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Nachdem sie vom Zauberer Bergil in eine alte knorrige Eiche verwandelt worden war, erwacht sie vier Jahre später, einige Tage nach Sates scheinbarer Hinrichtung. Kurz darauf stellt sie fest, dass ihre Hütte abgebrannt war, den Posten als Oberhexe hatt eine Andere und sie besaß ikeine Zauberkraft mehr. Außerdem steckte eine Armbrustbolzen in ihrem Hintern. Nur die Hexe Pessima, eine alte Freundin, hält noch zu ihr. Für die erlittene Schmach plant Paula Rache an Bergil. Der aber, hat sich auf seinen künstlichen Planeten Euphora zurückgezogen. Wird sie ihre Macht zurückerlangen? Was ist mit dem Armbrustbolzen? Wie gelangt sie nach Euphora? Weitere spannende Geschichten um den kleinen Zauberer der weißen Magie.
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Seitenzahl: 334
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Peter Marquardt
Der Zauberer Bergil und die Rache der Hexe
Eine Fantasytrilogie
Teil 2
Einer der Entwürfe, von Isabell Valentin, für diesen Band.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.
ISBN: 9783744837415
1.Auflage 2017
Copyright: © 2017 Peter Marquardt
Covergestaltung und Grafik: Isabell Valentin
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand, Norderstedt
Alle Rechte vorbehalten, wie Nachdruck oder Vervielfältigung. Auch das Recht zum Abdrucken für Zeitungen oder Zeitschriften, Verbreitung von gekürzten Ausgaben oder die Verbreitung in anderen Medien bedarf der schriftlichen Genehmigung des Verfassers.
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Prolog
Diese Geschichte spielt in einer Zeit, von der unsere Großmütter gern erzählten und deren Großmütter und die Großmütter von denen sicherlich auch. Meistens begannen sie mit: »Es war einmal…«
Eine Zeit, in der Hexen noch auf Besen flogen. In der es gute und böse Zauberer gab und in der Räuber, eben richtige Räuber waren. Im Orient herrschten Sultane, Scheiche und Emire und die Zauberer dort flogen auf Teppichen.
Magische Geister, die Dschinns genannt wurden, verschwanden in Flaschen oder alten Öllampen und kamen je nach Bedarf wieder daraus hervor. Im fernen China gab es Drachen, die fliegen und Feuer speien konnten. Von denen galten einige als gut und andere als böse.
Das Wichtigste aber, es gab noch richtige Helden.
Helden, die Abenteuer erlebten und bestanden, die so unglaublich abliefen, dass sie sich in Liedern und Geschichten bis heute erhalten haben.
Mit einem Wort, eine Zeit ohne elektrische Zahnbürste und Badeschaum.
1 Tabingen, ein Rückblick
In jener fernen Zeit gab es unweit des sagenumwobenen Tafelbergs, eine Festung. Die Festung Tabingen.
Ursprünglich eine kleine Burg zu der die drei Dörfer Untertabingen, Tabingen und Obertabingen gehörten.
Eine wohlhabende Grafschaft, die allerdings niemand haben wollte. Die Hexen vom nahen Tafelberg hatten sich nämlich die Grafen von Tabingen zu ihrem Lieblingsspielzeug auserkoren. Das hatte zur Folge, dass diese adligen Herrschaften niemals in den Genuss eines hohen Alters kamen. Jeder neue Graf, den der König ernannte, war gleichzeitig eine Herausforderung für eine der Hexen. Sie versuchten sich bei der Beseitigung der gräflichen Familien in Heimtücke, Gemeinheit und Brutalität gegenseitig zu überbieten. Verständlich also, dass diese Bemühungen in der Regel mit der Auslöschung des gesamten adligen Geschlechts einhergingen. All das führte dazu, dass es nur selten einen Grafen auf Tabingen gab. Niemand wollte sich mit den Hexen vom Tafelberg anlegen. Die Bauern, um die sich die Hexen übrigens nicht im Mindesten kümmerten, hatten kaum Abgaben zahlen. Sie brachten es dadurch, im Laufe der Zeit zu einigem Wohlstand.
Nun hatte es sich zugetragen, dass der Jäger Sate infolge eines magischen Vertrages mit dem Zauberer Bergil, seiner Majestät dem König, bei einer Bärenjagd das Leben rettete.
Aus Dankbarkeit erhielt jener, nebst einer stattlichen Summe Geldes, vom König die Grafschaft Tabingen geschenkt.
Die Schwierigkeiten mit den ortsansässigen Hexen, hatte man ihm allerdings verschwiegen.
In diesem Fall oblag es, zufällig und per Los gezogen, der Oberhexe Paula sich um den neuen Grafen zu kümmern. Paula, die böseste und schwärzeste aller Hexen, hatte für den Grafen Sate etwas besonderes ersonnen. Sie wollte ihn auf die Höhen der Macht führen, um ihn dann, umso tiefer stürzen zu lassen.
Eine richtungsweisende Neuerung im Hexenunwesen. Die dazu notwendige Machtgier, brachte der Auserwählte glücklicherweise schon mit. Der Vertrag, den sie diesbezüglich mit ihm geschlossen hatte, natürlich ohne den tiefen Fall des Herrn Grafen zu erwähnen, war schnell besiegelt.
Graf Sate vereinigte daraufhin die drei Orte Untertabeingen, Tabingen und Obertabingen zur Residenz Großtabingen. Er verwandelte die gemütliche Burg in eine bedrohliche Festung und begann von hier aus einen Feldzug durch das Land.
Es begann damit, dass er die nähere Umgebung von lästigen Raubrittern befreite, was ihm immerhin viele Sympathien einbrachte. Allerdings war ihm dies bald nicht mehr genug.
Bald schon führte er einen Krieg gegen die großen des Landes. Sate wollte Macht. Immer mehr Macht. Ein Ansinnen, bei dem ihn die Hexe Paula bis zu dem Moment tatkräftig unterstützte, als der Zauberer Bergil diesem Treiben Einhalt gebot. Er hatte wohl die Absicht der Hexe geahnt und diese in einem Zweikampf in alte Eiche verwandelt.
Leider hatte Bergil mal wieder so lange gezaudert, bis es zu spät war. Die Sache hatte bereits das Stadium eines Selbstläufers erreicht. Als der Graf schließlich ohne die Hilfe der Oberhexe, gegen den König zog, hatte er längst die anfänglichen Sympathien des Volkes verloren. Nach der Niederlage in der entscheidenden Schlacht wurde er zum Tode durch Enthaupten verurteilt. Eine durchaus gängige Praxis jener Zeit.
Dass Sate die Vollstreckung seines Todesurteils, von allen unbemerkt, überlebte, war gewiss nicht sein Verdienst. Das blinde Findelkind Maja, die annahm das es sich bei Sate, um ihren Vater handelte, hatte ihre magischen Fähigkeiten für dessen Rettung eingesetzt.
