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Magisterarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Politik - Politische Theorie und Ideengeschichte, Note: 2,3, Ludwig-Maximilians-Universität München (Geschwister-Scholl-Institut), Sprache: Deutsch, Abstract: Der Terrorismus war und ist in aller Munde. Aber hat man auch die andere Seite der Medaille kritisch gewürdigt? Zu einem Streit gehören immer zwei und Jacques Derrida hat für diese typischen Zwiste auf der Differenz genau den richtigen Begriffsapparat geliefert, oft nicht, ohne den schwächeren Partner zu bevorteilen, das freilich aus einer gänzlich und einmal erfrischend unamerikanischer Perspektive, wo diese doch selbst die "Schurken" sein sollen. Wird es eine einfache Lösung aus diesem Dilemma geben? Das natürlich nicht: aber die Arbeit soll helfen, dem Phänomen Terror/ismus in einer zusammenfassenden wie rückblickenden Geste näherzukommen, aus einem rezenten Kontext heraus. Tangiert wird dabei nicht nur die Geschichte von Gewalt, Aggression, Gesetz in wessen Form auch immer, ja bis zum Tod des Verfügenden eo ipso. Dabei kann natürlich auch ein religionswissenschaftlicher Vektor in der aktuellen Konstellation nicht außen vor gelassen werden. Der Terrorismus wird weiter Schule machen und hat sie gemacht, ob in der Wüste oder anderswo - man kann aber versuchen, ihm auf die Spur zu kommen, bevor er ausnahmslos, seiner Intention nach und durch die Naivität der Medien gefördert, alles durchdringt. Man hat ihn dann im strengen Sinne dekonstruiert.
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4.3.2Dekonstruktion macht dann doch Schule: CLS 45
5Angewandtes Beispiel n+1: Textaufgabe Terror/ismus 45
5.1Inventur der Aservaten, Bestandsaufnahme der Personalien 45
5.2Die„Terror“, derTerror& der Terrorist 47
5.3Chronos revisited: revised edition, unreleased & revamped 63
5.4„Spielarten“ (wir meinen: ernstzunehmende Abarten) 72
5.5Wo brennt es nicht? 80
6Räuber & Gendarm - eine Über→Ich←Es-Koalition 817Bibliographie 86
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Stygischer Schleier
Ein Stück wird aufgeführt. Ein äußerst tragisches. Wir vergewissern uns nochmal, schauen genauer hin. Handelt es sich überhaupt um eine Theaterdarstellung? Leider nicht. Es zeitigt bisweilen alle Anzeichen davon, vor allem in den Momenten seiner übertriebenen Grausamkeit, der Farce und Burleske in der sich viele, wenn nicht alle der einschlägigen Protagonisten gebärden, doch dann wieder in der entfremdeten Nüchternheit mit der Schadenssummen, Opferzahlen und „geopolitische Implikationen“, Konsequenzen vorgetragen werden, wie man sie sonst nur von einem Intermezzo Brecht'scher Manier kommentiert haben will. Aber es wurde ja eben schon konstatiert, wir betrachten gar keine Bühne (höchstens vielleicht insofern Antonio uns allen unsere Rolle zuweist), was wir da sehen ist die blanke Schneide der Realität, „nackte“ Tatsachen, wie uns der Jargon weismachen will. Doch diese „Ereignisse“ (derer manche gar keine sind, andere permanente und darum wenig ereignishaft, oder um so mehr) sind nie so ungeschminkt und freilich ist das Problem offensichtlich weniger der Akt der Perzeption, gemeinhin des Sehens (doch auch Heideggers' Ohr könnte noch einen Part übernehmen), sondern vielmehr die Tat/en als ihr Bericht, denn eines ist immer schon mehr als eins, n+1, aber auch das wird sich noch als bestenfalls fragwürdig herausstellen. Schon hat uns die Verschiebung erfasst. Der Rest drängt dazu, hier noch das anzuwesen, dort noch zu fügen. Verfügen also, darüber, welche Bahn sich die Spur diesmal bricht. Wie? So wie man denkt, nach-denkt oderganz anders?Am besten womöglich in alle Richtungen ein wenig, zunächst das Garn dort aufnehmend, nicht das des Seemanns, dessen wir uns gerade auch erwehren wollen (aber geht das letztlich, sind wir nicht alle schon zu sehr verwickelt, umgarnt, verheddert, um nicht zu sagen: becirct? Ist der subjektive Ereignishorizont nicht je zu klein um