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»Deutschlands Rückkehr« erzählt eine mitreißende Alternativweltgeschichte über ein anderes Deutschland, das in den späten 1930er Jahren in einen weltumspannenden Krieg hineingezogen wird.
Klappentext: Bei den Reichstagswahlen 1933 erleidet Adolf H. eine krachende Niederlage. Tief gekränkt emigriert er in die USA, wo er bald mit dem aufstrebenden Rechtsaußen-Politiker Alexander Davis anbandelt. Zur gleichen Zeit wird Robert Jäger, ein Fliegerass aus dem Großen Krieg und Anführer eines breiten Parteienbündnisses, in Deutschland zum Reichskanzler ernannt.
Zwei Jahre später hat es Davis zum US-Präsidenten gebracht, Adolf H. arbeitet als sein engster Berater. In dieser Funktion überzeugt er Davis davon, dass die US-Wirtschaft allein durch einen neuen Krieg saniert werden kann.
Durch Zufall erfahren die deutschen Geheimdienste von den Kriegsvorbereitungen, die in den Vereinigten Staaten anlaufen. Kanzler Jäger, von den Schrecken der Westfront gezeichnet, möchte einen erneuten Waffengang um jeden Preis verhindern. Sein Lebenswerk – der Wiederaufstieg Deutschlands zur europäischen Großmacht – steht auf dem Spiel.
Da fasst Jäger einen kühnen Entschluss …
20 stilvolle Illustrationen von dem Ex-Soldaten Markus Preger unterstützen Ihr Kopfkino beim Lesen, und erwecken die Geschehnisse zum Leben.
»Deutschlands Rückkehr« ist ein spannungsgeladener Action-Thriller der Superlative!
Stefan Köhler legt mit seinem ersten Alternate History-Roman ein beeindruckendes Werk vor. Er nimmt seine Leser mit auf eine packende Reise sowohl direkt in die Kabinettssitzungen der handelnden Nationen als auch auf die Schlachtfelder des Krieges, welcher in der zweiten Romanhälfte mit steigender Intensität um sich greift.
Mit »Deutschlands Rückkehr« beweist Köhler, dass er nicht nur realitätsnahe Gefechte schildern, sondern auch große, den gesamten Globus umspannende Geschichten entwickeln kann.
Wird es Kanzler Jäger gelingen, Deutschlands Rückkehr in die Riege der Großmächte zu sichern?
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Stefan Köhler
Deutschlands Rückkehr
Eine alternative Geschichte über einen anderen 2. Weltkrieg
EK-2 Militär
Mit Illustrationen von Markus Preger
»Nulla salus bello pacem te poscimus omnes.«
(Vom Krieg kommt nichts Gutes, den Frieden verlangen wir alle.)
Vergil
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Klappentext: Der deutsche UN-Soldat Rick Marten kämpft in dieser rasant geschriebenen Fortsetzung zu H.G. Wells »Krieg der Welten« an vorderster Front gegen die Marsianer, als diese rund 120 Jahre nach ihrer gescheiterten Invasion erneut nach der Erde greifen.
Deutsche Panzertechnik trifft marsianischen Zorn in diesem fesselnden Action-Spektakel!
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Jill & Moni
von
EK-2 Publishing
Frühjahr 1917, über der Westfront
Der Himmel erstrahlte anmutig in einem satten Königsblau. Nur wenige Wolkenformationen durchzogen ihn. Es herrschte eine entsetzliche Kälte.
Kein Wunder, überlegte Lieutenant Alastair MacFarlane. In einer Höhe von 3.000 Metern über den Feldern Frankreichs musste es einfach verdammt kalt sein. Bisher hatte er immer geglaubt, Kälte würde ihm nicht allzu viel ausmachen, war er doch an die harten Winter in seiner Heimat gewöhnt, dem schottischen Hochland. Aber, Teufel, trotz seiner dicken Pelzjacke war es wirklich kalt hier oben!
MacFarlane löste die linke Hand vom Gashebel, griff sich an den Hals, rückte den Schal zurecht und suchte dann gewohnheitsmäßig den Luftraum ab. Der junge Pilot beherrschte sein Jagdflugzeug noch nicht mit der Routine, die er sich gewünscht hätte. Die Ausbildung war aufgrund der hohen Verluste unter den Fliegern des Royal Flying Corps dramatisch verkürzt worden. Gerade einmal sechs Wochen Unterricht waren MacFarlane und seinen Kameraden vergönnt gewesen, bevor man sie zur Front abkommandierte. Dies war erst sein dritter Einsatz, und darüber hinaus flog er an diesem Tag ohne Flügelmann, denn Evans hatte mit Motorproblemen abbrechen und umkehren müssen. MacFarlane wusste, dass er damit ein hohes Risiko einging, aber sein Stolz ließ es nicht zu, dass auch er umkehrte.
Das Wetter der vergangenen drei Tage hatte die Flieger praktisch zur Untätigkeit verdammt und es war vorherzusehen, dass die Deutschen nun wieder ihre Aufklärer losschicken würden, um die Bewegungen der französischen und britischen Truppen in diesem Frontabschnitt auszuspähen.
MacFarlanes Kommandeur hatte seine Jagdflugzeuge in Paaren ausgeschickt, um ebendiese Aufklärer in allen Winkeln des Frontabschnitts zu suchen.
Und abzuschießen, fügte MacFarlane in Gedanken hinzu.
Plötzlich überkam ihn das Bedürfnis, Rule Britannia zu pfeifen, obwohl das wegen des Lärms seines 150-PS-Motors von Hispano-Suiza nicht einmal für ihn selbst zu vernehmen war. Er trat ins Seitenruder und ließ die fabrikneue Royal Aircraft Factory S.E.5 etwas zur Seite gleiten.
Sein scharfes Auge erspähte etwas, das sich eben noch vor der Wolkenformation zu seiner Rechten abgezeichnet hatte. Suchend blickte er genauer hin.
Da!
Er ließ die S.E.5 auf den neuen Kurs einschwenken. Der kleine, dunkle Punkt war nun klarer zu erkennen. Bei dem Flugzeug handelte es sich um eine Albatros C.III, wie es MacFarlane erschien. Ein Aufklärer! Er kniff die Augen zusammen. Direkt daneben befand sich noch ein zweiter.
Zwei zum Preis von einem, sagte sich der Lieutenant und machte das vor seiner Kanzel liegende Vickers-Maschinengewehr schussfertig. Dann griff er nach oben, um das auf der Oberseite der Tragfläche montierte Lewis-MG ebenfalls feuerbereit zu machen. Beide Waffen verschossen 7,7-mm-Munition. Für das Vickers waren 400 Patronen verfügbar, in der großen, runden Trommel auf dem Lewis lagerten 97 weitere, und es befanden sich auch noch drei Reservemagazine an Bord. Die musste MacFarlane während des Fluges allerdings von Hand einsetzen, eine elende und gefährliche Aufgabe.
Der Lieutenant glitt näher an die Aufklärer heran wie ein Hai, der sich seiner Beute nähert. Die Deutschen hatten ihn bisher nicht ausgemacht, wie es schien.
MacFarlane blickte sich erneut um. Seine Ausbilder hatten immer wieder betont, dass sich ein Jagdpilot seiner Umgebung bewusst sein müsse. Sonst würde ihn der Feind überraschen und ihn von oben oder von hinten packen. Aber MacFarlane sah keine anderen Flugzeuge und konzentrierte sich daher wieder auf den Aufklärer, der ihm am nächsten war.
Er konnte nun sehen, wie der Beobachter im hinteren Sitz der Albatros nach vorne griff und seinem Piloten aufgeregt auf die Schulter klopfte, um ihn zu warnen.
Zu spät, Jerry!, dachte MacFarlane triumphierend und spannte den Finger am Abzug.
Da kurvte der zweite Deutsche hart nach rechts weg und beschrieb eine unglaublich eng genommene Kehre.
Voller Schrecken erkannte MacFarlane, dass er einen riesengroßen Fehler begangen hatte. Bei dem zweiten Deutschen handelte es sich zwar auch um ein Albatros-Flugzeug, jedoch nicht, wie er angenommen hatte, um einen Aufklärer, sondern um einen Jäger!
Der Albatros D.III war eines der besten Jagdflugzeuge der Deutschen, und anhand der schnellen Reaktion des Piloten fürchtete MacFarlane, dass er es hier mit einem Gegner zu tun bekam, der weit erfahrener war als er selbst.
Die Bestätigung seiner Befürchtung kam nur Sekunden später, als der Deutsche mit seinen beiden auf der Nase montierten 7,92-mm-Maschinengewehren das Feuer eröffnete. Der kurze Feuerstoß knatterte und MacFarlane konnte die Einschläge spüren und sehen, wie in seiner rechten, unteren Tragfläche plötzlich eine Handvoll Löcher klafften.
Nichts wie weg hier, brüllte die Panik in MacFarlanes Hirnwindungen. Er riss seine S.E.5 hart herum, legte die Maschine auf den Rücken und zog das Steuer zurück, um im Sturzflug nach unten zu verschwinden.
Als er über die Schulter zurückblickte, erkannte MacFarlane zu seinem Entsetzen, dass er den Deutschen mit diesem Manöver nicht hatte überraschen können. Im Gegenteil, der Jerry schien sogar aufgeholt zu haben!
Hektisch beendete der Lieutenant seinen Sturzflug und versuchte, den Deutschen im spiralförmigen Sinkflug abzuschütteln. Die Flughöhe nahm rapide ab, aber ein erneut hinter ihm knatternder Feuerstoß verriet ihm, dass sein Gegner immer noch an seinem Heck klebte.
Unter MacFarlane wurden die schachbrettartigen Felder der französischen Landschaft immer größer, und zusammen mit seiner Höhe gingen dem Lieutenant auch die Ideen aus.
Er beendete den Spiralflug und riss die S.E.5 in eine harte Linkskurve, in der Hoffnung, dass der Deutsche so an ihm vorbeirasen würde.
MacFarlane sah über die linke Schulter und blickte voller Schrecken in die Mündungen der beiden LMG 08/15 der Albatros.