Allerdings fußte diese verwandtschaftliche Rettungstat auf einer Lüge seitens des Grafen. Wer will es ihm verdenken. Schließlich war er zum Tode verurteilt worden. Wer hätte da nicht, um sich zu retten, zu jedem Strohhalm gegriffen, auch wenn jener eine Lüge war.
Der König hatte nach Sates Festnahme und seiner scheinbaren Enthauptung, einen Kommandanten für die Festung Großtabingen bestimmt. Fortan sollte der die Amtsgeschäfte führen, bis ein neuer Graf Einzug halten würde.
2 Das Erwachen
Eine der Aufgaben, die dem Festungskommandanten oblagen, bestand darin den Gefangenen, der in einem gesonderten Trakt im Verlies einsaß, zu bewachen.
Niemand wusste so recht zu sagen, wo der Kerl herkam und wer er war.
Nur eins wusste der Kommandant, diese Nummer 00-01, so war die offizielle Bezeichnung des Inhaftierten, sollte vernünftig untergebracht und sorgfältigst bewacht werden. Deshalb hatte man den Innenhof des Kerkers, in aller Eile, von einer wehrhaften Mauer umgeben, auf der ständig eine Wache Dienst tat.
Gleich hinter der Mauer begann ein Park. Er war bereits vorhanden, als die Festung noch eine kleine Burg war. Eine große, knorrige Eiche stand in dessen Zentrum und wiegte ihre Äste, an denen erstes zartes Grün spross, im Takt der Böen des Windes.
Es war Ende April, und wie es die Eigenart dieses Monats ist, überschütteten seine Wetterlaunen das Land abwechselnd mit Regen, Hagel, Sturm und Sonnenschein.
Im Moment regnete es. Immer wieder tauchten unverhofft Windböen auf, die die kalten Regentropfen fast waagerecht über das Land trieben.
Der Wachsoldat, der zurzeit Dienst auf der Mauer des Kerkerhofs versah, hatte sich mit einem Strick an einen fest verankerten Fahnenmast gebunden. Es sollte ihn davor schützen von einer Böe von der Mauer geweht zu werden. Ihre obere Fläche war zwar breit genug für einen Patrouillengang, verfügte jedoch über kein Geländer. Außerdem war der Posten dadurch nicht nur vor dem Absturz gesichert. Er hatte auch beide Hände frei, falls er zum Schwert oder der großen Armbrust greifen musste.
Der Wachtposten war bereits völlig durchnässt. Das Wasser, welches ungehindert auf ihn herniederprasselte, sammelte sich im Rand seines Helms und lief ihm in einem gleichmäßigen Strom von dort unter das Kettenhemd. Unglücklicherweise gab es keinen Unterstand, sodass der Soldat dem Regen und dem Wind ungeschützt ausgesetzt war.
Er fror jämmerlich. Die Zähne klapperten aufeinander, der ganze Körper des Mannes wurde vom Zittern regelrecht geschüttelt.
Die Einzigen, die diesen Unbilden zu trotzen schienen, waren die Augen des Wachtpostens. Er hatte sie zu Schlitzen zusammengekniffen und beobachtete konzentriert mal den Kerkerhof und dann wieder den Park. Kein Unwetter hätte ihn dazu gebracht, seine Obliegenheiten hier zu vernachlässigen. Pflichtgefühl und Angst vor dem Zorn des Hauptmanns waren zu tief in ihm verwurzelt.
Als er einmal mehr in den Garten schaute, kam es ihm vor, als nähme er eine Bewegung war. Undeutlich nur, aber vorhanden.
Mit zwei großen Sätzen war er auf der anderen Seite der höchstens fünf Fuß breiten Mauer. Dort beugte er sich weit vor, um besser sehen zu können, wobei ihn der Strick vor dem Absturz bewahrte. Mit dem Handrücken wischte er sich immer wieder über die Stirn, um den Wasserstrom, der ihm über Gesicht und Augen lief, kurzzeitig zu unterbrechen. Erneut nahm er, eine Bewegung war. Genau an der Stelle, wo die alte Eiche stand. Ja es schien ihm so, als ob der Baum selbst es wäre, der diese Erscheinung verursachte. Die knorrigen Äste schwangen hin und her und er vernahm ein deutliches Stöhnen und Wimmern.
»Halt, wer da?«, rief der Wachtsoldat.
Keine Antwort.
Der Baum regte sich erneut. Ächzte und stöhnte fortwährend. War es der Wind, der ihn hier narrte?
Nein, die Bewegungen des Baumes und die des Windes stimmten nicht überein. Die Äste schwankten mal nach rechts, mal nach links, dann nach vorn und nach hinten. Der Wind aber blies immer aus der gleichen Richtung.
Mit einem Mal war es dem Soldaten, als begänne der Baum zu schrumpfen.
Ein Blitz zuckte durch das Halbdunkel und schlug am Fuße der Mauer ein. Genau unter dem Wachtposten. Die gesamte Mauer erbebte.
Der Soldat löste nun seinen Umhang von der Schulter. Der sollte nicht nur ihn, sondern vor allem die darunter befindliche Armbrust vor dem Regen schützen. Die Nässe würde den aus Horn und Sehnen bestehenden Bogen ziemlich bald unbrauchbar gemacht haben.
Durch den Regen hindurch sah er, wie die Äste des Baumes sich mehr und mehr in sich zurückzogen bis er schließlich begann, menschliche Konturen anzunehmen. Der Wachsoldat erschauderte und hob die schwere Armbrust: »Halt, oder ich schieße!«
Was immer es war, es drehte sich um und schaute zu ihm hoch, stieß ein meckerndes Lachen aus und hob den linken Arm. Ein blauer Lichtstrahl flog auf den Soldaten zu. Er traf ihn mitten in die Brust. Bruchteile eines Lidschlags, nachdem er den Abzug der Armbrust betätigt hatte. Der Bolzen verfehlte sein Ziel und verlor sich im Regen.
Die Gestalt im Park, es war niemand anderes als die Hexe Paula, stieß mit zwei Fingern im Mund einen Pfiff aus. So laut und schrill, dass in der nahen Kapelle, die zur Festung gehörte, dass größte der bunten Glasfenster klirrend zerbarst.
Der Sturz des Soldaten indes, wurde acht Fuß über dem Boden von dem Seil, an das er sich gebunden hatte aufgefangen. Aber nur kurz, dann riss es und er fiel mit einem Stöhnen auf die vor Nässe aufgeweichte Erde. Einen Moment lang, blieb er dort wie bewusstlos liegen. Dann rappelte er sich mit einem Fluchen, wie es nur Soldaten können, wieder auf.
In gebeugter Haltung drehte er sich einige Male hin und her, um die Orientierung wiederzuerlangen. Als er die Hexe vor sich sah, rannte er mit einem wilden Kampfschrei auf sie zu. Noch im Laufen zog er mit einer fließenden Bewegung, sein Schwert.
In der Zwischenzeit waren mehrere andere Soldaten durch den Lärm alarmiert, auf der Mauer erschienen. Jeder mit einer Armbrust bewaffnet. Der Hauptmann der Festung schrie sie an: »Schießt doch endlich ihr Tölpel!«
Die Soldaten zielten auf die nur undeutlich zu erkennende Gestalt im Hof, aber alle verfehlten sie.
