Desperation - Stephen King - E-Book
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Desperation E-Book

Stephen King

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Beschreibung

Allein mit dem Bösen am einsamsten Ort der Welt

Im Bergbaustädtchen Desperation ist das Gewebe zwischen den Welten dünn. Bergleute sind versehentlich in eine andere Dimension durchgebrochen und haben einen schrecklichen Dämon freigesetzt. Ein paar Urlauber auf der Durchreise landen im Gefängnis des kleinen Ortes mitten in der Wüste Nevadas: Desperation – das heißt Verzweiflung ...

»Wieder beweist Stephen King, dass er der wichtigste Barometer unseres kulturellen Klimas ist: Seine Albträume sind unbarmherzig.« Publishers Weekly

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Seitenzahl: 1029

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Das Buch

Das New Yorker Ehepaar Mary und Peter Jackson ist auf dem Highway 50 unterwegs, der verlassensten Fernstraße Amerikas, die durch eine trostlose und wüste Gegend führt. Eine Fahrt, die zu einem nicht enden wollenden Albtraum wird. Das Paar wird von einem mysteriösen Polizisten angehalten, der sie in das verlassene Bergarbeiterstädtchen Desperation verschleppt, wo bereits andere Personen festgehalten werden. Zwar gelingt es den Gefangenen, ihren psychopathischen Peiniger zu überlisten, aber nun beginnt der Horrortrip erst richtig. Seltsame Dinge geschehen in Desperation, es wimmelt von Wölfen, Aasgeiern und Schlangen, die von einer unheimlichen Macht beseelt zu sein scheinen. Verzweiflung und Ratlosigkeit machen sich unter den in der Wüstenstadt Eingeschlossenen breit, die sich von allen Seiten bedroht fühlen. Nur ein gottesgläubiger Junge ahnt die Ursache des Übels. Sie liegt in einer alten, einstmals verschütteten Mine, wo Tak haust, eine böse Wesenheit, die sich von der Lebensenergie von Menschen nährt – und von ihrer Verzweiflung.

Der Autor

Stephen King, 1947 in Portland, Maine, geboren, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Bislang haben sich seine Bücher weltweit über 400 Millionen Mal in mehr als 50 Sprachen verkauft. Für sein Werk bekam er zahlreiche Preise, darunter 2003 den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk. 2015 ehrte Präsident Barack Obama ihn zudem mit der National Medal of Arts. 2018 erhielt er den PEN America Literary Service Award für sein Wirken, gegen jedwede Art von Unterdrückung aufzubegehren und die hohen Werte der Humanität zu verteidigen. Die großen Werke des Autors erscheinen im Heyne Verlag.

Stephen King

Desperation

Roman

Aus dem Amerikanischenvon Joachim Körber

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Die Originalausgabe DESPERATION erschien bei Viking, Penguin, New York

Copyright © 1996 by Stephen King

Copyright © 1996, 2011 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München

Neubearbeitung: Lars Schiele Redaktion: Momo Evers Umschlaggestaltung und Konzeption: Hauptmann und Kompanie Werbeagentur, Zürich, unter Verwendung einer Illustration von © Anja Filler Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-05398-7V005

www.heyne.de

www.penguinrandomhouse.de

Für Carter Whitey

»Die Landschaft seiner Poesie war immer noch die Wüste …«

Salman Rushdie Die satanischen Verse

Teil eins

Highway 50: Im Haus des Wolfs, im Haus des Skorpions

Kapitel 1

1

»Oh! O Gott! Schrecklich!«

»Was, Mary, was denn?«

»Hast du es nicht gesehen?«

»Was gesehen?«

Sie schaute ihn an, und er sah im grellen Licht der Wüstensonne, dass fast sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht gewichen war und nur die Spuren des Sonnenbrands auf ihren Wangen und der Stirn zurückblieben, wo nicht einmal ein hoher Lichtschutzfaktor sie ganz schützen konnte. Sie war sehr hellhäutig und bekam schnell Sonnenbrand.

»An dem Schild. Der Geschwindigkeitsbegrenzung.«

»Was ist damit?«

»Da hat eine tote Katze gehangen, Peter! Sie war festgenagelt oder festgeklebt oder irgend so was.« Er trat auf die Bremse. Sie packte ihn sofort an der Schulter. »Denk nicht mal daran, umzukehren. «

»Aber …«

»Aber was? Willst du ein Foto davon machen? Nix da. Wenn ich mir das noch mal ansehen muss, muss ich mich übergeben. «

»War es eine weiße Katze?« Er konnte die Rückseite eines Schilds im Rückspiegel sehen – wahrscheinlich die Geschwindigkeitsbegrenzung, von der sie sprach –, aber mehr nicht. Und als sie daran vorbeigefahren waren, hatte er in die andere Richtung Vögeln nachgesehen, die zur nächsten Bergkuppe flogen. Hier draußen musste man nicht ununterbrochen die Straße im Auge behalten; Nevada nannte diesen Abschnitt der US 50 den »einsamsten Highway Amerikas«, und Peter Jackson war der Meinung, dass die Strecke diesem Anspruch gerecht wurde. Natürlich war er ein Junge aus New York und vermutete, dass er an einem verschärften Fall von Gruseln litt. Wüstenagoraphobie, Ballsaal-Syndrom, etwas in der Art.

»Nein, eine Tigerkatze«, sagte sie. »Was spielt das für eine Rolle?«

»Ich musste an Satansjünger in der Wüste denken«, sagte er. »Hier soll es von kaputten Typen nur so wimmeln, hat Marielle das nicht gesagt?«

»›Eindringlich‹ war das Wort, das sie benutzt hat«, sagte Mary. »›Nevada ist voll von eindringlichen Menschen. ‹ Zitat Ende. Gary hat ziemlich dasselbe gesagt. Aber da wir niemand gesehen haben, seit wir über die kalifornische Grenze gekommen sind …«

»Nun, in Fallon …«

»Boxenstops zählen nicht«, sagte sie. »Obwohl die Leute selbst dort … « Sie sah ihn mit einem komischen, hilflosen Ausdruck an, den er in diesen Tagen nicht oft von ihr zu sehen bekam, obwohl er in der Zeit nach ihrer Fehlgeburt ziemlich häufig gewesen war. »Warum sind sie hier, Pete? Ich meine, in Vegas und Reno, das könnte ich verstehen … sogar Winnemucca und Wendover … «

»Die Leute, die aus Utah zum Spielen dorthin kommen, nennen Wendover Bend Over – bück dich«, sagte Pete grinsend. »Das hat mir Gary erzählt. «

Sie ging nicht weiter darauf ein. »Aber der Rest des Bundesstaats … die Leute, die dort sind, warum kommen die, und warum bleiben sie? Ich weiß, ich bin in Queens geboren und aufgewachsen, darum kann ich es wahrscheinlich nicht verstehen, aber … «

»Bist du dir sicher, dass es keine weiße Katze war? Oder eine schwarze?« Er sah in den Rückspiegel, aber bei knapp unter siebzig Meilen pro Stunde war das Verkehrszeichen längst mit dem scheckigen Hintergrund aus Sand, Mesquitesträuchern und dunkelbraunen Vorbergen verschmolzen. Aber jetzt fuhr endlich ein weiteres Fahrzeug hinter ihnen; er konnte die gleißende Spiegelung der Sonne auf der Windschutzscheibe sehen. Vielleicht eine Meile entfernt. Vielleicht zwei.

»Nein, wie schon gesagt, eine Tigerkatze. Beantworte meine Frage. Wer sind die Steuerzahler im zentralen Nevada, und was hält sie hier?«

Er zuckte die Achseln. »Es ist ein weites Land, und es gibt nicht viele Steuerzahler hier draußen. Fallon ist die größte Stadt am Highway 50 und lebt vorwiegend von der Landwirtschaft. Im Reiseführer steht, dass sie einen Stausee angelegt und dadurch Bewässerung möglich gemacht haben. Hauptsächlich bauen sie Melonen an. Und ich glaube, es gibt einen Militärstützpunkt in der Gegend. Fallon war eine Station des Pony-Express. Hast du das gewusst?«

»Ich würde abhauen«, sagte sie. »Mir einfach meine Melonen nehmen und wegziehen. «

Er strich ihr kurz mit der rechten Hand über die linke Brust. »Das ist ein hübsches Paar Melonen, Ma’am.«

»Danke. Aber nicht nur aus Fallon. Aus jedem Bundesstaat, wo man weit und breit kein Haus sehen kann, nicht mal einen Baum, und wo sie Katzen an Verkehrsschilder nageln, würde ich wegziehen.«

»Nun, das ist eine Frage der Wahrnehmung«, sagte er mit Bedacht. Manchmal konnte er nicht sagen, wann es Mary ernst war und wann sie vor sich hin schwatzte, und dies war eins dieser Male. »Weil du jemand bist, der in einer Großstadtumgebung aufgewachsen ist, liegen Landstriche wie das Große Becken ziemlich weit außerhalb deiner Wahrnehmung. Meiner übrigens auch. Der Himmel allein reicht schon aus, dass ich ausflippe. Seit wir heute Morgen losgefahren sind, spüre ich, wie er da oben ist und auf mich runterdrückt.«

Mary nickte. »Ich auch. Es ist einfach zu gottverdammt viel davon da.«

»Tut es dir leid, dass wir diesen Weg genommen haben?« Er sah in den Rückspiegel und stellte fest, dass das Fahrzeug hinter ihnen aufgeholt hatte. Es war kein Lastwagen, wie sie sie ausschließlich gesehen hatten, seit sie von Fallon aufgebrochen waren (und alle waren in die Gegenrichtung gefahren, nach Westen), sondern ein Pkw. Und er hatte keinen schlechten Zahn drauf.