Mündungsblitze flackerten auf und eine Kugel streifte MacFarlane an der linken Schulter. Er zuckte zurück und erhielt einen schweren Schlag gegen das linke Bein. Die Windschutzscheibe vor ihm zerplatzte und das ganze Flugzeug erschauderte, als der Motor getroffen wurde. Der Hispano-Suiza erstarb mit einer jähen Plötzlichkeit und sofort quoll dichter Rauch unter der Motorverkleidung hervor, die MacFarlane jede Sicht raubte und ihn zu einem würgenden Husten reizte.
Trotzdem umklammerte er verzweifelt den Steuerknüppel und bemühte sich angestrengt, die Maschine nach oben zu ziehen. Die obere Tragfläche über der Kanzel war völlig durchlöchert und das Lewis-MG aus seiner Foster-Lafette verschwunden. Aus seinem linken Bein entschwand blitzartig jedes Gefühl. Als er den Steuerknüppel zurückzog, reagierte die Maschine nur noch sehr schwerfällig auf seine Handbewegungen.
MacFarlane hustete wieder und sah seitlich am Cockpit hinaus. Er war kaum noch 300 Fuß hoch! Vielleicht konnte er seine schwer angeschlagene Maschine ja auf eine französische Weide setzten?
Der Gedanke trieb ihn zu einer enormen Kraftanstrengung und er zerrte mit aller Gewalt am Steuer, um die wenige verbliebene Energie der Maschine zu nutzen.
Als die Räder den Boden der Wiese berührten, bäumte sich die S.E.5 noch einmal auf. MacFarlane wurde mit brachialer Gewalt gegen die Instrumententafel geworfen, dann vernebelte seine Sicht.
Er wusste nicht, wie lange er ohnmächtig gewesen war. Aber nun verspürte er eine sengende Hitze, die ihm neuerlichen Schmerz bereitet.
MacFarlane zwang sich dazu, die unter seiner Fliegerbrille verborgenen Augen zu öffnen. Er saß immer noch in seiner Kanzel, aber das Wrack seines Flugzeugs brannte. Die Flammen züngelten bereits zwischen seinen Beinen nach oben!
Gott, hilf mir! Ich will nicht verbrennen!, überkam es ihn. Er versuchte, sich aus der Kanzel zu stemmen, doch er konnte nur noch den rechten Arm und das rechte Bein bewegen, sodass er schlaff wieder zurückfiel. Die Flammen loderten immer höher und wie von selbst glitt seine rechte Hand zum Pistolenkoppel.
Ich will nicht bei lebendigem Leib verbrennen!
Zwei große, kräftige Hände schoben sich unter seine Achseln und zerrten ihn aus der Kanzel. MacFarlane schrie vor Schmerzen hell auf, als sein linkes Bein über den Rand der Kanzel gezogen wurde. Es fühlte sich an, als ob jemand einen glühenden Schürhaken in sein Bein rammen und diesen nun darin drehen würde. Seine Sicht verschwamm und er bekam nur halb mit, wie ihn jemand über die Wiese schleifte. Mit zusammengebissenen Zähnen zwang sich der Lieutenant dazu, nicht mehr zu schreien. Er griff nach oben und zog sich die Brille von den Augen. Mehr schaffte er nicht mehr, bevor ihn die Kraft verließ und seine rechte Hand wieder nach unten fiel.
Schweißtropfen liefen von seiner Stirn in seine Augen und zwangen ihn zu kräftigem Blinzeln. Er sah vor sich nur ein Stück Wiese und das brennende Wrack seiner Maschine. Dann änderte sich sein Blickwinkel. Er stellte fest, dass er nun mit dem Rücken am Stamm eines krumm gewachsenen Baumes lehnte, und es kostete ihn viel Mühe, die Augen offen zu halten.
Jemand beugte sich über ihn und zog ihm den Schal vom Hals weg. Dann machte sich die Person an seinem linken Bein zu schaffen.
MacFarlane stieß ein scharfes Zischen aus, als der Mann, wie er nun erkannte, den Schal um sein linkes Bein schlang und es abband.
Allmählich klärte sich seine Sicht wieder und der Lieutenant erkannte, dass der Mann vor ihm eine Fliegerjacke aus Leder trug. Zuerst dachte er, dass es sich vielleicht um einen Franzosen handelte, aber dann erblickte er das blaue Pour le Mérite am Hals des Mannes.
Instinktiv griff MacFarlane nach seinem Pistolenholster.
»Das sollten Sie lieber lassen, Lieutenant«, sagte der Deutsche in recht gutem Englisch. »Sie sind nicht in der Verfassung, unser Duell fortzusetzen.«
Verwirrt blickte MacFarlane zu dem Deutschen auf, der neben ihm kniete, nun die Fliegerbrille nach oben schob und ihn anlächelte.
»Ich habe Ihr Bein zwar abgebunden, aber es wäre besser, wenn Sie so schnell wie möglich in ein Lazarett kämen«, fuhr der Deutsche fort. Dann griff er in seine Fliegerjacke. MacFarlane zuckte zusammen, weil er erwartete, dass der Fremde nun eine Pistole ziehen und ihn erschießen würde. Stattdessen brachte der Deutsche einen kleinen, silbernen Flachmann hervor, schraubte ihn auf und hielt ihn dem Lieutenant an die Lippen.
»Trinken Sie, das ist französischer Cognac.«
Reflexartig nahm MacFarlane einen großen Schluck zu sich und hustete dann. Aber der Alkohol ließ die Schmerzen auf ein halbwegs erträgliches Maß absinken, und so schluckte er erneut.
»Nicht zu viel, Lieutenant«, warnte der Deutsche und entzog ihm den Flachmann. Er hob die Silberflasche an die Lippen und nahm selbst einen kleinen Schluck zu sich. Dann schraubte er den Verschluss auf und steckte den Flachmann wieder ein.
MacFarlane atmete schnell und flach, zwang sich aber nun dazu, ruhiger Luft zu holen.
»Wa…«, begann er und musste sich Räuspern, bevor er sagen konnte: »Warum haben Sie mich aus meinem Flugzeug gezogen?«
»Warum sollte ich nicht?«, meinte der Deutsche lapidar.
MacFarlane sah ihn forschend an. »Warum?«, wiederholte er leise.
Der Deutsche zuckte mit den Schultern. »Sagen wir einfach, ich wollte nicht zusehen, wie Sie in ihrer Maschine verbrennen. Das ist kein schönes Ende.«
»Ich verstehe nicht …«, meinte MacFarlane. »Wir sind doch Feinde.«
»Irgendwann werden Sie es verstehen.« Der Deutsche sah sich um und erhob sich. »Aber nun sollte ich mich wieder in die Lüfte schwingen. Die Franzosen haben uns gesehen und kommen immer näher.«
»Warten Sie!«, rief MacFarlane aus. »Wie heißen Sie?«
»Leutnant Robert Jäger«, lautete die Antwort. »Und Sie?«
»Alastair MacFarlane.« Mit Mühe hob MacFarlane die rechte Hand hoch und Jäger verstand seine Absicht. Er beugte sich und griff kurz zu.
»Alles Gute, MacFarlane.«
»Für Sie auch.«
Jäger nickte ihm knapp zu, drehte sich um und lief dann auf seine Albatros zu, die vor ihm auf der Wiese stand. Hustend startete der Motor und MacFarlane konnte zusehen, wie der Deutsche startete.
Aufgeregte Rufe erklangen und Gewehrschüsse peitschten hinter der Albatros her, konnte sie aber nicht aufhalten. Die D.III stieg in die Lüfte.
Soldaten erschienen in MacFarlanes Blickfeld und er erkannte an ihren Helmen, dass es Franzosen waren.
»Hier liegt jemand!«, rief einer der Soldaten und vier oder fünf von ihnen näherten sich dem Lieutenant. »Ein Brite! Ein Offizier!«
»Schotte«, murmelte MacFarlane.
Der eine Soldat warf einen Blick auf das abgebundene Bein und zog dann sein Verbandspäckchen hervor. In holprigem Englisch sagte er: »Ich kümmere mich um Ihr Bein. Aber was wollte der Kraut von Ihnen?«
»Er hat mir das Leben gerettet«, erwiderte MacFarlane matt, den eine schier ungeheure Müdigkeit übermannte. »Hat mich aus dem Wrack gezogen.«
»Ein Kraut?« Der Franzose sah ihn mit Unglauben an.
»Ein Kraut«, bestätigte MacFarlane. »Leutnant Robert Jäger.«
Die Albatros flog über die Wiese hinweg und wackelte zum Abschied mit den Flügeln. Die Franzosen waren so verwundert, dass sie nicht einmal mehr schossen. Mit diesem Bild vor Augen schlief MacFarlane ein.
9. November 1918: In Deutschland wird die Weimarer Republik ausgerufen und löst die bis dahin herrschende konstitutionelle Monarchie der Kaiserzeit ab.
11. November 1918: Waffenstillstand von Compiégne, Ende des Ersten Weltkriegs.
24. Oktober 1929: An diesem auch als »Schwarzer Donnerstag« bezeichneten Tag bricht die New Yorker Börse zusammen. Eine regelrechte Verkaufspanik wird ausgelöst, die Preise für Aktien fallen ins Bodenlose und am Ende des Tages haben die Börsen vier Milliarden US-Dollar verloren. Zahllose Menschen büßen ihr gesamtes Vermögen ein, Banken gehen bankrott, Unternehmen schließen reihenweise ihre Pforten und die Arbeitslosigkeit schnellt in die Höhe. Dies stellt das Ende des wirtschaftlichen Aufstiegs Amerikas dar und markiert den Beginn der schlimmsten globalen Weltwirtschaftskrise der Geschichte. Um sich selbst vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren, fordern amerikanische Banken die Darlehen zurück, die sie nach dem Krieg in Europa vergaben. Doch das verschlimmert die Situation nur noch und weitet die Krise auf die ganze Welt aus. Immer mehr Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz, müssen ihre Wohnung aufgeben und landen auf der Straße. In den USA werden sogenannte Hungerstreiks organisiert und es kommt in vielen Städten zu Ausschreitungen. Präsident Hoover lässt Truppen aufmarschieren, um die Proteste auseinanderzutreiben. Als Folge sinkt seine Popularität und bei den Wahlen 1932 erleidet Hoover eine beispiellose Niederlage gegen Franklin D. Roosevelt.
