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Dieses Buch behandelt zwei Themenbereiche, für die eher selten ein gemeinsamer Nenner gesucht wird: das menschliche Nervensystem und die Zivilisationsprobleme. Worin bestehen die Leistungsmerkmale des Nervensystems. Wie spielen diese zusammen? Wie entstehen daraus Verhaltensweisen, Emotionen, kognitive Leistungen, künstlerische Neigungen, die Seele und der selbstbewusste Geist? Diese Thematik ist ein umstrittenes Terrain, und für die genannten Phänomene gibt es viele Deutungsversuche aus unterschiedlichen Fachgebieten. Eckhard Schindler fügt einen weiteren hinzu. Er lenkt den Blick auf wesentliche Erkenntnisse der Neurowissenschaften und wendet darauf das Mittel der Abstraktion an. Das Ergebnis ist eine hypothetische, aber konsistente Beschreibung des Systems, das sich hinter dem Nervensystem verbergen könnte. Im anderen Teil des Buches werden die Sündenfälle unserer Zeit einer kritischen Analyse unterzogen. In weiten Teilen der Welt herrschen Kriminalität, Gewalt und Korruption vor. Ein erheblicher Teil der technologischen Höchstleistungen wird mit dem Ziel erbracht, grausame Kriegshandlungen begehen zu können. Natürliche Umwelt und Artenvielfalt sind unsere Lebensgrundlage, aber wir zerstören diesen Reichtum sehenden Auges. Wir folgen den Prinzipien des beschleunigten Konsums, des ökonomischen Wachstums und der Vermehrung des Shareholder Value bis ins Verderben. Wir verfügen über leistungsfähige Technologien und Industrien und lassen Menschen verhungern. Auch sonst ist kaum zu leugnen, dass der Mensch mit einer ausgeprägten Neigung zu destruktiven Verhaltensweisen ausgestattet ist. Großartige kulturelle Errungenschaften werden jederzeit durch das Desaster konterkariert. Auf die Analyse dieser dunklen Seite der Zivilisation folgt die Suche nach Auswegen. Die Idee eines weitgehend friedlichen, gerechten und systematischen (nachhaltigen) Managements der globalen Kulturgesellschaft mutet angesichts der geopolitischen Realitäten wie eine Utopie an. Dieser resignativen Erkenntnis setzt Eckhard Schindler konkrete Lösungsansätze entgegen. Die Thesen zum System hinter dem Nervensystem dienen dabei als Ausgangspunkt.
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Seitenzahl: 324
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Vorwort
1 Kultur oder Desaster?
1.1 Umweltzerstörung und Ressourcenverschwendung
1.2 Bevölkerungsexplosion, Hungerkatastrophe und globaler Ressourcenbedarf
1.3 Machtstreben, Gewalt und Kriege
1.4 Kriminalität, Korruption, mafiöse Strukturen
1.5 Marktwirtschaft, Keynesianismus, Wohlstand und Wachstum
1.6 Neoliberalismus und Kapitalismus der Gegenwart
1.7 Globalisierung, Armut und Hunger
1.8 Bürokratie, Regulierungswut und Kreativität
1.9 Kurzsichtigkeit der Demokratie
1.10 Gibt es einen Ausweg?
2 Das neuronale System
2.1 Der Mensch als Maschine
2.2 Der Gehirn-Prozessor
2.3 Der Zuwendungsbegutachter (ZB) als zentrale Steuereinheit
2.4 Der Mensch als biologisches Wesen
2.5 Der Mensch als Wesen mit Bedürfnissen und Emotionen
2.6 Wahrnehmung, Handeln und Denken
2.7 Die menschliche Sprache
2.8 Die Welt 3 von Popper
2.9 Der seine Angelegenheiten regelnde Mensch
2.10 Die Hierarchie der Bedürfnisse nach Maslow
2.11 Materielle und ästhetische Seite der Bedürfniswelt
2.12 Bedürfnispyramide und Vitalsystem
2.13 Das Prinzip der differenziellen Ästhetik
3 Der Menschheitsorganismus
3.1 Bedürfnisse und menschliche Gesellschaft
3.2 Der Menschheitsorganismus
3.3 Der Trend zum Zusammenwachsen
3.4 Der Subtilitätstrend
3.5 Psyche, Schrecklichkeitseffekt und Glaube
3.6 Der Erdenbürger als Mandatsträger
3.7 Das gesellschaftliche Kräftesystem
3.8 Präzision und Blockaden der Wahrnehmung
3.9 Der Professionalitätstrend und seine Nebenwirkungen
3.10 Ästhetik und Gesellschaft
3.11 Das kulturelle Währungssystem
3.12 Das Kultur-Prinzip
3.13 Die kulturell-ästhetische Perspektive
4 Kultur und Marktwirtschaft
4.1 Der Beitrag der Marktwirtschaft zur Kultur
4.2 Die Risiken der Marktwirtschaft
4.3 Verteilungsungerechtigkeit (Risiko 3)
4.4 Der Irrweg des Kommunismus
4.5 Konsummanie und ressourcenintensives Wachstum (Risiko 4)
4.6 Aushöhlung des politischen Pluralismus und der Demokratie (Risiko 2)
4.7 Verselbstständigung der Marktmechanismen (Risiko 1)
4.8 Neurasthenie des ökonomischen Wachstums
4.9 Krisenmanagement und Deregulierung
5 Desaster oder Kultur?
5.1 Zur Frage der Entwicklung der Kultur
5.2 Bürokratie, Regulierungswut und Kreativität
5.3 Kriminalität, Korruption und mafiöse Strukturen
5.4 Umweltzerstörung, Ressourcenverschwendung, Bevölkerungsexplosion
5.5 Machtstreben, Gewalt und Kriege
5.6 Kurzsichtigkeit der Demokratie und Professionalitätsfalle
5.7 Der Weg zur Kulturgesellschaft
Anhang: Der selbstbewusste Geist
Glossar
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Literatur
Es wäre phantastisch, ein Leben führen zu können, das von Wohlstand, Anerkennung, Sicherheit, Gesundheit und Familienglück gekennzeichnet ist, in dem es möglich ist, Hobbys zu frönen, uneingeschränkt zu reisen, in einer Umgebung zu leben, in der Offenheit, Fairness, Mitgefühl und Humor die dominierenden Haltungen sind, ein Leben, in dem eines der größten Ärgernisse darin besteht, eine Steuererklärung abgeben zu müssen. Was könnte man sonst noch wollen? Dann wäre die Welt in Ordnung!
Wäre sie das wirklich?
Nein, da waren noch einige Kleinigkeiten, die die Harmonie stören könnten.
Da waren Armut, Kriminalität, Umweltzerstörung. Da war die Tatsache, dass die Welt voller eskalierender Konflikte ist, voller Unvereinbarkeiten, Unversöhnlichkeiten, Mauern und Gräben, die Menschen mit großem und zugleich völlig überflüssigem Engagement gegeneinander errichten. Da war die Eigenheit, dass Fachwissen und technologisches Instrumentarium sich rasant entwickeln, die Kompetenzen zum systematischen und gerechten Management der Gesellschaft jedoch auf fatale Weise stagnieren. Da war die oberflächliche Medienund Diskussionskultur, in der plakative Statements und lexikalisches Wissen mehr zählen als die komplexeren Zusammenhänge, die bei etwas weniger schlaffer Aufmerksamkeit womöglich zum Vorschein kämen. Da war der ganze Schlamassel, der tiefe Sumpf, in dem wir uns wiederfinden würden, wenn wir nur die Augen ein wenig mehr öffnen wollten.
