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Kinder kommen mit einer angeborenen Lebensfreude und Neugierde auf die Welt. Sie haben Freude am Lernen und sind bereit, die Welt zu entdecken. Kinder wollen sich ernst genommen und geachtet fühlen. Dafür brauchen sie eindeutige Aussagen, Regeln und Grenzen. Eine klare, wertschätzende Sprache und achtsames Handeln ermutigt Kinder und stärkt sie in ihrer Entwicklung. Die Autorin Mechthild R. von Scheurl-Defersdorf zeigt, worauf es ankommt – in vielen anschaulichen Beispielen und praktischen Tipps für den Alltag.
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Seitenzahl: 305
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Mechthild R. von Scheurl-Defersdorf
Kindern zeigen, wie Leben geht
Inhalt
Kindern zeigen, wie Leben geht
Das Leben folgt klaren Gesetzmäßigkeiten
Wie geht Leben?
Das Leben folgt klaren Gesetzmäßigkeiten
So schafft sich jeder seine eigene Wirklichkeit
Den eigenen Gedanken auf die Spur kommen
Leben und Atmen gehören zusammen
Leben und Lernen gehören zusammen
Das innere Wissen der Kinder
Die Kinder folgen einem inneren Bauplan
Sogenannte Unarten sind hilfreiche Schlüssel
Kinder brauchen eine liebevolle Begleitung und Erziehung
Mit der Entbindung beginnt der eigene Weg
Raum für sich selbst
Kinder brauchen Freiräume mit klaren Begrenzungen
Klare Regeln und Grenzen geben Kindern Sicherheit
Das ist mein Bereich, und das ist dein Bereich
Eigene Verantwortung bringt innere Freiheit
Die Verantwortung beginnt bei kleinen Dingen
Konsequenz gehört zum Leben
Selbstbewusstsein kann jeder entwickeln
Kinder bringen ein natürliches Selbstbewusstsein mit
Die innere Stimme ist sehr leise
Innere Sicherheit und natürliches Selbstbewusstsein gehören zusammen
Und wenn ihr nicht werdet wie die Kinder
So geht Freiraum verloren
Wir haben eine Banane gegessen
Miriam ließ sich viel von ihrer Mutter bedienen
Wir können jetzt Schleifen binden
Freuen Sie sich mit Ihrem Kind oder für Ihr Kind?
Die Wirkung der Sprache
Mit jedem Wort sind Erinnerungen gespeichert
Man sagt ja nichts, man red’ ja bloß!
Der Ton macht die Musik – wohin mit dem eigenen Ärger?
„Ungerecht“ oder „ungerächt“?
Reden Sie dennoch, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist
Was ist Lingva Eterna?
Selbstbewusstsein entwickeln mit ein paar Wörtern
Wirst du heute eigentlich den Martin besuchen?
Das tut man nicht!
„Man“ ist fast jeder
Es gibt noch mehr Füllwörter
Mit „würde“, „sollte“, „hätten“ erreichen Sie nur manchmal Ihr Ziel
Klarheit gewinnen mit klaren Wörtern – die spezielle Bedeutung von Wörtern mit der Vorsilbe „ver-“
Freiheit schenken statt aneinander zu hängen
Kinder sind kein Besitz
Florian ist nicht mehr „mein Florian“
Gute Kommunikation will gelernt sein
Das Lingva Eterna Kommunikationsmodell und seine fünf Schritte
Die fünf Schritte
Intention
Ansprache
Rahmen
Diskurs
Abschluss
Alle Kinder folgen gern – sie brauchen klare Anweisungen
Lernen ist schön
Gedanken vor dem Lernen
Das Ich-kann-nicht-Syndrom
Wenn das mal gut geht!
Lena, versuch’s halt mal selber!
Das könnte besser sein!
Du wirst es schaffen!
Konzentration kann jedem gelingen
Gregor braucht Struktur und Klarheit
Das Ordnen der eigenen Gedanken hilft auch dem Sohn
So wird Lernen noch einfacher
Achtsames Wahrnehmen ermöglicht effizientes Lernen
Aus der Erfahrung anderer lernen
Erfahrungen weitergeben
Alltägliche Herausforderungen meistern lernen
Es geht auch ohne Streit und Zoff
Julianes Sprache war voll von Streit- und Kampfwörtern
Vorwurf und Rechtfertigung müssen nicht sein
Wir verstehen uns jetzt mit den Großeltern viel besser!
Stress lass nach
Die Kinder genießen? Was glauben Sie, was ich für einen Stress habe!
Ich muss die Kinder immer zur Eile ermahnen, sonst kommen wir zu spät
Ich muss jetzt leider weiter!
Ich habe immer noch einen vollen Tag, aber alles geht viel leichter
Der achtsame Umgang mit Sorgen und Problemen
Der leichtfertige Umgang mit dem Wort „Problem“
Die Eltern können den Sorgen den Nährboden entziehen
Papa, das sage ich meinem Sorgenfresser!
Die Kinder kamen zu spät zum Essen
Die täglichen Mahlzeiten sind jetzt ein kleines Fest
Das Aufräumen ist kein belastendes Thema mehr
Unordnung im Kinderzimmer
Auch ihre Eltern schafften Raum für Neues
Alexandra blieb allein zu Hause
Jeder ist seines Glückes Schmied
Glück – was ist das?