Deutschland wurde von der Krise besonders hart getroffen, da die amerikanischen Investoren ihre Gelder abzogen, die seit den Anfängen der Weimarer Republik ins Land geflossen waren. Die Folge waren Massenentlassungen und Insolvenzen vieler deutscher Firmen. Die zwei Jahre zuvor eingeführte Arbeitslosenversicherung war nicht ausreichend, um die Massen betroffener Menschen aufzufangen. Die deutsche Regierung zerbrach im Jahre 1930 als Folge der massiven Probleme. Deutschland war praktisch zahlungsunfähig. Mehr als sechs Millionen Menschen standen ohne Arbeit da und große Teile der Bevölkerung verelendeten. Allein über 500.000 Menschen wurden obdachlos.
6. Juli 1932: Franz von Papenburg bietet auf der Konferenz von Lausanne der französischen Regierung den gemeinsamen Aufbau Europas, eine Zollunion und eine umfassende wirtschaftliche Kooperation an, um der verheerenden Situation Herr zu werden. Zudem schlägt er eine militärische Zusammenarbeit zwischen Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland vor. Im Gegenzug verlangt er die Streichung des Kriegsschuldartikels 231 des Versailler Vertrages. Jedoch lehnen die Siegermächte das Anliegen von Papenburgs strikt ab.
20. Januar 1932: Der neu gewählte US-Präsident Franklin D. Roosevelt tritt sein Amt an. Roosevelt ergreift umgehend Maßnahmen, um die Wirtschaftskrise zu beenden. Er ruft den sogenannten »New Deal« aus: wachstumsfördernde öffentliche Investitionen auf Kredit. Roosevelt versichert der US-Bevölkerung, dass die Banken wieder sicher seien und es keinen Grund mehr gebe, weiterhin Ersparnisse abzuziehen. Durch seine charismatische Ausstrahlung sorgt er wieder für Optimismus unter den Bürgern. Die Große Depression kann dennoch nicht überwunden werden.
5. März 1933: Bei den Reichstagswahlen in der Weimarer Republik kann die DPD (Demokratische Partei Deutschlands) mit 49,3 % aller Stimmen einen großen Wahlsieg erringen. Die Nationalsozialisten unter der Führung von Adolf Hitler erzielen nur 1,4 % der Stimmen und verschwinden damit in der Bedeutungslosigkeit. Von diesem Misserfolg schwer getroffen, beschließt Hitler, Deutschland zu verlassen, und emigriert in die USA.
23. März 1933: Der scheidende Reichskanzler Paul von Hindenburg übergibt die Amtsgeschäfte an seinen politischen Protegé und vom Reichspräsidenten ernannten Nachfolger Robert Jäger. Jäger, der im Krieg ein bekanntes Fliegerass war, tritt sein Amt mit dem Versprechen an, der Bevölkerung wieder »Arbeit und Brot« zu verschaffen.
4. Juli 1933: Bei den Feiern zum amerikanischen Unabhängigkeitstag hält Adolf Hitler in New York eine vielbeachtete Rede zur Lage der Vereinigten Staaten und dem Platz, den die USA in der Weltgeschichte einnehmen sollten. Alexander Davis, Vorsitzender der im Schatten Roosevelts aufstrebenden Kleinpartei National Republican Party (NRP), wird auf den begnadeten Redner aufmerksam und lädt ihn zu Gesprächen auf sein Anwesen ein. Beide Männer verstehen sich auf Anhieb und nach vielen weiteren Gesprächen tritt Hitler der National Republican Party bei.
17. August 1933: Im US-Bundesstaat Ohio kommt es zum Streik gegen die strengen Auflagen des National Recovery Acts, der die Tarifverhandlungen eingefroren hat, um die wachsende Arbeitslosigkeit zu bremsen und die Produktion wieder zu erhöhen. Da die Unternehmen über eigene bewaffnete Polizeikräfte verfügen, brechen gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den Streikenden und den Unternehmenskräften aus. Die Kämpfe dauern den ganzen Tag und halten auch während der folgenden Nacht an. Als Reaktion auf die chaotische Lage rücken 5.000 Mann der Nationalgarde in die betroffenen Städte ein. Es kommt zu regelrechten Schlachten, bei denen die Nationalgardisten in manchen Städten praktisch Haus für Haus von den Aufständischen säubern müssen. 382 Menschen werden getötet, darunter 16 Kinder, ferner sind hunderte von Verletzten zu beklagen. Die National Republican Party prangert das Vorgehen des US-Präsidenten lautstark an, woraufhin die NRP unerwartet viel Zulauf erfährt. Davis' mitreißende Radioansprachen erreichen ein Millionenpublikum.
6. November 1934: Nachdem Roosevelts Ansehen in den Keller gerauscht ist, erringt Davis' NRP bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus einen erdrutschartigen Sieg. Davis und seine National Republican Party konnten diesen Erfolg auch deshalb erzielen, weil sie der Bevölkerung den öffentlichen Schwur leisteten, die Verhältnisse im Land umzukehren und die Verantwortlichen für Missstände innerhalb der Regierung zur Rechenschaft zu ziehen. Davis verkündet unter anderem, für das Präsidentenamt kandidieren zu wollen.
Mit den Stimmen abtrünniger Abgeordneter der Demokraten, die Davis im Verborgenen auf seine Seite gezogen hat, lässt er sich in einer turbulenten Sitzung zum Sprecher des Repräsentantenhauses wählen.
11. Februar 1935: Während er Urlaub mir einer Frau macht, mit der er nicht verheiratet ist, stirbt US-Präsident Franklin D. Roosevelt unerwartet als Folge seiner Erkrankung mit Kinderlähmung. Sein Tod löst eine weitere schwere Krise in den Vereinigten Staaten aus, da Roosevelt erst zwei Wochen zuvor seinen Vizepräsidenten wegen einer Korruptionsaffäre entlassen hat. Da der Posten des Vizepräsidenten unbesetzt ist, übernimmt Alexander Davis als Sprecher des Repräsentantenhauses gemäß Verfassung die Amtsgeschäfte.
28. März 1935: Präsident Davis legt dem amerikanischen Kongress ein umfassendes Paket mit Ermächtigungsgesetzen vor, welche die Macht des Präsidenten stärken und es ihm so ermöglichen sollen, endlich wirksame Maßnahmen gegen die Große Depression zu ergreifen. Das Maßnahmenpaket wird im Kongress unter den Demokraten, die im Senat die Mehrheit halten, und Republikanern mit großer Skepsis betrachtet, mancher munkelt hinter vorgehaltener Hand sogar, dass die Ermächtigungsgesetze aus der Feder des Sonderberaters Adolf Hitler stammen würden. Hinzu kommt, dass bei einer Annahme die Macht des Kongresses erheblich eingeschränkt werden würde. Davis prangert jedoch in einer Rede das zögerliche Verhalten der Kongressmitglieder an und beschuldigt sie öffentlich, nur auf den eigenen Vorteil aus zu sein, während die einfachen Menschen im Lande Hunger leiden würden. Darüber hinaus vermutet er ausländische Mächte hinter den Missständen in seinem Land.
Mehrere große Zeitungen veröffentlichen daraufhin Storys über angebliche Skandale und Korruptionsaffären von bekannten Kongressabgeordneten, was zu großem Unmut in der Bevölkerung und Protesten gegen den Kongress führt.
In Washington werden mehrere Kongressabgeordnete von einer aufgebrachten Menschenmenge angriffen und es kommt zu Plünderungen. Da die Polizei machtlos gegen den Mob ist, sieht sich Präsidenten Davis gezwungen, die Nationalgarde einzusetzen, um die Ordnung in der Hauptstadt aufrecht zu erhalten.
Der Kongress stimmt schließlich der Vorlage des Präsidenten zu und die neuen Ermächtigungsgesetze treten in Kraft. Die Folgen sind umfassend: Firmenbesitzer werden enteignet, Land wird beschlagnahmt, die Steuerabgaben für Vermögende erheblich erhöht. Ferner werden die bisher freien Medien unter staatliche Kontrolle gestellt.
Frühjahr 1935: Unsere Geschichte beginnt …
Washington D.C., im Frühjahr
Er unterschied sich nicht von den tausenden anderen Regierungsangestellten, die in einem der vielen, über die ganze Stadt verteilen Gebäuden des US-Kriegsministeriums arbeiteten. Der Angestellte ging in der Masse seiner Kollegen und Kolleginnen unter, so wenig Bemerkenswertes war an ihm zu festzustellen. Ende vierzig, mit zurückweichendem Haaransatz, Brille, hochgerollten Hemdsärmeln und kleinem Kaffeefleck auf der Krawatte, entsprach er der allgemeinen Vorstellung eines Buchhalters bis ins kleinste Detail.
Thomas Schneider seufzte, als er die Akte in die Ablage mit dem Schild »erledigt« warf. Er schob die Brille nach oben und rieb sich dann die müden Augen.
Napoleon sagte einst, eine Armee marschiere mit dem Bauch, dachte er leicht amüsiert. Nun, die US Army hat das Problem mit dem Hunger zwar gelöst, aber dafür bewegt sie sich nun auf einem wahren Meer von Papier.
Um sich in dieser Papierflut zurechtzufinden, wurden Experten benötigt. Diese trugen Sorge dafür, dass die Papierberge an die richtigen Leute weitergeleitet wurden und auch ihnen den Tag vermiesten. Schneider gab ein belustigtes Schnauben von sich. Sein nahezu fotografisches Gedächtnis machte ihn zu einem der besten Leute in seiner Abteilung. Leider sorgte dieser Umstand aber auch dafür, dass der Aktenstapel auf seinem Schreibtisch niemals kleiner wurde.
