Goldhorus - Sabine Wassermann - E-Book

Goldhorus E-Book

Sabine Wassermann

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Beschreibung

Amunhotep, Kronprinz von Ägypten, gerät auf einem Feldzug in Gefangenschaft. Auf seiner abenteuerlichen Flucht erfährt er von dem rätselhaften Tod seiner geliebten Frau Schischwa. Er kehrt nach Theben zurück und stößt bei seinen Nachforschungen auf eine Mauer des Schweigens. Spätestens als er einen Mordanschlag nur knapp überlebt, ahnt Amunhotep, dass er einem ungeheuerlichen Geheimnis auf der Spur ist ...

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Kurzbeschreibung

Amunhotep, Kronprinz von Ägypten, gerät auf einem Feldzug in Gefangenschaft. Auf seiner abenteuerlichen Flucht erfährt er von dem rätselhaften Tod seiner geliebten Frau Schischwa. Er kehrt nach Theben zurück und stößt bei seinen Nachforschungen auf eine Mauer des Schweigens. Spätestens als er einen Mordanschlag nur knapp überlebt, ahnt Amunhotep, dass er einem ungeheuerlichen Geheimnis auf der Spur ist ... 

Sabine Wassermann

Goldhorus

Historischer Roman

Edel Elements

Edel ElementsEin Verlag der Edel Germany GmbH

© 2018 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2000 by Sabine Wassermann

Covergestaltung: Designomicon, Anke Koopmann, München.

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-170-6

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

Inhalt

I. SYRIEN

Kapitel 1.

Kapitel 2.

Kapitel 3.

II. ÄGYPTEN

Kapitel 1.

Kapitel 2.

Kapitel 3.

Kapitel 4.

Kapitel 5.

Kapitel 6.

Kapitel 7.

Kapitel 8.

Kapitel 9.

Kapitel 10.

Kapitel 11.

Kapitel 12.

Kapitel 13.

Kapitel 14.

Kapitel 15.

III. SYRIEN

Kapitel 1.

Kapitel 2.

IV. ÄGYPTEN

GLOSSAR

Amunhotep, der junge Kronprinz von Ägypten, gerät auf einem Feldzug gegen die Syrer in Gefangenschaft. Als es ihm mit Hilfe der Sklavin Hadjet und unter großen Gefahren gelingt, zu fliehen und nach Theben zurückzukehren, ist er dort bereits für tot erklärt.

Seine über alles geliebte Frau Schischwa ist unter rätselhaften Umständen gestorben, und seine Schwester Meritamun liegt schwerkrank im Haus des Wesirs Seûna. Amunhoteps Vater, der gottgleiche Pharao Thutmosis III., scheint sich ganz in die Hände des undurchsichtigen Mannes begeben zu haben. Als Amunhotep den seltsamen Zuständen in der Residenz Theben auf den Grund gehen will, stößt er auf eine Mauer aus Schweigen und Intrigen.

Allein einige Jugendfreunde und Hadjet, die er zur Fächerträgerin auserkoren hat, halten zu ihm. Als er einen Mordanschlag nur knapp überlebt, weiß Amunhotep, dass er einem ungeheuerlichen Geheimnis auf der Spur ist.

Der Anfang ist das Horn des Westens,

das Tor des Westhorizontes;

das Ende ist die Urfinsternis,

das Tor des Westhorizontes.

Zu kennen die unterweltlichen Ba-Seelen,

zu kennen die geheimen Ba-Seelen,

zu kennen die Tore und die Wege,

auf denen der größte Gott wandelt.

Zu kennen, was getan wird,

zu kennen, was in den Stunden ist, und ihre Götter,

zu kennen den Lauf der Stunden, und ihre Götter.

Zu kennen ihre Verklärungen für Re,

zu kennen, was er ihnen zuruft,

zu kennen die Gedeihenden und die Vernichteten.

Das Buch Amduat

I. SYRIEN

1.

Staub, von Streitwagenrädern aufgeschleudert, spritzte ihm ins Gesicht. Die Sonne spiegelte sich schmerzhaft auf den Wagenkästen, den genieteten Rädern, den Speerspitzen. Dazu das Klirren der Waffen, das Knirschen des Gerölls unter den Füßen. Schreiende, tobende Männer. Blut.

Er wusste, dass er im Wüstenstaub lag, mit geschlossenen Augen; er sah die Bilder der Schlacht nur noch als Traum, der allmählich verblasste. War er bewusstlos? War er allein? Wie lange lag er schon unter den versengenden Strahlen des Sonnengottes Re?

Amunhotep wälzte sich auf den Rücken und öffnete mühsam die Augen. Die Sonne blendete ihn, und er hob den Arm, um sein Gesicht zu bedecken. Aber da verschwand sie jäh hinter einer dunklen Wand; gleichzeitig spürte er eine Hand an seinem Hals: Jemand stand über ihm, zweifellos in der Absicht, ihm den Todesstoß zu versetzen. Mit aller Kraft stieß Amunhotep seinen Fuß nach oben, fühlte nachgiebiges Fleisch und hörte einen überraschten Schrei. Er kam auf die Knie, tastete nach dem Dolch an seinem Gürtel und sprang auf.

Vor ihm im Sand krümmte sich jedoch keiner dieser wilden syrischen Krieger, sondern ein dickbäuchiger Mann mit kunstvoll gelocktem Bart. Amunhotep bemerkte, wie der Fremde eine goldene Halskette mit einer flinken Bewegung, die zu seinem behäbigen Äußeren nicht passte, in den Ärmel seines Mantels steckte. Der Fremde war ein Syrer, der offenbar das Schlachtfeld nach verwertbaren Gegenständen absuchte; jedoch lagen hier nur zwei syrische Leichen, dazu zerbrochene Speerschäfte, leere Schwertscheiden, das Rad eines Streitwagens.

Amunhotep klopfte den Schmutz von seinem ledernen Kampfschurz. Die Schlacht war längst vorbei, der Kampf hatte ihn weitab der ägyptischen Linien getragen, irgendwo hinaus in die unwirtliche Steinwüste Syriens. Erleichtert stellte er fest, dass er nicht verwundet war, wenn er von seinem schmerzenden Hinterkopf absah. Er hatte diese beiden Krieger getötet, aber nicht schnell genug, denn einem war es noch gelungen, ihm einen Schlag mit dem Streitkolben zu verpassen.

»Ein lebender Ägypter!«, rief der gedrungene Kerl; sein feistes Gesicht bebte, und er hob die Hände zum Himmel. »Baal, unser aller Herr! Sag mir, wieso hat ihn die Sonne nicht verdorrt wie alle anderen, die zu schwach waren, das Schlachtfeld zu verlassen? Du hast tatsächlich diesen, der eigentlich tot sein müsste, am Leben gelassen? Und ausgerechnet ich muss ihm begegnen? Ist das die Strafe für meine Demut?« Er kam beschwerlich auf die Füße und drehte sich zu seinem Pferd um, das unweit mit Körben und Säcken vollbepackt wartete.

»Bleib stehen!«, rief Amunhotep, und trotz seiner krächzenden Stimme erstarrte der Mann augenblicklich. Mit zwei langen Schritten war er bei ihm und packte ihn am Ausschnitt seines Mantels.

»Bei El, ein Ägypter, der die Sprache der Syrer spricht! Was willst du von mir?«

»Antworten auf ein paar Fragen«, erwiderte Amunhotep, langte in den Ärmel des Mannes und zog die Halskette heraus, an der eine kleine Federkrone hing, das Zeichen des Gottes Amun. »Und mein Eigentum zurück.«

»Dein Eigentum, ach ja?« Der Syrer wehrte sich nicht. »Es scheint mir ein wenig zu kostbar für einen Soldaten zu sein. Du hast es selbst gestohlen, nicht wahr?«

Amunhotep legte sich die Halskette um und hakte sie im Nacken zusammen. Das vertraute Gold auf der Haut besserte seine Stimmung sofort. »Wer bist du?«

»Weshalb sollte ich dir das sagen? Ich bin nicht an einer Bekanntschaft mit einem Ägypter interessiert.« Der Syrer wich zu seinem Pferd zurück, prüfte hastig, ob seine Beute gut am Sattel festgeknüpft war, und wollte aufsitzen. Amunhotep griff nach den Zügeln, sodass er laut aufseufzte und ergeben rief: »Also gut, also gut! Ich bin Niqmepa, Händler von Kräutern und Arzneien, und jetzt lass mich los. Ich bin nicht mit dir im Krieg.«

»Ich bin mit jedem Syrer im Krieg, auch mit einem schmutzigen Leichenfledderer, wie du einer bist.« Amunhoteps Blick fiel auf einen der Körbe, darin lagen blutverschmierte Haarlocken und Amulette aus Leder, Ton und Kupfer. »Verrate mir, wie diese von Amun verfluchte Schlacht ausgegangen ist.«

»Du weißt es nicht?«

»Ich war bewusstlos. Wirst du es mir sagen, oder muss ich es aus dir herausprügeln?«

»Ganz sicher nicht.« Niqmepa hob abwehrend die Hände. »Baal schlug mein Volk und segnete deines, hast du wirklich daran gezweifelt? Die Männer von Syrien fliehen soeben in nördliche Richtung. Viele sind es sicher nicht mehr, denn wen die Ägypter nicht töteten, den treiben sie mit Peitschenschlägen voran in die Sklaverei. Der große Amunhotep, Sohn des Pharao, ist längst mitsamt seinem Heer und den Gefangenen auf dem Weg nach Südwesten. Deine Leute haben dich vergessen, das ist wirklich Pech, aber tröste dich mit dem Gedanken an den ägyptischen Sieg.«

»Du sagst das nur, weil du glaubst, dass ich das hören will. Aber ich fürchte, du lügst mich an.« Amunhotep legte die Hand über die Augen und suchte den grauen Horizont nach Leben ab. Was war diese Gegend trostlos! Nichts als schwarzer Staub und Sand und Steine, dazu karger Pflanzenbewuchs und in der Ferne drohend aufragende Gebirgsketten. Diese dunkle Basaltwüste besaß nichts von der Erhabenheit der ägyptischen Wüstenfelder, dem Roten Land. Von einem in südwestlicher Richtung abziehenden Heer war nichts zu sehen. Wer hatte in diesem Kampf gesiegt? Die Syrer waren über die ägyptischen Soldaten hergefallen wie ein Heuschreckenschwarm: Wie aus dem Nichts waren sie gekommen und hatten heillose Verwirrung gestiftet, und er hatte sich von seinem Trupp abgesetzt, um diesen beiden syrischen Narren hinterherzurennen. Er stieß einen der beiden mit dem Fuß an. Der Tote trug die Ausrüstung eines hochgestellten Hauptmanns; aber er schien kein sehr bedeutender Mann gewesen zu sein, da seine Leute ihn einfach liegengelassen hatten, damit sich die Wüstentiere um ihn kümmerten.

