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Hory, ein junger, mittelloser Arzt aus der Provinz, kommt auf der Suche nach Arbeit in die Residenzstadt Achet-Aton. Er ist fasziniert vom Reichtum und Glanz der Metropole, in der die Menschen dem Gottkönig Echnaton, dem Sohn der Sonne, huldigen. Während einer öffentlichen Audienz des Pharao und seines Hofstaats wird Merit-Aton, eine der Töchter des Pharao, auf Hory aufmerksam und befiehlt ihn am Abend in den Palast. Wenige Stunden später wird eine der Haremsdamen des Pharao grausam ermordet aufgefunden: mit Sand erstickt, geschmückt mit einer Bronzestatue des verbotenen Gottes Seth. Noch in der gleichen Nacht wird Hory verhaftet ... Geheimnisvolle Ritualmorde, Reichtum und Glanz einer alten Kultur, Intrigen, Gier und eine außergewöhnliche Liebe: Ein Thriller aus dem Ägypten des Sonnenkönigs Echnaton.
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Seitenzahl: 715
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Kurzbeschreibung
Hory, ein junger, mittelloser Arzt aus der Provinz, kommt auf der Suche nach Arbeit in die Residenzstadt Achet-Aton. Er ist fasziniert vom Reichtum und Glanz der Metropole, in der die Menschen dem Gottkönig Echnaton, dem Sohn der Sonne, huldigen. Während einer öffentlichen Audienz des Pharao und seines Hofstaats wird Merit-Aton, eine der Töchter des Pharao, auf Hory aufmerksam und befiehlt ihn am Abend in den Palast. Wenige Stunden später wird eine der Haremsdamen des Pharao grausam ermordet aufgefunden: mit Sand erstickt, geschmückt mit einer Bronzestatue des verbotenen Gottes Seth. Noch in der gleichen Nacht wird Hory verhaftet ...
Geheimnisvolle Ritualmorde, Reichtum und Glanz einer alten Kultur, Intrigen, Gier und eine außergewöhnliche Liebe: Ein Thriller aus dem Ägypten des Sonnenkönigs Echnaton.
Sabine Wassermann
Der Zorn des Seth
Historischer Roman
Edel Elements
Edel Elements Ein Verlag der Edel Germany GmbH
© 2018 Edel Germany GmbH Neumühlen 17, 22763 Hamburg
www.edel.com
Copyright © 2001 by Sabine Wassermann
Covergestaltung: Anke Koopmann, Designomicon, München.
Konvertierung: Datagrafix
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.
ISBN: 978-3-96215-168-3
www.facebook.com/EdelElements/
www.edelelements.de/
Prolog
I.: DIE STADT DES LICHTS
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Kapitel 9.
Kapitel 10.
Kapitel 11.
Kapitel 12.
Kapitel 13.
Kapitel 14.
II.: DIE STADT DER FINSTERNIS
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
Kapitel 9.
Kapitel 10.
Kapitel 11.
Kapitel 12.
NACHWORT
MILLIONEN JAHRE
Im 14. Jahrhundert v. Chr.: Hory, ein junger, mittelloser Arzt aus der Provinz, kommt auf der Suche nach Arbeit in die Residenzstadt Achet-Aton. Er ist fasziniert vom Reichtum und Glanz der Metropole, in der die Menschen dem Gottkönig Echnaton, dem Sohn der Sonne, huldigen. Während einer öffentlichen Audienz des Pharao und seines Hofstaats wird Merit-Aton, eine der Töchter des Pharao, auf Hory aufmerksam und befiehlt ihn am Abend in den Palast. Wenige Stunden später wird eine der Haremsdamen des Pharao grausam ermordet aufgefunden: mit Sand erstickt, geschmückt mit einer Bronzestatue des verbotenen Gottes Seth. Noch in der gleichen Nacht wird Hory verhaftet; nur mit Glück und der Gunst eines geheimnisvollen Mädchens zieht er seinen Kopf aus der Schlinge. Er muss erkennen, dass es am Hofe des Pharao offenbar Menschen gibt, die ihm den Ritualmord anlasten wollen. Als weitere Frauen durch die Hand des Unbekannten sterben, fürchtet Hory nicht nur um sein eigenes Leben – seine schöne Schwester Tachit ist auf dem Weg in die Hauptstadt, um ihn zu suchen …
Zum Gedenken an Maren Frank
Bedächtig schob er eine Hand zwischen die Sänftenvorhänge und öffnete sie einen Spalt weit. Er blinzelte unwillkürlich, denn die Sonne stand tief und blendete ihn. Draußen auf der Prachtstraße, die die heilige Stadt Achet-Aton von Norden nach Süden teilte, ging das alltägliche geschäftige Leben voran. Nur langsam bahnten sich seine Sänftenträger ihren Weg, was seine Finger zu ungeduldigem Zittern veranlasste. Er mochte es nicht, wenn das gleichmäßige, schwache Schaukeln der Sänfte ins Stocken geriet, weil es nicht vorwärts ging.
Zahllose andere Sänften schwankten in Richtung des Händlerviertels, wo sich die Verkaufsbuden aneinander reihten. Bereits hier auf der Hauptstraße roch er Gebratenes und fremdartige Gewürze, hörte das Geschrei der Händler und die Unterhaltungen der Menschen. Ab und zu bereitete es ihm Vergnügen, sich an den Reihen der Buden vorbeitragen zu lassen, und wenn er etwas Interessantes entdeckte – vielleicht eines dieser bunten Tongefäße aus Kreta, die alle Ägypter so sehr liebten –, stieg er sogar aus, um es genauer in Augenschein zu nehmen.
Auch heute gab es hier etwas, das seine Sinne fesselte. Diesmal jedoch würde er hinter den Vorhängen verborgen bleiben, es sich nur von weitem ansehen und geduldig auf die Stunde warten, da es ihm gehören würde. Der Gegenstand seiner Begierde befand sich etwa zwanzig Schritte voraus: eine hübsche junge Frau, die sich über einen Stand mit allerlei Tiegelchen und Pinselchen beugte. Diese Haremsmädchen, dachte er mit einer Spur von Verachtung, sie haben nur ihr Aussehen im Kopf. Ihr einziger Lebensinhalt schien daraus zu bestehen, wie sie ihrem Herrn und Gemahl, dem Pharao, gefallen konnten.
Er hatte das Mädchen, eines der zahllosen schönen Nebenfrauen des Gottherrschers, irgendwo auf dem riesigen Palastgelände schon einmal gesehen. Damals hatte ihr Anblick ihn noch nicht reizen können; hier im Händlerviertel, inmitten einer mehr oder weniger unsauberen Meute von Menschen, war das anders. Sie stach hervor wie ein polierter Edelstein auf dunklem Tuch. Er streckte sich aus, so gut es in der Sänfte ging, und wälzte sich auf die Seite, um es bequem zu haben und gleichzeitig das Mädchen beobachten zu können. Er spürte den warmen Körper seiner Begleiterin im Rücken, die neben ihm lag. Ihr Atem kitzelte seinen Nacken.
»Gefällt sie dir?«, flüsterte sie in sein Ohr. »Es ist die Dame Tji.«
Er grunzte zur Bestätigung, ohne sich umzuwenden. Natürlich gefiel ihm das Mädchen, und wie es hieß, war ihm egal. Sie war schlank, zierlich. Ihre schwarze Haarpracht wallte fast bis aufs Gesäß. Nicht verwunderlich, dass sie keine Perücke trug wie die meisten Frauen, die etwas auf sich hielten. Wer wollte schon eine so prächtige Mähne verstecken? Jetzt richtete sie sich auf; sie hatte ihren Kauf getätigt und sah sich um. Ein wenig wirkte sie verloren in der Menschenmenge; offenbar war sie zu Fuß unterwegs, nur von einem Haremswächter begleitet, der für ihre Sicherheit sorgen sollte. Sie schien den Wächter aus den Augen verloren zu haben, dabei stand der Mann nur ein paar Schritte entfernt und unterhielt sich mit einem syrischen Händler.
Er fühlte, wie seine Handflächen feucht wurden, als er ihre eingeschüchterte Miene sah. Diese Haremsmädchen gebärdeten sich in solchem Getümmel allesamt schreckhaft, da sie den Schutz und die weitläufige Geborgenheit der Mauern von Maru-Aton, des königlichen Harems, gewohnt waren. Jemand rempelte sie an; sie öffnete empört den Mund, fasste jedoch keinen Mut, sich zu beschweren. Sie schob sich an den Rand der Menge und ordnete ihre Haare und das leichte Gewand. Dann drückte sie den kleinen Packen mit ihrem Einkauf an sich und suchte mit den Augen den Wächter.
Ihre Augen waren groß und fein geschminkt, ihr Mund klein, fast ein wenig zu klein. Er fragte sich, wie ihre Zähne aussahen, ihre Zunge. Er spürte, wie er hart wurde. Wie würde es sein, wenn er allein mit ihr in ihrem Gemach war, wenn er auf sie zugehen würde, um sie zu nehmen? Sie würde sich in eine Zimmerecke drücken und dann verzweifelt an der Wand herabsinken, während er näher kam und nach ihr griff, um ihr Gewand abzustreifen. Er sah bereits ihr Gesicht vor seinem inneren Auge: bleich, voller Schweiß, mit einem weit geöffneten Mund, um einen Schrei auszustoßen. Er würde diesen hübschen Mund mit seiner Hand verschließen, und ihre Augen würden sich weiten unter der Anstrengung, weiterzuatmen. Tji, süße Tji, dachte er, ich freue mich auf dich.