Es kann ein Fluch sein, wenn man nicht ganz so unfähig ist wie der Rest der Meute, sinnierte Schneider voller Bescheidenheit und griff nach der nächsten Akte. Vielleicht konnte er heute ja ausnahmsweise mal pünktlich Feierabend machen. Greta würde sich freuen, ihn zu Hause zu haben.
Es klopfte am Türrahmen und Schneider blickte auf.
Seine Kollegin Beth Cartright stand in der offenen Tür und hielt einen dicken Aktenordner in der rechten Hand.
»Oh, nicht doch, Beth«, stöhnte Schneider. »Nicht schon wieder etwas, dass die hohen Tiere unbedingt heute noch erledigt haben wollen!«
»Tut mir leid, Tom«, entgegnete die etwas rundliche Sekretärin mit einem entwaffnenden Lächeln. »Colonel Maxwell besteht darauf, dass das hier heute noch bearbeitet wird.«
»Klar, darauf wette ich!«, erwiderte Schneider etwas verkniffen. »Und ich wette ferner um einen Dollar, dass der Bastard nach Hause gefahren ist, nachdem er dich mit dem dicken Wälzer zu mir geschickt hat.«
»Darum wette ich nicht mit dir, Tom«, sagte Beth, während sie den dicken Ordner auf seinem Schreibtisch ablegte. »Du würdest nämlich gewinnen.«
Schneider schnaubte empört. Colonel Maxwell, verdammt sollte er sein! Der blöde Kerl halste ihm immer Extraarbeit auf!
»Es tut mir wirklich leid, Tom«, sagte Beth und zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Du weißt ja, wie der Colonel ist. Da kann man nichts machen.«
»Na, vielen Dank auch!«
»Soll ich bleiben und dir damit helfen?«
»Nein, danke, Beth«, wehrte Schneider ab. Das war eine nette Geste seiner Kollegin. Aber seitdem ihre Tochter von deren Ehemann, dem Mistkerl, einfach sitzen gelassen worden war, kümmerte sich Beth abends um den Enkelsohn. Beths Tochter arbeitete derzeit als Bedienung in einem Diner und das meist durchgehend in der Mittags- und Spätschicht. Die miese Wirtschaftslage sorgte auch weiterhin dafür, dass das Geld bei den kleinen Leuten knapp war.
»Das ist wirklich lieb von dir, aber geh du lieber nach Hause«, sagte Schneider. »Ich weiß doch, wie sehr deine Tochter auf deine Hilfe angewiesen ist. Und wie sehr du in den Kleinen vernarrt bist.«
Beth lächelte ihn warm und voller Dankbarkeit an. »Dann sieh zu, dass du schnell damit fertig wirst! Greta wartet auch auf dich.«
»Ja, Ma'am.«
Beth nickte ihm noch einmal zu und eilte dann aus dem Büro.
Schneider sah ihr nach, seufzte erneut und angelte sich den neuen Aktenordner vom Stapel.
Mal sehen, was hier haben, sprach er in Gedanken zu sich selbst. Bestimmt wieder so ein Routinekram, der auch ruhig bis morgen hätte warten können.
Er schlug den Aktendeckel zurück. Und stutzte. Das war eindeutig kein Routinekram. Das sah viel mehr nach Befehlen für eine Mobilmachung aus. Da stand auch ein Name: War Plan Red. Die Bezeichnung kam ihm bekannt vor. Schneider durchforstete sein Gedächtnis nach dem Namen. War das nicht einer der Eventualpläne gewesen? Kriegsplan Rot? Ja, der Plan sah einen Präventivschlag vor, und zwar gegen …
Mein Gott!, durchzuckte es ihn. Das darf doch nicht wahr sein!
Hastig blätterte er weiter. Es war alles da. Die benötigte Truppenstärke, die neu aufzustellenden Divisionen, deren Aufmarschgebiete und vorgesehene Landezonen, die späteren Versorgungsrouten. Sogar eine Autorisierung des Kongresses über eine Summe von 57 Millionen Dollar lag vor, die benötigt wurden, um drei geheime Flugplätze zu bauen. Ferner der Vermerk, die Landebahnen mit Gras zu bedecken, um sie zu tarnen.
Schneider fuhr sich durch sein schütteres Haar, rieb sich das Gesicht und betrachtete seine auf einmal zitternden Hände. Dieses Zittern überkam ihn jedes Mal, wenn er an den Krieg zurückdachte. Sollte es eine Hölle geben, dann hatte er sie bei Verdun erlebt. Die Erinnerungen an diese Schrecken waren immer noch sehr lebendig in ihm.
Das Tackern der Schreibmaschinen im Hintergrund ähnelte entfernt MG-Feuer.
Mit einem Schlag fühlte sich Schneider zurück nach Frankreich versetzt.
Maschinengewehre ratterten, spien einen tödlichen Feuerhagel in die Reihen der grau gekleideten Soldaten.
»Vorwärts, Männer! Vorwärts!«, spornte der Leutnant die Truppe an, um sie in Bewegung zu halten. Es waren seine letzten Worte.
Schneider sah nur den Rücken des Offiziers, als dieser von einer Maschinengewehrgarbe durchbohrt wurde. Blutfontänen spritzen hinten aus dem Körper und der Mann klappte zusammen wie eine Marionette, der man die Fäden durchtrennt hatte. Und er war nicht der Einzige. Kugeln fraßen sich durch Menschenfleisch. Schmerzens- und Todesschreie hallten durch das Tosen.
Obwohl Schneider schon an mehreren Schlachten teilgenommen hatte, erlitt er einen Schock, als in wenigen Sekunden zwei Drittel seines Zuges vom gnadenlosen MG-Feuer niedergemacht wurden. Die Toten und Sterbenden lagen im Schlamm. Seine Kameraden, seine Freunde! Jetzt hingen sie in den Resten von Drahtsperren, lagen mit verrenkten Gliedern in Granattrichtern oder schrien nach Hilfe, die niemals kommen würde.
Der deutsche Vorstoß brach im Feuer der französischen Maschinengewehre zusammen.
Schneider zog den Kopf dicht an die Schultern, in der Hoffnung, der Stahlhelm würde ihn vor den giftig umherzischenden Geschossen schützen.
»Thomas … Thomas …«, rief eine schwache Stimme.
Schneider sah sich hektisch um und erblickte seinen Stubenkameraden Gustav, der die Hände auf den blutigen Bauch gepresst hielt.
»Gustav!« Schneider eilte hinüber und packte ihn am Koppel. Heftig schnaufend zerrte er den schweren Körper seines Freundes hinter sich her.
Ein weiterer Kamerad lief an ihnen vorüber. Zuerst schien es, als hielte er seinen Karabiner in der linken Hand, aber dann erkannte Schneider, dass es sich in Wirklichkeit um seinen abgerissenen rechten Arm handelte. Der Kamerad schaffte es trotz des frischen Gliedverlustes, die halbe Strecke bis zum rettenden Schützengraben zurückzulegen. Dann schleuderte er den Arm von sich und sprang in einen Granattrichter.
Schneiders Hirn war noch dabei, sich die grässliche Szene einzuprägen, als eine Artilleriegranate dicht neben ihm einschlug. Er hatte das verfluchte Ding nicht einmal kommen hören. Die heftige Detonation warf ihn in den Schlamm. Schneider schluckte, in seinem Kopf drehte sich alles, seine Ohren klingelten. Zumindest hatte er dieses Mal nicht das Gehör verloren. Schneider bewegte versuchsweise Arme und Beine, denn manchmal spürte man gar nicht, wenn es einen erwischt hatte, weil Schock und Adrenalin den Schmerz betäubten.
Kugeln schwirrten wie zornige Insekten an ihm vorbei, doch er ignorierte sie für den Moment. Er war nicht schlimm verwundet, nur einige Kratzer durch die Granatsplitter. Dichter Rauch zog über das Schlachtfeld und Dreck verklebte seine Augen. Halb blind packte er Gustav wieder am Koppel und zog ihn mit sich. Allerdings fiel Schneider sofort wieder hin, als der Körper unerwartet wenig Widerstand bot. Er wischte sich den Dreck aus den Augen und sah nach seinem Kameraden …
Gustav besaß keinen Unterleib mehr. Die Granate hatte seinen Körper unterhalb der Hüfte glatt weggerissen. Schneider sah an sich hinunter und registrierte erst jetzt, dass er von oben bis unten mit dem Blut und Fleischbrocken seines Freundes besudelt war.
Er gab ein gequältes Wimmern von sich, das man vielleicht von einem verwundeten Tier erwartet hätte, jedoch nicht von einem Menschen.
Hektisch rieb er über seine Uniform, versuchte das Blut von sich zu wischen und verteilte es doch nur noch mehr.
Etwas – jemand – prallte gegen ihn. Es war der Unteroffizier.
»Los, komm!«, schrie der Unteroffizier und packte Schneider am Kragen, zog den benommenen jungen Mann mit sich durch den zischenden Kugelhagel.
Der Graben, er war so nah. Der Unteroffizier sprang hinein, riss Schneider mit sich. Brackiges Wasser spritze auf, als sie der Länge nach auf dem rettenden Grund aufschlugen.
Der Unteroffizier hob ihn aus dem kalten Wasser und stellte ihn auf seine wackligen Beine. Schneider zitterte am ganzen Leib, seine Lunge brannte wie Feuer, die Knochen schmerzten, seine Muskeln verkrampften. Zum Angriff waren 117 Mann angetreten, jetzt befand sich nur noch eine Handvoll Soldaten im Graben.
Schneider kauerte sich zusammen, wollte dem Wahnsinn nur noch entrinnen …
Hektisches Blinzeln brachte ihn zurück ins Hier und Jetzt.
Drei Jahre hatte Thomas Schneider seinem Vaterland als Soldat gedient, zuletzt als Unteroffizier. Nie wieder, hatte er sich geschworen. Nie wieder Krieg, nie wieder Tod.
