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Der Vatikan - Sex, Lügen und Verbrechen. Johannes Seiffert untersucht unvoreingenommen und detailgenau die düstersten Kapitel aus 2000 Jahren Kirchengeschichte. Wie sieht es wirklich hinter den dicken Mauern aus? Wie hält man es dort mit der Wahrheit, dem Zölibat, dem Sex? Der Autor analysiert das Lügengebilde, auf dem die Katholische Kirche aufgebaut ist, überprüft die angebliche Heiligkeit führender Kirchenvertreter kritisch und benennt die zahllosen Verbrechen, die im Namen des Gekreuzigten begangen wurden und werden.
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Seitenzahl: 510
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ORIGINALAUSGABEExklusiv für unsere Leser
Tel.: 01805 / 30 99 99(0,14 €/Min., Mobil max. 0,42 €/Min.)www.buchredaktion.de
Johannes Seiffert
Sex, Lügen und Verbrechen
ISBN 978-3-86789-754-9
1. Auflage dieser Ausgabe
Alexanderstraße 110178 BerlinTel. 01805/30 99 99FAX 01805/35 35 42(0,14 €/Min., Mobil max. 0,42 €/Min.)
© 2014 by BEBUG mbH / Edition Berolina, BerlinUmschlaggestaltung: Susanne Weiß, BEBUG Verlage
www.buchredaktion.de
Noch sehen wir alles undeutlich und verrätselt,wie durch ZerrspiegelSchon bald aber klar und deutlich,wie von Angesicht zu Angesicht1 Kor., 13,12.
Abendland: Jener Teil der Welt, der westlich (bzw. östlich) des Morgenlandes liegt. Größtenteils bewohnt von Christen, einem mächtigen Unterstamm der Heuchler, dessen wichtigste Gewerbe Mord und Betrug sind, von ihnen gern »Krieg« und »Handel« genannt.
[Occident, n. The part of the world lying west (or east) of the Orient. It is largely inhabited by Christians, a powerful subtribe of the Hypocrites, whose principal industries are murder and cheating, which they are pleased to call ›war‹ and ›commerce‹.]
Ambrose Bierce – Devil’s Dictionary
Alle in diesem Buch genanntenFakten, Kunstwerke, Bauten und Handlungenentsprechen der Wirklichkeit.
Dan Brown
Einleitung
Der Beginn
Petrus
Zölibat
Paulus
»Heiliger« Viktor I. (Bischof von Rom 189–199(?))
Calixt I. (um 160–222, Bischof von Rom 217–222(?))
Anterus (Bischof von Rom 235/236)
Cornelius (Bischof von Rom 251–253)
Sixtus II. (Bischof von Rom 257–258)
Marcellinus (Bischof von Rom 304)
Miltiades (Bischof von Rom 310–314)
Silvester I. (Bischof von Rom 314–335)
Damasus I. (um 305–384, Bischof von Rom 366–384)
Siricius (um 334–399, Papst 384–399)
Anastasius I. (Papst 399–401)
Innozenz I (Papst 401–417)
Bonifatius (Papst 418–422)
Coelestin I. (Papst 422–432)
Sixtus III. (Papst 432–440)
Leo I (um 400–461, Papst 440–461)
Felix II. (Papst 483–492)
Gelasius I. (Papst 492–496)
Symmachus (Papst 498–514)
Vigilius (um 500–555, Papst 537–555)
Gregor I (um 540– 604, Papst 590–604)
Leo III. (um 750–816, Papst 795–816)
Formosus (ca. 816–896, Papst 891–896)
Sergius III. (um 860–911, Papst 904–911)
Octavian von Spoleto (937/939–964, Papst als Johannes XII.955–964)
Ildebrando Aldobrandeschi (1015–1085, Papst als Gregor VII. 1073–1085)
Eudes de Châtillon (1040–1099, Papst als Urban II. 1088–1099)
Rodrigo Borgia (1431–1503, Papst als Alexander VI. 1492–1503)
Giuliano della Rovere (1443–1513, Papst als Julius II. 1503–1513)
Giovanni Lorenzo de’ Medici (1475–1521), Papst als Leo X. 1513–1521)
Eugenio Pacelli (1876–1958, Papst als Pius XII. 1939–1958)
Angelo Roncalli (1881–1963, Papst als Johannes XXIII. 1958–1963)
Giovanni Montini (1897–1978, Papst als Paul VI. 1963–1978)
Albino Luciani (1912–1978, Papst als Johannes Paul I. 1978)
Karol Wojtyła (1920–2005, Papst als Johannes Paul II. 1978–2005)
Josef Aloisius Ratzinger (Papst als Benedikt XVI. 2005–2013)
Jorge Mario Bergoglio SJ (Papst als Franziskus I. seit 2013)
»Irres Bambi«
Nachwort
Danksagung
Endnoten
Ein Papst, der sich Prostituierte zu Dutzenden in den Palast bestellt? Der sie nackt in seinem Schlafzimmer tanzen lässt? Der mit ihnen die perversesten und brutalsten Orgien feiert? Dessen Körper am Ende seines Lebens von Geschlechtskrankheiten und Völlerei zu einer stinkenden unförmigen Fleischmasse angeschwollen ist, dem aber dennoch weiterhin Huren zugeführt werden müssen? Ein Papst, der die eigenen Kinder zu hohen Würdenträgern im Vatikan ernennt? Ein Papst, der an der Spitze eines Söldnerheeres in den Krieg zieht? Ein Papst, der Millionen dafür ausgibt, zusammen mit Geheimdiensten Regierungen und ein gesamtes weltpolitisches Bündnissystem zu stürzen, und der sich dabei auf das zu Zehntausenden zählende Heer der »Geistlichen« vor Ort stützen kann?
Unvorstellbar, meinen Sie? Und doch nur allzu reale Beispiele aus der Geschichte der Institution »Katholische Kirche« während der letzten zwei Jahrtausende. Die Päpste standen und stehen dabei einer Institution vor, die, wie zu zeigen sein wird, auf einem Lügengebäude aufgebaut ist, auf gefälschten Dokumenten und »redigierten« Texten in der sogenannten Bibel. Die Figur des historischen Jesus – falls es ihn jemals wirklich gab – ist bis zur Unkenntlichkeit entstellt, seine zentralen Thesen geradezu ins Gegenteil verkehrt worden. Liebe! Demut! Armut! Gerechtigkeit! Solidarität! – Wenn man sich diese urchristlichen Ideale vor Augen führt, wird der eklatante Widerspruch dazu, in dem die heutige Amtskirche mit dem Papst an der Spitze steht, umso deutlicher. Mit dem Sieg des heidenchristlichen »Apostel« »Paulus« über die judenchristlichen Gemeinschaften in und um Jerusalem hatte diese Entwicklung begonnen, die hin zu einer immer stärkeren Hierarchisierung und Institutionalisierung der Katholischen Kirche führte.
Was wir heute unter diesem Namen vor uns haben, ist eine straff autokratisch organisierte, weltumspannende, nach wie vor mächtige Kultgemeinschaft, deren führende Mitglieder einer abstrusen Ideologie anhängen, und nicht zuletzt einer völlig verqueren Sexualmoral. Im Namen dieser »katholischen« Sexualmoral (Keuschheit! Körperfeindlichkeit! Zölibat!) verbietet der jeweilige Papst beispielsweise regelmäßig den Gebrauch von Kondomen (weil die Sexualität von der reinen Fortpflanzungsvereinigung hin zu einer lustbetonten Freizeitbeschäftigung verschiebend) selbst in Gegenden mit den höchsten Aids-Raten dieser Welt, sprich: er macht sich des Völkermordes schuldig.
Wer sich nun die Mühe macht, die historischen Fundamente der Katholischen Kirche und des Papsttums zu ergründen, stößt schnell auf Sackgassen, auf historische Nebelfelder, zu Deutsch: auf heiße Luft, auf Lügen. Gräbt man tief genug, stellt sich heraus, dass für den Katholizismus, das Papsttum, ja selbst die Figur Jesu Christi keinerlei belastbare historische Fakten vorhanden sind, die ausreichen würden, um sie zweifelsfrei zu legitimieren. Anders ausgedrückt: Kirche, Papsttum und Zentralgestalt basieren offenbar auf historischen Phantasieprodukten, die sich im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende im Denken der Gläubigen und Interessenvertreter zu Tatsachen verdichteten. Aber eben erst im Nachhinein.
Egal ob es sich um die wesentlichen Zutaten des katholischen Glaubens handelt, um die Nomenklatur der Insignien und Ämter, oder um die Zentralgestalt Jesu Christi selbst: Nüchtern betrachtet sind gerade »Jesus« und die um ihn herum erzeugte Amtskirche eine Akkumulation von klassischen antiken Topoi, von damals im Umlauf befindlichen Retter-Klischees,1 wurden in der mutmaßlich fiktiven Figur Jesus die gängigsten damals berühmten Eigenschaften von gottähnlichen mythologischen Gestalten versammelt: von Mithras, Zarathustra, Dionysos und Buddha. Indem man das Beste von allen konkurrierenden Kulten übernahm, trachtete der innere Zirkel der Christenkirche (die vatikanische Kurie) danach, alle anderen Religionen aus dem Feld zu schlagen und allein siegreich auf dem Spielfeld zu bleiben. Und es gelang. Spirituell bzw. ideologisch-marketingmäßig durch die Übernahme der bekanntesten Merkmale konkurrierender Kulte, aber auch ganz banal praktisch durch die Überbauung der berühmtesten Kultstätten konkurrierender Bewegungen mit katholischen Kirchen. Indem man bei anderen Kulten raubte und plünderte, requirierte, was passte und zur Überhöhung der eigenen Führergestalt »Jesus« dienen konnte, indem man also frech usurpierte, was andere Kulte eigenständig an Erfolgsrezepten entwickelt hatten, überholte man die übrigen Kulte und setzte sich für anderthalb Jahrtausende nahezu unangefochten an die Spitze der entwickelten Welt.