Erfolg darf leicht sein
Erfolge gilt es zu feiern
Wohlstandsbewusstsein kann jeder entwickeln
Der kleine Philip zelebrierte täglich sein Frühstück im Kindergarten
Rita ließ bewusst das Armutsbewusstsein hinter sich
Der Blumenstrauß wurde zu einem kraftvollen Symbol
Vom richtigen Wünschen
Jan weiß, wie Wünschen geht
Die Wunschliste
„Wollen“ und „dürfen“ gehören dem selbstbestimmten Denken an
Vom „wollen“ und „möchten“
Vom „dürfen“ und „können“
Den Blick auf die Stärken lenken
Das Buch der Stärken
Literatur
Bücher
Kartensatz
Das LINGVA ETERNA Kommunikationsmodel
Kontaktadresse
Die Autorin
Kindern zeigen, wie Leben geht
Was braucht ein Kind, damit es zu einem lebensbejahenden, glücklichen und zielstrebigen Menschen heranwachsen kann? Diese Frage stellen sich Erzieher und Erzieherinnen, Pädagogen und Pädagoginnen und Eltern angesichts der großen Unsicherheiten und globalen Änderungen, die sie ringsum und auch bei sich selbst beobachten können. Sie suchen eine Orientierung und einen Weg für sich, von dem sie sagen können: Ja, genau das ist mein Weg und mein Platz in der Welt, und ich habe ihn mir selbst gewählt.
Dieses eigene Suchen macht es Eltern schwer, ihre Kinder so zu begleiten, dass diese ihren eigenen Weg finden. Eltern können nicht davon ausgehen, dass das Wissen und die Regeln, die sie ihren Kindern beibringen, auch in Zukunft Gültigkeit haben werden. Das einzig Stabile ist die andauernde Weiterentwicklung, sowohl in der Gesellschaft als auch in der eigenen Familie.
Daher geht es bei der Erziehung nicht nur um das Weitergeben von Bewährtem und Überkommenem, so wichtig das auch ist. Damit Kinder ihr Leben später einmal selbstbewusst und lebensfroh in die Hand nehmen und sich mit ihren Gaben und Vorstellungen in die Gemeinschaft einbringen, brauchen sie reichlich Gelegenheit, das Leben und seine Gesetzmäßigkeiten in einem geschützten Rahmen zu entdecken. Dann werden sie immer Freude am Lernen haben, denn Leben und Lernen sind eins. Sie gehören untrennbar zusammen.
Im Laufe meiner langjährigen Seminartätigkeit wurde mir immer deutlicher bewusst, wie wichtig die eigene innere Haltung ist und welch große Rolle die Sprache bei der Gestaltung des eigenen Lebens und beim Lernen spielt.
Eltern haben meine vielseitigen Anregungen zur Förderung ihrer Kinder dankbar aufgegriffen und waren bestrebt, sie anzuwenden. Dabei erlebten sie immer wieder, dass die Kinder ihnen nicht folgten. Sie halfen nicht mit, trödelten und waren auf verschiedene Weisen unleidig. Die Eltern kamen wieder zu mir und wollten weitere Hinweise bekommen, in der Hoffnung, dass diese dann fruchten. Ich fragte sie, wie sie ihren Kindern Anweisungen geben, beispielsweise den herumliegenden Anorak aufzuhängen oder sich am Abend den Schlafanzug anzuziehen.
Da wurden mir die Zusammenhänge klar, und ich konnte das Verhalten der Kinder verstehen. Die Anweisungen waren weitgehend unklar oder weitschweifig. Mir wurde bewusst, dass viele Eltern eine konkrete Hilfe für die alltägliche Kommunikation brauchen.
Die ebenso übliche wie üble Wischiwaschi-Sprache kommt bei den Kindern nicht an. Sie wissen nicht, was die Eltern von ihnen wollen. Eltern verfallen dann oft in ein lautes oder genervtes Wiederholen ihrer Anweisungen, doch das führt selten zum Erfolg. Die Kinder reagieren vor allem auf den Ärger der Eltern und nicht auf deren Wünsche. Ebenso schwierig ist die Vielzahl an Anweisungen, Hinweisen und Warnungen, denen manche Eltern ihre Kinder aussetzen. Daneben kommen ihre klugen und hilfreichen Anregungen zum Lernen oft nicht mehr durch.
Die Ausdrucksweise der Eltern hat eine große Wirkung auf das Lernen der Kinder. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen, als ich erkannte, dass die Eltern von gesunden und kraftvollen Kindern eine zielorientierte, klare und wertschätzende Sprache haben. Kinder, die mit dem Leben und dem Lernen Schwierigkeiten haben, wachsen dagegen häufig mit einer anderen Art von Sprache auf. Satzbau und Wortschatz sind bei ihnen ungeordnet und wenig differenziert. Die Sprache der erstgenannten Gruppe lässt sich leicht erlernen. Dazu bedarf es einer erhöhten Wertschätzung der Sprache und einer Hinwendung zu ihr. Konkrete sprachliche Anregungen sind einfach umzusetzen, erleichtern das Leben und machen Freude.
Mitte der Neunzigerjahre begründete ich das Lingva Eterna Sprach- und Kommunikationskonzept. Gemeinsam mit dem Arzt und Neurowissenschaftler Dr. Theodor von Stockert entwickelte ich es seit 2004 zu dem umfassenden Lehrgebäude weiter, das wir in Form von Seminaren und Ausbildungen lehren. Es geht dabei um die Wirkung der Sprache auf die Kommunikation und auf die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit.
Der Schlüssel dafür ist der achtsame Umgang mit der Struktur der Sprache: dem Wortschatz, dem Satzbau und der Grammatik. Gezielte Änderungen der gewohnten Ausdrucksweise haben eine nachhaltige Wirkung auf das Denken, Sprechen und Handeln. So eröffnen sich neue Blickwinkel und Lösungsansätze. Die sprachlichen Anregungen in diesem Buch beruhen auf diesem Konzept.
Seit der ersten Auflage dieses Buchs im Jahr 2000 und dann erneut seit der Neuausgabe 2016 haben Dr. Theodor von Stockert und ich wesentliche neue Erkenntnisse dazugewonnen. Es ist mir ein Anliegen, sie an Eltern und Erzieherinnen und Erzieher weiterzugeben. Die Neuauflage beinhaltet ebenso eine Aktualisierung sämtlicher empfohlener Anregungen wie eine wesentliche inhaltliche Erweiterung.