Gewissheit zu erlangen?), hoffend, dass die Indizien sich fügen: Unfug? Vielleicht (ein vielsagendes vielleicht1), mitnichten, paradox, aporetisch, doch auch nicht mehr als die Grundlage, diechora,die Wüste in der Wüste, auf der zu erklimmen der Bau sich schicklich anhebt. Schicksal Babels, Elfenbeinturm oder „La Tour Eiffel“, letzterer bezeichnenderweise ein Rundfunksender, womit wir dem Thema (hyperbelartig? Asymptotisch? Dilettantischer, ja verzweifelter Versuch der „radikalen“, rhizomatischen Sprengung des Linearen, im Gerüst schonvielleicht?Vielleicht.) erneut uns annähern. Fürchten müsste man sich eigentlich inzwischen von der Plattform zu winken. Oder doch nicht? Doch zunächst, senden nichtin Wahrheit(ein gefährlicher Begriff, voller Sprengkraft) alle drei der genannten Arten von himmel|s|türmenden (auch: ikonoklastischen) Meisterleistungen menschlicher Architektur, und zwar - Wahrheit? Sprachen, Wissen, Audiovisualität. Brisante Wörter, komplexe Verknüpfungen, Verwirrung, Daten über Datenströme. Wer kennt sich noch aus?
1 z. B. Derrida, Politik der Freundschaft, loc. cit., S. 51-79
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Die Medien? Vermutlich, oder besser vermeintlich, manche bezweifeln es. Doch warum sie zum Sündenbock machen? Wen dann? Etwa die Terroristen? Doch wer sind dieeigentlich,was ist ihr „Eigentum“ (so umstritten auch geistige Urheberrechte nach wie vor sind), woran erkennt man sie, wie kann man sie ins Visier der Rasterfahndung zerren? Moslems, oder schlimmer noch, ganze Moscheen? Der Banknachbar aus der Oberprima, weil er Ramadan erst nachts isst? Purer Terror und sehr verdächtig, für unser westliches, teilweise kontinentaleuropäisches Empfinden, für Frankreichs „haute cuisine“ allemal. Ja, um Nationalklischees scheint es auch zu gehen. Fragen über Fragen. Bevor noch mehr aufkommen, ziehen wir den Vorhang, warten wir ab, wen wir auf dem Parkett antreffen (oder ist es vielmehr ein Gerichtssaal, und wir werden eine Reihe von Personen vorladen, Sachverständige, Augenzeugen, Anklageführer, Nebenkläger, Opfer, Richter, eine Jury, die denkbar besten Anwälte, alles was dazugehört; ein theatralischer Prozess also, eine Verhandlung in einem Stück? Und das wo doch immer echtes, durchaus konkretes und doch flüchtiges, unfassbares, jagespenstischesLeid auf dem Spiel steht? Vielleicht ist das das Problem, dass es allzu vielen nurmehr ein Spiel ist, zu hoch gepokert, um allzu fatale Einsätze. Ein-sätze, ja. Militärische, geschriebene, angeordnete, fiskalische, einleitende und doch schon so endgültige) und was man uns zu erzählen hat, vielleicht kann man uns weiterhelfen, vielleicht.Jacques Derridas' Meta-Biographie, nur einmal verwenden und ausstreichen
Unversehens blicken wir auf Algier, genauer: auf El Biar. Dinge müssen immer irgendwo anheben. So gewagt dieser Übergang auf Anhieb erscheinen mag, er wird sich noch als zentraler erweisen, als augenfällig betrachtet ersichtlich. In der Tat ist Hannah Arendts' Wort der „Natalität“ dafür vorläufig (in gewisser Weise aber immer auch endgültig, schon wieder) gar kein schlechter Ausgangspunkt. Jacques Derrida erspäht also das Licht der Welt (bzw. deren Dunkel), plötzlich, immer schon, geronnene Zeit. Wie also anfangen, wo doch dieser selbst Bücher schreibt, die immer nur Einleitungen zu Büchern bleiben, Fragmente von Fragmenten, wenige neue Seiten im „Großen Buch“, oder gar nur die erschöpfend ausführliche Anmerkung zu anderen Büchern, deren stetes Verharren in ihrem provisorischen, skizzenhaften, immer nur anfänglich bleibenden Charakter wir soeben entlarvt haben. Doch gibt es das denn je, einen richtigen Beginn? Stattdessen eine Protologie vielleicht, Logik der Prototypen? Diese Frage soll uns erst später beschäftigen. Natürlich kann man zunächst invozieren, wie man es immer tut. Name, Geburtsort und Datum2, alles hat seine formale Richtigkeit, archivier- und ad acta ablegbar, verwaltbar. Folgen wir diesem Aufruf also, wie es die Konvention verlangt.