Das wäre alles im Sinne der Gedankenfreiheit zu tolerieren, hätte es nicht in einer frühen Phase der Kirchengeschichte eine fatale Entscheidung gegeben: den Zölibat für die Priester dieses Kults einzuführen, die Ehelosigkeit, das Sex-Verbot. Wie es die Logik gebietet und die Erfahrung lehrt, führt ein solcher Zwang naturgemäß zu sexualkriminellen Fehlentwicklungen, Grenzüberschreitungen, Gebotsübertretungen, Missbrauch, Leid und Tod. Homosexualität, Pädophilie und Präferenzstörungen wurden und werden offenbar durch den Zölibat begünstigt bzw. verstärkt. Und gerade die obersten Anführer des Christenkultes namens Katholische Kirche, die Päpste, agierten an führender Stelle dabei als teilweise krankhafte Sex-Maniacs, die für die eigene körperliche Lust vor kaum einem Verbrechen zurückschreckten. Der Begriff Pornokratie2, den man als auf das heutige Zeitalter der allgegenwärtigen, kostenlos zugänglichen Pornographie gemünzt glauben könnte, wurde eigens für einen bestimmten Abschnitt der Papstgeschichte geprägt, als die Exzesse überhand nahmen.Dazu später mehr.
Gerade in den letzten Jahren wurden weltweit Missbrauchsfälle im Rahmen der von den Päpsten geleiteten Katholischen Kirche bekannt, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen. Dieses Phänomen ist nicht auf Deutschland beschränkt, sondern in allen Weltregionen aufgetreten, es handelt sich mithin also offenbar um ein strukturelles Problem des Katholischen Kultes.3 Dieser Faktor lenkt den Blick auf ein gerne unterschlagenes, unterdrücktes Element der Kirchengeschichte, der offiziell unterdrückten und verabscheuten Sexualität der Kirchenvertreter von der Basis bis an die Spitze. Die folgende Darstellung geht genau dieser Frage nach, der Frage, wie sich das Sexualleben an der Spitze der Bewegung, wo ja zumindest theoretisch der höchste Grad an Idealismus zu erwarten wäre, wie sich also das Sexualleben der Päpste innerhalb der von ihnen geleiteten »Katholischen Kirchen« in den vergangenen zweitausend Jahren gestaltete. In den Blick genommen werden sollen aber auch andere Abweichungen von der reinen Lehre, sprich Fälle, in denen sich Amtsinhaber über die eigentlich mit ihrem Amt verbundenen Enthaltsamkeitsregeln hinwegsetzten und Reichtümer aufhäuften, Kriege führten, Verbrechen begingen, Verbrechen deckten oder gar initiierten.
Es ist naheliegend anzunehmen, dass der historische Jesus, falls es ihn gegeben haben sollte, der »Katholischen Amtskirche«, wie sie sich in der Spätantike und im frühen Mittelalter um das Zentrum Rom herum entwickelte, heutzutage in diametraler Gegnerschaft gegenüberstehen würde. Dass er über die nicht zuletzt von den obersten Chefs dieser Bewegung, den Päpsten, in seinem Namen begangenen Verbrechen, entsetzt und deprimiert sein würde. Dass er ähnlich wie damals gegen die Pharisäer, heute unter Einsatz all seiner Kräfte, ja seines Lebens gegen die in äußerlicher, kalter Pracht erstarrte, einem sinnentleerten Pomp verpflichtete Katholische Kirche kämpfen würde, dass er ihre zu Götzenanbetern degenerierten »Priester« mit der Peitsche aus den »Kirchen« hinausjagen würde. Dass er die in seinem Namen betriebene Bewegung voller Abscheu verdammen würde, dass er ihre Millionenetats, ihren Milliardenbesitz, von denen nur Bruchteile bei den Armen und Bedürftigen ankommen, geißeln, dass er nicht zuletzt Einrichtungen wie die aus dem Haushalt des Verteidigungsministeriums (!) bezahlten4 Militärbischöfe beider Konfessionen, die den Soldaten bei ihrem mörderischen Tun geistlichen Beistand leisten sollen, als geradezu absurd, als diametral entgegengesetzt zu seinem eigenen Tun, zu seinen eigenen Wirkungsabsichten der Nächstenliebe und des Altruismus empfinden würde.
Kaum ein größerer Gegensatz ist denkbar als zwischen den mutmaßlichen urchristlichen Idealen und beispielsweise den jeweiligen Wahlveranstaltungen zur Neuwahl des obersten Kultbosses, wenn die in kostbare Roben gewandeten »Würdenträger« in prachtvollen Gemächern lustwandeln, in Luxuslimousinen hin- und herkutschiert, von zahllosen Köchen aufwendigst versorgt, von unzähligen »Nonnen« umhegt werden. Sie alle leben auch selbst in Palästen, werden von Bediensteten versorgt, verfügen über prachtvolle Sommerresidenzen (im Falle des Papstes der riesige Palast in Castel Gandolfo östlich von Rom). Wie konnte es so weit kommen? Um eine Antwort auf diese Frage zu bekommen, muss man sich die maßgeblichen Ereignisse innerhalb dieser »Kultorganisation« in den letzten 2000 Jahren vor Augen führen.
Ein grundsätzlicher Hinweis vorab: Dieses Buch fühlt sich mit jedem einzelnen Wort dem Geist und dem Werk Karlheinz Deschners verpflichtet, Verweise auf sein wegweisendes Gesamtwerk, angefangen von Abermals krähte der Hahn (1958) bis zu seinem Opus magnum, der 2013 abgeschlossenen zehnbändigen Kriminalgeschichte des Christentums werden daher nicht im Einzelnen aufgeführt – im Zweifel gebührt ihm das Verdienst, bestimmte Sachverhalte aufgedeckt zu haben, ebenso wie es in die Verantwortung des untenstehenden Autors fällt, falls sich in die nach bestem Wissen und Gewissen ausgeführte Darstellung einzelne Fehler eingeschlichen haben sollten.
Lassen Sie uns also nun einen Gang durch die Sexual- und Kriminalgeschichte des Papsttums unternehmen, und die versammelten Verbrechen und Perversionen unvoreingenommen, offen und mit der gebotenen Objektivität betrachten.
Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre.
Coimbra, im Frühjahr 2014,
Johannes Seiffert
Der Mann, der der Überlieferung zufolge der erste Papst gewesen sein soll (Beweise dafür fehlen), war ein Jünger von Jesus und hieß angeblich Petrus oder Simon Petrus.5 Sein eigentlicher jüdischer Taufname dürfte Shimon gewesen sein, Simon davon die gräzisierte Form. Als Beiname erhielt er den aramäischen Zusatz »Kephas« (Fels, Stein), aus dem im Griechischen Petros und im Lateinischen Petrus wurde. Die wahrscheinlichste Theorie zur Herkunft dieses auffälligen Beinamens (dazu mehr unten) besagt, dass es sich wahrscheinlich um eine ironische Anspielung auf den damals herrschenden jüdischen Hohepriester Kajaphas handelte, und somit eine Verballhornung dieses Namens gewesen ist. Der bedankte sich hierfür, indem er der Auslieferung von Jesus an die Römer und seiner Hinrichtung zustimmte.6
Dieser »Petrus« wurde der Legende nach – belastbare historische Beweise: Fehlanzeige! – der erste Papst in Rom. Und war – verheiratet!7 Schon daran ist zu ersehen, wie schwachsinnig die weitverbreitete Behauptung ist, Päpste hätten immer schon zölibatär, also sexuell enthaltsam gelebt. Wie konnte aber dieser im fernen Morgenland geborene, häufig als etwas tumb bzw. jähzornig geschilderte, verheiratete Shimon plötzlich auf den obersten Thron der Christenheit gelangen (wenn man einmal davon ausgeht, dass dem überhaupt so gewesen sein sollte, woran begründete Zweifel bestehen)? Greift man auf der Suche nach Hinweisen auf die Evangelien zurück, so wurde dort durch nachträgliche redaktionelle Eingriffe aus dem Mitläufer Shimon die Zentralfigur Petrus, der primus inter pares der Apostel gewesen sein und Jesus schon immer am nächsten gestanden haben soll. Andererseits wird Shimon gleichzeitig in als halbwegs authentisch angesehen Jesus-Worten in die Nähe des Satans gerückt bzw. mit diesem gleichgesetzt, was für eine eher distanzierte Beziehung des Idols zu seinem Apostel sprechen dürfte.8
Und dann gibt es ja noch den berühmten Ausspruch von dem Felsen, auf dem die Kirche gebaut werden soll, bis heute Leitmotiv der katholischen Herrschaftslehre und in riesigen, unübersehbaren goldenen Lettern am Petersdom zu Rom verewigt: Tu es Petrus, et super hanc petram ædificabo Ecclesiam meam, et portæ inferi non prævalebunt adversus eam.9 Dieses scheinbar fundamentale Bekenntnis zu Petrus, zum römischen Bischofsamt und zur Katholischen Kirche ist aber – so der heutige Stand des Wissens – eine nachträgliche Einfügung in den Evangelientext (und kommt überhaupt nur in einem der vier Evangelien vor!). Damit sollte offenbar nachträglich die infame, unverschämte Verkehrung der urchristlichen Ideen in ihr amtskirchliches Gegenteil legitimiert werden. Ausgerechnet dieser »Fels« (der Spitzname von Shimon kann im Zweifelsfall nur ironisch gemeint gewesen sein, wenn überhaupt) ist es ja, der Jesus nicht weniger als dreimal in einer Nacht verleugnet.10 Nach der Erscheinung des auferstandenen Christus habe »Petrus« dann – vom »Heiligen Geist« befeuert – seine erste Predigt gehalten. Dabei sollen die Umstehenden gleich massenweise in die neue Religionsgemeinschaft eingetreten sein.11
Als Apostel und Missionar habe Petrus dann auf verschiedenen Reisen kreuz und quer durchs Land für die Bekehrung der Massen in ganz Israel geworben. Dabei soll er auch – wie könnte es anders gewesen sein – ein paar Wunder gewirkt haben, ganz in der Nachfolge seines am Kreuz gestorbenen und wiederauferstandenen Herrn. Schließlich und endlich soll er es sogar nach Rom geschafft haben – wofür aber wiederum jegliche historischen Belege fehlen. Derartige Behauptungen entstehen erst in den folgenden Jahrhunderten, und sollen ex post einer Legitimierung des römischen Bischofsamtes dienen bzw. dessen Primat über die restliche Katholische Kirche zementieren. Die Geschichte wird dabei nach und nach immer fantasievoller ausgeschmückt, bis hin zum angeblichen Märtyrertod unter Nero, der die Juden und Christen nach dem von ihm verursachten Brand Roms als Sühnemaßnahme habe verfolgen und hinrichten lassen. Petrus habe dabei darauf bestanden, mit dem Kopf nach unten gekreuzigt zu werden, da er nicht würdig sei, in gleicher Art wie sein Herr zu sterben, also eine Art Kreuzigung hoch zehn, da der Kreuzestod auf diese Weise noch schmerzhafter und peinigender als der von Jesus Christus gewesen sein soll.