Nun, das besagte nichts, schließlich war er – er!, bei Amun, es war einfach unglaublich – ebenfalls zu einem einsamen Wanderer in der Wüste herabgesetzt worden, mit dem mageren Unterschied, dass er noch lebte.

»Und was geschah mit Hannzumirasch, dem Anführer der syrischen Rebellen? Wirst du mir jetzt sagen, dass er in der Gewalt des ägyptischen Oberbefehlshabers ist, der ihn dem Gott Ägyptens zu Füßen niederzwingen wird?«

Niqmepa schürzte die fleischigen Lippen und antwortete widerwillig: »Hannzumirasch entkam wohl, aber ich bin mir nicht sicher, ich bin schließlich kein Kriegsberichterstatter. Vielleicht führt er seine Männer in einen entfernten Winkel des Landes, wo der Arm Ägyptens ihn nicht ohne weiteres erreichen kann; vielleicht hat er in der Stadt Dimaschka Unterschlupf gefunden. Sie liegt zwei Tagesreisen von hier. Irgendwann, sobald die Zeit wieder günstig ist, wird er den König Ägyptens erneut herausfordern.«

»Ja, ihr Syrer wollt einfach nicht einsehen, wer eure Herren sind«, schnaubte Amunhotep. Alljährlich gab es irgendwo in der Weite dieses Landes einen Aufstand, formte sich ein Heer, um das ägyptische Joch abzuwerfen; alljährlich gab es Krieg, versuchte eine Stadt den Aufstand. Diesmal war es Hannzumirasch gewesen, der den Gott Thutmosis, den Herrn über die gesamte Weltgegend, herausgefordert hatte; aber war das Ergebnis das gleiche gewesen wie sonst auch? Hatte der Gott auch diesmal gesiegt? Thutmosis war dem diesjährigen Unternehmen ferngeblieben, zum ersten Mal, denn mit seinen sechzig Jahren war er zu alt, um ein Heer in die Schlacht zu führen. Stattdessen hatte er diese Aufgabe seinem Sohn Amunhotep und dem Veteran Djehuti überlassen.

Djehuti ist ein fähiger Feldherr, überlegte Amunhotep, aber da er mich hier zurückgelassen hat, muss ich annehmen, dass er gefallen ist. Mag diese Auseinandersetzung keine Niederlage gewesen sein, ein Sieg war sie gewiss nicht.

Er ging in die Knie und streckte die Hände zur Sonne. Re, wo warst du?, fragte er die blitzende Scheibe. Bist du über dieser fremden Wüste nicht mehr derselbe?

Er spürte den fragenden Blick des Syrers in seinem Rücken, stand auf und wandte sich ihm zu. Es war an der Zeit, sich mit dem Überleben zu beschäftigen, und das konnte er nicht hier in der Wüste. Allein Zuflucht zu der Stadt Dimaschka konnte ihn retten.

Zu Niqmepas sichtlichem Entsetzen begann er, die Tragekörbe und Beutel vom Pferderücken herunterzuziehen. Haarteile und Amulette rollten in den Sand, dazu Dolche und Lederzeug. Niqmepa tat einen spitzen Schrei.

»Baal soll dich holen«, giftete er. »Du weißt anscheinend nicht, welche Mühe ich hatte, das alles zusammenzutragen!«

»Sagtest du nicht, du handelst mit Arzneien?«

»Natürlich. Haare und Tonamulette von gefallenen Kriegern sind begehrte Zutaten. Sie werden gemahlen und …«

»Erspare mir die unappetitlichen Einzelheiten. Du wirst schon noch Gelegenheit bekommen, neue Zutaten zu sammeln. Dieses Land ist wirklich abstoßend barbarisch.« Amunhotep betastete einen prallen Ziegenlederbeutel und wickelte die Schnur ab, die ihn verschloss. Das Wasser war beinahe heiß, aber er setzte den Beutel erleichtert an die Lippen.

»Oh, das sind die überheblichen Worte des Siegers! Ihr Ägypter schlagt euren Feinden die Hände ab, um sie zu zählen. Bei Baals schwerbrüstiger Mutter!«, rief Niqmepa erschrocken. »Was tust du denn jetzt?« Amunhotep hatte lediglich die Proviantbeutel des Syrers verschont und schwang sich nun aufs Pferd. Niqmepa griff nach der Satteldecke. »Willst du mich der Wüste überlassen? Du kannst mich doch nicht hier zurücklassen!«

»Aber weshalb denn nicht?« fragte Amunhotep, ohne sich umzublicken. »Du wolltest doch keine Bekanntschaft mit einem Ägypter?«

»Ihr guten Götter, nein, nein!« Niqmepa fiel auf die Knie und umfasste Amunhoteps Fuß. »Ich flehe dich an, großer ägyptischer Krieger, dessen König der Herr der Welt ist!«

»Das klingt schon besser. Na schön, du darfst mich begleiten und den Staub schlucken, den das Pferd aufwirbelt. Selbstverständlich erwarte ich dafür eine Gegenleistung.«

Niqmepas Augen weiteten sich. »Ach, noch eine? Du hast doch schon mein Pferd und meinen Proviant. Und die Arbeit einiger Stunden hast du zunichte gemacht, ganz zu schweigen von der Zeit, die ich benötigte, um den Weg hierher zurückzulegen. Was willst du denn?«

Amunhotep seufzte. »Du kommst doch aus Dimaschka, nicht wahr? Ich werde dich dorthin begleiten, nicht nur in die Stadt, sondern auch in dein Haus. Dort warte ich, bis ich eine Möglichkeit gefunden habe, mich einer Karawane anzuschließen, die nach Gaza oder wenigstens bis nach Megiddo reist. Verschaffe mir eine solche Möglichkeit, dann bist du mich rasch los. Ich erlaube mir, bis dahin dein Gast zu sein.«

Der Syrer biss sich auf die Lippen und schien im Geiste abzuwägen, welches das kleinere Übel war: hier in der Wüste zu verrotten oder in Dimaschka heimlich einen ägyptischen Soldaten zu beherbergen. »Du kannst deine Herkunft nicht leugnen«, wagte er einen Einwand, »ob du nun syrische Kleidung trägst oder nicht.«

»Nein, das kann ich nicht«, gab Amunhotep zu. »Aber ich denke doch, dass man einen ägyptischen Händler zufriedenlassen wird.«

Niqmepa lachte unsicher. »So groß wie du bist, wirst du auch im Mantel eines Händlers aussehen wie ein Krieger. Aber meinetwegen, riskiere ruhig deinen Kopf. Was, glaubst du, wird mich daran hindern, bei der ersten Gelegenheit zu Hannzumiraschs Männern zu laufen und ihnen von deiner Anwesenheit zu berichten?«

Amunhotep lächelte flüchtig, denn das Gespräch nahm die gewünschte Wendung. Er nahm seine Halskette ab. Mit einer abrupten Bewegung durchtrennte er sie in zwei Teile, wobei einige Goldplättchen absprangen, nach denen Niqmepa gierig schnappte. Amunhotep schob die eine Hälfte in seinen Gürtel, die andere hielt er dem Händler unter die Nase. »Das wäre die Bezahlung für deine Verschwiegenheit und Gastfreundschaft.«

Niqmepa hatte den Schmuck augenblicklich an seinem Körper verstaut. »Und die andere Hälfte?«

»Die werde ich dir geben, sobald ich dein Haus verlasse, darauf hast du mein Wort.«

»Dein Wort?«, sagte Niqmepa zweifelnd. »Was soll mich daran hindern, dir die Kehle durchzuschneiden, während du schläfst?«

»Das kannst du ja meinetwegen versuchen. Aber es bekommt dir weitaus besser, wenn du deine Hände in den Schoß legst und auf dein Gold wartest.«

»Du wirst dich mit einem Fußtritt von mir verabschieden, genau so, wie du mich vorhin begrüßt hast. Aber meinetwegen, ich bin einverstanden.«

»Selbstverständlich, denn du bist ein vernünftiger Mensch.« Amunhotep nahm die Zügel und stieß die Fersen leicht in die Seiten des Pferdes. Es war ein plumpes Lasttier und gehorchte widerspruchslos. Seine Trägheit und die schlüpfrige Beschaffenheit des Bodens verhinderten eine schnelle Gangart, sodass Niqmepa schnaufend und fluchend neben ihm herlaufen konnte.