Ich wünsche allen Kindern, dass sie mit einer klaren, wertschätzenden Sprache aufwachsen. Eine solche Sprache gibt Orientierung und ermöglicht es ihnen, ihr wahres Potential zu entfalten. Dann können sie gerade in einer Zeit mit starken Entwicklungen ihr Leben mit beiden Händen achtsam in die Hand nehmen und Schritt für Schritt zielstrebig und voller Vertrauen ihren Weg gehen.
In diesem Buch gebe ich vielerlei praxisnahe Anregungen weiter, die wir Eltern gegeben haben. Die angeführten Beispiele sind alles Beispiele aus unseren Seminaren und Beratungssituationen. Die Namen habe ich geändert, um die Privatsphäre der einzelnen Personen zu wahren.
Meine Angaben zur Wirkung der Sprache und einzelner Formulierungen beruhen alle auf unserer eigenen jahrelangen Beobachtung sowie auf den Erfahrungsberichten von Menschen, die wir bei Beratungen oder Seminaren begleitet haben.
Ich danke allen Erziehern und Erzieherinnen, Pädagogen und Pädagoginnen und Eltern, die ich seit 1991 begleiten darf, für ihr Vertrauen und für die Einsichten, die ich mit ihnen gewinnen durfte. Ich fühle mich reich beschenkt!
Erlangen, Mai 2021 Mechthild R. von Scheurl-Defersdorf
Das Leben folgt klaren Gesetzmäßigkeiten
Wie geht Leben?
Das Leben folgt klaren Gesetzmäßigkeiten
Das Leben folgt klaren Gesetzmäßigkeiten. Wer sie kennt, kann sie beachten. Wer sie nicht kennt, der kann einer der Glücklichen sein, die dennoch intuitiv das Richtige tun und unbewusst diese Gesetzmäßigkeiten respektieren. Dann werden ihn andere als Lebenskünstler und Glückskind ansehen.
Es ist weitaus wahrscheinlicher, dass er mit dem Leben irgendwie unzufrieden ist und sich als Opfer von äußeren Umständen sieht. Möglicherweise kommt er zu dem Schluss, dass das Leben mit ihm ungerecht sei. Es kann auch sein, dass er versucht, die anderen zu ändern, in der irrigen Annahme, dass dann alles leichter wird.
Dieses Vorgehen kostet ihn Kraft, erzeugt neuen Ärger und macht ihn nicht dauerhaft glücklich, selbst wenn er im Augenblick scheinbar gewinnt. Er wird wieder ähnliche Schwierigkeiten haben. Das geht so lang, bis er den Anteil an sich erkannt und in Ordnung gebracht hat. Das ist ein Teil der Gesetzmäßigkeiten.
Im Grunde sind die Gesetzmäßigkeiten einfach. Das, was ein Mensch in die Welt hineingibt, das wird er auch wieder empfangen. Wer Freude schenkt, der wird auch Freude empfangen, wer hilfsbereit ist, der wird auch seinerseits Hilfsbereitschaft erleben. Das gilt im Guten wie im Bösen: Wer schlecht über andere redet, über den werden auch andere schlecht reden, wer rechthaberisch oder egoistisch ist, der wird das Gleiche auch selbst erfahren. Das ist einsichtig, und doch sind diese Zusammenhänge im alltäglichen Geschehen nicht immer so einfach zu erkennen.
Es sind nämlich nicht immer die Adressaten, denen die Hilfsbereitschaft oder umgekehrt eine egoistische Handlung gilt, die genau das Gleiche an den Absender zurückgeben. Die Wirkung ist oft erst wesentlich später spürbar. Sie kann Tage und Wochen auf sich warten lassen. Bis dahin hat der Absender seine Gedanken oder Worte schon lange vergessen.
Er wird dann wahrscheinlich in dem freundlichen, hilfsbereiten Handeln eines Fremden ihm gegenüber nur den freundlichen Fremden sehen und nicht sein eigenes Spiegelbild; und in dem egoistischen Verhalten eines anderen wird er auch wieder nur das Verhalten des anderen sehen und auch hier wiederum nicht sein eigenes Spiegelbild.
Kurzum: Das, was ein Mensch aussendet, das kommt irgendwann zu ihm zurück. Er sät damit eine Saat, und er wird sie selbst ernten. Das gilt für Gefühle, die ein Mensch anderen gegenüber hat, ebenso wie für Themen, mit denen er sich in seinem Leben intensiv befasst. Im Volksmund heißt das: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Biblisch gesprochen heißt dies: Kein Wort kommt leer zurück.
Das hat ganz konkrete Auswirkungen: Wer sich über andere beschwert, der macht es sich schwer. Das sagt schon das Wort. So handelt er sich mit der Zeit Beschwerden ein. Diese Beschwerden können sich auf verbale Beschwerden beschränken. Dann erlebt jemand, dass sich ein anderer über ihn beschwert oder dass er weitere Anlässe erlebt, in denen er sich erneut beschweren kann. Das Thema kann sich auch als körperliche Beschwerden zeigen. Dieser Zusammenhang ist den meisten Menschen nicht bewusst.
So ging es auch Peter, einem etwa 40-jährigen Vater. Er rieb sich den schmerzenden Nacken und stöhnte über seinen steifen Hals. Kurz danach erzählte er seiner Frau von einigen unerfreulichen Begebenheiten mit den Nachbarn und sagte: „Ich habe mich neulich schon bei ihnen beschwert und schließlich, weil das nichts fruchtete, gestern auch in der Eigentümerversammlung eine Beschwerde wegen dieser Nachbarn vorgebracht.“ Er sah sich im Recht und war nicht bereit, nachzugeben. Er war halsstarrig, genau wie sein Nacken. Seine Beschwerde zeigte sich ihm körperlich. Seine Frau hielt einen Zusammenhang für möglich und machte eine entsprechende Bemerkung. Peter wollte davon nichts wissen. Er wies ihre Bemerkung als töricht zurück mit dem ärgerlichen Hinweis, dass er in der Zugluft gesessen und sich dabei einen steifen Nacken geholt habe.