Bei genauerem Hinsehen kann kaum geleugnet werden, dass die Entwicklung der menschlichen Kultur einen regelrecht desaströsen Verlauf nimmt. Das vorliegende Buch stellt sich der Frage, ob wir diesem Trend auf fatale Weise ausgesetzt sind und was getan werden kann, um in segensreicheres Fahrwasser zu gelangen.
Im ersten Kapitel werden unter der Überschrift „Kultur oder Desaster?“ einige der Menschheitsprobleme zusammenfassend dargestellt.
Im Anschluss folgt die Aufarbeitung einiger Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhänge, die für die analytische Betrachtung der Defizite oder für die Beschreibung von Lösungsansätzen hilfreich sein könnten. Im Kapitel „Das neuronale System“ geht es dabei zunächst um das menschliche Individuum und im folgenden Kapitel um die menschliche Gesellschaft bzw. um den „Menschheitsorganismus“. Manche der in diesen Kapiteln vorgestellten Thesen werden aus dem Wissensfundus der Neurologie, Psychologie und Philosophie gewonnen, andere werden als mehr oder weniger kühne, aber sich durchaus aufdrängende Behauptungen danebengestellt.
Die beiden letzten Kapitel (4 und 5) versuchen, Lösungsansätze zu liefern. Dies geschieht einmal, indem die im ersten Kapitel aufgezeigten Menschheitsprobleme im Lichte der Thesen aus Kapitel 2 und 3 betrachtet werden und zum anderen, indem einige Erfordernisse bzw. Zielvorgaben benannt werden, deren Erfüllung mit hoher Priorität angestrebt werden müsste, um den fatalen Verlauf der Entwicklung abwenden zu können. Da ein großer Teil der gesellschaftlichen Gegenwartsprobleme mit der Gestaltung der Marktwirtschaft zusammenhängt, widmet sich das vorletzte Kapitel insbesondere der Kapitalismuskritik. Das fünfte und letzte Kapitel stellt sich den restlichen Menschheitsproblemen aus Kapitel 1 und versucht abschließend die Frage zu beantworten, wie es gelingen könnte, das Desaster abzuwenden und die Kulturgesellschaft erfolgreich weiterzuentwickeln. Einfache oder komfortable Lösungen können dabei allerdings nicht präsentiert werden.
Insbesondere in den Kapiteln zum neuronalen System (2) und zum Menschheitsorganismus (3) werden an einigen Stellen Begriffe neu eingeführt oder über den üblichen Sprachgebrauch hinausgehend benutzt. Das ist notwendig, weil es nur so gelingt, die entsprechenden Thesen und Erörterungen, befreit vom Stigma abgegriffener Begriffsbedeutungen, in ausreichendem Maß hervorzuheben. In einem Glossar am Ende des Buches sind diese Abweichungen zusammenfassend dargestellt.
Gigantische Mengen Atommüll werden angehäuft, für deren Verwahrung oder Entsorgung es keine Lösung gibt und in absehbarer Zeit wohl auch nicht geben wird. Der Betrieb von Atomkraftwerken mit einem Restrisiko, für das längst evident ist, dass es gelegentlich eintritt, gilt als akzeptabel. Das nicht unerhebliche Risiko der radioaktiven Verseuchung mehr oder weniger großer Landstriche wird in Kauf genommen.
Bei der Verwendung fossiler Energieträger werden erhebliche Mengen CO2 in die Atmosphäre gepumpt. Der ausgelöste globale Temperaturanstieg wird sich nach aller Wahrscheinlichkeit noch durch Methan beschleunigen, das aus den Permafrostböden riesiger Regionen entweicht. Die Idee, CO2 unter der Erdoberfläche zu deponieren, hat eher den Charakter eines ungedeckten Wechsels als den einer Lösung. Der durch die Aktivität des Menschen ausgelöste Anstieg der Temperaturen und des Meeresspiegels ist unausweichlich. Klimazonen werden sich verschieben. Wohin diese Entwicklung führen wird, ist völlig unklar. Ein Konsens der Weltmächte, der auch nur näherungsweise geeignet wäre, diese Entwicklung zu stoppen, ist nicht in Sicht. Durch die Häufung extremer Wetterlagen werden bereits heute zunehmend Katastrophen und Hungersnöte ausgelöst. Inselbewohner im Pazifik bereiten sich darauf vor, ihre Paradiese zu verlassen.
Dass Hochspannungsleitungen, Solarparks und Windkraftanlagen die Umgebung verschandeln, wird noch als akzeptabel angesehen, zumindest von denen, die nicht direkt in der Nähe eines Windparks oder einer Hochspannungsleitung leben müssen. Die eher als umweltfreundlich angesehenen Wasserkraftwerke verbrauchen schöne Landschaften und bringen gelegentlich riesige Bergstürze und vielfachen Tod zuwege. Zur Gas-Ausbeutung wird mittels der Fracking bzw. „Hydraulic Fracturing“ genannten Fördermethode großvolumig die Gesteinsstruktur tief unter dem Erdboden zerstört und es werden große Mengen Wasser chemisch verseucht.
Die Menschen atmen Sauerstoff. Gleichzeitig schätzen sie dieses Gas jedoch so gering, dass sie es in großen Mengen an dem Komfort dienende energetische Prozesse sowie an Autos und viele weitere technische Spielereien verfüttern.
Eingriffe des Menschen in seine Umwelt führen fortgesetzt zur signifikanten Dezimierung der Biodiversität. Ackerbau und Viehzucht werden in großem Stil so betrieben, dass künstlich errichtete Monokulturen natürlich gewachsene Biotope und konventionelle landwirtschaftliche Methoden ersetzen. Die Verschleppung von Arten führt zur Verdrängung endemischer Arten, die lange Zeit in abgeschotteten Umgebungen überleben konnten. Bei einigen der eingebrachten Arten kommt es wiederum zu einer extremen, ungehinderten Ausbreitung, da sie in der neuen Umgebung keine natürlichen Feinde oder Konkurrenten mehr vorfinden. Bei der Gentechnik werden ohne größere Skrupel Unfälle in Kauf genommen, die zur Verdrängung natürlicher oder konventionell gezüchteter Arten durch synthetische Arten führen. Dem Wert von komplexen natürlichen Gleichgewichten, die sich im Rahmen einer viele Millionen Jahre währenden Evolution herausgebildet haben, wird mit unglaublicher Ignoranz begegnet. Die Fähigkeit des Menschen, als erfolgreicher Biodesigner tätig sein zu können, wird maßlos überschätzt, während gleichzeitig die negativen Auswirkungen schrittweise aufgedeckt werden. Durchaus beeindruckende Teilerfolge stehen einem fatalen Wirken der Menschheit als Ganzes gegenüber.
Wälder und Biotope, die dem Gleichgewicht zwischen CO2 und O2 zuträglich sind, fallen weltweit einem drastischen Vernichtungsprozess anheim.