»Baal soll dich holen«, keuchte er erneut. Schweißtropfen glitzerten in seinem gelockten Bart. »Und Hannzumirasch möge dir einen Pfahl in deinen Leib treiben, sobald du das Stadttor von Dimaschka durchquert hast und enttarnt worden bist, als Dank dafür, dass ich neben dir her trotten durfte wie ein Lastesel. Es sind zwei Tage bis Dimaschka! Nenne mir wenigstens deinen Namen, damit ich weiß, wen der Gott der Unterwelt verfluchen soll.«

»Ich bin Amunhotep, der Sohn des Thutmosis: Amunhotep-heqa-waset-heter-heqa-waset-heter-heqa-iunu. Aber rede mich nicht so an, du würdest meine heiligen Namen mit deinem grauenvollen Akzent nur entweihen.«

»Ich werde mich hüten; bevor es mir gelingen könnte, das alles auszusprechen, ohne über meine eigene Zunge zu stolpern, würde ich alt und grau werden.« Niqmepa drehte spöttisch die Augen zum Himmel. »Amunhotep? Der Sohn von Thutmosis? Nun ja, verzeih, dass ich nicht auf die Knie falle, um dir zu huldigen, o Kronprinz von Ägypten, zukünftiger Herrscher der Welt, denn das bereitet mir jetzt allzu große Mühe. Mir scheint, du hast länger in der prallen Sonne gelegen, als dir guttat.«

Amunhotep winkte ab und lachte. Er hatte nicht erwartet, dass der Händler ihm Glauben schenkte, und so war es ohnehin besser. Ja, offenbar musste er seinen prinzlichen Stolz überwinden und sich als unbedeutender Händler ausgeben, aber was machte das schon. Seine Laune besserte sich, trotz der seltsamen Situation und der erniedrigenden Art und Weise, sich fortzubewegen, nämlich auf einem Pferderücken reitend.

Nach einem Tag und einer Nacht, die sie, unterbrochen nur von kurzer Rast, schweigend durch die Wüste gewandert waren, erreichten sie die von Süden nach Osten verlaufende Handelsstraße. Amunhotep sah Karren, beladene Ochsen und Esel; unter ihrer Last gebeugte Menschen wanderten über das sandige Geröll der Stadt Dimaschka zu, die über ein sanftes Tal ausgebreitet lag, inmitten einer grünenden Flussoase. Er hatte längst vergessen, dass das Land Syrien auch schön und fruchtbar sein konnte. Der Fluss war gesäumt von Pistazienbäumen, Palmen, Ackerland. In der Ferne erblickte er die rauen Berge des Antilibanon; dorthin wand sich die westliche Straße, über kalte, windgepeitschte Pässe, um nach zwei, drei Tagen das Wadj-Wer, das große grüne Meer, zu erreichen.

Amunhotep war inzwischen überzeugt, dass niemand kommen würde, um ihn, den Kronprinzen von Ägypten, heimzuholen. Der Befehlshaber Djehuti war längst fort, auf dem Weg nach Gaza, lange Tagesmärsche vom Ort der Schlacht und dieser unseligen Stadt hier entfernt. Oder aber auf dem Weg ins Amentit, dem Reich der Toten, wo auch der Rest des kleinen ägyptischen Heeres auf den Richterspruch des Osiris wartete.

Zweiundzwanzig Jahre alt hatte Amunhotep werden müssen, um den ersten Feldzug unter seinem und Djehutis Kommando führen zu dürfen: nichts überwältigend Aufregendes, kein Vorstoß in die Zweistromländer, um das ohnehin gewaltige Imperium Thutmosis des Dritten, des Gottes der Welt, zu erweitern. Er sollte Erfahrungen sammeln, um selbst einmal die ägyptische Weltmacht zu leiten. Und er hatte sich benommen wie ein Knabe: Das Zentrum der Schlacht zu verlassen, um zwei syrische Hauptleute zu verfolgen! Allein Amun mochte wissen, was ihn dazu bewogen hatte. Vielleicht hätten sie ihn zu ihrem Anführer geführt, zu Hannzumirasch, vielleicht … Doch jetzt war all das unwichtig geworden, jetzt galt es, sich in dieser seltsamen und fremden Lage zurechtzufinden. Er blickte in westliche Richtung und zuckte die Achseln. Es sah ganz danach aus, als würde er seiner ersten Torheit eine zweite hinzufügen, doch welche Wahl hatte er schon?

Immer stärker wurde der Strom der Reisenden, und am Nachmittag des zweiten Tages erreichten sie die Stadtmauer Dimaschkas. Amunhotep saß ab und zog die Kapuze des Mantels, den er Niqmepa abgenötigt hatte, über die Stirn. An der Seite des Händlers, in leicht gebückter Haltung, würde er bei den Stadtwachen nicht mehr Aufmerksamkeit als nötig erregen. Zumindest erhoffte er es, dennoch prüfte er den Sitz des Dolches in seiner Lederscheide.

Die Zedernflügel des Stadttores standen weit offen. Die Schlacht hatte das geschäftige Leben offenbar nur kurz zum Erliegen gebracht. Kaum waren die Truppen abgezogen und die syrischen Rebellen zurück in ihre Verstecke geflohen, waren die Menschen aus ihren Häusern gekrochen und hatten ihre alltäglichen Verrichtungen wieder aufgenommen. Unter den Händlern erblickte Amunhotep jedoch keinen einzigen von ägyptischer Herkunft; wahrscheinlich waren jene klug genug, dieser Stadt für eine gewisse Zeit den Rücken zu kehren.

Sie mischten sich unter die Anreisenden. Fast alle der Leute, die zum Tor drängten, um sich von den Stadtwachen mustern zu lassen, waren Syrer, einige trugen hurritische Züge, andere entstammten den Küstenstädten der Kanaaniter, wie Amunhotep an ihren kunstvoll aufragenden Topfhüten erkannte. Viele reisten in Sänften, mit großem Gefolge und Gepränge, andere liefen barfuß, ihre armselige Habe auf dem Rücken, oder trieben Ziegen und Schafe vor sich her. Vor den Tischen der Torwächter reihten sich alle ein; manche wurden einer eingehenderen Musterung unterzogen und sogar abgewiesen. Nach einer langen halben Stunde kam die Reihe an ihn. Er blieb vor dem Tisch stehen, hinter dem ein Stadtwächter mit gewichtiger Miene saß, den spitzen Bronzehelm locker auf dem Kopf, mit schmutzigem Bart und schwarzen Fingernägeln.

»Du, Großer«, wies er auf Amunhotep, »du passt ganz eindeutig nicht in diese Reihe der windigen Händler und Diebe.« Er bedeutete ihm, die Kapuze zu lüften. Amunhotep gehorchte und hoffte, dass seine aristokratischen Züge unter der Schicht aus Staub ein wenig verborgen waren.

»Ein Ägypter«, sagte der Wächter und spuckte verächtlich aus. »Ich will nicht glauben, dass du nicht weißt, was zwei Tagesreisen von hier geschah. Nun, was hast du dazu zu sagen?«

»Nichts«, antwortete Amunhotep ruhig. »Ich bin ein einfacher Händler und kümmere mich nicht um die große Politik.«

»Ein einfacher Händler, soso. Glauben nicht die Ägypter, dass die ganze Welt dem Pharao gehört?«

»Ich sagte bereits, dass ich mich nicht um die Dinge der Herrschenden kümmere. Aber da du es ansprichst: Du hast ganz recht, alles, was existiert, gehört dem Pharao, denn er ist …« Amunhotep unterbrach sich, denn ihm wurde bewusst, dass er auf dem besten Weg war, eine Dummheit zu begehen. Er sagte sich, dass es ganz gleich war, was dieser Syrer glaubte oder dachte.

»Alles gehört Thutmosis dem Großen, ich werde mich hüten, etwas anderes zu behaupten!« Der Torwächter lachte. »Was also solltest du noch erwerben wollen? Wie ist dein Name?«

Amunhotep nannte einen verwirrend klingenden Namen, sodass der Mann aufstöhnte.

»Ihr und eure seltsamen Namen. Und du?«, wandte er sich an Niqmepa. »Kenne ich dich nicht? Du bist doch Niqmepa, nicht wahr? Seit wann gibst du dich mit ägyptischen Handelspartnern ab? Was ist es denn, das du ihm andrehen willst?«

Amunhotep dachte, dass er Niqmepas Schätze vielleicht zu voreilig fortgeworfen hatte. Der Händler schob sich vor und tischte mit einem Einfallsreichtum, der ihm einige Bewunderung abrang, eine Geschichte auf. Aber dem Posten schien sie nicht glaubwürdig genug zu sein, denn er erhob sich und verschränkte gewichtig die muskulösen Arme vor der Brust.

»Alles gut und schön. Aber weißt du, was mich an deinem Begleiter stört?«

Niqmepa machte eine abwiegelnde Handbewegung. »Ich weiß, er ist ein bisschen groß geraten …«

»Das außerdem. Nein, da ist noch etwas anderes, und das gefällt mir nicht.« Der Wächter schien darüber nachzusinnen, während er Amunhotep ausgiebig musterte. Amunhotep bemühte sich um Gleichmut, aber er begriff, dass die Dinge nicht so liefen, wie er es sich törichterweise erhofft hatte. Er fragte sich nach dem Grund, aber er konnte es sich nicht erklären. Als der Wächter von seinem Tisch zurücktrat und ihnen bedeutete, ihm zu folgen, überkam ihn für einen flüchtigen Moment der Drang, nach seinem Dolch zu greifen.