Gedanken und Worte sind Energie, und Energie bleibt erhalten. Das gilt in der Physik genauso wie im Leben. Unsere Gedanken wirken immer. Je häufiger ein Mensch an etwas Bestimmtes denkt und dabei gefühlsmäßig „anspringt“, desto schneller und intensiver wird er in der Realität genau das erleben, was er denkt und fühlt.
Bei der Auswahl unserer Gedanken ist Achtsamkeit geboten: Das Leben denkt nicht für uns mit und entscheidet, ob das, woran wir oft denken, wirklich für uns gut ist oder nicht und ob wir es wirklich erleben wollen. Es nimmt uns ernst. Darum hat es eine große Bedeutung, womit ein Mensch sich gedanklich und gefühlsmäßig befasst und wie intensiv er es tut. Es liegt an jedem selbst, an was er denkt und mit welchen Themen er sich befasst.
Der achtsame Umgang mit den eigenen Gedanken erleichtert den Alltag erheblich. Ein Beispiel mag das deutlich machen:
Die vierjährige Laura trägt gerade eine Schüssel aus der Küche ins Wohnzimmer. Ihre Mutter sieht das und will erreichen, dass die Schüssel heil auf dem Esstisch an kommt. In diesem Augenblick ist es wichtig, dass sie ihr Ziel klar formuliert: „Laura, – halte die Schüssel gut fest!“ Dann denkt und fühlt sie selber „festhalten“, und Laura wird genau das machen.“. So hat Laura eine große Chance, die Schüssel heil ans Ziel zu bringen.
Wenn Lauras Mutter jedoch die mögliche Gefahr vor Augen hat, dann sagt sie: „Laura, pass auf, dass die Schüssel nicht herunterfällt!“ Dann denkt und fühlt sie selber „fallen“ und überträgt dieses innere Bild auf ihre Tochter. Mit einer großen Wahrscheinlichkeit wird Laura die Schüssel fallen lassen.
Wollen Sie die unterschiedliche Wirkung der beiden Formulierungen entdecken? Dann sagen Sie sie jeweils zweimal halblaut und lassen Sie sie nachklingen: „Laura, pass auf, dass die Schüssel nicht herunterfällt! – Laura, pass auf, dass die Schüssel nicht herunterfällt!“
Vergleichen Sie die Wirkung mit diesem Satz: „Laura, halte die Schüssel gut fest! – Laura, halte die Schüssel gut fest!“
So schafft sich jeder seine eigene Wirklichkeit
Mittels der Gedanken und Wörter und der damit einhergehenden Gefühle schafft sich jeder seine Wirklichkeit. Unser Verstand hilft uns dabei. Er zeichnet uns Menschen aus. Er hebt uns über alle anderen Geschöpfe und ist ein großes Geschenk. Es liegt an uns, ihn gut zu nutzen.
Mit ihm können wir uns zukünftige Situationen vorstellen und in lebhaften Farben ausmalen. So entstehen kraftvolle innere Bilder. Sie haben eine starke Wirkung. Was wir uns vorstellen, haben wir ganz wörtlich vor uns gestellt, und wir werden es mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vor uns haben und dann erleben.
Unser Verstand ermöglicht uns noch etwas: Wir sind in der Lage, mögliche Hindernisse im Voraus zu betrachten und uns dafür Lösungsmöglichkeiten auszudenken. Es ist wichtig, dass wir in unserem Denken stets konstruktiv und zielgerichtet sind. Auf diese Weise wird vieles leicht, und Dinge fügen sich auf eine wundersame Weise.
Natürlich müssen wir auch noch etwas aktiv zu unserem Erfolg beitragen und unseren Gedanken konkrete Handlungen folgen lassen. Der Erfolg hat bekanntlich drei Buchstaben: T-U-N.
Unser Verstand hilft uns noch auf eine weitere Weise beim Gestalten unserer Zukunft. Wir können mit seiner Hilfe aus vergangenen Situationen lernen. Wir können sie analysieren und dabei erkennen, was sich auf welche Art und Weise ereignet hat und warum etwas so gekommen ist, wie es gekommen ist. Bewährte Vorgehensweisen können wir bei weiteren Gelegenheiten wieder einsetzen, und aus Fehlern werden wir klug. Beim nächsten Mal werden wir dann etwas Neues ausprobieren.
Bei alledem ist für jeglichen nachhaltigen Erfolg noch etwas wesentlich: Es ist von fundamentaler Bedeutung, immer auch das Wohl aller anderen Beteiligten im Blick zu haben. Wir schaden uns selbst, wenn wir ihre Bedürfnisse ignorieren und rücksichtslos unseren eigenen Willen durchsetzen. Auch hier gelten die Gesetzmäßigkeiten: Wer den Schaden eines anderen bewusst in Kauf nimmt oder ihm gar bewusst schadet, der wird auf Dauer selbst Schaden nehmen.
Manchmal ist es sicher eine Verführung, den eigenen Vorteil über den der anderen zu stellen und ihren Nachteil wissentlich in Kauf zu nehmen. Doch ist es letztlich eine Sache der Klugheit, dies sein zu lassen. Auch hier hilft der Verstand.
Alles in allem ist der Verstand für uns Menschen ein großes Geschenk. Dieses Geschenk erschließt sich nur denjenigen, die sich mit den Gesetzmäßigkeiten des Lebens befassen. Bei den anderen wird der Verstand auch wirksam, jedoch schaden sie sich, ohne dies zu wollen. Dies geschieht auf unterschiedliche Weise.
Sie denken beispielsweise zu oft an belastende Dinge und reden immer wieder von ihnen. Sie ahnen nicht, was sie sich damit selbst antun. Ihr Denken kreist beispielsweise fortwährend um Probleme, statt dass sie sich mit möglichen Lösungen befassen. Mit vielem Grübeln machen Menschen sich das Leben schwer. So finden sie nicht aus misslichen Situationen heraus.