Im Herbst 1918 hatte das Deutsche Reich als Verlierer des Weltkriegs festgestanden. Die außenpolitischen Bedrängnisse führten zur Revolution im Inneren: Deutschland erlebte einen demokratischen Frühling. Doch von Beginn an stand die junge Republik unter keinem guten Stern. Die Alleinschuld am Krieg und die Bedingungen des Friedens von Versailles – die Mehrheit der Deutschen bezeichnete es als »Diktat von Versailles« – erweisen sich als schwere Bürde, sogar als zu schwere. Links- und rechtsradikale Gruppierungen bekamen immer mehr Aufwind. Wirtschaftskrisen, Inflation und Arbeitslosigkeit erschütterten das Vertrauen der Bevölkerung in die junge Demokratie. Alle Anzeichen deutete auf einen weiteren Krieg hin, diesmal auf einen Bürgerkrieg, in dem Deutsche gegen andere Deutsche kämpfen würden. Man brauchte doch nur nach Russland zu blicken, um zu ahnen, was auf Deutschland zukommen würde!
Thomas Schneider hatte genug Leichenberge gesehen, dass es ihm für mehr als zehn Leben reichte. Also verkaufte er den elterlichen Hof und ergatterte gerade genug Geld, um mit seiner Verlobten nach Amerika auswandern zu können. Dort gründeten sie eine Familie und nahmen die US-Staatsbürgerschaft an. Auch wenn der von ihm befürchtete Bürgerkrieg seiner alten Heimat erspart geblieben war, hatte Schneider seine Entscheidung nie bereut. Amerika hatte ebenfalls genug vom Krieg gehabt und sich auf sich selbst konzentriert. Das kam ihm zupass.
Schneider war sich der Ironie bewusst, dass er, der nie wieder etwas mit dem Krieg zu tun haben wollte, ausgerechnet im Kriegsministerium Arbeit gefunden hatte. Sein Sinn für Humor half ihm jedoch dabei, der Situation etwas Positives abzugewinnen. Die US Army war in einem so erbärmlichen Zustand, dass Amerika sowieso keinen Krieg führen konnte.
Aber das Essen musste ja irgendwie auf den Tisch kommen und die Rechnungen wollten auch bezahlt werden. Die Große Depression forderte schließlich ihren Tribut. Auslöser dafür war der Crash der amerikanischen Börse im Oktober 1929 gewesen. Betrügereien wie Bilanzfälschung und Kettengeschäfte, Massenentlassungen sowie der Zusammenbruch des Bankensystems, zerstörten das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung nachhaltig. Herbert Hoover wurde als zu schwach angesehen, um den massiven Problemen entgegenzuwirken und alle Maßnahmen, die er ergriff, brachten keinen sichtbaren Erfolg. So gewann der demokratische Kandidat Franklin D. Roosevelt die Wahlen von 1932. Adlerdings verstarb Roosevelt kurz darauf im Amt als Folge seiner Erkrankung an Kinderlähmung. Sein unerwarteter Tod bescherte den USA eine weitere Krise.
Durch den Zusammenbruch der Wirtschaft wurden rund 25 Prozent aller Amerikaner arbeitslos, also etwa 15 Millionen Menschen, und bei allen anderen fielen die Löhne um etwa die Hälfte. Verzweifelte Menschen zogen in riesigen Trecks durch das Land und suchten oftmals unter menschenunwürdigen Zuständen ein Auskommen. Die Radikalen beider Seiten erhielten immer mehr Zulauf, da sie einen Ausweg aus der Krise versprachen.
In dieser Situation trat Präsidentschaftskandidat Alexander Davis auf den Plan. Davis gehörte der National Republican Party an, einer Partei, die ursprünglich nur von 1825-1829 existiert hatte. 1922 trennte sich jedoch der extrem rechte Flügel der Republikaner vom Rest ihrer Partei und übernahm die Bezeichnung der NRP für sich.
Bei einem öffentlichen Auftritt in New York war es einem Mann namens Adolf Hitler dank seines rhetorischen Geschicks gelungen, die Aufmerksamkeit von Davis auf sich zu lenken.
Als Hitler in seiner flammenden New Yorker Rede die Lösung der amerikanischen Wirtschaftsprobleme in einer Gestaltung der Volkswirtschaft im Frieden für den Krieg unter militärischen Gesichtspunkten darlegte, war Davis' Interesse an dem Einwanderer aus Österreich geweckt. Hitler war 1933 bei den Wahlen in Deutschland als Kanzlerkandidat angetreten, erlitt jedoch eine schwere Niederlage und wanderte in der Folge in die USA aus.
Nach einigen Treffen zwischen Davis und Hitler, wurde der Österreicher zum engsten Vertrauten des NRP-Mannes. Davis legte in der folgenden Zeit einen kometenhaften Aufstieg vom politischen Außenseiter zum US-Präsidenten hin. Der frischgebackene Präsident ernannte den amerikanischen Neubürger Hitler zu seinem Sonderberater in Wirtschafts- und Propagandafragen.
Davis und Hitler leiteten zahlreiche Maßnahmen ein, um die Wirtschaft wiederzubeleben. Darunter fielen auch Hilfen für die Massen an Arbeitslosen und Armen, unter anderem die Einführung von Sozialversicherungen. Ebenso wurden Programme zum Aufbau der Infrastruktur gestartet, also der Bau von Straßen, Brücken und Staudämmen in Auftrag gegeben, um den Menschen wieder Arbeit zu verschaffen. Allerdings verschlangen all diese Maßnahmen sehr viel Geld. Geld, dass die Regierung nicht besaß. Die Staatsschulden stiegen an und das Land drohte, in die Zahlungsunfähigkeit abzurutschen. Ein Ausweg aus dieser fatalen Lage musste her, und zwar rasch, bevor die Regierung Davis zusammenbrechen würde.
Und jetzt das!
Schneider atmete tief durch. Das durfte nicht passieren. Es durfte doch nicht schon wieder einen Krieg geben!
Aber was konnte er schon dagegen unternehmen? An wen sollte er sich wenden? Wer hatte die Möglichkeit, einen erneuten Krieg zu verhindern? Normalerweise würde er sich an jemanden im Kongress oder dem Senat wenden.
Einer der Senatoren war doch immer auf einen Untersuchungsausschuss scharf, der ihn in der Presse gut dastehen ließ. Doch wie das Dokument vor ihm bewies, war der Kongress selbst in die ganze Angelegenheit verstrickt und seit Einführung der Ermächtigungsgesetze faktisch gelähmt.
Und die Presse? Nein, die wurde nun staatlich kontrolliert und war dem Präsidenten gegenüber geradezu handzahm geworden. Sie lobte ihn in den höchsten Tönen dafür, dass er endlich die Wirtschaft in Gang gesetzt hatte.
Wer nur …?
Schneider neigte den Kopf zur Seite, als ihm plötzlich eine Eingebung kam. Seine Frau Greta hatte in sechs Wochen Geburtstag. Ihr einziger noch lebender Verwandter war ihr Bruder Georg, und der besuchte seine Schwester mindestens zweimal im Jahr, zu ihrem Geburtstag und zu Weihnachten. Schneider und sein Schwager standen sich zwar nicht gerade nahe, kamen jedoch ganz gut miteinander aus. Zudem war Georg bei der deutschen Marine. Vielleicht kannte er ja jemanden, der weiterhelfen konnte! Schneider beschloss, seine Entdeckung bei der nächsten Gelegenheit seinem Schwager anzuvertrauen. Er blätterte nun weiter durch den Ordner.
Hm, es wäre vielleicht ganz gut, Georg eine Kopie des Kriegsplans auszuhändigen.
Schneider erstarrte für einen Moment. Aber wäre das nicht Verrat?
Er überdachte alles noch einmal. Ja, er war im Begriff, Hochverrat zu begehen, da biss die Maus keinen Faden ab. In ihm arbeitete es. Er wog den Verrat an seiner Wahlheimat gegen die schrecklichen Bilder von Verdun ab.
Nie wieder!
Entschlossen machte sich Thomas Schneider ans Werk.
Deutschland, Sommer
»Oberleutnant Hansen, Herr Admiral«, kündigte Admiral Wilhelm Canaris' Adjutant an.
Canaris forderte Hansen mit einer Geste zum Eintreten auf.
Der Oberleutnant ging sechs Schritte ins Büro, schlug die Hacken zusammen, stand still und sagte: »Guten Tag, Herr Admiral.«
»Kommen Sie her, Hansen«, forderte Canaris auf und winkte den Oberleutnant näher heran. Durch Krümmen des Zeigefingers wies er auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch.
»Nehmen Sie Platz.«
»Jawohl, Herr Admiral.«
Danach widmete Canaris seine Aufmerksamkeit wieder dem Bericht auf seinem Schreibtisch; er blickte fast drei Minuten lang nicht auf. Georg Hansen nutzte die Zeit, um den Admiral unauffällig zu mustern.
Wilhelm Canaris hatte es anfangs schwer gehabt, sich in der Abwehr Geltung zu verschaffen. Sein unmilitärisches Auftreten, seine zurückhaltende Art, sein leichtes Lispeln, sein müder Blick und nicht zuletzt seine Körpergröße von 1,60 Meter mochten in dieser Kombination dabei eine gewisse Rolle spielen. An der Entschlossenheit und den Fähigkeiten des Admirals gab es inzwischen jedoch keinerlei Zweifel mehr. Nachdem sein Vorgänger im April 1934 überraschend erkrankt war, übernahm der damalige Kapitän zur See Wilhelm Canaris dessen Amt. Seine Beförderung zum Konteradmiral erfolgte wenige Monate später. Bereits vom Tag seines Amtsantritts an, reorganisierte Canaris die Abwehr und begann damit, sie systematisch zu einem der größten und besten militärischen Geheimdienste der Welt auszubauen.
Als der Admiral zu Ende gelesen hatte, schaute er zur Decke. Hansen konnte förmlich sehen, wie sich die Zahnräder hinter der Stirn von Canaris drehten. Nach einer Weile nickte der Admiral, als stimmte er jemandem zu. Dann atmete er tief durch, senkte den Blick auf den Schreibtisch, nahm einen Federhalter und notierte schnell etwas auf dem Bericht.