»Es ist nur eine Formsache«, erklärte der Mann und ging zu einem langgestreckten Gebäude, das längs der Stadtmauer verlief. So unscheinbar und baufällig es war, so bedrohlich wirkte es. Amunhotep sah winzige Fenster, die so hoch lagen, dass er sie mit ausgestrecktem Arm nicht erreicht hätte. Eine Tür aus Zedernholz stand offen, und ständig liefen Syrer ein und aus: Stadtwachen und Bedienstete wie ihr Begleiter. Er musste den Kopf ein wenig einziehen, als er ins Innere trat. Der Geruch nach Urin und Schweiß, der aus dem dunklen, rückwärtigen Teil des Gebäudes drang, warnte ihn.

»Wenn mir jemand auffällt, knüpfe ich ihm eine Kordel mit einem kleinen Steinsiegel um das Handgelenk«, sagte der Wächter und griff in eine Truhe, aus der die schmuddeligen Kordeln quollen. »Wenn man dich anspricht, Großer, wirst du dieses Siegel vorzeigen; es bestätigt, dass du ordnungsgemäß die Stadt betreten hast. Gnade dir Baal, wenn du es verlierst.«

»Und warum hast du diese Siegel nicht draußen auf deinem Tisch?«, fragte Amunhotep; gleichzeitig fuhr seine Hand zum Dolch, und er hörte Niqmepa schreien. Jemand schlug die Tür zu, sodass für einen Augenblick eine eigenartige Stille herrschte, denn die Geräusche von der Straße drangen nur noch gedämpft herein. Amunhotep wartete nicht ab, er sprang auf den Torwächter zu und spürte, wie seine Klinge in weiches Fleisch drang. Zwei oder drei Syrer drangen seitwärts auf ihn ein; da er ihnen ausweichen musste, fehlte ihm die Zeit, seinen Dolch zu befreien.

Es waren gut bewaffnete Soldaten, die sich in der Düsternis besser auskannten als er. Amunhotep stieß mit dem Knie gegen einen Tisch, von dem beschriebene Tonscherben klirrend zu Boden fielen. Sonst gab es nichts in diesem schmalen Raum, von dem links und rechts Gänge abzweigten. Er versetzte der Truhe mit den Kordeln einen Tritt, sodass einer der Soldaten darüber stolperte, dann bückte er sich rasch nach dem Sichelschwert, das dem Mann aus der Hand geglitten war, und stieß es dem zweiten in die Brust. Er versuchte, zur Tür zurückzukommen und sie aufzureißen – was er draußen inmitten der Menschenmenge tun wollte, wusste er nicht, aber das erschien ihm jetzt nicht wichtig –, doch der Weg war bereits von weiteren syrischen Kriegern versperrt. Es gelang ihm, zwei von ihnen abzuwehren, dann spürte er eine Speerspitze in seinem Nacken und eine weitere an seiner Wange.

Er ließ das Schwert fallen. Mit Hilfe der Speerschäfte zwangen sie ihn mit dem Oberkörper auf den Tisch. Eine der Tonscherben ritzte seine Haut dicht am Auge, aber das spürte er kaum. Innerlich fluchte er über seine Unbeherrschtheit. Oder war es Überheblichkeit? Er zählte aus den Augenwinkeln fünf Syrer, die den Tisch umringten; nach wie vor drückten die bronzenen Speerspitzen in sein Fleisch. Jemand griff in seinen Nacken und zerrte ihm Niqmepas Mantel von den Schultern.

»Leg deine Hände auf den Tisch«, befahl eine Stimme über ihm. Er hatte diese dunkel und rau klingende Stimme bereits auf dem Schlachtfeld vernommen, sie gehörte niemand anderem als Hannzumirasch, dem Rebellenführer. Amunhotep hätte beinahe aufgelacht. Dimaschka war in der Tat ein Aufenthaltsort der syrischen Aufwiegler, und er hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als hier hereinzuspazieren. Er presste die Handflächen auf das Holz.

»Er ist … ein Soldat«, zischte der Torwächter, der offenbar mit seiner Dolchwunde zu kämpfen hatte, denn seine Worte kamen stockend. »Er trägt einen ägyptischen Soldatenschurz. Ich wusste, der lügt. Er spricht … unsere Sprache.«

»Ja«, kam Hannzumiraschs einprägsame Stimme, »wo hast du die gelernt, Ägypter? Kaum ein Mann deines Volkes lässt sich dazu herab, irgendetwas außer Ägyptisch zu sprechen.«

Im Kap, der königlichen Schule in Memphis, antwortete Amunhotep in Gedanken. Aber das werde ich nicht dir erzählen. »Ich war eine Zeitlang in einem Grenzfort am Horusweg«, sagte er betont abfällig, »da lernt man so manchen verlausten Syrer kennen.«

»Hier wird’s dir auch gefallen«, entgegnete Hannzumirasch. Ein bronzeharter Gegenstand, wahrscheinlich ein Streitkolben, ging auf Amunhoteps Hinterkopf nieder und schickte ihn in tiefe Dunkelheit.

Er erwachte, als er etwas Fauliges an den Lippen spürte. Sein Hinterkopf hämmerte im Gleichklang mit seinem Herzschlag, aber die Schmerzen waren zu ertragen. Die kannte er; Hannzumirasch hatte ihn auf die gleiche Art und Weise in die Bewusstlosigkeit geschickt wie zwei Tage zuvor einer der syrischen Krieger. Amunhotep versuchte die Augen zu öffnen, was nicht einfach war, denn seine Lider hatten an Gewicht zugelegt. Er stellte fest, dass er auf dem Boden lag, mit dem Gesicht in feuchtem, stinkendem Stroh. Angewidert spuckte er zwei Halme aus und stemmte sich hoch.

Zu der anfänglichen Erleichterung, nicht gefesselt zu sein, kam Ernüchterung, als er erkannte, wo er sich befand. Dieser Teil des Gebäudes war offensichtlich Gefangenen vorbehalten: Zu beiden Seiten eines breiten Ganges reihten sich Verliese aneinander. Die Wände des winzigen Raumes, in dem er hockte, waren aus grob behauenen Steinen, nur die Wand zum Gang hin bestand aus einem Gitter. Amunhotep zog sich an die bronzenen Stäbe heran und blickte auf den Gang. Syrische Rebellenkrieger liefen herum; es waren dieselben, die ihn in ihre Gewalt gebracht hatten, aber jetzt beachteten sie ihn nicht. Von Hannzumirasch war nichts zu sehen.

»Drei Stunden«, sagte jemand hinter ihm. Amunhotep fuhr herum. Niqmepa saß in der Zellenecke, mit vor dem Bauch gefalteten Händen.

»Was?« Amunhotep rieb sich die Schläfen und versuchte, Klarheit in seinen schmerzenden Kopf zu bekommen.

»Du warst ungefähr drei Stunden bewusstlos. Ich sage es dir, weil du mich ohnehin danach fragen wirst. Du hast einen ganz schön harten Schädel, wie es scheint.«

»Weshalb«, Amunhotep musste sich räuspern, »weshalb haben sie dich eingesperrt?«

»Da fragst du noch?« Niqmepa klang empört. »Weil ich es war, der dich im Schlepptau hatte. Ich habe ihnen erklärt, dass du mich gezwungen hast, dich zu begleiten.« Plötzlich zeigte sein schweißüberzogenes, fülliges Gesicht den Anflug eines Lächelns. »Aber du musst dich um mein Schicksal nicht sorgen, sie werden mich gehen lassen. Du solltest dir besser um deine eigene Haut Gedanken machen, Prinz von Ägypten. Oder soll ich dich nicht so nennen? Hannzumirasch würde noch ganz anders mit dir verfahren, müsste er annehmen, du seist wirklich der Sohn des Pharao, nicht wahr?«

»Rede, was du willst«, brummte Amunhotep, »mir ist es gleich.«

»Wirklich? Nun ja, einen Prinzen von Ägypten stelle ich mir verweichlicht vor, mit bleicher Haut und weibischem, geschminktem Gesicht. Nun, was immer du in deinem früheren Leben warst, jetzt bist du ein Gefangener, der Hannzumiraschs Gnade ausgesetzt ist. Aber ich glaube nicht, dass er weiß, was das ist.«

Amunhotep wollte nicht mehr zuhören. Erneut umklammerte er die Gitterstäbe und drückte das Gesicht an die kühle Bronze. Der Gang war dunkel, nur ab und zu blakte eine Fackel in ihrer Wandhalterung. Die stickige Luft konnte durch die winzigen, hochgelegenen Fenster, die er schon von draußen bemerkt hatte, nur schlecht abziehen. Am anderen Ende des Korridors bemerkte er eine kleine Steinfigur, die von einer über ihr flackernden Fackel angeleuchtet wurde: eine syrische Göttin, mit absonderlich verformten Gliedern und schweren Brüsten.

Er legte zwei Finger auf die Brust, um sein Amulett, die Federkrone des Gottes Amun, zu berühren. Aber da war nichts mehr, er hatte seine Halskette dem Händler gegeben, zumindest die eine Hälfte. Amun, dachte er, König der Götter, Beschützer Thebens, wo bin ich nur hineingeraten?

Amunhotep legte den Kopf in den Nacken. Die Tür, die ebenfalls aus aneinandergereihten Bronzestäben bestand, war mit einem mächtigen Holzbalken dicht unterhalb der Decke verschlossen. Er vergewisserte sich, dass keiner der Syrer zu ihm herüberschaute, stand auf und streckte sich nach dem Balken, wobei er sich auf die Zehen stellen musste. Mit den Fingerspitzen berührte er das Holz, aber was half ihm das? Er würde niemals den Balken schieben oder gar anheben können, nicht einmal, wenn es hier etwas gäbe, auf das er sich stellen konnte, Niqmepa eingeschlossen.