»Ich wusste, dass sie dir gefällt«, flüsterte seine Begleiterin hinter ihm; er nahm sie kaum wahr.
Die junge Frau hatte endlich ihren Begleiter entdeckt und marschierte auf ihn zu. Jetzt schien ihre Angst verflogen und machte wieder der freudigen Aufregung Platz, sich in der Stadt unter vielen Menschen zu bewegen.
Er stellte sich vor, wie sie sich in ihr Schicksal ergab. Niemand konnte ihr zu Hilfe eilen: Sie war allein, vollkommen allein mit ihm. Er würde den Zeitpunkt gut gewählt und sich auf leichte Weise Zutritt zu ihrem Gemach verschafft haben. Alle diese Frauen fühlten sich so sicher in Maru-Aton, dass sie nachts ihre Türen zu den Gärten offen ließen, um einen Luftzug einzufangen. Wer würde es auch wagen, sich in des Pharaos Harem einzuschleichen? Die dortigen Wachtposten waren nachlässig, so wie dieser hier. Es würde keine Schwierigkeiten geben.
Der Gedanke, sich an einer Frau des Gottes der Welt, des Sohnes der Sonne, zu vergreifen, bereitete ihm kaum Unbehagen. Gewiss, Pharao war ein Gott, aber er hatte seine Augen nicht überall.
Nun verschwand das Mädchen aus seinem Blickfeld. Irgendwo dort vorne war sie, wo das Gedränge so dicht war, dass man fast nichts anderes tun konnte, als sich mit dem Strom treiben zu lassen. Nun ja, bald würde er sie wieder sehen, noch heute Nacht … Er lehnte sich schwer atmend zurück.
»Vergiss nicht, um was es dabei geht«, murmelte seine Begleiterin. Er sah, wie sie in ihren kleinen Binsenkorb zwischen ihren Schenkeln griff. Als sie sie wieder herauszog, hielt sie eine Schlange in der Hand.
»Ich vergesse es schon nicht«, brummte er.
»Das Mädchen ist das Opfer für Seth. Ich selbst habe sie ausgewählt.«
Ihr Schoßtier war eine Aspisviper, aber so genau wusste er das nicht. Unwillkürlich beeindruckt beobachtete er den Schlangenkörper, der sich in ihrem Griff wand, sich um ihren Arm schlang und plötzlich erstarrte, als hätte er den Kampf gegen seine Herrin aufgegeben. Sie kicherte und hob die Schlange an ihr Gesicht. Eine gespaltene Zunge schoss vor und tastete bedächtig über ihre Haut.
»Der Gott will nur ihren Ka. Ihre Seele wird seinen eigenen Ka stärken«, sagte sie und streckte den Arm aus. Die Viper glitt herunter. »Das Andere ist dein persönliches Vergnügen.«
Misstrauisch beobachtete er, wie das Tier zurück in den Korb kroch. Er verstand nichts von Schlangen und nahm daher an, dass dieses kleine Schoßtier ungefährlich war. Jedenfalls hatte es seine Herrin bisher nie gebissen. Nun, er würde nichts falsch machen. Seth, der im Dunkeln lauernde, entmachtete rote Gott der Wüste, der Widersacher der Sonne, würde zufrieden sein.
Du erscheinst voller Schönheit am östlichen Horizont des Himmels, o lebender Aton, Ursprung allen Lebens.
Du erstrahlst und füllst alles Land mit deiner Schönheit.
Du bist herrlich anzuschauen, groß, strahlend und hoch über allem Land; und deine Strahlen erreichen die Länder bis zur Grenze all dessen, was du geschaffen hast.
Du bist die Sonne, du erreichst die Grenzen der Länder und schenkst sie deinem geliebten Sohn.
Aus dem Aton-Hymnus des Echnaton
»Willkommen in der Stadt der Sonne und der Freude, wo die Strahlen des Sonnengottes Aton alles Leben wärmen! Willkommen in der Stadt des Horizonts, wo alles für Aton lebt und ihm gehört. Willkommen im gesegnetsten und glücklichsten Ort auf Erden: Achet-Aton!«
Die Frau hinter Hory antwortete auf diese Begrüßungsworte mit fröhlichem Lachen und hob ihren Säugling hoch, damit er über die Köpfe der Neuankömmlinge hinweg die gesegnete Stadt bewundern konnte. Der Schreiber, der am Kai stand und das Schiff willkommen geheißen hatte, hielt noch immer die Arme erhoben; seine Zehen schwebten über dem unruhigen Wasser des Nils, und seine Miene war verzückt. Hory hatte den Eindruck, als wolle er die Sonne und den ganzen Himmel anbeten. Dann verlor er den Mann aus den Augen, denn die Leute drängten zur Laufplanke, um endlich den heiligen Ort zu betreten.
Die Frau mit dem Kind versetzte ihm einen Rippenstoß, als sie an ihm vorbeidrängelte, um als eine der ersten auf die Laufplanke zu kommen. Er schulterte seinen Leinenbeutel. Darin befanden sich neben einer billigen Perücke und dem einzigen Sandalenpaar nur sein Arzneienkasten, in dem er ein paar medizinische Papyrusrollen aufbewahrte, dazu die Kupferstücke im Wert von zwanzig Schati, die ihm noch geblieben waren. Sein kostbarster Besitz waren die beiden bronzenen Armreife, die er oberhalb der Ellbogen trug und ihn als Arzt auswiesen. Respekt verschafften sie ihm jedoch nicht, und er musste aufpassen, nicht von der Meute in den Fluss geschoben zu werden, sobald er seinen Fuß auf die Planke gesetzt hatte.
Am Kai ließen sich einige sofort nieder, um den Boden zu küssen, und die hinteren zeterten, weil es nicht weiterging. Die Frau mit dem Säugling stolperte fast über die knienden Männer, und Hory beeilte sich, von der Planke zu kommen. Hier waren die Pflastersteine sauber gefegt; es gab keinen Unrat, wie es in den Häfen üblich war, die er auf seiner Reise kennengelernt hatte. Und es fehlte der Gestank nach Urin und billigem Bier, ebenso die Flüche. Die Hafenarbeiter verrichteten ihre Tätigkeiten schweigend. Er löste sich aus dem Pulk und trat zu einem der dutzend Binsentische, hinter denen Schreiber saßen und die Namen der Anreisenden aufzeichneten.
»Ich bin Hory«, erklärte er.
»Warum bist du hier, und wie lange willst du bleiben?«, fragte der Schreiber und tauchte seinen Binsengriffel in die schwarze Tinte. Anders als jener, der die begeisterten Begrüßungsworte ausgerufen hatte, machte er einen teilnahmslosen Eindruck.
»Nun ja, für immer, hoffe ich.«
Nun blickte der Schreiber auf. Für einen Mann, der den ganzen Tag am Hafen hockte, wirkte er frisch. Seine Perücke lag in tadellosen Locken, der Schurz in ebenso tadellosen Falten. »Jeder will nach Achet-Aton, um sein Glück zu machen«, sagte er, während er Hory mit jenem überheblichen Blick bedachte, dem er während seiner Reise fortwährend ausgesetzt war. Hory war recht jung für einen Arzt, und er besaß blonde Haare, wie sie hin und wieder bei Bewohnern des Deltas vorkamen. »Aber nicht jeder darf sich hier ansiedeln, das weißt du hoffentlich. Du kommst aus dem Delta, wie unschwer zu sehen und zu hören ist?«
Hory setzte seinen Beutel vor der Nase des Schreibers ab und kramte eine kleine Schriftrolle hervor. Sein Delta-Akzent war schwach, aber nicht auszumerzen. »Ich bin Arzt und habe hier ein Empfehlungsschreiben meines Lehrherrn, der der Leibarzt des Gaufürsten von Chenti-iabeti ist. Der Gaufürst selbst hat das Zeugnis gesiegelt. Ich suche Arbeit.«
Der Mann studierte flüchtig das Schreiben und das Siegel. »Ich habe an deinen Armreifen schon gesehen, dass du Arzt bist. Wie alt bist du überhaupt? Und aus welchem Winkel des Gaus kommst du?«
Hory bemühte sich, seinen aufkommenden Ärger zu verbergen. »Ich bin zwanzig Jahre alt, aber in Auaris habe ich schon …«
Der Schreiber winkte ab und gab ihm das Schriftstück zurück. »Nein, nein, verschone mich mit deiner Geschichte. Du bist ganz zweifellos ein begabter Schüler und hast, wie auch immer, die Aufmerksamkeit des Gauherrn erregt, der in seiner Weinseligkeit dieses Schreiben unterzeichnete. Und nun? Erwartest du, dass der Pharao höchstpersönlich nach dir schickt, um dir seine göttliche Gesundheit anzuvertrauen? In der Stadt gibt es Hunderte von Ärzten; niemand wartet auf einen Bengel aus … aus … Woher, sagtest du, kommst du?«
»Aus Auaris.«
»Aus Auaris«, wiederholte der Schreiber und starrte ihn an. Während er gesprochen hatte, war seine Hand über eine Tonscherbe geflogen, um Horys Namen aufzuschreiben. Jetzt waren seine Hände erstarrt. »Auaris … die Heimat des falschen Gottes. Die Stadt des Seth, des Widersachers der Sonne. Und du, einer aus Auaris, kommst hierher!«
Die Stadt des Seth – Hory schüttelte in Gedanken den Kopf. Auaris besaß einen großen Tempel, der Seth, dem Gott der Wüste, geweiht war. Früher war das Heiligtum bedeutend gewesen, doch seit Aton, die Sonnenscheibe, die anderen Götter verdrängt hatte, gab es dort nichts mehr, weder Priester noch Kultgegenstände.