2 Zum Datum, vgl. Derrida, Schibboleth, loc. cit., passim
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Aller Anfang ist schwer - Jugendjahre
Geboren am 15. Juli 1930, als Teil einer Familie assimilierter sephardischer Juden, vereinigt der spätere Philosoph von Weltruhm früh schon zwei entscheidende Wesenszüge, die Kraft der Sozialisation niemals unterschätzend, vielmehr gleich zwei ganze Kulturräume auf sich, die sichauchin seiner Person reflektieren, wir werden es sehen, „das Volk Gottes“ im Exil, Diaspora, mehr oder minder angepasst, inmitten des Maghrebin.
Was schon wieder zwei neue Verweisungen, „Supplemente“ gleichsam, heranzieht, die ebenso aufgegriffen werden wollen. Zum einen, es klang bereits an, der „Status“ dieses Teils Nordafrikas als französische Kolonie, eine weitere, genuin andersartige und differente „Ordnungssphäre“ menschlichen Zusammenlebens, und, nicht zu vergessen, mit allen mittlerweile zur Genüge bekannten Problematiken eines hegemonialen Imperialismus behaftet, zum anderen und in gewisser Weise damit verwoben, die Attribuierung durch so manchen Kommentar als „ der Marane“, was mehr auf den dritten religiösen Aspekt dieser Spektralanalyse verweist, das Christentum als jüngste Ausprägung des Monotheismus. Doch damit einher gehen bereits eine ganze Reihe neuer, aber auch jahrhunderte-, wenn nicht bald jahrtausendealter Schwierigkeiten. Am frappantesten; wie kann eine bereits ursprünglich (doch wie ursprünglich?) „zwangsorientalisierte“ Abstammungslinie Judäas, die quasi schon einen ersten vorprogrammierten, genetischen Konflikt in der Existenz- und Identitätsfindung von Derrida anzusiedeln scheint, dann auch gleichzeitig, oder auch nur subsequent, dasselbe Verhältnis gegenüber der Religion des „Nazareners“ behaupten? Ist das nicht etwas zuviel des Guten? Und viel schlimmer noch, um die Sache übermäßig zu verkomplizieren, kommt durch des Autors späteren Werdegang noch mindestens eine, wenn auch nicht so ausgeprägte Fraktur mehr und zwar innerhalb, hinzu, namentlich die divergierenden Bibelauslegungen und alles darauf Basierende zwischen dem Römisch-Katholischen (gegebenenfalls Orthodoxen, wir müssen diesen Punkt noch an gegebener Stelle vertiefen) und den „White Anglo-Saxon Protestants“.