Er ließ die Hände sinken, als einer der Syrer heranschlurfte, mit einem Tonkrug unter dem Arm. Amunhotep nahm den Krug durch die Gitterstäbe in Empfang. Falls er tatsächlich Durst gehabt hatte, verging der ihm jedoch beim Anblick des schmierig glänzenden Wassers. Er hatte geglaubt, auf seinem Weg nach Syrien das schlechteste Wasser getrunken zu haben, das er sich vorstellen konnte, aber dies hier war kaum genießbar. Er reichte es Niqmepa, der ebenfalls nur die Nase rümpfte.

»Du solltest es trinken«, meinte der Händler. »Ich bin bald draußen und kann mein Haus aufsuchen, wo mir meine Frau eine anständige Mahlzeit bereiten wird. Du hingegen wirst in der nächsten Zeit nichts anderes bekommen. Es ist vermutlich nicht so wohlschmeckend wie das Wasser des Nils, nachdem es ein halbes Dutzend Mal durch Tücher geseiht und mit duftenden Kräutern versetzt wurde. So etwas trinken ja wohl die Leute am Hof von Thutmosis, dem Beherrscher der Weltgegend.«

»Halt endlich den Mund«, knurrte Amunhotep. Er sah den Rebellenführer das Gebäude betreten und beobachtete ihn, so gut es ging. Hannzumirasch war eine beeindruckende Erscheinung, trotz seines barbarischen Äußeren. Seine schwarzen Haare waren sehr kurz, nur am Hinterkopf hing eine dicke Strähne bis auf die Schulterblätter. Schmucknarben verliefen von den Handgelenken bis zum Hals. Amunhotep fand, dass er nicht an einen Ort wie diesen passte. Hannzumirasch ähnelte eher den wilden Männern der Schasu-Nomaden, die das Türkisland unsicher machten.

Unruhe entstand am Eingang, als zwei Syrer einen weiteren Gefangenen anschleppten. Amunhotep wich zurück, als sie sich an dem Verlies gegenüber zu schaffen machten. Sie stiegen auf rasch herbeigeschobene Hocker, um den Balken anzuheben. Ein Dritter stieß den bewusstlosen Neuankömmling in sein neues Zuhause, eine Blutspur hinter sich herziehend.

Amunhotep fühlte eine kalte Hand nach seinem Herzen greifen. Dieser Mann war niemand anderes als Djehuti, der Befehlshaber der ägyptischen Truppen. Djehuti schien schwer verletzt zu sein, aber wenigstens atmete er gleichmäßig. Sein linker Arm war von verkrustetem Blut bedeckt, das an manchen Stellen noch nässte. Ein abgebrochener Pfeilschaft steckte irgendwo oberhalb des Ellenbogens. Aber es war nicht die Pfeilwunde, die den Befehlshaber niedergestreckt hatte: Eine böse blutende Platzwunde zog sich über seine Stirn, wohl von einem Streitkolben.

»Das ist die Umkehr der Maat«, raunte Amunhotep. Nun erst wurde ihm die Niederlage des ägyptischen Heeres voll und ganz bewusst. Hatte es das überhaupt schon einmal gegeben während der fünfzigjährigen Herrschaft seines Vaters, des mächtigsten Pharaos seit dem sagenhaften Djoser Netjerichet? Nein, niemals seit Millionen Jahren.

»Was ist das: Maat?«, fragte Niqmepa, der die Tätigkeit seiner Landsleute misstrauisch beobachtete.

»Maat ist die Göttin der Wahrheit«, erwiderte Amunhotep widerwillig. »Maat ist die Ordnung, welche die Götter der Welt gegeben haben. Die Maat sagt, dass der Pharao Gott ist, der über alles herrscht.« Und sie sagt, dass ich eigentlich nicht hier sein dürfte, fügte er in Gedanken hinzu.

Hannzumirasch schlenderte heran und sah zu, wie seine Männer den Balken wieder an Ort und Stelle schoben. »Djehuti«, sagte er scheinbar gedankenverloren. »Djehuti, du bist zu alt für den Krieg. Dein Herr, der sich der Starke Stier nennt, ist ebenfalls zu alt, aber im Gegensatz zu dir schickte er den Sohn an seiner Statt. Wirklich bedauerlich, dass Amunhotep entkommen ist. Wie man sagt, ist er stark, ein echter Krieger; er würde es einige Stunden draußen am Pfahl aushalten, meinst du nicht auch? Nun wirst du den Pfahl zu spüren bekommen.«

Niqmepa kicherte bei diesen Worten, sodass der syrische Rebell sich umwandte. Amunhotep runzelte die Stirn, als er spürte, wie sich sein Magen zusammenballte. Es war schlichte Angst, und er dachte, dass es durchaus an der Zeit war, Angst zu haben. Er wusste nicht, was es mit dem Pfählen auf sich hatte – nun, er hatte schon einiges darüber gehört, aber was es wirklich bedeutete, wollte er nicht einmal erahnen.

Hannzumirasch rührte sich nicht, während er die beiden Männer musterte. Er war beinahe so groß wie Amunhotep, und er schien sich seiner Wirkung bewusst zu sein. Schwere goldene Ohrringe baumelten über seinen muskelbepackten Schultern. Er trug nur einen fransenbesetzten Schurz, was seine barbarische Wildheit unterstrich. In einer Hand hielt er seinen Streitkolben, in der anderen eine Lederschlinge. Amunhotep konnte sich lebhaft vorstellen, dass er damit einiges bewerkstelligen konnte.

»Einer von Apheks Dienern hat sich angekündigt«, sagte Hannzumirasch schließlich, an Niqmepa gewandt. »Du bist dem wohlhabendsten Händler der Stadt recht wichtig, wie es scheint. Er wird für deine Freilassung einiges bezahlen müssen.«

»Ja, ja«, sagte Niqmepa hastig, »er wird mich nicht im Stich lassen.«

Hannzumirasch stieß einen schnaubenden Laut aus und machte Anstalten, wieder zu gehen. Da stieß Djehuti mit einem erstickten Laut einen blutigen Schleimklumpen aus und riss die Augen auf. Amunhotep war sich nicht sicher, ob er wirklich wach war. Djehuti schien durch ihn hindurchzublicken, während er die blutverschmierten Finger um die Stäbe krallte. Er hustete und versuchte, nach seinem verletzten Arm zu tasten, aber das schien die Schmerzen nur zu verstärken.

Amunhotep wartete auf das, was kommen musste. Niqmepa hatte ihn nicht verraten, jedenfalls noch nicht, aber Djehuti würde es unwillentlich tun, sobald er ihn sah. In seinem schlimmen Zustand war der Befehlshaber kaum fähig, sofort die richtigen Schlüsse zu ziehen und zu schweigen.

Djehuti öffnete die Lippen, aber falls er etwas hatte sagen wollen, konnte er es nicht mehr, denn er sackte zur Seite und starrte schwer keuchend zur Decke seines Verlieses. Hannzumirasch brummte etwas Unverständliches und verschwand wieder im Dunkel des Ganges.

Amunhotep umklammerte die Stäbe, bis seine Fingerknöchel knackten. Amun, es kann doch nicht sein, dass ich hier ausharren muss, bis man mir ein Stück Holz in den Leib treibt. Amun, du kannst mich nicht vergessen haben. Ich bin Amunhotep: Amun ist zufrieden. Amun ist zufrieden!

Hart stieß er den Atem aus und hockte sich an die kalte Steinwand. Er hätte sich gerne auf dem Boden ausgestreckt, aber das Stroh sah aus, als sei es voller Ungeziefer, und so bemühte er sich, davon so wenig wie möglich zu berühren. Unwillkürlich drängten sich ihm Bilder von den schön angelegten Gärten der Residenz in Theben auf, von den steingefassten Teichen, in denen Lotosblüten schwammen, und den weiten Räumen seines Hauses, wo täglich die Sklaven jedes Sandkorn fortfegten und hübsche Dienerinnen mit ihren buntschillernden Fächern für frische Luft sorgten. Und er dachte an seine Frau.

Nein, das darf ich nicht tun, ermahnte er sich. Ich verliere den Verstand, wenn ich jetzt an sie denke.

2.

»Verrate mir«, sagte Amunhotep zu Niqmepa, »weshalb bist du so sicher, dass dich dieser ach-so-wichtige Händler herausholt? Ich habe dir alles abgenommen, was du ihm hättest verkaufen können.«

Niqmepa verlagerte sein ansehnliches Gewicht und zog einen winzigen Beutel aus den Falten seines fadenscheinigen Gewandes.

»Dies hier hast du übersehen, du großer Krieger, denn ich verstaute es vorsorglich bei mir. Und wenn du es jetzt noch stehlen willst, werde ich Hannzumirasch herzurufen. Und was ich ihm erzählen werde, weißt du hoffentlich, denn von allen meinen Funden auf dem Schlachtfeld war der Sohn des Pharao unzweifelhaft der erstaunlichste.«

Amunhotep lächelte abschätzig. »Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich es bin.«

»Ich glaube gar nichts.« Der Händler lauschte auf Geräusche aus dem Gang, öffnete das Lederbeutelchen und schüttelte mit äußerst vorsichtigen Bewegungen den mageren Inhalt auf seine Handfläche. Es waren etwa zwanzig winzige Kügelchen von glänzendblauer Farbe. Ein schwerer, süßlicher Geruch stieg von ihnen auf, der an Lavendel erinnerte.