Sie dachte darüber nach, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, es war schön, Gary und Marielle zu besuchen, den Lake Tahoe zu sehen … «

»Der war wunderschön, nicht?«

»Unglaublich. Selbst das hier …« Mary sah zum Fenster hinaus, »entbehrt nicht einer gewissen Schönheit, das will ich nicht sagen. Und ich denke, ich werde mich den Rest meines Lebens daran erinnern. Aber es ist … «

»… unheimlich«, beendete er ihren Satz. »Jedenfalls, wenn man aus New York stammt.«

»Verdammt richtig«, sagte sie. »Die Wahrnehmung von Leuten aus der Großstadt. Und selbst wenn wir die I-80 genommen hätten, die führt auch mitten durch die Wüste.«

»Jawoll. Rollende Windhexen.« Er sah wieder in den Rückspiegel, und die Gläser der Sonnenbrille, die er zum Fahren trug, funkelten im Sonnenschein. Das Auto hinter ihnen war ein Polizeiauto, das mindestens neunzig Meilen schnell fuhr. Er fuhr an den Straßenrand, bis die rechten Reifen über den Sand rollten und Staub aufwirbelten. »Pete? Was machst du?«

Ein weiterer Blick in den Rückspiegel. Großer verchromter Kühler, der rasch näher kam und die Sonne so grell widerspiegelte, dass Peter die Augen zukneifen musste … aber er glaubte, dass es ein weißes Auto war, also nicht die State Police.

»Ich mache mich klein«, sagte Peter. »Kleines verängstigtes Tierchen. Hinter uns fährt ein Cop, und der hat es eilig. Vielleicht ist er hinter …«

Das Polizeiauto raste vorbei, sodass der Acura, der Peters Schwester gehörte, in seinem Windsog schwankte. Es war tatsächlich weiß und von den Türgriffen abwärts staubig. Ein Emblem schmückte die Tür, aber das Auto war vorbei, bevor Pete mehr als einen flüchtigen Blick darauf werfen konnte. DES-irgendwas. Möglicherweise Destry. Das war ein guter Name für eine Stadt in Nevada, hier draußen in der großen Einsamkeit.

»… dem Typen her, der die Katze an das Verkehrsschild genagelt hat«, setzte Peter den Satz fort.

»Sein Blaulicht ist nicht an. Warum fährt er so schnell ohne Blaulicht?«

»Für wen sollte er es hier draußen einschalten?«

»Nun«, sagte sie und sah ihn wieder mit dem merkwürdigen Ausdruck an, »für uns.«

Er machte den Mund auf, um zu antworten, und machte ihn wieder zu. Sie hatte recht. Der Cop musste sie gesehen haben, seit sie ihn sahen, möglicherweise länger, warum also hatte er das Blaulicht nicht eingeschaltet, nur für alle Fälle? Natürlich war Peter geistesgegenwärtig genug gewesen, von sich aus rechts ranzufahren und dem Cop so viel Platz zu machen wie möglich, aber trotzdem …

Plötzlich leuchteten die Bremslichter des Polizeiautos auf. Peter trat selbst auf die Bremse, ohne darüber nachzudenken, obwohl er bereits auf sechzig abgebremst hatte und der Streifenwagen so weit vor ihnen fuhr, dass sie unmöglich auffahren konnten. Dann schwenkte der Streifenwagen auf die Fahrspur nach Westen.

»Was macht der denn?«, fragte Mary.

»Ich weiß es nicht genau. «

Aber selbstverständlich wusste Peter es: Er bremste ab. Von seinen »Schneid ihnen am Pass den Weg ab!«fünfundachtzig oder -neunzig Meilen hatte er auf etwa fünfzig abgebremst. Peter, der die Stirn runzelte und ihn, ohne zu wissen, warum, nicht einholen wollte, bremste noch mehr. Die Tachonadel von Deirdres Auto näherte sich vierzig.

»Peter?« Mary hörte sich beunruhigt an. »Peter, das gefällt mir nicht.«

»Alles in Ordnung«, sagte er, aber stimmte das? Er betrachtete das Polizeiauto, das langsam links von ihm auf der nach Westen führenden Fahrspur entlangtuckerte, und machte sich seine Gedanken. Er versuchte, die Person am Steuer zu sehen, aber es gelang ihm nicht. Die Heckscheibe des Streifenwagens war staubverkrustet.

Die Bremslichter, ebenfalls staubverkrustet, leuchteten kurz auf, als das Auto noch weiter abbremste. Jetzt fuhr es kaum noch dreißig. Eine Windhexe rollte über die Straße und kam unter die Radialreifen des Streifenwagens. Als sie hinten wieder zum Vorschein kam, sah sie wie zerquetschte Finger aus, fand Peter. Plötzlich hatte er Angst, fast Panik, und hatte nicht den leisesten Schimmer, warum.

Weil Nevada voll von eindringlichen Menschen ist, das hat Marielle gesagt, und Gary hat zugestimmt, und so benehmen sich eindringliche Menschen. Mit einem Wort, unheimlich.

Das war selbstverständlich Quatsch, das hier war wirklich nicht unheimlich, jedenfalls nicht sehr unheimlich, obwohl …

Die Bremslichter des Polizeiautos flackerten wieder auf. Peter trat selbst kurz auf die Bremse, ohne recht zu wissen, was er tat, dann warf er einen Blick auf den Tacho und stellte fest, dass er nur noch fünfundzwanzig fuhr.

»Was will er, Peter?«

Das war inzwischen überdeutlich.

»Wieder hinter uns fahren.«

»Warum?«

»Ich weiß nicht.«

»Warum ist er nicht einfach rechts rangefahren und hat uns vorbeigelassen, wenn er das will?«

»Das weiß ich auch nicht.«

»Was wirst du …«

»Selbstverständlich überholen.« Und dann fügte er ohne ersichtlichen Grund hinzu: »Schließlich haben wir die verdammte Katze nicht an dem Schild festgenagelt.«

Er trat auf das Gaspedal und näherte sich langsam dem staubigen Streifenwagen, der inzwischen mit nicht mehr als zwanzig dahintuckerte.

Mary hielt ihn so fest an der Schulter seines blauen Baumwollhemds, dass er den Druck ihrer kurzen Fingernägel spürte. »Nein, nicht.«

»Mare, ich habe keine große Wahl.«

Der Einwand war bereits überflüssig, denn noch während er das sagte, überholten sie den Streifenwagen. Deirdres Acura zog mit dem staubigen Caprice gleich und ließ ihn hinter sich. Peter sah durch die beiden Glasscheiben, erkannte aber nur sehr wenig. Ein großer Umriss, ein männlicher Umriss, das war alles. Und er hatte das Gefühl, dass ihn der Fahrer des Polizeiautos ebenfalls ansah. Peter sah zu dem Emblem an der Beifahrertür. Jetzt hatte er Zeit, es zu lesen: DESPERATION POLICE DEPARTMENT stand in Goldbuchstaben unter dem Stadtwappen, das einen Goldgräber und einen Reiter zu zeigen schien, die einander die Hände schüttelten.

Desperation, dachte er. Verzweiflung. Das ist noch besser als Destry. Viel besser.

Kaum war er vorbei, schwenkte das weiße Auto auf die nach Osten führende Fahrspur zurück und beschleunigte, sodass es Stoßstange an Stoßstange mit dem Acura blieb. So fuhren sie dreißig oder vierzig Sekunden lang (Peter kam es beträchtlich länger vor). Dann ging das blaue Blinklicht auf dem Dach des Streifenwagens an. Peter verspürte ein seltsames Gefühl in der Magengegend, aber es war nicht Überraschung. Ganz und gar nicht.

2

Mary hatte immer noch die Hand an seiner Schulter, und als Peter an den Straßenrand fuhr, grub sie wieder die Nägel hinein.

»Was machst du da? Peter, was machst du da?«

»Rechts ranfahren. Er hat das Blaulicht eingeschaltet und hält mich an.«

»Das gefällt mir nicht«, sagte sie und sah sich nervös um. Es gab nichts zu sehen, außer Wüste, fernen Hügeln und meilenweit blauem Himmel. »Was haben wir getan?«

»Geschwindigkeitsüberschreitung scheint logisch zu sein.« Er sah in den Seitenspiegel. Über den Worten VORSICHT – OBJEKTE KÖNNTEN NÄHER SEIN, ALS SIE ZU SEIN SCHEINEN konnte er sehen, wie die staubige weiße Fahrertür des Polizeiautos aufgestoßen wurde. Ein Bein in Khakihose schwang heraus. Es war riesig. Als der Mann, dem es gehörte, nachfolgte, die Autotür zuschlug und sich den Smokey-Bear-Hut aufsetzte (er konnte ihn im Auto nicht tragen, vermutete Peter; nicht genug Platz), drehte sich Mary um und sah ihn an. Sie riss den Mund auf.

»Großer Gott, der ist so groß wie ein Footballspieler!«

»Mindestens«, sagte Peter. Er nahm das Autodach als Anhaltspunkt – ein Meter sechzig – und rechnete rasch im Kopf aus, dass der Cop, der jetzt zu Deirdres Auto geschlendert kam, mindestens eins fünfundneunzig groß sein musste. Und über hundertfünfzehn Kilo wog. Wahrscheinlich über hundertdreißig.