»Ich bin in einem Dorf, das zu Auaris gehört, geboren und aufgewachsen, aber ich …«, begann er, und erneut fiel ihm der Mann ins Wort.
»Halt den Mund.« Der Schreiber strich sich nachdenklich über das sorgfältig rasierte Kinn, als überlege er, ob er es verantworten könne, den Neuankömmling in die heilige Stadt zu lassen. »Rede nur weiter, wenn ich dich frage. Zeig mir deine Sachen.«
Wütend presste Hory die Lippen zusammen und schob seinen Beutel über den Tisch. Der Schreiber griff hinein und befingerte den armseligen Inhalt, doch plötzlich stieß er einen Schrei aus und hielt eine Halskette hoch, an der ein kleiner Anhänger hing.
»Was haben wir denn hier?« Seine Stimme überschlug sich im Bemühen, die Aufmerksamkeit der anderen Schreiber auf sich zu ziehen. »Ein Seth–Tier!« Er schwenkte den Anhänger vor Horys Gesicht. »Das Amulett des falschen Gottes! Bist du wirklich so dumm, dass du nicht weißt, dass man so etwas nicht tragen darf?«
»Ich weiß es durchaus«, erwiderte Hory ruhig, aber innerlich schalt er sich für seinen Leichtsinn. Er hatte dieses Amulett völlig vergessen. Es war ein Geschenk seines Vaters gewesen, vor vielen Jahren, als die Verehrung Seths noch erlaubt gewesen war. An jenem Tag war er fünf Jahre alt geworden und hatte erfolgreich seine ersten Schreibübungen gemacht. Seitdem trug er es stets; nur während seiner Schiffsreise hatte er es abgelegt, da ihm nicht entgangen war, wie sehr er damit abschätzige Blicke auf sich zog.
»Es ist ein Erinnerungsstück«, sagte er. »Nichts weiter. Ich verehre Seth nicht.«
Der Schreiber schien ihm nicht zuzuhören; er betrachtete ausgiebig und mit sichtlichem Abscheu den einfach gearbeiteten Bronzeanhänger und schob ihn schließlich in eine Falte seines Gewandes.
»Ich sollte dich aufs nächstbeste Schiff zurückschicken. Viele der Reisenden haben Amulette bei sich, die hier nicht gern gesehen werden, jedoch bist du der erste, der so etwas mit sich trägt. Aber du hast mich an einem guten und großzügigen Tag erwischt. Nun ja, jeder Tag in Achet-Aton ist ein guter Tag. Also hör zu, du begnadeter Arzt: Du darfst dich zehn Tage lang in Achet-Aton aufhalten. Das kostet dich zwei Silberschati. Sieh zu, dass du nicht unangenehm auffällst … Solltest du es während dieser Zeit bis zum Schlafzimmer des Einen schaffen und seinen königlichen Schnupfen behandeln, während er dir die Sorgen des Reiches anvertraut«, er lachte über seine geistreiche Bemerkung, »nun, dann darfst du meine Anordnung getrost vergessen. Und jetzt darfst du gehen und irgendwo den Schweiß von der Reise abwaschen. Sauberkeit ist gefragt in Achet-Aton.«
Hory bezahlte den geforderten Preis, der in dieser unverschämten Höhe vielleicht nur für ihn galt, raffte seine Sachen zusammen und trottete davon. Es hatte keinen Sinn, das Amulett zurückzufordern; er würde es als eine Art Bezahlung für seine Anwesenheit in Achet-Aton betrachten müssen. Schließlich war er endlich am Ziel: der Stadt des Lichts, dem aufregendsten, betörendsten, schönsten Ort der Welt. Hier wartete seine Bestimmung, die er sich bereits tausendmal in den glühendsten Farben ausgemalt hatte. Was kümmerten ihn die Götter, ob Seth oder Aton? Echnaton hatte die falschen Götter entlarvt und verkündet, dass es nur einen einzigen gab, nämlich seinen Vater, die Sonne. Nun, er musste es wissen, schließlich war er der Pharao, der Sohn der Sonne, selbst der Gott auf Erden, der Mittler zwischen Erde und Himmel. Wer imstande war, innerhalb einer Handvoll Jahre diese prächtige Stadt aus dem Nichts zu schaffen, musste wahrhaftig der allmächtigste und klügste Pharao sein, der die Zwei Länder je beherrscht hatte!
Breite Straßen führten vom Hafen weg ins Innere der Stadt. Die breiteste war eine Prachtstraße, wie es sie vermutlich nicht einmal in Theben gab, von herrschaftlichen Häusern gesäumt. Alles war gepflegt und ordentlich, selbst jetzt, da die Zeit des heißen, sandigen Südwindes ihrem Ende entgegenging. Er fühlte sich ein wenig fehl am Platz, mit seinem rissigen Schurz und den staubigen Haaren. Sobald eine goldbeschlagene Sänfte seinen Weg kreuzte, wich er aus und musterte die Linien adliger Damen hinter hauchzarten Vorhängen aus sicherer Entfernung. Wie sollte er jetzt vorgehen? Dummerweise waren die Worte des Schreibers so falsch nicht gewesen. Alles, was er vorweisen konnte, war sein Empfehlungsschreiben, von dem er nicht wusste, wem er es zeigen konnte.
Weiter voraus herrschte ausgelassener Trubel wie auf einem Volksfest. Die Prachtstraße verlief unter einer überdachten Brücke hindurch. Fahnenmasten, an denen blau-goldene Flaggen mit der Namenskartusche Echnatons flatterten, säumten eine niedrige Brüstung. Die Neugier trieb Hory näher, denn er sah Leute auf der Brücke stehen und herunterwinken.
»Das ist nicht wahr«, raunte er; ihm stockte der Atem, als er das rotweiße Gebilde auf dem Kopf eines der Männer sah. »Das ist … die Doppelkrone!«
Jemand in seiner Nähe lachte. »Da ist wohl wieder ein unwissender Neuer angekommen, wie? Das da oben ist in der Tat der Pharao.«
Hory blieb stehen und wandte sich dem Fremden zu, einem älteren Mann, der überhaupt nicht beeindruckt schien. »Ist es so selbstverständlich, ihn zu sehen?«
Der Alte stützte sich auf seinen Stock. »Ihn und die Königsfamilie. Ihre Sänften kann man überall antreffen.«
Unterhalb der Brücke herrschte dichtes Gedränge. Eine riesige Menschenmenge hatte sich versammelt, winkte und jubelte dem Pharao zu. Viele schwangen Palmwedel und versuchten, Blüten hinaufzuwerfen. Echnaton seinerseits warf mit huldvollen Gesten kleine Geschenke in die Menge. Die Menschen gebärdeten sich wie toll; sie warfen sich auf den Boden und schnappten nach allem, was die göttlichen Hände des Herrschers berührt hatten.
»Was wirft er da herunter?«, fragte Hory.
»Das Ehrengold.« In der Miene seines zufälligen Begleiters lag Abfälligkeit. »In den alten Zeiten war die Verleihung des Ehrengoldes eine achtbare Angelegenheit. Heute balgen sich die Würdenträger darum wie Kinder um Honigkuchen.«
Hory hatte noch nie einen königlichen Würdenträger, geschweige denn ein Mitglied des Herrscherhauses aus solcher Nähe gesehen. Echnaton schien sich über seine Hofbeamten zu erheitern, die auf den Knien nach dem Ehrengold schnappten. Es war in der Tat ein Anblick, der ihn fassungslos machte.
»Wie es scheint«, erwiderte er, »haben alle ihren Spaß daran, nur du nicht.«
Der Alte seufzte, und nun galt sein verächtlicher Blick ihm. »Achet-Aton ist ein funkelnder Edelstein, der die Sinne verwirrt. Die Menschen strömen hierher – so wie du –, weil sie glauben, hier ihre Lebensfreude zu finden. Aber alles ist Blendwerk.«
»Blendwerk?« Hory breitete die Arme aus. »Allein diese Straße mit ihren Prachtbauten ist eine Reise wert!«
Der Mann setzte schwungvoll seinen Stock auf das Pflaster und schritt aus. »O ja, das stimmt allerdings. Das Gebäude zu deiner Linken ist der Große Aton-Tempel, neben den Pyramiden bei Memphis das größte Bauwerk der Welt. Er heißt Das Haus des Aton in Achet-Aton. Eigentlich ist unser Herrscher ein recht fantasievoller Mensch, aber die Namen, die er seinen Bauwerken gegeben hat, sind allesamt nicht sehr einfallsreich.« Da Hory ohnehin in diese Richtung wollte, blieb er an der Seite des Mannes, denn er hoffte auf ein paar Hinweise, die ihm weiterhalfen. »Das Haus dahinter ist das Haus der Freude des Aton, der Königspalast«, fuhr der Fremde fort, mit einer trockenen und spöttischen Stimme. »Im Volksmund nennt man es jedoch das Freudenhaus des Aton. Ich habe gesehen, was man dir am Hafen genommen hat: dein Amulett. Geh zu Hathors Hörnern, dort findest du alle möglichen verbotenen Sachen.«
»Hathors Hörner? Wovon redest du?«, rief Hory, aber der alte Mann marschierte geradewegs unter der Brücke hindurch, und hier war die Menge so dicht, dass er ihm nicht mehr folgen konnte.
