Deutschland - eine gespaltene Gesellschaft -  - E-Book

Deutschland - eine gespaltene Gesellschaft E-Book

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Beschreibung

Die Rede vom geteilten Deutschland lässt uns spontan an den innerdeutschen Ost-West-Konflikt denken. Doch Deutschland bietet ein Bild vielfältiger sozialer Gegensätze – ob arm versus reich, alt versus jung oder erwerbstätig versus arbeitslos. Welche Gräben durchziehen unsere Gesellschaft und wie bestimmen sie die künftige soziale Entwicklung in Deutschland?

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LESEPROBE

Nullmeier, Frank; Lessenich, Stephan

Deutschland - eine gespaltene Gesellschaft

LESEPROBE

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Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2006. Campus Verlag GmbH

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E-Book ISBN: 978-3-593-40282-6

|7|Einleitung: Deutschland zwischen Einheit und Spaltung

Stephan Lessenich und Frank Nullmeier1

Bei der Bundestagswahl im September 2005 zeigte sich Deutschland von seiner gespaltenen Seite. Die beiden großen Volksparteien konnten praktisch gleich viele (oder wenige) Zweitstimmen auf sich vereinigen, und die Landkarte mit der Verteilung der Direktmandate zwischen Christ- und Sozialdemokratie teilte Deutschland in eine ›schwarze‹ und eine ›rote‹ Hälfte. Doch nach dem Willen beider Seiten sollte die sichtbare Spaltung Deutschlands in zwei politische Lager nicht von allzu langer Dauer sein. Den obligatorischen wahlabendlichen Abgrenzungsreflexen (einschließlich des unmittelbar legendär gewordenen, aggressiv-autistischen Auftritts des bis dahin amtierenden Bundeskanzlers) folgte alsbald der Ruf nach Konsens und nach der Zusammenarbeit der beiden Großparteien im Interesse eines höheren Gutes namens ›Gemeinwohl‹. Die seither bestehende Große Koalition bindet Christ- und Sozialdemokraten – bisweilen mehr schlecht als recht, aber im Grundsatz doch – institutionell, personell und legitimatorisch aneinander und symbolisiert zugleich den parteiübergreifenden Willen, Deutschland aus der (interessen-)politischen Selbstblockade zu befreien. Die Fußballweltmeisterschaft im Sommer 2006 hat die beiden aus der Bundestagswahl hervorgegangenen politischen Impulse zumindest kurzfristig verstärkt: Das überraschend erfolgreiche Abschneiden der gastgebenden (mit ›amerikanischen‹ Methoden wiederbelebten) Nationalmannschaft wurde in breiten Kreisen der Öffentlichkeit als Ausweis und Initialzündung deutscher ›Reformfähigkeit‹ gedeutet. Zugleich diente die allgemein – und offenbar nicht nur in Deutschland selbst – als ebenso untypisch wie erlösend empfundene Begeisterung ›der Deutschen‹ für ›ihre‹ Elf und deren Trainer als endlich sicht- und spürbares Zeichen jener gesellschaftlichen Einheit, die das Land nach 1989, allen finanziellen Bemühungen und politischen Sonntagsreden zum Trotz, nicht hat herstellen können.|8|Wird also für das damals kurzzeitig ›glücklichste Volk der Welt‹ am Ende doch noch alles gut?

Der Blick des vorliegenden Bandes2 geht weiter. Indem er die Phänomenologie deutscher Spaltungen in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt, befragt er die deutsche Gesellschaft – oder genauer: die deutsche Sozialwissenschaft als deren professionelle Beobachtungs- und Beschreibungsinstanz – nach der theoretischen und empirischen Plausibilität gesellschaftlicher Einheitsvorstellungen. Seine 20 Autoren und Autorinnen beschreiben soziale Differenzierungs-, Spannungs- und Konfliktlinien dieser Gesellschaft, die die Frage nach ihrer ›Einheit‹ auf eine veränderte Grundlage stellen. Ihre hier versammelten Beiträge zu gesellschaftlichen Gegensätzen beziehungsweise Entgegensetzungen, die – so die Ausgangsannahme – auch das Alltagsbewusstsein der auf deutschem Territorium Lebenden strukturieren, sollen zum einen die zeitdiagnostische Kraft sozialwissenschaftlicher Analyse erweisen. Und sie dienen zum anderen dazu, die politisch und gesellschaftlich – aber eben nicht zuletzt auch sozialwissenschaftlich – reproduzierte Idee einer Einheit ›der‹ deutschen Gesellschaft in Frage zu stellen. Die Lektüre der 17 auf diese Einleitung folgenden Abhandlungen ergibt vielmehr, jedenfalls in der Wahrnehmung und Interpretation der Herausgeber dieses Bandes, das mosaikartige Bild von Deutschland als einer Gesellschaft, die ›Einheit‹ allenfalls in der Vielzahl ihrer politischen und kulturellen, materiellen und symbolischen Spaltungen und Abspaltungen findet.

1. Aufstieg und Fall der ›Gesellschaft‹

Die Rede von der ›Gesellschaft‹ und die damit vermittelte Vorstellung ihrer Einheit hat ihren historischen Ausgangspunkt am Ende des 19. Jahrhunderts – und ihren Ort in der sich zu jener Zeit ausbildenden wissenschaftlichen Disziplin der Soziologie. Im Zeichen der industriegesellschaftlichen Auflösung der alten sozialen Ordnungen entwickelte sich die Soziologie als eine Wissenschaft, die das neu entstehende Spiel freier gesellschaftlicher Kräfte nicht nur zu beschreiben und zu verstehen, sondern die neuartige soziale Welt der Individuen und deren offensichtliche Dynamik auch berechenbar |9|zu machen beanspruchte. Nicht Deutschland, sondern »Frankreich, wo Aufklärung und Revolution die alten Gruppen und Lebensverhältnisse rechtlich, sozial und ideologisch vorsätzlich und radikal zerstört hatten, [wurde] zum natürlichen Boden der Soziologie, die sich von Saint-Simon und Comte bis Durkheim konsequent der Aufgabe verschrieb, aus einer Masse von Einzelnen neue und dauerhafte Gruppen zu kreieren, also: den ›staatsfreien‹ Raum sozial zu ordnen« (Tenbruck 1981: 342). Im Begriff der Gesellschaft, den die Soziologie seither als wissenschaftliche Selbstbeschreibung der europäischen Moderne geprägt und verbreitet hat, hat dieses Motiv der analytischen Verfestigung des sozial Verflüssigten eine ideelle und semantische Heimstatt gefunden. Mittels der Vorstellung von ›Gesellschaft‹ als einer über angebbare soziale Mechanismen sich selbst regulierenden und stabilisierenden Ordnung sollte geistig wieder dingfest gemacht werden, was sich im Zeichen individueller (Handlungs-)Freiheiten faktisch aufzulösen drohte.