Mary ließ ihn los und rückte so weit sie konnte zur Tür, weg von dem Riesen, der näher kam. Der Cop trug eine Waffe an der Hüfte, die so groß war wie der Rest von ihm, kam aber mit leeren Händen – kein Schreibbrett, kein Stift. Das gefiel Peter nicht. Er wusste nicht, was es zu bedeuten hatte, aber es gefiel ihm nicht. In seiner gesamten Karriere als Autofahrer, die vier Strafzettel wegen überhöhter Geschwindigkeit als Teenager und eine Verwarnung wegen Alkohols am Steuer (nach einer Weihnachtsfeier der Fakultät vor drei Jahren) einschloss, war nie ein Cop mit leeren Händen auf ihn zugekommen, und das gefiel ihm ganz entschieden nicht. Sein Herz, das ohnehin schon schneller schlug, legte noch einen Zahn zu. Es pochte nicht, jedenfalls noch nicht, aber er spürte, es könnte pochen. Es könnte ganz schnell anfangen zu pochen.

Du bist albern, das ist dir schon klar, ja?, fragte er sich. Geschwindigkeitsüberschreitung, das ist alles, nur eine Geschwindigkeitsüberschreitung. Auch wenn die Höchstgeschwindigkeit ein Witz ist und jeder das weiß, muss der Bursche zweifellos eine Quote erfüllen. Und wenn es um Strafzettel wegen Geschwindigkeitsüberschreitung geht, sind Ortsfremde immer die besten Opfer. Das weißt du. Also … wie heißt diese alte Platte von Van Halen? Eat ’Em and Smile?

Der Cop blieb neben Peters Fenster stehen, sodass die Schnalle seines Sam-Browne-Gürtels (mit schrägem Lederriemen) in Peters Augenhöhe war. Er bückte sich nicht, sondern hob eine Faust (die Peter so groß wie eine Dose Daisy-Schinken vorkam) und machte eine kurbelnde Bewegung.

Peter zog die runde randlose Brille ab, steckte sie in die Tasche und kurbelte das Fenster herunter. Er war sich Marys rascher Atemzüge auf dem Beifahrersitz nur zu bewusst. Sie hörte sich an, als wäre sie seilgesprungen oder hätte vielleicht Sex gehabt.

Statt sich zu bücken, machte der Cop langsam eine anmutige Kniebeuge und brachte sein breites, unverbindliches Gesicht ins Blickfeld der Jacksons. Ein Schattenstreifen von der Krempe seines Trooper-Huts fiel auf seine Stirn. Seine Haut sah unnatürlich rosa aus, und Peter vermutete, dass der Mann trotz seiner Größe die Sonne nicht besser vertrug als Mary. Seine Augen waren hellgrau und direkt, aber ohne Gefühlsregung. Jedenfalls konnte Peter keine darin erkennen. Aber er konnte etwas riechen. Möglicherweise Old Spice, dachte er.

Der Cop würdigte ihn nur eines kurzen Blickes, dann betrachtete er die Kabine des Acura, zuerst Mary (Amerikanerin aus dem Bilderbuch, weiß, hübsches Gesicht, gute Figur, geringe Kilometerzahl, keine sichtbaren Narben), dann die Kameras und Tüten und den Abfall auf dem Rücksitz. So viel Abfall lag da noch nicht; sie hatten Oregon erst vor drei Tagen verlassen, und davon anderthalb bei Gary und Marielle Soderson verbracht, wo sie alte Schallplatten gehört und sich über alte Zeiten unterhalten hatten.

Der Blick des Cops verweilte auf dem herausgezogenen Aschenbecher. Peter vermutete, dass er nach Kippen suchte, nach dem Aroma von Pot oder Hasch schnupperte, und er verspürte Erleichterung. Er hatte seit fast fünfzehn Jahren keinen Joint mehr geraucht, nie Kokain versucht und nach der unseligen Weihnachtsparty mit der Verwarnung wegen Alkohols am Steuer kaum noch etwas getrunken. Heutzutage bestanden seine einzigen Drogenerlebnisse darin, bei einem Rockkonzert ein wenig Cannabis zu schnuppern, und Mary hatte das Zeug überhaupt nie genommen – sie bezeichnete sich manchmal selbst als »Drogenjungfrau«. Im Aschenbecher lagen nur ein paar zusammengeknüllte Kaugummiverpackungen, und keine leeren Bierdosen oder Weinflaschen auf dem Rücksitz.

»Officer, ich weiß schon, ich bin etwas zu schnell gefahren …«

»Bleifuß, was?«, fragte der Cop liebenswürdig. »Heiliger Strohsack! Sir, könnte ich Ihren Führerschein und die Zulassung sehen?«

»Klar.« Peter zog die Brieftasche hinten aus seiner Jeans. »Aber das Auto gehört nicht mir. Es gehört meiner Schwester. Wir bringen es für sie nach New York zurück. Von Oregon. Sie war am Reed. Reed College, in Portland.«

Er plapperte, das wusste er, war sich aber nicht sicher, ob er aufhören konnte. Es war unheimlich, wie Cops einen derartig zum Plappern bringen konnten, als hätte man eine zerstückelte Leiche oder ein entführtes Kind im Kofferraum. Er erinnerte sich, dass er ähnlich reagiert hatte, als der Cop ihn nach der Weihnachtsparty auf dem Long Island Expressway an den Straßenrand gewinkt hatte; er hatte geredet und geredet, Rhabarber-Rhabarber-Rhabarber, während der Cop kein Wort gesagt, sondern nur systematisch seine Pflicht getan und zuerst seinen Papierkram erledigt hatte, bevor er sein kleines blaues Blasröhrchen für den Alkoholtest herausholte.

»Mare? Würdest du bitte die Zulassung aus dem Handschuhfach holen? Sie steckt mit Dees Versicherungskarte in einem Plastikumschlag.«

Zuerst bewegte sie sich nicht. Er konnte aus dem Augenwinkel sehen, dass sie einfach sitzen blieb, während er die Brieftasche aufklappte und nach seinem Führerschein suchte. Der Führerschein hätte da sein müssen, in einer der Fensterlaschen vor dem Geldscheinfach, in Lebensgröße, aber er war nicht da.

»Mare?«, fragte er wieder, ein wenig ungeduldig und erneut ängstlich. Wenn er den gottverdammten Führerschein nun irgendwo verloren hatte? Vielleicht hatte er ihn bei Gary auf den Boden fallen lassen, als er seinen Kram (auf Reisen schien man immer viel mehr Kram mit sich herumzuschleppen als sonst) von einer Jeans in die andere gesteckt hatte. Er hatte ihn natürlich nicht verloren, aber wäre es nicht geradezu typisch gewesen, wenn …

»Hilfst du mir ein bisschen, Mare? Die verdammte Zulassung? Bitte?«

»Oh. Klar, okay.«

Sie beugte sich nach vorn wie eine alte, rostige Maschine, die ein plötzlicher Stromstoß gerade zu neuem Leben erweckt hat, und machte das Handschuhfach auf. Sie kramte darin herum und holte ein paar Sachen heraus (eine halb volle Tüte Studentenfutter, eine Kassette von Bonnie Raitt, die in Deirdres Kassettenrecorder eine Fehlgeburt gehabt hatte, eine Karte von Kalifornien), damit sie an das Zeug dahinter rankam. Peter konnte Schweißperlen an ihrer linken Schläfe sehen. Haarsträhnen klebten ihr nass am Kopf, obwohl die Klimaanlage ihr kalte Luft direkt ins Gesicht blies.

»Ich kann sie nicht …«, begann sie, und dann, mit unüberhörbarer Erleichterung: »Oh, da ist sie ja.«

Im selben Augenblick sah Peter in das Fach, wo er Visitenkarten aufbewahrte, und sah den Führerschein. Er konnte sich nicht erinnern, dass er ihn da reingesteckt hatte – warum, in Gottes Namen, hätte er das tun sollen? – , aber da war er. Auf dem Foto sah er nicht wie ein Assistenzprofessor für Englisch an der Universität von New York aus, sondern wie ein arbeitsloser Tagelöhner (und möglicher Serienkiller). Aber er war es, erkennbar er, und er spürte, wie sich seine Stimmung verbesserte. Sie hatten ihre Papiere, Gott war in seinem Himmel, und die Welt war in Ordnung.

Außerdem, dachte er und gab dem Cop seinen Führerschein, sind wir hier nicht in Albanien. Vielleicht außerhalb unserer normalen Wahrnehmung, aber auf jeden Fall nicht in Albanien.

»Peter?«

Er drehte sich um, nahm den Umschlag, den sie ihm hinhielt, und blinzelte ihr zu. Sie versuchte, bestätigend zu lächeln, aber es gelang ihr nicht besonders gut. Draußen schleuderte eine Windbö Sand gegen das Auto. Winzige Körnchen prasselten Peter ins Gesicht, und er kniff die Augen zu. Plötzlich wollte er mindestens zweitausend Meilen von Nevada entfernt sein, egal, in welcher Richtung.

Er nahm Deirdres Zulassung und hielt sie dem Cop hin, aber der studierte immer noch seinen Führerschein.

»Wie ich sehe, sind Sie Organspender«, sagte der Cop und sah auf. »Finden Sie das wirklich klug?«

Peter war verblüfft. »Nun, ich …«

»Ist das die Fahrzeugzulassung, Sir?«, fragte der Cop forsch. Jetzt sah er das kanarienvogelgelbe Stück Papier an.