Er blickte zur königlichen Familie hinauf. Hinter Echnaton standen Frauen, von ihrem Schmuck schier niedergedrückt, und warteten scheinbar gelangweilt. Hory sah die Große Königliche Gemahlin Nofretete, die Königin der Sonne, und schob sich näher, um das berühmte Gesicht, das angeblich schönste ganz Ägyptens, besser in Augenschein zu nehmen. Er musste sich vergegenwärtigen, dass er wirklich und wahrhaftig diesen gottgleichen Wesen nah war – es erschien ihm immer noch unbegreiflich.
Jetzt stand er unterhalb der Brücke. Unmittelbar über ihm blickte ein Mädchen auf ihn herab. Sie war schmal, hübsch und noch sehr jung, dreizehn Jahre vielleicht. Ihre Perücke schien schwer auf den schmalen Schultern zu ruhen. Sie hatte eine Hand auf dem Geländer, die andere auf dem Arm einer Dienerin. Ihr Mund stand offen, als habe sie Mühe, Atem zu holen. Sie löste sich schwerfällig vom Geländer und umfasste ihren prallen, vorstehenden Bauch. Hory nahm an, dass ihre Schwangerschaft dem Ende entgegenging, obwohl sich das bei diesem jungen Mädchen nicht sicher sagen ließ. Er vermutete, dass sie eine Tochter des Königs war.
Wie hatte es dazu kommen können, dass ein so junges Mädchen geschwängert worden war? Die Prinzessinnen hatten doch sicherlich Hunderte von Dienerinnen um sich, die sie nicht aus den Augen ließen. Hory fragte sich, ob sie die Geburt überleben würde. Sie war zu zierlich, und in ihren großen Augen lag Furcht.
Echnatons schrilles Lachen entriss ihn diesen Überlegungen. Etwas Schweres klatschte gegen sein Knie und fiel zu Boden. Hory blinzelte überrascht. Eine Kette aus goldenen Ringen lag zu seinen Füßen. Er hob den Kopf und sah ein paar Schritte entfernt einen Hofbeamten mit schiefsitzender Perücke und hochrotem Gesicht, um dessen Hals bereits mehrere Goldketten hingen. Offenbar hatte Echnaton in seinem großzügigen Überschwang nicht richtig gezielt. Der Hofbeamte machte einen Schritt auf Hory zu und streckte die Hand aus. Echnaton kicherte vergnügt, die Umstehenden lachten. Hory hob die Kette auf.
Ich könnte das Gold besser gebrauchen, dachte er. Die gierigen Blicke des Würdenträgers ärgerten ihn, und er warf die Kette zurück auf die Brücke. Sie streifte die Schulter eines jungen Mannes und landete in den Händen einer Prinzessin.
Für einen Augenblick wurde es still in der Menge. Der Mann – ein jüngeres Ebenbild des Königs – und der Hofbeamte machten empörte Gesichter. Echnaton jedoch lachte nur, und auch die Prinzessin schien über den Zwischenfall eher erfreut zu sein.
Sie war offenbar die älteste der Schwestern, nicht älter als siebzehn oder achtzehn, und das schönste Geschöpf, das Hory je gesehen hatte. Sie beugte sich über die Brüstung. Für einen Moment glaubte er, sie wolle ihm das Gold geben, aber stattdessen reichte sie es dem Mann, für den es gedacht war.
Hory wollte unter der Brücke hindurchgehen, da sah er, wie oben der jüngere Mann jemanden herbeiwinkte. Einen Soldaten, der mit erhobenem Speer auf Hory zueilte. Hory wollte der Waffe ausweichen, aber er rechnete nicht damit, dass der Soldat ihn über dem Kopf schwang, um den Schaft in seine Kniekehlen zu stoßen. Hart fiel er auf die Knie.
»Eine solche Unverschämtheit will ich nicht dulden«, ertönte eine Stimme von oben herab. Sie gehörte dem jüngeren Mann. Auf den Knien kauernd blickte Hory hinauf. Die Prinzessin legte eine Hand auf die Schulter des Mannes und redete auf ihn ein. Wollte sie ihn beschwichtigen? Er schüttelte jedoch nur wütend den Kopf und rüttelte den Pharao an der Schulter. Hory spürte, wie kalter Schweiß zwischen seine Schulterblätter hinabrann, und mühsam unterdrückte er den Drang, aufzuspringen und wegzulaufen.
Echnaton neigte sich über die Brüstung. »Er scheint nur ein Herumtreiber zu sein. Aton ist gnädig; er soll verschwinden.«
Dem guten Gott Aton sei Dank! Hory beeilte sich, weiterzukommen.
Er hatte es wohl eher Echnatons Gleichgültigkeit zu verdanken, dass er ungeschoren davonkam, weniger seiner Gnade. Dass er der königlichen Familie unangenehm aufgefallen war, schien ihm ein denkbar ungünstiger Anfang in seiner neuen Stadt zu sein. Als er unter der Brücke hindurch war, warf er einen Blick zurück. Alle standen noch auf der anderen Seite, nur jene Prinzessin war zurückgetreten, um ihm nachzublicken. Sie schien zu lächeln.
Er fand sich in einer Straße wieder, in der die Häuserwände mit Verkaufsbuden gesäumt waren. Hier starrten hochwohlgeborene Damen aus der Höhe ihrer Sänften herab und schickten ihre Diener vor, um dieses oder jenes genauer in Augenschein zu nehmen. Hory staunte mehr über die Pracht der vergoldeten Sänften und die feinen Stickereien auf den Baldachinen und Sonnenschirmen als über die Vielfalt der Waren. Er stellte sich vor, wie er selbst in einer solchen Sänfte hockte und über das einzige Problem nachsann, das ihn in seiner Stellung als erfolgreicher Arzt drückte, nämlich wie es ihm gelang, seinen Bauch flach zu halten. Allerdings schienen sich die männlichen Adligen darüber keine Gedanken zu machen, denn sie ließen ihre Bäuche fast stolz über den flatterhaften Stoffen hängen. Es war offenbar üblich, die Hüfttücher im Rücken hoch zu tragen, vorne jedoch tief, unterhalb des Bauches geknotet, mit Hilfe bunter, goldbestickter Bänder, die auf den Schenkeln auflagen und beim Gehen hin- und herschaukelten. Hory bewunderte die Pracht des Schmuckes: Da gab es Arm- und Fußreife in allen erdenklichen Formen, Halskragen, so breit, dass die Schultern darunter verschwanden, dazu schwere Ohrgehänge und Perücken. Die Damen trugen weite, durchscheinende Kleider, die ihre sinnlichen Körper mehr betonten als verbargen. Sie öffneten ihre Sänftenvorhänge und betrachteten neugierig den blonden jungen Arzt.
Hory wusste nicht, ob ihn die Blicke freuen oder ärgern sollten. Allmählich war es an der Zeit, sich Gedanken über die Art und Weise zu machen, wie er seinen Lebensunterhalt bestreiten sollte. Er fragte sich durch und fand sich bald auf einem Marktplatz wieder, wo tausend Dinge angeboten wurden, solche, die er kannte, und solche, die ihm völlig fremd waren. Der Geruch von gebratenem Geflügel und Rindfleisch machte ihn hungrig. Die Händler hatten ihre Stände scheinbar wahllos auf dem ausgedehnten Platz verstreut, oder sie hockten vor ausgebreiteten Tüchern, auf denen Töpferwaren lagen, Beutel mit Gewürzen, flache Brotfladen, Stoffballen, Käfige mit Tauben und Enten. Er wanderte umher und entdeckte einen Mann, der unter einem Sonnensegel saß, neben sich einen Tisch, auf dem allerlei Arzneibeutel und bronzene Instrumente lagen. Eine ältere Frau saß vor ihm auf einem Klapphocker und hielt ergeben still, während der Mann ihr linkes Auge säuberte.
Hory wartete in angemessener Entfernung. Die Frau quälte sich offenbar mit einem Gerstenkorn. Vorsichtig betastete sie die dicke Salbenschicht, die der Arzt aufgetragen hatte, und nickte zu den Ratschlägen, die er ihr auftrug. Sie bezahlte mit einem Hen Getreide und verschwand in der Menge, und sofort sprach ein Mann den Arzt an und zeigte seine rechte Hand.
Hory trat näher. »Sei gegrüßt. Du bist ein vielbeschäftigter Mann, nicht wahr? Ich suche eine Anstellung.«
»Bei mir?« Der Arzt, der unverwandt die Handverletzung seines neuen Patienten betrachtet hatte, hob den Kopf. Er musterte Horys Armreife. »Du bist doch selbst Arzt, warum willst du mein Gehilfe werden?«
Hory sah zu, wie er feuchte Salbeiblätter auf den Mittelfinger des Mannes legte. Offenbar hatte ein scharfer Gegenstand das Fleisch verletzt, das nun dick geschwollen war und eiterte. Er musste nicht überlegen, um zu dem Schluss zu kommen, dass die Behandlung, die der Arzt dem Fremden zukommen ließ, unangebracht war. Wenn eine Wunde eiterte, so bedeutete dies, dass sie verschmutzt war, selbst wenn sie sauber wirkte, wie diese hier. Außerdem beging der Arzt einen zweiten Fehler, denn er wickelte den Leinenstreifen zu fest um den Finger.
»Ich besitze nur wenige Arzneien«, erklärte Hory. »Und ich habe weder Papyrus noch Tinte, um Zaubersprüche aufzuschreiben. Deshalb kann ich mich nicht selbst hierher setzen.«
»Hm«, machte der Arzt. »Ich könnte wirklich jemanden gebrauchen, der mir meine Arzneien besorgt und zubereitet. Ich hatte vor kurzem einen Gehilfen, aber der war ausgesprochen dumm.«
Hory nickte. Der Gedanke, sich als Laufbursche für diesen Mann zu betätigen, war kein schöner. Aber vielleicht hatte er in drei oder vier Monaten genug verdient, um sich die wichtigsten Arzneien und Instrumente kaufen zu können, und dann konnte er sich irgendwo an den Straßenrand setzen, so wie dieser Arzt hier. Und in einem Jahr besaß er möglicherweise genug, um sich ein Haus zu mieten, wo er die Leute empfangen konnte. Niemand hatte ihm gesagt, dass der Weg, den er eingeschlagen hatte, ein leichter war.