Dann sahen sie ihren Kameraden mit dem Schwert in der Hand durch den Regen stürmen. Keiner getraute sich mehr, zu schießen aus Angst versehentlich ihn zu treffen.
Paula starrte mit gehetztem Blick in den Himmel. Sie war noch nicht im Besitz all ihrer magischen Kräfte. Der Blitz, den sie geschleudert hatte, war ihr gesamter Vorrat an Magie gewesen.
Noch wirkte Bergils Zauber.
Sie konnte diesen schreienden Soldaten, der mit dem Schwert auf sie zustürzte nicht aufhalten.
Da hörte sie ein pfeifendes Geräusch, von dem gleichen Ton, wie sie ihn zuvor gerade selber ausgestoßen hatte und ein Besen raste auf sie zu.
Eine zweite Scheibe der kleinen Kapelle ging zu Bruch. Splitter flogen wie Geschosse durch die Luft. Einige trafen sie in den Oberkörper, andere ins Gesicht.
Kaum das der Besen dicht genug heran war, dass sie nach ihm greifen konnte, kletterte Paula mit ungelenken Bewegungen auf dessen Stiel. Der Besen gehorchte ihr sofort und begann zu steigen.
Der Wachsoldat jedoch hatte sie erreicht.
Mit dem Schwert hieb er nach ihr, traf aber nur den Besen. Der fing an zu trudeln und landete einige Meter weiter im aufgeweichten Grasboden.
Der Soldat, bisher angetrieben durch den eigenen Eifer, registrierte jetzt, dass da jemand vor seinen Augen auf einem Reisigbesen fliegend, fliehen wollte. Wie erstarrt blieb er stehen.
Das verschaffte Paula ein wenig Zeit. Sie hob ihren Besen erneut an und stieß sich vom Boden ab. Doch das Fluggerät hatte durch den Schwerthieb einigen Schaden genommen. Ein Teil des Reisigs war abgetrennt worden, viele Zweige waren angebrochen. So torkelte er eher, als das er flog. Dennoch erhob er sich allmählich in die Luft. Gerade hochgenug, um die Mauer auf der anderen Seite des Hofs zu überfliegen.
Staunend hatte der Festungskommandant das Schauspiel beobachtet. Jetzt, wo der Soldat nicht mehr in unmittelbarer Nähe dieser mysteriösen Person war, ergriff er die Armbrust eines neben ihm stehenden Untergebenen.
Keiner der Soldaten hatte seinen Kommandanten je beim praktischen Umgang mit einer Waffe gesehen.
So staunten sie nicht schlecht, als der hagere Mann die schwere Armbrust in einer fließenden Bewegung, mit dem Mündungsende nach unten, auf die Mauer stieß. Dann schob er den rechten Fuß in den Spannbügel. Mit einem einzigen Zug zog er die dicke Sehne hoch, bis sie mit einem leisen Klicken im Abzug einrastete.
»Los schnell einen Bolzen!«, schrie er durch den Sturm. Sofort wurde ihm einer gereicht. Der Regen hatte nachgelassen, die Sicht war um ein Weniges besser geworden.
Hastig legte er das fast fünfzolllange Geschoss, auf die Führungsschiene der Armbrust. Dann hob er sie an die Schulter und zielte auf die sich rasch entfernende Paula.
Mit einem lauten Plopp entspannte sich die Sehne der Waffe und jagte den davor liegenden Bolzen in den Regen.
Einen Atemzug später hörten alle einen Aufschrei.
»AAAAUUU!«
Undeutlich nahmen die Soldaten wahr, wie der Besen erneut zu schlingern begann. Er trudelte einige Meter in die Tiefe, dann fing er sich jedoch wieder und flog im Zickzack durch den Regen davon.
3 Auf der Flucht
Sie verfügt über keine magische Energie. Sie befindet sich völlig ungeschützt inmitten eines ausgesprochenen Mistwetters. Aus nur geringer Entfernung kommt ein total durchgeknallter Soldat, mit gezücktem Schwert, auf sie zu gerannt. Ihr Besen, nach dem sie gepfiffen hat, kommt nicht.
Was bedarf es mehr, auch für eine abgebrühte Hexe, als das, um in Panik zu geraten? Sie sieht sich gehetzt um, der schreiende Kerl kommt näher.
Sie hatt ihm nichts entgegenzusetzen. Er wird sie mit diesem verdammten Schwert jeden Moment in Stücke hauen.
Dann endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, vernimmt sie den schrillen Ton des herannahenden Besens.
Sie läuft zwei, drei Schritte auf ihn zu. Eine Scheibe der Kapelle, gleich neben ihr, zerspringt, als würde sie explodieren. Den Glassplitterregen der auf sie niedergeht, spürt sie gar nicht. Schließlich ist der Besen in Reichweite. Sie klammert sich an dessen Stiel, um sich darauf zu schwingen, wie sie es seit jeher gewohnt ist. Da jedoch versagen ihr die Beine den Dienst. Fast vier Jahre still und steif als Eiche im Park herumgestanden zu haben fordert nun seinen Tribut. Sie kann auf das verdammte Ding nicht rauf. Mit einem Aufschrei wirft sie sich bäuchlings auf den waagerecht in der Luft verharrenden Besen. Das Ding macht einen Ruck nach unten. Sie hebt mit einer ungelenken Bewegung ein Bein über den Stiel und kommt so aufrecht zu sitzen.
Der Soldat befindet sich bereits unmittelbar hinter ihr. Er holt mit seinem Schwert zum Schlag aus.
Paula reißt den Besen hoch, schreit schrill: »Fort!« Der Besen macht einen ruckartigen Satz nach vorn, sodass die Hexe sich nur mit Mühe festhalten kann. Sie brüllt aus Leibeskräften: »Schneller, schneller!«
Das Schwert hinter ihr saust mit einem Zischen hernieder.
Paula spürt dessen Luftzug, an ihrem Rücken, so dicht rauschte es vorbei. Eine Gänsehaut lässt sie erschaudern. Gleichzeitig rutscht der Besen hinten weg, und sie weiß im gleichen Augenblick, er war getroffen worden. Paula stürzt mit samt dem Fluggerät ab.
Hart landet sie auf dem Boden, strauchelt und geht in die Knie. Schlamm spritzt auf, bedeckt jeden Zentimeter ihres Körpers. Sie schaut über die Schulter zu dem Soldaten. Der steht wenige Fuß hinter ihr, wie erstarrt im Regen.
»Na warte Bürschlein, wenn ich dich in die Finger kriege«, schimpft sie und rappelte sich auf. Abermals kletterte sie umständlich auf den Besen und reißt dessen Stiel hoch.
Er war jetzt ziemlich mitgenommen. Der Schwerthieb hatte einige Reiser abgetrennt und somit seine Energie stark reduziert.