»Ja.«

»Bitte geben Sie sie mir.«

Peter reichte sie zum Fenster hinaus. Nun hielt der Cop, der immer noch wie ein Indianer vor dem Auto kauerte, Peters Führerschein in einer und Deirdres Zulassung in der anderen Hand. Er sah ziemlich lange zwischen den beiden hin und her. Peter spürte einen leichten Druck auf dem Oberschenkel und zuckte zusammen, bis ihm klar wurde, dass es Marys Hand war. Er nahm sie und spürte sofort, wie sie die Finger um seine schlang.

»Ihre Schwester?«, sagte der Cop schließlich. Er sah sie mit seinen hellgrauen Augen an.

»Ja …«

»Ihr Name ist Finney. Sie heißen Jackson.«

»Deirdre war ein Jahr verheiratet, zwischen Highschool und College«, sagte Mary. Ihre Stimme klang fest, freundlich, unerschrocken. Peter hätte es ihr rückhaltlos abgekauft, wenn er nicht den Druck ihrer Finger gespürt hätte. »Sie hat den Namen ihres Mannes behalten. Das ist alles.«

»Ein Jahr, hmmm? Zwischen Highschool und College. Verheiratet. Tak!«

Sein Kopf blieb über die Dokumente gesenkt. Peter konnte die Spitze seines Smokey-Bear-Huts wippen sehen, als er sie wieder studierte.

Peters Erleichterung verschwand langsam.

»Zwischen Highschool und College«, wiederholte der Cop mit gesenktem Kopf und verborgenem Gesicht, und im Geiste hörte Peter ihn sagen: Wie ich sehe, sind Sie Organspender. Finden Sie das wirklich klug? Tak!

Der Cop sah auf. »Würden Sie bitte aus dem Auto aussteigen, Mr. Jackson?«

Marys Finger packten zu, ihre Nägel gruben sich in Peters Handrücken, aber das brennende Gefühl war weit, weit entfernt. Plötzlich kribbelten seine Eier und sein Magen vor Nervosität, und er kam sich wieder wie ein Kind vor, ein verwirrtes Kind, das nur mit Sicherheit weiß, dass es etwas Schlimmes getan hat.

»Was …«, begann er.

Der Cop aus dem Streifenwagen von Desperation stand auf. Es war, als würde man einen Lastenaufzug hochfahren sehen. Der Kopf verschwand, dann das offene Hemd mit der glänzenden Marke, dann der diagonal geschnallte Riemen des Sam-Browne-Gürtels. Dann sah Peter wieder die schwere Gürtelschnalle, die Waffe und den Khakistreifen über dem Hosenschlitz des Mannes.

Diesmal stellte die Stimme, die von oberhalb des Fensters ertönte, keine Frage. »Steigen Sie aus dem Auto aus, Mr. Jackson.«

3

Peter zog am Griff, worauf der Cop zurücktrat, damit er die Autotür aufmachen konnte. Der Kopf des Cops wurde vom Dach des Acura verdeckt. Mary drückte Peters Hand fester denn je, und Peter drehte sich zu ihr um. Der Sonnenbrand auf ihren Wangen und der Stirn war jetzt deutlicher zu sehen, weil ihr Gesicht aschfahl geworden war. Ihre Augen waren weit aufgerissen.

Steig nicht aus, formte sie mit den Lippen.

Ich muss, formte er zurück und schwang ein Bein auf den Asphalt der US 50. Einen Augenblick klammerte sich Mary mit ineinander verschränkten Fingern an ihn, dann befreite sich Peter, stieg ganz aus und stand auf Füßen, die sich seltsam weit entfernt anfühlten. Der Cop sah auf ihn herab. Eins achtundneunzig, dachte Peter. Mindestens. Und plötzlich sah er eine grässliche Abfolge von Ereignissen vor sich, wie einen Filmausschnitt, der im Zeitraffertempo abgespielt wird: Der riesige Cop zog die Waffe, drückte ab und verteilte Peter Jacksons gebildetes Gehirn als glibberigen Film auf dem Dach des Acura, dann zerrte er Mary aus dem Auto, klatschte sie mit dem Gesicht nach unten auf die Haube des geschlossenen Kofferraums, beugte sie vollends darüber und vergewaltigte sie hier draußen, auf dem Highway, im Schein der sengenden Wüstensonne, ohne den Smokey-Bear-Hut abzunehmen, und schrie dabei: Wollen Sie ein gespendetes Organ, Lady? Da haben Sie es! Da haben Sie es!, während er wippte und stieß.

»Was hat das zu bedeuten, Officer?«, fragte Peter, dessen Mund und Rachen plötzlich trocken waren. »Ich finde, ich habe ein Recht, das zu wissen.«

»Bitte, kommen Sie zum Heck des Wagens, Mr. Jackson.«

Der Cop drehte sich um, ging zum Kofferraum des Acura und achtete gar nicht darauf, ob Peter gehorchte. Peter gehorchte tatsächlich, er ging auf Beinen, die immer noch den Eindruck erweckten, als würden sie ihre Sinneseindrücke über ein Telekommunikationsnetz durchgeben.

Der Cop blieb beim Kofferraum stehen. Als Peter bei ihm war, zeigte er mit dem großen Finger auf etwas. Peter sah hin und stellte fest, dass das hintere Nummernschild von Deirdres Auto fehlte – wo es gewesen war, prangte nur ein unwesentlich weniger staubiges Rechteck.

»Oh, Scheiße!«, sagte er, und sein Ärger und Verdruss waren echt, aber seine Erleichterung auch. Also hatte das alles doch einen Grund. Gott sei Dank. Er drehte sich zur Vorderseite des Autos um und stellte ohne große Überraschung fest, dass die Fahrertür geschlossen war. Mary hatte sie zugemacht. Er war so mit diesem … Ereignis … Vorfall … was auch immer es war … beschäftigt gewesen, dass er nicht mal den Schlag gehört hatte.

»Mare! He, Mare!«

Sie streckte ihr sonnenverbranntes, besorgtes Gesicht zum Fenster heraus und sah ihn an.

»Unser verdammtes Nummernschild ist abgefallen!«, rief er fast lachend.

»Was?«

»Nein, ist es nicht«, sagte der Cop aus Desperation. Er ging wieder in die Hocke – dieselbe ruhige, bedächtige, geschmeidige Bewegung – und streckte die Hand unter die Stoßstange. Er machte sich kurz hinter dem Platz des Nummernschilds an der Stoßstange zu schaffen, während der Blick seiner grauen Augen zum Horizont schweifte. Ein seltsames Gefühl der Vertrautheit überkam Peter: Er und seine Frau waren vom Marlboro-Mann angehalten worden.

»Ah!«, sagte der Cop. Er stand wieder auf. Die Hand, mit der er die Rückseite der Stoßstange untersucht hatte, war zur Faust geballt. Er hielt sie Peter hin und öffnete sie. Auf der Hand lag ein schmutziges Stück einer Schraube (das auf der riesigen blassrosa Fläche sehr klein wirkte). Es war nur an einer einzigen Stelle glänzend, dort, wo sie durchgesägt worden war.

Peter betrachtete die Schraube, dann den Cop. »Ich verstehe nicht.«

»Haben Sie in Fallon gehalten?«

»Nein …«

Ein Quietschen ertönte, als Mary die Beifahrertür aufmachte, ein Knall, als sie sie zuschlug, dann das Schlurfen von Turnschuhen auf der sandigen Böschung, als sie zum Heck des Autos kam.

»Natürlich haben wir das«, sagte sie. Sie betrachtete das Bruchstück auf der großen Hand (Deirdres Zulassung und Peters Führerschein hatte der Cop noch in der anderen Hand), dann das Gesicht des Cops. Sie schien keine Angst mehr zu haben – jedenfalls keine so große –, und dafür war Peter dankbar. Er gab sich bereits neun verschiedene Beschimpfungen als paranoider Idiot, aber man musste zugeben, dass diese spezielle unheimliche Begegnung der Cop-Art ihre

(finden Sie das wirklich klug)

sonderbaren Aspekte mit sich gebracht hatte.

»Boxenstop, Peter, weißt du nicht mehr? Wir mussten nicht tanken, du hast gesagt, das könnten wir in Ely, aber wir haben Limonade gekauft, damit wir guten Gewissens die Waschräume aufsuchen konnten.« Sie sah zu dem Cop auf und versuchte zu lächeln. Sie musste den Kopf in den Nacken legen, damit sie sein Gesicht sehen konnte. Peter fand, sie sah aus wie ein kleines Mädchen, das Daddy ein Lächeln entlocken möchte, nachdem Daddy von einem schlimmen Tag im Büro nach Hause gekommen ist. »Die Waschräume waren sehr sauber.«

Er nickte. »Haben Sie bei Fill More Fast oder Berk’s Conoco gehalten?«

Sie sah Peter unsicher an. Er hielt die Hände in Schulterhöhe hoch. »Ich kann mich nicht erinnern«, sagte er. »Verdammt, ich kann mich kaum erinnern, dass wir angehalten haben.«

Der Cop warf das nutzlose Stück Schraube über die Schulter in die Wüste, wo es eine Million Jahre ungestört liegen bleiben würde, wenn es nicht einem neugierigen Vogel auffiel. »Aber ich wette, Sie erinnern sich an die Jungs, die vor dem Haus rumgehangen haben. Ältere Jungs. Einer oder zwei vielleicht so alt, dass sie gar keine Jungs mehr sind. Die jüngeren mit Skateboards oder Rollschuhen.«

Peter nickte. Er musste daran denken, wie Mary ihn gefragt hatte, warum Leute hier waren – warum sie kamen, und warum sie blieben.