Einen Augenblick später öffnete sein Adjutant die Tür des Büros.
Es muss eine Art Klingelknopf auf dem Boden geben, schlussfolgerte Hansen. Der Admiral hat nichts auf seinem Schreibtisch angerührt.
Canaris winkte seinen Adjutanten wortlos ins Büro und wies auf den Bericht, woraufhin der Adjutant hereinkam. Er ging rasch zum Schreibtisch und nahm den Bericht an sich. Canaris gestikulierte erneut und signalisierte seinem Adjutanten, die Tür hinter sich zu schließen.
Dann blickte er Hansen an, der sofort aufzustehen begann.
»Behalten Sie Platz,« sagte Canaris und unterstrich seine Worte mit einer Geste.
Hansen ließ sich auf den Stuhl zurücksinken. Der Oberleutnant konnte Canaris ansehen, dass der Admiral seine Gedanken sammelte.
»Mir ist der Umstand bewusst, dass es stets schwierig ist, Informationen zu sammeln. Insbesondere, wenn besagte Informationen nicht so recht zu den bereits vorliegenden Daten passen wollen. Ich bin überzeugt, Sie wissen das.«
»Ich verstehe, Herr Admiral«, sagte Hansen.
Das stimmte nicht ganz. Hansen bemühte sich zu verstehen, worauf Canaris hinauswollte.
Der Oberleutnant rief sich in Erinnerung, was ihm sein Onkel, Kapitän Lars Oppermann, gesagt hatte, als sein Neffe ihm eröffnet hatte, dass er sich bald zum Dienst in der Abwehr melden müsse: »Der beste Rat, den ich dir geben kann, Georg, ist folgender: Achte darauf, was Canaris nicht sagt.«
Hansen war überhaupt nicht glücklich über seine Verwendung an einem Schreibtisch in Kiel. Nach kurzer Dienstzeit an Bord des Panzerschiffs Deutschland war er der Abwehr zugeteilt worden. Oder genauer, der Abteilung VIII (Informationen) des Marinenachrichtendienstes.
Wie richtig der Rat seines Onkels war, wurde Oberleutnant Hansen jetzt klar.
»Ich versichere Ihnen, Herr Admiral, dass ich nicht aktiv nach diesen speziellen Informationen gesucht habe«, begann Hansen. »Mein Schwager, der im US-Kriegsministerium angestellt ist, trat im Rahmen eines rein privaten Besuches bei meiner Schwester in Amerika an mich heran. Er diente im Krieg und nahm an einigen der schlimmsten Schlachten an der Westfront teil. Ich erwähne das nur, weil dies einen Großteil seiner Motivation dafür ausgemacht hat, mir diese Informationen zukommen zu lassen.«
Canaris nickte zum Zeichen, dass er dies so weit akzeptierte. »Fahren Sie fort, Hansen.«
»Jawohl, Herr Admiral.« Hansen öffnete seine Aktentasche und entnahm ihr einen dicken Ordner.
Der Oberleutnant atmete tief durch. »Mein Schwager hat mir eine nahezu komplette Aufstellung eines amerikanischen Kriegsplans übergeben. Sie nennen ihn War Plan Red, also Kriegsplan Rot. Er sieht einen Krieg gegen das britische Empire vor.«
Canaris schien nicht beeindruckt zu sein, jedenfalls verzog er keine Miene. »Ich gehe davon aus, dass dieser Plan nur einer in einer ganzen Reihe von militärischen Eventualplänen ist.«
»Das ist korrekt, Herr Admiral. Es gibt viele weitere, nach Farben geordneter Kriegspläne gegen alle möglichen Ziele.« Hansen tippte mit dem Zeigefinger auf den Aktenordner. »Plan Grün zum Beispiel hat Mexiko als Ziel. Gelb steht für China. Schwarz für Deutschland. Und so weiter.«
Canaris nickte wieder. »So weit ist das nichts Ungewöhnliches. Fast jedes Land hat solche Notfallpläne in irgendeiner verstaubten Schublade liegen.«
»Das mag richtig sein, Herr Admiral, aber das war noch nicht der Auslöser für das Handeln meines Schwagers.« Hansen zog seinen eigenen Notizblock aus der Aktentasche und schlug ihn auf.
»Mein Schwager hat durch Zufall neben dem Kriegsplan auch noch die Befehle zur Mobilisierung des amerikanischen Generalstabs bearbeitet. Diese sind vor wenigen Monaten erteilt worden. In dem Ordner ist zudem festgehalten, dass an dem Plan bereits seit 1931 gearbeitet wird. Damals entsandte die US-Regierung den berühmten Piloten Charles A. Lindbergh zu Spionagezwecken an die kanadische Westküste von Hudson Bay, um die verschiedenen Möglichkeiten der Kriegsführung zu analysieren.«
»Hm«, brummte Canaris. »Interessant.«
Offenbar war es Hansen gelungen, das Interesse des Admirals zu wecken. Dem Oberleutnant war klar, dass es dem Leiter der Abwehr schwerfiel, die doch recht abwegige Theorie von einem Angriff der US-Amerikaner auf das britische Weltreich für bare Münze zu nehmen. Wäre der Admiral derart leichtgläubig, hätte er auf seinem Posten nichts verloren. Hansen war es ja selbst schwergefallen, die Informationen seines Schwagers zu akzeptieren. Er zog wieder seinen Notizblock zu Rate.
»Auf eigene Initiative hin, habe ich während meines Aufenthalts in den USA unser dortiges Büro aufgesucht und weitere Nachforschungen in diese Richtung angeregt«, fuhr Hansen fort.
Canaris wölbte die rechte Augenbraue. »Ich hoffe doch sehr, Sie haben diskrete Nachforschungen angeregt?«
»Selbstverständlich, Herr Admiral. Während des Gesprächs mit unserer dortigen Vertretung habe ich sogar die Worte ›vorsichtig wie mit rohen Eiern‹ verwendet.«
Der Admiral nickte knapp. Eigeninitiative war etwas, das er bei seinen Mitarbeitern sehr schätzte. Einen diplomatischen Zwischenfall hingegen schätzte er überhaupt nicht.
Wieder eine gefährliche Klippe sicher umrundet, sagte sich Hansen erleichtert und sah in seine Notizen.
»Ich bin selbstverständlich auch auf den naheliegenden Gedanken gekommen, dass es sich bei diesem Dokument um ein Täuschungsmanöver der amerikanischen Geheimdienste handeln könnte, die meinen Schwager wissentlich oder unwissentlich benutzt haben.«
Canaris neigte den Kopf etwas nach links.
Ich wünschte mir wirklich, der Admiral wäre etwas gesprächiger, dachte Hansen. Aber gerade das macht ihn wahrscheinlich zu einem guten Leiter der Abwehr.
»Nach reiflicher Überlegung neige ich jedoch dazu, diese These als unwahrscheinlich zu verwerfen«, sagte er.
»Begründung«, verlangte Canaris knapp.
»Erstens: Welchen Nutzen hätten die amerikanischen Geheimdienste von einer solchen Aktion? Wir sind nicht mit den Briten verbündet und es würde unsere Interessen kaum berühren, sollten sich die Amerikaner zu einem Krieg mit den Engländern entschließen. Aus US-amerikanischer Sicht hingegen würde ich sogar ein Bündnis mit Deutschland erwägen, um die Briten im Falle eines Krieges so in Europa zu binden. Sollte mir das nicht gelingen, würde ich auf jeden Fall die Beziehungen mit Deutschland so weit verbessern, das ein Bündnis zwischen Berlin und Washington für die Briten zumindest als realistisch erscheint.«
»Sie denken dabei an diese amerikanische Delegation, die zurzeit in Berlin die wirtschaftlichen Verhandlungen mit der Regierung führt?« Der Tonfall des Admirals machte klar, dass es sich hierbei nur um eine rhetorische Frage handelte.
Dennoch sah sich Hansen zu einer Antwort genötigt: »Jawohl, Herr Admiral. Der Zeitpunkt erscheint mir in diesem Zusammenhang auf jeden Fall verdächtig zu sein.«
Canaris nickte wieder. »Weiter.«
»Zweitens: Warum sollten die Amerikaner darauf zählen, dass wir diese Informationen an die Briten weitergeben? Angesichts der Bemühungen des Kanzlers, den Briten und Franzosen eine Erleichterung der Auflagen des Versailler Vertrages abzuringen, erscheint mir eine solche Vorgehensweise zwar möglich, jedoch viel zu unsicher. Wir könnten diese Informationen als Trumpf im Ärmel behalten. Wenn die Amerikaner die Briten jedoch mit falschen Informationen zu einer Überreaktion zu provozieren gedenken, um sich daraus einen Kriegsgrund zurecht zu zimmern, gäbe es dafür sehr viel einfachere Wege.«
»Eine Grundregel bei solchen Aktionen ist es, den Plan möglichst einfach zu halten«, stimmte Canaris mit einem dünnen Schmunzeln zu. »Je einfacher, desto besser. Die Komplikationen kommen ganz von alleine.«
War das gerade ein Scherz?, fragte sich Hansen. Wenn ja, dann wäre es das erste Mal, dass er so etwas bei Canaris erlebt hatte.
»Öhm, ja, Herr Admiral.«
Nun funkelten Canaris' Augen eindeutig amüsiert. »Machen Sie weiter, Hansen.«
Der Blick in seine Notizen bot dem Oberleutnant einen Ausweg aus seiner Verlegenheit.
»Drittens: Weshalb sollte den Amerikanern überhaupt daran gelegen sein, uns in irgendeiner Art mit einzubeziehen? Aus ihrer Sicht wäre es besser, uns ganz außen vor zu lassen. Wenn Sie tatsächlich vorhaben, diesen irrwitzigen Plan in die Tat umzusetzen, müssten Sie alles völlig verschleiern, wenn sie das Überraschungsmoment auf ihrer Seite haben wollen. Bisher scheint ihnen die Abschottung sehr gut gelungen zu sein, obwohl jeden Tag tausende von Kanadiern ihre nördliche Grenze passieren.«
»Sie vergessen, wer der wichtigste Berater von Präsident Davis ist«, mahnte Canaris.