Ländereien und Meere werden unaufhaltsam mit Müll angereichert. Einzelnen Aktivitäten und Initiativen zur Verhinderung und Beseitigung von Umweltschäden steht die allgemeine Inkaufnahme der aktiven, durch Profitstreben motivierten Vergiftung der Umwelt und des Risikos von Umweltunfällen entgegen.
Diese Entwicklung und das unselige Wirken des Menschen werden zwar prinzipiell zur Kenntnis genommen –es gibt unzählige, mehr oder weniger einflussreiche Bewegungen, die auch bereits zum Einlenken führen. Das Wirken der Menschheit als Ganzes kann man jedoch in dieser Hinsicht nur als zerstritten, ambivalent und fatalistisch charakterisieren. Die Fähigkeit zu Einsichten und Reaktionen, die der Dimension dieses Problems wirklich angemessen wären, ist nicht sichtbar. Komfortable Lebensumstände, die sich bei genauerer Betrachtung auf fatale Umweltzerstörung gründen, werden weitestgehend ohne Vorbehalte angenommen und ausgebaut. Wo aufgrund gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Probleme Abstriche bezüglich der komfortablen Lebensumstände gemacht werden müssen, wird die Frage des Umweltschutzes noch nebenrangiger. In Gegenden, in denen Armut vorherrscht, ist Umweltschutz auch eher kein Thema, dies allerdings in der Regel bei geringerem Beitrag zur Verursachung des weltweiten ökologischen Flurschadens.
Durch die wissenschaftlich-technische Revolution wurden viele Möglichkeiten entdeckt, wie man die Ressourcen der Erde zur angenehmeren Gestaltung des Lebens verwenden kann. Die marktwirtschaftlich organisierte Konsumgesellschaft spornt dazu an, diese Möglichkeiten extensiv zu nutzen. Im Rahmen der Globalisierung wird das kapitalistisch-marktwirtschaftliche Modell in die ganze Welt exportiert. Die Mechanismen dieser die weltweite Entwicklung maßgeblich prägenden Wirtschaftsform bauen geradezu auf dem Fundament des ständigen Wachstums und der ständigen extensiven Ausbeutung von Ressourcen auf.
Fossile Rohstoffe, wie Kohle, Öl und Erdgas, die über viele Erdzeitalter durch die Zyklen der Natur entstanden sind, werden innerhalb weniger Jahrhunderte fast vollständig ausgebeutet. Sie werden entweder in lebensfeindliche oder extrem beschleunigt in natürliche Stoffe umgewandelt. Für Rohstoffe, die im Rahmen von Wohlstand und Marktwirtschaft einen hohen Wert erhalten haben, wie Edelmetalle, Seltene Erden etc., werden Ausbeutungsverfahren in Kauf genommen, die ganze Landstriche vergiften und verwüsten.
Es ist charakteristisch für den Menschen, dass er Ressourcen, die zunächst in unendlicher Menge verfügbar zu sein schienen, gnadenlos ausbeutet. So wurde z. B. bereits in der Antike im mediterranen Raum mit den Wäldern verfahren. Ebenso wird heute der Fischreichtum in den Weltmeeren dezimiert. Einlenken ist oft erst möglich, wenn fast alle Vorkommen erschöpft sind, sodass sich die Ausbeutung nicht mehr lohnt.
Komplexe Gleichgewichte, deren Synergien sich über viele Jahrmillionen herausgebildet haben, werden durch den Menschen in dilettantischer Art und Weise zunichtegemacht. Mit wissenschaftlichen Kenntnissen, die sehr fortschrittlich erscheinen, jedoch gemessen an den unermesslichen Reichtümern der Natur naiv anmuten, wird fleißig in alle erreichbaren Systeme eingegriffen. Das Ergebnis sind ein drastisch schrumpfendes Ressourcenaufkommen, die fortschreitende Zerstörung von Gleichgewichten und die Dezimierung der Biodiversität.
Ein Bewusstsein für den schonenden Umgang mit Umwelt und Ressourcen ist durchaus in der Gesellschaft vorhanden, die Verantwortung für die Notwendigkeit nachhaltigen Wirtschaftens wird partiell erkannt und es wird dafür gekämpft. Insgesamt, global betrachtet, hat das Wirken des Menschen jedoch in dieser Hinsicht desaströsen Charakter.
Die Weltbevölkerung wächst explosionsartig.
In diesem Zusammenhang sind zwei Aspekte zu beachten:
Der unmittelbare Zusammenhang zwischen Armut, Bevölkerungswachstum und humanitärer Dauerkatastrophe.
Die Folgen, die daraus für die Entwicklung der Weltbevölkerung und den steigenden globalen Ressourcenbedarf erwachsen.
Zur globalen Hungerkatastrophe merkt Jean Ziegler (2011b, 14f.) Folgendes an:
„Der jährliche Hungertod von mehreren zehn Millionen Männern, Frauen und Kindern ist der Skandal unseres Jahrhunderts.
Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren. Und das auf einem Planeten, der grenzenlosen Überfluss produziert…
In ihrem augenblicklichen Zustand könnte die Weltlandwirtschaft problemlos zwölf Milliarden Menschen ernähren, was gegenwärtig fast der doppelten Weltbevölkerung entspräche.
Insofern ist die Situation alles andere als unabwendbar.
Ein Kind, das am Hunger stirbt, wird ermordet.“
Das ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs der humanitären Katastrophe bzw. es ist nur das krasseste Symptom für das weltweite Armutsproblem:
„Seit 1975 sind achtundfünfzig Länder des Südens verelendet. Sie beherbergen die Bottom Billion, die eine Milliarde Menschen, die weltweit die unterste Armutsschicht bilden.“ (Ziegler 2011a, 88f.)
Das Hungerproblem wird auch insbesondere dadurch verschärft, dass in vielen armen Ländern der Welt landwirtschaftliche Flächen strategisch aufgekauft oder direkt der Gewinnung von Agrotreibstoffen zugeführt werden. Dabei tun sich häufig potente Kapitalgeber mit korrupten Kräften in den betreffenden Ländern zusammen, um Gewinnabsichten zu verfolgen. In vielen Fällen werden dabei Familien um die Möglichkeit gebracht, weiterhin von der zum Eigenbedarf betriebenen (Subsistenz-) Landwirtschaft zu leben. In anderen Fällen landen wichtige Teile des ökologischen Reichtums der Welt auf dem Opferaltar und es treten z. B. Monokulturen an die Stelle von Primärwäldern (siehe dazu das Kapitel „Die Geier des ‚grünen Goldes‘“ in Ziegler 2011b, 223ff.).
Gleichzeitig ist das Wachstum der Bevölkerung gerade in ärmeren Regionen, in denen Kinderreichtum als wichtigste Form der Alterssicherung fungiert, besonders extrem. Der enge Zusammenhang zwischen Armut, Hunger und drastischem Bevölkerungswachstum ist einerseits statistisch erwiesen, andererseits ist er auch augenfällig und allgemein bekannt. Schon aus den täglichen Nachrichten ist ablesbar, dass in den armen Regionen Asiens, Schwarzafrikas, Südamerikas etc. zwischen den genannten Trends ein proportionales Verhältnis bestehen muss.