»Aphek wird dieses Gift haben wollen, denn es ist äußerst wertvoll«, erklärte Niqmepa gedämpft und dennoch gewichtig. »Ich habe es in seinem Auftrag erworben, kurz bevor ich in Richtung des Schlachtfeldes aufbrach.« Er seufzte auf. »Leider traf ich dort dich.«

Amunhotep beugte sich vor, um diese überaus kostbaren Körner in Augenschein zu nehmen. »Du handelst also auch mit Gift?«

»Jede Arznei ist zugleich ein Gift, das ist eine Frage der Dosierung. Allerdings kann man mit den Samen dieser Pflanze tatsächlich nicht heilen, sondern nur töten. Sie ist sehr tückisch und sehr begehrt. Reisende brachten sie aus einem Land jenseits von Assyrien mit. Man nennt sie die Tränen der Ischtar. Das ist die Göttin der Liebe, aber Ischtar kann auch sehr streng und zornig sein.« Niqmepa nahm eines der Körnchen zwischen die Finger, aber es war so winzig, dass es nicht mehr zu sehen war. »Hiermit allein kann man einen Mann töten. Darum haben die Menschen an den Tischen der Könige reichlich Verwendung dafür.«

Amunhotep sah zu, wie er das Gift wieder in den Beutel füllte. »Allein damit … Wenn das wahr ist, könnten wir versuchen, es den Wachen zu geben.«

»Bist du verrückt?«, fauchte Niqmepa und ließ den Beutel augenblicklich verschwinden. »O ja, du bist verrückt. Wie stellst du dir das vor? Willst du Hannzumirasch bitten, dass er dir seinen Weinkrug durch die Gitterstäbe reicht, damit du eine von Ischtars Tränen hineinwerfen kannst? Überhaupt, was sollte mich dazu bewegen, dir zu helfen?«

»Nichts, gar nichts, da hast du recht. Ich werde sterben, aber das muss dich nicht kümmern.«

Niqmepa schürzte die Lippen. »Es kümmert mich nicht im Geringsten. Deine Frau wird um dich trauern müssen. Hast du überhaupt eine Frau?«

Amunhotep beobachtete die Bewegungen der Syrer auf dem Gang, gleichzeitig wartete er auf ein Lebenszeichen von Djehuti. »Ich habe eine Frau: Schischwa.« Schischwa, wiederholte er in Gedanken. Ihr Name klang zwischen diesen schmutzigen Mauern seltsam fehl am Platz.

»Das klingt aber nicht sehr ägyptisch.«

»Sie ist die Nichte des Königs von Mitanni.«

Kichernd schlug sich Niqmepa auf die Schenkel. »Ach ja, ich vergaß: Du bist der Sohn von Thutmosis dem Dritten, dem Goldfalken, dem Starken Stier! Wie ist sie denn, deine Mitanniprinzessin? Kann sie sich mit den schönen Ägypterinnen messen?«

Auf dem Gang lag ein Lehmklumpen, der an Djehutis Sandalen geklebt haben musste, denn Amunhotep erkannte darauf den Abdruck eines winzigen Kopfes: eines Fremdländers von irgendwo aus den Neun-Bogen-Ländern, den Feinden Ägyptens, die auf Djehutis Sohlen aufgestickt waren. Er streckte den Arm durch die Stäbe und versuchte den Klumpen zu greifen.

»Thutmosis hat vor vielen Jahren den verkehrt dahinfließenden Fluss, den ihr Euphrat nennt, überquert und das Mitannireich unterworfen. Nach langen Verhandlungen schickte der König von Mitanni voriges Jahr seine Nichte, um als Geisel am Hof von Theben zu leben.«

»Halt, halt!«, rief Niqmepa hinter ihm gedämpft. »Meines Wissens hat Thutmosis Mitanni nie erobern können. Er ist lediglich mit einer gewaltigen Streitmacht auf riesigen Flößen den Euphrat hinuntergefahren, aber den Fuß auf das Land der Hurriter hat er niemals gesetzt.«

»Weil es nicht nötig war. Mitanni unterwarf sich, bevor es sich auf einen aussichtslosen Krieg einließ.« Amunhotep bekam den Klumpen nicht zu fassen. Er hatte damit Djehutis Aufmerksamkeit auf sich lenken wollen, aber vielleicht fand sich etwas anderes, das er durch die Gitterstäbe werfen konnte? Er wandte sich um, doch hier in diesem Verlies gab es nichts außer dem stinkenden Wasserkrug.

»Eine Schönfärberei, nichts sonst«, plapperte Niqmepa weiter. »Er wusste angesichts der Weiten des Mitannireiches, dass er es niemals würde beherrschen können.«

»Was verstehst du denn schon von den Gedankengängen eines Gottes, du Nichtswürdiger?«, zischte Amunhotep. »Das Volk von Mitanni, die Hurriter, zahlen Ägypten jährlichen Tribut, und im Gegensatz zu deinem widerspenstigen Volk sind sie vernünftig genug, Thutmosis nicht herauszufordern oder die Zahlungen zu vergessen. Der Mitannikönig Parsasatar schätzt sich glücklich, dass seine Nichte am Hof von Theben leben darf, noch dazu als meine Frau.«

Niqmepa hob die Hände. »Du willst nicht, dass ich deine Herkunft erwähne, aber ständig pochst du selber darauf herum.«

»Mein Vater ist der leuchtende Goldfalke, der über der Welt gleitet! Wie könnte ich das vergessen?«

»Wie kommt es eigentlich, dass du nichts bei dir trägst, das deine Herkunft belegen könnte? Müsste sich ein ägyptischer Prinz nicht schier unter der Last des Goldes beugen? Deine Halskette war doch recht armselig.«

»Ich pflege mich nicht zu schmücken, wenn ich im Heer marschiere.«

»Du hast auf alles eine Antwort. Einzig deine Selbstgefälligkeit passt zu deiner Geschichte, o Sohn des leuchtenden Goldfalken, der über der Welt gleitet.«

Ein gequälter Schrei ließ Amunhotep herumfahren. Djehuti war im Begriff, sich an den Bronzestäben hochzuziehen. Der Befehlshaber starrte ihn an; in seinen Augen lagen gleichermaßen Fassungslosigkeit und Bedrückung. Amunhotep entging nicht, wie zwei der Syrer die Hände an ihre Streitkolben legten und herbeieilten. Hannzumirasch war dicht hinter ihnen, mit einem drohenden Blick in Amunhoteps Richtung.

»… bist … hier!« Djehuti streckte eine Hand durch die Stäbe, dadurch verlor er den Halt und sackte zurück. »Amun-Amunh…«

Seine Lider flatterten, er sank in sich zusammen, die andere Hand löste sich langsam vom Gitter.

»Der Mann ist mehr tot als lebendig«, seufzte Hannzumirasch. »Was hat er sagen wollen? Er hat dich angesehen, Ägypter.«

»Er hat unseren Gott angerufen«, erwiderte Amunhotep mit einem Gleichmut, den er nicht empfand.

»Euer Gott wird euch nicht helfen.« Der Syrer deutete auf seine Leute, dann auf Djehuti. »Schafft den da wieder hinaus, er verpestet nur unnötig die Luft. Stellt draußen einen Pfahl auf. Er soll mit dem Holz Bekanntschaft machen, so lange noch Leben in ihm ist.«

Amunhotep sprang auf und zertrat den Tonkrug so heftig, dass das faulige Wasser nach allen Seiten spritzte. »Was seid ihr für Barbaren!«, schrie er. »Ihr verdient es, dass Ägypten eure Stadt dem Erdboden gleichmacht!« Er langte nach einer spitzen Scherbe, streckte den linken Arm durch das Gitter, packte den nächststehenden Syrer am Hals und zog ihn an die Bronzestäbe. Das alles geschah so schnell, dass er genügend Zeit hatte, dem Mann die Scherbe mit der Spitze voran in den Hals zu jagen. Die Scherbe war nicht scharf genug, um seine Lebensader aufzureißen, aber der Syrer brüllte gellend auf und riss sich fluchend los. Amunhotep bedauerte zutiefst, dass dies alles war, was er mit seiner Tonscherbe hatte ausrichten können. Als Hannzumirasch befahl, den Balken zu seiner Zelle zu entfernen, war er beinahe erleichtert.

Zu dritt drängten sie in das Verlies. Niqmepa quiekte ängstlich und drückte sich in die äußerste Ecke. Amunhotep rammte den Vordersten gegen die Bronzestäbe, mit solcher Wut, dass er Rippen knacken hörte. Der Mann taumelte auf den Gang zurück und schrie nach Verstärkung. Dem zweiten versetzte er einen Fausthieb, aber in der Enge traf er nur das Schlüsselbein. Dennoch gelang es ihm, ihn beiseite zu schieben und einen Fuß auf den Korridor zu setzen.

Er packte einen auf ihn gerichteten Speer und versuchte ihn an sich zu bringen, aber er musste unterliegen, denn er war geschwächt. Er fühlte Hannzumiraschs Schlinge um seinen Hals, und sobald ihm die Luft ausblieb, schwanden seine Kräfte. Sie stießen ihn zurück in sein Verlies, wo er mit dem Gesicht voran gegen die Wand schrammte. Er versuchte noch, mit dem Fuß nach hinten auszutreten, aber es war zu spät. Mit den Speerschäften – mit was auch immer, er sah es nicht – knüppelten sie ihn zu Boden, während er an der Schlinge zerrte.

Vergebens rang er nach Luft; Lichtpunkte begannen vor seinen Augen zu tanzen. Erst als er keinen Muskel mehr rührte, ließen sie von ihm ab. Er hörte das metallische Zuknallen der Tür und das Rattern des Balkens, als dieser wieder in seine Position hoch über dem Gitter geschoben wurde. Allmählich lockerte sich die Schlinge, und er konnte atmen, aber sein Körper war in einen einzigen pulsierenden Schmerz getaucht. Er wartete einige lange Augenblicke, dann rollte er sich auf die Seite.

Amunhotep sah eine Frau. Es musste eine Sinnestäuschung sein, denn er spürte, wie er dicht davor war, in Bewusstlosigkeit einzutauchen.