Immer weiter wird die Geschichte in der Folge ausgeschmückt, im fünften Jahrhundert wird Petrus dann schon eine 25-jährige Amtszeit als Bischof angedichtet, und ein gemeinsamer Tod als Märtyrer mit dem ebenfalls noch – der Legende zufolge – nach Rom gekommenen Paulus. Begraben worden sei Petrus auf dem Vatikanshügel. Dort ließ im vierten Jahrhundert Kaiser Konstantin ein erstes Kirchengebäude zu Ehren des angeblichen Märtyrers Petrus über dessen vermeintlicher Grabstätte errichten. An dessen Stelle steht heute die Peterskirche, mittlerweile die zentrale Kultstätte des katholischen Christentums. In der Vierung der Kirche, zwischen Kirchenschiff und Chor, soll angeblich das Grab des Petrus im Boden vorhanden sein. Der Vatikan ließ – um den historischen Anspruch zu untermauern – nach dem Zweiten Weltkrieg dort archäologische Grabungen durch katholische Archäologen durchführen, die wunschgemäß bestätigten, dass sich dort unzweifelhaft das Grab des Apostels und Märtyrers Petrus befindet. Von der übrigen archäologischen Wissenschaft wird dieser Befund jedoch als zweifelhaft zurückgewiesen, ein sicherer Nachweis für das dortige Vorhandensein eines Grabes von Petrus als unmöglich angesehen.12
Die historische Forschung hat ergeben, dass das Bischofsamt als Führungsamt erst in nachchristlichen Jahrhunderten entsteht, und für Rom ohnehin erst für das fünfte Jahrhundert sicher nachweisbar ist. Die katholische Lehre beharrt jedoch bis heute auf einer (fiktiven) lückenlosen Reihe von Bischöfen, beginnend mit dem ersten Bischof von Rom, Petrus. Ja, sie ist unbedingt auf eine solche Amtszeit des Petrus angewiesen, legitimiert sie doch den Führungsanspruch des Papstes gegenüber der katholischen Glaubensgemeinschaft (und der Welt) durch die Sukzession, die lückenlose Abfolge der römischen Bischöfe, von der auch die von Petrus begonnene und von diesem an alle seine Nachfolger verliehene Vorrangstellung herrühre. Dieser habe also gleich einem weltlichen Kaiser seine Macht innerhalb einer Erbmonarchie vererbt. Pseudowissenschaftlicher Unsinn, wie heutzutage feststeht. Da es überhaupt keine Anhaltspunkte für römische Bischöfe vor dem zweiten Jahrhundert gibt (und für ihre Vorrangstellung erst seit dem fünften Jahrhundert), sind die angeblichen, vom Vatikan verbreiteten lückenlosen Bischofslisten gerade für die ersten beiden Jahrhunderte als reine Erfindung anzusehen.
Insgesamt war die Gesellschaft im antiken Rom nicht weniger durchsexualisiert als unsere heutige Gesellschaft der allgegenwärtigen Erotik bzw. Pornographie. Das im Original erhaltene Stadtbild des antiken Pompejis gibt eine gute Vorstellung davon, wie man im alten Rom lebte. Prostituierte weiblichen wie männlichen Geschlechts an jeder Ecke, Bordelle in großer Zahl, die an ihren Außenwänden überlebensgroße unzweideutige Darstellungen der dort gebotenen Dienstleistungen aufwiesen, dazu die einschlägigen erotischen Kulte wie der des Mutunus Tutunus (des römischen Gegenstücks zum griechischen Priapos),13 des Bacchus (samt den sprichwörtlichen Bacchanalien, die jedes Jahr um die Mitte des Monats März stattfanden), der Venus,14 des Amor, des Faunus mit seinen Lupercalien, der Bellona (Magna Mater bzw. Kybele), der Voluptas, der Angerona samt den Angeronalien, der Fortuna virilis, der Juno (mit den Matronalia), der Isis, der Fortuna, der Ceres, der Acca Larentia (samt den Larentalia), des Liber (samt den Liberalia), und nicht zu vergessen Saturn mit seinen Saturnalien. Sex war also allgegenwärtig und allzeit in allen Varianten verfügbar.
Mit ihrer von Paulus begründeten Körper- und Sexualfeindschaft setzten sich gerade die römischen Christen (eine frühe, von Petrus und Paulus aber völlig unabhängige Gemeinde ist seit dem Jahr 50 n. Chr. nachgewiesen) von ihrem Zeitalter, ihrer unmittelbaren Umgebung in Rom ab. Sie setzten sich aber auch und gerade von den damals herrschenden Clans in Rom ab, die ein – gelinde gesagt – entspanntes Verhältnis zu Perversitäten aller Art aufwiesen. Hatte zur Zeit der Geburt von Jesus noch Kaiser Augustus geherrscht und das römische Weltreich sich auf dem Höhepunkt von Macht und Ausdehnung befunden, eine Ära langen Friedens geherrscht (das legendäre Augusteische Zeitalter), eine Ära von Recht und Anstand (Augustus ließ u. a. den Dichter Ovid wegen Verstoßes gegen diese Vorschriften ans Schwarze Meer in die Nähe der Krim verbannen), so begann mit dem Tod von Augustus im Jahre 19 unserer Zeit eine Ära des Niedergangs der Sitten und der Moral. Schon sein Nachfolger Tiberius geriet angesichts der Umtriebe in seinem Zweitpalast auf Capri in die »Schlagzeilen«. Der Kaiser soll sich dort eine ganze Kohorte von Lustknaben gehalten haben, die ihm im Warmwasserbad des Palastes unter Wasser per fellatio (Oralsex) zu Diensten sein mussten, und darob vom Kaiser seine »Fischlein« genannt wurden. Der in dieser Zeit nach Rom gekommene, aus Spanien gebürtige Dichter Martial erwähnt in diesem Zusammenhang, dass die Variante der irrumatio (»Kehlenfick«, »Deepthroating«) auch zur Bestrafung von Delinquenten angewendet wurde.15
Schon der nächste Amtsinhaber auf dem römischen Cäsarenthron ist gleichsam zum Synonym für Perversität und Sexualpsychosen geworden: Caligula. Dieser Gaius Caesar Augustus Germanicus, dessen Spitz- und Spottnamen Caligula (Stiefelchen) war, regierte insgesamt vier Jahre, von 37–41 unserer Zeitrechnung. Geboren im Jahr 14, wuchs Caligula in einer Zeit auf, die sehr gefährlich für den Nachwuchs der obersten Oberschicht war, da ja die Geblütsnachfolge, das dynastische Prinzip herrschte, man also durch die Geburt schon zum präsumtiven Nachfolger des Herrschenden wurde. Das führte dazu, dass die erweiterte Verwandtschaft oder Konkurrenten durch gezielte »Eingriffe« (vor allem Giftmorde) die Reihe der potenziellen Nachfolger eines Herrschers gezielt dezimierten. Es grenzte zeitweise an ein Wunder, wenn man als Sohn eines Mitglieds der Herrscherfamilie die ersten zwei Lebensjahrzehnte überlebte.
Sein Vater war gestorben, als Caligula 7 Jahre alt war. Bis zu seinem 18. Lebensjahr hatte Caligula bereits die Ermordung von seiner Mutter und seinen beiden Brüdern miterleben müssen. Die letzten Jahre war er gemeinsam mit seinen drei Schwestern erzogen worden, mit denen er inzestuöse Beziehungen unterhalten haben soll. Mit 19 gehörte Caligula zur Entourage des Tiberius auf Capri. Sechs Jahre lang habe er die Perversitäten am Hof des Tiberius geteilt, an Folterungen und sexuellen Ausschweifungen aller Art teilgenommen, und schließlich Tiberius im Jahre 37 mit einem Kissen erstickt. Mit Unterstützung der kaiserlichen Leibgarde, der Prätorianer, wurde Caligula zwei Tage später zum Nachfolger, zum obersten Potestaten Roms ausgerufen. Der Senat bestätigte diese Wahl wenige Tage später. Den von Tiberius eigentlich vorgeschlagenen, sieben Jahre jüngeren Gemellus adoptierte Caligula kurzerhand.
Seine Politik war zunächst von beliebtheitssteigernden Maßnahmen gekennzeichnet. Er ließ die unter Tiberius mächtig angewachsene Gruppe der kaiserlichen Lustknaben in die Provinz des Weltreiches verbannen, gestattete exilierten Senatoren die Rückkehr nach Rom, senkte die Steuern, und machte nicht zuletzt der Prätorianergarde aus Dankbarkeit ein millionenschweres Geldgeschenk. Dazu veranstaltete er massenwirksame Spiele und Gladiatorenkämpfe. Im Herbst 37, nach halbjähriger Herrschaft, erlitt er im Alter von 25 Jahren einen Zusammenbruch, den er selbst auf eine Vergiftung zurückführte. Seine Frau Iunia Claudilla starb während dieser Zeit unter unklaren Umständen bei der Geburt des ersten Kindes. Danach begann sich Caligulas Politik zu radikalisieren. Zu den ersten Opfern dieser Radikalisierung zählten sein Adoptivsohn Gemellus, sein Schwiegervater Silanus, und der Prätorianer-Chef Macro, die als angebliche Verschwörer verhaftet und zum Selbstmord gezwungen wurden.
Ein Jahr später starb Caligulas heißgeliebte Lieblingsschwester Drusilla, mit der er Tisch und Bett geteilt haben soll. In der Öffentlichkeit hatte er sie, die offiziell mit einem seiner engsten Freunde verheiratet war, wie seine Ehefrau präsentiert. Nach ihrem Tod erhob er sie zur Göttin und machte ihre öffentliche Verehrung zur Pflicht. Seine in der Folge eingegangenen vier Ehen waren jeweils nur von kurzer Dauer. Die von Caligula erlassenen Heimatschutzgesetze, die zur Ahndung von Hochverrat dienten, setzten zahlreiche Bürgerrechte außer Kraft. So ließ er auch Senatoren foltern, die eigentlich über Immunität gegenüber weltlichen Gerichten verfügten. Zeitweise reichte angeblich schon eine abfällige Äußerung über die Kleidung des Kaisers, um gefoltert und hingerichtet zu werden.