Die Wechselwirkung zwischen Armut und Ressourcenknappheit, mangelnder landwirtschaftlicher Produktivität und ausuferndem Bevölkerungswachstum ist ein Teufelskreis, der eigentlich ins vorletzte Jahrtausend gehört, nicht jedoch in unsere Welt des wissenschaftlichen Fortschritts und des weltweiten Siegeszuges der Hochtechnologien. Das Ausmaß dieser humanitären Katastrophe ist gigantisch. Auf die negative Rolle, die dabei der Globalisierung zukommt, wird weiter unten näher eingegangen.
Der zweite Aspekt, die explosionsartige Entwicklung der Weltbevölkerung und des Ressourcenbedarfs auf globaler Ebene, hat das Potenzial, das Menschheitsdesaster zu komplettieren. Armut sowie der Trend zum Bevölkerungswachstum herrschen nicht nur in den ärmsten Ländern der Welt, sondern auch in Entwicklungsländern, Schwellenländern sowie in durchschnittlich entwickelten Regionen. Nur in einigen wenigen, vorwiegend besonders reichen Ländern, kehrt sich der Trend zum Bevölkerungswachstum teilweise um.
Parallel dazu findet jedoch in vielen der betroffenen Länder eine schrittweise Entwicklung zum Wohlstand statt. Die Folge ist, dass sich der verschwenderische Umgang mit den weltweit verfügbaren Ressourcen, der der prosperierenden Konsumgesellschaft zu eigen ist, von Jahr zu Jahr drastisch verstärkt.
Ein wichtiges Grundrecht ist das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein. Einerseits ist es eine Farce, dass es nicht gelingt, diesen Anspruch flächendeckend zu verwirklichen. Andererseits würde das zu einer noch deutlich gesteigerten Teilhabe an den Austauschprozessen der Wohlstandsgesellschaft führen. Extrapoliert man dabei Verhalten und Trends dieser Gesellschaft, so wie sie sich gegenwärtig darstellen, so wäre die Folge ein Umwelt- und Ressourcenproblem in einem Ausmaß, das der Zivilisation den Garaus machen würde.
Es sieht so aus, als dass die Menschheit die Schande der Armut weder beheben will noch dass sie es kann. Jedenfalls gibt es keine Lösung ohne einen so tiefgreifenden Wertewandel und eine so tiefgreifende Änderung des Verhaltens der Weltbevölkerung, dass wohl nichts zu der Hoffnung berechtigt, dass sie jemals erreichbar sind.
Das Leben aller Arten auf dem Planeten Erde ist vom ständigen Kampf um Ressourcen und Lebensräume geprägt. Dabei gibt es ein ständiges Wechselspiel zwischen Konkurrenzkampf und Überlebenskampf auf der einen Seite und Nahrungsketten, Symbiosen und Synergien auf der anderen Seite. Die Lebensformen und Verhaltensweisen, die sich dabei herausgebildet haben, erscheinen einerseits als eine von wunderbarer Vielfalt geprägte Flora und Fauna. Andererseits ist jedoch auch erkennbar, dass jedes Mittel – bis zu brutaler Gewalt – recht ist, um jeweils den Interessen der eigenen Art zur Geltung zu verhelfen.
Der Mensch, obwohl eine ganz besondere Art des Säugetieres, bildet da, zumindest historisch betrachtet, keine Ausnahme. Die Besonderheiten und Errungenschaften, auf die in der Hinsicht auf den Menschen heute verwiesen werden kann, haben offensichtlich nicht dazu geführt, dass die Befreiung von der animalischen Seite als gelungen betrachtet werden darf.
Einerseits gibt es Kultur, Kunst, Bildung, Wissenschaft, humanitäre Organisationen, Weltorganisationen, demokratische Staatswesen mit Verfassungen, die die Würde des Menschen als unantastbar erklären, eine „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“, von sozialen und ethischen Beweggründen geprägte Politik, politische Diplomatie, weltweit funktionierende Informations-, Waren- und Geldflüsse und viele weitere Wunder der menschlichen Gesellschaft.
Andererseits wird regelmäßig auf animalisch anmutende Verhaltensweisen zurückgegriffen, bei denen alle zuvor genannten Errungenschaften mit Füßen getreten werden. Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte von Kriegen, Genoziden, die eigene Bevölkerung mordenden Regimen. Der Präsident eines demokratischen Landes (Dwight D. Eisenhower) ordnet die Ermordung eines Politikers an (Patrice Lumumba), der in seinem Land (Kongo) die einzige Hoffnung auf Demokratie verkörperte, die es über viele Jahrhunderte hinweg gab. Selbst bei politischen Führungen von Demokratien, die eigentlich eher soziale und ethische oder gar pazifistische Gesinnungen vertreten (wollten), kommt es regelmäßig zur Anordnung bzw. Forcierung von Kriegen (Rot-Grüne Regierung in Deutschland: Kosovo-Krieg 1998/99; George W. Bush: Irak-Krieg und Missachtung der Menschenrechte). Ganz zu schweigen von den unzähligen Politikern und Regimen, denen die Menschenrechte weniger wichtig sind oder gar von den Diktatoren und militärischen Gruppierungen, die in verschiedenen Winkeln der Welt über Macht verfügen und sie repressiv anwenden, wenn es ihnen nötig erscheint. Die Nationalsozialisten haben versucht, die jüdische Bevölkerung in Europa auszulöschen, Stalin und die Roten Khmer wurden zu Massenmördern im Namen des Kommunismus.
Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass die Welt von Allianzen geprägt ist, die fortschrittliche demokratische Kräfte mit Mächten eingehen, welche nicht für die Achtung der Menschenrechte oder demokratischer Grundrechte stehen (USA und Saudi Arabien, USA und das ägyptische Militär, strategische Allianzen im Kalten Krieg). Maßgebliche Motive sind dabei die Sicherung des Zugangs zu Ressourcen (z. B. Öl), das Streben nach der Erhaltung oder Ausweitung des politischen und wirtschaftlichen Einflusses, der Handel mit Waffen.
Vergleicht man das Verhalten von Tieren im allgemeinen Überlebenskampf mit dem der Menschen, so kann nicht unerwähnt bleiben, welch neue Dimensionen das allgemeine Morden beim Menschen erlangt hat. Durch die wissenschaftlich-technische Revolution ist es zur Entwicklung von Waffen gekommen, die sehr effektiv oder auch sehr qualvoll eine größere Zahl von Menschen verletzen und töten können. Und diese Waffen werden angewendet. Dem Mensch ist es gelungen, außerordentlich wirkungsvolles Kampf- und Kriegsgerät herzustellen. Normalerweise könnte dies noch eine halbwegs sinnvolle Option sein, wenn damit zugleich konsequent mit der gebührenden Verantwortung umgegangen würde. Leider wird jedoch ständig von Neuem bewiesen, dass dem nicht so ist. Immer wieder wird mit modernen Waffen Schaden an Leben und Gesundheit vieler Menschen angerichtet.
Kein Mensch auf der Erde kann heute sicher sein, dass er nicht demnächst von einer Schusswaffe, Chemiewaffe, Atomwaffe verletzt oder getötet wird, und das womöglich gemeinsam mit einer größeren Zahl von Mitmenschen.