»Dann war es das Fill More Fast.« Peter sah nach, ob der Cop ein Namensschild an einer Hemdentasche trug, fand aber keins. Also musste er es zumindest vorerst noch bei »der Cop« bewenden lassen. Der, der wie der Marlboro-Mann aus der Werbung aussah. »Alfie Berk duldet sie nicht mehr. Hat sie alle rausgeworfen. Eine Bande von Tunichtguten.«

Mary legte den Kopf schief, und einen Moment konnte Peter den Schatten eines Lächelns um ihre Mundwinkel spielen sehen.

»Sind sie eine Gang?«, fragte Peter. Er begriff immer noch nicht, worauf das alles hinauslief.

»Wenn man das in einem kleinen Ort wie Fallon so nennen kann«, sagte der Cop. Er hielt sich Peters Führerschein vors Gesicht, betrachtete ihn, betrachtete Peter, ließ ihn wieder sinken. Aber er machte keine Anstalten, ihn zurückzugeben. »Hauptsächlich Schulschwänzer. Und eins ihrer Hobbys ist es, Nummernschilder anderer Bundesstaaten zu klauen. Eine Art Mutprobe. Ich nehme an, Ihres haben sie sich geholt, als Sie drinnen die Getränke gekauft oder die Waschräume aufgesucht haben.«

»Sie wissen das, und die tun es trotzdem?«, fragte Mary.

»Fallon ist nicht meine Stadt. Ich geh niemals dorthin. Ihre Wege sind nicht meine Wege.«

»Was sollen wir wegen des fehlenden Nummernschilds unternehmen?«, fragte Peter. »Ich meine, es ist das reinste Durcheinander. Das Auto ist in Oregon zugelassen, aber meine Schwester ist wieder nach New York gezogen. Sie hat Reed gehasst …«

»Tatsächlich?«, fragte der Cop. »Heiliger Strohsack!«

Peter konnte spüren, wie Mary ihn ansah, wahrscheinlich, damit er an ihrer Heiterkeit teilhaben konnte, aber das schien ihm keine gute Idee zu sein. Ganz und gar nicht.

»Sie sagte, dort zu studieren sei, als wollte man mitten in einem Konzert der Grateful Dead studieren«, sagte er. »Wie auch immer, sie ist zurück nach New York geflogen. Meine Frau und ich dachten, es könnte ganz lustig sein, das Auto für sie nach New York zu bringen. Deirdre hat ihre Sachen in den Kofferraum gepackt … hauptsächlich Kleider …«

Er plapperte wieder und zwang sich zu schweigen.

»Also, was soll ich tun? Ich kann schlecht hinten ohne Nummernschild quer durch das ganze Land fahren, oder?«

Der Cop ging sehr zielstrebig zum Kühler des Acura. Er hielt immer noch Peters Führerschein und Deirdres kanarienvogelgelbe Zulassung in einer Hand. Sein Sam-Browne-Gürtel knirschte. Als er vor dem Kühler stand, verschränkte er die Hände hinter dem Rücken und betrachtete stirnrunzelnd etwas. Peter fand, er sah wie ein interessierter Mäzen in einer Kunstgalerie aus. Tunichtgute, hatte er gesagt. Eine Bande von Tunichtguten. Peter glaubte nicht, dass er jemals gehört hatte, wie jemand dieses Wort tatsächlich in einem Gespräch benutzte.

Der Cop kam zu ihnen zurück. Mary stellte sich neben Peter, aber ihre Angst schien verflogen zu sein. Sie sah den großen Mann interessiert an, mehr nicht.

»Das vordere Nummernschild ist okay«, sagte der Cop. »Bringen Sie das hinten an. Auf diese Weise werden Sie ohne Probleme nach New York kommen.«

»Oh«, sagte Peter. »Okay. Gute Idee.«

»Haben Sie Schraubenschlüssel und Schraubenzieher? Ich glaube, meine Werkzeuge liegen alle in der Garage der Stadt auf der Werkbank.« Der Cop grinste. Sein ganzes Gesicht strahlte, seine Augen leuchteten, und er schien nun ein völlig anderer Mann zu sein. »Oh. Das gehört Ihnen.« Er hielt Peter Führerschein und Zulassung hin.

»Ich glaube, wir haben einen kleinen Werkzeugkasten im Kofferraum«, sagte Mary. Sie hörte sich überdreht an, und genauso fühlte sich Peter. Reine Erleichterung, vermutete er. »Ich hab ihn gesehen, als ich meinen Schminkkoffer reingestellt habe. Zwischen dem Ersatzreifen und der Kofferraumwand.«

»Officer, ich möchte Ihnen danken«, sagte Peter.

Der große Cop nickte. Aber er sah nicht Peter an; seine grauen Augen schauten offenbar zu den Bergen links von ihm. »Ist mein Job.«

Peter ging zur Front des Autos und fragte sich, warum er und Mary überhaupt solche Angst gehabt hatten.

Das ist Unsinn, sagte er sich, als er die Schlüssel aus dem Zündschloss zog. Sie hingen an einem Schlüsselanhänger in Form eines Smiley-Gesichts, was typisch war – jedenfalls typisch für Deirdre. Mr. Smiley-Smile (das war ihr Name für ihn) war das Markenzeichen seiner Schwester … vielleicht wäre Maskottchen das richtige Wort gewesen. Sie klebte die fröhlichen gelben auf die meisten Briefumschläge, und ab und zu einen grünen mit nach unten gezogenen Mundwinkeln und herausgestreckter Zunge, wenn sie einen schlechten Tag hatte. Ich hatte eigentlich gar keine Angst. Und Mary auch nicht.

Boing, das war eine Lüge. Er hatte Angst gehabt, und Mary … nun, Mary hatte beinahe Todesangst ausgestanden.

Okay, vielleicht waren wir ein wenig aus dem Häuschen, dachte er und wählte den Kofferraumschlüssel aus, als er wieder nach hinten ging. Und wenn schon. Der Anblick von Mary, die neben dem riesigen Cop stand, war wie eine optische Täuschung; ihr Scheitel reichte ihm kaum bis zum Brustkasten.

Er machte den Kofferraum auf. Links lagen Deirdres Kleider, ordentlich zusammengelegt und mit Hefty-Mülltüten zugedeckt, damit sie nicht staubig wurden. In der Mitte waren Marys Schminkkästchen und ihre beiden Koffer – seiner und ihrer – zwischen die grünen Bündel und den Ersatzreifen geklemmt. Obwohl »Reifen« ziemlich geschmeichelt war, fand Peter. Es war einer dieser aufgeblasenen Donuts, mit denen man gerade mal bis zur nächsten Werkstatt kam. Wenn man Glück hatte.

Er sah zwischen dem Donut und der Seitenwand nach. Da war nichts.

»Mare, ich sehe keinen …«

»Da.« Sie zeigte darauf. »Das graue Ding! Das ist er. Er ist hinter den Ersatzreifen gerutscht, das ist alles.«

Er hätte mit dem Arm in die Lücke greifen können, aber es schien einfacher zu sein, den schlaffen Gummidonut aus dem Weg zu räumen. Er lehnte ihn gerade an die hintere Stoßstange, als er Mary plötzlich tief Luft holen hörte. Es hörte sich an, als wäre sie gekniffen oder gestoßen worden.

»Oha«, sagte der große Cop gemächlich. »Was ist denn das?«

Mary und der Cop sahen in den Kofferraum. Der Cop sah interessiert und ein wenig nachdenklich aus. Marys Augen quollen vor Entsetzen aus den Höhlen. Ihre Lippen bebten. Peter drehte sich um, folgte ihren Blicken und sah ebenfalls wieder in den Kofferraum. In der Mulde für den Ersatzreifen lag etwas. Es hatte unter dem Donut gelegen. Einen Augenblick wusste er nicht, was es war, oder wollte es nicht wissen, und dann spürte er dieses kribbelnde Gefühl im Unterleib wieder. Jetzt spürte er aber auch noch, wie sein Schließmuskel sich nicht öffnete, sondern absackte, als wären die Muskeln eingedöst, die ihn normalerweise an Ort und Stelle hielten. Er merkte, dass er die Arschbacken zusammenkniff, aber selbst das war weit entfernt, in einer anderen Zeitzone. Er verspürte die allzu kurze Gewissheit, dass dies ein Traum war, sein musste.

Der große Cop warf ihm einen Blick mit seinen immer noch seltsam ausdruckslosen Augen zu, griff mit der Hand in die Reifenmulde und holte die Plastiktüte heraus, die unter dem Donut versteckt gewesen war. Es war eine große Plastiktüte, die etwa vier Liter fasste, und sie war mit braungrünen Kräutern vollgestopft. Sie sahen ein bisschen wie Rohtabak aus, aber Peter wusste ganz genau, was es war. Die Klappe war mit Packband zugeklebt worden. Auf der Vorderseite prangte ein gelber, runder Sticker. Mr. Smiley-Smile. Das perfekte Wahrzeichen für Kiffer wie seine Schwester, deren Abenteuer man Durchs finsterste Amerika mit Bong und Mundstück überschreiben konnte. Als sie schwanger geworden war, war sie high gewesen, als sie beschlossen hatte, Bill Finney zu heiraten, war sie ohne Zweifel high gewesen, und Peter wusste ganz sicher, dass sie von der Reed abgegangen war (mit einem Notendurchschnitt von Vier-Komma-vergiss-es), weil dort zu viel Stoff herumgeisterte und sie einfach nicht Nein sagen konnte. Wenigstens in der Hinsicht war sie offen und ehrlich gewesen, und er hatte den Acura tatsächlich nach Stoff durchsucht – wahrscheinlich eher Stoff, den sie vergessen, als Stoff, den sie absichtlich dort versteckt hatte –, bevor sie von Portland aufgebrochen waren.