Gleichzeitig düpierte Caligula den Senat, indem er sein Lieblingspferd, den Hengst »Incitatus«, zum Konsul ernennen ließ, also auf eines der Führungsämter des Senats berief. Eigens für Caligula wurde angesichts der folgenden Ereignisse der Ausdruck »Cäsarenwahnsinn« geprägt.16 So ließ er zeitweise eine fünf Kilometer lange Schiffsbrücke über den Golf von Neapel errichten, über die er in der einen Richtung ritt, in der anderen mit einem Streitwagen fuhr. Damit machte er sich über die Prophezeiung lustig, seine Chancen, römischer Kaiser zu werden, seien in etwa so groß wie über den Golf von Neapel mit Pferden zu reiten. Caligulas Leben endete am 24. Januar 41 mit seiner Ermordung durch eine Gruppe von Senatoren, die ihn im Untergeschoss des Marcellus-Theaters gemäß den Regeln einer rituellen Schlachtung töteten. Caligula war auf dem Weg zu einer Gruppe von Lustknaben, mit denen er sich treffen wollte, als die Verschwörer ihm auflauerten. Seine Frau und seine Tochter wurden ebenfalls umgebracht.17
Caligulas Nachfolger war der hinkende Claudius, der von 41– 54 regierte. Claudius war deutlich älter als Caligula, und schon 51 Jahre alt, als er den Thron bestieg. Vermutlich war er ein Mitwisser oder gar Auftraggeber der Ermordung Caligulas. Er amnestierte die Verschwörer und ließ die Statuen seines Vorgängers zerstören. Die Prätorianergarde erhielt für ihre Unterstützung bei seiner Machtübernahme erneut eine hohe Belohnung. Auch mit dem Senat suchte Claudius die Aussöhnung. Dennoch kam es weiterhin zu Putschversuchen gegen ihn.
Trotz seiner militärischen, architektonischen und verwaltungstechnischen Erfolge (unter anderem die Besetzung der britischen Inseln) stellt Claudius einen weiteren dunklen Punkt in der Herrscherfolge Roms zur Zeit der frühen Christenheit dar. Zwar waren Homosexualität und Päderastie kein Thema für ihn. Nach verschiedenen kürzeren Ehen hatte er allerdings um 39 (im Alter von 49 Jahren) mit der 14-jährigen Messalina eine der verruchtesten Frauenfiguren der Antike geheiratet. Diese war offenbar von unersättlichem sexuellen Appetit. Zu ihrem eigenen Amüsement soll sie andere adlige Damen gezwungen haben, sich im Kaiserpalast vor den Augen ihrer Gatten zu prostituieren, und wahllos Freiern zu Diensten zu sein. Ihrem Gatten Claudius führte Messalina Sklavinnen als Geliebte zu.
Damit aber nicht genug. Um ihren eigenen grenzenlosen Sexualtrieb zu stillen, war sie auf eine besondere Idee verfallen. Messalina prostituierte sich mit blonder Perücke und sparsam gekleidet zur Befriedigung ihres ausschweifenden Sexualtriebs auch noch in den Freudenhäusern Roms. Dabei forderte sie einmal eine bekannte Hure zu einem Wettkampf der besonderen Art heraus. Während die Profi-Sexworkerin nach 25 Freiern aufgab, machte Messalina noch munter weiter, »bis ihre Bettstatt in den Säften schwamm«. Ihr Leben endete wenig später, als sie gerade 23 Jahre alt geworden war, im Jahr 48 während einer Verschwörung: Claudius war von zahlreichen Hofmitgliedern davon überzeugt worden, dass sie ihm nach dem Leben trachtete, und ließ sie hinrichten. Claudius heiratete danach die 32-jährige Agrippina, die im heutigen Köln geborene Schwester und mutmaßliche Geliebte Caligulas. Agrippina brachte Claudius dazu, sie offiziell zur Kaiserin zu ernennen, die erste römische Adlige, die diesen Titel zu Lebzeiten verliehen bekam.
Nach zwei Jahren Ehe mit Agrippina willigte Claudius im Jahr 50 ein, Agrippinas Sohn Nero zu adoptieren. Als er diesen allerdings von der direkten, alleinigen Nachfolge ausschließen wollte, die Claudius seinem leiblichen Sohn Britannicus vorbehalten wollte, hatte er sein eigenes Todesurteil unterschrieben. Bevor er die Erbregelung zugunsten des Britannicus verbindlich verkünden konnte, starb Claudius »plötzlich und unerwartet« im vergleichsweise biblischen Alter von 64 Jahren (vermutlich von Agrippina vergiftet). Damit war der Weg frei für den 18-jährigen Nero, im Jahr 54 sein Nachfolger zu werden. Da die Prätorianergarde seiner Erhebung zum Kaiser zustimmte, konnte Nero den römischen Kaiserthron usurpieren. Um seine Herrschaft und die Nachfolge seiner Kinder zu sichern, ließ Nero offenbar ein Jahr später seinen Stiefbruder Britannicus ermorden.
Auch Nero, zu dessen Erziehern unter anderem der berühmte Philosoph Seneca zählte, bemühte sich anfangs, durch populäre Maßnahmen seine Beliebtheit zu steigern. Dazu gehörten ein gutes Verhältnis zum Senat, die Veranstaltung aufwendiger Spiele und die Senkung der Getreidepreise. Außerdem zeigte er sich als erklärter Anhänger der »Grünen« – nein, keineswegs einer ökologisch orientierten Partei der Römerzeit, sondern eines damals gerade in plebejischen Kreisen populären Rennstalls (genannt Prasina), der zusammen mit drei anderen großen Konkurrenten die meisten Siegerpferde bei den Wagen- und Pferderennen stellte. Wenig später sollte Nero entscheidend für das weitere Schicksal der christlichen Gemeinde in Rom werden.
Der in Córdoba geborene, knapp 50-jährige Seneca und der aus Südfrankreich stammende Feldherr und Finanzmagnat Sextus Afranius Burrus waren die wichtigsten Berater des jungen Nero. Sie sorgten dafür, dass der von seiner Mutter und Geliebten Agrippina eifersüchtig abgeschottete Nero Gelegenheit bekam, die üppigen Reize der Sklavin Claudia Acte zu genießen. Nero war zwar im Jahr 53 – ein Jahr vor seiner Ernennung zum Kaiser – mit 17 Jahren offiziell verheiratet worden, aber die Ehe mit der von seiner Mutter für ihn ausgesuchten Stiefschwester Octavia, die leibliche Tochter seines Stiefvater Claudius, die zum Zeitpunkt der Hochzeit 13 Jahre alt war, war offenbar nie mehr als eine Proforma-Ehe. Auch nach seiner Verheiratung blieb Nero völlig von seiner Mutter abhängig, mit der er mehrfach am Tag Sex hatte. Diese versuchte dadurch ihren entscheidenden Einfluss auf die römische Politik zu behalten.
Nach der Ernennung Neros zum Kaiser versuchten Seneca und Burrus, die in ihren Augen verhängnisvolle Bindung Neros an seine Mutter endgültig zu durchkreuzen. Die beiden führten ihm die in einschlägigen Kreisen bereits bekannte und beliebte 17-jährige Sexsklavin Claudia Acte als Geliebte zu. Was mit der Verheiratung Neros nicht gelungen war, trat nun ein. Der von ihrer perfekten Figur und ihren erotischen Fähigkeiten begeisterte Kaiser übernahm auch bald selbst die bisher von seinen beiden engsten Beratern beglichene Bezahlung der Prostituierten. Das inzestuöse Verhältnis zu seiner Mutter kühlte in dieser Zeit rasch ab, der Beischlaf mit ihr wurde nur noch selten vollzogene Übung. Agrippina geriet dadurch in Panik und befürchtete, den entscheidenden Einfluss auf ihren Sohn und Geliebten, ihren Einfluss also auf die römische Politik zu verlieren. Sie begann ihrem Sohn zu drohen und ihn zu erpressen, andernfalls würde sie ihn stürzen lassen.
Die aus der heutigen Türkei stammende Claudia hatte Nero mit exotischen Sexualtechniken, die dem Kaiser bis dahin unbekannt gewesen waren, an sich gebunden. Mit ihr konnte Neros Mutter Agrippina trotz aller Verderbtheit erotisch nicht konkurrieren. Seine offizielle Ehefrau, die unbedarfte Octavia, spielte dagegen in Neros sexuellem Universum keine Rolle, sie hatte nichts zu bieten, was den erotischen Appetit des Kaisers hätte anregen können. Über die auch nach mehreren Jahren noch ungebrochene Attraktion der Sexualakrobatik mit Claudia hinaus scheint die Beziehung zwischen dem Kaiser und der zwischenzeitlich freigelassenen Sklavin zumindest von Claudias Seite aus auch von echter Liebe und Dankbarkeit geprägt gewesen zu sein. Die vom Kaiser für ihre extravaganten Dienste üppigst entlohnte Claudia, die wenige Jahre später zu den Großgrundbesitzerinnen im Römischen Reich zählte, war ihm auch noch freundschaftlich zugetan, als er sich mit 23 Jahren 59 von ihr trennte. Claudia war es auch, die sich nach der Ermordung Neros im Jahr 68 um die Bestattung seines Leichnams kümmerte, sie bezahlte auch die Beerdigungskosten von über 200 000 Sesterzen.
Auch Seneca gegenüber hatte sich Nero – unter anderem als Dank für die Anbahnung des Verhältnisses zu Claudia Acte – sehr großzügig gezeigt. Das Steuerverzeichnis Roms führt Seneca wenig später mit einem Vermögen von 300 Millionen Sesterzen als einen der reichsten Männer des Imperiums auf. Allein auf der britischen Insel standen ihm Kreditrechte in Höhe von 40 Millionen Sesterzen zu. Nero war so angetan von Claudia, dass er zwischenzeitlich sogar versuchte, ein Gesetz aufheben zu lassen, das Heiraten zwischen Angehörigen des römischen Adels und freigelassenen Sklavinnen verbot. Er wollte zu diesem Zeitpunkt die Scheidung von Octavia, um frei zu sein für Claudia.