Die Gründe für diese Entgleisungen sind vielfältig. Partieller Ressourcenmangel und Bevölkerungswachstum dürften jedoch mit die wichtigsten Faktoren für diese Entwicklung sein. Der Überlebenskampf der Arten hat sich beim Menschen so weit gewandelt, dass die Annahme eines möglicherweise drohenden Ressourcenmangels, der teilweise auch aus territorialen Beschränkungen resultieren könnte, zum generellen Streben nach Macht und Einfluss führt. Es wird als recht und billig erachtet, dass alle zur Verfügung stehenden Mittel benutzt werden, um dem Machtanspruch Geltung zu verschaffen. Die Entwicklung immer mächtigerer, effektiverer Mittel und Werkzeuge, die diesem Zweck dienen können, ist eine der bedeutendsten Motivationen für das Handeln der Menschen geworden. Die militärischen Ausgaben nehmen in vielen Ländern einen bedeutenden Platz im Haushalt ein. Wissenschaftliche Forschung wird maßgeblich für die Entwicklung moderner Waffen und für sonstige militärisch-strategische Zwecke vorangetrieben.
Einen Machtanspruch militärisch durchzusetzen ist nur das letzte Mittel – das dennoch leider viel zu oft in Anwendung kommt. Das große Spiel um Macht und Einfluss prägt bzw. motiviert das Verhalten auch in vielen anderen Sphären des gesellschaftlichen Lebens, wie z. B. in Wirtschaft und Politik. Selbst kulturelle und religiöse Prozesse sind regelmäßig involviert. Geschichtliche Ereignisse wie die Kreuzzüge, die Inquisition, die Kulturrevolution in China sind nur die deutlichsten Beispiele. Wo auch immer kulturelle, religiöse, informationelle Prozesse geeignet erscheinen, um der eigenen Schicht, dem eigenen Land, der eigenen Ethnie, der eigenen Familie, der eigenen Gruppierung zu einem Vorteil zu verhelfen, werden sie regelmäßig vom Streben nach Macht und Einfluss korrumpiert.
Dabei ist diese Sichtweise auf die gesellschaftlichen Prozesse dem normalen, bodenständig lebenden Menschen zunächst einmal fremd. Sie erscheint keineswegs natürlich oder gottgegeben. Dennoch sind all die schlimmen Ereignisse, die es in der Geschichte gegeben hat, und all die bösen Konflikte, von denen die Welt heute geprägt ist, zielgerichtet von Menschen herbeigeführt worden.
Die weltpolitische Dramatik steht nur am oberen Ende der Skala der Schändlichkeiten. Die Gesellschaft ist im Kleinen wie im Großen regelmäßig von bedauernswerten Verhaltensweisen geprägt.
In vielen Ländern der Welt ist der Alltag von Kriminalität und vom Einfluss mafiöser Allianzen bzw. von Milizen oder Oligarchien geprägt. Die Skala der Vorgehensweisen reicht dabei von der subtilen Unterwanderung der gesunden gesellschaftlichen Strukturen über Korruption und Erpressung bis zu mehr oder weniger brutaler Gewalt.
Diese Erscheinungen scheinen gesetzmäßig mit der Armut zu korrelieren. Überall, wo Menschen in Armut und Abhängigkeit leben, greifen kriminelle Machenschaften Raum. Aber auch Wohlstandsgesellschaften sehen sich permanent dem Risiko krimineller und korrupter Vorgehensweisen ausgesetzt. Man kann davon ausgehen, dass auch hier das Leben nicht von purer Lauterkeit geprägt ist, aber das Level, auf dem das Spiel hier stattfindet, ist etwas mehr von Vornehmheit geprägt und die Tarnung ist professioneller.
Eine Grundregel scheint zu sein, dass von Egoismus, Kriminalität und Korruption geprägte Lebensentwürfe im Verborgenen blühen. Überall dort, wo hingegen das Licht der Öffentlichkeit nicht weit entfernt ist oder wo zumindest einige wenige Menschen gelegentlich hinschauen, scheint daraus eher der Ansporn für Verhaltensweisen zu erwachsen, die von Kooperativität und Altruismus geprägt sind. Wo man sich präsentiert, seine Haltung offenbart und das unter dem eigenen Namen, dort gibt es Anreize für Lauterkeit.
Umgekehrt gilt auch die Regel, dass lautere Motive zumindest darauf abzielen, dass sie in der Gemeinschaft als solche wahrgenommen werden. Wo das nicht geschieht, kann das zur Verkümmerung der Verhaltensweisen führen, die der Gemeinschaft zuträglich sind – und damit zur Ausweitung von negativen Erscheinungen.
Wo man sich verstecken kann, blühen Kriminalität, Betrug, Untreue, Korruption etc.; Geld stinkt nicht und wenn man es ausgibt, ist nicht mehr erkennbar, wie es verdient wurde – das ist ein bedeutender Anreiz zu unlauterem Verhalten.
Die Kriminalität und Korruption, die in vielen Teilen der Welt etabliert sind bzw. die in einigen Regionen das Leben sogar weitestgehend bestimmen, entspringen offensichtlich den extremen Gegensätzen zwischen sehr reichen und mehr oder weniger korrupten oder kriminellen Macht-Eliten einerseits und in großer Armut lebenden Bevölkerungsschichten andererseits. Der Umstand, dass die Gier nach Geld, Reichtum und Macht in der Gesellschaft mehr zählt als ein friedliches, von bescheidener Kultiviertheit geprägtes Leben, dürfte für die ausgeprägten Verwerfungen, die es in dieser Hinsicht auf der Welt gibt, mit verantwortlich sein.
Die kapitalistische Markwirtschaft ist Leitbild und Fundament für das gesellschaftliche Leben in der westlichen Gesellschaft der Gegenwart. In Konkurrenz zu anderen Gesellschaftssystemen (z. B. Kommunismus) hat es sich als das erfolgreichste Modell etabliert, das zumindest im Kontext der Geschichte der letzten Jahrhunderte hochwirksam die in der Gesellschaft schlummernden Triebkräfte zu mobilisieren vermochte. Die kapitalistische Marktwirtschaft kann als in engem Zusammenhang mit wissenschaftlich-technischer Revolution, Wohlstand und freiheitlich-demokratischer Grundordnung stehend betrachtet werden.
Mit anderen Worten: Die kapitalistisch-marktwirtschaftliche Gesellschaftsform wird heute von ihren Befürwortern als maßgebliche Grundlage für Fortschritt, Wohlstand und Humanismus gesehen – und dies vielleicht nicht ganz zu Unrecht.
Darüber hinaus übt diese Gesellschaftsform enormen und immer weiter wachsenden Einfluss auf das gesellschaftliche Leben in der ganzen Welt aus. Es scheint so, als ob die marktwirtschaftliche Globalisierung auf Dauer vor keiner Grenze haltmacht. Der Export dieses Modells ist zumindest teilweise seiner Attraktivität zu verdanken. Man kann davon ausgehen, dass der wachsende weltweite Einfluss des westlichen Modells unter anderem auch dadurch zustande kommt, dass den Menschen die Segnungen der Marktwirtschaft attraktiv erscheinen.