»Ich glaube, mein Finger schmerzt noch schlimmer«, klagte der Mann und streckte hilflos die Hand hoch.
»Das vergeht«, brummte der Arzt.
»Du solltest die Wunde säubern«, warf Hory ein. Er hatte den Mund halten wollen, aber die Miene des Mannes war allzu kläglich.
»Sie ist sauber!«
»Sie könnte …«
»Ich glaube, ich will dich doch nicht haben. Ich brauche jemanden, der meine Anordnungen widerspruchslos ausführt, und so einer scheinst du mir nicht zu sein. Also mach, dass du weiterkommst.«
Hory machte auf der Ferse kehrt. Er bedauerte es nicht, fortgeschickt zu werden, aber das änderte nichts an seinem leeren Beutel und seinem leeren Magen. Mit seinen paar armseligen Kupferschati konnte er bestenfalls ein gefülltes Fladenbrot und eine Schlafgelegenheit in einer Schenke bezahlen.
»Warte«, rief jemand hinter ihm. Er drehte sich um. Es war der Mann mit der Handverletzung. Der muskulösen, untersetzten Statur nach war es ein Frachtschiffer. Der Mann hielt die rechte Hand an die Brust gedrückt. »Ich hab mich vor drei Tagen verletzt. Wir brachten Granitsteine aus Swenet, die als Opfertische im Gem-pa-Aton aufgestellt werden sollen …«
»Schon gut. Ich kann deine Wunde säubern, aber dazu brauche ich sauberes Wasser.«
Der Mann deutete auf einen Brunnen am Rand des Platzes. Hory nickte ihm zu, und sie ließen sich davor nieder. Der Brunnen besaß eine viereckige Sandsteineinfassung, neben der eine Sitzfigur des Pharao stand. Die länglichen Züge Echnatons waren seltsam verzerrt, als betrachte man sie durch einen Glassplitter.
Der Schiffer kniete vor der Statue und küsste ihre Zehen, dann streckte er die Hand vor. Hory wickelte den Leinenstreifen ab und legte ihn sorgsam auf die saubere Steineinfassung. Er hatte kein Leinen und würde ihn wieder benutzen müssen. Die Wunde sah zwar sauber aus, doch ob sie es war, würde er erst sehen, wenn der Eiter entfernt war. Er riss ein Stück des Leinenstreifens ab, tauchte es ins Wasser und benetzte die Wunde. Gleichzeitig begann er den Eiter herauszudrücken. Der Mann stöhnte leise, rührte sich jedoch nicht. Immer wieder drückte Hory die Wunde zusammen, bis es ihm gelang, ein Sandkörnchen herauszuschwemmen.
»Das war alles«, sagte er achselzuckend. »Leider habe ich keine Salbe, aber es genügt schon, wenn du die Wunde sauber hältst. Du musst …«
Hinter ihm lachte eine helle Stimme. Hory fuhr herum.
Eine junge Frau blickte auf ihn herab, aus der Höhe einer Sänfte, von zehn ölglänzenden Nubiern getragen. Sie hatte den Vorhang zurückgeschoben und offenbarte einen schlanken, auf den Kissen lagernden Körper. Es war niemand anderes als jene Prinzessin von der Brücke, die die Goldkette aufgefangen hatte.
»Du bist respektlos«, sagte sie und strich mit flüssiger Bewegung die Haare ihrer Perücke über die Schulter. »Dieser Brunnen ist meinem Vater geweiht. Man nähert sich ihm in ehrfürchtigem Gebet. Denn zu Aton kannst du nicht beten, da du nur ein Mensch bist.«
Hory wusste durchaus, dass der Pharao göttlich war, aber der Gedanke, zu diesem weibisch lächelnden, stark geschminkten Mann mit dem seltsam geformten Körper zu beten, den er auf der Brücke gesehen hatte, war ihm fremd.
»Und geh auf die Knie, wenn Merit-Aton, die Tochter des Gottes, dich anspricht.« Sie deutete mit ihrem Handfächer zu Boden. »Du kommst aus dem Delta, man sieht es dir an. Nun, das mag dein Unwissen erklären.«
Notgedrungen kniete er auf der Straße, unmittelbar vor der Sänfte. Der Schiffer hatte sich längst der Länge nach hingeworfen. Die nubischen Träger in ihren golddurchwirkten Schurzen und die jeweils zwei Palastsoldaten vor und hinter der Sänfte starrten teilnahmslos geradeaus, als sei es völlig selbstverständlich, dass eine Tochter des Gottes einen heruntergekommenen Arzt, noch dazu einen aus dem Delta, ansprach. Die Prinzessin ließ einen nackten Fuß herunterbaumeln und berührte mit den Zehen seinen Kopf.
»Als ich vorhin die Treppe vom Erscheinungsfenster herunterstieg, knickte ich mit dem Fuß um. Der Knöchel schmerzt.« Da er nicht sofort antwortete, fügte sie ungeduldig hinzu: »Die Brücke, weißt du nicht mehr? Du warst es, der den Pharao mit Gold beworfen hat! Wie heißt du eigentlich?«
Er streckte den Rücken und umfasste behutsam den königlichen Fuß. Dabei konnte er nicht umhin, sie zu betrachten. Sie war wahrhaftig das schönste Geschöpf unter der Sonne, die Königin Nofretete vielleicht ausgenommen. Die schwarze Perücke, die fast breiter als ihre Schultern war, umrahmte ein fein geschnittenes Gesicht. Der Mund war voll und glänzend, die Augen gerade, aber der Rahmen des Kohelstriches geschickt gemalt, sodass sie schräg wirkten.
»Hory«, brachte er endlich heraus.
»Hm, Hory«, erwiderte sie, »das ist ein bescheidener Name. Was ist mit meinem Fuß?«
Der Fuß war nicht geschwollen; er drehte ihn im Gelenk, was ihr keine Schmerzen zu bereiten schien. »Er ist völlig in Ordnung. Abgesehen von dieser hässlichen Warze an deiner Ferse.«
»Was?« Hastig zog sie den Fuß an und mühte sich, die Sohle nach oben zu drehen. Die Kissen gerieten in Bewegung. »Tatsächlich! Beket, sieh dir das an, so ein hässliches Ding! Ich muss sofort mit meiner Fußpflegerin reden. Das ist ja furchtbar!«
Nun erst bemerkte Hory die schmale Gestalt gegenüber der Prinzessin, die sich in den Kissen aufsetzte: ein elf, höchstens zwölfjähriges Mädchen, das noch den kahlen Kopf und die Kindheitslocke trug, aber nicht weniger königlich geschmückt war. Sie betrachtete Hory mit unverhohlener Neugier.
»Kennst du einen geeigneten Zauberspruch, Hory?«, fragte Merit-Aton. »Ich werde ihn dir gut bezahlen.«
Er kannte sehr viele, aber abgesehen davon, dass er sich mit einem Spruch an einen der alten Götter nur ihren Unwillen einhandeln würde, war er von der Wirkung ohnehin nicht sehr überzeugt. »Ein Brei aus Krokodilsgalle, Terpentin und Brot ist besser.«
»Das hört sich abscheulich an!«
»Du sollst ihn ja auch nicht essen, sondern auf die Warze auftragen.«
Nun lachte sie wieder, aber diesmal durchaus freundlich. »Na gut, dann besorge dein Wundermittel und bring es heute Abend in den Harem Maru-Aton. Ich werde dem Türhüter sagen, dass er dich einlassen soll. Aber tu mir einen Gefallen«, sie neigte sich vor, sodass die Zöpfe ihrer Perücke langsam nach vorne rutschten und die zarten Ansätze ihrer Brüste streichelten. In ihrer Üppigkeit ließ die Perücke nur erahnen, dass Merit-Atons Kopf ebenfalls über diesen eigenartigen hohen Schädel verfügte, wie er ihn bereits bei dem Königspaar und den jungen Töchtern gesehen hatte. »Zieh dir einen anständigen Schurz an.«
Sie rief einen Befehl, und die Sänftenträger setzten sich in Bewegung.
»Schreibst du mir auch keinen Zauberspruch auf?« Der Schiffer richtete sich auf. Hory kam auf die Füße und klopfte ein wenig Sand von seinen Knien.
»Womit könntest du mich denn bezahlen?«, fragte er stattdessen.
Der Schiffer deutete mit dem Daumen über die Schulter, wo der Arzt mit gefällig auf dem Bauch gefalteten Händen dasaß und der davonschwebenden königlichen Sänfte nachblickte. Er lächelte versonnen, aber überrascht schien er nicht zu sein. Hory erinnerte sich an die Worte des Alten, der behauptet hatte, man könne jederzeit auf königliche Sänften treffen.
Aber dass es so schnell geschehen kann, dachte er, hätte ich mir nicht träumen lassen.
»Ich hab doch dem da schon alles gegeben, was ich hatte«, klagte der Schiffer.
»Glaub mir, du brauchst keinen Spruch.« Hory schulterte seinen Beutel. Merit-Aton, dachte er versonnen, doch jäh stockte der Gedanke, als hätte ihn jemand mit einer Klinge von seinem Herzen getrennt. Seine Nackenhärchen richteten sich auf. Er spürte einen Blick im Rücken, brennend, abschätzig – bösartig. Abrupt wandte er sich zu der Sänfte um, aber er sah nur noch zwei Finger, die den Vorhang schlossen.