Aber wie alles Irdische war auch diese Verbindung nur auf Zeit. Es kam, wie es kommen musste. Eine Frau trat auf den Plan, die noch mehr zu bieten hatte als Claudia: Poppaea, deren Name Programm war. Poppaeas Familie zählte zu diesem Zeitpunkt zu den Opfern der herrschenden Clans. So war ihre Mutter von Messalina durch Drohungen wegen angeblichen Ehebruchs in den Selbstmord getrieben worden. Der damals noch regierende Kaiser Claudius wusste gar nichts davon, sodass er wenige Tage nach dem Todesfall an Scipio, ihren Gatten, als dieser bei ihm speiste, die Frage richtete, warum er denn ohne seine Gemahlin gekommen sei. Worauf dieser trocken zur Antwort gab, sie sei leider zwischenzeitlich verstorben.18
Poppaea war mit 12 Jahren in erster Ehe mit dem damaligen Prätorianer-Chef Rufrius Crispinus verheiratet worden. Diesen ließ Agrippina im Jahr 51 (Poppaea war zu diesem Zeitpunkt 19 Jahre alt) seines Amtes entheben und durch Burrus ersetzen. Poppaea reichte mit 26 Jahren im Jahr 58 die Scheidung ein, da sie mittlerweile eine Liaison mit Marcus Otho eingegangen war, einem engen Freund und Zechbruder Neros. Als dieser Nero von den speziellen Fähigkeiten Poppaeas erzählte, war die Neugier des Kaisers geweckt. Und wie es das Schicksal will, schlug beim ersten Zusammentreffen der Blitz ein, Nero begehrte sie von der ersten Sekunde an, alle anderen seiner Frauen (Agrippina und Claudia Acte) waren ab sofort mehr oder weniger abgeschrieben, da er nur noch Augen für Poppaea hatte, die ihm mit allen Mitteln der Kunst so oft wie gewollt Lustgewinn verschaffte.
Poppaea war aber von anderem Kaliber als Claudia Acte, die sich mit der Rolle als Geliebte und Lustspenderin begnügt hatte. Poppaea wollte mehr, sie wollte den Thron, sie wollte den Titel einer Kaiserin. Sie brachte Nero dazu, seinen Freund Marcus Otho als Kampfkommandant ins ferne Portugal zu versetzen (das war aber vergleichsweise milde, in vergleichbaren Fällen war der Ehemann ansonsten kurzerhand per Mordanschlag oder Vergiftung aus dem Weg geschafft worden). Außerdem ließ sie keine Gelegenheit aus, Nero wegen seines Geschlechtsverkehrs mit der eigenen Mutter und mit einer Sklavin aus dem niedrigsten Stand zu verspotten. Sie machte das so lange, bis es die gewünschten Folgen zeitigte. Denn sie schreckte nicht einmal davor zurück, Nero der Feigheit zu bezichtigen und von ihm zu verlangen, Otho aus Portugal zurückzuholen, sie langweile dieses ganze Hin und Her schon, dieser Versprechungen von wegen der künftigen Trennung von Mutter und Sklavin, die dann doch nicht eingehalten wurden.
Agrippina ihrerseits blieb nicht untätig, und drohte Nero, wenn er nicht zur Raison komme, werde sie dafür sorgen, dass er gestürzt werde. Die Situation spitzte sich immer mehr zu. Wenige Monate später hatte Poppaea Nero so weit, dass er sogar zum äußersten Mittel griff, und seine Mutter und bisherige Geliebte Agrippina im März 59 umbringen ließ, um endlich und unumschränkt frei zu sein für Poppaea. Außerdem trennte er sich ihr zuliebe auch von seiner bisherigen Traum(neben)frau Claudia.
Doch noch gab es ein Hindernis für den Durchmarsch Poppaeas auf den Kaiserthron: die offizielle Ehefrau Neros, Octavia, mittlerweile 19 Jahre alt. Zudem waren da die beiden bisherigen Berater Neros, Seneca und Burrus, die dem Treiben Poppaeas kritisch gegenüber standen und den Kaiser davon zu überzeugen suchten, sich nicht völlig der »machtgeilen Metze« auszuliefern. Doch Poppaea setzte ihr Werk fort nach dem Motto, steter Tropfen höhlt den Stein. Drei Jahre später hatte sie auch die letzten Hindernisse vor dem Kaiserthron aus dem Weg geschafft. Nero hatte seine beiden engsten Berater aus ihren Diensten entlassen, und die Trennung von Octavia verkündet. Ihr wurde offiziell vorgeworfen, man habe sie in flagranti mit einem nubischen Sklaven beim Sex erwischt. Nero ließ sie daraufhin »empört« nach Süditalien verbannen. Was er und Poppaea allerdings unterschätzt hatten, war die Beliebtheit Octavias beim einfachen Volk. Dort galt sie als mustergültige Ehefrau in einem durch und durch verderbten Kaiserhof. Den vorgebrachten Anschuldigungen schenkte man keinen Glauben. Es kam zu Unruhen und Demonstrationen zugunsten Octavias. Diese nahmen derart an Intensität zu, dass Nero sich zwangsläufig einige Wochen später dazu durchringen musste, Octavia nach Rom zurückzuholen, wo sie von jubelnden Volkmassen empfangen wurde, finster beobachtet vom Kaiser und seiner Geliebten. Poppaea ruhte und rastete nicht, bis der Kaiser ermüdet von dem Doppelspiel höchster körperlicher Lust und ständigen psychologischen Drucks, Octavia erneut verbannte, diesmal auf die festlandsferne Insel Pandataria. Poppaea war damit aber nicht zufrieden. Da sich erneut Volksmassen zugunsten von Octavia zusammenrotteten, brachte sie Nero dazu, verbunden mit der Nachricht, sie sei im übrigen mittlerweile schwanger von ihm, auch hier den letzten Schritt zu tun. Er ließ Octavia am 7. Juni 62 ermorden, und Poppaea das Haupt der toten Octavia als Beweis zu Füßen legen.19
Nun endlich war Poppaea am Ziel, hatte sich die intensive Arbeit am Körper und an der Psyche des Kaisers gelohnt. Alle Widersacher waren aus dem Weg geschafft, keine Agrippina mehr, kein Seneca und kein Burrus, und vor allem keine Octavia mehr, die ihr noch das Anrecht auf den höchsten Thron der damals bekannten Welt streitig machen konnten. Zwölf Tage nach der Ermordung Octavias heiratete Nero in einer vom kritisch opponierenden Volk hermetisch abgeschirmten Zeremonie die mittlerweile deutlich schwangere Poppaea. Wenige Monate später kam Anfang 63 das erste gemeinsame Kind des neuen Kaiserpaares zur Welt, die Tochter Claudia Augusta. Auch Poppaea war mittlerweile der Ehrentitel der Augusta verliehen worden. Das Kind starb jedoch schon nach wenigen Wochen.
Poppaea wurden von den Zeitgenossen als wirklich außergewöhnlich schöne Frau geschildert. Kupferrotes Haar floss ihr bis auf die Schultern, leuchtend blaue Augen, eine Haut zart und weiß wie Milch. Von der psychischen Konstitution her war sie offenbar eine Borderlinerin, ihre berüchtigten Wutanfälle lassen auf ein cholerisches, durch Erziehung und Weisheit kaum gezügeltes, möglicherweise psychopathisches Temperament schließen. Dennoch hatte sie buchhalterische Qualitäten: Sie achtete penibel darauf, dass Nero sich auch finanziell ihr gegenüber in angemessener Weise erkenntlich zeigte, und verwies angesichts ihres stetig wachsenden Reichtums gerne darauf, dass sie das alles mit ihren Genitalien und sonstigen Körperöffnungen erwirtschaftet habe. Zur Pflege ihre Haut ließ sie auf allen Reisen ihre private Herde an Eselinnen mitführen, in deren Milch sie täglich mehrfach zu baden pflegte. Zu ihrer dauerhaften Berühmtheit trug bei, dass sie zeitweise als heimliche Judenchristin angesehen wurde, die bei zahlreichen Eingaben den Kaiser darin bestärkt habe, verschiedentlich Gnade gegenüber Angehörigen ihrer Religion walten zu lassen.20
Im Sommer 65 war Poppaea erneut schwanger, Nero machte sich genau wie sie Hoffnungen, nun endlich den erhofften Thronfolger vorweisen zu können. Doch bei einer ihrer berüchtigten Auseinandersetzungen, bei der ihn Poppaea anbrüllte, weil er zu spät vom Wagenrennen heimgekommen war, und ihn mit Ironie, Sarkasmus, Zynismus, unflätigen Anwürfen und ihren unkontrollierten Ausbrüchen überschüttete, reagierte Nero mit Faustschlägen und Fußtritten in den Bauch der Schwangeren, die zu ihrem Tod führten.21 Trotz allem ließ ihr Nero ein fürstliches Begräbnis ausrichten, ließ ihren Leib einbalsamieren, auf dass ihre Schönheit niemals zerstört werde, und sie im eigenen Familiengrab beisetzen. Das Verlangen nach ihr war auch nach ihrem Tod so stark, dass Nero eine spätere Bekanntschaft dazu zwang, sich wie Poppaea zu kleiden und zu frisieren. Einen seiner Lustknaben namens Sporus ließ er kastrieren und nannte ihn seitdem »Poppaea«. Nero ließ sich mit dem Lustknaben sogar in Griechenland vermählen und teilte fortan mit ihm Tisch und Bett.22 Offiziell heiratete Nero allerdings noch einmal in Rom, diesmal Statilia Messalina, die er 66 zur Augusta ernannte.