Ein wichtiger Erfolgsfaktor des Kapitalismus besteht in den Mechanismen des marktwirtschaftlichen Wettbewerbes. Durch das Gesetz von Angebot und Nachfrage ergibt sich die Möglichkeit, dass aus menschlichen Aktivitäten, die durchaus von Eigennutz motiviert sein können, dennoch ein Nutzen für die Gesellschaft entsteht. Dies führt zu dem Phänomen, dass das Streben, den Mitmenschen behilflich sein zu wollen, das ja dem Menschen nicht abgesprochen werden kann, in gewisser Weise mit dem Streben nach Wahrung der eigenen Interessen verbunden werden kann. Dieses Phänomen wird in der Literatur auch die „unsichtbare Hand“ genannt, die ersten Beschreibungen dazu gehen auf Adam Smith zurück (siehe z. B. den Abschnitt „Die unsichtbare Hand“ in Conway 2011, 6ff.).
Dass das Gesetz von Angebot und Nachfrage die Weltgeschichte spätestens seit dem 19. Jahrhundert sehr stark geprägt hat, unterliegt keinem Zweifel. Dass es heute in einigen Ländern eine wesentliche Grundlage dafür ist, dass dort ein von Wohlstand, Demokratie, Selbstbestimmung und langjährigem Frieden geprägtes Leben möglich ist, kann ebenfalls kaum geleugnet werden. Gleichzeitig war der Kapitalismus schon immer stark umstritten und es ist auch klar, dass er in einigen Aspekten recht schlimme Blüten treibt.
Bei der Weiterentwicklung der kapitalistischen Gesellschaft spielt eine Vielzahl von wechselnden Leitlinien eine Rolle. Betrachtet man die letzten 100 Jahre, so haben sich in dieser Zeit einige spezielle ökonomische Schulen besonders hervorgetan. Einmal ist dies der Keynesianismus. „Es sei Aufgabe des Staates, die Konjunktur wieder anzukurbeln, indem er Geld aufnahm und ausgab. Der Staat solle Beschäftigte einstellen und öffentliche Infrastrukturprojekte – etwa den Bau von Straßen und Eisenbahnen, Krankenhäusern und Schulen –finanzieren. […] Nach Keynes Auffassung kämen die Zusatzausgaben des Staates in der Wirtschaft auch an. So schaffe der Bau einer Autobahn Arbeitsplätze in Bauunternehmen, deren Beschäftigte ihren Lohn für Lebensmittel, Waren und Dienstleistungen ausgeben, wodurch die Wirtschaft insgesamt gestützt werde.“ (Conway 2011, 38f.) Das Kalkül ist dabei, dass der Staat durchaus Schulden in erheblichem Ausmaß aufnehmen kann, um die Konjunktur wieder anzukurbeln. Ein Teil der Ausgaben wird dann in Form von Steuern zurückfließen.
In der Vergangenheit kam es jedoch trotz bzw. teilweise auch aufgrund des Keynesianismus zu steigender Inflation mit Folgen, die nicht mehr durch erneute Ausgaben und Schulden des Staates bekämpft werden konnten. Der Keynesianismus ist auch heute noch von Bedeutung bei politischen Entscheidungen, wobei er aber moderneren ökonomischen Schulen untergeordnet wird.
Und gerade der Keynesianismus spielt eine gewisse Rolle bei einem Phänomen, das hier einmal Neurasthenie des ökonomischen Wachstums genannt werden soll. Weitere wichtige Komponenten sind die rasche Gewöhnung an die ständige Steigerung des Wohlstands sowie das durch kurze Legislaturperioden beförderte kurzsichtige politische Handeln in den erfolgreichsten westlichen Demokratien.
Das Wort „Neurasthenie“ steht für Nervenschwäche beim Menschen. Es ist ein aus der Mode gekommener Begriff, nicht zuletzt deshalb, weil es dafür keine wirklich klare Definition oder Diagnose gibt. Aber in Hinsicht auf den Nerv des öffentlichen Lebens in der Wohlstandsgesellschaft kann er gerade auch wegen dieser Unschärfe ganz gut als Persiflage verwendet werden. Diesen Nerv zu treffen ist heutzutage ein schwieriges Unterfangen, aber es ist zugleich auch der wichtigste Sport, dem sich die Politik unterwirft.
Neurasthenie des ökonomischen Wachstums bedeutet vereinfacht gesagt, dass aus dem Wohlstand, je mehr er wächst, auch immer mehr das Diktat entsteht, dass er weiterwachsen muss. Nachrichten, die nicht in dieses Muster passen, werden von der Gesellschaft umso weniger akzeptiert, je höher der allgemeine Wohlstand ist –sie scheinen dann vielmehr zunehmend die Gefahr einer Destabilisierung der Gesellschaft mit sich zu bringen.
Arme Gesellschaften sind der Gefahr der Destabilisierung durch objektive Gründe ständig ausgesetzt und schlechte Nachrichten gehören zur Normalität. Das ist eine „Stärke“, über die reiche Gesellschaften nicht ohne Weiteres verfügen.
Aus der Neurasthenie des ökonomischen Wachstums folgt eine Reihe von Konsequenzen. Zunächst soll eine positive Konsequenz genannt werden: Aus dem Wachstum entsteht ständiger Ansporn für Anstrengungen zur weiteren Entwicklung der gesellschaftlichen Austauschprozesse. Prinzipiell ist dagegen nichts zu sagen und so liegt hierin ein wichtiger Grund dafür, dass in manchen Ländern bis heute ein recht hohes Niveau des Wohlstandes erreicht worden ist. Es ist allerdings auch wichtig, nach dem hierfür zu zahlenden Preis zu fragen – sei es bisher, sei es in der Zukunft, sei es in fernen Ländern (darauf wird später noch eingegangen).
Zusammen mit dem Wohlstand sind Gesellschaftsmodelle entstanden, bei denen die soziale Absicherung benachteiligter Bürger ein wichtiges Fundament ist. Grundsätzlich ist das eine ausgesprochen positive Entwicklung. In Zeiten der wirtschaftlichen oder demografischen Rezession erwächst daraus allerdings ein Finanzierungsproblem. Rückschritte, die in dieser Hinsicht gelegentlich unvermeidbar sind, werden deshalb ungern im Klartext angekündigt. Viel eher werden Maßnahmen ergriffen, die den Status quo vorläufig wahren. Auch wenn die Fassade nie lange aufrechterhalten werden kann, so liegt mit dem Wunsch der Wahrung des sozialen Friedens doch ein Zwang vor, der eine klare, offene Kommunikation in der Gesellschaft erheblich behindert.
Ein entscheidender Faktor ist der Umstand, dass Politiker nur für kurze Legislaturperioden im Amt sind und danach nicht mehr für ihre Haltungen und Entscheidungen zur Verantwortung gezogen werden. Sicher, sie müssen sich normalerweise auch um ihren künftigen Ruf Gedanken machen. Aber die Gesellschaft hat in dieser Hinsicht ein relativ kurzes Gedächtnis. Bei wechselnden Machtverhältnissen gelingt es außerdem häufig, die Folgen des eigenen Handelns zur Stolperfalle für den die nachfolgende Regierung stellenden politischen Gegner werden zu lassen. So besteht ein erheblicher Druck, Maßnahmen zu ergreifen, die kurzfristig Erfolge bringen, deren langfristige Auswirkungen jedoch kaum gesehen werden. Ein Aspekt ist dabei auch, dass langfristige Auswirkungen schwieriger messbar und durchschaubar sind. Noch viel weniger sind sie einer politischen Kraft zuordenbar, da wechselnde Besetzungen der Regierungsämter an allen Langzeitwirkungen beteiligt sind.