Atons Glanz stand in sauberen Zeichen über dem Eingang der Schenke. Eine Tür gab es nicht. Der festgetretene Lehmboden war sauber gefegt, auf den gemauerten Tischen gab es weder Fettspritzer noch Bierflecken. Der Wirt hantierte mit einem Strohbesen und musterte den Neuankömmling nur flüchtig. So kurz vor Sonnenuntergang tranken die Leute für gewöhnlich nur ein Bier. Hory legte seinen Packen auf dem Boden ab und fragte nach einer Unterkunft.
»Du siehst nicht aus, als könntest du einen Schlafplatz bezahlen«, war die brummige Antwort.
»Eben deshalb würde ich ja eine billigere Schenke vorziehen, mit brüchigen Ziegelmauern und schmierigem Boden, aber so etwas scheint es in dieser Stadt nicht zu geben.«
Der Wirt streckte den Rücken und stützte sich auf den Besen. »Im Delta gibt es nur stinkige Bierhäuser, was? Hast wohl Heimweh? Eine Kammer kostet vier Hen Gerste für die Nacht. Oder zwei Schati in Kupfer.«
Hory seufzte. Dies war die dritte Schenke, die er betrat. Er hatte angenommen, hier im Viertel der Händler sei das Leben billiger, aber er hatte sich getäuscht. Eine saubere Schlafmatte in einem Haus würde er sich auf diese Weise nur ein paar Tage leisten können. Ein Teil seines Kupfers hatte er für jene Beimischungen eingetauscht, die er brauchte, um die Warze am Fuß der Prinzessin zu beseitigen. Ganz zu schweigen von dem sauberen Schurz, den er nicht besaß und sich wohl auch nicht mehr beschaffen konnte.
Der Wirt machte eine gewichtige Geste zum Ausgang hin. »Diese Stadt ist nicht wie andere. Hier gibt es keine Straßen, in denen der Unrat an den Häuserwänden liegt und sich ehrbare Leute nach Sonnenuntergang nicht mehr hinauswagen. Zumal der südliche Harem ganz in der Nähe ist; manchmal muss ich eine der hochwohlgeborenen Damen des Einen bedienen. Hier ist das Leben teuer, Mann. Die ganze Welt kommt nach Achet-Aton, um das Wunder zu bestaunen, das der Eine geschaffen hat. Eine Lampe für die Nacht kostet ein Schati zusätzlich.«
Hory gab ihm die Kupferstücke und ließ sich das Zimmer zeigen. Es war winzig, bis auf die Schlafmatte leer und besaß ein kleines Fenster. Daheim in Auaris hatte er schlechter gehaust. Er öffnete den Beutel, ließ seine Habseligkeiten auf den Boden gleiten und zählte sein verbliebenes Edelmetall. Er erinnerte sich an den Tag, an dem sein Vater es ihm gegeben hatte – mit Widerwillen, denn es hatte Harmose nicht gefallen, dass sein einziger Sohn irgendwohin aufbrach, weit weg von Auaris, weit weg vom Delta. Allerdings hatte er einsehen müssen, dass Horys Ausbildung keine Früchte tragen würde, wenn er blieb. Harmose hatte als einfacher Priester im Roten Tempel gedient, doch seit die Anbetung des Seth mit der Todesstrafe geahndet wurde, musste er sich als Arbeiter verdingen, und niemand wollte einen Arzt zu Rate ziehen, der der Sohn eines heruntergekommenen Anhängers der alten, falschen Götter war.
Eine kleine Steinschale mit Mörser war eines der wenigen Dinge, die Hory nach seiner Lehrzeit bei dem Leibarzt des Gauherrn von Auaris geblieben waren. Er zerstampfte die teure Krokodilsgalle und das in Terpentin getränkte Brot zu einer Paste. Zum Harem Maru-Aton würde er es nicht weit haben – er konnte die Mauer mit dem vorspringenden Kranz aus blauen Cheker-Zeichen vom Fenster aus sehen. Außerdem gingen wohlhabende und adlige Personen nicht mit der Sonne ins Bett. Er hatte also Zeit. Vermutlich brachte die Prinzessin Merit-Aton jeden ihrer Abende mit ausgedehnten Geselligkeiten zu. Der Gedanke, dort schäbig wie ein Bauer aufzutauchen, versetzte ihm einen Stich. Er setzte sich unter das Fenster, nahm seine Armreife und begann sie mit einem Zipfel seines Schurzes aufzupolieren.
Ein gedämpfter Schmerzenslaut unterhalb des Fensters riss ihn aus seiner Beschäftigung hoch. Die Sonnenscheibe war inzwischen verschluckt worden. Mitten auf der Straße schlugen zwei Medjas mit Holzknüppeln auf die Fußsohlen einer Frau. Sie kniete auf dem gepflasterten Boden und kämpfte sichtlich darum, nicht zu schreien. Hory überlegte nicht lange und hastete aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Der Schankraum war noch immer fast leer. Nur fünf Schritte von den Medjas entfernt betrat er die dämmrige und menschenleere Straße. Sofort wurde er von den Männern bemerkt, die mit zitternden Armen innehielten. Die Züchtigung hatte ihnen offensichtlich Spaß bereitet.
»Was willst du?«, knurrte einer der Männer. »Sieh zu, dass du weiterkommst.«
»Ich ziehe es vor, zu warten.« Hory legte ruhig die Hände auf den Rücken. »Ich bin Arzt. Da ihr zweifellos nicht den Auftrag habt, diese Frau zu Tode zu prügeln, werde ich mich um sie kümmern, sobald ihr fertig seid.«
Die Männer lachten verächtlich auf und senkten die Knüppel. »Wir sind bereits fertig, du Menschenfreund. Es sei denn, wir beschäftigen uns noch anderweitig mit ihr. Du bist wohl neu hier, was?« Die Frau schrie empört auf, als sie ihr das Kleid übers Gesäß zogen. Hory glaubte schon, sie wollten sie allen Ernstes hier vor seinen Augen schänden, aber sie schlugen nur auf die prächtige Kehrseite und trotteten lachend davon.
»Mögen eure Gebeine in der Wüste verrotten!«, schrie die Frau ihnen hinterher. Stöhnend mühte sie sich, auf die Füße zu kommen. Sie sank zurück auf ihr Gesäß und blickte misstrauisch zu Hory hoch. »Du wolltest mir tatsächlich helfen? Ich hab mich dabei erwischen lassen, wie ich zu einem anderen Gott als der Sonne betete.«
Hory trat zu ihr. »Ist das dein Ernst? Ich weiß, dass Priester für die alten Götter nicht mehr tätig sein dürfen, aber ein einfaches Gebet zieht Prügel nach sich?«
»So ist es, du Ahnungsloser«, erwiderte sie, jedoch ohne die Verächtlichkeit, die er heute zur Genüge über sich hatte ergehen lassen. »Du bist aus dem Delta, nicht wahr? Sie haben mich heute Mittag erwischt, aber da Aton Gewalt und Blutvergießen verabscheut, werden solche Dinge erledigt, wenn die Sonne nicht mehr scheint. Allerdings hätte ich nicht gedacht, dass sie sich so beeilen würden, mich hier aufzusuchen. Ich hätte mich verstecken sollen. Wobei – dann wären sie halt morgen Abend gekommen.«
Hory kniete neben ihr und betrachtete die Wunden, so gut es in der einsetzenden Düsternis möglich war. »Darin ist schon Staub. Lass mich das behandeln.«
Sie lächelte. »Du bist wirklich ein Menschenfreund. Dort …«, sie deutete auf das kleinste Haus in der Häuserreihe, schräg gegenüber der Schenke, »dort wohne ich. Das Haus gehört meinem Bruder. Er ist Händler.«
Hory hob sie auf die Arme und trug sie über die Straße.
Djui lag auf dem warmen Ziegelboden und streckte die schmerzenden Füße von sich. »Aton, die Sonne, ist kaum besser als Seth, der Rote Herr der Wüste. Aton hasst Gewalt. Das zumindest behauptet sein Sohn, der Pharao. Er, der Eine, der Göttliche, leugnet die Dunkelheit. Nur das Licht ist Wahrheit. Ich verstehe diese Zeiten nicht. Wenn ich in den Nachthimmel blicke, ist dort nichts als Finsternis. Mag sein, dass man die Finsternis hasst und fürchtet, aber wie kann man sie leugnen?«
Hory schüttelte den Kopf. Er verstand es ebenso wenig. Er hatte ihre Füße mit Wein gesäubert, mit einer Wundsalbe eingerieben und dann verbunden. Jetzt hockte er in einem von zwei Zimmern des Obergeschosses auf einer Bastmatte, mit einer fremden Frau neben sich. Inzwischen wusste er, dass Djui und ihr Bruder vor drei Jahren in der Stadt des Lichts angekommen waren. Djuis Bruder, erzählte sie, handelte mit allem, mehr schlecht als recht. Im Erdgeschoss lagerten Güter aller Art; täglich wanderte er durch die Marktstraßen und beglückte mit Schminksachen und Tüchern die Damen und vornehmen Herren, anderntags ergatterte er vielleicht eine billige Wagenladung voll Gemüse und stellte sich auf den Gemüsemarkt.