Nein, sie stand wirklich dort draußen auf dem Gang und sah ihn an. Lange, dichte Locken fielen ihr fast bis zur Taille, volle Brauen wölbten sich über großen Augen in einem braungebrannten Gesicht.

»Schischwa«, flüsterte er und streckte die Hand nach ihr aus, aber er bekam nur die Gitterstäbe zu fassen. Sie trat einen Schritt zurück. »Nein, du kannst es nicht sein. Bist du ihr Ka?« Amunhotep schloss die Augen. Tu es nicht, denk nicht an sie … Nicht jetzt, es ist zu schmerzvoll.

Amunhotep ging mit weitausholenden Schritten durch die großzügigen Korridore und Hallen, deren Wände mit bunten Malereien auf weißem Grund schier übersät waren. Aus bronzenen Becken quoll der Weihrauchduft, der Atem der Götter. Wo immer er vorüberkam, verneigten sich die Menschen, kreuzten die Arme vor der Brust oder streckten sie demütig vor; die Wachtposten rissen die Flügeltüren auf, noch bevor er herangetreten war. Die breiten goldenen Reife an seinen Oberarmen zeigten mit ihren Gravuren an, wer er war: Sohn des Gottes, der Kobra und Geier vereint. Und auf den Enden des Schals, der um seine Mitte geschlungen war, stand sein Name, gebildet aus den Zeichen für das Schilfblatt, das Brettspiel, die Wasserlinie und das Brot auf der Opfermatte.

Er betrat einen sonnendurchfluteten Raum, in dem Schischwa auf dem Boden saß, auf den Knien eine geöffnete Papyrusrolle. Djay, Gelehrter aus dem Haus des Lebens und einstmals Lehrer der königlichen Kinder, schritt vor ihr auf und ab und hörte zu, wie sie sich mit den schwierigen Hieroglyphen abmühte. Sie sah auf, warf Amunhotep ein Lächeln zu und zuckte hilflos mit den Schultern. Djay räusperte sich und verneigte sich in seine Richtung.

»Nun, Schischwa«, der Gelehrte strich sich mit einem Tuch den Schweiß vom kahl rasierten Kopf, »das Lesen bereitet dir noch große Mühe. Oder liegt das an der heutigen Hitze? Beschäftigen wir uns mit etwas Entspannenderem, nämlich mit der Geschichte unseres Landes.«

Amunhotep, der sich im Hintergrund hielt, musste lächeln, denn ägyptische Geschichte war alles andere als entspannend. Schischwa seufzte und reichte Djay den Papyrus. Vor zwei Monaten war die Nichte des Mitannikönigs gekommen, um nach Thutmosis’ und Parsasatars Willen in die mächtige ägyptische Dynastie einzuheiraten. Amunhotep, der längst alt genug war, um einen Harem zu gründen, hätte sich niemals träumen lassen, dass er sich augenblicklich in sie verlieben würde. Doch so war es gekommen, kaum dass ihr Fuß das Schiff verlassen hatte, mit dem sie aus dem fernen Mitanni angereist war.

Djay rollte den Papyrus zusammen und steckte ihn zu anderen in einen Ebenholzkasten. »Wie heißt der Begründer unserer herrschenden Dynastie? Aber ich möchte außer seinem Geburtsnamen auch seinen Thronnamen und den Nebti-Namen hören.«

Schischwa warf ihren prächtigen Lockenkopf zurück, den sie kaum bändigen konnte, weshalb sie ständig dicke Strähnen hinter die Ohren strich. Sie musste sich die Antwort abstottern, und Djay legte sichtlich unzufrieden den Kopf in den Nacken.

»Nun, wer folgte auf Ahmose?« Da sie nicht antwortete, gab er selbst die Antwort: »Amunhotep der Erste, Djoserkare. Möge die Dynastie uns noch viele Pharaonen schenken, mit denen Amun zufrieden sein kann.«

Amunhotep lächelte über das gefällige Wortspielchen. Amun ist zufrieden – das war die schlichte Bedeutung seines Namens. Djay betete die Namen der Pharaonen herunter, und Schischwa hörte angestrengt zu.

»Wer folgte auf Thutmosis den Zweiten? Hast du derartige Dinge denn gar nicht in deinem Mitanniland gelernt?«

Amunhotep lehnte sich mit gekreuzten Füßen an eine der Lotosbündelsäulen. Seine Fächerträgerin, eine schöne Tochter aus adligem Hause, bewegte gleichförmig den mannshohen Federnfächer, um ihm Kühlung zu verschaffen. Mit dieser Frage hatte der langweilige Unterricht hoffentlich sein Ende, denn Schischwa würde die Antwort wissen. Sie sprach Ägyptisch beinahe fehlerlos und hatte in ihrer Heimat ganz sicher auch einige Lektionen über die ägyptischen Herrscher gelernt. Schischwa besaß volle dunkle Augenbrauen, die sie jetzt zusammenzog.

»Doch, habe ich«, antwortete sie ein wenig mürrisch. »Hatschepsut, eine Frau, eine Pharaonin. Aber ich glaube nicht, dass ich mich an ihren Thronnamen erinnern kann.«

Diese Antwort verblüffte ihn, und auch Djay stieß einen überraschten Laut aus.

»Was ist denn das für ein Unsinn? Es gab nie eine Frau auf dem Horusthron, und das wird auch nie so sein. Die Antwort ist falsch«, sagte der Gelehrte streng. Schischwa schlang nachdenklich eine Locke um ihren Finger.

»Aber so habe ich es daheim gelernt«, beharrte sie, jetzt sichtbar gereizt. »Hatschepsut war die Tochter von Thutmosis dem Ersten und die Gemahlin von Thutmosis dem Zweiten. Und als dieser starb, bestieg sie den Pharaonenthron …«

»Du hast es schlichtweg falsch gelernt«, unterbrach sie Djay. »Hatschepsut ist ein Titel, er bedeutet: Die Erste unter den vornehmen Frauen. Auch Amunhoteps Mutter Meritre ist eine Hatschepsut.«

»Ach, ich finde das alles noch so verwirrend. Die Pharaonen haben so viele seltsame Namen.« Schischwas Augen suchten Amunhotep, fast schien es ihm, als erwarte sie, dass er eine Bresche für sie schlug, aber dieses Thema war am Hof tabu. Es musste schon eine Mitanniprinzessin kommen, um den Namen dieser sagenhaften Frau in den Mund zu nehmen und auch noch zu behaupten, sie sei Pharao gewesen. Die Papyri im Haus des Lebens und die Bilder an den Tempelwänden lehrten anderes, nämlich dass auf Thutmosis den Zweiten dessen Sohn folgte: Thutmosis der Große, der Lebende Horus, der Begründer des gewaltigen ägyptischen Imperiums.

Djay begann in blumigen Worten von Thutmosis’ glorreicher Herrschaft zu berichten, von seinen Feldzügen, die ihn bis an die Grenzen des Mitannireiches weit im Nordosten geführt hatten. »Dort setzte er sein ganzes Heer auf Flöße und segelte den Euphrat hinunter, den verkehrt dahinfließenden Fluss, bis an die Vorposten der hurritischen Hauptstadt, wo er Parsasatar unterwarf. Da du die Namen der ägyptischen Könige nicht weißt, zähle mir doch die Ahnentafel der hurritischen Herrscher auf.«

Schischwa warf ihr widerspenstiges Haar zurück und sprang mit geballten Fäusten auf. »König Parsasatar hat sich nicht unterworfen. Ich bin nicht nach Ägypten gekommen, um mir so etwas anhören zu müssen!«

Djay hob abwehrend die Hände. »Sind das die Manieren, die hurritische Frauen lernen? Du solltest dich wieder hinsetzen und mir zuhören, denn deine heimische Bildung ist schlecht, ganz und gar schlecht!«

Schischwa stampfte mit dem Fuß auf. Amunhotep bewunderte ihre zusammengezogenen Brauen, darunter die blitzenden Augen. Ihre Brüste bebten unter dem hauchdünnen Leinenkleid, ihre Armreife klirrten. Etwas reizvoll Fremdartiges haftete ihr an. »Mitanni ist nicht erobert worden, niemals«, beharrte sie. »Thutmosis hat den Euphrat ja gar nicht überschritten. Und wieso sagst du, der Fluss würde verkehrt fließen?«

»Weil er in die andere Richtung fließt als der Nil, der der Herr aller Flüsse ist.«

»Oh, was seid ihr doch für ein überhebliches Volk!«

»Das lasse ich mir nicht länger von dir bieten«, rief Djay. »Der Herrscher nimmt dich an seinem Hof auf, und wie dankst du es ihm?« Er klemmte seinen Papyruskasten unter den Arm und eilte zur Tür. »Wir werden weitermachen, sobald es sich wieder mit dir vernünftig reden lässt.« Er unterbrach seinen raschen Schritt, um Amunhotep noch einmal zu huldigen.

»Verzeih mir, Hoheit«, murmelte er, »aber ich kann solche Reden nicht dulden.«

»Mag sein, aber ein wenig mehr Geduld könntest du schon an den Tag legen. Sie kommt aus einem fernen Land, in dem man die Maat nicht kennt, was erwartest du also von ihr? Ich will nicht, dass du sie noch einmal so anfährst.«

Ergeben senkte Djay den Kopf und hastete hinaus. Amunhotep löste sich von der Säule und ging zu Schischwa.