Kurzsichtiges Agieren ist dadurch geradezu geboten. Die Modevokabel „Nachhaltigkeit“ charakterisiert Versuche, diesem Zwang zu entkommen, die sicher teilweise auch gut gemeint sind, jedoch eher hilflos anmuten.
Neben dem Gebot zur sozialen Absicherung spielt auch die Empfindlichkeit des kapitalistischen Systems gegenüber konjunkturellen Schwächen eine entscheidende Rolle. Das gesamte Gefüge erfordert geradezu ständiges Wachstum. Die geringsten Anzeichen einer Rezession, ja sogar schon der geringste Zweifel in den Fortgang der Konjunktur, können sich panikartig verstärken und zu einer tiefen Krise führen. Dem Zwang der Märkte ist ständig Referenz zu erweisen. Solange dies geschieht, kann die Marktwirtschaft eine gewisse Zeit auf der Erfolgsspur gehalten werden.
Der Keynesianismus würde es normalerweise erfordern, dass in Zeiten der Konjunktur der wirtschaftliche Spielraum erarbeitet wird, der in Krisenzeiten zum Gegensteuern nötig ist. Ebenso gilt das für die Sozialsysteme –eine gewisse Kontinuität sollte dadurch erreicht werden können, dass man in guten Zeiten mit Wohltaten relativ zurückhaltend umgeht, damit in schlechten Zeiten keine allzu großen Einschnitte nötig sind. Der Zwang zur Kurzsichtigkeit hat jedoch zur Folge, dass ein entsprechend kluges Wirtschaften nicht opportun ist. Vielmehr wird der Versuchung wenig widerstanden, Märkte und gesellschaftliches Bewusstsein jederzeit mit der Droge der Wohltat zu besänftigen.
So ist heute ein gewissenloser und kurzsichtiger Umgang mit Staatsschulden ausgesprochen gesellschaftsfähig. Beliebt sind außerdem die Deregulierung der Märkte, die Befreiung des kapitalistischen Wirtschaftssystems von möglichst vielen Fesseln und die Währungssysteme scheinbar stärkende bzw. rettende Maßnahmen. Viele der Maßnahmen, die in der jüngsten Vergangenheit ergriffen wurden, sind durchaus sinnvoll bzw. notwendig. Viele sind umstritten. Insgesamt ergibt sich jedoch die Tendenz, dass das Wirtschafts- und Finanzsystem zunehmend von greifbaren Grundlagen und realen Werten entbunden wird. Staatsschulden wachsen in schwindelerregende Höhen – die mögliche Rückzahlung ist fraglich und teilweise nicht einmal mehr diskutabel. Virtuelle Börsenwerte von Unternehmen entbehren teilweise jeglicher realer Grundlage. Zentralbanken pumpen partiell Geldmengen ins System, die die vorläufig noch in moderatem Rahmen verbleibenden Inflationsraten bereits heute weitestgehend irreal und wundersam erscheinen lassen. Mithilfe des Hochfrequenzhandels werden an der Börse virtuelle Werte aus dem Nichts gezaubert, die der gigantischen Blase der Illusionen die Krone aufsetzen.
Das kapitalistische System hat früher auch ohne diese gigantischen Übertreibungen funktioniert und es müsste auch mit einer etwas moderateren und realitätsnäheren Gangart nicht zusammenbrechen. Der durch allgemeine Neurasthenie charakterisierte Umgang mit dem kapitalistischen System hat jedoch zur Verabreichung immer stärkerer Drogen und zu einem Wettbewerb der beschleunigten Entfernung von der Realität geführt. Das ist recht bequem und scheint heute immer noch halbwegs gut zu funktionieren, doch ist die Zukunft dadurch deutlich mehr infrage gestellt als unbedingt nötig.
Eine weitere wichtige ökonomische Schule ist die des Monetarismus, die wesentlich auf Professor Milton Friedman von der University of Chicago zurückgeführt wird. „Die Wachstumsrate einer Wirtschaft, so argumentierte Friedman, lasse sich durch die Steuerung der Geldmenge, die die Zentralbanken druckten, beeinflussen. Warf man die Notenpresse an, gaben die Menschen mehr Geld aus und umgekehrt.“ (Conway 2011, 42f.)
Als Konsequenz aus dieser Schule erhielten viele Zentralbanken die Lizenz zur autonomen, von der Politik unabhängigen Steuerung der Geldmenge. Diese Strategie ist in gewisser Weise aufgegangen und sie hat wesentlich zur herausragenden Entwicklung des Wohlstands in den Ländern der westlichen Welt nach dem Zweiten Weltkrieg beigetragen. Diese Chicagoer Schule und ihr Erfolg wird jedoch einerseits heute durch zunehmend fahrlässigen Umgang mit den wichtigsten ihrer Regeln infrage gestellt (siehe vorangehender Abschnitt). Andererseits wurde sie gleichzeitig zur wichtigsten Keimstätte einer Erscheinung, die Neoliberalismus genannt wird und mit der viele üble Auswüchse verbunden werden können, die der Kapitalismus in der Gegenwart treiben darf.
Der Neoliberalismus und die Chicagoer Schule halten für bestimmte Trends her, die den Kapitalismus der Gegenwart besonders prägen. Sie sind jedoch nicht die einzigen Einflussfaktoren für die gegenwärtige Entwicklung und es gibt ganz unterschiedliche Ausprägungen des markwirtschaftlichen Systems. Dennoch scheint es sinnvoll und notwendig, einige charakteristische Parameter des Kapitalismus der Gegenwart hervorzuheben.
Der Erfolg des marktwirtschaftlichen Systems beruht wesentlich auf der unsichtbaren Hand, dem Gesetz von Angebot und Nachfrage, der Zusicherung der Eigentumsrechte, dem individualistisch geprägten Menschenbild und auf der engen Wechselwirkung mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Ein wichtiger Faktor dürfte jedoch vor allem auch der Pluralismus sein, der letztlich Wettbewerb und wissenschaftlich-technische Revolution erst ermöglicht. Das gesellschaftliche Leben basiert auf Wechselwirkungen, die auf vielen unterschiedlichen Ebenen stattfinden, wie z. B. Kultur, Wissenschaft, Ökonomie, öffentliche Meinung, Politik.
Auf jeder dieser Ebenen beantwortet sich die Frage, ob eine fruchtbare Entwicklung stattfinden kann, immer wieder von Neuem und die Antwort hängt wesentlich davon ab, in welchem Maße Vielfalt und Pluralismus zugelassen und Realität sind. Erfolgreicher Wettbewerb ist insbesondere dann möglich, wenn eine Vielfalt der Angebote und Alternativen fortgesetzt vorhanden ist. Die gedeihliche Fortentwicklung eines Systems wird dann gehemmt, wenn diese Vielfalt eine gewisse Schwelle unterschreitet.
Übertragen auf das ökonomische System bedeutet das z. B., dass der Wettbewerb nur funktionieren kann, wenn in den jeweiligen Marktsegmenten viele Wettbewerber aktiv sind, die sich einigermaßen das Wasser reichen können. Übertragen auf das politische System bedeutet das z. B., dass es für politische Entscheidungen möglichst immer echte Alternativen geben sollte, zwischen denen gewählt werden kann. Im Zusammenhang mit dem neoliberalen Trend wird beides sträflich verletzt.