Er torkelt mehr, als er fliegt und Paula muss all ihre Kraft aufbringen, um nicht herunterzufallen. Einzelne Armbrustbolzen sirren pfeifend vorbei, als sie knapp über die Mauer des Gefängnishofs fliegt. Dann hört sie nur noch das Rauschen des Flugwinds. Sie hatt es geschafft, der Hölle sei Dank.
Gerade will sie sich aufrichten, als sie an ihrem Hinterteil einen dumpfen Schlag verspürt. Gleichzeitig jagt ein irrsinniger Schmerz durch ihren Körper. Sie schreit laut auf. Sie schreit, wie sie noch nie in ihrem Leben geschrien hatte.
Der Besen trudelt etliche Meter nach unten. Paula fühlt, trotz ihrer Pein, wie sie abstürzt. Mit letzter Kraft reißt sie ihr Fluggerät hoch, dann schwinden ihr die Sinne und der Besen fliegt führerlos weiter.
Als sie aus der Ohnmacht erwachte, dauerte es einen kurzen Moment, bis sie sich die vergangenen Ereignisse ins Gedächtnis zurückrufen konnte. Letztlich war es wohl dieser unsäglich pulsierende Schmerz im Hinterteil, der ihr dabei behilflich war.
Sie stöhnte auf, versuchte, sich zu orientieren. Die Gegend kam ihr bekannt vor. Sie hob den Kopf und sah zu ihrer Erleichterung die abgeflachte Spitze des Tafelbergs.
Es hatte aufgehört zu regnen, und auch von dem Sturm war nichts mehr zu spüren. Über dem Berg war die Sonne aufgegangen. Nur vereinzelt durchbrachen Wölkchen das azurne Blau des Himmels.
»Was soll das denn?«, kreischte Paula, als sie ihren Blick von dem Berg abwandte und nach unten schaute.
Der Besen schwebte, in geringer Höhe, über der Stelle, an der eigentlich ihre Hütte hätte stehen müssen.
Aber das tat sie nicht. Die Stelle war leer.
Das heißt, genau genommen war sie nicht leer. Büsche und Sträucher standen hier, als täten sie das schon seit Jahren.
»Moppelkotze und Köddelmütze!«, entfuhr es der Hexe, was so viel heißen sollte wie: »Himmel, Arsch und Zwirn!«
»Wo ist meine Hütte?«
Als sie sich aufrichtete, um den Besen nach unten zu lenken, durchfuhr sie ein erneuter Schmerz. Direkt vom Hinterteil in ihr Gehirn.
Sie kommentierte diesen Vorgang mit einem lauten Aufschrei: »Scheiße, tut das weh!«
Der Besen sackte ein Stück abwärts. Schnell hielt sie ihn fest. Auf dem Boden, zwischen dem dichten Unterholz, waren einige verkohlte Holzbalken zu erkennen. Jemand hatte ihre Hütte angezündet. Obwohl das Jahre hersein musste, roch es noch immer verbrannt. Paula stand fassungslos, wie versteinert und starrte auf die kläglichen Überreste ihrer Behausung.
Es war so eine schöne Hütte. Sie hatte auf einem einzigen Balken gestanden und sich ständig mit dem Wind gedreht. Das Krächzen und Knarzen, das sie dabei von sich gab, war wahrhaft grässlich und furchteinflößend gewesen. Niemand konnte sich dieser Hütte nähern, ohne von ihr bemerkt worden zu sein. Eindringlinge schloss sie ein, wenn Paula nicht zuhause war, und hielt sie fest bis sie zurückkehrte.
Sie war nun gelandet, und zwar an der Stelle, wo einst ihr Lieblingsschaukelstuhl gestanden hatte. Tränen liefen ihr aus den Augen und sie sank ungeachtet des Schmerzes, der sie erneut durchzuckte, auf die Knie.
»Das hab ich nicht verdient«, greinte sie, »ich war doch immer versucht schlecht zu sein, ich hatte nie Mitleid und nun das, wo ich doch bloß ein paar Tage fort war.«
Das Selbstmitleid nimmt vollends Besitz von ihr. Das erste Mal überhaupt, dass sie sich verlassen fühlt.
4 Am Tafelberg
»Ein paar Tage fort«, äffte eine Stimme hinter ihr, »vier Jahre hast du dumme Kuh dich, nur der Teufel weiß wo, herumgetrieben!«
Paula wirbelte herum, riss den linken Arm hoch und sprach einen ihrer gefürchteten Zauber.
Nichts geschah.
Die Hexe, die so unverhofft hinter ihr aufgetaucht war, erstarrte für einen Moment. Dann fing sie schallend an zu lachen: »Ach du schreckliche Freude, hexen kann sie auch nicht mehr. Was hast du denn verschluckt?«
Sie war etwa genauso alt wie Paula, hatte struppige rote Haare, von denen ganze Büschel ausgefallen waren. Ihre Augen waren grau und glanzlos. Die Nase platt und eingedrückt. Die Folge eines Unfalls, als sie zu Walpurgis völlig betrunken mit dem Besen gegen einen Baum geflogen war. Seit dem schielte sie ein wenig.
Ihr Name war Pessima. Sie galt in Hexenkreisen, genau wie Paula, als besonders bösartig und schlecht.
Dies hätte ihr sicherlich eine exponierte Stellung unter den Hexen eingebracht, wäre sie nicht ständig betrunken gewesen. Auch jetzt konnte sie sich kaum auf dem Besen halten und schwang eine große Flasche Branntwein.
»Hallo Paula meine Teuerste, hat es dir die Magie verschlagen?«, grölte sie.
Paula ignorierte diese Frage und schrie Pessima an: »Wo ist meine Hütte und wer hat das getan?«
Pessima stierte auf die Stelle, wo die Hütte gestanden hatte. Sie zuckte mit den Schultern und lallte: »Abgebrannt, einfach abgebrannt, war ne tolle Explosion, riesiges Feuerwerk, einfach super.« Zur Bestätigung ihrer Worte rülpste sie laut und nahm noch einen Schluck aus der Flasche. »Willst du auch?«, sie hielt Paula die Flasche hin.
Die schüttelte mit dem Kopf, unfähig ein weiteres Wort herauszubringen.
»Also gut, dann kommst du erst mal mit zu mir.« Pessima riss in einem waghalsigen Manöver, den Besen herum und sauste los, ohne auf die Andere zu warten.
Paula rannen noch immer Tränen über die Wangen und die rührten sicherlich nicht von dem Schmerz her, der weiter in ihrem Hinterteil pulsierte. Mühsam bestieg sie den Besen und flog gemächlich in die Richtung, die Pessima zuvor eingeschlagen hatte.
Während des Flugs dachte Paula an die Hexe, die vor ihr flog. Sie und Pessima waren, wenn es dergleichen unter Hexen überhaupt gab, Freundinnen. Das bedeutete im Wesentlichen, dass sie nie den Versuch unternommen hatten sich gegenseitig umzubringen.
Hexen pflegten keine Freundschaften, und sollte es tatsächlich einmal zu einem gemeinsamen Handeln kommen dann nur, wenn jede Einzelne sich daraus einen Vorteil versprechen konnte.