Er hatte unter den Hefty-Mülltüten nachgesehen, in denen sie ihre Klamotten verstaut hatte, und Mary hatte die Klamotten selbst durchsucht (keiner hatte laut ausgesprochen, wonach sie suchten, aber beide hatten es gewusst), doch sie hatten beide nicht daran gedacht, unter dem Donut nachzusehen.

Der gottverdammte Donut.

Der Cop drückte den Beutel mit seinem übergroßen Daumen wie eine Tomate. Er streckte eine Hand in die Tasche und holte ein Schweizer Offiziersmesser heraus. Er klappte die kleinste Klinge auf.

»Officer«, sagte Peter mit kläglicher Stimme. »Officer, ich weiß nicht, wie das …«

»Pst«, sagte der große Cop und machte einen kleinen Schlitz in die Tüte.

Peter spürte, wie Mary an seinem Ärmel zupfte. Er nahm ihre Hand, und diesmal legte er seine Finger um ihre. Plötzlich konnte er Deirdres blasses, hübsches Gesicht gleich hinter seinen Augen schweben sehen. Ihr blondes Haar, das immer noch in natürlichen blonden Stevie-Nicks-Löckchen auf ihre Schultern fiel. Ihre Augen, die immer ein bisschen verwirrt dreinschauten.

Du dummes kleines Aas, dachte er. Du solltest äußerst dankbar sein, dass du gerade nicht hier bist, wo ich dich zu fassen kriegen könnte.

»Officer …«, versuchte es Mary.

Der Cop hob eine Hand, Handfläche nach außen, hielt den kleinen Schlitz unter die Nase und atmete ein. Er schloss die Augen. Nach einem Moment schlug er sie wieder auf und ließ den Beutel sinken. Er streckte die andere Hand aus, Handfläche nach oben. »Geben Sie mir Ihre Schlüssel, Sir«, sagte er.

»Officer, ich kann es erklären …«

»Geben Sie mir die Schlüssel.«

»Wenn Sie mich nur …«

»Sind Sie taub? Geben Sie mir die Schlüssel.«

Er hob die Stimme nur ein klein wenig, aber es genügte, dass Mary zu weinen anfing. Peter kam sich vor, als hätte seine Seele den Körper verlassen, als er Deirdres Autoschlüssel auf die Handfläche des wartenden Cops fallen ließ und einen Arm um die bebenden Schultern seiner Frau legte.

»Sie werden leider mit mir kommen müssen«, sagte der Cop. Er sah von Peter zu Mary und wieder zurück zu Peter. Dabei wurde Peter klar, was ihn an diesen Augen störte. Sie waren klar, wie die Minuten vor Sonnenaufgang an einem nebligen Morgen, aber sie waren irgendwie auch tot.

»Bitte«, sagte Mary mit belegter Stimme. »Es ist ein Irrtum. Seine Schwester …«

»Steigen Sie in das Auto ein«, sagte der Cop und zeigte auf den Streifenwagen. Auf dem Dach leuchtete noch das Blaulicht, es wirkte selbst in der grellen Wüstensonne hell. »Und zwar bitte sofort, Mr. und Mrs. Jackson.«

4

Auf dem Rücksitz war es extrem eng (logisch, dachte Peter zerstreut, ein Mann seiner Größe schiebt den Vordersitz so weit es geht nach hinten). Hinter dem Fahrersitz lag stapelweise Papier auf dem Boden (die Rückenlehne war durch das Gewicht des Cops tatsächlich durchgebogen), und auf der hinteren Ablage noch mehr. Peter hob das oberste auf – es war ein getrockneter Kaffeering darauf – und sah, dass es sich um ein Flugblatt von DARE, dem Programm gegen Drogenmissbrauch bei Jugendlichen, handelte. Oben war das Bild eines Jungen zu sehen, der vor einer Tür saß. Er hatte einen benommenen, leeren Gesichtsausdruck (und sah tatsächlich so aus, wie sich Peter gerade fühlte), und der Kaffeering umgab seinen Kopf wie ein Heiligenschein. USERS ARE LOSERS stand auf dem Flugblatt.

Zwischen dem vorderen und dem hinteren Teil des Autos war ein Gitter, und die Türen hatten weder Griffe noch Fensterkurbeln. Peter kam sich wie eine Figur in einem Film vor (12 Uhr nachts – Midnight Express kam ihm am deutlichsten in den Sinn), und diese Einzelheiten verstärkten den Eindruck noch. Seiner Meinung nach hatte er schon zu viel über zu vieles gesagt, und es wäre besser, wenn er und Mary schwiegen, zumindest bis sie wussten, wo Officer Friendly sie hinbringen wollte. Wahrscheinlich war das ein guter Rat, aber trotzdem nur schwer zu befolgen. Peter verspürte den übermächtigen Drang, Officer Friendly zu sagen, dass hier ein schrecklicher Irrtum vorlag – er war Assistenzprofessor in Englisch, sein Spezialgebiet war amerikanische Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg, er hatte kürzlich eine wissenschaftliche Untersuchung mit dem Titel »James Dickey und die neue Realität des Südens« veröffentlicht (ein Essay, der in gewissen efeuumrankten Lauben der akademischen Welt eine ziemlich ernste Kontroverse ausgelöst hatte), und außerdem hatte er seit Jahren kein Dope mehr geraucht. Er wollte dem Cop sagen, dass er nach Nevada-Maßstäben vielleicht ein bisschen zu gebildet, aber trotzdem im Grunde genommen einer von den Guten war.

Er sah Mary an. Tränen standen in ihren Augen, und plötzlich schämte er sich seiner Gedanken – immer nur ich, ich, ich. Seine Frau steckte mit ihm in dieser Klemme; er täte gut daran, das nicht zu vergessen. »Pete, ich hab solche Angst«, sagte sie in einem Flüstern, das fast einem Stöhnen gleichkam.

Er beugte sich nach vorn und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Die Haut unter seinen Lippen war kalt wie Ton. »Alles wird gut. Wir bringen das wieder ins Lot.«

»Ehrenwort?«

»Ehrenwort.«

Als sie auf dem Rücksitz des Streifenwagens Platz genommen hatten, war der Cop zu dem Acura zurückgegangen. Inzwischen sah er seit fast zwei Minuten in den Kofferraum. Er durchsuchte ihn nicht, räumte nicht mal drin herum, sondern sah nur mit hinter dem Rücken verschränkten Händen hinein, als wäre er hypnotisiert. Dann zuckte er zusammen wie jemand, der gerade aus einem Schläfchen erwacht, schlug den Kofferraum des Acura zu, nahm die Schlüssel, steckte sie in seine Hosentasche und kam zu dem Caprice zurück. Als er einstieg, neigte sich das ganze Auto nach links, und die Stoßdämpfer gaben ein müdes und irgendwie resigniertes Stöhnen von sich. Der Rücksitz wölbte sich noch etwas weiter heraus, und Peter verzog das Gesicht, als er den plötzlichen Druck auf den Knien spürte.

Mary hätte sich auf diese Seite setzen sollen, dachte er, aber dafür war es jetzt zu spät. Es war wirklich für vieles zu spät.

Der Motor des Streifenwagens lief. Der Cop legte den Gang ein und fuhr auf die Straße zurück. Mary drehte sich um und sah, wie der Acura hinter ihnen zurückblieb. Als sie sich wieder nach vorn drehte, sah Peter, dass die Tränen, die in ihren Augen gestanden hatten, an ihren Wangen herabliefen.

»Bitte, hören Sie mir zu«, sagte sie zu dem kurz geschnittenen blonden Haar auf dem riesigen Hinterkopf. Der Cop hatte seinen Smokey-Bear-Hut wieder abgesetzt, und Peter dachte, dass sein Schädel keinen halben Zentimeter vom Dach des Caprice entfernt war. »Bitte, okay? Versuchen Sie, uns zu verstehen. Dies ist nicht unser Auto. Zumindest das müssen Sie einsehen, schließlich haben Sie die Zulassung gesehen. Es gehört meiner Schwägerin. Sie kifft. Die Hälfte ihrer Gehirnzellen …«

»Mare …«, sagte Peter und legte ihr eine Hand auf den Arm. Sie schüttelte sie ab.

»Nein! Ich werde nicht den Rest des Tages damit verbringen, in dem Polizeirevier irgendeines Kaffs Fragen zu beantworten, womöglich in einer Gefängniszelle, weil deine Schwester egoistisch und vergesslich ist und … und … total im Arsch!«

Peter lehnte sich zurück – seine Knie wurden immer noch ziemlich eingequetscht, aber er dachte, dass er es aushalten konnte – und sah zu dem staubigen Seitenfenster hinaus. Sie waren schon eine oder zwei Meilen östlich des Acura, und er konnte vor ihnen etwas erkennen, an der Böschung der nach Westen führenden Fahrbahn. Eine Art Fahrzeug. Groß. Vielleicht ein Lastwagen.