Eine weitere Form, den Verstand zum Nachteil zu gebrauchen, ist eine gewohnheitsmäßig kritische Grundhaltung. Diese führt zu Kritiksucht mit einseitigen Bewertungen und Beurteilungen. Eine solche negative Einstellung erstickt manche konstruktiven Lösungsansätze schon im Keim. Manche Menschen sehen überall zuerst einen Mangel und kritisieren ständig. Nichts ist ihnen recht. In der Folge befassen sie sich beständig mit Fehlern und Mängeln. Es ist eine logische Folge, dass sie in ihrem Leben davon immer mehr erleben. Dies geht solange, bis sie die Zusammenhänge erkennen und ihre Gedanken und ihre Aufmerksamkeit in die gewünschte Richtung lenken. Von da an können sie ihren Verstand viel besser einsetzen und ihrem Leben die gewünschte Wende geben.
Den eigenen Gedanken auf die Spur kommen
Die Gedanken, Worte und Gefühle eines Menschen bestimmen sein Leben, egal ob er sie laut ausspricht oder leise denkt. Darum ist es wichtig, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken und sie sich so weit als möglich bewusst zu machen. Bei etwa viertausend Gedanken pro Minute ist dies eine große Aufgabe.
Die meisten Gedanken denken wir nicht wirklich. Vielmehr hat sich das Gehirn im Laufe der Jahre in hohem Maß selbständig gemacht. Die Gedanken jagen manchem nur so durch den Kopf und beherrschen ihn. Alte Denkmuster laufen automatisch ab. Allerdings spreche ich hier lieber vom „Hirnen“ als vom echten Denken.
Bei Kindern ist dies noch anders. Sie leben im Augenblick. Sie gestalten ihre Welt bewusst und befassen sich nur mit dem, was sie gerade tun. Darum bekommen sie ihre Gedanken und Gefühle mit und können den Zusammenhang zwischen ihren Gedanken und Gefühlen und dem, was sie erleben, leichter erkennen als Erwachsene.
Es ist Sache der Eltern, ihren Kindern diese Zusammenhänge bewusst zu machen. Wenn Felix beispielsweise weinend nach Hause rennt, weil ein anderes Kind ihm sein Fahrrad weggenommen hat und ohne ihn zu fragen damit auf der Straße herumfährt, dann können sie ihm sagen: „Du hast neulich genau das Gleiche mit einem anderen Kind gemacht und ihm seinen Ball weggenommen, ohne es zu fragen. Jetzt bekommst du es wieder. Das hast du dir selbst eingeladen. So ist das. Du hast selbst die Verantwortung dafür.“
Das gilt ebenso für angenehme Dinge. Es kann auch sein, dass Felix sich freut, dass ein anderes Kind ihm seine Spielsachen leiht. Dann können sie sagen: „Julian leiht dir seine Spielsachen. Das ist lieb von ihm. Schau, du leihst anderen Kindern auch manchmal deine Spielsachen. Jetzt behandelt dich Julian genauso nett. Das hat etwas mit dir zu tun. So ist das!“
Es ist für Kinder ein großes Glück, wenn ihre Eltern ihnen schon früh diese Zusammenhänge bewusst machen. Dann wachsen sie mit diesem Wissen auf und werden auch später als Jugendliche und noch später als Erwachsene von diesem Wissen profitieren und ihren Gedanken Aufmerksamkeit schenken.
Für Erwachsene ist es oft schwierig, die Zusammenhänge zwischen ihren Gedanken und dem, was sie erleben, zu erkennen. Sie sind mit ihren Gedanken oft ganz woanders und oft auch da nur mit halber Aufmerksamkeit. Sie konzentrieren sich mit ihrem Reden und Tun nicht auf ein einziges Ziel, sondern machen mehrere Dinge gleichzeitig. So haben sie nirgends die volle Energie und Aufmerksamkeit. Dadurch bekommen sie oft gar nicht mit, was sie durch ihre Gedanken und Äußerungen alles in ihr Leben einladen.
Kleine Kinder tun sich hier noch ganz leicht: Sie haben eine kraftvolle Phantasie und stellen sich ihr gewünschtes Spielzeug oder etwas anderes vor, das ihnen wichtig ist – und vieles davon bekommen sie. Es liegt weitgehend an ihnen selbst, dass dies so ist. Sie können ihre Aufmerksamkeit und ihre inneren Bilder kraftvoll lenken und bleiben gedanklich dabei, bis sie ein kraftvolles, klares Bild davon haben.
Das gedankliche Abschweifen ist bei Erwachsenen weit verbreitet. Viele Menschen sind gedanklich gar nicht da, wo sie sich körperlich befinden. Sie sind in ihren Vorstellungen in einer anderen Stadt oder bei einem anderen Menschen und machen sich Gedanken über ihn, oder sie denken an die Vergangenheit oder an die Zukunft. Sie leben nicht im Augenblick, sie bekommen ihn gar nicht richtig mit.
Auf diese Weise geht das Leben an ihnen vorbei, und sie können es nicht bewusst gestalten. Damit verpassen sie eine Chance nach der anderen, ihr Leben nach ihren Wünschen zu gestalten, ohne dies zu merken. Durch den beständigen Wechsel ihrer Gedanken erschweren sie sich zudem die Erfüllung mancher ihrer Wünsche und wissen es nicht.
Das war auch bei Florian und Julia so. Sie wollten ein Baugrundstück finden, auf dem sie ihr Häuschen bauen können. Ihr Denken kreiste um diesen Wunsch und um den geplanten Bau. Sie hatten schon wiederholt ein Grundstück in Aussicht. Doch kam immer wieder etwas dazwischen. Also suchen sie noch immer. Das kostet sie unnötig Zeit und Kraft. Es kann auch anders sein. Dafür ist es wichtig, dass sie lernen, ihre Gedanken bildlich gesprochen an die Zügel zu nehmen.