Paulas Stimmung hatte einen Tiefpunkt erreicht. Magie weg, Haus weg, einen Armbrustbolzen im Hintern und auf die Gnade dieser versoffenen Pessima angewiesen. Konnte eine Hexe tiefer sinken?
Sie wollte schon umkehren, um dieser Peinlichkeit ein Ende zu bereiten, als Pessimas schiefe Hütte zwischen einigen hohen Tannen auftauchte.
Sogleich verspürte Paula ein wärmendes und gleichzeitig kräftigendes Gefühl. Umkehren war nun gar kein Gedanke mehr. Die Nähe der Hexenhütte gab ihr ihre Kraft zurück. Neue Magie durchströmte sie. Sie schloss die Augen und atmete tief die tannenwürzige Luft ein.
Vor der Tür der Hütte ließ sie den Besen sanft zu Boden gleiten und trat ein. Vorbei war es mit der Tannenwürze. Ein fürchterlicher Gestank schlug ihr entgegen.
Im Inneren sah es aus wie auf einer Müllhalde.
Auch Paula war alles andere als ordnungsliebend, aber das hier verschlug selbst ihr den Atem.
Dennoch fühlte sie hier in der Hütte, mehr noch als zuvor draußen, eine fast vergessene Kraft in sich aufsteigen, die sie zunehmend genoss. Schon nach kurzer Zeit hatte sie das Gefühl, sie könne Bäume ausreißen.
Pessima saß auf einem dreibeinigen Schemel und beobachtete sie mit getrübtem Blick: »Na wird‘s wieder?«
Als Paula nicht antwortete, gab sie sich die Antwort selber:
»Es wird besser, sag ich doch. Gleich ist alles beim Alten, glaub mir.« Sie nahm einen Schluck aus der Flasche.
Paula blinzelte, als käme sie gedanklich von sehr weit her: »Nichts wird sein, wie es vorher war, alles wird neu sein und anders, ganz anders«, murmelte sie mehr zu sich selbst.
»Was faselst du da für einen Unsinn?« Pessima warf die leere Branntweinflasche achtlos hinter sich gegen den Kamin, wo sie klirrend zerbarst. »Jetzt wird alles wieder gut, also ich meine natürlich schlecht, eben so wie es mal war«, lallte sie. »Wo warst du überhaupt die ganze Zeit? Hick.« Fast wäre sie von dem dreibeinigen Schemel gekippt.
Paulas Arm schnellte nach vorne und ihre magische Kraft hielt die Andere im Gleichgewicht.
›Ha, ich kann es wieder‹, dachte sie.
Pessima schien nichts bemerkt zu haben. Sie wiederholte ihre Frage, diesmal mit Nachdruck: »Also erzähl schon, wo warst Du?«
Paula überlegte kurz was sie preisgeben konnte und was nicht. Sie entschied sich für eine Kurzfassung.
»Tabingen hatte einen neuen Grafen, wusstest du das?«
»Nein, kein bisschen, wer ist es? Hast du ihn erledigt?« Pessima stand die Verwunderung im Gesicht.
»Ja«, antwortete Paula, »er ist wohl erledigt.«
Ihre Gestalt straffte sich. »Ein einmaliges Exempel herrlich schöner Grausamkeit.«
»Wow«, machte Pessima.
»Ich habe mir für diesen Graf Sate etwas einfallen lassen, was in der Geschichte des Hexenunwesens noch nie da gewesen ist.
Ich habe ihn vom zuckersüßen Geschmack der Macht kosten lassen. Habe ihn von einem Erfolg zum Anderen gehetzt. Habe ihm in kürzester Zeit ein Ansehen verliehen, mit dem er sich Gott gleich fühlen musste.« Sie senkte die Stimme dramatisch: »Dann jedoch habe ich ihn abstürzen lassen; Elend, Kerker, Schafott.«
»Nein, wie genial«, hauchte Pessima und entkorkte mit ihren letzten Zähnen eine neue Flasche.
Paula nahm sie ihr aus der Hand, genehmigte sich selber einen guten Zug und wischte sich anschließend mit dem Ärmel über die Lippen.
»Alles Affenkacke, Täubchen. Gedacht habe ich es so. Dann kam dieser verdammte Bergil und hat mir erklärt, er habe ältere Ansprüche auf ebendiesen Sate. Schließlich hat er mich in gemeinster Hinterhältigkeit in einem Baum verwandelt und ich stand vier Jahre bewegungslos als Eiche im Burghof von Tabingen.«
»Aber das ist doch super«, rief Pessima begeistert, »machen wir den Grafen jetzt fertig!«
»Ach was, der ist schon fertig«, sagte Paula und man merkte ihr eine Enttäuschung an. »Das, was ich ihm antun wollte, hat dieser Idiot sich selber angetan. Ist bis zum Erzherzog aufgestiegen und dann hat er den König angegriffen. Der hat ihn festgesetzt und ihm den dummen Schädel von den Schultern schlagen lassen.«
Paulas Augen funkelten nun zornig. »Ich konnte mein eigenes Werk nicht vollenden. Außerdem habe ich einen Armbrustbolzen im Arsch, der mich vor Schmerz fast um den Verstand bringt«, schluchzte sie nun laut.
Pessima lachte gluckernd. »Im A …?«
»…ja, genau da. Sag mir lieber, was mit meinem Haus passiert ist.«
Pessima nahm einen weiteren Schluck, dann senkte sie den Kopf, als müsse sie ihre Gedanken ordnen, und erzählte: »Als du im ersten Jahr nicht zur Walpurgis warst, haben alle noch gedacht du hättest ein richtig großes Ding am Kochen. Im zweiten Jahr kam diese fette Hexe aus dem Schwarzwald hier an. Das liegt unanständig weit im Süden, musst du wissen. Sie heißt übrigens Confidentia. Mit ihrem großen Maul hat sie die meisten auf ihre Seite gezogen. Sie wurde schließlich an deiner statt zur Oberhexe gewählt. Eine schreckliche Person, mit der du dich besser nicht anlegst. Drei Tage später ist sie mit einer Horde der übelsten Speichellecker zu deiner Hütte geflogen und sie haben sie zerstört. Einfach abgefackelt, wenn du verstehst, was ich meine.«
Eine Pause trat ein, in der jede von ihnen ihren eigenen Gedanken nachhing.
Dann plötzlich schoss Pessima etwas durch den Kopf. Sie rülpste laut, wobei ihr einiges von dem Branntwein wieder hochkam. Jedenfalls musste sie mehrfach schlucken, ehe sie weitersprechen konnte. »Beinahe hätte ich es vergessen, ich habe was für dich.«
Paula sah sie fragend an.