Noch vor dem Tod Poppaeas im Jahr 65 war mit dem Brand von Rom im Juli 64 das entscheidende Ereignis für die weitere Herrschaftsgeschichte Neros eingetreten. Dabei wurden drei Stadtviertel völlig zerstört, weitere waren teilweise niedergebrannt, und nur vier der insgesamt 14 Stadtteile Roms waren unzerstört. Unmittelbar vor Ausbruch des Brands hatte eine sommerliche Hitzeperiode Land und Stadt ausgedörrt. Außerdem herrschte starker Wind, der die schnelle Ausbreitung des Feuers begünstigte. Erster Brandherd waren offenbar die Verkaufsbuden am Circus Maximus im Süden der Stadt, wo an offenen Feuern auch Nahrungsmittel zubereitet wurden. Als die ersten Buden brannten, fachte der sturmartige Wind das Feuer an und schleuderte brennende Teile und Funken in einem weiten Umkreis über die Stadt. Da viele Häuser aus Holz bestanden und die Dächer teilweise mit Stroh gedeckt waren, entstand binnen kurzer Zeit eine Feuerwalze, die über eine Woche lang die Stadt verheerte.
Nero hielt sich, entgegen späteren Anschuldigungen, nicht in der Stadt auf, sondern auf seinem fünfzig Kilometer entfernten Landsitz bei Antium an der Küste. Er ließ sofort Gegenmaßnahmen einleiten. Eilig geschlagene Brandschneisen und kontrollierte Gegenfeuer sollten dem Großbrand die Nahrung entziehen. Außerdem ließ Nero das Marsfeld, den Palast des Agrippa und seinen eigenen Palast für die flüchtenden Volksmassen öffnen, um diese in Sicherheit zu bringen und dort mit Nahrungsmitteln versorgen zu können. Zusätzliche Nahrungsmittel wurden aus den Lagern der Hafenstadt Ostia herbeigeschafft, der Getreidepreis auf Befehl Neros auf drei Sesterzen pro Kilo gesenkt. Als der Brand schon fast gelöscht war, begann er unmittelbar neben den Besitzungen des Prätorianerchefs und engen Verbündeten Neros, Tigellinus, erneut. Einen Tag später war der Brand endgültig gelöscht. Sofort begannen die Schuttabfuhr und die Wiederaufbaumaßnahmen. Erstmals wurden jetzt Brandschutzbestimmungen in großem Maßstab beim Wiederaufbau berücksichtigt. Die Straßen wurden verbreitert, um ein Überspringen des Brandes zu erschweren, außerdem die Außenmauern der Häuser aus Stein errichtet. Verbilligte Kredite und staatliche Prämien sorgten dafür, dass schon ein Jahr später neue Bauten das Bild bestimmten, und kaum noch Ruinen zu sehen waren.
War der Brand auch gelöscht, so begann gleichzeitig mit dem Brand eine propagandistische Schlacht. Die Gegner Neros versuchten, ihm die Schuld für den Brand in die Schuhe zu schieben. So wurde er unter anderem beschuldigt, den Brand selbst gelegt zu haben – tatsächlich hielt er sich zum Zeitpunkt des Ausbruchs wie erwähnt fünfzig Kilometer von Rom entfernt auf. Als Grund für die angebliche Brandstiftung des Kaisers wurde angeführt, Nero haben Platz für Bau eines neuen Stadtviertels und eines neuen gigantischen Palastes schaffen wollen. Auch habe er während des Brandes auf einer Aussichtsplattform begeisterte Hymnen auf den Brand und die Flammenmeere aus voller Kehle gesungen. Nero wehrte sich so gut wie möglich dagegen, allerdings hält sich bis heute dieses Gerücht und bestimmt das Ansehen des Kaisers. Dabei waren Großbrände in Rom keine Seltenheit, in regelmäßigen Abständen ging eines der Stadtviertel in Flammen auf. Außerdem brach der Brand gerade nicht in den Elendsvierteln aus, die Nero möglicherweise hätte überbauen wollen, sondern am Circus Maximus, also am südlichen Rand der Innenstadt, gelegen in der Talsenke zwischen den beiden Hügeln des Palatin und des Aventin. Dagegen wurde bei dem Brand der gerade fertiggestellte neue Palast Neros samt seiner unersetzlichen Kunstsammlung zerstört. Als der Brand schon fast gelöscht wurde, ging auch der Palast seines engsten Vertrauten Tigellinus in Flammen auf – was darauf schließen lässt, dass sich die Brandstiftungen offenbar gegen Nero und seine engsten Gefolgsleute richteten, und dass ihm nun im Nachhinein auch noch die Schuld dafür in die Schuhe geschoben werden sollte. Unersetzliche Kunstwerke waren bei dem Brand zerstört worden, Hunderttausende Obdachlos geworden, viele gestorben. Die Auswirkungen des Brandes hatten wiederum direkte Folgen für die christliche Gemeinde Roms und die jüdische Bevölkerung Palästinas. Nero ließ zum einen die Tempelschätze vieler nicht-römischer Gottheiten, so auch den großen Tempel in Jerusalem plündern, was zum dortigen Aufstand und zum Rachefeldzug des Titus führte, welche die Vertreibung der Juden aus Palästina nach sich zog und damit den Beginn der jüdischen Diaspora markiert. Außerdem ließ Nero, um die »Schuld« von sich abzulenken, die Christen in Rom der Brandstiftung beschuldigen. Einige von ihnen wurden gefangen genommen und im Zirkus den wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen, teilweise nächtens in den Straßen verbrannt. Insgesamt fielen wohl zwischen 200 und 300 Christen diesen Verfolgungen zum Opfer, was ungefähr zehn Prozent der damaligen Gemeinde entsprach.23
Hier kommt nun auch wieder Petrus ins Spiel. Der soll im Zuge dieser Christenverfolgung nach dem großen Brand in Rom gefangen genommen und auf dem Vatikanhügel, wo sich der von Nero erbaute neue Circus befand, gekreuzigt und begraben worden sein.24 Gleichzeitig mit ihm soll auch der Apostel Shaul (Paulus) in die Stadt gekommen sein, und ebenfalls den Verfolgungen zum Opfer gefallen sein. Zweifel daran sind angebracht. Nicht zuletzt deswegen, weil Paulus in seinem Brief an die römische Christengemeinde (entstanden zwischen 56 und 60 unserer Zeit) die Gemeindemitglieder in der Anrede einzeln grüsst, aber Petrus überhaupt nicht erwähnt.25 Auch die Apostelgeschichte erwähnt zwar (die vermutlich ebenfalls erfundene) Romreise des Shaulus (Paulus), erwähnt in diesem Zusammenhang aber ebenfalls Petrus mit keinem Wort.26 Die beiden in der Bibel enthaltenen Gemeindebriefe des Petrus enthalten ebenfalls keine Hinweise auf eine Missionstätigkeit des Kephas in Rom.
Erst im zweiten Jahrhundert unserer Zeit wird von einem angeblichen Romaufenthalt von Shimon (und Sha’ul) berichtet. Wurde Petrus zunächst einfach nur als Besucher erwähnt, so entsteht daraus im Lauf der Zeit die Behauptung, er sei nicht nur Besucher, sondern – wenn auch nur kurz – Bischof von Rom gewesen. Anfangs des fünften Jahrhunderts ist dann daraus schon eine 25-jährige Herrschaft als Bischof geworden.27 Im Übrigen beanspruchten alle großen Patriarchate – außer Rom auch noch Alexandria, Antiochia, Jerusalem und Konstantinopel – Petrus als ihren ersten Bischof, um auf diese Weise von der Ehrwürdigkeit einer solchen (fiktiven) Traditionslinie profitieren zu können. Nur in Rom wurde das allerdings über 2000 Jahre so aggressiv vertreten, dass mittlerweile keine ernsthaften innerkirchlichen Gegenstimmen zum Primat von Rom mehr vorhanden sind. Im derzeit gültigen Codex des Kanonischen Rechts (Fassung von 1983) heißt es daher bündig:
»Der Bischof der Kirche von Rom, in dem das vom Herrn einzig dem Petrus, dem Ersten der Apostel, übertragene und seinen Nachfolgern zu vermittelnde Amt fortdauert, ist Haupt des Bischofskollegiums, Stellvertreter Christi und Hirte der Gesamtkirche hier auf Erden, deshalb verfügt er kraft seines Amtes in der Kirche über höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt, die er immer frei ausüben kann.«28
Damit ist der gegenwärtige Zustand zementiert, der durch die weitgehend unwidersprochen hingenommene, autokratische Vorrangstellung des Papstes innerhalb der Katholischen Kirche in der westlichen Welt geprägt ist.
Von Jesus selbst ist im Matthäus-Evangelium nur ein Satz überliefert, der allgemein beschreibt, dass es Menschen gebe, die in Ehelosigkeit lebten »um des Himmelreiches willen« – dabei handelt es sich aber keinesfalls um ein Gebot, und schon gar nicht um ein Gebot der Ehe- und Sexlosigkeit für Kirchenvertreter.
Dagegen heißt es im 1983 verabschiedeten und bis heute gültigen kirchlichen Rechtscodex (Codex Iuris Canonici) im eklatanten Gegensatz zur Sinnenfreude und Körperbetontheit des Urchristentums in Canon 277, Absatz 1: »Die Kleriker sind gehalten, vollkommene und immerwährende Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen zu wahren; deshalb sind sie zum Zölibat verpflichtet, der eine besondere Gabe Gottes ist, durch welche die geistlichen Amtsträger leichter mit ungeteiltem Herzen Christus anhangen und sich freier dem Dienst an Gott und den Menschen widmen können.« Damit steht die Kirche – nicht zum ersten- und nicht zum letzten Mal – in diametralem Gegensatz zu dem, was von der mythisch-mystischen Figur Jesus »dem Gesalbten« (Christus) an Äußerungen überliefert ist. Ob diese Verbindung von »Katholischer Kirche« und Zölibat bzw. sexueller Enthaltsamkeit, sexueller Selbstkasteiung und allgemeiner Körper- und Sinnenfeindlichkeit damit zu tun hat, dass eben gerade auf dem Vatikanischen Hügel, etwa an der Stelle, wo heute der Petersdom steht, in römisch antiker Zeit eines der wichtigsten Heiligtümer des Kybele- und Attiskults lag, das so genannte Phrygianum, wäre noch zu erforschen. Auffällig ist, dass es sich bei diesem Kult ausgerechnet um einen Kult der Selbstkasteiung und des freiwilligen Zölibats handelte, der in seinem kultischen Furor so weit ging, die Selbstentmannung, die Autokastration seiner Priester und Anhänger zu fördern und zu fordern. Teil des Phrygianums war das Taurobolium, ein großer Opferaltar, auf dem in regelmäßigen Abständen Ochsen geschlachtet wurden. Das Blut lief durch ein offenes Gitter hinunter und floss auf die unter dem Altar befindlichen Neophyten und Neuanhänger, die sich darauf hin, von der wirbelnden, ekstatischen Musik animiert, nun selbst zu kasteien und zu kastrieren begannen. Möglicherweise sind Geist und Gebot dieses Kults als Teil des Genius Loci auf die Katholische Kirche und ihre obersten Vertreter übergegangen, mit Auswirkungen bis heute.29
Man kann nicht über Petrus sprechen, ohne Paulus zu erwähnen. Betrachtet man die Sache nüchtern, müsste man die »Katholische Kirche« eigentlich »Paulinische Sekte« nennen. Niemand vorher oder nachher hat den ursprünglichen Gedanken der angeblichen Jesus-Figur, wie man sie mühsam aus den am wenigsten verfälschten, frühesten Schriften herausfiltern muss, stärker verändert, drastischer in ihr Gegenteil verkehrt als Paulus. Eben nach diesem als Sha’ul (latinisiert Saulus) getauften Mensch wird seit mehr als hundert Jahren eine eigene, die »paulinische Theologie« benannt.30 Würden die entsprechenden Fachwissenschaftler ihre jeweiligen Kurzschlüsse weiterdenken, käme man gar nicht umhin, die gesamte »Katholische Kirche« in »Paulinische Kirche« oder »Paulinische Sekte« umzubenennen.