»Keineswegs, Herr Admiral. Aber ich kann mir keinen vernünftigen Grund vorstellen, warum man uns auf diesem Wege informieren sollte.«
»Wie Sie schon sagten: Keinen vernünftigen Grund.« Canaris schüttelte leicht den Kopf. »Mit Vernunft ist dieser Herr wohl kaum im Übermaß gesegnet.«
Der Admiral bezog sich auf den Sonderberater von Präsident Alexander Davis, den ehemaligen Vorsitzenden der Nationalsozialisten, Adolf Hitler. Hitler, ehemaliger Weltkriegssoldat, arbeitsloser Künstler, verhinderter Revolutionär und Häftling, hatte sich zum Ziel gesetzt, mit der NSDAP zum deutschen Reichskanzler aufzusteigen. Bei den Wahlen 1933 verlor die NSDAP jedoch haushoch gegen das demokratische Bündnis von Reichskanzler Hindenburg. Nach kurzer Regierungszeit Hindenburgs, wurde im März 1933 Robert Jäger zum neuen Kanzler ernannt, der derart populär war, dass er bis heute fest im Sattel saß.
Nachdem sich Hitlers hochfliegende Träume in Deutschland zerschlagen hatten, wanderte er in die USA aus, wo er es schaffte, die Aufmerksamkeit von Alexander Davis auf sich zu ziehen. So startete Hitler eine zweite politische Karriere und war dieses Mal sogar sehr erfolgreich.
Bei seinem Besuch in Amerika hatten Hansen und dessen Verwandte einer Rede Hitlers im Radio gelauscht. Was immer man sonst von diesem Kerl aus Österreich halten mochte, er schaffte es jedenfalls, sein Publikum zu fesseln. Allerdings waren Hitlers Auslassungen über den sogenannten Lebensraum für das amerikanische Volk ein Punkt für sich. Amerika war doch nun wirklich groß genug. Es reichte vom Atlantik bis zum Pazifik und durchmaß sechs Zeitzonen. Man hätte ganz Europa mehrmals in die kontinentalen USA packen können, und da waren die weiteren amerikanischen Besitzungen noch gar nicht mitgerechnet.
Hansen, der einige Auszüge aus Hitlers Buch gelesen hatte, hielt den Österreicher für eine äußerst gefährliche Person, die man auf gar keinen Fall unterschätzen durfte. Seiner Ansicht nach hatte Davis einen Pakt mit dem Teufel geschlossen.
Leider schienen Hitlers Vorschläge zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit tatsächlich zu wirken, denn überall in den Vereinigten Staaten wurde Staudämme, Straßen und Kraftwerke hochgezogen und die Wirtschaft schien sich zu erholen.
»Da möchte ich Ihnen nicht widersprechen, Herr Admiral«, sagte Hansen gedehnt. »Allerdings muss man zugeben, dass dieser Herr Hitler bei all seinen Fehlern – und davon hat er eine Menge – einiges dafür getan hat, die amerikanische Wirtschaft zu beleben. Und genau darin sehe ich die große Gefahr.«
»Erläutern Sie das bitte näher«, verlangte Canaris.
»Herr Admiral, dies übersteigt jetzt meine Gehaltsstufe«, meinte Hansen. »Aber ich behaupte mal, dass Hitlers Einfluss bei Präsident Davis im gleichen Maß weiter ansteigen wird, wie seine Maßnahmen Erfolge zeitigen. Wenn ich an das denke, was Hitler in seinem Buch zum Besten gibt, könnte ich mir vorstellen, dass ihm ein Plan wie dieser Kriegsplan Rot doch sehr zusagen würde.«
Canaris lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Erneut konnte Hansen verfolgen, wie der Rechenapparat im Kopf des Admirals zu arbeiten begann. Gespannt wartete der Oberleutnant darauf, dass Canaris wieder etwas sagen würde.
Nach einer Minute, die Hansen wesentlich länger erschien, beugte sich der Admiral nach vorne und stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch.
Er betrachtete Hansen eindringlich, dann nickte er knapp und sah zur Tür.
Diese öffnete sich und der Adjutant des Admirals betrat den Raum.
Da ist eindeutig ein Klingelknopf unter dem Tisch, stellte Hansen für sich fest.
»Herr Admiral?«, fragte der Adjutant.
»Oberleutnant Hansen ist von seinen bisherigen Aufgaben entbunden«, teilte ihm Canaris knapp mit. »Erstellen Sie neue Marschbefehle für ihn. Gültig mit sofortiger Wirkung.«
Der Adjutant streifte den geschockt dasitzenden Oberleutnant mit einem kurzen Blick.
»Zu Befehl, Herr Admiral.«
Canaris sah Hansen nun fest in die Augen und ein dünnes Lächeln erschien auf seinem Gesicht.
»Ab sofort ist Oberleutnant Hansen dem Projekt Nordamerika zugeteilt. Er übernimmt die Leitung dieser speziellen Arbeitsgruppe.«
»Verstanden, Herr Admiral.« Der Adjutant lächelte Hansen breit an. »Da darf ich dem Herrn Oberleutnant gratulieren.«
»Warten Sie damit lieber noch, bis der Oberleutnant seinen Schrecken überwunden hat«, meinte Canaris humorvoll. Dann wurde er wieder ernst. »Ich gehe davon aus, dass Sie sich über Ihre Aufgaben im Klaren sind, Oberleutnant Hansen.«
Das war wiederum keine Frage gewesen.
»Jawohl, Herr Admiral. Völlig im Klaren.«
Canaris nickte ihm zu. »Gut. Beschaffen Sie alle Informationen, die sie kriegen können, aber gehen Sie dabei äußerst umsichtig vor. Um Ihre eigenen Worte zu zitieren: Seien Sie vorsichtig wie mit rohen Eiern, Hansen.«
Berlin, einige Wochen später
Admiral Wilhelm Canaris ließ den Blick über die Gruppe wandern, die sich im Besprechungsraum eingefunden hatte. Außer ihm und Oberleutnant Hansen waren Außenminister Theodor von Gallen, Wirtschaftsminister Julius Sänger, Innenminister Magnus Gruner, Finanzminister Paul Lewald, Kriegsminister Erich Wissel und Staatssekretär Oskar von Hindenburg, der Sohn des vorherigen Reichskanzlers, anwesend. Staatssekretär von Hindenburg fungierte als Berater des Kanzlers, was diesem zunächst viel Kritik eingebracht hatte, sahen gewisse Kreise den jungen Hindenburg doch als Marionette seines Vaters an. Jäger hatte seine Unabhängigkeit jedoch rasch unter Beweis gestellt, indem er nicht davor zurückgeschreckt war, auch Entscheidungen zu treffen, die der frühere Reichskanzler niemals befürwortet hätte. Die anderen Minister waren in der Politik bisher nur am Rande oder gar nicht aufgefallen, was dem Kabinett Jäger I von Links und Rechts den recht hämischen Spottnamen »Laientruppe« einbrachte.
Drei Schreiber, die Protokoll führten, rundeten die Gruppe ab.
Es war kein Geheimnis, das Robert Jäger die Führung über ein zutiefst zerrissenes Land übernommen hatte, als er im März 1933 zum Kanzler gewählt worden war. Nur die Wenigsten hatten erwartet, dass er das erste Jahr seiner Regierungszeit überstand.
Nach dem Ende des Weltkrieges hatten die Siegermächte Deutschland aufs Schafott geschickt. Der Vertrag von Versailles raubte Deutschland ein Zehntel seiner Bevölkerung und ein Achtel seines Staatsgebietes. Sein Kolonialreich, immerhin das drittgrößte der Welt, ging vollständig verloren. Aller Privatbesitz der Bewohner der deutschen Schutzgebiete wurde für null und nichtig erklärt. Japan erhielt die deutsche Konzession in Schantung und sämtliche deutschen Inseln nördlich des Äquators, während die Inseln südlich davon an Neuseeland und Australien gingen. Der deutsche Kolonialbesitz in Afrika wurde unter Großbritannien und Frankreich aufgeteilt. Die deutschen Flüsse wurden internationalisiert und Deutschland musste seine Märkte für den Import aus den Siegerstaaten öffnen, während es seine eigenen Waren nicht exportieren durfte.
Kurzum: Deutschland sollte so gebrochen werden, dass es nie wieder in der Lage sein würde, sich zu erheben.
Um das sicherzustellen, wurde Deutschland verboten, gepanzerte Fahrzeuge, Panzer, schwere Artillerie, Unterseeboote oder eine Luftwaffe zu besitzen. Die deutsche Hochseeflotte wurde als Kriegsbeute beschlagnahmt und versenkte sich im britischen Hafen Scapa Flow selbst. Die Handelsflotte ging ebenfalls an die Sieger. Der Generalstab wurde aufgelöst und die Stärke des deutschen Heeres auf 100.000 Mann begrenzt.
Deutschland, das 1914 mehr Güter als Großbritannien produziert und sich angeschickt hatte, das Empire wirtschaftlich zu überflügeln, war massiv in seinen Ressourcen beschnitten.
Canaris ließ die Sachlage noch einmal Revue passieren.
Zehn Millionen Leben hatte der Krieg gefordert, und weitere 20 Millionen Menschen waren verwundet worden. Deutschland verlor 1,8 Millionen seiner Söhne, 4,2 Millionen wurden verwundet und teils für immer verstümmelt. Acht Millionen weitere Soldaten mussten demobilisiert und wieder ins Zivilleben eingegliedert werden.
Auf den Straßen herrschte teils offener Bürgerkrieg. Hunger, Chaos und Gewalt bestimmten das Leben der Menschen. Zu der aufgewühlten Lage gesellte sich der externe Druck durch die Schadenersatzforderungen der Siegermächte sowie die aufgezwungene Bürde der alleinigen Kriegsschuld. 1921 wurde die Gesamtsumme der deutschen Entschädigungsleistungen von der alliierten Kommission auf 132 Milliarden Goldmark festgelegt, abzuleisten innerhalb von 30 Jahren. Diese schier unermessliche Summe konnte das ausgeblutete Land kaum aufbringen.