»Da drüben in der Kammer«, sie wies mit dem Kopf in die Richtung. »Ich brauch die sonst nicht, drum hab ich`s fast vergessen.« Wieder schaukelte sie bedrohlich auf der dreibeinigen Sitzgelegenheit. Diesmal hielt Paula sie nicht und so stürzte Pessima auf den dreckigen Fußboden, was ihr offensichtlich Freude bereitete, denn sie gackerte vor Vergnügen: »Ist ja wie im Karussell hier!«
In der geöffneten Kammertür blieb Paula wie erstarrt stehen. »Das gibt‘s doch nicht«, stammelte sie fassungslos. »Wo hast du das her?«
»Na, wo wohl her soll ich das haben?«, keuchte Pessima. Sie versuchte aufzustehen, fiel jedoch in ihrer Trunkenheit immer wieder zu Boden. Zu sich selbst murmelte sie leise: »Das geht jetzt aber zu weit mit diesem Karussell, ich will mein Geld zurück, und zwar plötzlich.«
Laut rief sie: »Aus deinem Haus natürlich!«
Die gesamte Kammer war vollgestopft mit dem Hausrat aus Paulas Hütte. Der Feuerkessel, die getrockneten Kräuter und die Phiolen mit Zaubertränken und… ihr Zauberbuch der schwarzen Magie. In einer Ecke, erstarrt und völlig verstaubt, standen Panfila die Krähe und Abraxos der Kater. Mit einem Ruck drehte Paula sich um und war mit zwei Schritten bei Pessima.
»Wie kommt das hier her?«, entfuhr es ihr in scharfem Ton.
Die Andere kniete immer noch am Boden, weil sie es nicht geschafft hatte von dem Karussell herunter zu kommen.
»Ich hab alles geholt, bevor sie deinen Palast in die Luft gejagt haben. Hab eben auch meine Spione.
Hab gedacht, vielleicht erscheint diese blöde Kuh wieder auf der Bildfläche und dann wird sie froh sein, wenigsten etwas von dem Plunder da wiederzusehen.« Sie machte ein Gesicht, als würde sie sich über sich selbst ärgern. Paula jedoch bückte sich, ergriff Pessima bei den Schultern und riss sie in die Höhe, als hätte sie gar kein Gewicht. Dann drückte sie sie in ihre Arme, und hauchte: »Danke.«
Sofort ließ sie die Freundin allerdings wieder los, räusperte sich betreten und sagte barsch: »So und nun ziehst du mir den Armbrustbolzen raus.«
Auch Pessima schien ein wenig verlegen über diesen Gefühlsausbruch zu sein, dessen Opfer sie gerade geworden war. Ihr sonst aschgrauer Teint nahm eine graurosa Färbung an.
Sie griff noch einmal nach der Branntweinflasche, überlegte es sich nach kurzem Zögern jedoch anders und sagte mit belegter Stimme: »Beug dich über den Tisch, ich werde das Ding rausziehen. Übrigens hat sich Fürst Diabolo zur diesjährigen Walpurgis angesagt.«
Paula zuckte zusammen. »Der Teufel war seit Jahrhunderten nicht mehr auf unserer Walpurgisnacht, warum ausgerechnet in diesem Jahr?«, fragte sie.
»Keine Ahnung«, Pessima hob die Schulter, »ist ja am Ende auch seine Sache. Woll´n wir nun anfangen?«
Die ehemalige Oberhexe stieß einen ergebenen Seufzer aus und legte sich bäuchlings über den Tisch.
Die Andere hob ihr den Rock hoch und betrachtete kritisch den Bolzen in dem drallen Hintern. »Rattenzahn und Mausekacke«, entfuhr es ihr, »der steckt ja mächtig tief.«
»Quatsch kein dummes Zeug, du dämliche Kuh, zieh ihn endlich raus«, schnauzte Paula. Die zwei hatten ihren gewohnten Umgangston wiedergefunden.
Pessima griff das Ende des Bolzens und zog kurz daran.
Paula schrie auf. »Du sollst mich nicht umbringen, sondern nur diesen verdammten Pfeil herausziehen!«
»Erst mal können«, maulte Pessima.
Nun griff sie den Bolzen, der in der rechten Pobacke saß, mit beiden Händen. Dann stemmte sie ihr ein Bein gegen Paulas linke Backe um ihr, größere Kraft zu verleihen und zog sie mit aller Kraft an dem Geschoss.
Paula durchzuckte ein dermaßener Schmerz, dass sie aus Leibeskräften aufschrie. Sie schrie so schrill und laut, dass in einer halben Meile Umkreis fast alle Vögel leblos von den Bäumen stürzten.
Gleichzeitig entfuhr ihr, vor Anstrengung ein solch übler Wind, dass Pessima augenblicklich die Sinne schwanden und sie hintüber kippte. Es stank erbärmlich. Um das Maß vollzumachen, hämmerte jemand von außen gegen die Tür.
Paula richtete sich auf und ließ ihren Rock herunter. Auch Pessima rappelte sich nach Luft schnappend auf. Noch immer erfüllte dieser bestialische Gestank die kleine Hütte.
Pessima öffnete die Tür.
Beim Anblick ihres Besuchers erstarrten beide Hexen, als wären sie versteinert worden.
Fürst Diabolo, der Teufel persönlich.
Man stelle sich die beiden durchtriebensten Hexen der bekannten Welt vor, wie sie vor Verlegenheit purpurn anliefen und hilflos stammelten: »Oh, äh, ja, nein, fürstliche Durchlaucht, welch Ehre …«
Pessima viel vor dem Fürsten auf die Knie und berührte mit der Stirn den Boden. Paula machte eine Verbeugung, soweit es eben mit einem Armbrustbolzen im Hintern ging.
Der Teufel schnüffelte etwas unsicher und zog die Nase ein wenig kraus. Dann stieg er einfach über die immer noch am Boden liegende Pessima hinweg und trat ein.
Er schien blendender Laune zu sein, als er auf Paula zueilte um, ihr die Hand zu schütteln. »Liebste Paula, ich freue mich wirklich sie zu sehen«, strahlte er sie an. Er nahm sie am Arm und führte sie um den Tisch herum zu dem dreibeinigen Hocker, der noch immer umgestürzt am Boden lag. Der Fürst hob ihn persönlich auf und bedeutete Paula, sich zu setzen.
Die hob abwehrend beide Hände. »Oh nein Fürst, setzt ihr euch nur selbst. Mich hat das Rheuma dermaßen im Griff, dass ich es vorziehe, stehen zu bleiben.« Sie hatte das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden.
»Wie dem auch sei«, fuhr der Fürst unbeeindruckt fort, »ich weiß von ihren letzten Unternehmungen, liebe Paula. Einfach famos. Blendend eingefädelt. Ich habe lange überlegt, wie ich gebührend darauf reagieren kann. Und ich denke, eine Ernennung ist hier sicherlich angemessen. So ernenne ich sie, für ihre Taten oder sagen wir besser Untaten, zum ersten weiblichen Hexenmeister.«
Paula schwindelte es. Sie musste sich am Tisch festhalten, um nicht zu stürzen. Das war mehr, als sie je zu träumen gewagt hatte. »Entschuldigt bitte meine momentane Schwäche, Fürst«, stammelte sie, »aber solche Ehrung habe ich nicht erwartet.«
Als sie den Teufel so vor sich stehen sah, durchzuckte sie ein Gedankenblitz. »Oh verzeiht die Nachlässigkeit einer alten Sabberhexe, mein Fürst. Nehmt doch Platz. Leider verfügen wir nur über dieses eine Sitzmöbel.« Sie kniete sich neben den dreibeinigen Hocker und wischte mit dem Ärmel die Sitzfläche ab.