»Paulus«, von Beruf Zeltmacher, setzte einige der verheerendsten Verfälschungen des ursprünglichen Gedankens ins Werk. Und das Erstaunliche ist, dass ihm dabei fast zweitausend Jahre lang so viele Menschen unkritisch folgten. Er machte aus einer lebensbejahenden, kosmopolitischen, frauenfreundlichen, körperfreundlichen Philosophie ein Theorem des Frauenhasses, der Feindseligkeit, des Chauvinismus, der Lebensverachtung und der Leibfeindlichkeit. Durch ihn gewann die Askese ihre völlig ahistorische, nichts desto weniger jedoch überdominante Stellung in der Katholischen Kirche, durch ihn wurde die Frau in der Kirche zu einem Wesen zweiter (oder dritter) Klasse, durch ihn wird der entsetzliche Irrweg des Mönchtums in die Welt gesetzt. Diese Reihe ließe sich noch lange fortführen. Es dauerte jedenfalls nicht lange, und Frauen waren vom Priesteramt – das sie bis dahin häufig ausgeübt hatten – komplett ausgeschlossen (bis heute). Doch damit nicht genug. Bald wurden auch menstruierende oder schwangere Frauen als »unrein« vom Gottesdienst insgesamt ausgeschlossen, durften diesem also auch nicht mehr als einfache Gläubige beiwohnen.
Paulus verdrehte und verfälschte den ursprünglichen Sinn, die Zielsetzung des Christentums auf einzigartige Weise. Und hatte damit fast zweitausend Jahre lang Erfolg. Erst seit dem 20. Jahrhundert setzte mit der Säkularisierung, mit der Erosion der Anhängerschaft, mit der zunehmenden Entkirchlichung der westlichen Industriegesellschaften eine Entwicklung ein, an deren Ende die Marginalisierung der Katholischen Kirche, ihre Reduktion zu einer von vielen Sekten auf der Welt stehen dürfte. Dass Paulus aber dennoch so erstaunlich lang anhaltenden Erfolg mit seinen Sinnesfälschungen hatte, sollte man nicht als Rechtfertigung für sein Tun heranziehen. Auch andere verbrecherische Ideologeme weisen eine lange Erfolgsgeschichte auf. Damit lässt sich also keine historische Vormachtstellung, kein Anspruch auf Ehre und Ruhm begründen. Stattdessen muss er bei nüchterner Betrachtung als Initiator einer 2000-jährigen Leidensgeschichte angesehen werden, die bis heute andauert: der Geschichte der Katholischen Kirche und der von ihr ausgehenden repressiven Moralvorstellungen, die zu Unterdrückung, Leiden, Folter, Mord und Völkermord führte.
Im Namen dieser paulinischen Kirche wurden »Ungläubige« »missioniert«, indem man sie umbrachte, so zum Beispiel in zahllosen »Kreuzzügen« zur »Befreiung« der damals längst regulär in arabischem Besitz befindlichen Stadt Jerusalem, wurden ganze Kontinente entvölkert (Nord- und Südamerika), wurden »Ungläubige« als »Ketzer« ins Gefängnis geworfen, degradiert, oder gar verbrannt, wurden der Empfängnisverhütung kundige weise Frauen als »Hexen« verbrannt, wurde mit der Inquisition eine der verabscheuungswürdigsten Institutionen geschaffen, wurde die Geschichte zensiert (durch den von der Kirche zusammengestellten »Index der verbotenen Bücher«, der nur noch kirchenfreundliches Schrifttum für die Gläubigen zuließ, die in ewiger Unmündigkeit gehalten werden sollten).
Im Namen dieser repressiven, moralinsauren Kirche wurden viele Generationen ihrer Anhänger im Glauben an die eigene Schlechtigkeit, die eigene Sündhaftigkeit gehalten, eine von Paulus in die Welt gesetzte Wahnvorstellung, die vermutlich auf eine eigene Impotenz, auf seinen mangelnden Erfolg bei Frauen zurückzuführen ist, die ihn dazu brachte, alles Weibliche, alles mit Sexualität verbundene zu hassen und zu verdammen und allen seinen Anhängern rundheraus zu verbieten. Die auf der Basis seiner verqueren Weltanschauung geschaffene »Amtskirche« kooperierte willig mit Diktaturen, förderte die Ausbeutung der Unterschichten in Staaten, in denen sie als Staatskirche das Sagen hatte, forderte ihre Anhänger wörtlich zu kritiklosem, unbedingten Gehorsam auf, und verbot zeitweise jegliche Freudenempfindung als »unchristlich«. Die von Paulus begonnene Hierarchisierung der vorher basisdemokratischen Glaubensgemeinschaft führte zu der heute noch existierenden »Amtskirche« mit ihrer Verschwendung, dem aufgeblähten, überflüssigen Apparat an »Würdenträgern«, dem maßlosen Anspruch, über Wohl und Wehe aller Menschen auf dieser Erde zu entscheiden. In seinem Namen entstand nicht zuletzt das Papsttum, von dessen Verfehlungen, Abirrungen und Verbrechen auf den folgenden Seiten die Rede sein wird.
Auch Paulus soll in Rom zum Märtyrer geworden sein, im Umfeld des großen Brandes und der anschließenden Christenverfolgung. Als römischer Bürger wurde er wohl nicht gekreuzigt, sondern mit dem Schwert enthauptet. Sein Grab soll sich in der Kirche Sankt Pauk vor den Mauern befinden.31 Anderen Überlieferungen zufolge kam Paulus nicht in Rom ums Leben, sondern reiste munter weiter bis nach Spanien.
Die ersten Päpste nach »Petrus« kann man getrost übergehen, da sie – wie gezeigt – pure Erfindung sind, nachträglich ausgedacht als Belege für die ununterbrochene Liste der apostolischen Sukzession in der Nachfolge des ersten Papstes »Petrus«. Zu diesen historischen Konjekturen gehört auch der »heilige« Soterus (angeblich im Amt 166–175), auf den – so die Sage – die Erfindung des kirchlich gesegneten Instituts der Ehe zurückgeht (war vorher eine rein weltliche Angelegenheit), bestimmte er doch angeblich, dass Ehen ohne kirchlichen Segen ungültig seien.
Ansatzweise historisch zuverlässige Nachrichten, wenn auch noch im sehr überschaubaren, teilweise nachträglichen Erfindungen geschuldeten Bereich, gibt es dann um die Wende zum dritten Jahrhundert:
Unter »Viktor« soll es zu ersten direkten Verbindungen der als Untergrundreligion entstandenen Katholischen Kirche und dem regierenden Herrscherhaus unter Kaiser Commodus (161–192, Kaiser 180–192, Sohn von Marc Aurel) gekommen sein. Bindeglied war in diesem Fall eine angeblich christliche Prostituierte namens Marcia. Aufgewachsen in einem vom Eunuchen Hyacinthus geleiteten Mädchenheim für Nachwuchs-Huren, wurde sie im Alter von 14 Jahren als Sexsklavin dem Kaiserneffen Marcus Claudius Ummidius Quadratus zugeführt. Dieser wurde allerdings wenig später als Mitglied einer Verschwörung der Kaiserschwester Lucilla gegen Commodus hingerichtet. Commodus übernahm Marcia mit der »Erbmasse« seines Neffen für die nächsten zehn Jahre in seinen eigenen Harem.
Marcia gehörte zum Bekanntenkreis des Papstes Viktor. Sie setzte sich angeblich wegen Sympathien für den christlichen Kult für die Freilassung zahlreicher Christen ein, die zur Sklavenarbeit in den Bergwerken Sardiniens verurteilt worden waren. Dazu spielte sie dem Kaiser wiederholt von Viktor zusammengestellte Listen verurteilter Christen zu, die angeblich ungerechtfertigt auf der Insel schufteten. Zu den Begnadigten gehörte auch der spätere Papst Calixt I. (s. u.). Marcia zählte angeblich zu den Drahtzieherinnen eines weiteren Anschlags auf Kaiser Commodus, dem dieser zum Opfer fiel. Er wurde von einem anderen Geliebten Marcias, dem Gladiator Narcissus, im Bad erwürgt. Marcia hatte den nackten Kaiser zuvor offenbar mit erotischen Handreichungen abgelenkt und durch die Gabe von Narkosegiften betäubt.