Mary sah vom Hinterkopf des Cops zum Rückspiegel und versuchte, Blickkontakt mit ihm herzustellen. »Die Hälfte von Deirdres Gehirnzellen sind gegrillt, und die andere Hälfte ist auf unbestimmte Zeit in der Smaragdstadt im Urlaub. Der Fachausdruck dafür lautet ›ausgebrannt‹, und ich bin mir sicher, Sie haben schon Leute wie sie gesehen, Officer, sogar hier draußen. Was Sie da unter dem Ersatzreifen gefunden haben, ist wahrscheinlich Dope, da haben Sie wahrscheinlich recht, aber es ist nicht unser Dope. Haben Sie das verstanden?«

Das Ding vor ihnen am Straßenrand, dessen getönte Windschutzscheibe in Richtung Fallon und Carson City und Lake Tahoe zeigte, war doch kein Lastwagen. Es war ein Wohnmobil. Keiner der richtigen Dinosaurier, aber dennoch ziemlich groß. Beigefarben, mit einem dunkelgrünen Streifen auf der Seite. Die Wörter VIER FRÖHLICHE WANDERSLEUTE standen in derselben Farbe auf der platten Schnauze des Wohnmobils. Das Fahrzeug war von Straßenstaub überzogen und stand auf eine linkisch wirkende, unnatürliche Weise schräg.

Als sie näher kamen, fiel Peter etwas Merkwürdiges auf: Alle drei Reifen, die er sehen konnte, der einzelne vorn unter dem Fahrersitz und das Paar hinten, schienen einen Platten zu haben. Er dachte sich, dass der vorn auf der Beifahrerseite auch platt sein musste, obwohl er nur einen flüchtigen Blick darauf werfen konnte. Die vielen Platten konnten die Ursache für die seltsame Schräglage des Wohnmobils sein, aber wie bekam man so viele Platten auf einmal? Nägel auf der Straße? Ein Haufen Glasscherben?

Er sah Mary an, aber die blickte immer noch verbissen in den Rückspiegel. »Wenn wir diesen Beutel Dope unter dem Ersatzreifen versteckt hätten«, sagte sie, »wenn es uns gehörte, warum hätte Peter dann in Gottes Namen den Reifen rausnehmen sollen, sodass Sie es sehen können? Ich meine, er hätte um den Reifen herumgreifen und den Werkzeugkasten holen können, es wäre ein bisschen unpraktisch gewesen, aber Platz genug war da.«

Sie fuhren an dem Wohnmobil vorbei. Die Seitentür war zu, aber nicht abgeschlossen. Die Stufen waren heruntergeklappt. Eine Puppe lag davor im Staub. Das Kleid der Puppe flatterte im Wind.

Peter machte die Augen zu. Er wusste nicht genau, ob er sie zugemacht hatte, oder ob sie von allein zugefallen waren. Was ihn auch nicht kümmerte. Er dachte nur daran, dass Officer Friendly an dem liegen gebliebenen Wohnmobil vorbeigebraust war, als hätte er es gar nicht gesehen … oder als wüsste er bereits davon.

Zwei Zeilen aus einem alten Song gingen ihm durch den Kopf: Somethin happenin here … what it is ain’t exactly clear …

»Machen wir den Eindruck auf Sie, als wären wir blöd?«, fragte Mary, während das außer Gefecht gesetzte Wohnmobil hinter ihnen zurückblieb und kleiner wurde – genau wie Deirdres Acura. »Oder high? Glauben Sie, wir sind …«

»Maul halten«, sagte der Cop. Er sagte es leise, aber das Gift in seiner Stimme war nicht zu überhören.

Mary hatte sich nach vorn gebeugt und die Finger in das Drahtgitter zwischen den Sitzen verhakt. Nun ließ sie die Hände sinken und sah Peter mit einem schockierten Ausdruck an. Sie war die Frau eines Professors, eine Dichterin, die seit ihren ersten zaghaften Versuchen vor acht Jahren in über zwanzig Zeitschriften veröffentlicht hatte, sie ging zweimal pro Woche in ihre Frauendiskussionsrunde und hatte ernsthaft erwogen, ob sie sich die Nase piercen lassen sollte. Peter fragte sich, wann ihr zum letzten Mal jemand gesagt hatte, dass sie das Maul halten sollte. Er fragte sich, ob ihr überhaupt schon mal irgendjemand gesagt hatte, dass sie das Maul halten sollte.

»Was?«, fragte sie und versuchte wahrscheinlich, aggressiv zu klingen, wenn nicht gar bedrohlich, sie hörte sich aber nur bestürzt an. »Was haben Sie zu mir gesagt?«

»Ich nehme Sie und Ihren Mann wegen Marihuanabesitzes mit Verkaufsabsicht fest«, sagte der Cop. Seine Stimme klang tonlos, roboterhaft. Als Peter sich nach vorn beugte, sah er, dass ein kleiner Plastikbär am Armaturenbrett klebte, neben einem Kompass und etwas, was vermutlich eine Digitalanzeige für eine Radarpistole zur Geschwindigkeitsüberwachung war. Der Bär war klein, so groß wie eine Dreingabe aus dem Kaugummiautomaten, und seine leeren, gemalten Augen sahen Peter an.

Das ist ein Albtraum, dachte er, wohl wissend, dass es keiner war. Es muss ein Albtraum sein. Ich weiß, es scheint wirklich zu passieren, aber es muss einer sein.

»Das kann nicht Ihr Ernst sein«, sagte Mary, aber ihre Stimme klang dünn und betroffen. Die Stimme von jemand, der es besser wusste. Wieder traten ihr Tränen in die Augen. »Ganz bestimmt nicht.«

»Sie haben das Recht zu schweigen«, sagte der große Cop mit seiner Roboterstimme. »Wenn nicht, kann alles, was Sie sagen, vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht auf einen Anwalt. Ich werde Sie töten. Wenn Sie sich keinen Anwalt leisten können, bekommen Sie einen Pflichtverteidiger gestellt. Haben Sie Ihre Rechte verstanden, wie ich sie Ihnen erklärt habe?«

Mary sah Peter mit großen, schreckgeweiteten Augen an und fragte ihn wortlos, ob er auch gehört hatte, was der Cop außer ihren Rechten noch gesagt hatte, ohne seine Roboterstimme auch nur um eine Nuance zu verändern. Peter nickte. Er hatte es gehört. Er legte einen Moment die Hand in den Schritt und war überzeugt, dass es sich dort feucht anfühlen würde, aber er hatte sich nicht nass gemacht. Jedenfalls noch nicht. Er legte einen Arm um Mary und konnte spüren, dass sie zitterte. Er musste an das Wohnmobil da hinten denken. Tür angelehnt, Puppe mit dem Gesicht nach unten im Staub, zu viele platte Reifen. Und dann die tote Katze, die Mary an dem Verkehrsschild festgenagelt gesehen hatte.

»Haben Sie Ihre Rechte verstanden?«

Benimm dich ganz normal. Ich glaube, er hat nicht die geringste Idee, was er gesagt hat, also benimm dich ganz normal.

Aber was war normal, wenn man auf dem Rücksitz eines Streifenwagens saß, mit einem Mann am Steuer, der offenbar nicht alle Tassen im Schrank und gerade gesagt hatte, dass er einen töten würde?

»Haben Sie Ihre Rechte verstanden?«, fragte die Roboterstimme.

Peter machte den Mund auf. Nur ein Krächzen kam heraus.

Da drehte sich der Cop herum. Sein Gesicht, das von der Sonne verbrannt gewesen war, als er sie angehalten hatte, war blass geworden. Seine Augen waren sehr groß und schienen wie Murmeln aus seinem Kopf zu quellen. Er hatte sich auf die Lippen gebissen, wie ein Mann, der versucht, einen wilden Wutanfall zu unterdrücken, und Blut lief in zwei dünnen Rinnsalen an seinem Kinn herab.

»Haben Sie Ihre Rechte verstanden?«, schrie der Cop sie mit nach hinten gedrehtem Kopf an, während er mit über siebzig Meilen pro Stunde die gottverlassene zweispurige Straße entlangraste. »Haben Sie Ihre beschissenen Rechte verstanden oder nicht? Ja oder nein? Ja oder nein? Ja oder nein? Antworten Sie mir, Sie jüdischer New Yorker Klugscheißer!«

»Habe ich!«, schrie Peter. »Wir haben Sie beide verstanden, aber sehen Sie auf die Straße, um Gottes willen, passen Sie auf, wo Sie hinfahren!«

Der Cop sah sie weiter durch das Gitter hindurch an, sein Gesicht war blass, und von seiner Unterlippe tropfte Blut. Der Caprice, der nach links fast ganz auf die westwärts führende Fahrbahn abgedriftet war, schwenkte wieder auf die andere Seite.

»Machen Sie sich um mich keine Sorgen«, sagte der Cop. Seine Stimme klang wieder nachsichtig. »Heiliger Strohsack, nein. Ich habe Augen im Hinterkopf. Tatsächlich habe ich praktisch überall Augen. Sie täten gut daran, das nicht zu vergessen.«

Plötzlich drehte er sich um, sah wieder nach vorn und ging mit der Geschwindigkeit auf entspannte fünfundfünfzig Meilen zurück. Der Sitz drückte schmerzhaft gegen Peters Knie und nagelte ihn fest.

Er nahm Marys Hand in seine beiden. Sie drückte das Gesicht an seine Brust, und er konnte das Schluchzen hören, das sie zu unterdrücken versuchte. Es schüttelte sie wie der Wind. Er sah über ihre Schulter hinweg durch das Gitter. Am Armaturenbrett nickte und wackelte der Kopf des Bären an seiner Feder.