»Du bist wirklich störrisch«, er zog sie an sich. »Warum sagst du nur solche Sachen?«

»Ach, du!« Sie schlang die Arme um seinen Nacken. Das konnte sie, denn sie war eine großgewachsene Frau. »Du würdest doch nichts sagen, das deinem Vater, dem großen Eroberer Thutmosis, nicht gefällt. Du glaubst doch auch, dass er das Mitannireich unterwarf, oder nicht?«

Amunhotep konnte nachempfinden, dass ihr hurritischer Stolz von dieser Niederlage getroffen war, aber ihre Beharrlichkeit fand er nicht angebracht. »Du bist erst einige Wochen hier, du kannst also gar nicht wissen, ob ich alles glaube, was mein Vater erzählt. Aber die Hurriter zahlen ihm Tribut; warum sollten sie das tun, wenn sie ihn nicht als ihren Herrn anerkennen? Und weshalb schickte Parsasatar dich hierher, wenn nicht aus Demut? Er weiß, es ist für ihn eine Ehre, dass seine Nichte mit mir vermählt wurde.«

Statt einer Antwort deutete Schischwa auf das Wandbild hinter ihm. »Da! Siehst du das?«

»Natürlich sehe ich es«, brummte er und musterte das lebensgroße Bildnis von Thutmosis dem Großen, wie er auf seinem Streitwagen stand und Pfeile auf syrische Soldaten abschoss. Die Syrer waren sehr klein dargestellt, ein wirrer Haufen von Leibern, die von den Pferden des königlichen Streitwagens niedergemäht wurden, während der Gott hochaufgerichtet den Bogen spannte. Überall im Palast gab es solche Szenen an den Wänden, mal zeigten sie Thutmosis in einer Schlacht, mal bei der Jagd, mal im Gespräch mit den Göttern. Amunhotep waren sie nur zu vertraut.

»Er lenkt den Streitwagen, indem er die Zügel um seine Hüfte geschlungen hält«, sagte Schischwa. »Und gleichzeitig spannt er den Bogen. Du, der du angeblich der beste Wagenlenker Ägyptens bist, musst doch wissen, dass das völlig unmöglich ist. Und die feindlichen Soldaten sind ein blöder, ungeordneter Haufen, als wüssten sie nichts von Schlachtordnung und Taktik.«

»Aber das ist doch bloß …«, Amunhotep wandte sich von der hohen Wand ab. »Wie sähe das denn aus, wenn da oben auf dem Bild sein Wagenlenker stünde? Die Bilder sollen zeigen, dass er der Herr der Welt ist, dem sich niemand in den Weg stellen kann, das ist alles. Das sollte dir dein neues Leben hier nicht vergällen. Du wirst dich schon daran gewöhnen. Es gibt eben ein paar Regeln, an die du dich halten musst.«

»Und zwar?«, fragte sie herausfordernd, aber ihr Ärger schien zu schwinden.

»Pharao ist Gott, die Inkarnation des Horus, der Starke Stier, der Falke, dem alles Leben unterstellt ist. Er ist die Verkörperung Ägyptens.«

»Ach, das habe ich längst begriffen«, sie winkte lachend ab. »Und was noch, du stolzer Sohn des Gottes?«

Amunhotep zuckte die Achseln. »Alles lebt, um Pharao zu dienen. Du solltest den Namen Hatschepsut nicht erwähnen.«

»Ach ja, diese sagenhafte Königin, die Ägypten regierte, bevor dein Vater sie vom Thron stieß …«

»Nein, das darfst du nicht sagen, hörst du?«

Sie lachte über seine entsetzte Miene. Er legte beschwörend einen Finger auf ihren Mund, nach dem sie spielerisch schnappte. Jäh durchzuckte ihn eine heftige Erregung, und er presste sie fordernd an sich. Schon kam ihr Atem keuchend. Er drängte sie gegen die Wand, damit sie Halt fand, um ihre Schenkel um seine Hüften zu legen. Mit einer ungeduldigen Handbewegung scheuchte er seine Fächerträgerin beiseite, während er sich in Schischwas Lippen verbiss. Die Träger ihres durchscheinenden Gewandes waren schnell heruntergeschoben. Er küsste ihren Hals, ihre Brüste und hörte ihren fordernden Atem.

Gemeinsam sanken sie an der Wand herab. Er wünschte sich, sie überall gleichzeitig berühren zu können, etwas, das ihr mühelos zu gelingen schien, zumindest empfand es sein erhitzter Körper so. Sie saugte an seiner Zunge, dann schob sie ihm das goldene Brustpektoral in den Nacken, um den Schweiß aus der Kuhle seines Schlüsselbeins zu lecken.

»Du bist wundervoll«, murmelte er. »Ich frage mich, was ich eigentlich all die Jahre zuvor getan habe.«

»Denk lieber daran, was wir in den zukünftigen Jahren tun werden«, lachte sie und knotete seinen Schurz auf. Einen Augenblick später war er in ihr, und sie liebten sich auf dem kühlen Fliesenboden unterhalb eines kleineren Wandbildes, das die königliche Familie zeigte. Als es vorüber war, mussten sie sich auf dem Boden ausstrecken, um Atem zu schöpfen. Schischwa rollte auf den Rücken und betrachtete die hoheitsvollen Gemälde.

»Alles hier ist so groß, bunt und verschwenderisch«, raunte sie, noch immer leise keuchend. »Der Palast ist wie ein üppiger Traum, und ich genieße ihn, trotz eines herrischen Pharao, der überall in Siegerpose auf mich herabstarrt.« Sie streckte einen Finger in die Luft. »Das dort bist du, nicht wahr? Du bist ein wenig größer dargestellt als all die anderen Menschen, die dem Pharao huldigen.«

Er drehte den Kopf, um ihrem Fingerzeig zu folgen. Auf dem Bild stand er zwischen seinem Bruder Amenemhet, der bereits seit einigen Jahren verstorben war, und seiner Schwester. Meritamun war eine klassische ägyptische Schönheit, und er selbst war ihr wie aus dem Gesicht geschnitten.

»Sie wird deine Königsgemahlin werden«, sagte Schischwa, »ich hingegen bin nur deine zweite Frau.«

»Du bist jetzt meine Frau«, widersprach er. »Meritamun heirate ich erst, wenn ich den Thron besteige, um ihr heiliges Blut mit dem meinen zu vermischen. Also denk nicht darüber nach.«

»Sie ist sehr schön und sehr belesen. Mit ihr kann ich mich niemals messen.« Schischwa tippte sich auf die Nasenspitze. »Meine Nase ist gebogen, und ich bin so unbesonnen und aufbrausend wie ein Wildesel.«

»Genau das mag ich an dir«, er neigte sich ihr zu und küsste sie, diesmal langsamer und genussvoller. Aus den Augenwinkeln sah er wieder das Bild seines Vaters auf dem Streitwagen, und plötzlich schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. »Weshalb eigentlich nicht?«, sagte er und blickte in Schischwas dunkle Augen. »Ich werde es tun.«

»Was wirst du tun?«

Er lachte leise. »Den Streitwagen mit den Hüften lenken und gleichzeitig mit dem Bogen schießen.«

»Du bist ja verrückt. Willst du dir den Hals brechen?«

»Sollte der vermeintlich beste Wagenlenker Ägyptens es nicht wenigstens versuchen?«

»Hm. Du hast zwar keine krumme Nase …«, sie strich die Finger durch sein schwarzes Haar, »aber weißt du, was ich glaube? Du bist noch weitaus unbesonnener als ich.«

Niqmepa hatte die Wahrheit gesprochen: Jemand kam und löste ihn aus. Über Amunhoteps Sinnen lag ein Schleier, der sich nur ab und zu hob, dann hörte er die Stimmen der Syrer oder bemerkte eine flüchtige Bewegung, die sein Kopf nicht zu deuten vermochte. Er lag auf dem Boden und rührte sich nur, wenn es unumgänglich war: wenn er das stinkende Wasser trank oder das Essen hinunterwürgte, das ihm die Wächter zukommen ließen. Er hatte nicht die geringste Vorstellung von dem, was er aß. Der Gestank in seinem Verlies nahm tagtäglich zu, und das Stroh nahm eine feuchte, beißende Beschaffenheit an. Er wartete ab, bis sich sein Körper von den Prellungen erholte. Sein Zorn war nicht verraucht, sein Willen keineswegs gebrochen. Aber er wusste keinen Ausweg als den, auf den drohenden Tod zu warten. Diesen Weg ging Djehuti ihm voraus: Wie angekündigt sollte er gepfählt werden. Der Befehlshaber des Amun-Regiments erlangte das Bewusstsein in jenem Augenblick wieder, als die Syrer ihn hinausschleiften – die syrischen Götter waren nicht gnädig mit ihm.

Als Amunhotep wieder soweit war, dass er einigermaßen klar denken konnte, fragte er sich, wie viel Zeit vergangen war. Einige Wochen oder gar Monate?

Er tastete nach dem Fenstersims hoch über seinem Kopf und zog sich hoch. Der Platz vor dem Stadttor war nicht anders als an dem Tag, als er ihn betreten hatte. Djehuti lag bäuchlings auf einem Bohlentisch mitten auf dem Platz, nackt, mit auf dem Rücken gefesselten Händen. Einige Syrer, darunter ein paar Frauen und Kinder, sahen zu, wie die Rebellen mit ihrer üblen Arbeit begannen. Sie hämmerten einen Holzpfahl mit gehärteter Spitze in Djehutis After. Djehuti stieß kraftlose, gurgelnde Schreie aus. Amunhotep sah mit fassungslosem Staunen zu, wie der Pfahl in dem zuckenden Leib verschwand, tiefer und tiefer, bis er ihm endlich das Leben nahm.

Er sank an der Wand nieder und stützte die Ellbogen auf die Knie. Sie würden ihn früher oder später holen, und wenn ihm Amun noch einmal half, würde er einige der syrischen Rebellen töten, bevor sie ihn zum Pfahl zerrten.