Die tiefe Spaltung der Gesellschaft ließ sich auch an der Vielzahl der unterschiedlichen Parteien verdeutlichen, die teils am extremen linken und rechten Rand positioniert waren und Deutschland entweder in eine Diktatur oder eine Räterepublik umformen wollten.
Die Unterschrift der Deutschen unter den Versailler Vertrag war nur durch die Blockade von Lebensmittellieferungen erzwungen worden, die Hunderttausenden das Leben gekostet hatte. Dies hatte dem deutschen Volk eine schwärende Wunde zugefügt. Die Nationalsozialisten hatten versucht, diesen Schmerz für sich auszunutzen. Jedoch hatte Jäger mit seinem Wahlspruch »Arbeit und Brot« die Herzen der Menschen eher erreicht als die NSDAP mit »Rache für Versailles«. Die Auflagen des Vertrages schmerzten die Bevölkerung, keine Frage, doch die Mehrheit war vernünftig genug, nicht auf die Versprechen Hitlers auf Rache an den Siegern hereinzufallen. Einen neuen Krieg, so wussten doch die meisten, würde man niemals gewinnen können, und die Vergeltung an Deutschland würde noch schlimmer ausfallen als beim letzten Mal. Nein, das deutsche Volk hatte genug vom Krieg.
Canaris hatte selbst seine Zweifel an den Fähigkeiten des Kanzlers gehabt, musste jedoch zugeben, dass er sich mit Leuten umgab, die wussten, was sie taten. Mit Ruhe und Beharrlichkeit nahmen sich die »Laien« eines Problems nach dem anderen an und beseitigten viele Missstände auf teils recht innovative Art und Weise. Die Verbesserungen, die sich daraufhin einstellten, waren zunächst zwar in ihrer Wirkung begrenzt, aber immerhin doch so weit spürbar, dass der kleine Mann auf der Straße es bemerkte und guthieß.
Jäger hatte unter anderem den Siegermächten eine Lockerung der Auflagen von Versailles abgerungen und nun durfte Deutschland wieder Güter in alle Welt exportieren. Die Wirtschaft erholte sich langsam, aber beständig, so wie Jäger es vor seiner Wahl versprochen hatte. Die Bevölkerung dankte es ihm mit wachsender Zustimmung.
Diese Stimmung ausnutzend, hatte Jäger es vollbracht, die Weimarer Republik im Sommer 1934 in »Bundesrepublik Deutschland« umzubenennen. Dies, so Jäger, sei Zeichen eines Neuanfangs. Die schwarz-rot-goldene Fahne wurde beibehalten, schließlich gingen diese Farben bereits auf das Mittelalter und die Befreiungskriege gegen Napoleon zurück. Aus dieser Zeit stammte auch der Ausspruch, den Jäger als nationales Motto der Bundesrepublik einführte: »Aus der Schwärze der Knechtschaft durch blutige Schlachten ans goldene Licht der Freiheit.«
Nach langer Diskussion wurde auch die territoriale Gliederung der Bundesrepublik zum 1. Januar 1935 geändert. Mehrere der kleineren Bundesländer gingen in größeren auf oder schlossen sich zusammen. Auf diese Weise konnte Jäger die Verwaltungskosten signifikant senken und unnötige Bürokratie abbauen. Er hatte sich mit einer Volksbefragung den Segen der Mehrheit für diese Maßnahme geholt. Dies war ein weiterer Charakterzug des Kanzlers: Er versuchte, die Bevölkerung in den Entscheidungsprozess mit einzubinden und das Interesse der Menschen an der Politik wieder neu zu entfachen.
Und Canaris musste dann zugeben: Solche »Laien« waren die jeweiligen Männer des Kabinetts Jäger I nun auch wieder nicht. Von Gallen hatte während des Krieges auf dem Balkan und bei Gallipoli als Verbindungsoffizier zu den Osmanen gedient und verfügte aus dieser Zeit immer noch über gute Kontakte. Unter von Hindenburg hatte er als Staatssekretär im Auswärtigen Amt gearbeitet.
Sänger hatte bei den Nachschubtruppen gedient und 1921 eine kleine Elektronikfirma gegründet, die sich später sogar mit Siemens messen konnte.
Wissel, der älteste aller Minister, hatte bis zu dessen Auflösung dem Generalstab angehört und sein Möglichstes getan, um den Ausbildungsstand der Truppe auf einem hohen Niveau zu erhalten.
Gruner, im Krieg bei der Militärpolizei, war dem Polizeiwesen auch danach treugeblieben und bis 1932 sogar der Polizeipräsident von Berlin gewesen.
Lewald hatte als einziger nicht im Krieg gedient. Der ehemalige Bankangestellte war in der Weimarer Republik zum stellvertretenden Leiter der Reichsbank aufgestiegen.
Und der jüngere von Hindenburg? Er war ein mit allen Wassern gewaschener Vollblutpolitiker, dem viele zutrauten, irgendwann einmal Jägers Nachfolge anzutreten.
Die Tür wurde energisch aufgestoßen und Robert Jäger, Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, trat ein.
»Verzeihen Sie bitte, dass ich Sie warten ließ, meine Herren«, begrüßte er die Gruppe im fröhlichen Tonfall und bedeutete allen, Platz zu behalten. »Die Natur, so fürchte ich, verlangte mit Beharrlichkeit nach ihrem Recht.«
Als er daraufhin verwunderte Blicke erntete, fügte der Kanzler mit einem verschmitzten Lächeln hinzu: »Das soll bedeuten, ich musste mal die Toilette aufsuchen.«
Leises Gelächter breitete sich am Tisch aus und Canaris ertappte sich dabei, dass auch er schmunzelte.
»Verdammt, und ich hatte mit Julius gewettet, dass Sie mit einer der hübschen Sekretärinnen in einer Abstellkammer verschwunden wären«, sagte Gruner.
Canaris hob bei der Bemerkung beide Augenbrauen, doch Jäger lachte nur auf.
»Also, ich muss doch sehr bitten«, ließ sich von Hindenburg vernehmen, der etwas pikiert dreinblickte.
»Lassen Sie es gut sein, Oskar«, meinte Jäger, während er sich auf seinen Stuhl setzte. »Wir wissen doch alle, dass Magnus schon immer ein Spaßvogel gewesen ist.«
Wieder ertönte leises Lachen.
Erstaunlich, dachte Canaris. Der Kanzler und seine Minister schienen sich nicht nur sehr gut zu verstehen, sie waren offenbar auch persönlich befreundet. Nun, das war zumindest eine gute Erklärung für die erfolgreiche Zusammenarbeit innerhalb des Kabinetts und ließ auf Jägers Führungsstil schließen.
Canaris, der an diesem Tag trotz seiner Position zum ersten Mal mit Jägers Kabinett zusammentraf, rief sich kurz in Erinnerung, was er über den Kanzler wusste: Robert Jäger, geboren als Sohn eines Fabrikarbeiters. 1914 zog er als achtzehnjähriger Freiwilliger in den Krieg. Diente fast zwei Jahre mit Auszeichnung an der Westfront, wurde schwer verwundet und zum Offizier ernannt. 1917 trat er als Leutnant den Luftstreitkräften bei und wurde zur Jagdstaffel 11 versetzt. Dort entwickelte er sich unter dem Kommando von Manfred von Richthofen zu einem der erfolgreichsten Jagdflieger des Krieges. Nach Richthofens Tod am 21. April 1918 führten zunächst Wilhelm Reinhard und Hermann Göring die Jasta 11, doch kamen beide durch Abstürze ums Leben. Somit wurde der frisch beförderte Rittmeister Jäger zum letzten Kommandeur des Geschwaders.
Mit 64 Luftsiegen war Jäger der erfolgreichste überlebende Jagdflieger des Krieges und besuchte in der Nachkriegszeit ehemalige Gegner in Frankreich, England und Amerika. In den USA erlangte er eine Anstellung als Kunstflieger in Hollywood. Er spielte sogar in vier recht erfolgreichen Filmen an der Seite berühmter Filmstars. Doch Jäger blieb der Heimat nicht lange fern; Ende der 1920er Jahre kehrte er nach Deutschland zurück. Dort versuchten die Nationalsozialisten seine Popularität für ihre Zwecke auszunutzen, doch Jäger wehrte diese Versuche kategorisch ab. Der alternde Reichskanzler von Hindenburg erkannte jedoch die Chance, die sich ihm bot. Er überzeugte Jäger davon, in seine Demokratische Partei Deutschlands einzutreten. Der Reichskanzler nutzte die Popularität Jägers aus und schmiedete eine Union aus dem katholischen Zentrum, der DPD und der Deutschen Volkspartei, geduldet und unterstützt von Teilen der SPD aus Angst vor einem Erstarken Hitlers. Diesem Bündnis gelang es in den Wahlen von 1932 und 1933, der NSDAP so verheerende Niederlagen beizubringen, dass die Nationalsozialisten in der Bedeutungslosigkeit verschwanden. Von Hindenburg sprach sich öffentlich für Jäger als seinen Nachfolger aus und unterstützte dessen Kandidatur. So kam es dann, dass Jäger im Frühjahr 1933 mit überwältigender Mehrheit zum Kanzler gewählt wurde. Nach von Hindenburgs Ausscheiden übernahm Jäger auch den Vorsitz der DPD. Zum neuen Bundespräsidenten wurde der SPD-Politiker Julius Leber gewählt.
Admiral Canaris betrachtete Jäger prüfend. Der Kanzler war groß, kräftig gebaut, mit freundlichem Gesicht, und er vermittelte seiner Umgebung durch sein Auftreten eine gewisse Nähe. Von seiner linken Augenbraue zog sich eine gezackte Narbe zu seiner Schläfe hin und verschwand dort nahezu unsichtbar zwischen den hellblonden Haaren. In Wahrheit jedoch erstreckte sie sich noch ein ganzes Stück die Schädeldecke hinauf – das Ergebnis eines für Jäger beinahe tödlichen Kopftreffers.