Seit Langem ist klar, dass die Herausbildung von Machtkonzentrationen sowie von Monopolen oder Oligopolen dem gesellschaftlichen Leben nicht zuträglich ist. Zur Eindämmung der negativen Auswirkungen gibt es u. a. Kartellämter, die gelegentlich Fusionen verhindern oder gar große Konzerne zerschlagen. Doch erstens wird das Kartellrecht in vielen Ländern in kleinen Schritten immer mehr verwässert und zweitens sind die nationalen Ämter und Regierungen den international agierenden Großkonzernen immer weniger gewachsen.
Es wäre klug, diesem Ungleichgewicht Rechnung zu tragen und danach zu streben, das staatliche wirtschaftspolitische und kartellrechtliche Handeln adäquat aufzustellen. Es ist eine unabdingbare Notwendigkeit, die nationale Politik und Gesetzgebung in dieser Hinsicht zu stärken sowie sich international so weit zu organisieren, dass man den Großkonzernen Paroli bieten kann. Nur so ist der Pluralismus zu retten, der wiederum die Voraussetzung dafür ist, dass unsichtbare Hand und wirtschaftliche Dynamik ihre Wirkung entfalten können.
Was geschieht, ist aber das Gegenteil. Gerade im Zusammenhang mit der neoliberalistischen Strömung werden Macht und Einfluss zunehmend an multinationale Konzerne abgetreten. Colin Crouch (2011) stellt hierzu fest:
In Kapitel 1 „Der Aufstieg des Neoliberalismus“:
„Nach der Chicagoer Deregulierungslehre wurde der Wettbewerb nicht mehr als Prozeß betrachtet, der eine Vielzahl konkurrierender Anbieter, nahezu perfekte Märkte und reichhaltige Wahlfreiheit für die Konsumenten garantiert. Vielmehr sollten Gesetzgeber und Ökonomen ihn ergebnisorientiert betrachten: An die Stelle der liberalen Idee der Wahlfreiheit des Konsumenten trat damit die paternalistische Sorge um seinen Wohlstand, derzufolge er vor allem von sinkenden Preisen profitiere, die natürlich eher von Großkonzernen als von kleinen und mittleren Unternehmen gewährleistet werden können.“ (38f.)
In Kapitel 2 „Grenzen der klassischen Marktwirtschaft“:
„Das neoliberale Projekt beruht auf einem Marktbegriff, der Privatunternehmen pauschal effizientes Wirtschaften und Kundenorientierung, staatlichen Dienstleistern ebenso pauschal Inkompetenz und Arroganz unterstellt.“ (49)
In Kapitel 3 „Marktbeherrschende Konzerne“:
„Für die Vertreter der Chicagoer Schule ist der ‚Konsumentenwohlfahrt‘ dann am meisten gedient, wenn der Gesamtwohlstand einer Volkswirtschaft wächst. Schließlich könne die Konsumentenwohlfahrt nur gesteigert werden, wenn die Gesamtmenge der Ressourcen zunehme. Die Einkommensverteilung, also die Frage, wem der wachsende Wohlstand im einzelnen zugute kommt, spielt dabei explizit keine Rolle. Betrachten wir ein extremes Beispiel: Angenommen, die Wirtschaftlichkeit einer Branche steigt infolge mehrerer Fusionen, die zu derartigen Wettbewerbseinschränkungen führen, daß die Endpreise explodieren oder der Service für die Verbraucher minimiert wird. Sofern dies den Aktionären mehr Geld einbringt, als es die Verbraucher kostet, würde man den Vertretern der Chicagoer Schule zufolge von einer Steigerung der Konsumentenwohlfahrt sprechen müssen, da aus volkswirtschaftlicher Sicht insgesamt mehr Reichtum erwirtschaftet werde. Wenn man nachfragt, ob es eine Rolle spiele, ob das Vermögen der Aktionäre oder das der Verbraucher wächst, würden sie entgegnen, daß das Vermögen der Reichen zu großen Teilen ‚nach unten durchsickere‘, sich also von selbst verteile; vor allem aber würden sie zweifellos behaupten, daß dies eine Frage sei, die die Wirtschaftstheorie nichts angehe. Eventuell räumen sie ein, daß manche Leute Gründe haben könnten, sich mit der Einkommensverteilung zu befassen –doch sei dies kein Problem der Ökonomie, sondern eine Angelegenheit der Politik.“ (94f.)
In diesem Zusammenhang ergibt sich die Frage, wie die Machtkonstellation in den führenden westlichen Marktwirtschaften aussieht.
Gerade diese Länder rühmen sich des demokratischen Staatswesens ganz besonders, bei dem vom Volk gewählte Regierungen durch politische Entscheidungen das Geschick des Landes bestimmen. Im Auftrag des Volkes haben diese Regierungen u. a. auch die Entscheidung darüber zu treffen, wie die Gesellschaftsform weiterzuentwickeln ist, welche Rolle der Markt spielen soll und wie die Gleichgewichte zwischen Entfaltung des Wettbewerbes und sozialen Belangen zu justieren sind. Dabei ist vorgesehen, dass die Regierung im Sinne des gesamten Volkes handelt, d. h. im Sinne aller Schichten, Ethnien und Regionen. Dabei kann es zu gewissen Mehrheitsverhältnissen kommen mit der Gefahr der Unterdrückung von Minderheiten durch Mehrheiten, was allerdings in fortschrittlichen Ländern durch die Verfassung als illegitimes Verhalten ausgeschlossen wird. Es sei einmal dahingestellt, wie gut das tatsächlich funktioniert – das ist hier im Moment nicht das Thema. Was jedoch in keinem Fall gewollt ist, sind Machtverhältnisse, bei denen eine Minderheit überproportionalen Einfluss hat oder bei denen die Mehrheit die Politik nicht mehr maßgeblich bestimmt oder bei denen sie dies zunehmend nur scheinbar tut. Genau dieser Trend ist jedoch zu beobachten. Die Regierungen fügen sich immer weniger dem Volk als Souverän und immer mehr auch dem durch Lobbyismus und Erpressung geltend gemachten Einfluss von großen Unternehmen.
Es soll hier nicht behauptet werden, dass das im Kapitalismus nicht schon immer ein bekanntes Phänomen war. Mit dem aktuellen neoliberalen Trend und mit dem genannten Ungleichgewicht zwischen Großkonzernen und Regierungen verstärken sich diese Neigung und die entsprechenden Auswirkungen jedoch noch erheblich. Das Besondere dabei ist auch, dass dieser Trend weitestgehend öffentlich diskutiert und akzeptiert wird. Das bedeutet jedoch gleichzeitig, dass die demokratischen Werte mehr oder weniger offen verraten werden.
Crouch (2011) trifft dazu folgende Feststellungen:
Unter der Überschrift „Zusammenfassung“ in Kapitel 4 „Die Wirtschaft und der Staat“:
„Während die politische Debatte um die Frage ‚Staat oder Markt‘ kreist, wird das Großunternehmen von beiden Seiten meist letzterem zugerechnet. Doch wie wir gesehen haben, stimmt das gar nicht; der Markt braucht nicht unbedingt Konzerne und umgekehrt.
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