Für diese beiden jungen Eltern ist es wertvoll, wenn sie ihren Gedanken und Gefühlen auf die Spur kommen. Der erste Schritt besteht darin, dass sie sich ihre Gedanken und Gefühle bewusst machen. Sie werden sich wundern, wie oft sie gedanklich abschweifen und nicht ganz bei der Sache sind. Durch dieses häufige Abschweifen nehmen sie ihren Gedanken viel Kraft. Dann haben sie nur eine schwache Wirkung. Sie werden sich viel bemühen und doch vergleichsweise wenig erreichen.
Diese Erkenntnis ist sehr wertvoll, denn sobald sie sie haben, können sie an ihrem Verhalten etwas ändern. Sie können beginnen wahrzunehmen, welche Gedanken ihnen immer wieder ungewollt durch den Sinn gehen. Diese ungebetenen Gedanken haben ebenso eine Auswirkung in ihrem Leben wie die Gedanken, die sie bewusst denken.
Sie werden vielleicht ganz unerwartete Einsichten gewinnen. Es ist gut möglich, dass Florian und Julia erkennen, dass sie ihr Haus in Wirklichkeit gar nicht in dieser Gegend bauen wollen, sondern viel lieber ganz woanders. Dann sollten sie diese Möglichkeit prüfen. Es kann auch sein, dass sie in Wirklichkeit jemandem beweisen wollen, dass auch sie sich ein Haus leisten können, oder dass Neid und Groll eine Rolle spielen.
Solche Gedanken stören den gewünschten Erfolg. Wenn Florian und Julia bei sich solche Gedanken bemerken, dann wird ihnen klar, warum sie noch immer kein geeignetes Baugrundstück gefunden haben. Es liegt dann auf einmal nicht mehr an den Umständen. Es hat etwas mit ihrem eigenen Denken und mit ihrer Einstellung zu tun.
Daran können sie dann leicht etwas ändern. In der Folge wird entweder das ganze Thema Bauplatz nicht mehr wichtig sein, oder sie finden einen, und zwar so, wie er für sie im Augenblick angemessen ist.
Das Leben darf leicht sein. Das bewusste Wahrnehmen der eigenen Gedanken hilft dabei.
Tipp für den Alltag
So können Sie Ihren Gedanken auf die Spur kommen: Sagen Sie das, was Sie gerade denken, laut. Das gilt für die Gedanken, die Sie bewusst denken, und auch für das, was Ihnen ohne Ihr eigenes bewusstes Zutun einfach durch den Sinn geht. Es genügt, wenn Sie dies zwei- oder dreimal am Tag für eine Viertelstunde oder auch eine halbe Stunde machen.
Diese Übung eignet sich für viele Situationen: Sie können sie machen, wenn Sie sich am Morgen duschen, wenn Sie den Haushalt erledigen, mit dem Auto fahren, mit den Kindern zusammen sind, die Zeitung lesen – wann immer Sie wollen und die Situation es Ihnen gerade erlaubt. Nehmen Sie dabei jeden einzelnen Gedanken und auch Ihre Gefühle deutlich wahr. Sie werden sich wundern, was Sie alles denken und fühlen. Nehmen Sie Ihre Gedanken so an, wie sie kommen. Bewerten Sie sie nicht, und ändern Sie auch nichts. Es geht nur um eines: Sie nehmen Ihre Gedanken bewusst wahr, egal was und wie Sie bislang denken.
Diese Übung hat noch eine weitere Wirkung: Mit dem bewussten Wahrnehmen der einzelnen Gedanken kehrt allmählich Ruhe in Ihr Denken ein. Die Gedanken werden auf diese Weise kraftvoller und damit wirksamer.
Leben und Atmen gehören zusammen
Das Leben beginnt mit dem ersten Atemzug und endet mit dem letzten Atemzug. Dazwischen sind ungezählte Atemzüge. Das gleichmäßige Kommen und Gehen des Atems hat etwas Beruhigendes an sich. Ein schlafendes Kind mit seinem gleichmäßigen sanften Atemrhythmus strahlt viel Ruhe und Frieden aus. Manche Eltern stehen abends lächelnd vor dem Bett ihres Kindes und genießen genau das: einatmen, ausatmen – Pause – einatmen, ausatmen – Pause. Das Lauschen auf den Atem ihres Kindes schenkt auch ihnen Ruhe und Frieden.
Leben und Atmen gehören zusammen. Dennoch schenkt im Alltag kaum jemand seiner Atmung Aufmerksamkeit. Manche atmen dreimal tief durch, wenn sie in eine aufregende Situation geraten sind. Im Übrigen nehmen die meisten ihre Atmung nur wahr, wenn ihnen die Puste ausgeht oder wenn ihre Atemwege erkrankt sind. Der Körper atmet im Allgemeinen für den Menschen. Er bringt kontinuierlich neuen Sauerstoff und transportiert die verbrauchte Luft mit dem Kohlendioxyd ab.
Bewusstes Atmen hat eine segensreiche Wirkung. Schon ein paar bewusste Atemzüge genügen, um bei Stress und Aufregung die innere Ruhe wiederzufinden. Bewusstes Atmen löst Energieblockaden und befreit. Diese Möglichkeit steht jedem zur Verfügung, sie ist jederzeit anwendbar, und sie kostet weder Zeit noch Geld – im Gegenteil: Bewusstes Atmen bewahrt vor allzu heftigen Reaktionen und übereilten Handlungen und damit vor Fehlern. So bringt es letztlich einen Gewinn an Zeit.
Bewusstes Atmen ermöglicht im jeweiligen Augenblick eine kurze innere Sammlung. Selbst die heftigsten Gefühle lassen nach oder lösen sich binnen Kürze sogar gänzlich auf. Das ist kaum zu glauben. Dennoch ist es wahr. Eltern haben oft aufregende Situationen mit ihren Kindern. Je besser sie die Ruhe bewahren können, desto leichter können sie die verschiedenen Situationen meistern. Das gilt natürlich auch für die Kinder, die in ihren Eltern immer ein Vorbild sehen und daher bereitwillig von ihnen lernen.