Allerdings konnte sie sich ihrer Machtstellung am Hof seines Nachfolgers nicht lange erfreuen, da sie wenig später selbst als angebliche Verschwörerin im Alter von 25 Jahren hingerichtet wurde.32
Als verurteilter Finanzbetrüger zählte er zu den Bergwerkssklaven auf Sardinien, die im Zuge der von der Prostituierten Marcia eingefädelten Begnadigungen in den 180er Jahren freigelassen wurden. Geprägt ist seine angebliche Amtszeit durch den von ihm verkündeten, mutmaßlichen »Generalablass«, den Erlass der Sündenstrafen durch tätige Reue. In den Genuss dieses »Schulderlasses« kamen bei ihm auch Mörder, die ihre Tat bereuten, Ehebrecher und sonstige Sexualsünder, was ungemein zu seiner Beliebtheit beitrug. Bis zu diesem Zeitpunkt waren solche »Todsünden« auf Erden nicht mehr gut zu machen gewesen. Gleichzeitig sorgte dieses laxe Amtsverständnis dafür, dass es zu einer puristischen Gegenbewegung unter dem Heiligen Hippolytos kam. Dieser ebenfalls aus dem Nahen Osten stammende Vertreter der reinen Lehre wirkte ab 192 Presbyter in Rom, und ab 217 als erster Gegenbischof zu dem laxen Calixt. Hippolytos sprach sich gegen den Erlass der Strafen für Todsünden aus. Außerdem beschuldigte er Calixt, verschiedentlich Gelder der Kirche unterschlagen und zu seinem eigenen Vergnügen missbraucht zu haben.
Der Vielschreiber Hippolyt, von dem unter anderem eine »Apostolische Überlieferung« (Traditio Apostolica) stammt, eine erste »Kirchenordnung«, welche das erste bekannte Hochgebet enthält (Ebenso nahm er auch den Kelch und sprach: Dies ist mein Blut, das für euch vergossen wird. Wenn ihr dies tut, tut ihr es zu meinem Gedächtnis, etc.), ist er vor allem für seine Sammlung bekannter häretischer Bestrebungen bekannt, die Refutatio omnium haeresium oder Philosophumena. Darin schildert er auch berühmte Zaubertricks einschlägig bekannter Häretiker. Bedeutsam ist seine Beschreibung der gesamten ihm bekannten antiken griechischen Philosophie bis hin zu indischen Brahmanen und keltischen Druiden.
Der damalige Kaiser Varius Avitus Bassianus, nach der von ihm propagierten Gottheit Elagabal genannt, stammte von seinen Eltern her aus Syrien. Schon sein Urgroßvater war im heutigen Homs in Syrien (damals Emesa) Priester des Gottes Elagabal gewesen. Nach der Ermordung Caracallas wurde Varius samt seiner Familie nach Homs verbannt. Dort übernahm er mit 13 Jahren das seiner Familie erblich zustehende Amt des Elagabal-Priesters. Ein Jahr später wurde er mit 14 Jahren in Rom zum Kaiser gekürt. Inwieweit er tatsächlich selbstbestimmt die Macht ausübte, ist ungewiss, zog im Hintergrund doch seine einflussreiche Großmutter Julia Maesa die Fäden. Diese hatte in ihrer Jugend in die kaiserliche Familie Roms eingeheiratet. Traditionell werden die Entscheidungen, die Varius traf, allerdings meist nur ihm selbst zugeschrieben. So etwa im folgenden Fall, als Varius bestimmte, dass nun auch in Rom der Elagabal (Gott Berg, abgeleitet von einem bienenstockförmigen schwarzen Kultstein, möglicherweise einem Meteoriten, der kultisch verehrt wurde, und den Varius aus Homs nach Rom mitgebracht hatte) verehrt werden solle, und zwar nicht nur als eine, sondern als die oberste, sogar dem bisherigen Staatsgott Jupiter übergeordnete Macht.
Zum ekstatischen Kult des Elagabals gehörte der Genuss von Rauschmitteln wie Alkohol und der laszive Tanz spärlich bekleideter Priesterinnen. Dazu spielte ohrenbetäubende Musik von Zimbeln und Trommeln. Das Blut der Tieropfer wurde mit Wein vermischt und getrunken. Dabei sollen auch regelmäßig Menschenopfer dargebracht worden, möglicherweise sogar Kinderopfer. Varius hatte zu diesem Zweck einen riesigen Tempel auf dem Palatin errichten lassen, wo die tägliche Gottesdienst-Ekstase stattfand. Doch damit war es Varius angeblich nicht genug. Dem konservativen antiken Historiker Cassius Dio zufolge, der ihn nachträglich zu verdammen suchte, zog Varius als Frau verkleidet durch die Bordelle Roms und bot sich dort wahllos Freiern an, schlief er mit unzähligen Frauen, um weibliche Sexualtechniken zu lernen, ließ er sich von seinem Lieblingssklaven Hierokles schlagen und vergewaltigen. Als Ursache für diese spezielle Form des Cäsarenwahns machten schon die antiken Historiker seine orientalische Herkunft dingfest, die auch seine Vorliebe für Schauspieler, Wagenlenker und Komödianten erkläre. So habe der Kaiser bei einem Gelage tonnenweise Rosenblüten von der Decke regnen lassen, so viele, dass einige seiner Gäste daran erstickten.
Erst mit Nr. 19 haben wir den ersten historisch einigermaßen gesicherten römischen Bischof vor uns. Die Christen in Rom erlebten in dieser Ägide eine eher ruhige Zeit, waren sie doch als noch zahlenmäßig kleine Sekte nicht im Fokus des römischen Machtapparates, der ohnehin eher liberal eingestellt war, was die Praktizierung anderer Glaubensrichtung anging, und nur dann einschritt, wenn die geforderten, obligatorischen Opfer für die Staatsgötter verweigert wurden (was dann Sanktionen gegen ausschließliche, monotheistische Kulte wie das Christentum nach sich zog, was aber immer regional und zeitlich beschränkt blieb). Eine letzte Welle der Christenverfolgung spielte sich gegen Ende des dritten Jahrhunderts und zu Beginn des vierten Jahrhunderts ab, kurz vor dem endgültigen Durchbruch des Christentums zur Staatsreligion im römischen Reich.
Wie schon bei Viktor, so rief auch die laxe Herrschaftspraxis von Cornelius direkt einen strenggläubigen Gegenbischof hervor, in diesem Fall einen Herrn namens Novatian (200–258). Zu den von ihm geäußerten Vorwürfen gegen Cornelius zählte jener, Cornelius habe sich das Bischofsamt durch Bestechung verschafft, noch zu den harmloseren. Seinen besonderen Zorn hatte Cornelius hervorgerufen, indem er gegen die bis dato gängige Praxis auch vom Glauben abgefallene Christen wieder in die Kirche aufnahm (was sich in der Folge als gängig durchsetzte, und zur Popularisierung des Kults beitrug). Zuvor zählte der Abfall vom Glauben zu den Todsünden, die auf Erden nicht zu tilgen sind, und die im Fegefeuer gebüßt werden müssen. Zwar gewann Novatian rasch Anhänger, aber Cornelius schaffte es, über sechzig italienische Bischöfe hinter sich zu bringen (möglicherweise wieder mithilfe von Bestechungsgeldern), und noch 251 einen Beschluss zur Exkommunikation Novatians herbeizuführen.
Das dritte Jahrhundert ist dann eine Zeit der Ruhe für die Christen, die sich speziell in Rom immer mehr den Herrscherhäusern annähern. Um den Beginn des vierten Jahrhunderts kommt es dann – nach mehreren Anschlägen auf den Kaiser – unter Diokletian zu erneuten, letzten Christenverfolgungen.
Zwischenzeitlich wird mit Sixtus II. (um 257) der erste römische Bischof in den kirchlichen Darstellungen erwähnt, der einen bislang schon von einem anderen Bischof geführten Namen übernimmt, und dessen Name daher mit der Ordnungszahl römisch zwei versehen wird.
In seiner angeblichen Grabesinschrift wird dieser Bischof erstmals als Papst bezeichnet. Doch es dauert noch bis zur regelmäßigen Verwendung dieses Begriffs für den jeweiligen römischen Bischof, nämlich bis zur Wende zum siebten Jahrhundert.
Die Wende zum vierten Jahrhundert ist durch eine Kaiserpersönlichkeit geprägt, die nachhaltige Folgen für die Entwicklung der Katholischen Kirche haben sollte – Konstantin (270–337, Kaiser von 306–337, davon ab 324 als Alleinherrscher). Noch ist die Kirche keine Staatsreligion. Doch unter
erhält die Kirche bereits bedeutende Schenkungen materieller Art vom regierenden Herrscherhaus, beispielsweise auch den seither als Amtssitz genutzten Palast der Laterani (Lateranspalast), einen riesigen antiken Stadtpalast, der in seiner damaligen Form von Marc Aurel über älteren Ruinen erbaut worden war. Dort fanden im 12. Jahrhundert die bedeutenden Lateranischen Konzile statt. Der Palast gehört bis heute zu den exterritorialen Besitzungen des Vatikans, obwohl er auf italienischem Staatsgebiet liegt. Die zugehörige, auf Befehl Konstantins errichtete Kirche San Giovanni in Laterano (im 17. Jahrhundert barockisierend umgebaut) ist seit konstantinischen Zeiten ranghöchste Patriarchalbasilika (päpstliche Kirche) Roms, und steht im Rang offiziell noch über dem Petersdom. Zu ihr gehört auch das älteste Baptisterium (Taufkapelle) des Christentums.
Mit Konstantin beginn die Phase der Katholischen Kirche, in der sie innerhalb weniger Jahrzehnte von einem verfolgten Minderheitenkult zur offiziellen Staatskirche des römischen Reiches wird (gegen Ende des vierten Jahrhunderts). Konstantins Vater stammte vom Balkan. Er hatte dort, im Raum des heutigen Serbien, eine christliche Schankdirne namens Helena kennengelernt. Konstantins Vater war zu diesem Zeitpunkt 20 Jahre alt, als er (noch lange vor seiner Erhebung zu Kaiser) im Jahr 270 Helena in einem Puff traf, wo sie anschaffte. Nach dem ersten Sex mit ihr war er von ihren erotischen Fähigkeiten so angetan, dass er sie zu seiner offiziellen Konkubine (Geliebten) machte. Sie wurde noch im selben Jahr schwanger und gebar seinen ersten Sohn Konstantin. Zur Sicherung seiner Stellung in den höchsten Reichshierarchien heiratete Konstantins Vater, damals bereits Prätorianerchef, allerdings 289 die Kaisertochter Theodora, und trennte sich damit nach einer fast zwei Jahrzehnte dauernden Beziehung offiziell von Helena.