnte er dem Einhalt gebieten und stellte sich mit geschlossenen Augen der unweigerlich folgenden heißen Woge, die in ihm emporzüngelte und ihn husten ließ.

„Na, das solltest du in dem Pensum aber lieber nicht den ganzen Abend fortführen, Jonah Spark, sonst müssen wir uns noch Sorgen um dich machen“, hörte er Jolene wie durch Watte hindurch sagen. Die Worte provozierten ein merkwürdiges Grinsen in seinem Gesicht.

Uns noch Sorgen um dich machen …

„Nein, werde ich nicht! Ich trinke normalerweise keinen Alkohol.“ Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und lächelte reumütig. „Ich hatte nur so unglaublichen Durst!“

„Verstehe“, sagte sie und erwiderte sein Lächeln. „Dann lass uns aber lieber erstmal nach dem Buffet sehen und etwas Vernünftiges als Grundlage schaffen.“ Damit griff sie unbefangen unter seinen Arm, um ihn von der Mauerwand wegzuziehen. Seine bange Befürchtung, dass ihm spätestens jetzt seine Beine den Dienst versagen und er hier vor Max und den beiden Mädchen wie ein Sack zu Boden gehen würde, löste sich nur knapp in Luft auf. Leicht schwankend und unter einer grellen Ansammlung Sternchen vor den Augen suchte er Halt auf seinen Knien. „M-moment mal kurz …“

„Oh, ist dir nicht gut? Ist dir schwindelig?“ Ihre Hand fest an seinem Oberarm, beugte sich Jolene zu ihm hinunter. Max stand daneben und verdrehte die Augen. Alles bestens, dachte er, sieht man doch!

Gleich darauf ging er jedoch hart mit sich ins Gericht und klopfte Jonah auf den Rücken. „Ich glaube, du solltest mal etwas essen, DJ, hm?“

„Da … hast du wohl Recht.“

Max staunte. Mit solch einer einsichtigen Antwort hatte er nicht gerechnet. Wie aber fast im selben Moment Jolenes verwirrter Blick zu ihm hochkam, biss er sich noch nachträglich auf die Lippen.

„DJ?!“

Dafür, dass ihm in Anwesenheit fremder Mädchen der so herrlich passende Kosename herausgerutscht war, den er und Daniel ihrem Freund einmal gegeben hatten. Auf diese Indiskretion stand eigentlich die Höchststrafe, auch wenn beide wussten, wie sehr Jonah es jedes Mal insgeheim genoss, so genannt zu werden. Im Sinne einer freundschaftlichen Beschwichtigung strich Max ihm erneut über den Rücken, während er das Geheimnis preisgab: „Er ist unser Detective Jonah!“

Jolene nahm es mit einem Schmunzeln entgegen, bevor sie sich wieder zu Jonah hinunterbeugte und ihre Stimme nachdrücklich wurde. Beinahe wie die einer Krankenschwester. „Wann hast du denn das letzte Mal etwas gegessen?“

„Ich weiß nicht. Ich glaube …, heute, zum Frühstück.“ Jonah erhob sich. Der Schwindel war fast vorbei. Jedenfalls der physisch Begründbare. Ein eigenartiges Flimmern war geblieben, tief in seinem Bauch, und verlieh ihm gerade eine ganz neue Energie. Half ihm zu lächeln. „Dumm von mir, ja.“

„Hm, etwas.“ Auch ihr Lächeln ging nicht weg. „Also, los. Besorgen wir dir was! Ich habe auch schon spioniert, da steht ein leckeres Tiramisu.“

„Oh, das ist von mir!“ Jetzt lachte er sogar. „Also, nicht wirklich, aber von meiner Granny, und die … ist die unanfechtbare Meisterin in der Küche. Stimmt‘s, Max?“

„Hm? Oh, ja, sicher.“ Max war verwirrt. Wurde er hier gerade Zeuge überirdischer Spontanheilung, oder woher kam dieser unübersehbare Stimmungswandel seines doch völlig dahingerafften Freundes? Die Erkenntnis, dass diese Wendung wohl herzlich wenig mit ihm zu tun hatte, sondern sich durch dieses blonde Mädchen begründete, versetzte ihm einen Stich. Wo kam sie eigentlich her? Just in dem Moment, in dem er und Jonah sehr wohl über wichtige Dinge gesprochen hatten! Zumindest hatte er das versucht. Vergeblich. Völlig unerheblich, wie lange es schon her war, dass sie beide in der Schule nebeneinandergesetzt worden waren. Zusammen an den Außenseiter-Tisch. Der etwas pummelige Junge mit dem traurigen Gesicht und er, der kleine Dünne, den sie so unglaublich einfallsreich wegen seiner Brille aufgezogen hatten, oder weil er gern einmal mit einer Krawatte in die Schule gekommen war, wie sein Vater eben in die Arbeit. Vergessen, wie sie Freunde geworden waren und sie bald niemand mehr geärgert hatte. Zusammen. Alles irrelevant, wenn es persönlich wurde. Da lief er bei Jonah gegen die Wand. Stand einfach davor. Um nun dabei zuzusehen, wie eine völlig Fremde in ihrem weißen Rüschenkleidchen lächelnd darüber hinwegschwebte. Sie hatte ihm ja nichts getan, aber Max konnte gerade nicht anders, als diese Jolene erst einmal nicht zu mögen.

Ein angestrengtes Lächeln auf den Lippen, stapfte er voran, quer über den akkurat gezogenen Rasen und zurück zur Veranda. Mel schloss eilig zu ihm auf, während die beiden anderen nur langsam folgten.

Jonah empfand ernstes Bedauern darüber, dass Jolene seinen Arm wieder losgelassen hatte. Immerhin, sie ging so dicht neben ihm, dass sie sich bei jedem Schritt leicht berührten. Manchmal auch mehr, ohne seine Absicht, doch vielleicht, und das zu spüren war er noch in der Lage, mit ihrer. Es pulsierte in ihm.

„Wie kommst du … auf diese Party? Ich meine, woher … kennst du Sandy?“, fragte er vorsichtig, um wenigstens dieses Gefühl für sich festzuhalten.

„Oh, sie selbst kenne ich eigentlich weniger, aber Mels jüngere Schwester Lucia ist eng mit ihr befreundet. Und da die beiden sich als Schwestern auch recht gut verstehen, hat Lucia uns gefragt, ob wir nicht auch mitkommen wollen. Wir hatten nämlich heute sowieso nichts Besseres vor. Und du? Hast du zufälligerweise gerade ermittlungsfrei, hm?“

Jonah räusperte sich verlegen. „Nein, also, so ist das nicht.“

„Nein? Bist du doch kein so hoch eingespannter Police-Detective?“

Etwas wehmütig schüttelte Jonah den Kopf. Jolene wusste das zu deuten. „Oh, ich denke, genau so einer bist du!“, sagte sie und nickte in Richtung Max vor ihnen. „Deine Freunde werden dir sicher nicht ohne Grund diesen Namen gegeben haben. Und ihr Vertrauen.“