»Ich helfe ihm, so gut ich kann«, sagte sie träge, »und tue alles Mögliche, um uns ein Einkommen zu sichern: Ich gehe auf den Markt und schneide den Leuten die Haare. Ich behandle kleine Wunden und Wehwehchen. Ich erstelle Horoskope. Von allem kann ich ein bisschen und nichts richtig. Einen Mann finde ich nicht mehr. Also bleibe ich bei Antef. «
Wahrscheinlich hatte sie recht. Sie mochte um die fünfundzwanzig Jahre alt sein. In diesem Alter trugen andere Frauen schon an ihrem vierten, fünften Kind. Da nichts hier in diesem Haus auf Kinder hindeutete, nahm er an, dass sie unfruchtbar war.
Sie streckte sich, um an den Bierkrug zu gelangen, der neben Horys Füßen auf dem Boden stand. »Du siehst gut aus«, meinte sie und hob den Krug an die Lippen. »Nicht so verweichlicht wie die feinen Herren mit ihren Bäuchen. Für einen Arzt bist du recht kräftig.«
»Ich hab auf den Feldern geschuftet wie ein Bauer.«
»Aber ich habe doch meine Füße nicht einem Anfänger anvertraut?«
»Nein.«
Sie wischte sich über den Mund und lächelte ihn einladend an. »Ich schulde dir noch etwas.«
»Nein, das tust du nicht«, sagte er und stand auf. So reizvoll sie war; Merits Bild stand ihm unerschütterlich vor Augen. »Ich muss gehen – in den Palast. Dort habe ich noch eine Verabredung.«
Djui setzte sich auf. »Du bist ein Bauer, und zwar ein ahnungsloser«, sagte sie und lachte auf. Wenigstens klang sie nicht verärgert.
»Ich bin Arzt.«
»Jeder, der aus dem Delta kommt, ist auf die eine oder andere Art ein Bauer oder ein Fischer. Du gehörst nicht hierher. Achet-Aton lockt mit ihrem Glanz die Menschen an wie eine Lampe die Fliegen, aber wenn du dich in die Nähe der Herrschenden begibst, könntest du dich verbrennen. Gib mir den Papyrus aus der Truhe dort.«
Hory öffnete die Truhe und entnahm einen alten, brüchigen Papyrus, den einzigen, der darin lag. Djui rutschte auf die Knie und griff nach der Lampe auf dem Tischchen, um den Docht höherzudrehen. Er gab ihr den Papyrus, den sie vorsichtig entrollte, wobei sie sich bemühte, ihn nicht mit den Bierflecken auf ihrem Kleid in Berührung kommen zu lassen. »Das ist eine Abschrift des Von-Ewigkeit-zu-Ewigkeit-Kalenders: Für jeden Tag des Jahres gibt es eine Anweisung, die man tunlichst befolgen sollte.« Da Hory zweifelnd brummte, hob sie warnend eine Braue: »Die alten Götter haben darin die Wahrheit gesprochen, und sie ist immer noch gültig. Aber ich kann nicht lesen. Mein Bruder tut das sonst für mich.«
Er nahm die alte Schriftrolle entgegen. Die Tinte war verblasst, sodass er Mühe hatte, sie zu entziffern. »Da steht: ›An diesem Tag siegt Seth und zerstückelt die Leiche des Osiris. Wer heute geboren wird, wird nicht leben. Sieh keinem Tanz zu, und höre keiner Musik zu. Iss keinen Fisch. Tue nichts‹.«
Djui nickte, als hätte sie genau das erwartet. Sie nahm den Papyrus an sich und rollte ihn zusammen. »Leider bin ich manchmal etwas nachlässig und befrage den Kalender nicht rechtzeitig nach den guten und schlechten Tagen«, murmelte sie. »Und heute ist ein ausgesprochen schlechter Tag gewesen. Meine Füße haben es zu spüren bekommen.«
»Ich habe heute schon allerhand getan, also käme es auf einen Besuch im Harem wohl nicht mehr an.« Hory zupfte am Saum seines Schurzes. »Mein gegenwärtiges Problem ist, dass ich mich in diesem fadenscheinigen Schurz im Harem blicken lassen muss.«
»Du glaubst mir nicht. Mit wem triffst du dich denn dort, wenn ich fragen darf?«
Hory erzählte ihr, wie er die königliche Familie am Erscheinungsfenster gesehen hatte, und von seiner Begegnung mit der Prinzessin Merit-Aton. Djui schüttelte mehrmals den Kopf; ihre Miene nahm einen widerwilligen Ausdruck an.
»Hast du denn nicht gesehen, wie sie aussehen? Ihre seltsamen Körper?« Ihre Hand deutete den verlängerten Hinterkopf an, wie er ihm auch bei der Prinzessin Merit-Aton aufgefallen war. »Das sind keine Menschen wie du und ich. Es sind Abkömmlinge der Sonne. Echnaton ist der Sohn des Sonnengottes und selbst ein Gott. Er könnte dich verbrennen.«
»Sicher sind sie das. Aber ich finde deine Bedenken dann doch übertrieben.« Bereits heute war er diesen Sonnenmenschen unangenehm aufgefallen, und trotzdem war nichts an ihm versengt.
»Ich habe auf den Märkten schon allerlei merkwürdige Dinge aufgeschnappt, die man sich hinter vorgehaltener Hand erzählt. Etwas Böses ist im Palast, etwas Dämonisches. Echnaton hat es eigenhändig herausgefordert, und nun beschwört er seinen sonnigen Gott, weil er sich fürchtet.«
»Erst redest du von der Sonne, nun von Dämonen. Was hat er denn getan, dass er, der der Gott ist, sich fürchten sollte?«
Sie schob sich dicht an ihn heran. Ihre Stimme klang verschwörerisch. »Osiris Amunhotep, sein Vater, lag noch im Sterben, damals vor vierzehn Jahren, als er Pharao wurde. Das erste, was er tat, war, seine Mutter zu sich zu holen. Niemand weiß, ob sie freiwillig zu ihm ging, aber sie tat es.«
Nur langsam ging ihm auf, wovon sie sprach. Er wusste von der Mutter des Pharao nur, dass sie Teje hieß und in den Zeiten von Osiris Amunhotep so mächtig wie ihr Gemahl gewesen war.
»Echnaton nannte sie seine Große Königliche Gemahlin«, fuhr Djui leise fort, »und das war sie nicht nur dem Titel nach.«
Hory dachte an den lächelnden Mann mit der eingefallenen Brust und den breiten Schenkeln, der sich auf der Brücke in den Beifallsbekundungen seiner Höflinge gesonnt hatte. Er erinnerte sich an die Königin Nofretete-nefer-neferu-Aton, diese schöne und stolze Frau, an die eitle und betörende Merit-Aton und die anderen Prinzessinnen: Eine Familie im Licht der Sonne, entrückt von den Sorgen und Ängsten einfacher Menschen. Allerdings war der gequälte Körper des schwangeren Mädchens ein Misston in der göttlichen Harmonie gewesen.
»Willst du sagen, Djui, dass sich die Maat von der Sonnenfamilie abgewandt hat, als sie mitansehen musste, dass Echnaton es mit seiner eigenen Mutter trieb?«
»Die Maat, die Verkörperung der Weltordnung und Gerechtigkeit? Sie ist eine alte Göttin, sie hat hier keine Macht. Aber Teje hat sie nicht vergessen, denke ich, denn sie folgte ihrem Sohn nicht, als der hierher kam, um zum Ruhm der Sonne diese Stadt zu bauen. Man sagt, er habe sie gebeten, bekniet und dann gezwungen, die alte Hauptstadt zu verlassen, um im Kreis der Sonnenfamilie hier im Palast zu wohnen. Im Haus der Freude hielt sie es jedoch nur einige Monate aus. Vor einem Jahr verließ sie die Familie wieder, und niemand weiß, wo sie jetzt ist. Manche sagen, sie sei tot, andere behaupten, sie sei noch immer irgendwo hier in Achet-Aton.« Djui neigte sich vor, sodass ihr Gesicht nicht mehr von der Lampe beleuchtet wurde, und ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. »Ich sage dir, sie hat diese dämonische Aura gespürt. Sie wusste, dass ihre Blutschande das Böse hervorgerufen hat, das jetzt im Palast umgeht. Geh nicht dorthin.«
Hory schwieg, dann machte er eine abwertende Handbewegung. »Das sind doch nur Gerüchte. Auf den Märkten wird viel Unsinn geredet, das ist daheim in Auaris nicht anders. Diese Leute sind Götter, und sie sehen anders aus, darum kann man sie nicht verstehen. Deine Geschichte klingt absonderlich.« Er versuchte zu lachen, aber es gelang ihm nicht so recht. »Ich gehe in den Harem und gebe der Prinzessin eine Arznei, das ist alles.«
»Das ist alles«, schnaubte Djui. »Sie hat dir den Kopf verdreht, kaum dass du sie kennengelernt hast. Kennst du dieses Sprichwort? ›Ein kluger Mann begreift mit einem Wort, aber der Dummkopf lernt nur, indem er eine Topfscherbe an die andere klebt.‹«
Natürlich kannte Hory es. Es gehörte zu den Sprichwörtern, die sein Lehrer, der Arzt des Gauherrn von Chenti-iabeti, noch vor Jahren gern aus seinem Fundus geholt hatte, um den Tanz des Rohrstocks auf dem Rücken seines Schülers zu begleiten, wo ja bekanntlich das Ohr eines Jungen saß.
»Ich fürchte, du bist ein solcher Dummkopf«, sagte sie. »Na schön, lass uns nach unten gehen und nachsehen. Mein Bruder hat eine Truhe voller ungetragener Kleidungsstücke erworben. So viel ich weiß, ist ein Schurz aus Königsleinen darunter; so etwas Feines besitzen nur Männer von hohem Rang. Bitte hilf mir auf.«
Er legte einen Arm um ihre Mitte, um sie zu stützen. Als sie neben ihm stand, legte sie zwei Finger an seine Wange und sah ihn an.