Eltern geben das bewusste Atmen an ihre Kinder weiter, ganz einfach indem sie es ihnen vorleben und ihnen bei Bedarf zeigen. Kinder machen im Allgemeinen bereitwillig mit und spüren schnell die wohltuende Wirkung der bewussten Atmung. Es hilft ihnen, wenn die Eltern sie in kritischen Situationen daran erinnern und gemeinsam mit ihnen einige Male bewusst ein- und ausatmen. Mit der Zeit wird ihnen diese Verhaltensweise selbstverständlich, und sie wenden das bewusste Atmen von sich aus spontan an.
Nicht nur Eltern, sondern auch andere Begleiter von Kindern können ihnen dieses Wissen mit auf den Weg geben. Diese Möglichkeit nutzte auch eine Lehrerin. Sie hatte in einem meiner Seminare gelernt, wie hilfreich ein paar bewusste Atemzüge bei kritischen Situationen sind. Und doch konnte sie sich dies in der Praxis noch nicht so recht vorstellen. Sie wollte wissen, ob sie auf diesem Weg in kritischen Situationen wirklich eine Wende herbeiführen kann, und beschloss, es auszuprobieren.
Schon am nächsten Tag fand Sabine dafür eine gute Gelegenheit. Sie hatte Pausenaufsicht und sah eine kleine Gruppe von Grundschülern, die miteinander rauften und stritten. Sie ging hin, atmete erst selbst zweimal bewusst ein und aus und sprach sie dann an: „Hört her, ihr dürft gleich wieder weiter streiten. Ich habe gestern gelernt, dass der Ärger augenblicklich weggeht, wenn man in den Ärger hinein atmet. Ich weiß nicht, ob das funktioniert. Ich will das gern ausprobieren. Ich mache das jetzt mit euch gemeinsam. Macht bitte mit!“
Dann stand sie mit den verwunderten Kindern auf dem Hof. Sie schauten sich an und atmeten miteinander bewusst ein und aus. Die Lehrerin kam nur bis zum zweiten Atemzug. Da rannten die Kinder fröhlich lachend davon. Die sonst üblichen Ermahnungen hatten sich erübrigt.
Beflügelt von diesem Erfolg griff sie bei der nächsten Szene ein, die sich ihr auf dem Schulgang bot. Ein kleiner Junge stampfte und tobte vor der Tür, und seine Lehrerin schimpfte ihn. Sabine mischte sich erwartungsfroh ein: „Gehen Sie schon einmal hinein, ich bringe das in Ordnung.“ Dann sagte sie dem Jungen das Gleiche, was sie den anderen gesagt hatte. Sie schaute ihm in die Augen. Sie atmeten beide mehrmals ein und aus. Nach kurzer Zeit wussten beide, dass es jetzt gut war. Seine Wut hatte sich aufgelöst. Die Lehrerin begleitete den Jungen ins Klassenzimmer. Er war ganz ausgeglichen.
Seine Lehrerin, die noch kurz vorher den tobenden Jungen vor der Türe gelassen hatte, sah staunend die schnelle Wandlung. Sabine erklärte ihr, was sie gemeinsam mit ihm gemacht hatte, und zeigte es ihr. Da begannen sie und alle Kinder der Klasse bewusst ein- und auszuatmen und es einmal selbst zu probieren. Das war ein friedliches Bild. Die Kollegin machte auch mit.
Tipp für den Alltag
Schenken Sie Ihrer Atmung Aufmerksamkeit und erleben Sie die Wirkung von einigen bewussten Atemzügen: Einatmen – ausatmen – Pause. Einatmen – ausatmen – Pause. Einatmen – ausatmen – Pause. Spüren Sie das Heben und Senken Ihres Brustkorbs. Nehmen Sie Ihre Atmung einfach nur wahr und ändern Sie nichts. Spüren Sie, wo Sie in Ihrem Körper die Atmung spüren.
Diese Übung können Sie überall einmal zwischendurch machen, unter der Dusche, beim Einkaufen, auf dem Spielplatz, an Ihrem Arbeitsplatz, wo immer Sie sich befinden. Während Sie bewusst atmen, sind Sie mit sich selbst in Kontakt. Das gibt ganz allgemein ein gutes Lebensgefühl und fördert Ihre Präsenz.
Mit einiger Übung können Sie dieses bewusste Atmen auch in schwierigen Situationen nutzen. Mit ihnen finden Sie schon mit wenigen Atemzügen wieder Ihre innere Mitte.
Leben und Lernen gehören zusammen
Die Natur hat dem Menschen den Lerntrieb von Anfang an mitgegeben. Dieser Trieb spornt die Kinder an, dass sie erst sich und später die Welt um sich herum entdecken und vielerlei Fähigkeiten entwickeln. Die Kinder lernen aus einem ureigenen Bedürfnis heraus und sind hoch motiviert.
Kinder erkunden von Anfang an schrittweise ihren eigenen Körper und ihre Umwelt. Dabei sammeln sie die verschiedensten Erfahrungen.
Mit diesen vielen kleinen Lernschritten schaffen sie die Basis für all die kulturellen Fähigkeiten wie Lesen, Rechnen und Schreiben und ein gesundes Sozialverhalten, die Voraussetzung sind für ein erfolgreiches Leben und Lernen.
Damit ein Schulkind in der ersten Klasse im Unterricht mithalten kann, braucht es zahlreiche Fertigkeiten. Diese hat es schon als kleines Kind ausgebildet. Nehmen wir allein das Schreiben von einigen Wörtern. Es setzt so viele Fertigkeiten voraus, die kaum jemandem bewusst sind:
Das Kind kann das Gleichgewicht halten und ruhig und sicher auf dem Stuhl sitzen. Es kann seine Augen gleichmäßig und kontrolliert bewegen und trifft mit seinem Stift immer die richtige Zeile auf seinem Blatt. Es kann sich ganz und gar auf eine einzige Tätigkeit konzentrieren und andere Reize ausblenden; es hat ein gutes Gefühl für den richtigen Druck auf dem Stift, es kann mit der einen Hand das Blatt halten und mit der anderen den Stift führen.