»Ich sehe Löcher wie Augen«, sagte der Cop. »Mein Kopf ist voll von ihnen.« Bis sie die Stadt erreichten, sagte er nichts mehr.

5

Die nächsten zehn Minuten vergingen für Peter Jackson sehr langsam. Das Gewicht des Cops an seinen eingeklemmten Knien schien mit jeder Umdrehung des Sekundenzeigers seiner Armbanduhr schlimmer zu werden, und bald konnte er seine Unterschenkel nicht mehr spüren. Seine Füße waren eingeschlafen, und er war sich nicht sicher, ob er gehen können würde, wenn die Fahrt zu Ende war. Seine Blase pochte. Er hatte Kopfschmerzen. Ihm war klar, dass er und Mary in den größten Schwierigkeiten ihres Lebens steckten, aber er konnte es nicht so verstehen, dass es irgendeinen richtigen Sinn ergab. Jedes Mal, wenn er es fast verstanden hatte, kam es zu einem Kurzschluss in seinem Kopf. Sie waren auf dem Rückweg nach New York. Sie wurden erwartet. Jemand goss ihre Blumen. Dies hier konnte unmöglich passieren, auf gar keinen Fall.

Mary stieß ihn an und zeigte zu ihrem Fenster hinaus. Dort stand ein Schild, auf dem nur DESPERATION zu lesen war. Unter dem Wort befand sich ein Pfeil nach rechts.

Der Cop bremste ab, aber nicht sehr, bevor er rechts abbog. Das Auto schmierte weg, und Peter sah, wie Mary Luft holte. Sie würde schreien. Er hielt ihr eine Hand auf den Mund, um sie daran zu hindern, und flüsterte ihr ins Ohr: »Er hat den Wagen im Griff. Ich bin mir ganz sicher. Wir werden uns nicht überschlagen.« Aber er war sich nicht sicher, bis er spürte, wie das Heck des Streifenwagens wegrutschte und wieder Halt fand. Einen Augenblick später rasten sie auf einer schmalen asphaltierten Straße ohne Mittelstreifen nach Süden.

Nach etwa einer Meile kamen sie an einem Schild vorbei, auf dem stand: DIE KIRCHLICHEN & WELTLICHEN ORGANISATIONEN VON DESPERATION BEGRÜSSEN SIE! Die Wörter KIRCHLICHEN & WELTLICHEN ORGANISATIONEN waren lesbar, wenn auch mit gelber Farbe übersprüht. Darüber hatte jemand mit dilettantischen Großbuchstaben in derselben Farbe die Wörter TOTEN HUNDE gekritzelt. Darunter waren die Namen der kirchlichen und weltlichen Organisationen im Einzelnen aufgelistet, aber Peter machte sich nicht die Mühe, sie zu lesen.

Ein Deutscher Schäferhund hing an dem Schild. Seine Hinterläufe schwangen drei bis vier Zentimeter über einem Flecken Erde, der dunkel und schlammig vom Blut des Hundes war.

Marys Hände umklammerten seine wie ein Schraubstock. Der Druck war ihm angenehm. Er beugte sich wieder zu ihr, in den süßen Duft ihres Parfums und den sauren Geruch ihres Angstschweißes, beugte sich zu ihr, bis seine Lippen ihr Ohr berührten. »Sag kein Wort, gib keinen Laut von dir«, murmelte er. »Nick mit dem Kopf, wenn du mich verstanden hast.«

Sie nickte an seinen Lippen, und Peter richtete sich wieder auf.

Sie kamen an einem eingezäunten Campingplatz vorbei. Die meisten Wohnwagen waren klein und sahen aus, als hätten sie schon bessere Zeiten gesehen – etwa zu der Zeit, als Cheers zum ersten Mal gesendet worden war. Zwischen einigen von ihnen flatterte traurig Wäsche im Wüstenwind. Vor einem stand ein Schild mit der Aufschrift:

ICH BIN EIN SCHWER BEWAFFNETER, EISTEE-TRINKENDER, BIBELFESTER, UNRUHESTIFTENDER, CLINTON-HASSENDER HURENSOHN! VERGISS DEN HUND, HÜTE DICH VOR SEINEM HERRCHEN!

Auf einem alten Airstream-Wohnwagen dicht am Straßenrand war eine große schwarze Satellitenschüssel montiert. An der Seite stand ein weiteres Schild, weiß gestrichenes Blech, durch das sich Rostspuren wie uralte blutige Tränen zogen:

 

DIESE TELAKOMMUNIKATIONSEINRICHTUNG IST EIGENTUM DES RATTLESNAKE-CAMPINGPLATZES BETREHTEN VERBOTEN! POLIZEIKONTROLLEN!

 

Hinter dem Rattlesnake-Campingplatz befand sich eine lange Nissenhütte mit rostigen Wänden und rostigem Dach. Auf dem Schild davor stand DESPERATION MINING CORP. Auf einer Seite lag ein rissiger Asphaltparkplatz mit einem Dutzend Autos und Pick-ups. Einen Augenblick später fuhren sie am Desert Rose Cafe vorbei.

Dann befanden sie sich in der eigentlichen Stadt. Desperation, Nevada, bestand aus zwei Straßen, die sich im rechten Winkel kreuzten (eine Ampel, die derzeit auf allen vier Seiten gelb blinkte, hing über dieser Kreuzung) und zwei Blocks mit Bürogebäuden. Die meisten schienen falsche Fassaden zu haben. Es gab ein Owl-Club-Casino und -Café, einen Lebensmittelladen, eine Wäscherei, eine Bar mit einem Schild im Fenster, auf dem stand: LEISTEN SIE UNS GELDSCHAFT, einen Eisen-und Gemischtwarenladen, ein Kino, das The American West hieß, und einiges anderes. Die Geschäfte machten allesamt nicht den Eindruck, als wären sie Goldgruben, und das Kino sah aus, als wäre es schon vor langer Zeit dichtgemacht geworden. Ein einzelnes schiefes R hing von der schmutzigen, eingeschlagenen Anzeige.

Auf der anderen Seite, in östlicher und westlicher Richtung, standen ein paar Holzhäuser und weitere Wohnwagen. Nichts schien sich zu bewegen, abgesehen von dem Streifenwagen des riesigen Cops und einer Windhexe, die langsam und träge die Main Street entlangrollte.

Ich würde auch machen, dass ich von der Straße verschwinde, wenn ich den Kerl hier kommen sähe, dachte Peter. Da kannst du dich aber drauf verlassen.

Hinter der Stadt lag ein gewaltiger runder Erdwall, zu dessen Gipfel eine mindestens vier Spuren breite Schotterstraße in weiten Serpentinen hinaufführte. Der Rest des runden Walls, der mindestens hundert Meter hoch sein musste, war von tiefen Ablaufkanälen durchzogen. Peter fand, dass sie wie Runzeln in alter Haut aussahen. Am Fuß des Kraters (er vermutete, dass es sich um einen Krater handelte, die Überreste eines Bergwerks) standen Lastwagen, die im Vergleich zu der aufragenden, hohen Mauer dahinter wie Spielzeuge aussahen, vor einem langen, rostigen Gebäude, durch das ein Förderband hindurchführte.

Ihr Fahrer sprach zum ersten Mal, seit er ihnen gesagt hatte, dass sein Kopf voller Löcher sei, oder was immer er gesagt hatte.

»Rattlesnake Nummer zwei«, sagte er. »Auch China-Grube genannt.« Er hörte sich an wie ein Fremdenführer, dem seine Arbeit noch Spaß macht. »Nummer zwei wurde neunzehnhunderteinundfünfzig eröffnet, und etwa von zweiundsechzig an bis weit in die Siebziger-jahre hinein war es die größte Kupfermine im Tagebau in den Vereinigten Staaten, möglicherweise auf der ganzen Welt. Dann war sie erschöpft. Vorletztes Jahr haben sie den Betrieb wieder aufgenommen. Sie haben eine neue Technik, mit der sogar das Abfallerz wertvoll wird. Die Wissenschaft, was? Heiliger Strohsack!«

Aber jetzt regte sich nichts da oben, jedenfalls konnte Peter nichts sehen, obwohl es ein Werktag war. Er sah nur die Lastwagen bei der Sortieranlage, und einen weiteren – einen Pick-up – an der Seite der Schotterstraße parken, die zum Gipfel führte. Die Förderbänder an den beiden Enden des langen Gebäudes standen still.

Der Cop fuhr durch das Ortszentrum, und als sie unter der Ampel durchfuhren, drückte Mary zweimal rasch hintereinander Peters Hände. Er folgte ihrem Blick und sah drei Fahrräder mitten auf der Straße, die die Main Street kreuzte. Sie waren etwa anderthalb Blocks entfernt und standen in einer Reihe auf den Sätteln und Lenkstangen. Die Räder drehten sich in der böigen Luft wie Windmühlenflügel.

Sie sah ihn an, ihre nassen Augen größer denn je. Peter drückte wieder ihre Hände und gab ein »Pst« von sich.

Der Cop bediente den linken Blinker – was unter den gegebenen Umständen ziemlich komisch wirkte – und fuhr auf einen kleinen, vor Kurzem erst geteerten Parkplatz, der auf drei Seiten von Backsteinmauern begrenzt wurde. Grellweiße Linien waren auf den glatten, ebenen Asphalt aufgemalt. An der Wand am hinteren Ende des Platzes hing ein Schild mit der Aufschrift: PARKPLATZ NUR FÜR STÄDTISCHE ANGESTELLTE UND GÄSTE – NEHMEN SIE BITTE RÜCKSICHT.