Eines Tito würdig: Drei Religionen, drei Nationen, fünf kulturelle Einflüsse, deren letzter allerdings diese Inklusion beileibe nicht verdient. Denn auch eine bestimmte Unart „Heiden“ (ohne damit jenen „normalen Ungläubigen“ auf den Schlips treten zu wollen, die keinerlei mit derartigen bodenlosen Schandtaten in Verbindung zu bringen sind; die Zuweisung dieses Begriffes ist in etwa so klar und propagandistisch, wie die des „Terroristen“ selbst, „essentially contested concepts, wie man mit Gallie evtl. sagen könnte und was hoffentlich noch ein wenig deutlicher im weiteren Verlauf werden wird) reden noch ein Wörtchen mit. Und zwar jene, die im Stechschritt unterm pervertierten Fruchtbarkeitssymbol mordeten und man kann wohl von Glück sagen, dass Rommel
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an eben jener Lokalität der Sand ins Getriebe geriet, während seine Panzertruppen in der Wüste stecken blieben. Rollen wir die Stränge nach und nach auf, sprengen wir die Handlungsketten.Sephardim
Möglicherweise nämlich prädestiniert bzw. qualifiziert Derrida diese Koinzidenz mehr als vergleichbare „scholars“, sich diesem heiklen, vorurteilsbeladenen und von vielen Seiten Hass entgegenschwappendem Themenkomplex „objektiver“ zu nähern als die „Konkurrenz“, was auch immer das wieder meinen mag, es gilt dies im folgenden zu überprüfen. Aber wenn man schon so ansetzt, festlegt und schon am Kategorien bilden ist, bereits im Begriff war die „richtige“ Schublade zu öffnen, nur um frustriert zu realisieren, dass keine sofort so ganz angemessen sein möchte, muss man dann nicht ein zweites Mal überlegen, akribischer nachforschen. Doch wo anfangen? Wir haben es ja bereits gehört, Sephardim, aha, das lässt sich nachprüfen, Juden also, mehr oder minder islamisiert (wie weit? Kann man das messen, empirisch gar? Geht es dabei um eine Geisteshaltung, Riten, Lebensumstände oder um was sonst?), von der iberischen Halbinsel „reemigriert“. Reemigriert. Ein sperriges Wort. Bedeutet das, dass es darauf ankommt und was eigentlich, von wo man aufbricht und wo man hinwill, oder vielmehr wo man zur Zeitist(muss man es in eben jenem Augenblick nicht bereits wieder ausstreichen, weiterziehen?) und wie weit muss man zurückgehen, wo fängt man an? Ist es nicht außerdem schon zum Wesensbestandteil des Judentums geworden, nie da zu sein, wo man sein möchte? Generationen in der Wüste, immer auf der Suche nach dem „Gelobten Land“, pilgernd nach Zion, man wird es wohl wissen wenn man dort ist. Doch Moment, ein Anachronismus überholt uns, längst schon sind wenigstens die Falken dort angekommen. Aber welche Bewandtnis kann es damit haben, auf ein frühkoloniales Spanien zu verweisen, welches im übrigen auch sehr „italienisch“ gewesen sein muss? Man sieht schon, wir müssen noch etwas nachhaken. Denn andererseits war er dem NS-Regime bzw. den Vichy-Kollaborateuren „semitisch genug“, um Derrida im Alter von 11 Jahren an seinem ersten Tag auf der weiterführenden Schule aus dem Lycée Ben Aknoun zu entfernen.
Betrachten wir das zweitnaheliegendste, Algerien als Teil des Maghreb, wenn nicht gar als dessen Inbegriff, ohne freilich die „Flügelstaaten“ diskriminieren zu wollen. Laut seiner eigenen Aussage befand sich Derrida in gewisser Weise zwischen diesen beiden Welten, nämlich der jüdischen und der moslemischen, ohne zu einer von ihnen je einen richtigen Zugang zu finden, ihr gänzlich anzugehören, von den „Kolonialherren“ ganz zu Schweigen. Doch in der Tat könnten wir versuchen, ob es nicht doch Reste gibt, mit anderen Worten „Spuren“ sozusagen, die ihn Zeit seines Lebens begleiten, sich in den Ansichten offenbarend und folglich doch sicher auch im Denken
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nachweisbar. Deuten wir zwei dieser „traces“ an, um sie bei Gelegenheit weiter zu lesen, ihnen nachzuschleichen: zum einen die durchaus spürbare Zugehörigkeit, wo nicht Freundschaft zu namhaften „juifs“ wie Emmanuel Lévinas bei gleichzeitiger ständig erfolgter kritischer Auseinandersetzung mit Gedankengut, welches gemeinhin dem Nazitum sympathisierend zugeschlagen wird, also das eines Schmitt oder Heidegger, oder dem, was man als Vorläufer auffasst, also insbesondere Nietzsche, vielleicht sogar schon Hegel3. Auch die Tragödie um die langjährige Freundschaft mit Paul de Man gehört in dieses „Kräftefeld“ (ein kraftlose Kraft, deren Schwäche, man kann nur hoffen: immerdar eine mahnende Abschreckung ihrer Einmaligkeit bleiben wird) und zeitigte groteske Resultate. Das Thema Freundschaft wiederum liefert uns den Schlüssel zu einer ganzen Reihe familiärer Sinnräume, von der notorischen Gastfreundschaft des sogenannten Orients, über das Migrationsrecht bis hin zur oft beschworenen Brüderlichkeit, oder sollten wir nicht besser und vor allem politisch korrekter mittlerweile sagen: Geschwisterlichkeit? Es lassen sich hier durchaus Pfade herleiten, welche uns, so wir nicht aufpassen, mit Leichtigkeit zu weiteren Orten tragen werden, die aus den selben Quellen entspringen und auf ähnliche Bezüge dieser Topologie verweisen. Dennoch, eine schärfere Profilierung ist zunächst erforderlich, verweilen wir noch kurz beim Judentum.