»Sag später nicht, ich hätte dich nicht gewarnt, Hory. Der Palast ist kein Ort, wo sich Menschen wie du und ich aufhalten sollten. Das Leben dort ist bloß Blendwerk.«
Blendwerk? Hatte er dieses Wort heute nicht schon einmal gehört?
»Sieh keinem Tanz zu und achte nicht auf Musik. Halte einfach die Hände still und tu nichts, Hory, hörst du?«
Er küsste sie beschwichtigend auf die Wange; in seinen Gedanken war er längst irgendwo auf dem Palastgelände. Es war spät, er musste sich beeilen. Es ärgerte ihn, dass Djuis Worte eine Spur hinterlassen hatten: als einen unangenehmen Klumpen in seinem Magen.
»Wie ist dein Name?«, kam die Frage des Türhüters scharf und abweisend. Es war nicht leicht gewesen, in der Dunkelheit den Eingang zum Harem zu finden. Hory hatte einen verwinkelten, künstlich angelegten See umgehen müssen und stand jetzt vor einer Tür, die vermutlich nur ein Seiteneingang war.
»Hory. Hory aus Auaris.«
Der Türhüter warf einen Blick auf sein Kalksteintäfelchen und nickte. »Dein Name steht auf der Liste. Du darfst eintreten. Folge einfach dem gepflasterten Weg. Wenn du die Abendgesellschaft siehst, bleib stehen und warte, bis ein Diener sich deiner annimmt. Wenn du der Anweisung nicht gehorchst, gibt es empfindliche Strafen. Für neugierige Leute haben wir hier nichts übrig.«
Mit seiner Schale in der Hand ging Hory durch das kleine Tor in der Mauer. Zunächst gab es rechts und links des sorgfältig gepflasterten Weges nur abgetretenes Gras, und die Ziegelmauern der Haremsanlage waren schmucklos. Aber sobald er durch ein weiteres Tor getreten war, glaubte er sich in eine andere Welt versetzt. Die überall aufgepflanzten Fackeln beleuchteten einen Park. Vielfältige Pflanzen in sattem Grün umstanden viereckige Teiche, in denen weiße Lotosblüten schwammen; Blumenbeete verströmten betäubenden Duft; zwischen den Hennabüschen streiften Katzen umher, und in den Tamariskenzweigen hockten Affen.
Das Haremsgebäude schien eine verschachtelte Angelegenheit zu sein. Kleinere Wege führten in dunkle Ecken. Hory musterte auf seinem Weg die Malereien an den Außenwänden und die Statuen Echnatons und Nofretetes, die allgegenwärtig waren. Nach einer weiteren Biegung fand er sich vor einem ausgedehnten Platz wieder, wo junge Leute auf Matten saßen und an den steinernen Umfassungen von Teichen lagerten. Er kam sich verloren vor, denn es waren sicher zweihundert Männer und Frauen, die an diesem Abendessen teilnahmen. Sofort wurde er von einem Diener abgefangen, der ihn anwies, sich abseits einen Platz zu suchen. Kaum jemand hob den Kopf, um den Neuankömmling zu begutachten. Überall lagen Blumen verstreut, schwammen auf dem klaren Wasser der Teiche und schwebten auf den Köpfen der Menschen. Nackte Musikantinnen entlockten ihre Sistren und Schulterharfen betörende Melodien. Höre keine Musik, dachte er, sieh dir keinen Tanz an … Unwillkürlich rann ihm ein Schauer über den Rücken.
Sei nicht albern, dachte er, nichts hier wirkt bedrohlich.
Eine Dienerin bot ihm Früchte an. Ihn plagte Hunger, denn er hatte sich nichts zu essen kaufen können. Immerhin besaß er jetzt einen Schurz aus Königsleinen. Auf seine Perücke und die Sandalen hatte er verzichtet, denn sie waren alles andere als standesgemäß. Wenn er Glück hatte, vermutete man in ihm den Sohn eines Gelehrten, der sich aus Schmuck nichts machte.
Jemand schlug ihm auf die Schulter. Er fuhr herum. Ein Mann winkte ihn ungeduldig aus dem Weg. Zwei Frauen stützten ein Mädchen. Es war jene schwangere Prinzessin, in ein weites Gewand gehüllt, die ihre Hände unterhalb des Bauches zu falten versuchte, es aber nicht konnte. Hory wollte in die Knie gehen, aber dann merkte er, dass er gar nicht beachtet wurde. Die Dienerinnen führten die Prinzessin – er hörte, dass sie sie Maket-Aton nannten – an den Rand eines Teiches, lagerten sie auf Kissen und benetzten ihr schweißnasses Gesicht. Die großen, angstgeweiteten Augen schienen in weite Fernen zu blicken.
Er schätzte ab, ob sie die Geburt überleben konnte – er musste es verneinen. Sie war zu jung. Was war das für ein Mensch, der ein Kind schwängerte? Und warum hatte Echnaton seine Tochter nicht schützen können, da er doch die Macht der Sonne besaß?
»Hory!«
Ein Mädchen hatte ihn gerufen: jenes, das bei Merit-Aton in der Sänfte gesessen hatte. Sie hockte an einem Teich; ihre Beine baumelten im Wasser. Er ging zu ihr und kniete vor ihr im Gras.
»Du heißt doch so, nicht wahr?«, fragte sie und warf keck ihre mit goldenen Bändern umwickelte Kindheitslocke zurück, in der eine emaillierte Lotosblüte steckte. »Weißt du noch meinen Namen? Ich bin Beket-Aton. Du wartest sicher auf meine Schwester. Sie kommt gleich.«
Er wartete, dass Beket-Aton ihm erlaubte, sich wieder zu erheben. Sie tat es nicht. Flach auf dem Gras liegend sah er nichts weiter als ihre nackten Beine.
»Du hast noch keinen Salbkegel auf dem Kopf«, sagte sie mit aufdringlicher Fröhlichkeit, »und Parfüm hast du auch nicht aufgelegt. Du bist bettelarm, stimmt’s? Dieser Schurz gehört dir bestimmt nicht. Eigentlich hast du hier überhaupt nichts zu suchen.«
»Die Prinzessin hat mich eingeladen«, erinnerte er sie. Allmählich ärgerte es ihn, dass er sich von diesem jungen Ding gängeln lassen musste. Er setzte sich auf, und sie runzelte die Stirn ob dieser Frechheit, aber plötzlich erhellte sich ihr Gesicht.
»Sieh mal, da kommt der Prinz«, rief sie und deutete auf eine große Flügeltür, die soeben aufschwang. Ein Herold schritt gemessen heraus und stieß mit seinem Stab auf den Boden. Mit lauter Stimme kündigte er das Erscheinen des Kronprinzen Semenchka-Re-djeser-cheperu an. Die Gäste unterbrachen ihre Gespräche und gingen auf die Knie, um dem Prinzen zu huldigen. Semenchka ging mit weitausholenden Schritten zu einem erhöhten Podest, das hinter dem größten Becken errichtet war. Dort ließ er sich auf einem Korbstuhl nieder, streckte die Beine von sich und machte trotz der Gesellschaft der Hofdamen, die sich augenblicklich um ihn scharten, ein finsteres Gesicht.
»Es war der Kronprinz, den ich mit der Goldkette beworfen habe«, murmelte Hory halblaut, während er kniete. »Er scheint schlechter Laune zu sein.«
Beket-Aton prustete in die Hand. »Er ist immer schlecht gelaunt. Außer bei Merit.«
»Er ist der Kronprinz, und Merit-Aton … Wird er sie heiraten?« Und wenn schon, dachte er, was geht es mich an? Merit-Aton gehörte zu einer anderen, göttlichen Welt. Sie war die Tochter des Pharao.
Sie zuckte die schmalen Schultern. »Natürlich. Er ist ein hübscher Mann und der zukünftige Pharao. Aber er ist dumm und gehässig. Ich glaube nicht, dass Merit viel Spaß mit ihm haben wird.«
Hory fragte sich, was in Atons Namen an Semenchkas plumpen Schenkeln und dem hochwangigen, schmalen Gesicht mit den übermäßig vollen Lippen hübsch war. Der Kronprinz ähnelte Echnaton auf verblüffende Weise, lediglich sein Kinn war nicht ganz so ausgeprägt. Hory erinnerte sich daran, einmal gehört zu haben, die beiden seien Brüder.
»Sein Körper ist eine Huldigung an Aton!«, rief sie halblaut. Offenbar hatte er allzu deutlich die Stirn gerunzelt. »Jemand, der so aussieht wie du, du mit deinem seltsamen Haar, betet bestimmt die alten, falschen Götter an. Jedenfalls solltest du dich vor Semenchka in Acht nehmen. Er ist dauernd schlechter Laune. Und er fährt bei den unwichtigsten Anlässen aus der Haut.«
Zweifellos war seine Anwesenheit hier ein guter Anlass für den Zorn eines ohnehin ständig wütenden Prinzen. Das Mädchen stieß ihn an.
»Sieh, da ist Merit!«
Der Herold rief Merit-Atons Namen, und wieder verneigten sich die jungen Leute. Merit trug diesmal keine Perücke; ihr dichtes Haar wallte um ihre Schultern. Ihr bodenlanges Kleid mit den weiten Ärmeln war unter den Achseln geknotet und ließ die Brüste frei. Hory senkte seinen Blick.