»Bitte sehr Exzellenz, wenn es beliebt.«
Mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht erhob sie sich wieder.
Fürst Diabolo ließ sich schwungvoll auf dem Hocker nieder.
»Ich danke ihnen liebe Paula.«
Der Teufel war ein großer stattlicher Mann mit schwarzen Haaren, die lediglich an den Schläfen einige grauen Strähnen zeigten. Er schlug betont lässig sein linkes Bein mit dem Pferdefuß über das Rechte. Seine warmen, dunkelbraunen Augen schauten Paula freundlich an. Zur Feier des Tages trug er einen mausgrauen Umhang aus feinem Tuch, das sogar im halbdunkel des Raums seidig glänzte.
Pessima, die sich inzwischen aufgerichtet hatte, blickte fasziniert auf ihren Gast. Sie sah den Fürsten der Finsternis zum ersten Mal und dachte: ›Was für ein Mann. Kein Wunder, dass alle Hexen in ihn vernarrt sind.‹
Der Teufel lächelte Paula immer noch an: »Es plagt sie also das Rheuma?«
Paula nickte eifrig.
Er zeigte ein mitleidvolles Gesicht: »Seien sie meines tiefsten Mitgefühls versichert, liebe Frau Paula. Umso mehr da ich weiß, dass die Ursache ihres rheumatischen Leidens in einem Armbrustbolzen zu suchen ist.
Soweit ich weis, war dessen Absender der Festungs- kommandant von Tabingen. Und wie mir weiter zur Kenntnis kam, hat das Geschoss sein Ziel tief in ihrem Allerwertesten gefunden. Pech für sie, dass sie ausgerechnet an der Stelle standen, wo in der Tabinger Festung ein dunkles Geheimnis streng verwahrt wird. Anderenfalls wären sie sicherlich unerkannt geblieben. Ein meisterlicher Schuss übrigens«, fügte er hinzu, »die Sicht war schlecht und die Entfernung schon recht groß.«
Nun glaubte Paula endgültig, dass sie augenblicklich ohnmächtig werden müsste. »Ihr wisst…, Exzellenz?«, stammelte sie, während sich ihr alles vor den Augen zu drehen begann. Kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn.
»Aber ja«, lachte der Fürst, »was der Teufel nicht weis ist nie geschehen.«
»Ich werde diesen Kerl in siedendem Pech kochen lassen«, fauchte Paula und ihre Augen funkelten bedrohlich.
Der Fürst wiegte bedenkliche den Kopf. »So, wie sie dem Teufel dienen, dient er dem König«, gab er zu bedenken, »und Rache ist zwar süß, jedoch als Motiv zum Handeln, selbst dem Teufel zu niedrig.«
Paula vergaß für einen Moment, mit wem sie sprach und blitzte ihn an: »Na und; trotzdem!«
Der Teufel lachte schallend und sagte: »Das ist einem Weibe aus der Seele gesprochen. Tun sie, was sie nicht lassen können, liebe Paula.«
Schon jedoch hatte die Hexe beschlossen, von dem Hauptmann abzulassen um, sich dem Fürsten gegenüber keine Blöße zu geben. »Ihr wisst also, dass ich versagt habe? Dennoch ernennt ihr mich zum Hexenmeister?«
»Aber ja, die Idee zeichnet das Genie aus. Der Rest ist Selbstlauf. Es ist doch alles so gekommen, wie sie es wollten. Jedenfalls fast.«
»Fast?«
Der Teufel lächelte und winkte ab: »Vergessen sie es. Wenn sie gestatten, möchte ich mich nun an die Entfernung ihres ›Rheumas‹ machen. Sie wissen ja, nur in einem gesunden Körper wohnt auch ein gesunder Geist.«
Er hatte sich erhoben und Paula schwante Schlimmes. »Aber nein, verehrter Fürst, das kann ich nicht verlangen, das wäre zu viel des Guten.«
»Aber aber«, er hob abwehrend beide Hände und zeigte sein sprichwörtlich diabolisches Grinsen. Selbst einer abgebrühten Hexe wie Paula lief es bei dem Anblick heiß und kalt den Rücken rauf und runter.
Mit mit dem Fürsten ging eine seltsame Verwandlung vonstatten. Der mausgraue Umhang färbe sich in tiefes Schwarz. Die sanften braunen Augen wurden flammend rot und spiegelten Wogen von Hitze und Grausamkeit wieder. Aus seiner nun schwarzen langen Mähne stießen zwei Hörner hervor. Die Nase wurde überlang und die Haut nahm eine rötlich braune Färbung an. Schwefelgeruch lag beißend in der Luft. Der Teufel lachte laut und triumphierend.
Mit einer einzigen Bewegung der klauenartigen Hand zwang er Paula auf den Tisch wo sie, zu jeder Bewegung unfähig, erstarrte. Nicht einmal den Mund konnte sie zu einem Schrei öffnen.
»Wir wollen doch die Vögel schonen«, kam es krächzend aus dem lippenlosen Mund.
Der Teufel hob den Zeigefinger seiner rechten Hand und ein Nagel wuchs daraus hervor, lang und scharf, wie der Dolch eines Mörders. Als er ihn anhauchte, fing die Spitze weiß an zu glühen.
Pessima war vor Entsetzen in einer Ecke ihrer Hütte, zu Boden gesunken. Sie biss sich aus Angst davor, auch nur einen Laut von sich zu geben, auf die Hand. So stark biss sie zu, dass Blut den Ellenbogen herunterlief.
Ihr bot sich ein grauenhafter Anblick, von dem sie die Augen nicht abwenden konnte, selbst wenn sie es gewollt hätte.
Der Teufel schnitt der Hexe mit dem glühenden Fingernagel den Bolzen aus dem Hintern. Er musste sehr tief schneiden. Der Gestank nach Schwefel mischte sich mit dem von verbranntem Fleisch.
Der Schmerz, den Paula empfand, war unbeschreiblich. Schlimmer allerdings war, dass sie nicht schreien konnte. Schließlich wurde sie ohnmächtig.
Als sie wieder erwachte, war der Teufel verschwunden. Sie war sich absolut sicher, er hätte ihr den Armbrustbolzen auch schmerzfrei entfernen können.
Er jedoch wollte sie belohnen und bestrafen. Belohnen für eine Idee, bestrafen für ein Versagen. Beides auf seine Art. Der Teufel ist schlecht, aber weise. Das ist es, was ihn so gefährlich macht und zum Fürsten der Finsternis.
Paula lag in Pessimas schmuddeligem Bett. Die saß auf der Bettkante und hielt ihre Hand. Paula entzog sie ihr und betrachtete ihren Mittelfinger. Dort prangte jetzt ein goldener Ring. Ein schwarzer Stein war in seiner Mitte. In dessen Zentrum leuchtete ein silbernes ›M‹. Es stand für Hexenmeister.