Ein scheinbar so einfacher Vorgang wie das Abschreiben eines Textes erfordert zahlreiche Voraussetzungen. Dabei sind die genannten Fähigkeiten nur eine unvollständige Aufzählung.
Vielen jungen Eltern ist es selbstverständlich, dass ihr Kind all das später in der Schule einmal kann. Sie setzen es stillschweigend voraus. Doch kommen diese Fähigkeiten nicht von alleine. Es ist wichtig, dass Eltern ihren Kindern von klein auf ausreichend Gelegenheit geben, die einzelnen Entwicklungsschritte durchlaufen zu können.
Das Lernen in den ersten Lebenswochen und Lebensmonaten ist grundlegend. Doch gehen Eltern mit diesem Lernen anders um als später mit dem Lernen in der Schule. Der entscheidende Unterschied liegt in der Bewertung der Erfolge und Misserfolge des Kindes. Beim kleinen Kind bewerten Eltern seine Misserfolge noch nicht als Fehler. Niemand kommt auf die Idee, einen Säugling dafür zu tadeln, dass er einen Fehler gemacht hat, wenn er etwa nach seiner großen Zehe greifen wollte und das Ziel verpasst hat.
Das liegt nicht daran, dass das Kind noch keine Wörter versteht. Es ist eine Frage der Sichtweise. Die Eltern sehen, was das Kind macht, und sehen auch, dass es immer wieder nach der Zehe greift. Sie sehen dabei, dass es nicht in Gefahr ist und überlassen es seinen eigenen Versuchen. Sie mischen sich nicht ein, sicher auch, weil sie dem Ganzen nicht so viel Bedeutung beimessen, wie sie es später bei schulischen Leistungen tun werden.
Vielleicht freuen sie sich zusammen mit dem Kind, wenn es vor Freude jauchzt, wenn es nach langem Bemühen das erstrebte Ziel erreicht hat und die Zehe endlich im Mund ist. Und doch geht es um die Auge-Hand-Koordination und um Fingerfertigkeit, zwei wesentliche Voraussetzungen für das spätere Schreiben.
Je älter ein Kind wird, desto häufiger erfährt es, dass seine Eltern oder Großeltern oder auch seine Geschwister sein Tun als „richtig“ oder „falsch“ kommentieren. So kann mit der Zeit eine Angst vor Fehlern entstehen, die doch im Grunde nur wesentliche Bestandteile des Lernens sind.
Die Bewertung mit „richtig“ und „falsch“ ist Erwachsenen oft selbstverständlich. Sie ahnen nicht, welche nachteiligen Auswirkungen dieses andauernde Bewerten hat. Es macht für Kinder einen großen Unterschied, ob ihre Eltern das Ergebnis ihres Handelns als einen Fehler ansehen, oder ob sie ihnen einen weiterführenden Hinweis geben. Letzteres hilft ihnen beim Lernen, während der primäre Blick auf einen Fehler entmutigend ist.
Nehmen wir ein Beispiel. Die vierjährige Julia zieht sich selbst an. Dabei ist der Reißverschluss ihres Rockes vorne statt hinten. Die spontane Reaktion von Eltern ist dann oft: „Du hast deinen Rock falsch herum angezogen! Komm her, ich ziehe ihn dir richtig an!“ Sie können stattdessen auch sagen: „Dein Rock hat einen Reißverschluss. Der gehört nach hinten!“
Wahrscheinlich wird Julia dann ihren Rock anschauen und versuchen, den Reißverschluss nach hinten zu bringen. Wenn ihr das nicht gelingt, dann können ihre Eltern ihr einen weiteren Hinweis geben und bei Bedarf selbst mithelfen. So kann Julia selbständig werden und aus ihrer Erfahrung lernen. Sie weiß jetzt, dass der Reißverschluss ihres Rockes nach hinten gehört, und merkt sich das.
Lernen geschieht durch Versuch und Irrtum: Die Kinder probieren alles aus und haben Freude bei ihrem Tun. Sie machen dabei natürlich auch sogenannte Fehler. Dann machen sie eine Erfahrung und wissen, wie sie ihre Sache das nächste Mal besser machen können. Ein Fehler ist nichts anderes als ein unerwünschtes Ergebnis. Fehler gehören zum Lernen dazu.
Jeder Erwachsene weiß, dass er aus seinen eigenen Fehlern am meisten gelernt hat, insbesondere wenn er im Nachhinein erkannt hat, wie dieser Fehler entstanden ist. Dann kann er es das nächste Mal anders machen. Wenn jemand nur unbewusst etwas tut und mit seinen Gedanken abgeschweift ist, dann kann er aus der Erfahrung nur schwer etwas lernen, ganz einfach deshalb, weil sie ihm nicht zugänglich ist. Er wird sie noch so oft machen, bis er sich auch diesen Lernschritt bewusst gemacht hat. Das Leben hat Geduld mit jedem einzelnen und bietet ihm wiederholt Situationen an – solange, bis er aus ihnen gelernt hat und damit einen Schritt weitergekommen ist. Es liegt an jedem selbst, bereitwillig den nächsten Schritt zu gehen.
Die Angst, einen Fehler zu machen, erschwert das Lernen, und das Lernen hört nie auf! Das Leben bringt jeden Menschen, Erwachsene genauso wie Kinder, in immer wieder neue Situationen. Das Leben ist ein beständiges Lernen. So ist es auch, wenn Eltern ein Kind bekommen. Mit ihrem Kind werden sie immer wieder in eine für sie neue Situation gestellt. Sie lernen und wachsen gemeinsam mit ihrem Kind. Sie sammeln ihre Erfahrungen, und das Kind sammelt seine Erfahrungen. Eltern, die sich diesem inneren Prozess öffnen und bereitwillig die Lektionen des alltäglichen Lebens lernen, tun sich leichter als Eltern, die diese Bereitschaft noch nicht entwickelt haben und sich ablehnend verhalten.