Mit Derridas Ähnlichkeiten zu Lévinas Erkenntnissen wird ein traditionsreicher Diskurs herangezogen, der vom Obskuren, ein Vorwurf, den er sich des öfteren gefallen lassen musste, bis hin zum Apokryphen reicht. Seien es am einen Ende die böswilligen Gerüchte um Protokolle von Weisen, von jüdisch-kapitalistischer Weltverschwörung, in dem die rezenteren terroristischen Anschläge im Licht von „Geheimbundkriegen“ erscheinen (und nur weil wir sie heute Nachrichtendienste nennen, hindert uns das nicht daran, sie in diese Historie miteinzubetten), wo die Rede ist von „novus ordo seclorum“, seien es am jenseitigen der Kanon realer Heiliger Schriften, d. h. der Talmud. Welches Maß das Judentum als Ganzes nun genau in Derridas Denken anheischig macht, darüber ist eine explizite Exeges gar nicht zu leisten, vielmehr gilt es aber sich die Beschaffenheit des „semantischen Feldes“ darum insgesamt in Erinnerung zu rufen. Wo von dem Sproß Jakobs4, den Abkömmlingen Israels und Judäa die Rede ist, muss auch die Shoa ihre gebührende Beachtung finden und sei es nur um festzustellen, von welcherart Grauen einem die Worte fehlen müssen. Nichtsdestotrotz muss man es versuchen, denn das Andenken zu verwahren, die Toten im Geiste zu bewahren, das ist eines von Derridas Hauptanliegen und dürfte mit Sicherheit in diesem beispiel- und vergleichslosen Genozid eine starke Fundierung finden.
3 Denken wir vor allem an das Kapitel B. IV. A. der „Phänomenologie“ mit der Überschrift „Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbstbewußtseins; Herrschaft und Knechtschaft.“ in Hegel, loc. cit., S. 153-164 4 Es ist im übrigen immer noch in gewisser Weise der Kampf mit Esau ums Erstgeburtsrecht, dem Naturrecht steht der Vorwurf des Mammon gegenüber. Umso mehr ein Boomerang, dass dessen Stammlinie nun auch im Namen des Geistes Zünder betätigt.
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Doch die immer wieder angestrebte und unzulässige Komparativität darf nicht hinwegtäuschen über das Opfer all der anderen Namenlosen, darf uns nicht abhalten uns weiter zu bemühen, das gnadenlos malmende Rad der Geschichte aufzuhalten und auch derer zu gedenken. Liebeskind verbildlicht nicht zufällig den Holocaust in Form von „voids“, Leerstellen dessen, was gewesen hätte sein müssen. Jedoch es nutzt nicht das Geschehene in seiner Unausweichlichkeit in Frage zu stellen, wo doch das Sein diesem, nicht jenem Weg gefolgt ist. Wir werden später erneut auf die Brüche in der Fügung, auf das anwesend Zerstörte, auf das Unwiederbringliche eingehen. Die Dekonstruktion ist nichts anderes als die Karte dieser Annihilationen des durch den Menschen für dieses Sein verlustig Gegangenen5. Wir müssen die Trauer ihrer Arbeit überlassen, so man überhaupt davon sprechen darf, dass sie die Verkapselung des Verdrängten durchdringen konnte oder nur könne.