»Wie geht es dir?«, fragte Pessima. Ein ungewohntes Mitgefühl lag in ihrem Tonfall.
Paula spürte in sich hinein und fühlte nichts. Keinen Schmerz, einfach nichts. Es ging ihr also gut.
Sie richtete sich auf. »Alles in Ordnung«, sagte sie, während sie nach ihrer Pobacke tastete. Kein Bolzen, kein Verband, keine Narbe. Es war vorbei.
»Alles in Sack und Asche. Mir geht es wieder gut und das Einzige was zählt, ich bin Hexenmeister.« Sie grinste dabei breit.
»Hexenmeisterin«, widersprach Pessima.
»Papperlapapp, es gibt keine Hexenmeisterinnen, es gibt immer nur Hexenmeister.«
»Aber du bist weiblich. Auch wenn man es bei deiner Visage kaum für möglich hält. Du hast Titten, also bist du Hexenmeisterin.«
»Und wie stellst du dir das vor? Gibt es demnächst auch noch Lehrlinginnen, Gesellinnen neben Meisterinnen, Magisterinnen, Doktorinnen und sogar Professorinnen? Merkst du Spatzenhirn nicht, was du hier für einen Unsinn redest? Mich hat der Teufel persönlich ernannt.«
»Was denkst du denn, wenn es dem Teufel beliebt, wird es genau die alle geben. Jedenfalls wenn es ihm nützt.«
»Na schön Hexe Naseweis, aber ich bin die Erste«, lenkte Paula ein, »und ich werde immer die Erste sein. Die erste Hexenmeisterin!« Nun schien ihr das, auf der Zunge dahinzuschmelzen.
Schließlich erhob sie sich von dem schmuddeligen Strohsack und strich ihr verblichenes Kleid glatt. »Ich denke, es gibt jetzt einiges zu tun.«
»Womit willst du anfangen?«
»Wann ist Walpurgis? Ich glaube, ich habe ein wenig das Zeitgefühl verloren.«
»Morgen, morgen ist Walpurgis«, sagte Pessima.
»Gut, dann habe ich Zeit. Als Erstes werde ich meine Hütte aufbauen, und dann kümmere ich mich um diese Confidentia. Bring meine Sachen mit«, kommandierte sie.
Die Andere seufzte resigniert: »Alles wieder beim Alten.«
Es hatte den ganzen Tag gedauert eine Hütte zu bauen. Über das Ergebnis war Paula mehr als zufrieden. Sie war allerdings eine Spur zu neu. Nun, das würde sich geben. Ein jedes, von den übriggebliebenen Dingen, war an seinem gewohnten Platz. In der Mitte der Hütte stand ein großer runder Tisch, auf dem, noch immer erstarrt, der Kater Abraxos und die Krähe Panfila standen.
Paula saß in einem neuen Schaukelstuhl. Der Alte war ja ein Opfer der Flammen geworden.
Sie betrachtete nachdenklich die beiden Haustiere. Dann nahm sie sie in die Hände und schlug sie mehrmals aneinander. Staubwolken stiegen auf und brachten die Hexe zum Husten. »Ich weiß nicht, ob ich euch Taugenichtse überhaupt wieder zum Leben erwecken sollte«, krächzte sie dabei. Sie schaukelte noch ein paarmal heftig mit dem Stuhl hin und her. Schließlich stellte sie die beiden auf den Tisch zurück.
»Ach was soll´s, ich brauche jemanden, an dem ich meine Wut auslassen kann.«
Sie griff nach einer kleinen Dose, in der sich ein rosa Pulver befand. Ein wenig davon tat sie auf ihre Hand und pustete es auf die Tiere.
Augenblicklich kam Leben in sie.
Die Krähe hüpfte steifbeinig über den Tisch. Dann brachte sich mit zwei Flügelschlägen auf dem Schrank in Sicherheit. Der Kater miaute laut und war mit einem Satz unter dem Bett verschwunden. Beide hinterließen eine neuerliche Staubwolke.
»Ist das der Dank, dass ich euch gerettet habe?«, schimpfte Paula.
»Was heißt hier gerettet«, schnarrte die Krähe vom Schrank herunter, »ohne dich wären wir überhaupt nicht in diese Lage gekommen.«
Paula warf die Dose mit dem Pulver nach ihr. Sie traf die erschrocken aufflatternde Krähe. Eine schwarze Feder schwebte vom Schrank auf den Boden.
»Undankbares Pack!«
Paula stemmte sich aus dem Schaukelstuhl. Sie hatte im Augenblick andres zu tun, als sich mit diesen Viechern zu streiten.
Draußen an der Hütte, gleich neben der Tür, lehnte der Besen. Aus einer der Taschen ihres Kleides förderte sie eine weitere Dose hervor. Ein kurzer Spruch vervollständigte das Reisig, das durch den Schwerthieb des Soldaten auf der Festung Tabingen, stark gelichtet worden war. Sie zupfte noch einige Hölzer gerade, schnitt hier und da etwas ab und betrachtete schließlich ihr Werk mit sichtlicher Zufriedenheit. Danach öffnete sie jene Dose, die sie zuvor sorgsam neben sich gestellt hatte und entnahm ihr eine bräunliche Salbe.
Nachtschatten und Wolfswurz, zur richtigen Zeit gepflückt, waren wohl die wichtigsten Bestandteile der Hexensalbe. Rieb man damit einen Besen, eine Mistgabel oder zum Beispiel einen Stuhl ein, konnte man mit ihnen fliegen. Nur gelegentlich musste das Einreiben wiederholt werden.
Natürlich bevorzugte jede Hexe, die etwas auf sich hielt, einen Besen anstelle einer Mistgabel oder gar eines Stuhls.
Paula verwendete viel Sorgfalt auf die Arbeit des Einsalbens.
Am leichten Vibrieren des Besens erkannte sie, dass er über seine alte Kraft verfügte und wieder bereit war. Sie verschloss die Dose gewissenhaft und steckte sie in ihr Kleid zurück.
Die Herstellung solcher Salben ist immer geheim und gehört zur gehobenen Nigromantie, also der Schwarzen Kunst.
Paula war nicht umsonst Oberhexe und seit neuestem sogar Hexenmeisterin. Sie hatte eine eigene Rezeptur, welche ihren Besen schneller und wendiger machte, als jeden anderen.
Den meisten Hexen war das egal, Hauptsache die Dinger flogen. Paula jedoch hatte grade erst erfahren müssen, dass der Zustand eines Fluggerätes durchaus lebensrettend sein konnte.
Zufrieden betrachtete sie ihr Werk, dann schwang sie sich auf den Besen und sauste mit einem Aufschrei der Freude durch die Luft.
Ein herrliches Gefühl. Er war wie neu. Vielleicht sogar besser. Blitzschnell, lag ruhig in der Luft und war leicht zu manövrieren.
Die Sonne neigte sich dem Abend entgegen und erhellte mit letzten Strahlen das Plateau des Tafelberges, der morgen zum Hexentanzplatz werden sollte.